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Dream on, Telekom!Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen bekräftigt die
Argumentation der Bundesnetzagentur, wonach das Angebot „StreamOn“ der
Telekom die Netzneutralität verletzt
Was das Gesetz nicht verbietet, verbietet der AnstandEuGH zum Umfang des Zitatrechts
PowerPoint und das Urheberrecht – Teil 2Urheberrechtliche Fragestellungen bei präsentationsbasierten Vorträgen –
Publikumssicht
09 / 2019September 2019
DFN-Infobrief Recht 09 / 2019 | Seite 2
Dream on, Telekom!
Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen bekräftigt die Argumentation der Bundesnetzagentur, wonach das Angebot „StreamOn“ der Telekom die Netzneutralität verletzt
von Nico Gielen
Mit Bescheid vom 15. Dezember 2017 hatte die Bundesnetzagentur (BNetzA) die
Zubuchoption „StreamOn“ der Telekom als eine Verletzung der Netzneutralität ange-
sehen und der Telekom untersagt, diese weiterhin anzubieten. Die Anträge der Tele-
kom gegen diesen Bescheid wurden durch das Verwaltungsgericht (VG) Köln am
20. November 2018 (Az. 1 L 253/18) und nun auch durch das Oberverwaltungsgericht für
das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) am 12. Juli 2019 (Az. 13 B 1734/18) abgelehnt.
Europäischen Union und weist im Vergleich zu den früheren
das Telekommunikationsrecht betreffenden Richtlinien kon-
kretere Regelungen zur Netzneutralität auf.
Gleichwohl ist die TSM-VO auch mit unbestimmten Rechtsbe-
griffen durchzogen. Dies führt insbesondere dort zu Proble-
men, wo die Ausnahmen zur Netzneutralität statuiert werden.
Der Ausnahme des Art. 3 Abs. 3 UAbs. 2 S. 1 TSM-VO zufolge
unterfallen dem oben benannten Diskriminierungsgebot
keine Maßnahmen, die als „angemessene Verkehrsmanage-
mentmaßnahme“ deklariert werden können. Der Begriff der
Verkehrsmanagementmaßnahme wird im Gesetz zwar nicht
definiert. Die BNetzA versteht darunter jedoch „alle Aktivitä-
ten eines Netzbetreibers […], mit denen der Transport und die
Weiterleitung von Datenpaketen innerhalb des Netzes beein-
flusst wird“ (Bescheid der BNetzA vom 15. Dezember 2017 an die
Telekom, Az. 114-3983). Damit solche Maßnahmen als angemes-
sen gelten, müssen sie gemäß Art. 3 Abs. 3 UAbs. 2 S. 2 TSM-VO
transparent, nicht-diskriminierend und verhältnismäßig sein
und dürfen nicht auf kommerziellen Erwägungen, sondern nur
auf objektiv unterschiedlichen technischen Anforderungen an
die Dienstqualität bestimmter Datenverkehrskategorien beru-
hen.
I. Konzept der Netzneutralität
Der Begriff der Netzneutralität geht auf den amerikanischen
Rechtswissenschaftler Tim Wu zurück. In seinem berühmten
Aufsatz aus dem Jahre 2003 fordert er, dass für einen fairen
Wettbewerb im Internet wie in der übrigen Privatwirtschaft
gelten müsse: only the best survive. In diesem Sinne beschreibt
Netzneutralität eine Gleichbehandlung aller im Internet über-
tragenen Daten. Jedes Datenpaket wird so transportiert wie
es die Auslastung des Netzes zulässt (sog. Best-Effort-Prinzip).
Dadurch erhalten Nutzer einen diskriminierungsfreien Zugang
zu allen Inhalten und unter den Online-Plattformen wird Chan-
cengleichheit, ein level playing field, geschaffen.
Mit Wirkung zum 30. April 2016 hat die Europäische Union die
Verordnung 2015/2120 über Maßnahmen zum Zugang zum
offenen Internet (Telecom Single Market Verordnung, kurz:
TSM-VO) erlassen. Gemäß Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 TSM-VO müssen
Internetzugangsdienste „den gesamten Verkehr bei der Erbrin-
gung von Internetzugangsdiensten gleich, ohne Diskrimi-
nierung, Beschränkung oder Störung, sowie unabhängig von
Sender und Empfänger, den abgerufenen oder verbreiteten
Inhalten, den genutzten oder bereitgestellten Anwendungen
oder Diensten oder den verwendeten Endgeräten“ behandeln.
Die TSM-VO wirkt unmittelbar in allen Mitgliedstaaten der
DFN-Infobrief Recht 09 / 2019 | Seite 3
II. Zubuchoption StreamOn
Die Telekom bietet ihren Kunden seit 2017 in manchen Mobil-
funktarifen die kostenlose Zubuchoption StreamOn an. Damit
können bestimmte Inhalte über das Internet empfangen wer-
den, ohne dass dies auf das Datenvolumen des Mobilfunktarifs
angerechnet wird (sog. Zero Rating). Diese Option ist aber zum
einen auf das Inland beschränkt. Zum anderen betrifft dies nur
Inhalte von Kooperationspartnern der Telekom, darunter bei-
spielsweise YouTube, Facebook, Instagram, WhatsApp, Netflix,
Spotify, Apple Music, Amazon Prime Video und die Mediathe-
ken von ARD und ZDF. Inhalte anderer Anbieter werden sehr
wohl auf das Datenvolumen des Kunden angerechnet. Die
Teilnahme am StreamOn-Angebot ist für die Inhalteanbieter
unentgeltlich.
