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ZUKUNFTSFÄHIGES DEUTSCHLAND in einer globalisierten Welt Einblicke in die Studie des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie Herausgegeben vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, von Brot für die Welt und dem Evangelischen Entwicklungsdienst

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Page 1: Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt ... · lungsorganisationen Evangelischer Entwicklungsdienst (EED) und Brot für die Welt eine Studie beim Wuppertal Institut

ZUKUNFTSFÄHIGESDEUTSCHLANDin einer globalisierten Welt

Einblicke in die Studie desWuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie

Herausgegeben vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland,

von Brot für die Welt und dem Evangelischen Entwicklungsdienst

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2 Zukunftsfähiges Deutschland

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

Wo wir stehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

Wer sich bewegt und nicht bewegt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Wofür das Buch steht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

Wie das Buch aufgebaut ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

Ausgangslagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23Klimachaos, Peak Oil und die Krise der Biodiversität |Eine Welt mit Nachholbedarf | Wachstum oder Wohlstand

Bilanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25Deutschland im Weltumweltraum | Deutschland im Weltwirtschaftsraum

Leitbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25Gastrecht für alle | Ökologischer Wohlstand |Gesellschaft der Teilhabe | Die ganze Wirtschaft

Kurswechsel in Deutschland und Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27Basis wechseln: Auf Solarwirtschaft umsteigen | Überflüssig machen: Von den Chancen der Ressourceneffizienz | Märkte gestalten: Der Primat der Politik | Kreisläufe schließen: Die Renaissance der Regionen | Arbeit fair teilen: Auf dem Weg zur Tätigkeitsgesellschaft

Übereinkünfte Global . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31Gemeingüter wertschätzen: Umwelt – Angelpunkt einer Weltinnen-politik | MehrWert-schöpfen: Verantwortung entlang globaler Produktketten | Regeln ändern: Fairness im Welthandel

Engagement vor Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33Einfluss nehmen: Bürger gestalten Kommunen |Achtsam leben: Das Private ist politisch

Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

Die Herausgeber und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

Inhalt

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Einblicke 3

Vorwort

1992 auf der Weltkonferenz von Rio zu Umwelt und Entwicklung schien vielesmöglich. Eine Agenda für eine umweltverträgliche, sozial gerechte und ökono-misch tragfähige Entwicklung des 21. Jahrhunderts wurde von 178 Staaten verab-schiedet. Vier Jahre später stießen der BUND und Misereor mit einer ersten Studiezum zukunftsfähigen Deutschland eine intensive Debatte über Nachhaltigkeit inDeutschland an.

Heute ist Nachhaltigkeit in aller Munde, in der Gesellschaft, bei Politik und Wirt-schaft. Es gibt nationale politische Anstrengungen mit der Nachhaltigkeitsstrate-gie, dem Klimaschutzprogramm und international mit der Klima- und Biodiversi-tätskonvention und den Millennium-Entwicklungszielen.

Im Verhältnis von Nord und Süd gab es durchaus interessante Entwicklungen, vonder Proklamation eines teilweisen Schuldenerlasses, der Erkenntnis der negativenWirkungen unserer Subventions- und Handelspolitik bis zu der Einsicht, dass dieFolgen des Klimawandels zuallererst die Armen treffen.

Grundlegende Veränderungen sind indes nicht erreicht. Die Vielfalt an Tieren undPflanzen schwindet weiter in Deutschland, Europa und weltweit. Der CO2-Gehalt inder Atmosphäre steigt weiter an, der Klimawandel ist in Gang und seine Folgensind sichtbar. Die Fakten sprechen eine nüchterne Sprache: Anhaltende Armutkennzeichnet die meisten Entwicklungsländer. Der wirtschaftliche Aufschwung inden Schwellenländern geht einher mit massiver Umweltzerstörung und wachsen-der sozialer Ungleichheit.

Es zeigt sich immer deutlicher: Kleine Kurskorrekturen reichen nicht. Größere Kurs-änderungen sind nicht gewollt. Nachhaltigkeit wird von den Bundesregierungen,gleich ob CDU oder SPD geführt, weichgespült und im Zweifel zurückgestellt: Vonder Nachhaltigkeitsstrategie für die Politik, über „Corporate Social Responsibility“für die Wirtschaft, bis zu bio-fairen Produkten für die Konsumenten. Das zeigt diegute Absicht. Und die stört niemanden. Die trügerische Hoffnung heißt: Die ökolo-gische Modernisierung der Industriegesellschaft löst die Umweltprobleme übertechnische Innovationen, unsere Exportwirtschaft wird davon profitieren und dieLänder des Südens auch. Die Industrieländer sollen weiter wirtschaftlich wachsen,die Schwellenländer und die Entwicklungsländer auch – Umwelt- und Armutspro-bleme wollen wir gleichzeitig dabei lösen.

