zur Ökologie und saprobiewertung der hirudineen im havelgebiet

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1 Int. Revueges. Hydrobiol. I 51 I 2 1 1966 1 243-277 I LOTHAR KALBE Institut fur Spezielle Zoologie der Humboldt-Universitiit zu Berlin und Tierpark Berlin-Friedrichsfelde Zur Okologie und Saprobiewertung der Hirudineen im Havelgebiet Inhaltsverzeichnis I. Einleitung ............... 11. Beschreibung des Untersuchungsgebietes. . ....... 1. Methodik .............. 2. Bedeutung einzelner Umweltfaktoren . . a) Trophie ............. 111. Spezieller, okologischer Tei 1 b) Saprobie ............. c) Sauerstoff ............ d) Temperatur ........... e) Stromung. ............ f) Substrat ............. g) pH, ............... 3. Besiedlungsweise im Havelgebiet .... 4. Vorkommen im Wechsel der Jahreszeiten 5. Vorkommen in temporiiren Gewiissern . IV. Zusammenfassung. Summary ...... V. Literatur. ............... ................ 243 ................ 244 ................ 244 ................ 244 ................ 246 ................ 246 ................ 249 ................ 251 ................ 258 ................ 258 ................ 265 ................ 268 ................ 268 ................ 269 ................ 273 ................ 273 ................ 275 I. Einleitung Obwohl in den letzten 60 Jahren eine Vielzahl von Publikationen uber Him- dineen zu finden ist, sind die Anspruche der meisten Egelarten an die Umwelt auch heute noch weitgehend unbekannt. Die Auswertung der Ergebnisse ver- schiedener Arbeiten (z. B. PAWLOWSKY, 1937; BENNIKE, 1943; 1952 bis 1962) zeigt, daB auf Grund ungenauer und oft willkiirlicher Einteilung der Gewasser und zum Teil auch einseitiger Betrachtungsweise verschiedener Um- weltfaktoren nicht alle SchluBfolgerungen einer Kritik standhalten. Deshalb sol1 mit der vorliegenden Arbeit die Kenntnis von den Umweltanspriichen der SiiBwasserhirudineen erweitert werden, wobei besonders eingehend die ver- schiedenen FlieBgewiissertypen untersucht wurden, da zu erwarten war, da13 das Vorkommen von Hirudineen in Bachen und Flussen von groBer praktischer Bedeutung bei der Giitebeurteilung des Wassers ist. Fur die Unterstutzung bei der Bearbeitung des Themas und der Abfassung der Arbeit mochte ich den Herren Prof. Dr. DATHE, Tierpark Berlin, Prof. Dr. P. PEUS, Prof. Dr. SENGLAUB und Dr. G. HARTWICH, Institut fur Spezielle Zoologie an der Humboldt-Universitiit zu Berlin und Dip1.-Chem. P. VOGLER 10*

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Page 1: Zur Ökologie und Saprobiewertung der Hirudineen im Havelgebiet

1 Int. Revueges. Hydrobiol. I 51 I 2 1 1966 1 243-277 I

LOTHAR KALBE

Institut fur Spezielle Zoologie der Humboldt-Universitiit zu Berlin und Tierpark Berlin-Friedrichsfelde

Zur Okologie und Saprobiewertung der Hirudineen im Havelgebiet

I n h a l t s v e r z e i c h n i s

I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . 11. Beschreibung des Untersuchungsgebietes. .

. . . . . . . 1. Methodik . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedeutung einzelner Umweltfaktoren . .

a) Trophie . . . . . . . . . . . . .

111. Spezieller, okologischer Tei 1

b) Saprobie . . . . . . . . . . . . . c) Sauerstoff . . . . . . . . . . . . d) Temperatur . . . . . . . . . . . e) Stromung. . . . . . . . . . . . . f ) Substrat . . . . . . . . . . . . . g) pH, . . . . . . . . . . . . . . .

3. Besiedlungsweise im Havelgebiet . . . . 4. Vorkommen im Wechsel der Jahreszeiten 5. Vorkommen in temporiiren Gewiissern .

IV. Zusammenfassung. Summary . . . . . . V. Literatur. . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . 243

. . . . . . . . . . . . . . . . 244 . . . . . . . . . . . . . . . . 244 . . . . . . . . . . . . . . . . 244 . . . . . . . . . . . . . . . . 246 . . . . . . . . . . . . . . . . 246 . . . . . . . . . . . . . . . . 249 . . . . . . . . . . . . . . . . 251 . . . . . . . . . . . . . . . . 258 . . . . . . . . . . . . . . . . 258 . . . . . . . . . . . . . . . . 265 . . . . . . . . . . . . . . . . 268 . . . . . . . . . . . . . . . . 268 . . . . . . . . . . . . . . . . 269 . . . . . . . . . . . . . . . . 273 . . . . . . . . . . . . . . . . 273 . . . . . . . . . . . . . . . . 275

I. E i n l e i t u n g Obwohl in den letzten 60 Jahren eine Vielzahl von Publikationen uber Him-

dineen zu finden ist, sind die Anspruche der meisten Egelarten an die Umwelt auch heute noch weitgehend unbekannt. Die Auswertung der Ergebnisse ver- schiedener Arbeiten (z. B. PAWLOWSKY, 1937; BENNIKE, 1943; 1952 bis 1962) zeigt, daB auf Grund ungenauer und oft willkiirlicher Einteilung der Gewasser und zum Teil auch einseitiger Betrachtungsweise verschiedener Um- weltfaktoren nicht alle SchluBfolgerungen einer Kritik standhalten. Deshalb sol1 mit der vorliegenden Arbeit die Kenntnis von den Umweltanspriichen der SiiBwasserhirudineen erweitert werden, wobei besonders eingehend die ver- schiedenen FlieBgewiissertypen untersucht wurden, da zu erwarten war, da13 das Vorkommen von Hirudineen in Bachen und Flussen von groBer praktischer Bedeutung bei der Giitebeurteilung des Wassers ist.

Fur die Unterstutzung bei der Bearbeitung des Themas und der Abfassung der Arbeit mochte ich den Herren Prof. Dr. DATHE, Tierpark Berlin, Prof. Dr. P. PEUS, Prof. Dr. SENGLAUB und Dr. G. HARTWICH, Institut fur Spezielle Zoologie an der Humboldt-Universitiit zu Berlin und Dip1.-Chem. P. VOGLER 10*

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und R. KRAGENOW, Labor der Wasserwirtschaftsdirektion Havel in Potsdam, herelichen Dank sagen.

11. B e s c h r e i b u n g d e s U n t e r s u c h u n g s g e b i e t e s

Alle Untersuchungen wurden im Gebiet der Havel und der Havelzuflusse durchgefuhrt. Das Gebiet wird durch seine Lage zwischen der Markischen Schweiz und dem Hohen Flaming charakterisiert. Der groBte Teil dieser Gebietres tragt Niederungscharakter. Die im Niederungsgebiet liegenden Gewasser unterscheiden sich von denen des Hohen Flamings und der Ruppiner Schweiz erheblich. Insbesondere die FlieBgewasser des Nordabhanges des Flamings - wie Plane, Nieplitz, Buckau und Ihle - erinnern in ihren Oberlaufen an Mittel- gebirgsbache. Streckenwzise durchfliel3sn die Vorfluter enge Wiesentaler, die von bewaldeten HLngen eingeschlossen werden. Infolge des groBeren Ge- failles erreichen einige Bache Flierjgeschwindigkeiten von 0,5 m/s und fuhren Geroll und Sand. I n ihren Oberlaufen ist ein Teil der Gewasser ausgesprochen oligotroph ; erst nach einer liingeren FlieBstrecke erfolgt eine Nahrstoffan- reicherung.

Die Fliisse des Niederungsgebietes zeichnen sich durch geringe FlieBgeschwin- digkeit (oft unter 0 , l m/s), starke Ausbuchtungen mit Stillwasserzonen, groBe Gelegeentwicklung und hohen Nahrstoffreichtum aus. Vor allem die Havel durchflierjt die Landschaft auf dem groBten Teil ihres Laufes so triige, daB der Charakter eines Flusses nahezu vollkommen verloren geht. Verstarkt wird dieser Eindruck durch Kanalisierung einiger Abschnitte ; durch Einbau von Schleusen und Staueinrichtungen erlangt der FluB besonders bei Niedrigwasser den Charakter eines stehenden Gewassers. Im Mittellauf durchstromt die Ha.vef eine grol3e Anzahl von Seen, die zumeist recht flach sind (Durchschnittstiefe 3-7 m.) Diese Seen gehoren im allgemeinen zum ungeschichteten Typ, sind eutroph und zeigen erhebliche Schlammablagerungen. In der warmen Jahreszeit kommt es hier durch verschiedene Cyanophyceen- und Diatomeenarten zur Entwicklung von Wasserbliiten und Vegetationsfarbungen.

Ein Teil der Niederungsgewiisser, z. B. Rhin und GroBer Havellandischer Hauptkanal, durchflieIJt ausgedehnte Niedermoorgebiete (Havellandisches Luch und Rhinluch). Hier gelangen Huminstoffe in die langsam fliel3enden Vorfluter, wodurch das Wasser stark gebraunt wird und sich die Oxydierbar- barkeit des Wassers (KMnO,-Verbrauch) erhoht.

