100608 duiker die stille gewalt der träume gesamt · das ist die einzige antwort, die uns das...

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AFRIK A W UNDERHORN Reihe für zeitgenössische afrikanische Literatur Herausgegeben von Indra Wussow

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A f r i k A W u n de rhorn

Reihe für zeitgenössische afrikanische LiteraturHerausgegeben von Indra Wussow

Aus dem englischen und mit einem glossAr von Judith reker

die stille gewAlt der träume

romAn

k. sello duiker

A f r i k AW u n de rhorn

Titel der Originalausgabe:The Quiet Violence of Dreams, Kwela Books© 2001 K. Sello Duiker

© 2010 Verlag Das Wunderhorn GmbHRohrbacherstraße 18D-69115 Heidelbergwww.wunderhorn.de

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert werden oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Gesamtgestaltung: 5 sans serif, BerlinDruck: Fuldaer Verlagsanstalt, FuldaUmschlagabbildung: Plainpicture / Millennium / Johansson LisaFoto S. 2: Msizi MoshoetsiISBN 978-3-88423-339-9

Für Danielle Laval

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tshepo

Niemand ist schuld. Es geht um mich. Es ging immer um mich. Das sehe ich jetzt ein. Aber ich kann immer noch nicht erklären, was wirk-lich passiert ist, was wirklich los war in meinem Leben. Ich werde nie wieder derselbe sein. Ich hab das Gefühl, als hätte ich etwas verloren, als wäre ich in etwas verloren gegangen, das zu groß ist für einfache Erklärungen. So viel ist passiert, in so kurzer Zeit. Ich weiß nicht, wo ich zuerst nach Antworten suchen soll, darum lebe ich erst mal mit den Fragen. Jeden Tag stelle ich neue und jeden Tag scheint es, als würden sich die Antworten weiter entfernen. Mit Fragen leben ist nicht leicht, es gibt so schon genug Unsicherheit im Leben.Eigentlich will ich nur fliegen, leicht meine Flügel ausbreiten und im Gleiten spüren, wie sich die warme Luft unter meinen Armen kräu-selt. Ich will die Augen auf ewig schließen und die Ewigkeit soll mich heimlich zu sich holen. Zur Abwechslung will ich mal der Geliebte sein, statt der Liebe immer nur als einer unzuverlässigen Freundin zu begegnen, die leere Versprechungen macht. Ist das so viel verlangt?Hey, das sind jetzt keine Ausreden. Ich versuche nur zu erklären, was passiert ist. Ich war wahnsinnig einsam. Ich war auf der Flucht, hielt mich nur noch mit letzter Kraft am Leben fest. Das Leben war gehäs-sig, ließ mir keine Wahl. Alles lief beschissen. Ich ertrank in meinem eigenen Leben, in meinem eigenen Tun. Ich hatte Anfälle. Verlor das Zeitgefühl. Es ist einfach so passiert. Echt. Ich konnte nichts dagegen tun. Es war so, als hätte ich jemanden umgebracht und wäre dann vor mir selbst davongelaufen. Und seitdem bin ich auf der Flucht. Ich hab mir das Hirn zermartert nach einem Wort für das schreckliche Gefühl in mir drin. Diese dumpfe Hässlichkeit, die immer da ist, wenn ich die Augen schließe. Es ist so widerlich.