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4 Zukunftsfähiges Deutschland

Doch diese Annahmen führen in die ökologische Sackgasse und gehen auf Kostender berechtigten Entwicklungsansprüche der armen Länder. Deshalb ist ein Kurs-wechsel nötig. Wir brauchen eine gesellschaftliche Debatte über die Zukunft unse-res Landes in einer globalisierten Welt. Darum haben der BUND und die Entwick-lungsorganisationen Evangelischer Entwicklungsdienst (EED) und Brot für die Welteine Studie beim Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie in Auftrag gege-ben, die eine gesellschaftliche Debatte anstoßen soll. Mit „ZukunftsfähigesDeutschland in einer globalisierten Welt“ liegt das Ergebnis vor. Wissenschaftlichfundiert, politisch pointiert und handlungsorientiert.

Diese Broschüre gibt einen ersten Einblick in die Studie: Worum geht es, welcheFragen und Probleme werden behandelt und welche Lösungswege skizziert? „Ein-blicke“ enthält zum einen das Eingangskapitel der Studie, in dem Inhalt und Auf-bau des Buches dargestellt werden. Zum anderen enthält „Einblicke“ Textauszüge:beispielhafte Problemdarstellungen, Hinweise auf Problemlösungen, die bereits er-reicht wurden, und „Zeitfenster“, die einen Blick in die Zukunft eröffnen, den not-wendigen Kurswechsel vorstellbar machen und ermutigen, diesen Kurs einzuschla-gen – denn eine andere Zukunft ist möglich.

Die Herausgeber

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Wo wir stehen

Es hat sich ein Gezeitenwechsel vollzogen. Auf den Kommandohöhen von Politik undWirtschaft sind lange gehegte Gewissheiten ins Wanken gekommen. Vorbei sind dieZeiten neoliberaler Euphorie und auftrumpfender Globalisierung. Jahrelange Ver-drängung ist, so scheint es, an ihr Ende gekommen. Denn mit Hurrikan Katrina undschmelzenden Eisbergen, Hitzewellen und verwirrten Zugvögeln werden die Völkermitsamt ihren Lenkern von einer abgründigen Ahnung heimgesucht: Die Naturschlägt zurück. Solange es den Anschein hatte, dass die Weltwirtschaft nur die Stabi-lität des Klimas bedrohte, konnte man diese Sorge getrost den Umweltschützernüberlassen. Als hingegen der Stern-Report, beauftragt von der britischen Regierung,in seiner Bewertung der ökonomischen Folgen eines Klimawandels darlegte, dass dasKlima seinerseits die Stabilität der Weltwirtschaft bedroht, begannen die Alarmglo-cken zu schrillen. Wie fasste die Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Weltwirt-schaftsforum 2007 in Davos die neue Beunruhigung zusammen? »Der Klimawandelist die größte Herausforderung der Menschheit.«

Nachdem die kollektive Verdrängung vorüber ist, scheint aber nun kollektive Schizo-phrenie um sich zu greifen. Viele Anzeichen deuten darauf hin, dass eine zweideutigeZeit bevorsteht – ausgerüstet mit Wissen, doch untüchtig zum Handeln. Einerseits istdie Gesellschaft zu der Einsicht erwacht, dass das drohende Klimachaos eine Umkehrerfordert. Und auch die Politik hat sich zu gewaltigen Schritten durchgerungen, miteinschneidenden Emissionsminderungszielen bis 2020 auf europäischer Ebene undeinem Klimaschutzpaket – die Meseberger Beschlüsse vom August 2007 – auf natio-naler Ebene. Namentlich die Europäische Kommission hält das Banner des Klima-schutzes hoch, sitzt den säumigen Regierungen im Nacken und scheut auch nicht denZwist mit den eingesessenen Interessen der Energie und Automobilindustrie.

