zytogenetische und therapeutische gesichtspunkte bei der kieferorthopädischen behandlung...

9
Zytogenefische und therapeutische Gesichtspunkte bei der kieferorthopfidischen Behandlung mon~oloider Kinder M. Freisfeld, E. A. Holtgrave, E. Schwinger, Bonn Poliklinik ffir Kieferorthop~tdie der Universit~tts-Klinikf~irZahn-, Mund- und Kieferkrankheiten(Direk- tor: Prof. Dr. Dr. G. P. F. Schmuth); Chromosomenlabor am Institut ftir Rechtsmedizin der Universit~t (Direktor: Prof. Dr. U. Heifer) Bonn Mit 4 Abbildungen Einleitung Infolge der h~ufigeren zytogenefischen Untersuchungen gewinnt ein Krankhdts- bild auch ft~r unser Fachgebiet mehr Interesse, n~mlich die Trisomie 21, frt~her als Down-Syndrom, Langdon-Down-Syndrom, Mongolismus oder G-Trisomie be- zeichnet (Down [6]). Sic findet sich auf 500 bis 800 Geburten dnmal. Es zeigte sich, dab der Trisomie 21 eine numerische Chromosomenabcrration zugrunde liegt. Bei der h~ufigsten Form der freien Trisomie 21 liegen statt 46, 47 Chromosomen vor. Das t~berz~hlige Chromosom geh6rt der Gruppe 21 an. Mit den besseren allgemein-medizinisch- therapeutischen M6glichkeiten erreichen diese Kinder das Erwachsenenalter und mt~ssen in die Gesellschaft integriert werden (Cato [3]). Pathozytogenetisch finden sich drei verschiedene Formen: 1. die freie Trisomie 21, 2. die Translokation, 3. der Mosaikstatus. Die normale Chromosomenzahl von 46 Chromosomen beim Gesunden ist beim mongoloiden Patienten um 1 Chromosom erhOht. Liegt das tiberz~thlige Chromo- som ungebunden der Gruppe 21 an, wird dies als freie Trisomie 21 bezeichnet. Diese Form wird in 95O7o der F~tlle nachgewiesen (Abb. 1). Bei der Translokation ist das {iberz~ihlige Chromosom der Gruppe 21 transloziert und dem Chromosomenpaar 14 angeh~ingt. Der Mosaikstatus beruht auf einer postzygotischen Fehlverteilung, d. h. es finden sich im gleichen Organismus eine Zell-Linie mit 46 und eine mit 47 Chromosomen. Das klinische Erscheinungsbild des Down-Syndroms ist sehr breit gef~ichert und umfaBt total retardiert erscheinende Kinder his zu solchen mit beachtlichen geistigen F~ihigkeiten (Sergovich et al. [19]). Es scheint so zu sein, dab sich der bei den Eltern vorhandene Intelligenzgrad bei ihrem mongoloiden Kind auf einem entsprechend tieferen Niveau manifestiert (Trevisan [22]). Dartiber hinaus beobachtet man, dab z. B. Kinder, die in der eigenen Familie aufwachsen, besser entwickelt erscheinen als Heimkinder, was den Weft frfihkindlicher F6rderung unterstreicht. Auch bei unse- ten Patienten waren diese Unterschiede auff~tllig, was uns veranlaBt hat, alle Patien- ten nochmals zytogenetisch abzukl~iren unter Befiicksichtigung der drei verschiede- nen Formen der Trisomie 21, n~imlich der ,,freien Trisomie 21", der Translokation 362 Fortschr. Kieferorthop. 41 (1980), 362--370 (Nr. 3)

Upload: m-freisfeld

Post on 15-Aug-2016

216 views

Category:

Documents


1 download

TRANSCRIPT

Page 1: Zytogenetische und therapeutische Gesichtspunkte bei der kieferorthopädischen Behandlung mongoloider Kinder

Zytogenefische und therapeutische Gesichtspunkte bei der kieferorthopfidischen Behandlung mon~oloider Kinder M. Freisfeld, E. A. Holtgrave, E. Schwinger, Bonn