Die Telekom differenziert bisher allerdings zwischen einzel-
nen Mobilfunktarifen. In Tarif L findet eine Drosselung der
Bandbreite statt. Videos können daher nicht hochauflösend
(HD-Qualität) angezeigt werden, sondern nur in sog. DVD-
Qualität. Diese Reduzierung der Bandbreite gibt es nicht für
die Inhalte der Anbieter, die nicht an StreamOn teilnehmen.
Um alle Inhalte wieder in HD-Qualität empfangen zu können,
muss der Kunde die Stream-Option wieder deaktivieren. Dann
würde die Datenübertragung aber auch auf das Datenvolu-
men angerechnet.
III. Bescheid der BNetzA
Die BNetzA stellte in ihrem Bescheid fest, dass das Angebot
von StreamOn gegen das Gebot der Gleichbehandlung aller
Daten verstoße. Anknüpfungspunkt der Kritik war allerdings
nicht das Zero-Rating als solches. Die BNetzA hat also nicht
für rechtswidrig erklärt, dass das Herunterladen bestimmter
Inhalte nicht auf das Datenvolumen des Tarifs angerechnet
wird.
Stattdessen war aus Sicht der BNetzA erstens problematisch,
dass im Tarif L der Telekom die Videoinhalte der an der Zubuch-
option StreamOn teilnehmenden Anbieter nicht in bester Qua-
lität übertragen werden. Es werde damit zum einen zwischen
Videos und anderen Inhalten und zum anderen zwischen den
Videos von StreamOn-Teilnehmern und allen anderen Anbie-
tern differenziert. Damit werden Datenpakete, unabhängig
von der Auslastung des Netzes, ungleich behandelt, sodass
gegen das Best-Effort-Prinzip und damit gegen den Grund-
satz der Netzneutralität verstoßen werde. Es sei auch keine
Ausnahme von der Netzneutralität einschlägig. Die Verlang-
samung des Datenverkehrs sei zwar eine Verkehrsmanage-
mentmaßnahme, aber sie sei diskriminierend und damit nicht
angemessen. Es sei auch nicht ersichtlich, dass technische
Anforderungen es erforderlich machen, dass der Datenverkehr
unterschiedlich behandelt werden müsste. Die Telekom hatte
sich damit verteidigt, dass im Mobilfunknetz eine DVD-Qualität
eher zur Verfügung stehe und der Rückgriff auf diese daher auf
das mobile Streaming von Videoinhalten stabilisierend wirke.
Dem entgegnete die BNetzA mit dem Argument, dass die Dros-
selung seitens des Kunden auch abgeschaltet werden könne
und bereits diese Tatsache zeige, dass keine Erforderlichkeit
dafür bestehen könne. Dass der Kunde aber tatsächlich die
Option deaktiviere, um die Videos in HD-Qualität zu sehen,
stelle die Ausnahme dar. Die Netzneutralität unterliege auch
weder der Disposition des Internetzugangsanbieters noch des
Kunden, sodass sie nicht durch eine Einwilligung abdingbar
sei. Insbesondere könne die Telekom mit dem Kunden keinen
Vertrag zulasten der Inhalteanbieter oder umgekehrt schlie-
ßen.
Zweitens bezog sich die BNetzA noch auf die Verordnung
531/2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknet-
zen in der Union (Roaming-VO). Sie stellte fest, dass es ein
unzulässiges Roamingentgelt darstelle, wenn die Nutzung
der StreamOn-Partnerdienste im Ausland auf das Datenvo-
lumen angerechnet werde. Somit werde für die Nutzung
von StreamOn-Diensten in einem anderen Mitgliedstaat der
Europäischen Union nach den Tarifen der Telekom faktisch
ein zusätzliches Entgelt verlangt, weil diese im Inland nicht
auf das Datenvolumen angerechnet werden. Dies widerspre-
che dem in der Roaming-VO verankerten Prinzip Roam Like At
Home. Es liege auch keine Regelung zur angemessenen Nut-
zung (sog. Fair Use-Policy) vor, wonach ein Roamingentgelt
ausnahmsweise zulässig sein könnte.
Auf der Grundlage von § 126 TKG drohte die BNetzA schließlich
noch ein Zwangsgeld in Höhe von 100.000 Euro für eine Zuwi-
derhandlung gegen eine ihrer Anordnungen an. Damit hat die
BNetzA den möglichen Bußgeldrahmen von 500.000 Euro nicht
ausgereizt. In Anbetracht des Umsatzes der Telekom dürfte
diese die Androhung sehr entspannt zur Kenntnis genommen
haben.
DFN-Infobrief Recht 09 / 2019 | Seite 4
IV. Gerichtsentscheidungen
Das VG Köln hat einen Antrag der Telekom gegen den Bescheid
der BNetzA abgelehnt. Das Gericht bestätigte, dass die Verlang-
samung des Datenverkehrs hinsichtlich der Videoinhalte eine
unangemessene Verkehrsmanagementmaßnahme darstelle
und somit die Netzneutralität verletze. Insbesondere lägen
keine objektiv unterschiedlichen technischen Anforderungen
an die Dienstqualität vor, da die Telekom die Videoqualität
aktiv reguliert und dabei zwischen einzelnen Mobilfunktari-
fen differenziert. Wenn in den anderen Tarifen der Telekom die
Videoqualität nicht gedrosselt werden müsse, könne dies auch
nicht für den in Rede stehenden Tarif L erforderlich sein.