Andererseits jedoch geht vieles weiter seinen gewohnten Gang. Die Flughäfen inMünchen und Frankfurt projizieren ansteigenden Flugverkehr und planen eine wei-tere Start- und Landebahn, die Deutsche Bahn möchte zum globalen Logistikunter-nehmen aufsteigen und investiert ihr Kapital im Ausland statt im Inland, die Strom-konzerne möchten unter Androhung einer Stromlücke 25 Kohlekraftwerke bauen,Billigflieger stärken sich durch Fusionen und rüsten für den Interkontinentalverkehr,vor Restaurants sprießen Heizpilze aus dem Boden, an Ausfallstraßen siedeln sichweiter Discounter und Zweigniederlassungen an, und mit nachlassender Konjunkturwerden schon bald wieder Mahnungen an den Verbraucher ergehen, seinen Dienst ander Inlandsnachfrage zu leisten. Die Eigenlogik eines jeden Bereichs hintertreibt dasfür alle proklamierte Ziel. Was bislang allenfalls läuft, ist eine Diversifizierung desAngebots, um der aufkommenden Ökosensibilität zu entsprechen: Auf dem Flugha-fen München fahren Wasserstoff-Busse, die Stromkonzerne verkaufen im Nischen-

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6 Zukunftsfähiges Deutschland

Der weltweit steigende Autoverkehr erhöht den

Druck auf die Biosphäre. Foto: picture-alliance

Der Verkehr ist heute für 23 Prozent derenergiebezogenen Treibhausgasemissio-nen verantwortlich. Gelingt es nicht, ei-nen alternativen Entwicklungspfad ein-zuschlagen, werden sich bis zum Jahr2050 die weltweiten CO2-Emissionenaus dem Verkehrssektor fast verdop-peln. Dazu trägt neben dem internatio-nalen Flug- und Güterverkehr beson-ders auch die stark wachsende Motori-

sierung in den Boomregionen derSchwellenländer bei. Sie führt dort zuschwerwiegenden Umweltbelastungen.Die Fahrverbote zur Sicherung einerausreichenden Luftqualität während derOlympiade 2008 in Peking zeigen dasschon heute. Besonders kritisch ist dieSituation in Asien, denn auch dort kor-reliert der Pkw-Besitz – genauso wie inder historischen Entwicklung der Indus-trieländer – mit dem in einigen Regio-nen rasch steigenden Einkommen derMenschen.

Noch fahren die Chinesen hauptsächlichmit dem Fahrrad oder gehen zu Fuß; inIndien dominieren derzeit die motori-sierten Zweiräder. Während in Deutsch-land auf 1.000 Einwohner 546 Pkw zu-gelassen sind, liegt die Motorisierungs-rate in China bei zehn Pkw und in In-dien bei sechs Pkw pro 1.000 Einwoh-ner. In den großen Städten, in denensich eine Mittelschicht entwickelt, sindes schon deutlich mehr. In Peking kom-men 100 Pkw auf 1.000 Personen – fürdas Jahr 2050 wird eine Steigerung aufetwa 230 Pkw erwartet. Wie zur Bekräf-tigung dieser Annahmen verkündeteder indische Hersteller Tata die Markt-einführung des Modells Nano, eines nur1.700 Euro teuren Kleinwagens. Unter-dessen mischt die deutsche Automobil-industrie kräftig mit: Zwischen 2001und 2006 hat sie über 2,7 MillionenPkw in China produziert und ihrenMarktanteil sprunghaft von vier auf 16Prozent erhöht.

Globale Motorisierung

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Einblicke 7

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segment auch grünen Strom, der internationale Konzern Deutsche Bahn bietet Leih-fahrräder an, die Billigflieger werben mit Öko-Ferien, und unter den Heizpilzenwerden Gerichte aus Biolebensmitteln serviert. Insgesamt sieht es so aus, als sei inKlimasachen mit einer Art systemischer Bewusstseinsspaltung zu rechnen: Im Über-bau sind alle – von Bild (»Wer rettet die Pinguine?«) bis zur Kanzlerin – Fürsprechereines konsequenten Klimaschutzes, im Unterbau der materiellen Verhältnisse jedochgeht die Expansion der Energieansprüche weiter.