Poliklinik ffir Kieferorthop~tdie der Universit~tts-Klinik f~ir Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten (Direk- tor: Prof. Dr. Dr. G. P. F. Schmuth); Chromosomenlabor am Institut ftir Rechtsmedizin der Universit~t (Direktor: Prof. Dr. U. Heifer) Bonn

Mit 4 Abbildungen

Einleitung

Infolge der h~ufigeren zytogenefischen Untersuchungen gewinnt ein Krankhdts- bild auch ft~r unser Fachgebiet mehr Interesse, n~mlich die Trisomie 21, frt~her als Down-Syndrom, Langdon-Down-Syndrom, Mongolismus oder G-Trisomie be- zeichnet (Down [6]).

Sic findet sich auf 500 bis 800 Geburten dnmal . Es zeigte sich, dab der Trisomie 21 eine numerische Chromosomenabcrra t ion zugrunde liegt. Bei der h~ufigsten Form der freien Trisomie 21 liegen statt 46, 47 Chromosomen vor. Das t~berz~hlige Chromosom geh6rt der Gruppe 21 an. Mit den besseren allgemein-medizinisch- therapeutischen M6glichkeiten erreichen diese Kinder das Erwachsenenalter und mt~ssen in die Gesellschaft integriert werden (Cato [3]).

Pathozytogenetisch finden sich drei verschiedene Formen:

1. die freie Trisomie 21, 2. die Translokation, 3. der Mosaikstatus.

Die normale Chromosomenzahl von 46 Chromosomen beim Gesunden ist beim mongoloiden Patienten um 1 Chromosom erhOht. Liegt das tiberz~thlige Chromo- som ungebunden der Gruppe 21 an, wird dies als freie Trisomie 21 bezeichnet. Diese Form wird in 95O7o der F~tlle nachgewiesen (Abb. 1).

Bei der Translokation ist das {iberz~ihlige Chromosom der Gruppe 21 transloziert und dem Chromosomenpaar 14 angeh~ingt.

Der Mosaikstatus beruht auf einer postzygotischen Fehlverteilung, d. h. es finden sich im gleichen Organismus eine Zell-Linie mit 46 und eine mit 47 Chromosomen.

Das klinische Erscheinungsbild des Down-Syndroms ist sehr breit gef~ichert und umfaBt total retardiert erscheinende Kinder his zu solchen mit beachtlichen geistigen F~ihigkeiten (Sergovich et al. [19]). Es scheint so zu sein, dab sich der bei den Eltern vorhandene Intelligenzgrad bei ihrem mongoloiden Kind auf einem entsprechend tieferen Niveau manifestiert (Trevisan [22]). Dartiber hinaus beobachtet man, dab z. B. Kinder, die in der eigenen Familie aufwachsen, besser entwickelt erscheinen als Heimkinder, was den Weft frfihkindlicher F6rderung unterstreicht. Auch bei unse- ten Patienten waren diese Unterschiede auff~tllig, was uns veranlaBt hat, alle Patien- ten nochmals zytogenetisch abzukl~iren unter Befiicksichtigung der drei verschiede- nen Formen der Trisomie 21, n~imlich der ,,freien Trisomie 21", der Translokation

362 Fortschr. Kieferorthop. 41 (1980), 362--370 (Nr. 3)

Page 2: Zytogenetische und therapeutische Gesichtspunkte bei der kieferorthopädischen Behandlung mongoloider Kinder

Kieferorthopiidie bei Mongolismus

Abb. 1. Karyogramm eines M/~d- chens mit freier Trisomie 21. Q- Banden-Darstellung, ca. 2000- fache Vergr6Berung.

Abb. 2. Unterschiedliche Merkmalsauspr~gung bei Kindern mit gleichem zytogenetischen Befund, n~n- lich der freien Trisomie 21.

und des Mosaizismus. In diesem Zusammenhang ist der MosaikausschluB am wich- tigsten, da durch das Vorhandensein einer Zell-Linie mit 46 und einer mit 47 Chro- mosomen in einem Organismus eine Abschwfichung der Merkmalsauspr~igung er- folgt, was prognostisch for die kieferorthopfidische Behandlung von Bedeutung sein kOnnte (Abb. 2).