Neben dem Verstoß gegen die Netzneutralität liege – inso-
weit ebenfalls die BNetzA bestätigend – ein unzulässiges
Roamingentgelt darin, dass das StreamOn-Angebot nur auf
Deutschland beschränkt sei. Im Ausland erhalte ein Kunde für
denselben Preis damit weniger Leistungen. Die Beschwerde
der Telekom gegen die Entscheidung des VG Köln hat dann
das OVG NRW abgelehnt und damit ebenfalls den Bescheid der
BNetzA bestätigt.
V. Fazit
Das Thema der Netzneutralität ist von überragender Bedeu-
tung in einer Gesellschaft, die immer digitaler wird. Charak-
teristisch für das Internet ist, dass es aus einer einfachen
und dadurch robusten Infrastruktur von verwobenen Netzen
besteht. Dieses Erfolgsrezept wird gefährdet, wenn man den
Internetverkehr teilweise verlangsamt. Damit das Internet die
Vielfalt behalten kann, die es ausmacht, muss der Zutritt diskri-
minierungsfrei gestaltet sein. Die Datenverkehrsströme dür-
fen nicht teilweise entschleunigt oder gar blockiert werden.
Müssen zunächst Internetzugangsanbieter dafür bezahlt wer-
den, dass sie Datenpakete so schnell wie möglich befördern,
werden finanzschwache Unternehmen benachteiligt. Dadurch
werden insbesondere Start-Ups und damit der Wettbewerb im
Internet im Allgemeinen gefährdet. Ein Blick in die Vereinigten
Staaten von Amerika zeigt, wie das Konzept der Netzneutrali-
tät aber auch die Nutzer schützt. Unter der Trump-Administra-
tion wurden durch die Federal Communications Commission
die Vorschriften über die Netzneutralität aufgehoben. Aus
diesem Grund wird befürchtet, dass Internetzugangsanbie-
ter mit der Diskriminierung von Datenpaketen auch Teile der
Bevölkerung diskriminieren. Wohlhabenden Privathaushal-
ten könnten Hochgeschwindigkeitstarife angeboten werden,
wohingegen finanzschwachen Privathaushalten auf einen
langsameren Zugang zum Internet verwiesen werden. Bei
diesen Beobachtungen sollte man berücksichtigen, dass das
Internet zu der Informationsquelle schlechthin geworden ist.
Es ist elementar für eine Demokratie, dass sich jeder Bürger
ausreichend informieren kann. Ohne ausreichende Informa-
tionen, wird das vornehmste Recht eines jeden Bürgers – das
Parlament zu wählen – schleichend entwertet. Vor diesem
Hintergrund ist die Netzneutralität ein zentraler Pfeiler einer
robusten Demokratie und sollte daher vor Eingriffen entschie-
den verteidigt werden. Obgleich die TSM-VO nur auf Anbieter
öffentlicher Kommunikationsdienste anwendbar ist, sollten
sich auch Hochschulen und andere wissenschaftliche Einrich-
tungen der Bedeutung der Netzneutralität bewusst sein.
DFN-Infobrief Recht 09 / 2019 | Seite 5
Was das Gesetz nicht verbietet, verbietet der Anstand
EuGH zum Umfang des Zitatrechts
von Marten Tiessen
In einem aktuellen Urteil des EuGH (Europäischer Gerichtshof) (Urteil vom 29.07.2019 -
Aktenzeichen C-516/17) hat der EuGH Stellung zur Reichweite der Zitierfreiheit genom-
men. Er geht dabei auf die Frage ein, ob eine Verlinkung auf eine selbstständige Datei noch
als Zitat gelten kann und welche Werke überhaupt zitierfähig sind. Auch für die Zitier-
praxis in der Wissenschaft lassen sich aus dem Urteil neue Erkenntnisse gewinnen.
schranken nach §§ 60a ff. UrhG.1 Für die Presse spielt vor allem
die Schranke aus § 50 UrhG eine große Rolle. Danach dürfen
Medien, die im Wesentlichen Tagesinteressen Rechnung
tragen, Werke zur Berichterstattung über Tagesereignisse
nutzen. Der Gesetzgeber will der Presse damit eine ungefil-
terte Berichterstattung ermöglichen, die nicht davon abhän-
gig ist, ob rechtzeitig die Erlaubnis des Urhebers eingeholt
wird. Diese Ausnahme greift allerdings nur bei Berichten, die
nicht das Werk zum Hauptbestandteil der Berichterstattung
machen. Eine solche Auseinandersetzung ist nur mit der Zitier-
freiheit nach § 51 UrhG möglich. Die Zitierfreiheit erlaubt es,
Stellen eines Werkes nach seiner Veröffentlichung zum Zweck
des Zitats in einem anderen Beitrag zu verwenden. Der Anwen-
dungsbereich beider Schranken ist nicht immer ganz leicht
einzugrenzen. Beide beruhen auf europäischen Richtlinien,
die von den Mitgliedsstaaten zunächst in nationales Recht
umgesetzt werden müssen. Den Mitgliedstaaten wird bei die-
ser Umsetzung zwar einiges an gesetzgeberischem Spielraum
gelassen. Dieser Spielraum darf jedoch nicht überschritten
werden, sodass die nationalen Normen stets richtlinienkon-
form ausgelegt werden müssen. Wann dieser Spielraum über-
schritten ist, muss im Zweifel der EuGH beantworten, so wie
auch in diesem Verfahren.
1 Siehe zur Einführung der neuen Wissenschaftsschranken auch Stro-
bel, Alles kann; nichts muss – der Regierungsentwurf zum Urheber-
rechtsgesetz, DFN-Infobrief Recht 5/2017; Mörike, Es ist vollbracht!,
DFN-Infobrief Recht 3/2018.
