30.11.2011 concerti di flauti - nachrichten | ndr.de

9
CONCERTI DI FLAUTI 30.11.2011 SAISON 2011/2012 ABONNEMENTKONZERT 3 DOROTHEE OBERLINGER BLOCKFLÖTE ANDREA RITTER BLOCKFLÖTE MAURICE STEGER BLOCKFLÖTE DANIEL KOSCHITZKI BLOCKFLÖTE RICARDO MAGNUS CEMBALO MICHAEL SPENGLER VIOLA DA GAMBA

Upload: others

Post on 01-Feb-2022

8 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

CONCERTI DI FLAUTI30.11.2011

SAISON 2011/2012 ABONNEMENTKONZERT 3

DOROTHEE OBERLINGER BLOCKFLÖTE ANDREA RITTER BLOCKFLÖTE MAURICE STEGER BLOCKFLÖTE DANIEL KOSCHITZKI BLOCKFLÖTERICARDO MAGNUS CEMBALO MICHAEL SPENGLER VIOLA DA GAMBA

PROGRAMMABFOLGE | 0302 | PROGRAMMABFOLGE

HENRY PURCELL (1659 – 1695)

TOMASO ALBINONI (1671 – 1751)

WILHELM FRIEDEMANN BACH (1710 – 1784)

JOHANN CHRISTIAN SCHICKHARDT

Ouverture in g- Moll

Chacony in g -Moll

Concerto op. 2 Nr. 2 e -MollAllegroAdagioPrestoAdagioAllegro

Duett für zwei Flöten G- DurAllegro ma non troppoCantabileAlla breveGigue Allegro

Konzert für 4 Flöten und Basso continuo Nr. 5 e-MollAllegroLargo AllegroPresto

Das Konzert wird am Freitag, den 16. Dezember 2011, um 20 Uhrauf NDR Kultur gesendet.

JOHANN CHRISTIAN SCHICKHARDT (1680 – 1762)

PIETRO ANTONIO LOCATELLI (1695 – 1764)

JOHANN PACHELBEL (1653 – 1706)

ANTONIO VIVALDI (1678 – 1741)

Mittwoch, 30. November 2011, 20 UhrHamburg, Laeiszhalle, Großer Saal

CONCERTI DI FLAUTI

DOROTHEE OBERLINGER BLOCKFLÖTE

ANDREA RITTER BLOCKFLÖTE

MAURICE STEGER BLOCKFLÖTE

DANIEL KOSCHITZKI BLOCKFLÖTE

RICARDO MAGNUS CEMBALO

MICHAEL SPENGLER VIOLA DA GAMBA

Konzert für 4 Flöten und Basso continuo Nr. 1 C-DurAllegroAdagioVivaceAllegro

Concerto op. 1 Nr. 11 c -MollLargoAllemandaSarabandaGiga Allegro

Suite Nr. 5 C -Dur aus „Musicalische Ergötzung“Sonata AriaTrezzaCiacona

Concerto op. 3 Nr. 8 a -Moll aus „L’estro armonico“AllegroLarghetto e spiritosoAllegro

Pause

CONCERTI DI FLAUTI

Vier der weltweit führenden Blockflötisten der

jüngeren Generation – Dorothee Oberlinger,

Andrea Ritter, Daniel Koschitzki und Maurice

Steger – haben sich mit zwei Continuokollegen zu

einem Ensemble zusammengefunden, das sie

programmatisch Concerti di flauti nennen. Sie

wollen dem selten gehörten barocken Repertoire

für vier Blockflöten und Basso continuo ihren

ganz persönlichen Atem einhauchen. Ist jeder

der vier Ausnahmemusiker bereits als Solist ein

einzigartiges Erlebnis, so entfachen sie zusam-

men in den vierstimmigen Barockkonzerten ein

regelrechtes Feuerwerk an spritzigen Dialogen,

aberwitzig virtuosen Kaskaden, wagemutigen

Verzierungen und großen Emotionen. Mit dem

Cembalisten Ricardo Magnus und dem Gambisten

Michael Spengler stehen ihnen zwei äußerst

versierte Barockspezialisten von internationalem

Renommee zur Seite.

