100 jahre dstv – zukunft bauen – mit stahl gestalten

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783 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau 73 (2004), Heft 10 Editorial Mit diesem Motto ist der Blick klar und selbstbewußt nach vorne gerichtet. „Zukunft bauen“ soll bedeuten, für die Zukunft und für die nächsten Ge- nerationen zu bauen, kurz gesagt, nachhaltig bauen. Also nichts für die Ewig- keit „zementieren“, vielmehr wiederverwendbar, flexibel, anpassungsfähig, um- weltbewußt und ressourcenschonend bauen. Bauen heißt aber auch gestalten. Dem Lebensgefühl folgen und ästhetische Ansprüche erfüllen. Eleganz, Schönheit, Grazilität und Leichtigkeit auf reizvolle Weise vermitteln. Gestalten mit Stahl ist selbstverständlich immerzweckorien- tiert, aber nicht nur – und vor allem nicht als reizlose graue Massenware. Die Attribute des Werkstoffs Stahl und des Stahlbaus werden immer mehr zu Attributen der traditionsbehafteten, hin und wieder noch mit old economy bezeichneten Branche. Was aus den Anfängen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus Gießereien, Schmieden, Schlossereien und den schon damals existierenden Ma- schinenfabriken im Zuge der beginnenden Industrialisierung und des Eisenbahn- baus entstanden ist, hat über den Industrie- und Anlagenbau längst Eingang in alle Bereiche des Bauens gefunden und sich im Baugeschehen etabliert, ist sozu- sagen fester und dauerhafter, aber auch wegnehmbarer Bestandteil geworden. Stahl ist wertvoll und aus dem Baugeschehen nicht mehr wegzudenken – vielleicht auch deswegen, weil er „wegnehmbar“ ist. Schon 1964 hat Egon Eier- mann, Karlsruher Architekturlehrer, vor dem Luxemburger Stahlkongreß zu den konstruktiven und gestalterischen Vorzügen des Stahls festgestellt: „was mich aber am meisten beschäftigt und was mich zum Stahl … hinzieht, ist die Tatsache: der Stahl ist wegnehmbar … Dem Stahl fehlt der freche Anspruch auf Dauerhaftigkeit, auch dessen, was nicht von Dauer sein sollte“. Übrigens, Egon Eiermann wurde am 29. 9. 1904 geboren und wäre in diesem Jahre eben- falls 100 Jahre alt. 100 Jahre DSTV Zukunft bauen – mit Stahl gestalten

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Page 1: 100 Jahre DSTV – Zukunft bauen – mit Stahl gestalten

783© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau 73 (2004), Heft 10

Editorial

Mit diesem Motto ist der Blick klar und selbstbewußt nach vorne gerichtet.„Zukunft bauen“ soll bedeuten, für die Zukunft und für die nächsten Ge-

nerationen zu bauen, kurz gesagt, nachhaltig bauen. Also nichts für die Ewig-keit „zementieren“, vielmehr wiederverwendbar, flexibel, anpassungsfähig, um-weltbewußt und ressourcenschonend bauen.

Bauen heißt aber auch gestalten. Dem Lebensgefühl folgen und ästhetischeAnsprüche erfüllen. Eleganz, Schönheit, Grazilität und Leichtigkeit auf reizvolleWeise vermitteln. Gestalten mit Stahl ist selbstverständlich immer zweckorien-tiert, aber nicht nur – und vor allem nicht als reizlose graue Massenware.

Die Attribute des Werkstoffs Stahl und des Stahlbaus werden immer mehrzu Attributen der traditionsbehafteten, hin und wieder noch mit old economybezeichneten Branche.

Was aus den Anfängen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausGießereien, Schmieden, Schlossereien und den schon damals existierenden Ma-schinenfabriken im Zuge der beginnenden Industrialisierung und des Eisenbahn-baus entstanden ist, hat über den Industrie- und Anlagenbau längst Eingang inalle Bereiche des Bauens gefunden und sich im Baugeschehen etabliert, ist sozu-sagen fester und dauerhafter, aber auch wegnehmbarer Bestandteil geworden.