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Also erzähle ich einer Freundin Sachen, die man üblicherweise seinen Liebsten erzählt. WICHTIGE Sachen. Freunde sind manchmal sauer, wie Äpfel. Aber wie Äpfel behalten wir sie süß und sonnig in Erinne-rung. Ich erzähle ihr, dass ich mich vor allem an den Regen erinnere und an das hoffnungslose Gefühl, dass er nie aufhören wird. Das Gefühl, dass der Regen so unbeirrt und hartnäckig fällt, bis er die Erinnerungen und Schreie, die mich verfolgen, übertönt. Sie sagt nichts, hört nur zu und beugt dabei den Kopf leicht vor, als sei sie tief in Gedanken. Ich betrachte ihre Augen. Sie sind dunkel, bergen Geheimnisse. Ich rede weiter.Ich schlafe schlecht. Ich esse zu wenig und rauche zu viel. Ich wünsch mir ununterbrochen den Tod und manchmal nachts im Schlaf ertappe ich mich, wie ich falle und sterbe, aber ich wache immer wieder auf. Ich bin depressiv. Und dann dieses andere Gefühl. Ich werde es nicht los. Ich kann es nicht beschreiben. Es ist einfach so hässlich. Ich hab zu viel Hässlichkeit gesehen, das hat mich wahnsinnig unsicher gemacht. Ich bin verrückt geworden, weil ich ein bisschen zu neugierig war. In meiner Faszination für die Sonne bin ich zu nah an sie heran geflogen und brutal abgestürzt.»M-hm«, sagt sie und leckt sich die Lippen.»Mehr fällt dir dazu nicht ein?«»War’s das jetzt, weil wenn ja, dann ist es eine Schwachsinns-Ge-schichte, Tshepo! Jetzt komm, du erwartest doch wohl nicht, dass ich darauf abfahre.«»Weißt du, manchmal bist du wirklich total egoistisch und herzlos,« sage ich ein bisschen sauer.»Was willst du denn? Das bringt uns doch nicht weiter.«»Du redest wie mein Scheißtherapeut. Gibst mir einen Fingerhut Ver-ständnis und ich schütte dafür mein Leben vor dir aus.«»Oh Gott, geht das wieder los. Du bist so eine Drama-Queen. Du suchst doch nur nach Ausreden, um dich zu rechtfertigen. Schau, so kannst du nicht weitermachen.«Mir fällt keine schlagfertige Antwort ein, also brüte ich schweigend vor mich hin.Die Luft steht, erfüllt vom üppigen Duft eines nahegelegenen Sees. Es ist heiß, die Hitze erstickt das Denken. Mein Gesicht brennt ein bisschen. Mmabatho scheint die Hitze nichts auszumachen. Mein Kopf juckt und ich fange heftig an zu kratzen. Vielleicht will ich ein bisschen Aufmerksamkeit.

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»Warum nimmst du sie nicht einfach ab?« meint sie und zeigt auf meine Mütze.Ich nehme sie herunter und kratze weiter.»Tshepo, bitte,« sagt sie und legt ihre Hand auf meine.»Lass mich nicht fallen. Ich weiß, dass du enttäuscht bist.«Das bringt sie kurz aus der Fassung, aber sie nimmt sich zusammen. Mmabatho gehört zu den Leuten, die ihre Gefühle nie überschwäng-lich zeigen. Zu viel Chaos, würde sie wahrscheinlich sagen. Sie lässt ihre Gefühle eigentlich nur dann raus, wenn sie sehr wütend oder unzufrieden ist. Die anderen hebt sie wahrscheinlich für den Schau-spielunterricht auf.»Okay, aber du kannst das nicht machen,« sagt sie jetzt.»Was, mich am Kopf kratzen?«»Nicht das, du weißt genau, was ich meine. Warum zwingst du mich, es auszusprechen? Ich versuche, dich zu verstehen. Schau, du kannst nicht vierhundert Tüten am Tag kiffen, weil …«»Weil weil weil. Ich weiß, ich weiß,« unterbreche ich sie. Du verstehst das nicht, denke ich. Maßlosigkeit ist eine verführerische Göttin. Sie zeigt dir ihre Geheimnisse, wenn du ihr ein wenig folgst. Mmabatho sieht mich verständnislos an, mit dem resignierten Blick einer Lehre-rin, die nicht zu ihrem Schüler durchdringt.»Ich versteh dich nicht. Willst du dein Leben wegwerfen oder was? Ist das ein Witz für dich? Es bleibt bei einer Cannabis induzierten Psychose, das hat doch der Psychiater gesagt, oder nicht? Also?«»Okay okay,« sage ich irritiert, »ich hab’s kapiert.«»Tshepo, mach es doch nicht so kompliziert.«»Sei nicht so herablassend. Du kannst leicht reden, du bist ja nicht in meiner Situation.«»Stimmt. Dazu hätte ich es nie kommen lassen. Ich hab es nur gesagt, weil …«»Weil weil weil. Ich weiß, was ich gesagt hab. Aber damals hab ich mich für unverwundbar gehalten. Ich dachte, ich kann alles, nur war mir nicht klar, dass ich es auch wollen muss. Weißt du, was ich meine? Ich muss etwas so sehr wollen, dass ich nicht erst einen Joint brau-che, um den Arsch hochzukriegen. Aber ich brauche ihn, im Moment brauche ich ihn.«»Das ist echt schwach. Und was willst du jetzt von mir hören? Du weißt, wie sie dich nennen,« sagt sie mit resigniertem Gesichtsaus-druck. Ich sehe sie an.