SOLISTIN | 0504 | CONCERTI DI FLAUTI

DOROTHEE OBERLINGERBLOCKFLÖTE

Die Flötistin Dorothee Oberlinger wurde 1969 in

Aachen geboren, sie studierte Blockflöte in Köln,

Amsterdam und Mailand. Als „Instrumentalistin

des Jahres“ wurde sie 2008 mit dem renommier-

ten Musikpreis Echo Klassik für ihre CD „Italian

Sonatas“ ausgezeichnet. Ihr Debüt gelang ihr 1997

mit dem 1. Preis im internationalen Wettbewerb

SRP/Moeck U.K. in London und einem anschlie-

ßenden Konzert in der Wigmore Hall. Seitdem

ist Dorothee Oberlinger regelmäßig zu Gast bei

den großen Festivals und Konzertreihen in ganz

Europa, Amerika und Asien und spielt als Solistin

mit dem von ihr 2002 gegründeten Ensemble

1700 sowie mit renommierten Barockensembles

und Orchestern wie den Sonatori de la Gioiosa

Marca, Musica Antiqua Köln, der Akademie für

Alte Musik Berlin, London Baroque, der Academy

of Ancient Music oder Zefiro.

Neben ihrer intensiven Beschäftigung mit der

Musik des 17. und 18. Jahrhunderts widmet sich

Dorothee Oberlinger immer wieder auch der zeit-

genössischen Musik, so wirkte sie an der jüngsten

CD „Touch“ des Schweizer Pop-Duos „Yello“ mit.

Seit 2009 ist sie Intendantin der traditionsrei chen

Arolser Barockfestspiele und seit 2004 Professo-

rin an der Universität Mozarteum Salzburg, wo sie

das dortige Institut für Alte Musik leitet.

06 | SOLISTIN SOLIST | 07

ANDREA RITTER BLOCKFLÖTE

Die Flötistin Andrea Ritter wurde 1978 in Erlangen

geboren, sie erhielt ihre Ausbildung an der Staat-

lichen Musikhochschule Karlsruhe bei Prof. Karel

van Steenhoven und schloss dort im Sommer 2007

ihr Konzertexamen ab. Schon in frühen Jahren

erspielte sie sich bei zahlreichen Wettbewerben,

u. a. bei den 1. Internationalen Blockflötentagen

Engelskirchen 1997 sowohl als Solistin als auch

im Ensemble mehrere erste Preise. 1998 wurde

ihr bei den Offenen Niederländischen Blockflöten-

tagen Utrecht der Konzertpreis zuerkannt, worauf

sie beim 6. Open Holland Recorder Festival Utrecht

2001 ihr Gewinnerkonzert gab. Im Jahr 2003 er-

hielt sie ein Stipendium des Kulturfonds Baden e. V.

sowie des Freundeskreises der Hochschule für

Musik Karlsruhe und im darauffolgenden Jahr wur-

de ihr von der Kunststiftung Baden-Württemberg

ein Stipendium zur künstlerischen Entwicklung

verliehen. Als Erstpreisträgerin beim International

Recorder Competition 2007 in Montreal hat Ritter

sich mit ihrer regen Konzerttätigkeit in Europa,

den USA, Südamerika, Taiwan und Japan einen

festen Platz in der Riege der weltbesten Block-

flötisten erspielt.

Hervorgegangen aus dem renommierten Amster-

dam Loeki Stardust Quartet steht Andrea Ritter

mittlerweile als Solistin auch mit den von ihr ge-

gründeten Ensembles Spark und Koschitzki &

Ritter auf internationalen Bühnen. Als Performerin

verbindet sie die klassische Musiktradition und

Einflüsse aus der zeitgenössischen Avantgarde-

Musik mit ihrer Leidenschaft für Kurt Weill, den

Film noir und starke Frauenpersönlichkeiten wie

Björk, Tori Amos, Kate Bush oder Romy Schneider.

2006 gründete sie zusammen mit Daniel Koschitz ki

das Barockensemble Koschitzki & Ritter, in dem

sie Literatur für zwei Blockflöten und Basso

continuo zur Aufführung bringt. In dieser Beset-

zung wurde sie 2009 mit dem ersten Preis des

internationalen Händelwettbewerbs Göttingen

ausgezeichnet.

MAURICE STEGERBLOCKFLÖTE

Maurice Steger wurde 1971 in Winterthur geboren.