I. Verwendung von geschützten Werken in Tagesnachrichten
Immer wieder stellt sich die Frage, inwiefern Zeitungen und
andere Nachrichtenmedien auf urheberrechtlich geschützte
Werke in ihrer Berichterstattung eingehen dürfen, ohne dabei
die betroffenen Urheberrechte zu verletzen. Grundsätzlich
untersagt das Urheberrecht eine nicht durch den Urheber
erlaubte Vervielfältigung des Werkes oder teilweise auch
schon von Teilen des Werkes. Denn Teile des Werkes können
bereits dem urheberrechtlichen Schutz unterfallen, wenn sie
selbst den Anforderungen an ein geschütztes Werk genügen.
Die Voraussetzungen, um die Werkeigenschaften zu erfüllen,
sind nicht besonders hoch, so dass selbst einzelne Sätze regel-
mäßig in den Schutzbereich des Urheberrechts fallen. Werden
diese Sätze beispielsweise im Rahmen einer Berichterstattung
in einem Artikel wiedergegeben, liegt eine urheberrechtlich
relevante Nutzungshandlung in Form einer Vervielfältigung
vor. Jede Nutzungshandlung bedarf normalerweise der Erlaub-
nis des Urhebers. In manchen Fällen lässt der Gesetzgeber aber
Ausnahmen von dieser Regel zu. Für die Fälle, in denen berech-
tigte Interessen der Allgemeinheit das Interesse des Urhebers
am Schutz seines Werkes überwiegen, wird das Urheberrecht
durch Ausnahmetatbestände eingeschränkt. Diese sogenann-
ten urheberrechtlichen Schranken erlauben die Nutzung eines
Werkes auch ohne Zustimmung des Urhebers. Die Schranken
regeln Ausnahmen in verschiedenen Bereichen, so z.B. die Pri-
vatkopierfreiheit nach § 53 Abs. 1 UrhG oder die Wissenschafts-
DFN-Infobrief Recht 09 / 2019 | Seite 6
II. Sachverhalt
Im Verfahren vor dem EuGH klagte der ehemalige Bundestags-
abgeordnete Volker Beck gegen SPIEGEL ONLINE.2 Beck wirft
SPIEGEL ONLINE vor, seine Urheberrechte verletzt zu haben.
Im Mittelpunkt des Streits steht ein Text Volker Becks, der
1988 als Beitrag im Sammelband „Der pädosexuelle Komplex“
veröffentlicht wurde und sich mit Fragen des Sexualstraf-
rechts auseinandersetzt. Beck distanzierte sich später von
der Aussage seines Beitrags in diesem Sammelband. Er stellte
zunächst darauf ab, dass der Herausgeber des Gesamtwerkes
an seinem Ursprungstext Veränderungen vorgenommen habe,
die die Aussage des Textes verfälschen, und der im Buch abge-
druckte Beitrag nicht mit dem Manuskript übereinstimme. In
der Folgezeit nahm er aber auch Abstand von seiner Aussage
im Originalmanuskript. Um einen Vergleich zwischen seinem
Originaltext und dem veröffentlichten Sammelband zu ermög-
lichen, stellte er beide Dokumente auf seiner Webseite bereit.
In der Version des Originalmanuskripts fügte er außerdem
noch den Hinweis auf jeder Seite hinzu: „Ich distanziere mich
von diesem Beitrag. Volker Beck“. Die Seiten des Beitrags im
Sammelband enthielten darüber hinaus den Satz: „[Die Ver-
öffentlichung dieses Textes] ist nicht autorisiert und durch
freie Redigierung in Überschrift und Textteilen durch Hrsg.
verfälscht.“
SPIEGEL ONLINE wollte in einem Artikel darstellen, dass die
Aussagen des Originalmanuskripts durch den Herausgeber
des Sammelbandes inhaltlich nie verfälscht wurden. Um den
Lesern einen direkten Vergleich zu ermöglichen, fügte das
Nachrichtenportal einen Link in den Artikel ein, unter dem
beide Dokumente – ohne die Vermerke – auf ihrer Webseite
abgerufen werden konnten.
Durch die Veröffentlichung der Dokumente sah Volker Beck
seine Urheberrechte verletzt und klagte auf Unterlassung.
Nachdem das Verfahren mehrere Instanzen durchlaufen hatte,
landete es schließlich beim BGH. Dieser rief den EuGH an, um
mehrere grundsätzliche Fragen bezüglich der Auslegung urhe-
berrechtlicher Schranken zu beantworten. Der EuGH sollte vor
allem klären, wie die europarechtlichen Bestimmungen, die
§ 50 UrhG und § 51 UrhG zugrunde liegen, auszulegen seien.
Unter anderem wollte er wissen, ob die Veröffentlichung von
2 Siehe ausführlicher bereits zu dem Verfahren Tiessen, Vor den Euro-
päischen Gerichtshof zitiert, DFN-Infobrief Recht 3/2018.
urheberrechtlich geschützten Werken im Internetportal eines
Presseunternehmens bereits deshalb nicht als erlaubnisfreie
Berichterstattung über Tagesereignisse anzusehen sei, weil es
dem Presseunternehmen möglich und zumutbar war, vor Ver-
öffentlichung die Zustimmung des Urhebers einzuholen.