Doch nicht nur die Natur, auch die Globalisierung schlägt zurück. Der Aufstieg derSchwellenländer in Asien und Lateinamerika, allen voran das Riesenreich China undder Subkontinent Indien, ist ein welthistorisches Großereignis. Damit erfüllt sich fürdiese Nationen jene Verheißung, die für mehr als ein halbes Jahrhundert den Südender Welt begleitet hatte: eines Tages zu den westlichen Ländern aufzuschließen. Dochdem Jubel folgt auf dem Fuße der Katzenjammer. Denn nachholende Entwicklungvergrößert den Druck auf die Biosphäre. Weil die Atmosphäre schon übervoll ist mitden fossilen Ausdünstungen der reichen Länder, bringt sie nun der rasante Zuwachsvon Treibhausgasemissionen aus den Schwellenländern vollends zum Überlaufen.

Auch hier ist die offizielle Rhetorik voll von Besorgnis, aber in der Realität gehörendie Industrieländer nach wie vor zu den Treibern der Umweltgefährdung. Denn inden Jahren der Verdrängung war die Wirtschaftsklasse vollauf damit beschäftigt, dieökologische Raubökonomie weltweit auszudehnen. Unterstützt vom einheimischenEntwicklungsehrgeiz, haben Unternehmen aus den OECD-Ländern mitgeholfen,China und andere Länder Asiens und Lateinamerikas in die Liga der Klimakiller auf-steigen zu lassen. Aktionäre konnten auf hohe Wertsteigerungen hoffen, wenn billigeArbeit und neue Märkte zur Verfügung standen. Und die Verbraucher zuhause freu-ten sich, wenn sie für Kleidung, Elektrowaren und Unterhaltungselektronik wenigerGeld ausgeben mussten. Überdies haben liberalisierungsfreudige Regierungen aufbreiter Front die weltwirtschaftlichen Bedingungen so eingerichtet, dass die Fossil-wirtschaft wie Automobil-, Bau- und Agroindustrie sich in allen Ländern eines freienZugangs erfreut. Vor dem Hintergrund unverdrossener Globalisierung sind esKrokodilstränen, die über die Beanspruchung der Biosphäre durch China und anderevergossen werden.

Dramatisch hat jedoch der Aufstieg der Schwellenländer die biosphärische Unver-träglichkeit des herkömmlichen Entwicklungsmodells sichtbar werden lassen. »Wasist, wenn alle Chinesen ein Auto wollen?« Während vor dreißig Jahren nur eine Öko-Minorität sich diese Frage zuraunte, ist sie heute zum Alptraum der aufgeklärten glo-balen Elite geworden. Niemand will den Südländern den Auszug aus der Armut ver-weigern, doch gleichzeitig fürchten alle die heranrollenden Umweltkrisen. So spitztsich Jahr für Jahr der Konflikt zwischen Entwicklungshoffnungen und Naturgrenzenweiter zu. Weil aber die Naturgrenzen nicht abzuschaffen sind, kommt damit dasherrschende Modell von Entwicklung an sein Ende. Entwicklung wohin und mit wel-

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Der Sojaboom verschärft die Landkonflikte.

Demonstration gegen die Ermordung von Bauern

in Paraguay. Foto: La Soja Mata

Deutschland importiert pro Jahr vierMillionen Tonnen Sojaprodukte aus denTropen und Subtropen, wofür dort 1,3Millionen Hektar fruchtbares Land inAnspruch genommen werden – so vielFläche, wie in ganz Mecklenburg-Vor-pommern bewirtschaftet wird. 80 Pro-zent dieser Importe landen in deut-schen Futtertrögen, da die »Wunder-bohne« Soja aufgrund ihres hohenEiweißgehaltes die »Eiweißlücke« dereuropäischen Tierhaltung schließenkann. So hat sich die Produktion vonSojabohnen in den vergangenen 40Jahren mehr als versechsfacht, und eswird eine weitere Zunahme von 60 Pro-zent bis zum Jahr 2020 erwartet.

Durch den Aufstieg von Soja zur Welt-wirtschaftspflanze hat sich auch dieMachtverteilung entlang der Sojakettevon Produktion, Handel, Verarbeitung