111. S p e z i e l l e r , o k o l o g i s c h e r T e i l

1. Methodik Die Untersuchung der Hirudineenfauna bestimmter Gewasser, deren Beschaffenheit in

topographischer, physikalischer und biologisch-chemischer Hinsicht bekannt ist, lafit Be- ziehungen zwischen Umweltfaktoren und den diesen Bedingungen ausgesetzten Organismen erkennen. Eine andere, jedoch weitaus schwierigere Moglichkeit zur Ermittlung der oko- logischen Anspriiche der verschiedenen Arten bieten Experimente. Jede der beiden Metho- den birgt relativ viele Fehlermoglichkeiten in sich. Wahrend die ausschliel3liche Beob- achtung der Egelfauna bestimmter Lebensraume zu sehr einseitigen Ergebnissen fuhren kann, da auch eine Vielzahl von Gewasseruntersuchungen die Bedeutung mancher Faktoren- kombinationen nicht deutlich werden lassen muI.3, spiegeln Laboratoriumsversuche jeweils nur die Abhiingigkeit von einem Umweltfaktor wider, wobei dessen durchaus zu erwarten-

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den Beziehungen zu weiteren Faktorengruppen ganzlich vernachlassigt werden. Zudem machen solche Versuche oft nur die Grenzen der Besiedlung (Minimum und Maximum) in Abhangigkeit vom entsprechenden Faktor deutlich ; Aussagen uber das Entwicklungs- optimum dagegen konnen meist nicht gemacht werden (Ausnahme bilden Wahlversuche).

Von uns wurden beide Moglichkeiten der autokologischen Untersuchung aufgegriffen. Die AuBenaufnahmen waren sehr vielseitig ; neben der moglichst vollstandigen Erfassung der Hirudineenfauna wurden biologische, chemische, physikalische und topographische Beobachtungen angestellt. In den Jahren 1960- 1962 wurden 64 drtlichkeiten aufgesucht, wobei die groBte Zahl der Gewiisser wahrend dieser Zeit mehrmals, verschiedentlich 6- 8ma1, bereist wurde.

Insgesamt wurden 2900 SuBwasseregel in 21 Formen gesammelt :

Rhynchobdellae : Piscicola geometra (L. ) Hemiclepsis marginata (0. F. MULLER) Theromyzon tesselatum (0. I?. MULLER) Batrachobdella paludosa (CARENA) Boreobdella verrucuta (FR. MULLER) Glossiphonia complanata typica BENNIKE

concolor (APATHY) nebulosa KALBE

papillosa BRAUN striata APATHY

Glossiphonia heteroclita hyalina 0. F. MULLER

Helobdella stagnal& BLANCEUZD

Gnathobdellae : Haemopis sanguisuga (L.)

Dina lineata (0. F. MULL=) Herpobdella octoculata atomaria CARENA

vulgaris (MULL. ) pallida JOHANNSON monostriata (GEDRQYC)

Herpobdella testacea typica K. H. MANN monostriata (LIND. et PIETR.) nigricollis (G. BRANDES)

Pharyngobdella :

52 Expl. 35 Expl. 4 Expl. 2 Expl. 1 Expl.

327 Expl. 25 Expl. 91 Expl. 32 Expl. 98 Expl. 1 Expl.

601 Expl.

34 Expl.

32 Expl.

, 1289 Expl.

8 Expl. 15 Expl.

336 Expl.

Die Untersuchung der Standorte auf Hirudineen war mit grol3eren Schwierigkeiten verbunden ; urn vergleichbare Ergebnisse zu erzielen, war eine Methode erforderlich, die moglichst an allen Gewassern zu gunstigen Resultaten fuhrt. In der Literatur finden sich fur die Untersuchung des zoologischen Makrobenthos stehender und flieBender Gewasser viele Methoden (z. B. ALBRECHT, 1959). Vollig befriedigende Arbeitsmethoden liegen jedoch nur fur sehr einseit.ige Substrate vor. Fur unsere Untersuchungen wurde die Zeitfang- methode gewlhlt, die in letzter Zeit insbesondere von MANN (1954) angemendet worden ist. Sie vereinigt die Vorteile von Flachenfiingen (auf eine bestimmte Einheit bezogene absolute Zahlen) mit denen von Schatzungen (Erfassung einer grolen Flache eines bestimmten Gewiissers), l i B t sich fast uberall anwenden und liefert gut vergleichbare Ergebnisse. In der Regel wurde der Fang auf eine Stunde ausgedehnt. Produktionsreiche Gewasser mit einer zahlenmiiflig stark entwickelten Egelfauna wurden meist nur l/z Stunde lang unter- sucht, die gewonnenen Ergebnisse dann auf eine Stunde umgerechnet. In einigen oligo- trophen Seen und FlieBgewassern war die Individuendichte sehr gering ; hier wurde des- halb der Fang auf 2 Stunden ausgedehnt.

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Die Untersuchung erfolgte im wesentlichen vom Ufer aus. Steine, Pflanzen und andere Gegenstande (2. B. Gummistiicke, Glas- und Metallteile in verunreinigten Gewassern) wurden mit der Hand oder einem grol3en Pfahlkratzer aus dem Wasser herausgezogen und auf ihren Egelbesatz hin untersucht. Die Begleitfauna wurde registriert, jedoch nicht quantitativ erfaDt. Die Zeitfange erfolgten jeweils fur die verschiedenen Substratarten gesondert : Pflanzenbestinde, steiniger Untergrund, Schlamm und Muschelbiinke. An tieferen Stellen wurde eine Dredsche vom Motorboot aus geschleppt oder bei schlanimigem Untergrund mit dem BrrtcE-EKMAN-Bodengreifer gearbeitet. Die so gewonnenen Ergeb- nisse sind mit denen der Zeitfange nicht direkt vergleichbar, da sie auf keine Zeiteinheit bezogen werden konnen. Die Bestimmung der Egel erfolgte nach JOHANSSON (1929), ATJ- TRUM (1936,19581, PAWLOWSKY (1936), BENNIKE (1943), MANN (1952,1953/54) und FULLER (1957).

Zur Bestimmung der Gewasserbeschaffenheit wurden von jeder Fundstelle biologische und chemische Proben entnommen. Zur biologischen Untersuchung wurden aus FlieS- gewassern Bewuchs- und Schlamm-Wasser-Kontaktproben gezogen und durch mikrosko- pische Untersuchung der Saprobienindex (nach PANTLE und BUCK, 1955 und BEER, 1958) ermittelt .

Schwefelwasserstoff (H,O) wurde bereits beim Sammeln der Egel a n Ort und Stelle grobsinnlich festgestellt. Alle anderen chemischen Untersuchungen erfolgten gems6 den in den Laboratorien der Wasserwirtschaft in der DDR geltenden Richtlinien (Deutsche Einheitsverfahren, 1942, 1960). In FlieSgewassern wurde die Stromungsgeschwindigkeit durch Schiitzung bestimmt, nachdem SchLtzwerte durch exakte Messungen mittels geeich- ter Meoflugel auf ihre Brauchbarkeit hin iiberpruft worden waren.

2. Bedeutung einzelner Umweltfaktoren und Paktorenkombinationen Der Begriff ,,Urnwelt" wird in dieser Arbeit im Sinne der Gesamtheit der

Faktoren, die auf die Tiere direkt wirken, gebraucht (PEUS, 1954). Es wird davon ausgegangen, daB alle Umweltfaktoren in ihrer Wirkung auf den Organis- mus grundsatzlich gleiche Bedeutung haben und untereinander nicht abstuf bar sind.

Es kann nicht erwartet werden, dalj die vorliegende Bearbeitung alle Umwelt- faktoren erfaBt, die fur SuBwasserhirudineen uberhaupt wirksam sind. Es konnte lediglich eine Auswahl getroffen werden, wobei wir solche Faktoren berucksichtigten, die infolge der fur einheimische Egel kleinen tragbaren Ampli- tude in den Gewassern des Untersuchungsgebietes begrenzend wirken.

a ) T r o p h i e In allen Arbeiten der letzen Jahrzehnte, welche die okologie der Hirudineen

behandeln, wird der Gedanke einer Abhangigkeit der Egelverbreitung von der Trophie der Gewasser in den Vordergrund gestellt (2. B. MANNSFELD, 1934 ; PAWLOWSKY, 1937; BENNIKE, 1943; SANDNER, 1951 ; MA", 1954; MAUCH, 1963). Die verschiedenen Autoren kommen bei der Zuordnung der einzelnen Arten zu einer bestimmten Trophiestufe jedoch oft zu entgegengesetzten Resul- taten. Fast alle Bearbeiter stimmen aber darin uberein, daB dystrophe Gewasser gemieden werden (PEUS, 1932; PAWLOWSKY, 1937; MANN, 1954). Lediglich in schwacher gebriiunten Gewiissern leben vereinzelt Egel. Es kann vermutet werden, daB die unterschiedlichen Auffassungen uber die Verbreitung der Hirudineen in eutrophen und oligotrophen Gewassern in erster Linie eine Folge der ungleichartigen Anwendung des Begriffes , ,Trophie' ' ist.

O l igo t rophe Gewiisser sind nahrstoffarm. Die Zugehorigkeit der Seen wird nach THIENEMANN (1924, 1928) bestimmt. Bei FlieBgewassern fiillt Oli-

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gotrophie und Oligosaprobie praktisch eusammen, wobei Saprobienindices von 1,5-2,0 Ubergange zwischen beiden Stufen anzeigen (in Anlehnung an TUMP- LING, 1960).

E u t r o p h e Gewasser sind nahrstoffreich. Die Seen werden durch die bei THIENEMANN (1924, 1928) und SERNOW (1958) gegebenen Merkmale charak- terisiert. FlieBgewasser sind eutroph, wenn der j3-mesosaprobe Zustand er- reicht ist und die Saprobienindices bei und iiber 2,O liegen.