Im Zusammenhang mit der Zitierfreiheit fragte der BGH, ob
es sich noch um ein erlaubtes Zitat handelt, wenn zitierte
Textwerke oder Teile davon nicht - beispielsweise durch Ein-
rückungen oder Fußnoten - untrennbar in den neuen Text
eingebunden werden, sondern im Internet im Wege der Verlin-
kung als selbständig abrufbare Dateien öffentlich zugänglich
gemacht werden. Außerdem wollte er noch wissen, worauf bei
der Beurteilung, wann ein Werk der Öffentlichkeit zugänglich
gemacht wurde, abzustellen ist.
III. Urteil
Der EuGH stellte im Hinblick auf die Berichterstattung über
Tagesereignisse fest, dass es keiner vorherigen Zustimmung
des Urhebers bedürfe, selbst wenn diese rechtzeitig eingeholt
werden kann. Er widerspricht damit der bisherigen Ansicht des
BGH und betont, dass die fehlende Erforderlichkeit der Erlaub-
nis gerade das Merkmal der Schranke sei.
Weiterhin erläuterte der EuGH die Voraussetzungen eines
Zitats. Die Vorlage für das deutsche Zitatrecht lässt sich der
Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter
Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte
in der Informationsgesellschaft (InfoSoc-RL) entnehmen.
Zitiert werden können nach Art. 5 Abs. 3 lit. d InfoSoc-RL nur
Werke, die bereits der Öffentlichkeit rechtmäßig zugänglich
gemacht wurden, wenn die Nutzung den anständigen Gepflo-
genheiten entspricht und in ihrem Umfang durch den beson-
deren Zweck gerechtfertigt ist. Dabei muss stets die Quelle,
einschließlich des Namens des Urhebers, angegeben wer-
den. Zwar setzt das Zitat nach dem gewöhnlichen Sprachge-
brauch voraus, dass der Verwender sich dessen bedient, um
eine Aussage zu erläutern, eine Meinung zu verteidigen oder
eine geistige Auseinandersetzung mit dem zitierten Werk zu
ermöglichen. Jedoch muss das Zitat nach dem Wortlaut des
Art. 5 Abs. 3 lit. d InfoSoc-RL dafür nicht untrennbar in das
Dokument oder den Gegenstand eingebunden werden, in dem
es auch verwendet wird. Prinzipiell ist ein Zitat daher auch
DFN-Infobrief Recht 09 / 2019 | Seite 7
über einen Hyperlink möglich. Die Nutzung muss aber weder
vom Umfang noch durch den Zitatzweck gerechtfertigt sein.
Ob das hier der Fall ist, lässt der Gerichtshof offen. Das muss
der BGH letztlich selbst entscheiden.
Eine ganz andere Frage ist, ob Beck in diesem Fall überhaupt
sein Werk vorher so veröffentlicht hat, wie es von SPIEGEL
ONLINE zitiert wurde. Hierzu sagt der Gerichtshof, dass ein
Werk oder ein Teil eines Werks der Öffentlichkeit erst recht-
mäßig zugänglich gemacht wurde, wenn es der Öffentlichkeit
mit Zustimmung des Rechtsinhabers, aufgrund einer Zwangs-
lizenz oder aufgrund einer gesetzlichen Erlaubnis zugänglich
gemacht wurde. Bei dem Sammelband könne man nur von
einer rechtmäßigen Veröffentlichung sprechen, wenn Beck
den Verlag berechtigt hätte, noch kleinere Änderungen an sei-
nem Manuskript vorzunehmen. Ansonsten sei sein Beitrag im
Sammelband so nicht mit seiner Erlaubnis veröffentlicht wor-
den. Die später von Beck auf seiner Webseite hochgeladenen
Dokumente sind zwar mit seinem Einvernehmen veröffent-
licht worden. Allerdings nur mit den zugefügten Distanzie-
rungsvermerken. Ob die Redaktion des Sammelbands befugt
war, die Änderungen vorzunehmen, muss der BGH entschei-
den. Letztlich ist das Verfahren also noch nicht abgeschlossen,
die wichtigsten urheberrechtlichen Fragen wurden jedoch
durch den EuGH beantwortet.
IV. Fazit und Bedeutung für Hochschulen und Forschungseinrichtungen
Während die Frage zur Berichterstattung über Tagesereig-
nisse wenig Relevanz für den Wissenschaftsbetrieb bedeu-
tet, kommt der Auslegung der Zitierschranke eine ungleich
größere Bedeutung zu. Kann die technische Möglichkeit eines
Hyperlinks eingesetzt werden, um rechtmäßig zu zitieren?
Diese Frage wird durch das Urteil klar beantwortet. Das Zitat
muss nicht im Fließtext, noch nicht mal in einer Fußnote, ent-
halten sein. Es kann sich auch in einer ganz anderen Datei
befinden, sofern zu dieser Datei verlinkt wird. Das eröffnet
neue Möglichkeiten, insbesondere bei umfangreichen Zitaten.
Allerdings sollte darauf geachtet werden, dass nur im gebote-
nen Umfang zitiert werden kann. Erfüllt ein Teil des zitierten
Werkes also nicht den Zitatzweck, gehört es auch nicht mehr
in das Zitat. Nur in seltenen Fällen wird das Zitat eines kom-
pletten Werkes geboten sein.
Auch ansonsten sind die Bedingungen des § 51 Nr. 1 UrhG ein-
zuhalten, der bei wissenschaftlichen Zitaten eine inhaltliche
Auseinandersetzung mit dem zitierten Werk voraussetzt. Ein
Zitat sollte nicht zur reinen Illustration verwendet werden,
sondern muss Bezugsgegenstand des Textes sein. Die Gefahr
mangelnder Auseinandersetzung ist gerade bei Bildzitaten
gegeben, wenn der Text nicht näher auf die Inhalte des Bildes
eingeht. Unabhängig von der Art des Zitates ist in jedem Fall
die Pflicht zur Quellenangabe nach § 63 UrhG einzuhalten.