Mit seiner weltweiten Konzertätigkeit sowie zahl-

reichen, zum Teil mit hohen Preisen ausgezeich-

neten CD-Einspielungen glückte es Steger, sich

als einer der beliebtesten Solisten auf dem Gebiet

der Alten Musik zu etablieren. Mit dem Repertoire-

schwerpunkt auf Barockmusik ist er ein gefragter

Solist bei den tonangebenden Originalklang-

Ensembles: Akademie für Alte Musik Berlin, The

English Concert, Musica Antiqua Köln, Europa

Galante oder I Barocchisti. Eine rege Konzerttätig-

keit führt ihn ebenso regelmäßig mit modernen

Orchestern wie den Berliner Barock Solisten,

Les Violons du Roy und dem Brandenburgischen

Staatsorchester Frankfurt zusammen. Dabei

musizierte er immer wieder mit renommierten

Künstlern wie Hilary Hahn, Rainer Kussmaul,

Igor Oistrakh, Fabio Biondi, Sandrine Piau,

Andrew Manze, Diego Fasolis, Sol Gabetta oder

Thomas Quasthoff.

Auch mit zeitgenössischer Musik beschäftigt sich

Maurice Steger intensiv. Zwei Solokonzerte für

Blockflöte und Orchester brachte er zur Urauf-

führung; und das von Rodolphe Schacher kompo-

nierte Musikmärchen „Tino Flautino“ spielte er

bislang in über 50 Aufführungen. Unter seinen

zahlreichen CD-Einspielungen ragen die Flöten-

quartette von Telemann, Sonaten von Sammartini

und Blockflötenwerke von Telemann sowie Block-

flötenkonzerte von Vivaldi besonders heraus.

Seine neuste Einspielung ist Corellis Sammlung

opus 5 in englischen Bearbeitungen gewidmet.

(„Mr. Corelli in London“ – Steger & The English

Concert / harmonia mundi) Hier gelang es Steger,

aufgrund einiger von ihm neu entdeckter Noten-

handschriften eine historisch authentische,

im Verlauf der Zeit beinahe vergessen gegangene

Aufführungspraxis zu neuem Leben zu erwecken.

08 | SOLIST PROGRAMM | 09

Längst vorbei sind die Tage, in denen die Blockflöte

primär als akustisches Folterinstrument in den

Händen von Kindern und Musikschülern wahrge-

nommen wurde. Ihren schlechten Ruf als Schul-

ins trument hatte die Kernspaltflöte – wie sie wis-

senschaftlich korrekt heißt – ohnehin nie verdient.

Als „süße Flöte“ kannten man sie in früheren Jahr-

hunderten; anmutige, zarte, aber auch atembe-

raubend virtuose Klänge wusste man damals auf

der Flûte douce hervorzubringen. Dank der Origi-

nalklangbewegung kehrte sie in unseren Tagen

triumphal ins Konzertleben zurück. Am heutigen

Abend zeigen vier Blockflötisten von Weltrang,

was auf der „süßen Flöte“ tatsächlich so alles geht.

SCHICKHARDT: FLÖTIST AM GÄNSEMARKTJohann Christian Schickhardt, ein „annoch lebender

Musicus in Hamburg“, wie es in Johann Gottfried

Walters „Musicalischem Lexicon“ von 1732 heißt,

war einer der beliebtesten Komponisten des

18. Jahrhunderts – obgleich er heute zu den vielen

„Kleinmeistern“ zählt, die die aufkommende bür-

gerliche Musikkultur jener Jahre hervorgebracht

hat. Zu Lebzeiten gelang es ihm, beim renommier-

ten Amsterdamer Verleger Estienne Roger und

dessen Nachfolger Le Cène etwa 30 Opera zu ver-

öffentlichen (mehr als Corelli, Vivaldi oder Bach) –

Werke, die sich teilweise derart großer Beliebtheit

erfreuten, dass John Walsh in London Raubdrucke

von ihnen vertrieb. Schickhardt hatte seine musi-

kalische Ausbildung als Flötist, Oboist und Kompo-

nist am Braunschweiger Hof erhalten, bevor sein

Leben von der vergeblichen Suche nach einer

dauerhaften Wirkungsstätte in den Niederlanden,

in Deutschland, England und Dänemark bestimmt

wurde. Dessen ungeachtet produzierte er schein-

bar mühelos Sonaten und Concerti für zwei bis

vier Melodieinstrumente in unterschiedlichen

Besetzungen, wobei Werke für Flöte, Oboe und

Viola da gamba im Vordergrund standen.