und Endverbrauch im vergangenen Jahr-zehnt stark verändert. MultinationaleHandelsunternehmen, wie zum Beispieldie US-amerikanische Cargill oder Bun-ge in Brasilien, beherrschen weite Teiledes Sojastroms nach Europa. Die hoheFleischnachfrage in den Industrienatio-nen, die Massentierhaltung und die ein-hergehende Sojaexpansion sind Moto-ren für den Druck auf Ökosysteme undKleinbauern in Lateinamerika. Zur Er-schließung neuer, lukrativer Plantagen-gebiete greifen die Großgrundbesitzerzu allen Mitteln. In Brasilien besteht bei80 Prozent der erteilten Landnutzungs-rechte der Verdacht, dass einheimischeBauern um ihre Eigentumsrechte betro-gen wurden, was zu einem starken An-stieg von gewaltsamen Landkonfliktenführte. Dieselben Plantagenbesitzerlassen Regenwald in rasendem Tempoabholzen, um Felder für die lukrativenSojabohnen zu schaffen, obwohl diesverheerende globale und lokale Um-weltfolgen hat. Außerdem vergiften inSojaanbaugebieten Kalk, Pestizide undDünger zunehmend Grundwasser undBoden. Die Beschäftigten müssen unterunmenschlichen Bedingungen arbeiten,und trotz der Gewinne der Agroexpor-teure liegen die Löhne der Arbeiterin-nen oft nicht über dem Existenzmini-mum. Die Nahrungssicherheit ist gefähr-det, denn viele Kleinbauern sehen sichgezwungen, ihr Land an große Sojaan-bauern zu verkaufen oder abzutreten,sodass die Anbaufläche für lokaleGrundnahrungsmittel abnimmt. So wirdSoja zu einem Agrarprodukt, das Hun-ger erzeugt.

Soja – Das Geschäft um Tierfutter

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chen Mitteln? Politik, Wirtschaft und Wissenschaft beginnen um Lösungen zu wett-eifern; aus der Logik der Dinge heraus müssen sie nunmehr in Frage stellen, was sieein halbes Jahrhundert gepredigt haben.

Dass nachholende Entwicklung nicht zu größerer Gerechtigkeit in der Welt beiträgt,hatte sich zwar schon seit längerem abgezeichnet, doch mit dem einsetzenden Klima-chaos ist obendrein mit zusätzlicher Armut zu rechnen. Es sind besonders die Länderder südlichen Hemisphäre und in ihnen vor allem die armen Bevölkerungsgruppen,welche die bitteren Folgen der globalen Klimaveränderung zu spüren bekommen. DieUnschuldigen werden vor allen anderen die Opfer sein. Dies ist nicht nur ein eklatan-tes Unrecht, sondern auch ein Angriff auf das heiligste Ziel in der Rhetorik der inter-nationalen Staatengemeinschaft: die Überwindung der Armut. Jahrzehntelange Kam-pagnen gegen die Armut bis hin zu den Millenniumsentwicklungszielen werden zuMakulatur, wenn aufgrund der Erderwärmung Hunderte Millionen Arme mit Flutenoder Dürren, Nahrungsmangel oder Krankheiten zu kämpfen haben. Entwicklungs-politik für den Süden ist zuallererst Klimapolitik im Norden. Wer für Armutslinde-rung eintritt, ohne in Reichtumslinderung einzuwilligen, betreibt nichts weiter alsSpiegelfechterei.

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Den Strom für die Kirche St. Hedwig in Stuttgart-

Möhringen liefert jetzt die Sonne. Foto: DBU

Neulußheim (6.600 Einwohner) liegt inBaden-Württemberg, die dortige evan-gelische Kirchengemeinde gehört zurbadischen Landeskirche. Bereits 2002traf die Gemeinde eine erste wichtigeEntscheidung für den Umweltschutz.Das neu gebaute Gemeindezentrumwurde mit zwei Grundwasserwärme-pumpen ausgestattet und verfügt zu-dem über 18 Photovoltaikmodule sowieeine Regenwassernutzungsanlage. Innur zwei Jahren wurden so die Heiz-kosten um mehr als die Hälfte gesenkt.Die benötigte elektrische Energie wirdvon den Elektrizitätswerken Schönaubezogen.

Seit November 2005 arbeitet die Ge-meinde im Rahmen des Programms»Grüner Gockel« am Aufbau eines Um-weltmanagementsystems. Zwölf Männerund Frauen kümmern sich als Umwelt-team in drei Arbeitskreisen um die The-men Verkehr/Wasser/Abfall/Energie,fairer Handel/Ernährung und Umwelt-bewusstsein/Öffentlichkeitsarbeit. Zu-nächst zeigte eine gründliche Bestands-aufnahme, wo es noch Schwachstellengab, zum Beispiel bei der Einstellungder Wärmetechnik im Kirchenraum.Daraus wurde im Jahr 2007 ein Umwelt-programm mit konkreten Minderungs-zielen zum Beispiel zum Strom- undPapierverbrauch formuliert. Die Umwelt-erklärung wurde im Mai 2007 voneinem unabhängigen externen Prüfernach dem EU-EMAS-Standard zertifi-ziert. Die Aktivitäten strahlen inzwi-schen auch auf die Kommune aus.Dafür veranstaltet das Umweltteam Ak-tionen und Informationsangebote undgewährt interessierten HausbesitzernEinblick in die Technik der Wärmepum-pen und der Solaranlage. So habensich schon einige Nachahmer gefunden.Das nächste große Projekt ist die Initi-ierung einer Bürgersolaranlage.