Wie der EuGH festgestellt hat, können auch nur Werke zitiert
werden, die bereits veröffentlicht wurden, und zwar in der
konkreten Form. Entspricht die Ausgabe des Werkes nicht
genau derjenigen, die der Autor veröffentlichen wollte,
bestand keine Zwangslizenz oder eine gesetzliche Erlaubnis,
gilt sie nicht als zitierfähig. Vorsicht ist daher geboten, wenn
auf interne Arbeitspapiere verwiesen wird, die noch gar nicht
veröffentlicht wurden.
Unabhängig von der rechtlichen Lage sollten die Gepflogen-
heiten des richtigen wissenschaftlichen Zitierens beachtet
werden. Auch wenn urheberrechtlich ein Zitat unbedenklich
ist, heißt es nicht, dass es wissenschaftlichen Standards ent-
spricht. Denn die rechtlichen Anforderungen setzen niedriger
an als die wissenschaftlichen. Indes können die wissenschaft-
lichen Maßstäbe auf die rechtlichen durchschlagen, da die
wissenschaftlichen Standards vor allem dann zwingend ein-
gehalten werden müssen, wenn Mitarbeiter von Hochschulen
oder Forschungseinrichtungen sich in ihren Arbeitsverträgen
zur Arbeit nach den wissenschaftlichen Gepflogenheiten ver-
pflichten. Werden diese dann nicht eingehalten, kann der Ver-
stoß sogar arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
DFN-Infobrief Recht 09 / 2019 | Seite 8
PowerPoint und das Urheberrecht – Teil 2
Urheberrechtliche Fragestellungen bei präsentationsbasierten Vorträgen –
Publikumssicht
von Armin Strobel
In einem zweiteiligen Infobrief soll auf die urheberrechtlichen Fallstricke aufmerksam gemacht
werden, die sich im Zusammenhang mit präsentationsbasierten Vorträgen ergeben. Im ersten Teil
ging es um die Perspektive des Vortragenden und die Frage, wie dieser urheberrechtskonform
PowerPoint-Folien nutzen und dabei auch fremde Inhalte mit in die Vortragsfolien aufnehmen
kann.1 In diesem zweiten Teil soll nun der Blick auf das Publikum gerichtet werden, um zu klären,
inwiefern dieses die dargebotenen Vortragsfolien für eigene Zwecke nutzbar machen kann.
I. Problemaufriss
So1 wie PowerPoint-Präsentationen und andere Präsentati-
onsmedien zur Unterstützung von Vorträgen zum Standard
geworden und für Vortragende kaum noch wegzudenken
sind, möchte auch das Publikum nicht mehr auf eine solche
Unterstützung von Vorträgen verzichten. Für das Publikum
erleichtern die Vortragsfolien oftmals die Nachvollziehbarkeit
des Vortrags und bieten die Möglichkeit, die Inhalte auch im
Nachgang noch einmal zu studieren. Nicht selten lassen sich
daher vereinzelte Personen aus dem Publikum dazu verleiten,
die Folien während des Vortrags abzufotografieren. Aber auch
die zum Download bereitgestellten Foliensätze werden gerne
genutzt, indem sie kopiert und auch mit weiteren Personen
geteilt werden.
Sofern die Vortragsfolien selbst ein Werk im Sinne des Urhe-
berrechts darstellen und/oder solche Werke von Dritten ent-
halten, besteht die Gefahr, dass mit solchen Handlungen das
Urheberrecht einer anderen Person verletzt wird.
Ähnlich wie der Dozent sollten sich daher auch Personen aus
dem Publikum die nachfolgenden drei Fragen stellen, wenn sie
die Vortragsfolien in der beschriebenen Art und Weise nutzen
möchten: 1. Handelt es sich bei den Vortragsfolien um ein Werk
im Sinne des Urheberrechts und enthalten die Folien darüber
1 Der erste Teil des Infobriefs findet sich in: Strobel, PowerPoint und
das Urheberrecht – Teil 1, DFN-Infobrief Recht 08/2019.
hinaus weitere Werke eines Dritten? 2. Greife ich mit mei-
nen Handlungen in das Urheberrecht dieser Werke ein? Und
3. Habe ich eine Berechtigung für diese Eingriffe?
Das weite Begriffsverständnis des Urheberrechts führt auch
hier dazu, dass bereits die Vortragsfolien des Dozenten in
der Regel als urheberrechtlich geschütztes Werk angesehen
werden müssen. Der Anwendungsbereich des Urheberrechts
ist somit auch bezüglich der Nutzung der Folien durch das
Publikum eröffnet und muss insoweit berücksichtigt werden.
Das gilt umso mehr, wenn die Vortragsfolien außerdem urhe-
berrechtlich geschützte Werke von Dritten enthalten.
II. Eingriffe in das Urheberrecht durch einzelne Personen des Publikums
Durch das Abfotografieren der Vortragsfolien fertigt die han-
delnde Person eine Kopie der entsprechenden Folie an und
greift damit in das Vervielfältigungsrecht des Urhebers (in der
Regel ist das der Vortragende) gemäß § 16 UrhG ein. Außerdem
greifen die Mitglieder aus dem Publikum in das Verbreitungs-
recht gemäß § 17 UrhG ein, wenn sie körperliche Vervielfälti-
gungsstücke in den Verkehr bringen oder anbieten, indem sie
die Folien zum Beispiel ausdrucken und weitergeben.