In den sechs Concerti für vier Altblockflöten, eine

Besetzung, die im 18. Jahrhundert ausgesprochen

selten und in Schickhardts Schaffen einzigartig

ist, meidet der Komponist im Wissen um Möglich-

keiten und Grenzen des Instruments Sprünge,

großräumige Akkordbrechungen und höchste

Registerlagen. Dabei reflektiert der erste Satz des

C-Dur Concertos mit Skalenfiguren, gebrochenen

Dreiklängen und raschen Tonrepititionen durchaus

die technischen Möglichkeiten des Blockflöten-

spiels. Unisono geführte Passagen wechseln sich

mit solistischen Blöcken ab – eine Anlage, die mit

ihrem Wechsel von Tutti (Ritornell) und Solo auf die

Form des italienischen Solokonzerts zurückgeht.

Dass sich der Begriff Concerto von „concertare“

(wettstreiten) ableitet, wird im zweiten Satz des

fünften Konzerts e-Moll anschaulich vorgeführt:

Schickhardt teilt die vier Solisten in zwei Paare,

die als gleichberechtigte Partner in Dialog treten,

bevor der musikalische Verlauf im Tutti zusammen-

geführt wird.

LOCATELLI: DER VIRTUOSEPietro Antonio Locatelli, der 1727 seine Heimat

Italien verließ und nach Stationen u. a. in München,

Berlin und Kassel 35 Jahre lang in Amsterdam

wirkte, fesselte rund 90 Jahre vor Paganini als

„Teufelsgeiger“ sein Publikum durch eine geradezu

an Gewalttätigkeit grenzende Vir tuosität: „Welche

Bogenführung! Welch ein Feuer! Welch ein Tempo!“,

so der englische Aristokrat Thomas Dampier, nach-

dem er Locatelli mit eigenen Werken in Amster-

dam gehört hatte. „Er spielt seine Geige mit einer

„LIEBHABERN DER MUSIC ZUR RECREATION GESETZT“CONCERTI UND DUETTE FÜR FLÖTEN

DANIEL KOSCHITZKIBLOCKFLÖTE

Daniel Koschitzki wurde 1978 geboren; von 1999

bis 2007 studierte er an der Staatlichen Musik-

hochschule Karlsruhe Blockflöte bei Karel van

Steenhoven und Klavier bei Michael Uhde und

Markus Stange. Als Stipendiat der Studienstiftung

des deutschen Volkes führte er beide Instrumen te

parallel bis zum zweiten Aufbaustudiengang im

Konzertfach, wobei er auf der Blockflöte solistisch

ausgebildet wurde und auf dem Klavier einen

Schwerpunkt auf die Kammermusik legte. Im

Sommer 2007 schloss er beide Studiengänge

„mit Auszeichnung“ ab. Bereits 2001 war ihm der

Durchbruch als Solist gelungen beim Moeck/

SRP Solo Recorder Playing Competition in London,

wo ihm ein 1. Preis zuerkannt wurde. 2002 gab er

sein Solistendebut in der Londoner Wigmore Hall,

dem zahlreiche Auftritte in Europa, Japan, Taiwan,

Nord- und Südamerika folgten.

Seit 2004 hat Daniel Koschitzki einen Lehrauftrag

als Blockflöten- und Klavierlehrer an der Pädago-

gischen Hochschule in Karlsruhe inne. Des Weite-

ren führt er vor allem als Blockflötist Meisterkurse

und Fortbildungsveranstaltungen im In- und Aus-

land durch, unter anderem bei den Meisterkursen

des Schleswig-Holstein Musik Festivals, als Gast-

dozent an der Musikhochschule Franz Liszt in

Weimar, beim Festival Grenzenlos im Fürstentum

Liechtenstein, beim Corso Internationale di Musica

Antica in Urbino oder am Musikinstitut in deut-

scher und ladinischer Sprache in Südtirol.