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»Rinderwahnsinniger. Willst du unter dem Namen berühmt werden? Verdammte Scheiße, Mann, wach doch mal auf. Das Zeug macht dich kaputt.«»Aber du kiffst auch.«»Darum geht’s nicht. Weich nicht vom Thema ab.« Jetzt wird sie sauer. Wir sitzen schweigend. Die Sonne beißt. Worte haben uns vorüber-gehend zu Fremden gemacht. Ich bin wütend auf die Welt, auf das Leben und auf seine peniblen Regeln. Es gibt so viel, das ich nicht verstehe, und die Rätsel werden immer verworrener. Es ist schon viel zu viel gesagt worden über meinen Zustand, meine Krankheit, was immer. Ich weiß nicht, wie ich dieses Etwas nennen soll, das mit mir passiert ist. Weil weil weil. Ich hab die endlosen Erklärungen dafür satt, die Lügen, die Vertuschungen, die Ungerechtigkeit und Demütigung. Die gleichgültigen Pfleger und Psychiater, die nur über Rezepte kom-munizieren. Rezepte für Hammermedikamente, die dich abstumpfen und dir den Lebenssaft abziehen. Ich hab’s satt, immer so empört zu sein. Es macht so müde, so fertig, immer wütend auf das Leben zu sein, immer alles zu hinterfragen. Warum ich? Warum das? Und die-ses Medikament, was macht es mit mir? Wird es dieses hässliche Ge-fühl verschwinden lassen? Werde ich schlafen können? Bekomme ich mein Leben zurück? Es ist einfach zu heftig. Meine Hände werden kalt davon und mein Magen windet sich zu Knoten. Nach einer Weile übernimmt die Wut dein Leben und bricht beim Reden in zynischen Satzfetzen hervor. Meine Klagen kommen mir eh nur wie bedeutungsloses Gesabber in der größeren Weltordnung vor – was immer das heißt. Ich hab die Therapie satt. Ich hab’s satt, nach Ursachen zu suchen. Jede Ursache führt scheinbar nur zur nächsten und übernächsten. Die Schöpfung ist nun mal eine crazy Angelegenheit. Sie hat kein Ende. Aber genau das brauche ich, ein Ende. Wenn nicht das, dann wenigstens eine Antwort oder irgendein Fazit. Was bedeutet »Cannabis induzierte Psychose«? Es steckt doch mehr dahinter. Das werden die Ärzte nie kapieren. Ich will ernsthaft verstehen, was mit mir passiert ist, ich suche keine sim-ple Antwort à la Cannabis induzierte Psychose. Warum geben sie nicht einfach zu, dass sie es selber nicht begreifen? Warum die Schuld aufs Dope schieben?Es erschöpft mich zu sehr, dauernd so zu sein. Ich bin müde und hungrig. Dreiundzwanzig und erledigt, denke ich und will mich zwin-gen, irgend etwas zu tun. Ich kann aber nicht. Die Zeit ist gegen mich. Beim Atmen fühle ich die Sekunden in meinen Adern ticken. Mehr