Auch ein Eingriff in das Recht der öffentlichen Zugänglichma-
chung gemäß § 19a UrhG kommt in Betracht, wenn die abfoto-
DFN-Infobrief Recht 09 / 2019 | Seite 9
grafierten oder heruntergeladenen Vortragsfolien gegenüber
Mitgliedern der Öffentlichkeit nach Ort und Zeit ihrer Wahl
zugänglich gemacht werden, also in der Regel im Internet ver-
öffentlicht werden.2
III. Berechtigungen für das Publikum
Das Publikum kann somit auf verschiedenste Art und Weise in
fremde Urheberrechte eingreifen. Aber auch bei dieser Gruppe
von Personen gilt, dass der Eingriff als solcher in ein fremdes
Urheberrecht nicht automatisch zu einer Haftung und mögli-
chen Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen führt.
Entscheidend ist, ob die Mitglieder des Publikums eine Erlaub-
nis oder Berechtigung für diese Eingriffe haben.
1. Individualerlaubnis
Die eindeutigste Möglichkeit, die präsentierten Vortragsfolien
in urheberrechtskonformer Weise zu nutzen, bietet auch für
das Publikum die Individualerlaubnis. Hierbei kann der Dozent
mit dem Publikum klar und eindeutig vereinbaren, in wel-
cher Form die Folien genutzt werden dürfen. So kann sich der
Dozent beispielsweise damit einverstanden erklären, dass das
Publikum die Folien abfotografieren darf und diese Vervielfäl-
tigungsstücke auch mit Kolleginnen und Kollegen geteilt wer-
den dürfen, die Bereitstellung im Internet aber nicht erfolgen
soll.
Stellt der Dozent die Folien im Anschluss seines Vortrags zum
Download bereit, kann die Rechteeinräumung zur Nutzung
der Folien durch das Publikum auch mithilfe freier Lizenzen
erfolgen. Insoweit sei an dieser Stelle auf den ersten Teil des
Infobriefs verwiesen.
2. Wissenschaftsschranken gemäßmmmmm
§§ 60a ff. UrhG
Die Eingriffe in das Urheberrecht des Vortragenden durch
das Publikum können grundsätzlich auch durch die Wissen-
2 Dazu auch ausführlich im ersten Teil des Infobriefs: Strobel, Pow-
erPoint und das Urheberrecht – Teil 1, DFN-Infobrief Recht 08/2019.
Siehe zur Thematik der freien Lizenzen auch Mörike, Der Preis der
Freiheit, DFN-Infobrief Recht 04/2017 und Strobel, Frei – aber nicht
grenzenlos!, DFN-Infobrief Recht 07/2018.
schaftsschranken der §§ 60a ff. UrhG gerechtfertigt werden.
Da die Voraussetzungen für eine Rechtfertigung nach diesen
Vorschriften für den Vortragenden und das Publikum identisch
sind, sei auch insoweit auf die Ausführungen des ersten Teils
verwiesen.
Für das Publikum ist jedoch besonders interessant und rele-
vant, dass Bild- und Tonaufnahmen von öffentlichen Vorträgen
beziehungsweise Aufführungen nicht angefertigt und später
öffentlich zugänglich gemacht werden dürfen (vergleiche
§ 60a Abs. 3 und § 60c Abs. 4 UrhG). Das bedeutet, dass die Wis-
senschaftsschranken nicht das Abfotografieren der Vortragsfo-
lien während eines öffentlichen Vortrags selbst rechtfertigen
können. Auch dürfen solche Fotos nicht anschließend im Inter-
net bereitgestellt werden. Das Publikum kann sich jedoch
auf die Wissenschaftsschranken stützen, wenn es Kopien der
Vortragsfolien, die der Vortragende zum Beispiel im Internet
für das Publikum seines Vortrags zur Verfügung stellt, für die
Veranschaulichung im Unterricht und Lehre oder die wissen-
schaftliche Forschung nutzen möchte und dafür weitere urhe-
berrechtsrelevante Eingriffe erforderlich sind. Hierbei ist zum
Beispiel an eine erneute Vervielfältigung zu denken.
3. Privatkopierfreiheit gemäß § 53 UrhG
Als eine weitere Schranke zur Rechtfertigung der Eingriffs-
handlungen durch das Publikum kommt die sogenannte Pri-
vatkopierfreiheit gemäß § 53 UrhG in Betracht. Zulässig sind
hiernach einzelne Vervielfältigungen eines Werks zum priva-
ten Gebrauch, sofern diese weder unmittelbar noch mittelbar
Erwerbszwecken dienen. Mit Hilfe der Schranke lassen sich
jedoch ausschließlich Vervielfältigungshandlungen im Sinne
des § 16 UrhG rechtfertigen. Das Publikum kann sich also nur
für das Abfotografieren auf diese Schranke stützen, nicht aber
wenn es die Folien beziehungsweise die Fotos anschließend
im Internet bereitstellen möchte. Außerdem dürfen die Ver-
vielfältigungen nur zum privaten Gebrauch genutzt werden,
also zu Befriedigung rein persönlicher Bedürfnisse. Zu denken
ist hier beispielsweise an ein rein privates Interesse am Vor-
tragsthema. Nicht erlaubt ist hingegen die Verwendung der
Bilder für den Beruf. Eine solche Nutzung dient zumindest
mittelbar Erwerbszwecken und ist von der Schrankenregelung
ausdrücklich nicht erfasst.