PROGRAMM | 1110 | PROGRAMM

Vehemenz, dass er bestimmt ein paar Dutzend

davon im Jahr verbraucht.“ Dabei war der 1695 in

Bergamo geborene Musiker, der als ein kühner

Neuerer die Technik des Violinspiels namentlich

durch seine Concerti op. 3 „L’arte del Violino“ maß-

geblich bereicherte, auch als Komponist innovativ,

da er ungeachtet seines erklärten Traditionsbezu-

ges Neuem stets aufgeschlossen gegenüberstand.

Letzteres spiegelt sich vor allem in seinen 1721

erschienenen „XII Concerti grossi à quattro è à

cinque“ op. 1 wider, in denen Locatelli mit der

Unterteilung in acht Concerti „da chiesa“ und vier

Concerti „da camera“ (zu denen auch das Concerto

Nr. 11 mit seiner Folge von Tanzsätzen gehört) in

Stil und Aufbau an Corellis berühmtes Opus 6 von

1714 anknüpfte. Dennoch handelt es sich nicht

um eine Imitation des Corelli schen Zyklus’, da

Locatelli durch einen freieren Umgang mit den

beiden üblicherweise kontrastierenden Instrumen-

tengruppen zu höchst originel len Lösungen fand.

Dabei gelang es dem Komponis ten, die Elemente

des barocken polyphonen Stils mit der Kantabilität

und Phantasie eines homophonen Satzes zu ver-

binden, in dem die Zeitgenossen vor allem die

komplexe Architektur und die ungewöhnliche

Vielfalt hinsichtlich der orchestralen Färbung be -

wundern konnten. Ohnehin scheint man diesen

Kompromiss zwischen alt und neu goutiert zu

haben: Bereits 1729 erschien eine korrigierte

und überarbeitete zweite Ausgabe von Locatellis

Concerto-Sammlung, 1736 wurden die Stücke

von Walsh in London erneut veröffentlicht.

PACHELBEL: MUSICALISCHE ERGÖTZUNGIm Gegensatz zum Œuvre Locatellis, von dem

neben Werken ohne Opuszahl neun gedruckte

Opera überliefert sind, hat sich die instrumentale

Kammermusik Johann Pachelbels nur bruchstück-

haft erhalten. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts

galt die einzige zu seinen Lebzeiten erschienene

diesbezügliche Publikation, die um 1700 in Nürn-

berg veröffentlichte „Musicalische Ergötzung

bestehend in Sechs Verstimten Partien à 2 Violin

nebst den Basso Continuo, welche Denen Lieb-

habern der Edlen Music zur Recreation gesetzt“,

als verschollen. Ebenso wie über die Entstehungs-

zeit des Werkes nichts bekannt ist, lässt sich über

die Zweckbestimmung dieser Suitenkompositio nen

nur spekulieren. Möglicherweise entstanden die

Stücke während Pachelbels Stuttgarter Hoforganis-

tenzeit (1690 – 1692) im Rahmen seines dorti gen

Dienstes als „Hof-Musicus“ oder waren allgemein

für ein bürgerliches Publikum gedacht, das sich in

„Collegia musica“ zum gemeinsamen Musizieren

zusammenfand. Die sechs Triosonaten (Partien

oder Suiten) sind sowohl von der deutschen Tra-

dition als auch von französischen Vorbildern mit

frei wählbarer Satzfolge beeinflusst: Französischen

Ursprungs ist etwa die großangelegte Ciacona,

die den Schlusssatz der Suite Nr. 5 C-Dur bildet

(in den übrigen Sätzen wechseln akkordisch-can-

table Abschnitte mit konzertierenden Partien ab),

wobei Pachelbel in dem einer strikten Perioden-

gliederung unterworfenen Tanzsatz gänzlich auf

formale Experimente verzichtet.

VIVALDI: DIE HARMONISCHE EINGEBUNGAnders verhält es sich in Antonio Vivaldis 1712 in