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Minuten als Haare an meinem Körper. Stunden verschwinden mit jedem Millimeter nachwachsendem Nagel. Für immer. Und ewig. Das macht mir Angst. Zeit macht mir Angst. Es ist, als würden Domino-steine ohne Ende ins Nichts kippen.Die Ewigkeit selbst ist so einschüchternd. Es gibt keinen Weg zurück und kein Hintertürchen zum Abhauen. Ich kann meine Fehler nicht ungeschehen machen. Alles zählt und sehr wenig bleibt in Erinnerung. Auf ewig. Das ist die einzige Antwort, die uns das Leben gibt. Und die müssen wir dann zusammen mit dem Tod und dem glücklichen Leben nach dem Tod in irgendeine akkurate Gleichung einfügen. Diese Auf-gabe ist zu schwer. Das ist alles ein Wahnsinn. Die Angst kommt wieder hoch, ich beruhige mich, indem ich blättern-de Farbe von der Bank pule. Mmabatho schützt ihre Augen vor den Sonnenstrahlen und blickt in die Ferne. Viel zu sehen gibt es da nicht, nur ein paar Gebäude und vage Umrisse von Bäumen. Ihr gebleichter wilder Haarschopf schimmert in der Sonne. Die Mahagonihaut strahlt. In meinen Träumen ist Mmabatho die Frau, die mit der Sonne davon-rannte und eine Affäre mit ihr hatte. Es ist vielleicht seltsam, so über jemanden zu denken, aber für mich ist sie ein Sonnenkind, weil sie so gern in der Sonne ist und ihre sinnlichen Strahlen aufsaugt.Ich mag sie am liebsten, wenn sie still ist. Die Art, wie sie ihren Körper trägt, ist irgendwie königlich. Diese Fähigkeit, ihre Kräfte zu sammeln und allen Mut zusammenzunehmen, als ob sie einen Sturm aufziehen sieht. Sie hat die Beine übereinander geschlagen, ein heller Sarong mit wildem Blumenmuster fällt bis auf die dicken Knöchel, die Füße stecken in schweren Doc Martens. Ihre imposante Statur ist unüber-sehbar. Nichts an ihrem Äußeren ist zart, außer den langen Wimpern, aber trotzdem ist sie irgendwie attraktiv mit ihren prägnanten ama-zonenhaften Zügen. Ich weiß noch, wie ich bei unserm ersten Treffen dachte, die könnte ein ganzes Rugby-Team zur Welt bringen und wäre immer noch anmutig und voller Energie. Sie wirkte unbezwingbar, so wie die Landfrauen, die auf den Äckern schuften, sie hatte diesen Aus-druck von roher weiblicher Kraft. Von ihren Klamotten konnte man unmöglich auf ihren Hintergrund schließen. Zu viele widersprüch-liche Indizien. Sie ist der einzige Mensch, den ich kenne, bei dem Jeans kombiniert mit einem Xhosa-Kopftuch voll gut aussehen. Das allererste, was sie je zu mir gesagt hat, war, dass meine Augen groß sind. Dann noch was von wegen etwas in meinen Augen würde zu viel preisgeben. Ihre Direktheit hat mich verstört, ich mochte sie nicht sofort. Kapstädter nehmen sich selbst zu wichtig, dachte ich, als sie

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das sagte. Ich war sauer. Sie schien zu allem eine Meinung zu haben, außerdem machte mich etwas an ihr misstrauisch, diese weltgewandte Ausstrahlung, die sie überall zum Mittelpunkt werden ließ. Eine Zeit-lang trafen wir uns zufällig auf Partys und in Bars und landeten jedes Mal auf irgendeinem Sofa in der Ecke und redeten über Themen, die uns beide nicht besonders interessierten. Es ging mehr darum, sich auszuchecken, die Charaktertiefe des anderen auszuloten. Wenn Er-fahrung bedeutet, viel gereist zu sein und einen Schweif abgelegter Liebhaber hinter sich herzuziehen, dann war sie erfahrener als ich. Sie hat mir sogar erzählt, dass sie mit einer Frau geschlafen hat. Sie dachte, das würde mich schocken, tat es aber nicht. War mir gleich-gültig. Außerdem bin ich in Jo’burg aufgewachsen. Mit der Zeit hat ihr Charme meine Abwehr aufgeweicht, es war nicht dieser sirupsüße Charme, der vor Gefallsucht nur so trieft. Ich beobachtete sie gern. Ich mochte es, wie Leute auf sie reagierten. Hat vielleicht was damit zu tun, dass sie Schauspielerin werden will.Eine Weile sitzen wir so da, still und gedankenverloren. Sie ist eine Künstlerin, kommt es mir. Eine große Künstlerin der Stille. Sie be-herrscht die Stille. Ich betrachte sie, während die Sonne ihre zarte Haut verführt. »Wir sollten reingehen,« sage ich schließlich. Sie nickt, über ihr Gesicht huscht ein sorgenvoller Schatten. »Hey, keine Sorge,« sage ich aufmunternd, »ich steh das durch.«»Du,« sagt sie und streckt mir ihren Zeigefinger entgegen wie eine besorgte Mutter. Ich bin still. Wir stehen auf und gehen rein.