D y s t r o p h e Gewasser sind durch Huminstoffe stark gebraunte Gewasser. Es werden darunter alle Gewasser verstanden, dis einen hohen Gehalt an ge- losten und kolloiden Huminstoffen im Wasser enthalten, unabhiingig vom pH- Wert, Im folgenden werden diese auch Braungewasser genannt.

Unsere Ergebnisse stimmen nur zum Teil mit denen der genannten Autoren uberein. Dies betrifft in erster Linie die Verhaltnisse im oligotrophen und eu- trophen Bereich. Hinsichtlich der Braungewasser bleiben unsere Ergebnisse fragmentarisch, da nur FlieBgewasser, die starker mit Huminstoffen belastet sind, untersucht wurden. Bei der Beurteilung der entwicklungshemmenden Stoffe in Braunwassern wirkte sich jedoch giinstig aus, dalj diese hinsichtlich des weiteren Chemismus (pH-Werte, HBrte, Chloridgehalt, 0,-Verhilltnisse) keine grooeren Unterschiede zu anderen Flieljgewassern zeigen, sich also ledig- lich durch die Konzentration der Huminstoffe abgrenzen.

Zum Vergleich der Besiedlungsdichte in oligotrophen und eutrophen Seen dienen als nahrstoffarme Systeme der Wumm-See und der GroB I Stechlin-See, als nahrstoffreiche der Ruppiner See, Templiner See (Potsdam), Junfern-See (Potsdam) und GroBe Zern-See.

Tabelle 1 Die Besiedlungsdiehte in oligotrophen und eutrophen Seen

Ind./l St.d. Zeitfang, Steine Dominante Art Gewkisser

oligotroph Wumm-See Stechlin-See

Ruppiner See Templiner See Jungfern-See Gr. Zern-See

eutroph

11 8

12 2 52

124 7 8

Herpobdella octoculata Herpobd. test. nigricol.1.

Herpobdella octoculata Helobdella stagnalis Herpobdella octoculata Herpobdella octoculata

Wie die Angaben in Tabelle 1 verdeutlichen, ist die Besiedlungsdichte im eutrophen See bei weitem hoher als im oligotrophen. Wesentliche Unterschiede in der Zusammensetzung der Arten ergeben sich nicht. Auffallig ist allerdings, dalj eine so hiiufige Art wie Helobdella stagnalis nie in oligotrophen Wasser- becken gefunden wurde. Das gleiche trifft fur alossiphonia heteroclita zu. Beide sind dagegen in eutrophen Gewassern stet8 vorhanden, in einigen Fallen werden sie sogar zu dominanten Arten. Ganz ahnliche Ergebnisse bringt auch ein Vergleich der oligotrophen und eutrophen Fliisse und Bache. Um andere Fak- toren, wie Stromung, 0,-Verhaltnisse, Htirte des Wassers und Eisengehalt bei der Betrachtung der uns hier interessierenden Frage moglichst auszuschalten,

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werden zum Vergleich sehr ahnliche Gewasser mit gleichartigen Stromungs- verhaltnissen und ahnlichem Chemismus herangezogen : Tabelle 2.

Auch innerhalb der FlieBgewasser zeigen die eutrophen Abschnitte eine we- sentlich hohere Besiedlungsdichte als die oligotrophen. Allerdings fallt auf, daB auch oligotrophe Bachabschnitte eine relativ hohe Abundanz erreichen. Das mag damit zusammenhangen, daB die von uns untersuchten FlieBgewasser keinen so hohen Grad von Oligotrophie reprasentierten.

Das Fehlen oder zumindest starke Zuriicktreten von Helobdella stagnalis ist auch fur oligotrophe Bache charakteristisch. Lediglich in der Nieplitz bei Treuenbrietzen, die allerdings nahrstoffreicher als die beiden anderen genannten Biiche zu sein scheint (Saprobienindices von 1,7-2,0), wurde die Art vereinzelt gefunden, aber auch hier nur mit 7 % des Gesamtbestandes, wahrend sie im gleichen Flu13 unterhalb einer groDeren Abwassereinleitung zeitweise sogar die dominierende Art ist .

Tabelle 2. Die Besiedlungsdichte in oligotrophen und eutrophen FlieBgewassern

Gewiisser

oligotroph Plane bei Raben Nieplitz bei Treuenbrietzen Ihle b. Grabow

eutroph Nieplitz bei Buoh holz Ihle bei Liibars

JLglitz bei Gum- tow

Ind./l Std. Zeitfang

8

38 45

65 83

83

Dominante Art

Glossiphonia complanata

Herpobdella octoculata Glossiphonia complanata

Herpobdella octoculata Herpobdella octoculata Helobdella stagnalis Glossiphonia complanata

Auffallig ist weiterhin, daB das nahrungsarmste Gewasser des Untersuchungs- gebietes, der Oberlauf der Plane, neben den versohiedenen Formen der Glossi- phonia complanata nur sehr vereinzelt Herpobdella octoculata beherbergte. Von den insgesamt in der Plane bei Raben gesammelten 60 Individuen gehorte nur ein einziges zu H . octoculata. Auch an anderen Sammelstellen dieses Flaming- baches ergaben sich ahnliche Ergebnisse. Die bisher erorterten Resultate lassen die SchluBfolgerung zu, daI3 die Besiedlungsdichte in eutrophen, also nahrstoff - reichen Gewassern wesentlich hoher ist als in niihrstoffarmen. Die von MANN (1954) und BENNIKE (1943) veroffentlichten Ergebnisse konnen damit weit- gehend gestiitzt werden. Dies entspricht auch durchaus den Erwartungen, da in nahrungsreichen Gewassern die der Ernahrung der Egel dienenden Organis- men weit haufiger als in nahrungsarmen zu finden sind.

Als Anzeiger fur hohere Trophie werden Helobdella stagnalis und Glossiphonia heteroclita angesehen. Vermutlich benotigten aber auch die Herpobdella-Arten groBeren Nahrungsreichtum zu starkerer Entfaltung . Glossiphonia complanata bleibt sowohl in oligotrophen als auch eutrophen Bereichen in der Anzahl an-

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Gewasser ~ Ind./h I PV I pH

Temnitz bei Garz 0 49 Rhin bei Garz 9 40 7,6 Binnengraben Rhinluc h 20 36 799 Plauer Kanal bei Giisen 30 47 7,O Plauer Kanal be1 Plaue 28 34 794

-

-

genahert gleich stark vertreten, wenn die Art auch unter oligotrophen Be- dingungen infolge des Fehlens oder der geringen Entwicklungsmoglichkeiten anderer Formen verschiedentlich dominant ist. Indikatorarten fur Oligotrophie konnten nicht ermittelt werden.

Die Untersuchung der im Untersuchungsgebiet liegenden Braungewasser brachte einige interessante Ergebnisse. Wie vor allem am Havelliindischen Hauptkanal festgestellt wurde, nimmt die Anzahl der Egel mit zunehmender Braunung des Wassers ab : Abb. 1. Als Kriterium der zunehmenden BrCiunung des Wassers (Anreicherung mit Huminstoffen) diente der KMn0,-Verbrauch. Besonders das Absinken der Individuenzahlen unter Steinen ist bemerkenswert : die BesiedIungsdichte sinkt hier um mehr als 90%. Aber auch die Zeitfange in Pflanzenbestanden lassen eine Abnahme um etwa SOYo erkennen.

Das Absinken der Abundanzen der einzelnen Arten im Havelliindischen Hauptkanal mit zunehmender Briiunung wird durch die Befunde in anderen Braungewassern des Untersuchungsgebietes bestiitigt : Tabelle 3.

dominante Art ..

- Herpobd. octoculala Dina lineata D i m lineata Herpobd. test. nigricollis

Auffiillig ist das hiiufige Auftreten von Dina lineata und Herpobdella testacea monostriata in einigen Gewassern des dystrophen Typs. Die zuerst genannte Art war sogar an einigen Fundorten die haufigste Art. Da D. lineata auBerdem nur in Braungewassern gefunden wurde, wird vermutet, dafi sie andere Gewasser nur ungern besiedelt . b) S a p r o b i e

Es war vonvornherein zu erwarten, daB eine so auffallige und durch dieHiiufig- keit einiger Arten bekannte Gruppe wie die Hirudineen in die Saprobiensysteme Eingang finden wurde (KOLKWITZ, 1950; LIEBMANN. 1951, 1962 ; SRAMEK- HUSEK, 1956). Auch andere Autoren suchten einige Arten in das Saprobien- system aufzunehmen (z. B. STEINMANN, 1918; KNOPP, 1945-1955; BUCK, 1956; TUMPLING, 1960; MAUCH, 1963). Allerdings gehen fast alle bei der Ein- ordnung der einzelnen Suljwasserhirudineen in ein System rein gefuhlsmafiig vor, wobei vielfach lediglich von der Fauna eiries FlieBgewassers ausgegangen wird. Lediglich TUMPLING (1960) versucht auf Grund eines groBeren Unter- suchungsmaterials exakte Aussagen uber das tatsachliche Vorkommen einiger Egelarten zu geben. ES bestehen recht unterschiedliche Auffassungen uber den Indikatorwert einiger fur das System in Frage kommender Hirudineen. Sich fur das Einordnungsprinzip eines bestimmten Bearbeiters zu entscheiden, diirfte deshalb kaum geraten sein. Eine wesentliche Aufgabe der vorliegenden Arbeit mu0 es deshalb sein, moglichst exakt die okologische Potenz (im Sinne PEUS, 1954) der einzelnen Formen zur Saprobie zu ermitteln. Dies konnte nur durch