Der Grüne Gockel

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Wer sich bewegt und nicht bewegt

Im November 1996 haben BUND und Misereor die Studie »ZukunftsfähigesDeutschland« des Wuppertal Instituts der Öffentlichkeit vorgestellt. Es erregtedamals Aufsehen, dass ein Umweltverband in Verein mit einer Entwicklungsorgani-sation – der eine aus dem nichtkonfessionellen und die andere aus dem kirchlichenBereich – eine Perspektive für Deutschland und seinen weiteren Weg entwickelten.Das Bündnis war die Konsequenz aus Rio de Janeiro: Unter dem Zuckerhut war imJahre 1992 die Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklungzusammengetreten und hatte, angetrieben von der massenhaft anwesenden interna-tionalen Zivilgesellschaft, das Ende der Industriemoderne festgestellt und zu einer»nachhaltigen Entwicklung« auf dem Globus aufgerufen. Ohne Umwelt, so die Bot-schaft, keine Entwicklung, und ohne Entwicklung keine Umwelt. Das Schicksal derNatur und das Erlangen internationaler Gerechtigkeit sind als miteinander ver-schränkt erkannt worden. Was lag da näher, als gemeinsam zu versuchen, fürDeutschland die Ziele und Wege einer nachhaltigen Entwicklung zu beschreiben?

Das Buch hat den globalen Umweltraum umschrieben, es hat umwelt- und entwick-lungspolitische Ziele für Deutschland formuliert, es hat eine Kombination aus Effi-zienz- und Suffizienzideen für den Weg dorthin vorgeschlagen. Und es unterstrichdie Botschaft, dass Zukunftsfähigkeit nicht nur als Naturliebe, sondern auch als Opti-on für die Armen buchstabiert werden muss. Was ist daraus geworden? Was hat dieerste Studie bewirkt? Darauf lässt sich keine direkte Antwort geben, denn Bücherund Kampagnen hinterlassen keine eindeutigen Spuren im Zeitgeschehen. Und dochtritt im Rückblick hervor, dass die Initiative vor zwölf Jahren Teil jener untergründi-gen Veränderung war, welche Deutschland zu einem der Vorreiter für ressourcen-schonende Technik und Politik in Europa und in der Welt hat werden lassen. Andersund vielleicht genauer ausgedrückt: Die Initiative war Teil eines transnationalenTransformationsprozesses, der von Minderheiten her Praktiken und Leitbilder entste-hen lässt, um auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts eine Antwort zu ge-ben. Deutliche Umbrüche in der öffentlichen Meinung auch in langjährigen Trutz-burgen des Plünderkapitalismus wie den USA, Australien oder China deuten daraufhin, dass diese Transformation an vielen Orten im Gange ist.

Vorangetrieben wird diese Veränderung nicht durch Regierungen. Kein Staat, undauch nicht Europa, hat bis vor Kurzem die Beschlüsse von Rio ernstgenommen. Eswar ein verlorenes Jahrzehnt. Glücklicherweise jedoch sind Bürgerinnen und Bürger,Wissenschaftler, Unternehmer, zivilgesellschaftliche Gruppen und Verbände nichtuntätig geblieben, sondern haben in zahlreichen Ländern die Praxis und das Wissenhervorgebracht, um Gesellschaft und Wirtschaft grüner und gerechter werden zu las-sen. Konflikte sind dabei die Regel, von Demonstrationen gegen Kern- und Kohle-