mmAbAtho

Ich fühle mich mitverantwortlich für Tshepos Zustand. Durch mich ist er nämlich zum Kiffen gekommen. Die meisten Studenten in Kapstadt kiffen, zumindest in meinen Kreisen. Okay, es war nicht sehr souve-rän von mir, dass ich dem Gruppenzwang nachgegeben habe. Damit kann ich leben. Aber wenn wir ehrlich sind, es hört ja nie auf, wird mit zunehmendem Alter nur subtiler. Ich weiß, wie 40-jährige Werbeleute mit Koks und Dope die großen Partysausen feiern. Die haben immer so einen Standardblick, wenn sie jemandem seine erste Line anbieten; einen trügerischen Blick, der Selbstbeherrschung und Kultiviertheit vorgaukelt, während sie das weiße Puder schniefen. Dabei versteckt sich in Wahrheit unter den schicken Klamotten und hinter den glasi-gen Augen nur Verfall und Verzweiflung. Vermutlich habe ich genauso

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geguckt, als ich Tshepo auf Anthonys Party den Joint reichte. Der ein-zige Unterschied war, dass ich ihm nichts vorgemacht habe, und ich hatte auch keine Leichen im Keller. Für mich ist Dope harmlos, ein entspannendes Genussmittel, ungefähr so wie Kaffee oder Schokolade. Ich kiffe jetzt seit drei Jahren und manchmal vergesse ich, dass es als Droge gilt. Das hat aber mehr damit zu tun, dass so viele Leute in Kap-stadt kiffen und dass sie so offen damit umgehen. In Observatory, wo ich wohne, redet man so selbstverständlich über Dope wie man nach einem Taschentuch fragt oder eine Zigarette schnorrt, die Leute sind da nicht verspannt. Und selbst wenn es als Droge gilt, na und? Wir sind sowieso chemische Wesen. Wir brauchen Vitamine, Mineralien, Kalzium, Eisen und andere Nährstoffe. Und für eine kleine chemische Zerstreuung als Gegengewicht zu unseren Körperfunktionen nehmen wir eben etwas, das ein bisschen unorthodoxer und riskanter ist. Wenn nicht Alkohol, dann Essen, Zigaretten, Diättabletten oder Sex, um Hormone auszuschütten. Die Unterscheidung zwischen harten und weichen Drogen ist irrelevant. Das ist so, als würde man sagen: ein bisschen schuldig oder sehr schuldig. Unterm Strich machen wir uns doch alle der Sucht nach ein bisschen Genuss schuldig. Das ist nur eine Frage der Wahrnehmung.Ich trinke keinen Alkohol und nehme keine harten Drogen. Ich quarze, weil es mir Spaß macht. Bekifft denke ich anders über ein ansonsten banales Leben. Und es ist mir nie in die Quere gekommen. Das würde ich niemals zulassen. Ich bin zu stolz, um mich je so fallen zu lassen wie Tshepo. Ich kenne meine Grenzen. Es ärgert mich ein bisschen, dass er es nicht auf die Reihe gekriegt hat. Es zeigt Charakterschwäche. Dope bewirkt, dass du dich öffnest, aber wenn du mittendrin durch-knallst, dann hat das meiner Meinung nach mehr mit deinem Charak-ter zu tun als mit der Droge. Deshalb nehme ich es denen nicht ab, dass Tshepo eine Cannabis induzierte Psychose hat, aber um seinetwillen halte ich mich zurück.Wie auch immer, ich hab ihn jedenfalls nicht gezwungen. Er wollte es unbedingt ausprobieren. Er zog ein paar Mal an dem Joint und sagte was von wegen das sei aber gutes Gras. Da war gleich klar, dass er es noch nie vorher probiert hatte. Danach habe ich ihm nichts mehr an-geboten, weil ich wusste, dass er das Gefühl, total breit zu sein, wahr-scheinlich nicht kannte. Ich hatte Recht.Ich saß neben ihm und wurde allmählich stoned, gleichzeitig bemerkte ich, wie ein albernes Grinsen in seinem Gesicht immer breiter wurde. Wir redeten noch etwas, mittlerweile war er aus seiner Deckung ge-