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eine Vielzahl von Felduntersuchungen erreicht werden. Bei der Auswahl der Sammelstellen wurde diesem Gedanken Rechnung getragen, indem belastete und unbelastete FlieBstrecken ausgesucht wurden. Die Auswertung der AuBen- aufnahmen erfolgte dann in zwei Richtungen. I n Anlehnung an TUMPLMG wurde die mittlere Haufigkeit der Egel bei verschiedenen Saprobienindices errechnet, wobei Zeitf ange die Grundlage bildeten. Um ein ausgeglichenes Bild zu erhalten, wurden jeweils mehrere Indexeinheiten zusammengefaBt. Hiermit wird vor allem eine Aussage moglich, in welchem Saprobiebereich die betreffende Art ihre groBte Abundanz erreicht. Wie TUMPLING sehr richtig schreibt, ist schlieBlich ,,nicht das unter Umstanden nur ganz vereinzelte Vorkommen der Art bei einem bestimmten Saprobienindex von Bedeutung, sondern vor allem die Haufigkeit des Vorkommens, die einen gewissen Ausdruck des Gedeihens der Art darstellt". Andererseits soll nicht aul3er acht gelassen werden, daB die Haufigkeit der Hirudineen auch Ausdruck des in den hoheren Saprobiestufen verbesserten Nahrungsangebotes ist und damit praktisch als Abhgngigkeit der Trophie eines Gewassers angesehen werden muBte. Deshalb wurde in Anlehnung an BEER (1958) auch die Stetigkeit des Vorkommens der Arten in unserem Probenmaterial ermittelt. Das Ergebnis der beiden Auswertungsmethoden ist in den Abb. 2-4 dargestellt.

Ein Vergleich der Resultate 1813t erkennen, daR es von Vorteil ist, beide Dar- stellungsformen zu Rate zu ziehen. Bei den Arten, wo nach dem Haufigkeits- diagramm die Bevorzugung eines bestimmten Bereichs abgelesen werden kann, zeigt das Stetigkeitsdiagramm auch in anderen Stufen hohe Werte ; dies betrifft vor allem Bereiche mit Saprobienindices unter 2,O (2. B. Glossiphonia complanata und Herpobdella octoculata). Dariiber hinaus wird durch die Diagramme erhellt, daB fast alle Hirudineenarten unseres Gebietes als Indikatoren fur ,,Verschmut- zung" nur bedingt brauchbar sind. Eine Einordnung in ein Saprobiensystem ist nicht moglich, da die Arten regelmal3ig zumindest in 2 Saprobiestufen nach- gewiesen werden konnten. Eine Ausnahme machen Piscicola geometra und Hemiclepsis marginata. Beide wurden nur im p-mesosaproben Bereich gefunden. Da jedoch das Material hier sehr gering ist, erscheint es nicht ratsam, diese Egel als Indikatoren fur p-Mesosaprobie zu fiihren. Herpobdella octoculata wurde als einzige Art auch in polysaproben Bereichen gefunden, alle anderen Arten scheinen diese Zone stiirkster Verschmutzung ganzlich zu meiden. Zweifel- 10s ist das Fehlen der Egel hier zumindest zum Teil durch das vollige Fehlen von Sauerstoff, ferner durch die ale Regel zu bezeichnende Entwicklung von Schwe- felwasserstoff bedingt. Inwieweit andere Faulnisgifte, wie Skatol, Indol, PU- trescin, Histamin und Cadaverin, von denen bisher Indol und Skatol im Ab- wasser nachgewiesen werden konnten (SIERP, 1938), eine Giftwirkung haben, ist nicht bekannt. Allerdings ist nach Untersuchungen von SEIBOLD (1955) eine Schadwirkung nicht wahrscheinlich. SEIBOLD fiihrt jedenfalls das Sterben von Herpobdella octoculata im Abwasser auf 0,-Mange1 zuriick. Damit wird aber die Frage nach der Saprobie zu einer Frage nach der Wirkung des Sauerstoff- gehaltes des Wassers.

c) S a u e r s t o f f Der Gedanke, daD als begrenzender Faktor fur die Verbreitung der Hirudineen der Sauer-

stoffgehalt des Wassers eine wesentliche Bedeutung haben konnte, ist oft geaulert worden. Allerdings haben nur wenige Bearbeiter versucht, exakte Unterlagen zur Abhgngigkeit vom

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He lobdella dagnalr's

Abb. 3. Das Vorkommen von Herpobdella octoculata und Helobdella stagnalis in verschiedenen Saprobiebereichen.

Sauerstoffgehalt zu erarbeiten. Zahlreicher sind physiologische Untersuchungen iiber die Rolle dea Sauerstoffes bei der Verdauung und Angaben iiber die Sauerstoffkonsumption bei verschiedenen Egelarten (z. B. ~ T T E R , 1908,1927; LINDEMAN, 1932; MANN, 1956; HERTER, 1936). Es konnte fur einige Egelarten nachgewiesen werden, daS sehr geringe 0,- Spannungen ausgehalten werden und der Stoffwechsel offensichtlich auch unter anaeroben Bedingungen eine Zeit lang weitergeht.

Es ist jedoch schwierig, exakte 0,-Bestimmungen auf kleinstem Raum vorzunehmen, zumal dann, wenn die Untersuchungsobjekte versteckte Lebensraume bevorzugen. Des- halb konnte das Vorhandensein von Sauerstoff am Aufenthaltsort der Tiere nur qualitativ erfaBt werden. Dabei machten wir uns zunutze, daS sauerstofffreier Schlamm in unseren GewLssern durch H,S-Entwicklung schwarz gefarbt wird und somit visuell sauerstofffreie Zonen erkannt werden konnen. Auderdem gibt uns auch der Sauerstoffwert des iiber dem Substrat stehenden oder fliedenden Wassers einen Anhaltspunkt uber die Sauerstoffver- haltnisse im gesamten Gewaaser. Die Auswertung der AuSenaufnahmen unter diesem Gesichtspunkt ergibt recht interessante Ergebnisse.

Egel wurden fast nur in sauerstoffreichen Gewassern gefunden. Die Vielzahl der sauerstoffarmen Gewasser, die intensiv abgesucht wurde, beherbergte nie Egel. In sauerstoffreichen Gewassern wurden Faulschlammzonen gemieden. Lediglich Herpobdella octoculata wurde verschiedentlich an Steinen gefunden, die in der H,S-Zone des Schlammes lagen; aber auch diese Art bevorzugt sonst sauerstoffreiches Milieu. Daraus geht hervor, daB fur die meisten Arten ZU- mindest ein geringer 0,-Gehalt im Wasser vorhanden sein muO.

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254 LOT- KALBE

Uerpobdelkr fedacea n&ico/bs Herp. tes!. monosit-iaia 8 4-l

Abb. 4. Das Vorkommen von Herpobdella teetacea nigricollis und H . t . monostriata in verschiedenen Saprobiebereichen.

Die AuBenaufnahmen lassen keine Aussage uber die Empfindlichkeit der einzelnen Arten gegeniiber unterschiedlichen Sauerstoffkonzentrationen zu. Deshalb wurden zur Erganzung Versuche durchgefuhrt.

Die Herstellung von Wasser rnit einer bestimmten Sauerstoffspannung ist allerdings schwierig, da ja das Medium gerade hinsichtlich der Sauerstoffverhaltnisse laufenden Ver- anderungen unterworfen ist. Ahnliche Schwierigkeiten bringt die Herstellung vollig sauer- stofffreien Wassers mit sich.

Neben der Austreibung des Sauerstoffs durch Kochen des Wassers besteht die Moglich- keit der Beseitigung durch Zugabe von sauerstoffzehrenden Substanzen. Die Wahl eines solchen Sauerstoffzehrers ist jedoch insofern problematisch, als keine Sekundarwirkung erzielt werden darf. Da jedoch andere Methoden (Beseitigung des Sauerstoffs durch Pyro- gallol, Anwendung von reinem Stickstoff) aus technischen Griinden nicht versucht werden konnten, muDte auf die zuerst genannten Moglichkeiten zuriickgegriffen werden. In einer ersten Versuchsreihe wurde mit sauerstoffzehrenden Substanzen gearbeitet, in einer zweiten rnit abgekochtem Wasser. Als Sauerstoffzehrer wahlten wir Heudekokt, da angenommen wurde, daB dieses Gemisch von organischen Stoffen, das in der biologischen Kulturtechnik vielfach Anwendung findet, keine Giftwirkung besitzt. Die Versuchsfliissigkeit (90 Teile Wasser, 10 Teile Heudekokt) wurde in ll/,-Liter-Flaschen spundvoll gefiillt und, nachdem jeweils 10 Versuchstiere eingesetzt worden waren, luftdicht abgeschlossen. Vorher war der Sauerstoffgehalt des Heudekoktwassers gemessen worden. I n Parallelproben wurde der Fortgang der Sauerstoffzehrung verfolgt, da die Flasche mit den Versuchstieren bis zur einsetzenden Letalitat nicht wieder geoffnet werden sollte. Im allgemeinen war bereits

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Zur okologie und Saprobiewertung der Hirudineen im Havelgebiet 255

nach 2-5 Tagen jeglicher Sauerstoff verbraucht, so da13 beobachtet werden konnte, wie- vie1 Stunden die Individuen ohne Sauerstoff zu leben vermochten. Die Versuche wurden abgebrochen, wenn mindestens 20% der Versuchstiere gestorben waren. Die chemische Zusammensetzung der Versuchsflussigkeit wurde zu Ende des Versuchs nochmals iiber- pruft. Der Nachteil dieser Methode besteht darin, daB eine Anderung der Eigenschaften des Mediums nicht ausgeschlossen werden konnte. Infolge des Fortganges des Abbaues der organischen Verbindungen im anaeroben Bereich traten pH-Wert-Erniedrigungen auf. AuBerdem entwickelte sich als Faulnisgift Schwefelwasserstoff. Damit ergab zwar die erste Versuchsserie ungenugend exakte Werte hinsichtlich der Auswirkung von Sauerstoff- schwund, es konnte aber ermittelt werden, inwieweit H,S 18;ngere Zeit vertragen werden kann.