Fortschr. Kieferorthop. 41 (1980), 362--370 (Nr. 3) 363

Page 3: Zytogenetische und therapeutische Gesichtspunkte bei der kieferorthopädischen Behandlung mongoloider Kinder

M. Freisfeld, E. A. Holtgrave, E. Schwinger

Neben den bekannten Kardinalsymptomen, verbunden mit geistiger Retardie- rung, sind Gebil3fehlbildungen, die einer kieferorthop~idischen Behandlung bedgr- fen, fast ausnahmslos vorhanden (Kisling [141, Spitzer et al. [201, Dausch-Neumann [51, Brown et al. [2]).

Unser BemiJhen mul3 sich deshalb mehr auf die therapeutischen MOglichkeiten konzentrieren. Dazu stetlen sich folgende Fragen:

1. Sind mongoIoide Kinder erfolgreich kieferorthop~disch zu behandeln? 2. Welche kieferorthop~idischen Behandlungsmittel erscheinen am zweckm~t3igsten

zu sein, bzw. mit welcher Apparatur sind die besten kieferorthop~dischen Ergeb- nisse zu erzieten?

3. Besteht ein Zusammenhang zwischen chromosomalem Status und dem Erfolg ei- ner kieferorthopfidischen Behandlung beim mongoloiden Kind?

Methode

Wir untersuchten 10 zur Zeit in kieferorthop~idischer Behandlung stehende mon- goloide Kinder im Alter von 10 bis 22 Jahren, die alle in der eigenen Familie auf- wachsen. Bei 2 Kindern handelt es sich um einen Behandlungsbeginn.

Die Beurteilung des Kiefergesichtsbereiches fand besondere Beracksichtigung.

Modellvernzessung

Die Modelle wurden dreidimensional vermessen, die Panorexaufnahme ausgewertet und die dentalen Befunde erhoben.

Kephalometrische Analyse

Die kephalometrische Auswertung wurde nach Hasund durchgefahrt unter Berticksichtigung folgender Winkel:

SNA, SNB, ANB, ML-NSL, ML-NL, NL-NSL, ! - NA, 1" NB

Das Verh~iltnis hintere zu vorderer GesichtshOhe wurde nach Jarabak bestimmt (SGo:NMe). Die Lgn- genmessung der vorderen Sch~.delbasis, des Oberkiefers und des Unterkiefers nach A. M. Schwarz wurde in die Untersuchung mit einbezogen. Der Proportionsberechnung liegt die Lfinge der vorderen Sch~del- basis zugrunde: NS + 3 = UK-Lfinge; 2/3 der errechneten UK-Lfinge ergibt die entsprechende Oberkie- ferl~inge.

KieferorthopOdische BehandlungsmaJJnahmen

Die kieferorthop~dische Behandlung wurde ausschliel31ich mit abnehmbaren Get,ten durchgefiihrt.

Zytogenetisehe ~tersuchungsmethode

Ubliche Chromosomendarstellung nach Lymphozytenkultur. F~rbung der Chromosomen mit Quinacrin-Mustard (Q-Banden), Karyotypierung entsprechend tier Paris-Nomenklatur.

Befunde

Bei fast allen Patienten war der Schmalkiefer im Oberkiefer mehr oder weniger stark ausgepr~gt und zeigte sich als Kreuzbit3 nur einzelner Z~ihne bis zum beidseiti- gen Kreuzbil3 in drei F~illen.