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kommen. Er konnte seine Gefühle und Gedanken besser ausdrücken und war nicht mehr so drauf aus, immer das Richtige zu sagen und cool zu wirken. Wenn wir über Sex sprachen, spürte ich immer ein Unbe-hagen bei ihm, aber ich konnte es nicht genau festmachen. Er sprach fieberhaft über das Leben nach dem Tod und über verschie dene Reli-gionen und deren Sichtweisen auf die menschliche Existenz. Ich habe selbst viel darüber gelesen, aber ich hörte zu und war von seinem De-tailwissen beeindruckt. Dope macht das mit einem. Es zieht das Gehirn auf wie ein Reißverschluss und dabei kommen die komplexen Zacken des Denkens zum Vorschein. Mit Gras wird ein gewöhnlicher, eifrig vorgetragener Gedanke zur Offenbarung. Eine einfache Unterhaltung verwandelt sich in Aufklärung. Tshepo grinste über seinen eigenen Scharfsinn, während er mir ausführlich vom ägyptischen Totenbuch erzählte. Mir kam es vor, als rede er Stunden, aber sein Enthusiasmus hielt mein Interesse wach. Ich hörte zu und tat das, was ich am liebs-ten tue – ich beobachtete. Ich analysierte jede Geste, jede Änderung in seinem Tonfall, die Art, wie er Gedanken verband, die Art, wie er sich kleidete. Ich werde manchmal als kalt und kritisch, als soziales Raub-tier bezeichnet. Wenn das heißt, dass ich mir genau aussuche, mit wem ich mich abgebe, dann bekenne ich mich schuldig.

Es ist Samstag früh. Die Polizei findet Tshepo nahe der Main Road in Woodstock. Er ist splitternackt bis auf einen alten Schafsfellbezug für einen Autositz, der ihm grad noch so um die Hüften hängt. Er spricht schnell, wie im Delirium, als David und ich auf ihn zugehen. Ihn ruhig zu halten, ist schwierig. Ich gebe ihm meinen Pulli und beknie ihn, mit uns ins Auto zu steigen, aber er weigert sich. Die Polizei ist erleichtert, dass wir ihn mit nach Hause nehmen wollen. Sergeant Andrews er-zählt, dass er ihn aufgegriffen hat, als er in Salt River nackt vor einer vollen Metzgerei herumstolzierte. Es ist ein windiger Tag. Eine Brise lässt Tshepo erzittern, und einen Augenblick lang wirkt er zurechnungsfähig. Nach einer Weile gelingt es mir, ihn zu uns ins Auto zu setzen. Mit wirrem Blick sitzt er hinten neben mir. »Ich hab Mam’lambo gesehen,« wiederholt er ständig und flüstert vor sich hin. Wir fahren ihn nach Observatory. Eine seiner Mitbewohnerinnen lässt uns ins Haus.»Tshepo, wo warst du die letzten drei Tage?« fragt Alice.»Bin rumgelaufen,« sagt er nur und geht an ihr vorbei.»Rumgelaufen, wo denn?« frage ich.»Hey, mir ist ein bisschen kalt,« sagt er ungeduldig.

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»Geschieht dir recht,« sagt Alice.David und ich sehen sie streng an.»Im Ernst. Einfach so nackt herumspazieren, was hat er sich dabei gedacht? Ich meine, ihr zwei habt doch ein bisschen mehr Grips,« redet sie weiter.»Leck mich doch, Alice,« sagt Tshepo und geht in sein Zimmer.»Na toll,« sagt sie, als er weg ist. »Was ist denn mit dem los?«David und ich ignorieren sie und gehen Richtung Küche, wo die ande-ren beim Frühstück sind. »Es geht ihm offensichtlich nicht gut,« fängt Alex, der Vermieter, an. »Ich glaub, wir sollten ihm jemanden besorgen.«»Du meinst einen Psychiater? Meiner Meinung nach ist der nämlich, ihr wisst schon, gaga,« sagt Alice und macht eine plumpe Geste an ihrem Kopf. Ich kann verstehen, dass Tshepo sie nicht leiden kann. Sie ist so direkt, dass es weh tut.Die vier WG-Kumpel schauen sich an und stimmen zu.»Vielleicht solltet ihr ihn nach seiner Meinung fragen?« sage ich. Nie-mand antwortet. Sie sehen mich blasiert und irritiert an, so als wollten sie sagen, du wohnst hier nicht, was nimmst du dir heraus.»Kannst du ihn ins Krankenhaus bringen, David?« fragt Alex. Als ent-ledige er sich damit jeder weiteren Verantwortung für Tshepo. David willigt ein.Mir passt das nicht, aber ich fühle mich überstimmt. Außerdem, ich bin nicht seine Mutter, das rufe ich mir ins Gedächtnis. Nach einiger Zeit gehe ich zu seinem Zimmer.»Tshepo, kann ich reinkommen?« Ich klopfe an die Tür. Er antwortet nicht, aber ich höre das Radio. Als ich eintrete, liegt er zusammengekauert auf seiner Matratze in der Ecke. Er hat sich in eine Decke gewickelt.»Mann. Du hast nichts an,« sage ich ein bisschen sauer.»Ich hab nichts Sauberes anzuziehen,« sagt er mit mitleiderregend schwacher Stimme.»Deine Mitbewohner, sind die immer so?«Er sagt nichts, schaut nur verwirrt. Die Musik macht ein Crescendo, furiose Congas hämmern über Streichinstrumenten.»Café del Mar?« frage ich.»Es ist das einzige, was ich mir anhören kann.«Passt jetzt gar nicht, denke ich.»Aber ziemlich heavy, findest du nicht?«Er sieht mich ausdruckslos an, als müsse er über meine Aussage