Die zweite Versuchsserie wurde mit abgekochtem Wasser durchgefuhrt. Um nachtrag- lichen Sauerstoffeintrag zu vermeiden, wurde das abgekochte Wasser im kalten Wasserbad moglichst kurzzeitig abgekuhlt und dann in 100-ccm-Flaschen iibergehebert, in die je nach GroBe der Versuchstiere 2 - 10 Exemplare eingesetzt und die sodann luftdicht verschlossen wurden. Die Sauerstoffbestimmung vor Beginn des Versuches ergab, daB wLhrend des Abkuhlens erneut 0, in die Versuchsflussigkeit gelangt war; im allgemeinen wurden Werte zwischen 1-2 mg 0,/1 gemessen. Diesen Restsauerstoff muaten die Versuohstiere praktisch selbst veratmen. Urn den Fortgang der Sauerstoffzehrung zu beobachten, wurden Parallelproben angesetzt. Der Naohteil dieser Methode besteht darin, daB die Sauerstoff- spannung jeweils nur zu Beginn und zu Ende des Versuchs gemessen werden kann, so daB keine genauen Zwischenwerte zur Verfiigung stehen. Auch der Ansatz von Parallelproben kann nur angenaherte Werte ergeben, weil nicht alle Tiere gleichermaBen den zur Verfu- gung stehenden Sauerstoff veratmen. Die Versuohe wurden ebenfalls abgebrochen, wenn mindestens 20% der Egel gestorben waren (Dosis letalis 20% = DL,,).

Die Ergebnisse der Versuche sind in den Abb. 5-7 und in Tabelle 4 ausge- wertet .

Abb. 5. Die Sauerstoffzehrung von 2 Herpobdella octoculata ad. in 125-ccm-Flasche.

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25 6

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30.-

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LOTHAR KALBE

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I

Abb. 6. Die Letalitat von Herpobdella testacea nigricollis bei Sauerstoffmangel.

Abb. 5 verdeutlicht den Ablauf der Sauerstoffzehrung im Versuch mit 2 ad. Herpobdella octoculata. Die Kurve zeigt, daf3 der Sauerstoffverbrauch bei einer Konzentration iiber 0,6 mg 0,/1 in der Zeiteinheit etwa gleich bleibt. Unterhalb wird die Kurve sehr flach, woraus gefolgert werden kann, dal3 praktisch kein Sauerstoff mehr verbraucht wird. Das Absinken der 0,-Spannung zwischen 0,6 mg/l und dem Nullwert ist vermutlich das Resultat des Abbaus der organi- schen Stoffwechselprodukte, die die Tiere ausschieden. Diese von uns an Her- pobdella gewonnenen Ergebnisse stimmen prinzipiell mit denen von LINDEMAN (1932) und SGONINA (zitiert bei HERTER, 1936) an Hirudo medicinalis iiberein.

Mit Ausnahme von Glossiphonia complanata nebulosa und Herpobdella testacea nigricollis zeigten alle Egelarten erst bei sehr niedrigen 0,-Werten Schadigungen. Die ersten Versuchstiere starben bei einem Sauerstoffgehalt, der unter 0,6 mg/l lag und der von ihnen nicht mehr ausgenutzt werden konnte. Etwa 50% der

,r,,o %

Abb. 7. Die Letalitat von Herpobdella octoculata bei Sauerstoffmangel.

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Zur Okologie und Saprobiewertung der Hirudineen im Havelgebiet 257

Versuchstiere iiberstanden zumindest eine Zeit volligen Sauerstoffschwund und erlitten keine Schadigungen (vgl. auch BRAND, 1946). Auch die etwas empfind- licheren Formen wie Glossiphonia complanata nebulosa und Herpobdella testacea nigricollis machten hier keine Ausnahme. ES zeigte sich bei diesen Formen lediglich eine hohere Anfangsmortalitat ; einzelne Versuchstiere erfuhren hier schon bei 0,-Ronzentrationen iiber 0,6 mg/l Schadigungen. Der Verlauf der Letalitatskurven ist bei den meisten Arten sehr Sihnlich. Es wird deshalb auf eine kurvenm8Bige Darstellung verzichtet.

Von besonderem Interesse sind die Versuche mit Jungtieren von Hemiclepsis marginata und Herpobdella octoculata (Tab. 4). Diese sind wesentlich empfind- licher gegen Sauerstoffmangel. Wenn auch die Letalerscheinungen zwar Bhnlich den Alttieren erst bei sehr niedrigen 0,-Spannungen beginnen, so geht die Scha- digung dann aber schnell voran.

Im Hinblick auf die Verbreitung in sauerstoffarmen Gewassern scheint gerade dieses Ergebnis besonders wertvoll zu sein. SchlieBlich miissen ja auch die Jungtiere diese extremen Bedingungen ertragen, wenn die Art im Gewasser erhalten bleiben soll.

Das Pehlen auch gegeniiber Sauerstoffmangel weitgehend resistenter Arten wie Herpobdella octoculata, Haemopsis sanguisuga, Helobdella stagnalis und Glossiphonia complanata typica in sauerstoffarmen Gewassern konnte so eine Erklarung finden, wenn man annimmt, daB die Jungtiere anderer Arten sich ahnlich verhalten.

Die Versuchsergebnisse lassen den SchluD zu, daB zwar die meisten Egelformen eine begrenzte Zeit Sauerstoffmangel ertragen, daB aber bei llingerer Einwirkung von H,S oder langer andauerndem Sauerstoffmangel Schadigungen eintreten.

Tabelle 4. Die Abhangigkeit vom Sauerstoffgehalt des Wassers

Piscicola geometra Hemiclepsis marg.

ad. juv.

Glossiph. conapl. typica nebul.

Glossiph. heterocl. Helobdella stagn. Haemopis sanguis. Herpobd. octocul.

ad. juv.

Herpobd. testacea nigric . monostr.

Dina lineat a 17 Internationale Revue

Anzahl

8

15 19

68 55 50 60 5

80 20

59 10 6

I

Beginn der

mg 0,/1 Letalitiit I DLzo

Resistenz gegen

0,-Mange1

5 h

2-3 d 2 h

3-4 d 3-4 d 1-2 d 2-3 d

2 d

1-14 d 5 h

1-2 d 2 d

1-2 d

nicht resist.

nicht resist.

3-4 d nicht resist. 2 d 2 d

2 d nicht resist.

nicht resist. ? ?

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258 LOTHAR KALBE

Damit im Zusammenhang diirfte auch die Seltenheit von Egelfunden aus den Tiefen der Seen stehen. I n eutrophen Seen kann es wiihrend der Sommer- stagnation besonders unmittelbar iiber dem Grunde zur volligen Aufzehrung des Sauerstoffes kommen, so da13 dieser Bereich fur Egel nicht mehr zugiinglich ist. Da13 iiberhaupt Funde aus dem Profundal tiefer Seen bekannt geworden sind, mag daran liegen, da13 in oligotrophen Seen auch im Hypolimnion ein rela- tiv hoher Sauerstoffgehalt das ganze Jahr erhalten bleibt. Die Tiefe selbst wird fur die Verbreitung der Egel kein Hindernis darstellen, was ja auch durch Funde lebender Tiere erwiesen ist. JAERNEFELT (zitiert bei HERTER, 1937), iiul3erte ganz ahnliche Gedanken, wobei er aber neben ungunstigen 0,-Verhalt- nissen auch noch Nahrungsmangel und ungeeignete Bodenbeschaffenheit als Griinde fur das Fehlen von Hirudineen in gro13en Tiefen anfiihrt. Nahrungs- mange1 durfte unseres Erachtens zumindest fur einige Arten nicht in Betracht gezogen werden, da im allgemeinen das Profundal reich an Oligochaeten und Chironomidenlarven ist .

d) T e m p e r a t u r THIENEMANN (1907) und BENNIKE (1943) vertreten die Auffassung, daB kalte

Gewasser von Hirudineen nicht besiedelt werden. THIENEMANN stutzt sich dabei auf Untersuchungen an Quellen der Insel Riigen, wiihrend BENNIKE verschiedene dtinische FlieBgewasser, deren Wassertemperatur nicht uber + 11 "C anstieg, vergeblich nach Egeln absuchte; nach seinen Auffassung ist zur Fortpflanzung der Tiere in unseren Breiten eine Temperatur des Wassers uber 11 "C notig.