Auch vertikale Unstimmigkeiten in der Front variieren von Patient zu Patient, vom knappen verkehrten I21berbil3 bis zum frontal offenen Big, 8 Kinder batten eine

364 Fortschr. Kieferorthop. 41 (1980), 362--370 (Nr. 3)

Page 4: Zytogenetische und therapeutische Gesichtspunkte bei der kieferorthopädischen Behandlung mongoloider Kinder

Kieferorthopgidie bei Mongoloismus

Dysgnathie der Befundgruppe 3 nach Schrnuth [18] mit ungesicherten neutralen Ok- klusionsverh~ltnissen, w~ihrend 2 von den 10 untersuchten Kindern eine Klasse-3- Verzahnung aufwiesen. Zahnnichtanlagen und Zahnhypoplasien waren entspre- chend haufig. Sie sind ft~r das Krankheitsbild charakteristisch (Tab. I). Typisch war die bei jedem Kind in unterschiedlicher Auspr~igung vorhandene Lingua plicata. A1- le Patienten hatten leichte marginale Gingivitiden bei nahezu kariesfreiem Gebil3. Bei 9 Kindern bestand ein fast vollst~ndiger Lippenschlul3. Ein ausgepragter Zun- genprolaps lag nie vor. Nach der kephalometrischen Auswertung war die vordere Schfidelbasis, verglichen mit den Standardwerten von Higley [11]~ verkiarzt und ent- sprach den Werten 6- bis 8j~ihriger Kinder. Gleichermal3en verkt~rzt waren die Werte ffir die Ober- und Unterkieferl~inge, d. h. nach der Proportionsberechnung von A. M. Schwarz wurden die errechneten Sollwerte von 8 Kindern erreicht. Bei 2 Kindern handelte es sich um eine echte mandibulfire Prognathie (Tab. II). Im iabrigen waren beide Kiefer entweder im orthognathen, prognathen oder retrognathen Bereich gele- gen. Eine Ausnahme bilden die 2 ProgeniefNle.

Der Neigungswinkel der Mandibula zur vorderen Sch~idelbasis war bei 8 Kindern vergr013ert. Auffallend war auch der vergr0Berte Grundebenenwinkel. Das Verhfilt- his hintere zur vorderen Gesichtsh0he entspricht teils der counterclockwise und teils der clockwise Wachstumstendenz bei normalem Basionwinkel in allen Fgllen. Der am hfiufigsten festgestellte labiale Kippstand der Unterkieferfront ist als Hauptursa- che der progenen Frontverzahnung anzusehen (Tab. III). Der als erstes verwendete funktionskieferorthop~idische Apparat wurde nur von 2 Kindern toleriert, w~ihrend dieser bei den iibrigen trotz bestehendem Lippenschlul3 erfolglos war, so dab die Be- handlung mit aktiven Platten fortgesetzt werden mul3te. Zur Retraktion des habi-

T a b . I. Z u s a m m e n s t e l l u n g der d e n t o g e n e n B e f u n d e bei 10 n a c h u n t e r s u c h t e n m o n g o l o i d e n K i n d e r n .

P a t . Z a h n b e f u n d Kreuzbil3 Uberbil3 Nr . N i c h t a n l a g e n h y p o p l a s t . B e f . - G r . r ech t s zirkul~tr l inks n o r m a l Kopfbil3 o f t e n p r o g e n

A Z A Z A Z A Z A Z A Z A Z A Z

42 ,32 3 3 x x x x

12,22 3 2 /1 M x M x x x x

45 ,35 17,27 3 3 M x x x x x x

12,22 4 4 x x

3 3 - - x - - - - x x

12 ,22 ,13 ,15 ,25 ,35 , 41 3 x x 45,31

17,27 12,22 3 M x x

12 22 3 4 x x

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

3 3 - -

12,15,25 3 3

M1 x x P 2

- - - - M 1 x

x P 2

x

F o r t s c h r . K i e f e r o r t h o p . 41 (1980), 3 6 2 - - 3 7 0 (Nr . 3) 365

Page 5: Zytogenetische und therapeutische Gesichtspunkte bei der kieferorthopädischen Behandlung mongoloider Kinder

M. Freisfetd, E. A. Holtgrave, E. Schwinger

T a b . I I . K e p h a l o m e t r i s c h e A u s w e r t u n g : S t r e c k e n ( r n m ) .