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nachdenken. Ich suche in seinem Gesicht nach Anzeichen für Wohl-sein, aber ich finde keine. Der baumwollweiche Charme in seinen großen Augen ist verschwunden. Er kratzt sich wild am Kopf, eine Ablenkung. Spuren von Wahnsinn schleichen sich in seine Gesten. Selbstvergessen kratzt er sich am Sack.»Tshepo, findest du nicht auch?«Er antwortet nicht. Fängt an zu weinen.Ich gehe zur Anlage und wechsle die Kassette. An guten Tagen kann Café del Mar ziemlich entspannend sein, aber heute nicht. Ich lege Kenny G ein und wühle in seinem Schrank. Ich bin überrascht, wie ordentlich sein Zimmer ist. Normalerweise war es immer so unauf-geräumt wie meins. Alles liegt penibel geordnet. Mein Blick fällt auf einen kleinen Schrein am Fenster. Es ist ein Tischchen, auf dem ein paar getrocknete Akazienblätter, Gewürze und verschiedene Objekte liegen. In der Mitte eine Holzkiste mit einem zierlichen Ast drauf. Unheilvoll steht die Kiste da, wie die Büchse der Pandora. Wenn ich hinsehe, laufen mir Schauer den Rücken runter.»Und das hier, was ist das?« frage ich. Ich möchte seine Tränen stoppen.»Nichts.«»Ist das ein Schrein?«»Nein, mein Altar,« korrigiert er mich.»Altar, m-hm. Irgendwelche Opfer, toten Babys, von denen ich wissen sollte?« Ich sage das, um der Sache ihre Schwere zu nehmen. Ganz kurz sieht es so aus, als müsse er lächeln, aber dann torpedieren Trä-nen wieder seine Stimmung. Seine Traurigkeit ist bedrückend und greift auf mich über.Hinter ein paar Handtüchern finde ich einen Jogginganzug, außerdem ein Paar Shorts, die als Unterhosen dienen müssen. Socken suche ich im Wäschekorb. Es gibt schlimmeres als schmutzige Socken zu tragen, sage ich mir.Er beginnt, sich vor mir anzuziehen. Ich schaue nicht weg, ich stelle mich seiner Nacktheit. Er sieht mich an und schafft es, zu lächeln, mehr um zu zeigen, dass er mit seinem Körper im Reinen ist, als dass seine Stimmung sich aufhellt. Männer können zwanghaft sein, wenn es um ihren Penis geht, aber zum Glück ist das bei Tshepo nicht der Fall. Mir wird warm in der Magengrube. Ich lächle zurück. Ich bin nicht seine Mutter, sage ich mir wieder und frage mich langsam, was ich hier mache. Ich spiele nicht gern Kindermädchen, für niemanden, und besonders nicht für Freunde. Aber mir ist auch klar, dass er bei mir in besseren Händen ist als bei seinen abgestumpften WG-Genos-