Unsere Untersuchungen im Fruhjahr 1962 ergaben, daB zumindest einige Arten auch bei Wassertemperaturen unter 11 "C zur Fortpflanzung schreiten. Bereits im Marz unter 5 "C wurden verschiedentlich frisch abgelegte Kokons und zum Teil auch gerade geschlupfte Jungtiere beobachtet (Herpobdella octo- culata und H . testacea nigricollis) . Allerdings setzt die eigentliche Brutperiode erst bei hoheren Wassertemperaturen ein.

e) S t r o m u n g Es ist auffallig, daB die Stromung nur von wenigen Autoren in Beziehung zur Verbrei-

tung der Hirudineen gebracht wurde. Selbstverstiindlich finden sich wiederholt Angaben iiber das Vorkommen einzelner Arten in FlieBgewiissern, woraus zum Teil auch SchluD- folgerungen allgemeiner Art gezogen werden, jedoch wurden bisher nirgends umfassende Untersuchungen angestellt. Dies ist um so erstaunlicher, als doch gerade die Hirudineen an ein Leben in starker stromendem Milieu bestens angepaBt zu sein scheinen. Besonders die Glossiphoniden mit ihrem stark abgeflachten Korper durften in stark stromenden Gewas- sern giinstige Lebensbedingungen finden. HERTER (1937) zitiert eine Reihe von Arbeiten, die sich mit der Egelfauna von FlieDgewiissern auseinandersetzen. Es kommt dabei zu unterschiedlichen Aussagen. Auch in den neueren Arbeiten finden sich widerspriichliche Auffassungen. Im Havelgebiet wurden aus diesem Grunde besonders Stromungshabitate untersucht. Eine sehr wesentliche Aufgabe war es zu versuchen, bestimmte Korrelationen zwischen Verbreitung und Stromung zu finden.

Grundlage aller AuDenaufnahmen war die Bestimmung der FlieDgeschwindigkeit des Wassers an der Oberflache. Damit war zwar nichts iiber die Stromungsverhiiltnisse an den Aufenthaltsorten der Hirudineen ausgesagt, weil diese sich im allgemeinen unter Steinen oder in anderen Verstecken aufhalten, wo ganz andere Verhiiltnisse als in der Freiwasser-

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Zur Okologie und Saprobiewertung der Hirudineen im Havelgebiet 259

zone herrschen. Selbst dann, wenn die Tiere die der Freiwasserzone zugekehrte Seite der Steine bevolkern wiirden, entsprachen hier die FlieBgeschwindigkeiten nicht denen des iiberhinstreichenden Wassers, da die Egel noch im Schutze der Grenzflachenschichten ver- bleiben (GESSNER, 1950). Fur die Verbraitung einer Art in einem Bach oder Flu13 ist aber letztlich der allgemeine Stromungszustand des Gewassers ausschlaggebend, da sich das Tier mit den Lebensverhaltnissen des ganzen Systems auseinandersetzen muB. AMBUHL (1959) schreibt: ,,Erst wenn eine Art die Stromung erfolgreich iiberwinden kann, ist sie fahig, sich im Areal zu halten und auszubreiten." Zu Vergleichszwecken erscheint deshalb die Messung der FlieDgeschwindigkeit des Wassers an der Oberflache durchaus gerecht- fertigt. Um den Ergebnissen aus den AuDenaufnahmen erhohte Aussagekraft zu geben, wurden ergiinzende Versuche durchgefiihrt. Wir bedienten uns zu diesem Zwecke eines in 3 Stromungsbereiche gegliederten Wasserbeckens (Abb. 8). In Anlehnung an ZAHNER (1959) wurde das Versuchsaquarium so konstruiert, daB eine Zone stromungsfrei war und zwei Zonen unterschiedliche Stromungen aufwiesen. Die beiden auBeren Umlaufrinnen des

Wechsel dep Siri jmungs - /bereiche moglt'ch

Drau fsichl

v = 0.2 rn/s

1 33 vn I r I

I 1

59 cm 73 cm

1 I T

Schnil! A-B

Abb. 8. Das Stromungsbecken in Aufsicht und Seitenansicht. 17'

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260 LOTHAR KALBE

Aquariums wurden von einer mit unterschiedlicher StablHnge ausgerusteten und von einem Ruhrmotor angetriebenen Stabwalze in Stromung versetzt. In Rinne I wurde eine FlieS- geschwiudigkeit von etwa 0,2 m/s, in Rinne I1 von 0,l m/s erzielt, gemessen mit einem ge- eichten MeSflugel (Mikroflugel). Infolge der ungunstigen hydrologischen Form des Beckens (Ecken und Kanten) kam es in den Stromungsrinnen zu starker Turbulenz, die jedoch den Versuchsablauf nicht storte. J e eine Trennwand zwischen den verschiedenen Beckenteilen war durchlochert, so daD die Egel ungehindert von einem Stromungsbereich in den anderen iiberwechseln konnten. I m allgemeinen wurde mit 30 Versuchstieren gearbeitet (Lediglich bei selteneren Arten m u l t e der Versuch mit weniger Tieren durchgefiihrt werden). Sie wurden bei Versuchsbeginn gleichmHBig auf verschiedene Stroinungsbereiche vert,eilt. Die Versuche erstreckten sich jeweils uber 24 Stunden, gelegentlich 48 Stunden. In einigen Fallen wurden in das Becken Steine als Verstecke fur die Tiere eingebracht. Da diese Ver- suche jedoch keine wesentlichen Unterschiede zu solchen ohne diese Verstecke ergaben, wurde meist auf Steine verzichtet. WHhrend des Versuchs war das Stromungsbecken ab- gedunkelt.

Die Stromungsversuche sollten vor allem Aussagen iiber die bevorzugte FlieSgeschwin- digkeit erleichtern. Leider versagte die Apparatur vollig bei kleineren Egelarten, da diese keine groSe Bewegungsfreudigkeit zeigten und somit nur hochst selten in einen anderen Stromungsbereich uberwechselten. GroSere Arten dagegen entfalteten eine starke Such- tatigkeit, so daS bereits nach Ablauf von wenigen Stunden eine wesentliche Verschiebung

Zeichen erklarung- - FIkGr i ch tung A Glossiphonta ~ C l m p J . +pica .A Gloesiphonio compl. ncbulosa

Helobdella &fagrialis I Her-pobdella ocfocu fdu

Herpobdella iesjuceo nr'gm'cdis

Abb. 9. Die Verteilung der Egel in einem schnell flieaenden Bach unterhalb einer Staustufe Beispiel: Nieplitz bei Treuenbrietzen (schematisch).

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Zur Okologie und Saprobiewertung der Hirudineen im Havelgebiet 261

Jnd. /h 2c

70

Jnd.Ih 20

7 0

Jnd. /h 20

i a

Glasssiphonio cornplanah iypica

47

Glossiphonia complunafu nebulosa

Glossiphonia cornplanah concolor

Abb. 10: Das Vorkommen von Glossiphonia complanata in Abhangigkeit von der FlieBgeschwindigkeit des Wassers (m/s) nach AuBenaufnahmen.

zugunsten des bevorzugten Bereichs erfolgt war. Es eoll betont werden, daB die gemessenen Stromungswerte im Versuchsbecken nicht unmittelbar mit denen natiirlicher Gewasser verglichen werden konnen, da die Tiere in diesen bei Unbehagen in schwlcher stromende Bezirke iiberwechseln konnen und nur zeitweise extremen FlieBgeschwindigkeiten aus- gesetzt sind. Die aus den Stromungsversuchen ermittelten Werte haben somit nur einen relativen Charakter.

Die Ergebnisse der AuBenaufnahmen werden in den Abb. 9-12 dargestellt, die der Laboratoriumsversuche in Abb. 13.

Interessant sind die in Abb. 9 dargestellten Verhiiltnisse unterhalb einer Staustufe in einem schnell fliefienden Gewiisser : Wahrend die Zone starkster Turbulenz von fast allen Egelarten gemieden wird und nur in ihren Randzonen von verschiedenen Glossiphonien besiedelt ist, wird die Besiedlung mit abneh- mender Turbulenz vielfaltiger. Bei starker Turbulenz kommen an den Bach- randern zunachst die Arten Herpobdella octoculata und H . testacea nigricollis hinzu. Qlossiphonia cornplanata findet sich hier schon iiber die gesamte Bach- breite verteilt. In der Zone mll3iger Turbulenz ist die Verbreitung aller Arten

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262 LOTHAR KALBE

uber den gesamt,en Querschnitt des Bachbettes erfolgt, mit EinschluB von Helob- della stagnalis.

Es scheinen vor allem Glossiphonia complanata typica und GI. c. nebulosa an stark stromende Habitate gut angepal3t zu sein.

Die AuBenaufnahmen stimmen im allgemeinen sehr gut mit den im Labora- torium ermitteltJen Resultaten uberein, wenn auch bei einigen Arten die AuBen- aufnahmen keine SO deutliche Abhangigkeit zeigen. Fur die Verbreitung der einzelnen Arten in verschiedenen Stromungsbereichen ergeben sich folgende Ergebnisse :

Zur Gruppe der die FlieBgewiisser deutlich bevorzugenden Egelarten gehort vor allem Glossiphonia complanata. WBhrend die ssp. concolor auch in stehenden Gewassern eine hohe Abundanz erreicht, bevorzugt die Stammform eindeutig stkirker flieBende Habitate, kommt aber auch in stehenden Gewassern regel- maBig, jedoch in geringeren Zahlen vor. GI. c. nebulosa konnte in unserem

Jnd./h t Piscicola geomeira

helob deiia sfagna /is 3nd.lh

20

Abb. 11. Das Vorkommen von Piscicola geowietra. Glossiphonia Ii~trroclifa und Helobdella stagnnlis in Abhangigkeit von der FlieBgeschwindigkeit des Wassers (m/s) nach AuBen-

aufnahmen.

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Zur C)kologie und Saprobiewertung der Hirudineen im Havelgebiet

Jnd./h Herpobdella keslacea nigricdlk

263

Abb. 12. Das Vorkommen von Herpobdella octoculata und Herpobdella testacea nigricollis in Abhangigkeit von der FlieSgeschwindigkeit des Wassers (m/s) nach AuSenaufnahmen.