Amsterdam erschienenem Opus 3, das als hoch-

innovative Werksammlung mit dem Titel „L’estro

armonico“ („Die harmonische Eingebung“) die

unterschiedlichsten Besetzungsformen vereint,

wenngleich manches dieser Solokonzerte noch

partiell dem Stil Torellis und des frühen Albinoni

verpflichtet ist. Dessen ungeachtet offenbart das

Werk eine Vielzahl von Neuerungen in Vivaldis

Komponieren, u. a. den Ausbau des Ritornells (des

Refrains) zu einem in sich abgerundeten, tonart-

lich geschlossenen Themenkomplex sowie die vir-

tuose und kantable Ausweitung der Soloteile. Im

Concerto op. 3 Nr. 8 a -Moll, das Johann Sebastian

Bach in seiner Weimarer Zeit zu einem unbeglei-

teten Orgelkonzert (BWV 593) umgearbeitet hat,

macht bereits das einleitende Orchesterritornell

die Vielfalt der ausdrucksvollen Themengebung

hörbar, da Akkordschläge, rasante Tonleiterfolgen,

Trillerfiguren und Seufzermotive einander ab -

wechseln. Anschließend beschränken sich die

beiden Soloinstrumente keineswegs – wie oft im

alten Concerto-Modell von Corelli – auf virtuose

Figurationen, sondern erhalten selbstständige,

melodiöse Themen, die im engmaschigen Einan-

derzuspielen auf der Basis von Imitation und

Stimmentausch ausgebreitet werden. Deutlich

hörbar wird dies im letzten Satz des Werkes, wenn

die eine Solostimme die gesangvolle Kantilene

der anderen figurativ umspielt. Der Musikforscher

Alfred Einstein bemerkte zu dieser Passage, es sei,

„als ob in einem Prunksaal des Barock die Fenster

und Türen geöffnet würden, und die freie Natur

hereingrüßte: ein stolzes, großes Pathos, wie es

das 17. Jahrhundert noch nicht kannte; der Ruf

des Bürgers in die Welt.“

PURCELL: ORPHEUS BRITANNICUSObgleich Henry Purcell nur 36 Jahre alt wurde,

hinterließ er ein umfangreiches Œuvre mit Opern,

Bühnenmusiken, Oden, weltlichen Kantaten,

instrumentaler Ensemblemusik und vielem mehr.

Nachdem er in Nachfolge seines Lehrers Matthew

Locke im Jahr 1677 zum Composer-in-ordinary

der Royal Band ernannt worden war, komponierte

er neben Sonaten nach italienischem Muster auch

eigenständige Ouvertüren, die sich an den von

Lully eingeführten, französischen Modellen orien-

tieren: Auf einen langsamen Eröffnungsteil, der

mit punktierten Rhythmen einen gravitätischen

Ausdruck entfaltet, folgt ein schneller und fugier-

ter Mittelabschnitt, bevor ein langsamer Satz den

Abschluss bildet. Zu diesen Werken zählt auch die

vor 1680 entstandene fünfstimmi ge „Ouverture“

Der Blockfl ötenspieler, Gemälde von

Hendrick Terbrugghen, 1621

Henry Purcell, Gemälde von J. Clasterman,

um 1695.

12 | PROGRAMM PROGRAMM | 13

in g -Moll (Z. 772), die allerdings nicht mit dem

üblichen Lullyschen Fugato schließt, sondern nach

einem kanzonenhaften Allegro mit einem Adagio

ausklingt, in dem sich eine chromatisch harmoni-

sierte Phrase über zwei ausgedehn ten Orgelpunk-

ten auf und ab bewegt. Demgegenüber bietet die

um 1678 entstandene Chacony (Z. 730) ein be -

kanntes Beispiel für Purcells besondere Fähigkeit,

ein fesselndes Musikstück von nur etwa vier Mi -

nuten Aufführungsdauer über ein und derselben

Basslinie auszubreiten, welche nicht weniger als

achtzehn Mal wiederholt wird.