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sen. Außerdem fühle ich mich als schwarze Person immer verpflich-tet, anderen Schwarzen in Not zu helfen, besonders wenn nur Weiße drumherum sind. Als ich in dem Elite-Internat in Swaziland war, die einzige Nicht-Weiße in meiner Klasse, war ich froh, jedes Jahr mehr schwarze Gesichter in den unteren Klassen zu sehen. Aber ich merkte auch, wie manche Leute uns gegeneinander aufhetzen wollten, ein-fach nur, um ihre schlimmsten Vorurteile gegen Schwarze zu bestäti-gen. Ich hab ihnen die Freude nie gemacht, weil ich mit den wenigen anderen schwarzen Schülern immer gut auskam. Manche fand ich zwar weniger charmant oder intelligent oder einnehmend, aber ich ließ mir das nie anmerken, weil ich dem falschen Eindruck entgegen-treten musste, dass schwarze Menschen sich grundsätzlich gegensei-tig bekämpfen und sabotieren.»Du bindest gerade meine Schnürsenkel,« sagt er.Ich bin ertappt, und mache weiter.»Ich helfe nur,« antworte ich etwas verlegen.»Ich weiß,« sagt er, für einen kurzen Moment bei klarem Verstand.»Alles klar. Fertig.« Ich schaue ihn an.»Ich weiß, wir müssen jetzt gehn,« sagt er. »Sie wollen, dass ich nach Valkenberg gehe, stimmt’s?«»Tshepo, es ist zu deinem Besten. Das weißt du auch.«»Ich weiß, weil weil weil«, sagt er und ich weiß nicht, was das bedeu-ten soll.

Nach einer psychiatrischen Routineuntersuchung im Krankenhaus Groote Schuur schicken sie uns nach Valkenberg. Tshepo schweigt schmollend, aber er hat sich scheinbar in die Situation ergeben. Ich habe Gewissensbisse, aber ich weiß, dass er ärztliche Hilfe braucht. Außerdem weiß er, was mit ihm passiert, beschwichtige ich mich. David und ich bringen ihn auf Station 15. Das ist eine Geschlossene. Die Pfleger und Schwestern wirken distanziert und aggressiv.»Tshepo, wir müssen gehen,« sage ich, nachdem er die Aufnahme-papiere ausgefüllt hat.»Bis demnächst,« sagt er etwas verstört. Ich kann mir nicht helfen, ich mache mir große Sorgen.»Vielleicht können wir doch noch ein bisschen da bleiben,« sage ich zu David, weil ich ihn wirklich nicht so zurücklassen kann. David ist es recht.Ein Riese von einem Pfleger gibt Tshepo eine Batterie Tabletten. Ein anderer regt sich auf, als Tshepo um mehr Wasser bittet.

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»Was geben Sie ihm?« erkundigt sich David.»Sind Sie Arzt?« fragt der Pfleger, der Tshepo die Tabletten gegeben hat, verächtlich.»Nein.«»Dann lassen Sie mich meine Arbeit machen.«»Ich bin einfach besorgt. Was geben Sie ihm?«»Haloperidol 10 mg und Orphenadrin 50 mg. Sind Sie jetzt zufrieden?«»Und was sollen die bewirken?«»Ich hab wirklich keine Zeit für so was.«»David, lass uns gehen,« unterbreche ich.»Das ist eine gute Idee,« sagt der Pfleger.»Tshepo, wir gehen jetzt,« sage ich und drücke seine Hand. Er blickt verwirrt.»Hey, halte durch!« fügt David noch hinzu. Wir schauen nicht zurück, als wir durch die Tür gehen. Aber die Traurigkeit des Ganzen verfolgt uns.Im Auto schweigen wir eine zeitlang.»Ich weiß nicht, was ich tun soll,« beginne ich.»Wie, tun? Was meinst du?«»Ich meine, Tshepo hat in Kapstadt keine Familie.«»Ja, und?«»Und ich weiß nicht, ob ich die Rolle des Kindermädchens überneh-men kann.«»Er braucht kein Kindermädchen. Valkenberg kümmert sich darum. Er braucht einfach Freunde,« sagt er und schaut mich vorwurfsvoll an.»Guck mich nicht so an. Du hast ihm nicht mal versprochen, dass du ihn besuchen kommst,« antworte ich.»Diese Unterhaltung ist bescheuert,« platzt er heraus.»Du bist so ein Arsch,« erwidere ich.Ich starre aus dem Fenster, schmolle still vor mich hin.»Warum bist du so hart? Mal ehrlich, warum bist du immer so hart?« fragt er in seinem typisch ernsthaften Tonfall.»Eine Frage der Übung,« sage ich, um ihn zu ärgern. »Warum ist es okay, dass ein Mann ein hartes Arschloch ist, aber eine Frau nicht?«»Wovon redest du? Weißt du, manchmal kannst du eine echte Zicke sein,« sagt er.»Du bist nicht der Erste, dem das auffällt, Arschloch«, sage ich und mir fällt wieder ein, was ich so wahnsinnig nervig, aber gleichzeitig an-ziehend an David finde. Abgesehen davon, dass er richtig gut aussieht,