N S OK UK SG o:NM e

N r . P a t . A Z A Z A Z A Z

(41 ,33) (63) (64°70) 1. A . M . 60 42 63 6 4 : 1 0 0

(37 ,33) (42 ,6) (56) (64) ( 6 3 , 8 % ) ( 6 7 , 3 % ) 2. B . E . 53 61

36 40 65 72 6 0 : 9 4 7 0 : 1 0 4

(36) (42) (56) (63) ( 7 3 , 4 % ) (87,6°70) 3. H . S . 53 60

40 41 65 75 6 4 : 8 7 7 8 : 8 9

(41 ,33) (43 ,3 ) (63) (65) (58,58°70) ( 5 9 , 2 5 % ) 4. K . M . 60 62

37 41 51 64 5 8 : 9 9 6 4 : 1 0 8

(44 ,0 ) (44 ,66 ) (66) (67) (78,88°7o) ( 7 6 , 4 1 % ) 5. Q . J . 63 64

39 42 77 78 8 2 : 1 0 4 8 t : 1 0 6

(41 ,3 ) (62) ( 6 3 . 5 % ) 6. R . B . 59 41 62 6 1 : 9 6

(40 ,0 ) (60) (62,8°7o) 7. R . S . 57 41 65 6 1 : 9 7

(42 ,66 ) (64) ( 6 6 , 6 % ) 8. S . W . 61 42 65

(40 ,0 ) (39 ,3) (60) (59) ( 5 7 % ) ( 6 0 , 5 % ) 9. S c h . C . 57 56 37 41 61 64 5 7 : 1 0 0 6 3 : 1 0 4

(40 ,6) (42) (61) (63) (65,5°7o) ( 6 9 , 5 ° 7 o ) 10. T . C h . 58 60

39 42 64 61 57 :87 6 4 : 9 2

T a b . I I I . K e p h a l o m e t r i s c h e A u s w e r t u n g : W i n k e l ( G r a d ) .

S N A S N B A N B M L - N S L M L - N L N L - N S L 1 - N A 1"- N'-B

Pat. N r . A Z A Z A Z A Z A Z A Z A Z A Z

1. A . M . 81,5 ° 8I ° - 0 ,5 ° 36 ° 26,5 ° 10 ° 25 ° 26 °

2. B . E . 86 ° 8 t ° 81 ° 78 ° 5 ° 3 ° 36 ° 31 ° 23 ° 16 ° 13 ° I 4 ° 21,5 ° 26 ° 30 ° 25 °

3. H . S . 89 ° 83 ° 89 ° 89 ° 0 ° - 6 24 ° 10 ° 9 ° 8 ° 10 ° 2 ° 18 ° 32 ° 41 ° 23 °

4. K . M . 76 ° 78 ° 70 ° 71 ° 6 ° 7 ~ 42,5 ° 43 ° 32 ° 29 ° 9 ° 11,5 ° 22 ° 28,5 ° 28 ° 29,5 °

5. Q . J . 87 ° 89 ° 96 ° 92 ° -9 ° - 3 ° 19 ° 20 ° 11 ° 3 ° 3 ° 3 ° 25 ° 30 ° 21 ° 18,5 °

6. R . B . 81 ° 81 ° 0 ° 32 ° 25 ° 8 ° 26 ° 27 °

7. R . S . 77 ° 75 ° 2 ° 36 ° 21 ° 15 ° 27 ° 21 °

8. S . W . 86 ° 81 ° + 5 ° 34 ° 27,5 ° 5 ° 26 ° 24 °

9. S . C . 79 ° 75 ° 73,5 ° 73 ° 5,5 ° 2 ° 42 ° 44 ° 22 ° 26 ° 22 ° 16,5 ° 27 ° 16 ° 25 ° 34 °

10. T . C . 76 ° 80,5 ° 79 ° 77,5 ° -3 ° 3 ° 30 ° 27 ° 20 ° 17,5 ° 11 ° 10 ° 25 ° 28 ° 29 ° 22 °

tuell protrahiert gehaltenen Unterkiefers wurden teilweise intermaxill~ire Gummizti- ge verwendet.