ALBINONI: PIONIER DES SOLOKONZERTSNimmt die eigenständige Instrumentalmusik in

Purcells Schaffen nur einen vergleichsweise gerin-

gen Raum ein, war Tomaso Albinoni zwischen

Giuseppe Torelli (1658-1709) und Antonio Vivaldi

(1678-1741) der mit Abstand bedeutendste und

innovativste Konzertkomponist: „Obwohl Torelli,

und nach ihm Corelli hierinne [im Komponieren

von Instrumentalkonzerten] einen Anfang gemacht

hatten“, schrieb Johann Joachim Quantz in seinem

1752 erstmals erschienenen „Versuch einer An -

weisung, die Flöte traversiere zu spielen“, „so

brachte er sie doch […] in eine bessere Form, und

gab davon gute Muster“. Nach einer Sammlung

von Kirchensonaten op. 1, die in der Nachfolge

Corellis standen und 1694 im Druck erschienen,

veröffentlichte er sechs Jahre später je sechs

Concerti und Sonaten op. 2, in denen die seitdem

als verbindliche Norm geltende Satzfolge schnell –

langsam – schnell etabliert wurde. Ohnehin handelt

es sich bei den Stücken um Pionierwerke der sich

in der Folgezeit rasch entwickelnden Gattung des

Solokonzerts, wobei Albinonis Soloschreibweise –

anders als die seines Antipoden Vivaldi – nie von

besonderer Virtuosität geprägt ist. Demgegenüber

übertrug der nebenberufliche Gesangslehrer

Albinoni nicht nur Elemente des Opernstils auf

das rein instrumentale Genre, sondern kultivierte

auch einen homophonen Stil, der neben Vivaldi

auch Johann Sebastian Bach beeinflusst hat –

nicht umsonst fertigte letzterer eine Abschrift von

Albinonis Concerto op. 2 Nr. 2 e -Moll an. Bach

komponierte auch drei Fugen über Themen von

Albinoni (BWV 946, 950 und 951); laut Ernst Ludwig

Gerbers „Historisch-Biographischem Lexicon der

Tonkünstler“ von 1790 soll er zudem beim Erteilen

von Privatstunden mit besonderer Vorliebe „die

Albinonischen Violinsonaten“ ge wählt haben,

um an ihnen die Kunst seines Generalbassspiels

zu demonstrieren.

Dass Albinoni nie eine Stellung an kirchlichen,

höfischen oder anderen öffentlichen Institutionen

bekleidete, wurde als Hinweis auf die Eigenstän-

digkeit und Originalität seines Œuvres verstanden.