Stahl ist wertvoll und aus dem Baugeschehen nicht mehr wegzudenken –vielleicht auch deswegen, weil er „wegnehmbar“ ist. Schon 1964 hat Egon Eier-mann, Karlsruher Architekturlehrer, vor dem Luxemburger Stahlkongreß zuden konstruktiven und gestalterischen Vorzügen des Stahls festgestellt: „wasmich aber am meisten beschäftigt und was mich zum Stahl … hinzieht, ist dieTatsache: der Stahl ist wegnehmbar … Dem Stahl fehlt der freche Anspruchauf Dauerhaftigkeit, auch dessen, was nicht von Dauer sein sollte“. Übrigens,Egon Eiermann wurde am 29. 9. 1904 geboren und wäre in diesem Jahre eben-falls 100 Jahre alt.

100 Jahre DSTVZukunft bauen – mit Stahl gestalten

Page 2: 100 Jahre DSTV – Zukunft bauen – mit Stahl gestalten

Stahl ist aber nicht nur in diesem abstrakten Sinne wertvoll. Stahl istheute auch konkret wertvoll und wird immer wertvoller, wenn man die zuneh-mende Rohstoffverknappung und die jüngste Preisentwicklung im Auge hat.

In der Publikation „75 Jahre DSTV“ wurde im Jahr 1979 schon festgestellt:„Die noch zunehmende Rohstoffknappheit wird in den kommenden Jahrzehn-ten Bauwerke begünstigen, deren wertvolle Baustoffe eine Wiederverwendung(Recycling) leicht zugeführt werden können“.

Seit über 200 Jahren wird Eisen- und Stahlbau in Deutschland betrieben.Über 150 Jahre hat sich derVerlag Ernst & Sohn der Fachliteratur für den Eisen-und Stahlbau „verschrieben“. Und in diesem Jahr wird der Deutsche Stahlbau-Verband DSTV 100 Jahre alt. Alt? Old economy? Im Vergleich zur Bauge-schichte sind alle jung. Liefe die Baugeschichte in 24 Stunden ab, so wären fürden Stahlbau nur die letzten 45 Minuten von Bedeutung. Also jung genug, umanläßlich des Jubiläums stolz auf das Erreichte zurückzublicken, aber auchum den Blick entschlossen nach vorne zu richten, weiter zu planen und neueZiele zu formulieren.

Die vorliegende Jubiläumsausgabe vermittelt einen lebendigen Eindrucküber die Leistungsfähigkeit der Stahlbauindustrie, der Wissenschaft und derVerwaltung. Sie gibt gleichzeitig auch einen gelungenen Querschnitt über dieArbeitsfelder des Deutschen Stahlbau-Verbandes DSTV.

Gründungsanlaß des DSTVwar„die Wahrung der gemeinsamen Interessenseiner Mitglieder“. Dabei handelte es sich keineswegs nur um materielle Inter-essen , sondern auch um die technische Weiterentwicklung der Bauweise, Ver-besserung ihrerWirtschaftlichkeit und um die technisch-wissenschaftliche Ar-beit auf dem Gebiet der Forschung und Lehre in Zusammenarbeit mit denTechnischen Hochschulen. Die Normenentwicklung, die zunehmende Flutvon Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien gab darüber hinaus genügendAnlaß, die Interessenvertretung der Verbandsmitglieder gegenüber Verwal-tung, Behörden, Verbänden und anderen Organisationen aktiv zu gestalten.

Der Deutsche Stahlbau-Verband DSTV wird 100 Jahre alt. Das Mottozum Jubiläum umschreibt Tradition und Fortschritt im Stahlbau gleicher-maßen. Jubiläum kommt von jubilieren, was frei nach Duden bedeutet „derlebhaften Freude weniger laut als klingend Ausdruck verleihen“. In diesemSinne will der Stahlbau auch in Zukunft als Botschafter für den modernenWerkstoff Stahl in die Öffentlichkeit wirken.

Allen, die an dieser Publikation mitgewirkt haben, sei an dieser Stelleherzlich gedankt.

Dipl.-Ing. Rolf HeineckePräsident des Deutschen Stahlbau-Verbandes DSTV

784 Stahlbau 73 (2004), Heft 10

Editorial