Ergebnisse

Bei 8 Kindern konnte bisher nicht nur der Kreuzbig, sondern auch die vertikale und sagittale Dimension verbessert werden. Das wird auch kephalometrisch best~i- tigt. Die deutlichsten Ver~inderungen finden sich jedoch im dentoalveol/iren Bereich

366 F o r t s c h r . K i e f e r o r t h o p . 41 (1980) , 3 6 2 - - 3 7 0 ( N r . 3)

Page 6: Zytogenetische und therapeutische Gesichtspunkte bei der kieferorthopädischen Behandlung mongoloider Kinder

Kieferorthopgidie bei Mongolismus

Abb. 3a

Abb. 3b

Abb. 3a und 3b. Der Modellbe- fund zeigt die Verbesserung in tier vertikalen Dimension bei 2 Ffil- len. a = vor der Behandlung, b = jetziger Zustand.

Abb. 4. Metaphasenplatte der Patientin Ch. T., 2000fache Ver- gr613erung. F~trbung: Quinacrin- Mustard. Markierung der 3 Chro- mosomen 21 durch Pfeile.

(s. Tab. I). In einigen Ffillen konnte KopfbiB erreicht werden, die frontal offenen Bisse verringerten sich, und bei einigen Patienten wurde sogar ein normaler UberbiB erzielt (Abb. 3a und 3b).

Das allgemeine Schfidelwachstum erfolgt verz6gert in deutlich verkleinertem Maf3stab, d. h. die Dimensionen gesunder Kinder wurden in keinem Fall erreicht (Frostad et al. [8]).

Fortschr. Kieferorthop. 41 (1980), 362--370 (Nr. 3) 367

Page 7: Zytogenetische und therapeutische Gesichtspunkte bei der kieferorthopädischen Behandlung mongoloider Kinder

M. Freisfeld, E. A. Holtgrave, E. Schwinger

Nach den zytogenetischen Untersuchungen liegt bei allen Patienten eine freie Tri- somie 21 vor (Abb. 4).

Diskussion

Unsere Untersuchungen best~itigen die Ergebnisse von Hall [10], Pfeiffer [16], Weicker [23], dab die Merkmalspr~tgung bei Patienten mit Morbus-Down-Syndrom recht unterschiedlich ist, d. h., es kann vom Ph~tnotyp allein nicht auf den vorliegen- den Chromosomenstatus geschlossen werden (Sergovich et al. [19]).

Ebenso unterschiedlich ausgepr/agt sind die im Kiefer-Gesichtsbereich anzutref- fenden Kardinalsymptome des Morbus Down wie orofaziale Muskelschw~tche, Zun- genprolaps, mangelhafter Lippenschlui3 mit Mundatmung, Zahnunterzahl und Zahnhypoplasien, zahn~rztlicher und kieferorthop~discher Befund. Wie wit fest- stellen konnten, scheint die Myotherapie im fr~hen Kindesalter eine entscheidende Rolle ftu- die Besserung der Symptomatik zu sein. Der Mundschlul3 und die Verbes- serung der Zungenfehlhaltung kann, wie unsere Untersuchungsergebnisse zeigen, bei jedem Kind mit Morbus Down erreicht werden. Dies ist eine entscheidende Vor- aussetzung fiar eine erfolgreiche kieferorthop~idische Behandlung. Gleichzeitig feh- len die fast ausnahmslos in der Literatur angegebenen Parodontopathien (Brown et al. [2], Jensen, Cleall 1973, Millan u. Kashgarian [15]), was auf die bessere Mundhy- giene bei famili~ir betreuten Kindern zurtickzuftihren ist. fJberhaupt scheint sich das famili~ire Milieu gOnstig auf die weitere Entwicklung des Kindes auszuwirken. Der als erstes verwendete funktionskieferorthop~tdische Apparat brachte nur bei 2 Kin- dern den erwarteten Erfolg, w~thrend bei den t~brigen die kieferorthop~idische Be- handlung mit aktiven Platten fortgeft~hrt werden mul3te. Da t~ber kieferorthop~idi- sche Behandlungsergebnisse bei mongoloiden Kindern keine vergleichbaren Unter- suchungen in der Literatur zu finden sind, kOnnen wit anhand unserer kleinen Pa- tientenzahl einschr~nkend sagen, dal3 das funktionskieferorthop~dische Ger/~t in der Regel nicht die geeignete Behandlungsapparatur ist. MOglicherweise besteht hier ein Zusammenhang zwischen der im Rahmen des Krankheitsbildes allgemein be- schriebenen Myatonie (Pfeiffer [16]).