Untersuchungsgebiet nur in starker stromenden Gewassern nachgewiesen wer- den (w 2 0,4 m/s) mit hochster Abundanz in einem Stromungsbereich von w = 0,6 mjs.

In diesem Zusammenhang ist interessant, dafi verschiedene Autoren in starkerfliefienden Bachen gleichfalls einen von der Normalform abweichenden Egel fanden. HERTER (1937) schreibt: ,,Bemerkenswert ist es, dafi viele der Glossiphonien aus den Oberlaufen der Bache . . . abweichende Augenstellungen hatten. Auch waren die Wurmer kleiner als die aus den Unterkufen und durch braune Farbung und Mange1 des gelben Pigments ausgezeichnet. BAYER halt es fur moglich, daS sie mit der von APATHY als Glossiphonia concolor beschrie- benen Form ubereinstimmen." Im Gegensatz dazu ist die Form von einigen anderen Au- toren in schnell flieSenden BIchen nie gefunden worden (z. B. THIENEMANN, 1909, 1912 ; BORNHAUSEN, zitiert bei HERTER, 1937; BERG, 1948). Hingegen vermerken sie als charak- teristisch fur diesen Gewassertyp das haufige Vorkommen von Glossiphonia heteroclita unter Steinen. Diese Art wurde von uns nie in schnell flielenden Gewiissern gefunden und zudem nur hochst selten a n Rteinen, womit auch die meisten neueren Angaben uberein- stimmen (MANN, 1954; BENNIKE, 1943), so da13 hier Bestimmungsfehler zu vermuten sind, zumal gerade kleinere Exemplere der Clossiphonia eoyplanata nebulosa infolge des fehlenden oder schwach entwickelten Pigments eine gewisse Ahnlichkeit mit Gl. heteroclita hyalina zeigen.

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Zur okologie und Saprobiewertung der Hirudineen im Havelgebiet 265

Eine zweite Gruppe reprasentieren die gegeniiber der Stromung weitgehend indifferenten Arten. Die hierzu zahlenden Formen kommen praktisch in allen Gewassern, sowohl stehenden als auch flieBenden unterschiedlichster Stromungs- geschwindigkeit vor, wenn auch Bereiche starkster Turbulenz gemieden werden : Hemiclepsis marginata, Helobdella stagnalis, Haemopis sanguisuga, Herpobdella octoculata, Herpobdella testacea nigricollis und bedingt wohl auch Theromyzon tesselatum. Solche Arten wie Herpobdella testacea nigricollis und Helobdella stagnalis, die in den verschiedenen Gewiissern mit etwa gleichbleibender Ab- undanz registriert wurden, zeigten im Stromungsversuch eine Bevorzugung der mittleren, also schwach stromenden Bereiche (v = 0,l mls), ohne allerdings die anderen Zonen zu meiden. Eine mittlere Stromungsgeschwindigkeit scheint fur diese Arten das Optimum der Anspriiche zu reprlsentieren.

Zur dritten Gruppe gehoren solche Formen, die deutlich ruhigere Bezirke der Gewasser bevorzugen. In erster Linie waren hier Piscicola geometra und Glossiphonia heteroclita zu nennen, aber auch die etwas seltener gefundenen Dina lineata, Herpobdella testacea monostriata, Boreobdella verrucata und Ba- trachobdella paludosa scheinen starkere FlieSgeschwindigkeiten zu meiden.

f ) S u b s t r a t HERTER (1937), BENNIKE (1943) und MANN (1954) kommen nach Beriick-

sichtigung der sich oft widersprechenden Literatur zu dem Ergebnis, da13 eine Bevorzugung bestimmter Substratarten nicht festgestellt werden kann, obwohl verschiedene Egelarten hinsichtlich ihrer Haufigkeit Abhangigkeiten erkennen lassen. Die Ergebnisse aus dem Havelgebiet entsprechen in mancher Hinsicht diesen SchluSfolgerungen. Im Mittel fanden wir unter Steinen 63 Ind./h, in Pflanzenbestanden hingegen 68 h Zeitfang. ES kann damit ohne weiteres von einer gleichen Besiedlungsdichte gesprochen werden ; die Haufigkeit einzelner Arten differiert aber zum Teil recht erheblich: Tabelle 5.

Tabelle 5. Haufigkeit von Egeln unter Steinen und in Pflanzenbestiinden

Steine Pflanzen i Ind./h 1 Ind./h

Glmsiphonia complanata Glossiphonia heteroclita Hemiclepsis marginata Helobdella stagnalis Herpobdella octoculata Herpobdella testacea nigricollis

19 ! 5 3

21 36 1 14

10 22

5 26 22 26

Da auf steinigem Boden haufiger Glossiphonia complanata und Herpobdella octoculata, in Pflanzenbestanden Glossiphonia heteroclita und Herpobdella testacea nigricollis vorkamen, konnte gefolgert werden, da13 diese Arten eine der beiden genannten Substrate bevorzugen. Vergleicht man dagegen die einzelnen Sammel- ergebnisse mit den jeweiligen btlichkeiten, so ergibt sich zwangslaufig, daB fur die verschiedenartige Verbreitung auf den Substraten andere Faktoren eine Rolle spielen (Stromung, Nahrungsreichtum, Eutrophierung und 0,-Ver- haltnisse).

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268 LOTHAR KALBE

Glossiphonia complanata typica Glossiphonia heteroclita Helobdella stagnalis Herpobdella octoculata

Das Substrat hat fur die Verbreitung einzelner Egelarten nur indirekt eine gewisse Bedeutung. Die unterschiedliche Besiedlung von Pflanzen und Steinen ist letztlich eine Folge der den Egeln zusagenden Oberflache und der sich bie- tenden Versteckmoglichkeiten im Einklang mit giinstigen Ernahrungsbedin- gungen. Die hauptsachlichsten Nahrungsbestandteile sind aber sowohl von Steinen als auch Pflanzen aus gleich gut zu erreichen (Fische, Schnecken, Wiir- mer, Insektenlarven).

€9 PH Alle von uns untersuchten Gewasser besitzen ein angenahert neutral rea-

gierendes Wasser mit pH-Werten zwischen 6,7 und 8,5. Dieser Bereich ist fur alle Egel unseres Gebietes unschadlich, so daB irgendwelche Beziehungen zur Verbreitung der Hirudineen in Abhangigkeit vom pH-Wert nicht nachgewiesen werden konnten.

Bei Sauerstoffversuchen unter Zugabe von Heudekokt als 0,-zehrendes Medium wurde eine zum Teil recht erhebliche pH-Wert-Erniedrigung - bis 5,4 - beobachtet. Es schien deshalb erforderlich, in Parallelversuchen zu prufen, inwieweit eine derartige Erniedrigung des pH-Wertes den Ablauf der Sauer- stoffversuche storen konnte. ES wurden zu diesem Zwecke in einer groBeren Serie von Versuchen die haufigeren Egelarten unterschiedlichen pH-Werten ausgesetzt. Dabei ergab sich, dai3 pH-Werte, wie sie in den Heudekoktversuchen erreicht wurden, offensichtlich nicht letal wirken.

Solche Versuche sind schwierig, da mit ungepufferten Losungen gearbeitet werden mul3, urn den EinfluB irgendwelcher Salze auszuschalten. Wir bedienten uns aus diesem Grunde verschiedener Verdiinnungen yon HC1 und NaOH. Die Einstellung der sauren Bereiche rnit Salzsaure war mit keinen grol3eren Schwierigkeiten verbunden, da lediglich 1-normale HCl mehrfach verdiinnt zu werden brauchte. Die Einstellung der alkalischen Bereiche rnit Natronlauge dagegen war wesentlich schwieriger, da infolge der gierigen Aufnahme von CO, aus der Luft besonders bei niedrigen Konzentrationen eine VerLnderung zum Neutral- punkt hin einsetzte. I m Gegensatz zu den mit Salzsiiure eingestellten Losungen waren die mit NaOH eingestellten auch nur kurze Zeit haltbar und veranderten sich sehr rasch durch die Egel selbst.

Auf Grund der Versuche ergaben sich fur verschiedene Egelarten folgende unschadlichen Bereiche :

p H 4,7 - 10,5 p H 4,7 - 10,5 p H 4,7 - 10,O p H 4,7 - 10,O

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Zur Okologie und Saprobiewertung der Hirudineen im Havelgebiet 269

gefolgert werden, daD diese wohl in der gesamten gemiiSigten Zone von aus- schlaggebender Bedeutung sind.

Die spezifische Egelfauna der einzelnen Seen, Teiche, Graben, Biiche, Fliisse und Kanale des Gebietes resultiert demnach aus der Kombination vor allem dieser Faktoren im Zusammenwirken mit weiteren, nicht ndher erorterten, wie z. B. Durchleuchtung, Verbreitung der Nahrungstiere, Feinde u. a.

Die weiteste Verbreitung werden solche Arten haben, die an die einzelnen Faktoren nur geringe Anspriiche stellen, die also eine hohe okologische Potenz besitzen und damit euryoke Formen im weitesten Sinne sind. DaR hierunter die groSte Zahl der im Untersuchungsgebiet gesammelten Formen zahlt, ist nach den vorangegangenen Erorterungen verstandlich. Am anpassungsfahigsten scheinen Herpobdella octoculata, Helobdella stagnalis und Glossiphonia complanata typica zu sein, die - besonders die erstgenannte Art - in einer Vielzahl von Gewassern dominieren oder einen bedeutenden Anteil der Fauna ausmachen.