Mit der Zeit scheint er jedoch bei Versuchen, seine

früheren Erfolge zu kopieren, die stilistischen

Entwicklungen der Zeit aus den Augen verloren

haben. Daher konnte sein Schaffen nicht schul-

bildend werden und wurde nach seinem Tod sogar

als „Massenware“ abgetan: „Zuletzt aber“, so

Quantz, „verfiel er, durch allzuvieles und tägliches

Componiren, und besonders da er anfieng thea-

tralische Singmusiken zu verfertigen, in eine

Leichtsinnigkeit und Frechheit, sowohl im Setzen,

als Spielen: weswegen auch seine letztern Con-

certe nicht mehr so viel Beyfall verdieneten,

als die erstern.“

BACH: SCHWÜRIGKEIT UND KÜHNHEITVerbrachte Albinoni seinen Lebensabend in be -

scheidenen Verhältnissen, starb Wilhelm Friede-

mann Bach 1784 in Berlin in völliger Armut. Denn

obwohl der älteste der Bach-Söhne, laut Christian

Friedrich Daniel Schubart „unstrittig [als] der

größte Organist der Welt“ galt, der „seinen Vater

im Orgelspiel erreicht, wo nicht übertroffen“ hat,

stand sein berufliches Leben unter keinem guten

Stern: Nach einer wenig lukrativen Anstellung in

Dresden kündigte der Musiker aufgrund zahlrei cher

Querelen seine besser dotierte Organistenstelle

an der Liebfrauenkirche in Halle ohne berufliche

Alternative. Dies führte, nach zahlreichen erfolg-

losen Bemühungen um eine feste Stelle, zu einer

stetigen Verschlechterung seiner Lebenssituation,

was ihn zum Verkauf seiner gesamten Bibliothek

und zahlreicher Manuskripte zwang. Obgleich die

sechs Flötenduette als eine in sich geschlossene

Werkserie konzipiert waren, entstanden die ersten

vier Werke dieser Sammlung, zu denen auch

das G- Dur-Duo F 59 gehört, bereits um 1740, als

Friedemann Bach als Organist an der Dresdener

Sophienkirche tätig war. Die beiden letzten Duette

sind demgegenüber erst in der späten Berliner

Zeit entstanden (um 1775) – wohl in der nicht

realisierten Absicht, die Stücke unter einer ge -

meinsamen Opuszahl zu veröffentlichen. „Dieser

zweystimmige Satz auf zwey Flöten, oder anderen

gleichtönenden Instrumenten, oder Stimmen“,

schrieb Johann Philipp Kirnberger in seiner Ab -

handlung „Die Kunst des reinen Satzes“ von 1771,

„ist wegen der Schwürigkeit, daß eine dritte Stim-

me dabey nicht vermißt werde, so schwer, daß ich

von dieser Art nur des Herren W. Friedemann

Bachs […] Flötenduette kenne, die als vollkomme ne

Muster zur Richtschnur dieses Satzes dienen

können.“ Zweifellos zeigen die Werke eine souve-

räne Beherrschung des Kontrapunkts, wobei sich

der hohe Anspruch des Komponisten an den har-

monischen und polyphonen Kühnheiten ebenso

zeigt wie an den technischen Schwierigkeiten,

die den Ausführenden abverlangt werden. Dabei

finden sich in manchen Sätzen verborgene Zitate

der Bach-Familie, die wie ferne Reminiszenzen

immer wieder anklingen. So erweist sich etwa

das Finale des G-Dur-Duetts als Bearbeitung einer

Gigue für Cembalo, die Wilhelm Friedemanns

Stiefmutter Anna Magdalena Bach 1739 kompo-

niert hat. Ob bzw. inwieweit dem Zitat eine beson-

dere biographische Bedeutung zukommt, konnte

bisher noch nicht geklärt werden.

Harald Hodeige

Wilhelm Friedemann Bach, Gemälde von

W. Weitsch, um 1760

14 | KONZERTVORSCHAU / IMPRESSUM

IMPRESSUM

Herausgegeben vom

NORDDEUTSCHEN RUNDFUNKPROGRAMMDIREKTION HÖRFUNKBEREICH ORCHESTER UND CHORRothenbaumchaussee 132

20149 Hamburg

[email protected]

NDR Das Alte Werk im Internet:

www.ndr.de/dasaltewerk

Leitung: Rolf Beck

Redaktion NDR Das Alte Werk:

Angela Piront

Redaktionsassistenz:

Annette Martiny

Redaktion des Programmheftes:

Dr. Ilja Stephan

Der Text von Dr. Harald Hodeige

ist ein Originalbeitrag für den NDR.

Fotos:

[M] plainpicture (Titel)

Ritchie Herbert (S. 4); Johannes Ritter (S. 5)

erika esslinger konzertagentur (S. 6, S. 8)

KASSKARA (S. 7); akg-images (S. 10, 13)

akg | De Agostini Picture Lib. (S. 11)

NDR | Markendesign

Gestaltung: Klasse 3b, Hamburg

Litho: Otterbach Medien

Druck: Nehr & Co. GmbH

Nachdruck, auch auszugsweise,

nur mit Genehmigung des NDR gestattet.

NDR DAS ALTE WERK

ABONNEMENTKONZERTE

Abo-Konzert 4

Donnerstag, 26. Januar 2012, 20 Uhr

Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal

CONCERTO KÖLNSimone Kermes Sopran

„PER L’ORCHESTRA DI DRESDA“

JOHANN GEORG PISENDEL

Fantasie aus

„Imitation des caractères de la danse“

ANTONIO VIVALDI

Concerto „Per l’Orchestra di Dresda“ g-Moll

Arie „Gelido in ogni vena“ aus „Farnace“

Arie „Tra le follie“ aus „L’Olimpiade“

JOHANN JOACHIM QUANTZ

Motette „Exultate o stellae beatae“

GEORG PHILIPP TELEMANN

Suite F-Dur für Orchester

Abo-Konzert 5

Dienstag, 28. Februar 2012, 20 Uhr

Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal

I TURCHINIAntonio Florio Leitung

Valentina Varriale Sopran

Giuseppe De Vittorio Tenor

„ANGELI E DEMONI“ – Oper buffa und

Opera seria im Neapel des 18. Jahrhunderts

Werke von

LEONARDO VINCI, DOMENICO SCARLATTI,

GIOVANNI PAISIELLO u. a

19 Uhr: Einführungsveranstaltung mit Ilja Stephan im Kleinen Saal der Laeiszhalle

Foto

: Ste

fano

Ste

fani

| g

etty

imag

es

Hören und genießen

Die Konzerte der Reihe NDR Das Alte Werk hören Sie auf NDR Kultur

In Hamburg auf 99,2

Weitere Frequenzen unter

ndr.de/ndrkultur

9652_kultur_AZ_A5_DAW-werbung_11_12.indd 1 08.08.11 12:03