Die orofaziale Muskelschw~che ist zwar durch Training soweit zu bessern, dab ein LippenschluB erreicht wird, die Voraussetzungen ftir die Funktionskieferorthop~tdie sind damit jedoch noch nicht erft~llt (Andresen et al. [1], Sehmuth [18]).

Unsere kephalometrischen Befunde best~ttigen die in der Literatur angegebenen Ergebnisse, dab die abweichende, aber charakteristische skelettale Entwicklung beim Morbus-Down-Patienten nicht einheitlich ist, sondern eine groBe Variabilit~it aufweist (Kisling [14], Spitzer et al. [20]). Gerade tier zytogenetische Nachweis von nur einer Form des Morbus-Down-Syndroms, n~mlich der freien Trisomie 21, un- terstreicht die graduellen Unterschiede der Merkmalsausbreitung.

Zusammenfassung 10 in kieferorthop~discher Behandlung stehende mongoloide Kinder wurden nachuntersucht und der

cytogenetische Befund erneut festgestellt. Es zeigte sich, dab Kinder mit einer freien durchg~ngigen Tri- somie 21 in der Regel kieferorthop~disch zu behandeln sind. Die kieferorthop~dischen Ziele werden mit

368 Fortschr. Kieferorthop. 41 (1980), 362--370 (Nr. 3)

Page 8: Zytogenetische und therapeutische Gesichtspunkte bei der kieferorthopädischen Behandlung mongoloider Kinder

K i e f e r o r t h o p g i d i e be i M o n g o l i s m u s

aktiven Platten besser erreicht als mit funktionskieferorthop~dischen Apparaten. Entsprechend der ver- z6gerten Entwicklung im dentalen und skelettalen Bereich dauert die kieferorthop~dische Behmldlung lfinger als normal.

Summary

A cytogenetic and orthodontic investigation on ten children with the Morbus Down Syndrom was made. Only the free trisomy 21 was observed. But these children too, have an acceptable success in their orthodontic treatment. The best results are shown with active orthodontic plates, whereas the treatment with functional appliances was not so successful. Because of the retarded dental and skeletal develop- ment, the orthodontic treatment requires more time than usual.

R~sum~

On a fair fin examen cytog6n6tique de 10 patients mongoliens trait6s en orthop6die dento-faciale. Le r6- sultat du traitement est acceptable chez ceux qui pr6sentent une trisomie 21 classique. Le r~sultat est meil- leur par plaques actives qu'avec des appareils fonctionnels. Vu qne leur d~veloppement dentaire et sque- lettiqne est ralenti, le traitement orthodontique dure plus longtemps.

Schrifttum

1. Andresen, V., K. Hdupl, L. Petrik: Funktions-Kieferorthop~die, 4. Aufl. Barth, Leipzig 1945. 2. Brown, R. H., 1=3. D. S. Levin, W. M. Cunningham: Some dental manifestations of mongoloism.

Oral Surg. 14 (1961), 664. 3. Cato, P. A.: Prolonged survical in Down's syndrome. J. Amer. reed. Ass. 238 (1977), 1496. 4. Cohen, M. M., R. A. Winner: Dental and facial characteristics in Down's syndrome (Mongoloism).