DFN-Infobrief Recht 09 / 2019 | Seite 10
Ebenfalls von Bedeutung ist, dass die Vorlage nicht offensicht-
lich rechtswidrig hergestellt worden sein darf oder öffentlich
zugänglich gemacht worden ist, § 53 S. 1 UrhG a. E. Das kann
eine Rolle spielen, wenn das Publikum erkennen kann, dass
in den Vortragsfolien fremde Werke von Dritten gezeigt wer-
den. Möchte jemand aus dem Publikum diese Folien dennoch
abfotografieren, sollte er oder sie sich vergewissern, dass der
Vortragende das fremde Werk für seine Vortragsfolien nutzen
durfte und jedenfalls nicht ohne Weiteres von der Rechtmäßig-
keit der Übernahme ausgehen.
4. Sonderfall des unwesentlichen Beiwerks
gemäß § 57 UrhG
Eine kleine Besonderheit stellt außerdem die Schranke des
§ 57 UrhG dar, nach der fremde Werke vervielfältigt, verbreitet
und öffentlich zugänglich gemacht werden dürfen, wenn sie
als unwesentliches Beiwerk anzusehen sind. Hiervon ist aus-
zugehen, wenn die Vortragsfolien als urheberrechtliches Werk
bei den entsprechenden Handlungen (also dem Abfotografie-
ren und der Bereitstellung dieser Fotos im Internet) nicht im
Vordergrund des Fotos stehen, sondern eher eine Randerschei-
nung einer Gesamtabbildung darstellen.
Die Schrankenregelung ist somit vor allem für die Pressearbeit
interessant, wenn von einer Vortragsveranstaltung berich-
tet werden soll und dafür Fotos gemacht werden, auf denen
neben anderen Dingen (zum Beispiel dem Vortragsraum samt
Auditorium) auch einzelne Vortragsfolien zu sehen sind. Sol-
che Bilder dürfen auf Grundlage der Schranke des § 57 UrhG
angefertigt und anschließend veröffentlicht werden, da nicht
die Vortragsfolien im Fokus der Abbildung stehen, sondern die
Berichterstattung über die Veranstaltung als solche.
IV. Zusammenfassung
Das Publikum eines Vortrags, das die gezeigten Vortragsfolien
abfotografieren und anschließend in verschiedenster Form
nutzen möchte, greift aufgrund des weiten Werksbegriffs,
unter den auch PowerPoint-Folien des Dozenten zu fassen
sein können, in der Regel in fremde Urheberrechte ein. Ebenso
wie für den Dozenten, der fremde Werke in seinen Vortrags-
folien nutzen möchte, bietet das Urheberrecht aber auch für
das Publikum verschiedene Möglichkeiten an, wie eine solche
Werknutzung dennoch urheberrechtskonform ausgestaltet
werden kann. Die rechtssicherste Lösung ist dabei die individu-
elle Rechteeinräumung durch den Urheber, der in der Regel der
Dozent selbst ist. Der Dozent und das Publikum können dabei
ganz genau vereinbaren, wie und wofür das Werk genutzt wer-
den darf (siehe hierzu ausführlicher III. 1.). Aber auch ohne eine
solche Vereinbarung gibt es Möglichkeiten, wie das Publikum
die Vortragsfolien nutzen kann. Die Schrankenregelungen des
Urheberrechts ermöglichen im unterschiedlichen Umfang und
unter unterschiedlichen Voraussetzungen eine interessenge-
rechte Nutzung durch das Publikum. Die hier vorgestellten
Regelungen stellen dabei nur eine kleine Auswahl der rechtli-
chen Möglichkeiten dar.
Auch für die Perspektive des Publikums gilt dabei, dass die
möglichen Urheberrechtseingriffe ebenso wie deren Recht-
fertigung sehr vielfältig sind, sodass auch der zweite Teil des
Infobriefs lediglich auf die urheberrechtlichen Risiken hinwei-
sen möchte, ohne eine allgemeingültige Antwort auf die Frage
zu geben, wie die Vortragsfolien durch das Publikum urheber-
rechtskonform genutzt werden können.
Zusammenfassend lässt sich sowohl hinsichtlich des Dozen-
ten als auch aus der Perspektive des Publikums festhalten,
dass sich alle Beteiligten vor einer Nutzung von fremden Inhal-
ten oder Vortragsfolien mit den drei zu Beginn aufgeworfenen
Fragen (1. Urheberrechtliches Werk?, 2. Welche Eingriffshand-
lungen? und 3. Lassen sich die Eingriffe rechtfertigen?) aus-
einandersetzen sollten. Mit Hilfe dieser Fragen lässt sich die
Gefahr einer urheberrechtlichen Haftung deutlich reduzieren.
Darüber hinaus kann und sollte in Zweifelsfällen juristischer
Rat zu Hilfe genommen oder auf das Abfotografieren oder Her-
unterladen verzichtet werden.
DFN-Infobrief Recht 09 / 2019 | Seite 11
Impressum
Der DFN-Infobrief Recht informiert über aktuelle Entwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung und daraus resultierende
mögliche Auswirkungen auf die Betriebspraxis im Deutschen Forschungsnetz.
Herausgeber
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Redaktion
Forschungsstelle Recht im DFN
Ein Projekt des DFN-Vereins an der WESTFÄLISCHEN WILHELMS-UNIVERSITÄT, Institut für Informations-, Telekommunikations- und
Medienrecht (ITM), Zivilrechtliche Abteilung
Unter Leitung von Prof. Dr. Thomas Hoeren
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