I n der Zusammensetzung der Hirudineenfauna verschiedener Standorte im Untersuchungsgebiet ergeben sich auf Grund des verschiedenartigen Zusammen- treffens der Umweltfaktoren zum Teil recht erhebliche Unterschiede, so zum Beispiel in der Fauna eims schnell fliel3enden Baches und der eines Sees. In den Abb. 14-16 sindfiir einige typische Gewasser des Havelgebietes die Anteile der einzelnen Arten an der Gesamtfauna in Prozent dargestellt.

Fur langsam flieSende eutrophe Gewasser ist so zum Beispiel die Artenkom- bination Herpobdella octoculata - Helobdella stagnalis - Glossiphonia heteroclita charakteristisch, wobei die beiden zuerst genannten Arten dominieren, wiihrend schnell flieSende Gewdsser hauptsachlich durch Clossiphonia complanata - Herpobdella octoculata gekennzeichnet sind, wobei die ekstere in den meisten Fallen dominiert. Eutrophe Seen zeigen wiederum eine von den bisher genann- ten Typen unterschiedliche Zusammensetzung : Am haufigsten Herpobdella octoculata, Helobdella stagnalis, Herpobdella testacea nigricollis, Piscicola geo- metra.

Auch innerhalb eines Gewassers ergeben sich noch Unterschiede. Mit den Abb. 17-19 wird der Versuch gemacht, an Hand einiger charakteristischer Gewasser die Vertikalverbreitung der Egel darzustellen. Die Gliederung der Egelfauna in Seen und Fliissen mit geringer FlieSgeschwindigkeit ist sehr ahn- lich. Neben rein topographischen Analogien, wie Ausbildung der Uferbank, der Uferzone und des Profundal, fallt besonders die ahnliche Artenkombination auf. So wird die iiuSerste Verlandungszone des Sees und die eigentliche Ufer- linie des Flusses von der amphibisch lebenden Haemopis sanguisuga besiedelt . Die Uferbank beherbergt vor allem Herpobdella octoeulata, Herpobdella testacea nigricollis, Helobdella stagnalis, Bemiclepsis marginata und Piscicola geornetra, wahrend die Egelfauna der Muschelbank vielfach lediglich durch Helobdella stagnalis vertreten wird. In erster Linie werden fur die Besiedlung der zuletzt genannten Zone die einseitigen Ernahrungsbedingungen (Dreissensia, Anodonta) verantwortlich sein.

4. Vorkommen im Wechsel der Jahreszeiten

Abb. 20 verdeutlicht das Vorkommen der einzelnen Egelarten im Ablauf des Jahres fur das Havelgebiet. Es fallt auf, daS fast alle Formen von Miirz bis Oktober gefunden wurden. Charakteristisch fur die einzelnen Diagramme ist

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Zur Okologie und Saprobiewertung der Hirudineen im Havelgebiet 273

ein gegen Ende des Jahres erreichtes Entwicklungsmaximum. AuBerdem kann meist auch ein Friihjahrs- und Sommermaximum festgestellt werden. Nachdem MANN (1953) fur Herpobdella octoculata iiberzeugend nachwies, daB sich der jeweilige Bestand aus 3 Generationen zusammensetzt, die zu verschiedenen Zeiten des Jahres Kokons ablegen, lassen sich auch die drei Entwicklungsmaxima erkliren. Unsere Diagramme machen deutlich, da13 auch die Bestande der anderen Egelarten aus mehreren Generationen zusammengesetzt sein miissen.

Einige Arten erscheinen in grol3erer Zahl erst im Mai, in der Hauptsache solche, die vor allem langsam fliel3ende und stehende Gewasser besiedeln, wie Piscicola geometra und Glossiphonia heteroclita. Aber auch die im Gebiet unter iihnlichen Bedingungen vorkommende Dina lineata zeigt sich erst relativ spat. Moglicher- weise hangt dies mit dem erst im Mai einsetzenden Pflanzenwachstum zusam- men. Da Seen und langsam fliel3ende Gewasser nur in bescheidenem MaBe ge- eignete Ausweichsubstrate fur Egel besitzen, w&re eine friihere Entwicklung dieser Arten nicht moglich.

5 . Vorkommen ilz temporaren Gewassern Eine in der Literatur immer wiederkehrende Frage ist die Besiedlung temporarer Ge-

wlsser durch Egel. HERTER (1937) erortert an Hand von Untersuchungsmaterial verschie- dener Autoren, daB eine Reihe einheimischer SiiBwasseregel die F&higkeit besitzt, vollige Austrocknung zu iiberstehen. Allerdings trifft dies offensichtlich nicht fur alle Individuen einer Art zu (Erniihrungszustand). HERTER LuBert weiter, daB auch in temporaren Ge- wlssern die Gefahr einer volligen Austrocknung nicht besteht, da immer ein gewisser Rest von Feuchtigkeit erhalten bleibt. Im Schlamm werden Trockenzeiten im Starrezustand uberdauert .

Einige Autoren (KULAJEW, 1929; PAWLOWSKY, 1937; MA", 1954) beschreiben iiberein- stimmend, daB vor allem Dina lineata in austrocknenden Gewiissern gefunden wurde; KULAJEW stellte fest, daB sie noch bei einer Schlammfeuchtigkeit von nur 16% zu leben vermag. Andere Arten dagegen waren empfindlicher.

I n Obereinstimmung mit den genannten Autoren fanden wir in den teilweise austrocknenden Graben des Rhinluchs Dina lineata relativ hiiufig. AuBerdem wurden aber auch Glossiphonia complanata typica und Herpobdella octoculata nicht selten in diesen Gewiissern gesammelt . Moglicherweise vertragen auch diese Arten eine zeitweilige Austrocknung, wobei fur die Besiedlung der Luch- graben von Vorteil sein diirfte, daB auch in Trockenzeiten der Boden relativ feucht bleibt.

IV. Zusammenfassung Im Haveleinzugsgebiet wurde in den Jahren 1960- 1962 eine grone Zahl von Gewlssern

auf die Hirudineenfauna hin untersucht (Zeitfangmethode). Es wurden insgesamt 2900 Egel in 21 Arten und Unterarten gesammelt. Besondere Beachtung verdienen die Funde von Batrachobdella paludosa, Boreobdella verrucata, Dina Eineata und Herpobdella teatacea mono- striata.

Im okologischen Teil der Arbeit werden Angaben iiber die Abhangigkeit der SiiBwasser- hirudineen von verschiedenen Umweltfaktoren gemacht. Insbesondere werden Trophie des Gewiissers, Saprobie, 0,-Verhaltnisse, Stromung, Temperatur, pH-Wert und Substrat erortert. Die Anssagen stiitzen sich auf AuBenaufnahmen und Laboratoriumsversuche.

Verbreitnngsbegrenzend fur Egel wirken im Havelgebiet Stromung, Trophie, Saprobie, Sauerstoff und Schwefelwasserstoff. Stromungsliebend sind Glossiphonia coqksnata typica 18 711trmatiouale Reviie

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274 LOTHAR KALBE

Piscicola geomeim

Glarsiphonrb c. iypk

Gloss. compl. nebukx

GIOSS . t d e o c l i k i

Helobdel/cr skzsnal~k

Hcmiclcpais marg.

HerpoMefla 04.

Herp. lest. n + A .

Herp. ied.rnonaic

D i m II'nedu

Ma April Nai Jun; Juh' #

Abb. 20. Das Vorkommen der Hirudineenarten im jahreszeitlichen Ablauf.

und G1. c . nebulosa. Piscicola geometra und Glossiphonia heteroclita bevorzugen stehende und langsam flielende Gewlsser.

Eutrophe Gewasser waren im Untersuchungsgebiet dichter besiedelt. Helobdellu stagnalis und Glossiphonia heteroclita wurden nur in solchen Gewiissern gesammelt. Mit Ausnahme von Herpobdelk octoculatu fehlen im polysaproben Bereich alle Arten. Die u- und &meso- saproben Flielgewasserzonen werden von den meisten Arten gleichermalen besiedelt.

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Gegeniiber Sauerstoffmangel sind fast alle Arten weitgehend resistent. Einige vermogen volligen Sauerstoffschwund mehrere Tage zu ertragen (Glossiphonia complanata typica, Herpobdella octoculata).

Schwefelwasserstoff wird von Glossiphonia complanata typica, Helobdella stagnalis und Herpobdella octoculata begrenzt vertragen (2 -4 Tage).

Summary The fauna of Hirudinea was investigated in the district of the Ravel River during 1960

to 1962. During this time 2900 leeches belonging to 21 species and subspecies were collected. The finds of Batrachobdella paludosa, Boreobdella verrucata, Dina lineata and Herpobdella testacea monostriata are to be noted particularly. Hitherto these leeches were found only rarely in Germany.

The ecological part of this paper contains statements about the relations between leeches and their environment. In this connection the trophy of waters, saproby, oxygen regimes, H,S, current, temperature, pH and bottom have been especially investigated. Glossiplonia complanata nebulosa and typica like running waters. Piscicola geometra and Glossiphonia heteroclita were found only in lakes and streams. Eutrophic waters were inhabited densely. Helobdella stagnalis and Glossiphonia heteroclita have been encountered only in these waters. In polysaprobic localities the author could not find any species except Herpobdella octocu- lata, while most species of leeches in the district under investigation were existing in a- mesosaprobic as well as in @-mesosaprobic localities of running waters.

Most species could survive lack of oxygen for several days. Interesting is the fact that Glossiphonia complanata typica, Helobdella stagnalis and Herpobdella octoculata could be kept, living for several days in water which contained H,S.

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