J. dent. Res, Suppl. 1, 44 (1965), 197. 5. Dausch-Neumann, D.: Zunge und GebiB bei Kindern mit Down-Syndrom. Fortschr. Kieferorthop.

36 (1975), 499. 6. Down, J. L. H.: Mafiages of consanguinity in relation to degeneration of race. London Hospital cli-

nical lectures and reports. Vol. 3. 1866, p. 224, 7. Fink, G, 1=3., W. K, Madaus, G. F. Walker: A quantitative study on the face in Down's syndrome.

Amer. J. Orthodont. 67 (1975), 540. 8. Frostad, W. A., J. P. Cleall, L. C. Melosky: Craniofacial complex in the trisomy 21 syndrome.

Arch. oral Biol. 16 (197t), 707--722. 9. Gentz, A.: Behandlung und Ft~hrung behinderter Kinder und Jugendlicher. Zahn~rztl. Mitt. 64

(1974), 232. 10. Hall, B.: Down's Syndrom (mongolism) with normal chromosoms. Lancet 283/284, 1, 2 (1973), 947. 1 I. Higley, L. B.: Cephalometric standards for children 4 to 8 years age. Amer. J. Orthodont. 40 (1954),

51. 12. Hinrichs, R.: Zur Frage der H~ufigkeitszunahme der mongoloiden Idiotie seit 1930. Arch. Kinder-

heilk. 143/145 (1951/1952), 52. 13. Kisling, E.: Cranial morphology in Down's syndrome. Munksgaard, Kopenhagen 1966. 14. Kisling, E.: Das Sch~delwachstum und seine Bedeutung ffir die Okklusionsverh~tltnisse bei Morbus

Down. Dtsch. Stomat. 26 (1976), 785. 15. Millan, R. S., Kashgarian: Relation of human abnormalities of the dentition. II. Mongoloism. J.

Amer. dent. Ass. 63 (1961), 368--373. 16. Pfeiffer, R. A.: Das Down-Syndrom (MongOloismus). In: H. OpHz, F. Schmid: Handbuch der Kin-

derheilkunde, Band I, T. 1. Springer, Berlin 1971, S. 703. 17. Pozsonyi, J., D. Gibson, D. E. Zarfas: Skeletal maturation in mongoloism (Down "s syndrome). J.

Pediat. 64 (1964), 75. 18. Sehmuth, G. P. F.: 15ber die Bedeutung des Mundraumschlusses. Fortschr. Kieferorthop. 25 (1964),

444. 19. Sergovich, F. R., H. Valentine, H. C. Cart, H. C..Soltan: Mongoloism (Do~vn's Syndrome) with

atypical clinical and cytogenetic features. J. Pediat. 65 (1964), I97. 20. Spitzer, R., J. Y. Rabinowitsch, K. C. Wybar: A study of the anomalities of the skull teeth and len-

ses in mongoloism. Canad. med. Ass. J. 84 (1961),567.

Fortschr. Kieferorthop. 41 (1980), 362--370 (Nr. 3) 369

Page 9: Zytogenetische und therapeutische Gesichtspunkte bei der kieferorthopädischen Behandlung mongoloider Kinder

M. Freisfeld, E. A . Holtgrave, E. Schwinger

21. Thompson, Th.: The palate in Down's syndrome. J. Amer. dent. Ass. 45 (t976), 16. 22. Trevisan, C.: More on factors related to intellectual development of children with Down syndrome

J. Pediat. 90 (1977), 1045. 23. Weicker, H.: Vererbung. In: W. Siegenthaler: Klinische Pathophysiologie. G. Thieme, Stuttgar

1973, S. 2.

Anschr. d. Verf.: Dr. M. Freisjetd, Dr. E. A. Holtgrave, Poliklinik for Kieferorthop~tdie der Univ. Klinik for Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten, Welschnonnenstrage 17, D-5300 Bonn. Prof. Dr. E Schwinger, Chromosomenlabor am Institu{ fiir Rechtsmedizin der Universit~it Bonn.

370 Fortschr. Kieferorthop. 41 (1980), 362--370 (Nr. 3)