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Nach dem Supergau von Tschernobyl1986 schlossen sich in Schönau, einerkleinen baden-württembergischen Ge-meinde mit 2.500 Einwohnern, einigeBürger zu einer Bürgerinitiative gegenAtomkraft zusammen. Ihr Anliegen: nurnoch Ökostrom zu beziehen. Die einzi-ge Möglichkeit für die Schönauer, anatomenergiefreien Strom zu gelangen,bestand im Kauf des heimischen Strom-netzes. Um das erworbene Ortsnetzselbst betreiben zu können, gründetedie Initiative 1991 ihr eigenes Stromver-sorgungsunternehmen, die Elektrizitäts-werke Schönau (EWS). Spendengelderund 750 private Gesellschafter, vor al-lem Schönauer, machten es möglich.Vorweg gingen ein Bürgerbegehren undein kommunaler Bürgerentscheid, indem sich die Schönauer mehrheitlichfür diesen Weg entschieden. Das Mottoder EWS lautet: »Nicht Jammern undKlagen, sondern Handeln!« Und ihr Slo-gan ist: »atomstromlos. klimafreund-lich. bürgereigen«. Energie soll sparsam

genutzt werden, die Tarife sollen strom-sparfördernd gestaltet sein, die Ener-giegewinnung soll ressourcenschonendund regenerativ vonstatten gehen, Ini-tiativen zur Entstehung ökologischerNeuanlagen sollen gefördert werdenund lokale Wertschöpfung soll stattfin-den. Der Strom der ElektrizitätswerkeSchönau stammt aus Solaranlagen,Wasserkraft (Neuanlagen) und hocheffi-zienten klimaschonenden Kraft-Wärme-Kopplungs- Anlagen.

Nach der Liberalisierung des Strom-marktes verkaufen die Schönauer seit1999 ihren Ökostrom bundesweit. Soversorgen die EWS im Juli 2007 rund 50.000 Stromkunden – darunter auchgrößere Unternehmen wie Ritter Sport –und verbuchen einen Jahresumsatz von24 Millionen Euro. Aufgrund der Förde-rung von neuen ökologischen Stromer-zeugungsanlagen durch die EWS sindschon annähernd 1.000 »Rebellenkraft-werke« entstanden.

Die Stromrebellen von Schönau

Auch in Altenholz bei Kiel haben

sich Bürger zusammengetan, um

ihren Strom aus gemeinsam finan-

zierten Solaranlagen zu gewinnen.

Foto: picture-alliance/dpa/dpaweb

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kraftwerke zu Streit über Produktkonzepte in den Entwicklungsabteilungen großerUnternehmen, von Menschenketten bei Weltwirtschaftsgipfeln zu Gutachten überdie Reform des Welthandels vom Aufbau öko-fairer Wirtschaftssektoren bis zuGesetzesdebatten in Parlamenten. Dabei wächst das Neue im Schoße des Alten heran:Mit Initiativen dieser Art entstehen und reifen Denkstile und Kompetenzen in einerVielzahl gesellschaftlicher Bereiche. Es ist das Reservoir an Engagement und Wissen,aus dem sich der Wandel zur Zukunftsfähigkeit speist. So ist in Deutschland mit denerneuerbaren Energien ein neuer Wirtschaftszweig gewachsen, ungezählte Firmenexperimentieren mit einem öko-effizienteren Design für Produkte und ihre Herstel-lung, so wie Kommunen Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung und zur energie-bewussten Bausanierung realisieren. Fairer Handel, Biolandbau und ökologischeLebensmittelwirtschaft haben enorm an Boden gewonnen, und aufgrund des Wider-stands der Verbraucher sind die Lebensmittel in den Regalen weitgehend gentechnik-frei geblieben. In vielen Bereichen sind Alternativen im Kleinformat gewachsen, diedarauf warten, ins Großformat übertragen zu werden.

Doch da hält eine Allianz aus Gleichgültigkeit und Eigennutz dagegen. Währenderstere ein stummes Hindernis für Veränderung darstellt, tritt letzterer meist orga-nisiert auf. So sind allerlei Lobbykräfte im Namen von Industrieverbänden am Werk,um die Übertragung von Alternativen ins Großformat zu verhindern. Das wird im-mer wieder augenfällig im Wirken der Energieriesen, die ihr Monopol auf Stromer-zeugung hartnäckig verteidigen. Das ist jedem Zeitungsleser geläufig, wenn er dasVerhalten der deutschen Automobilindustrie verfolgt, die unbelehrbar ihr Luxus-und Temposegment im Markt ausbaut. Das erschließt sich im Agieren der Chemie-wirtschaft auf europäischer Ebene, die sich keine Kosten für den Nachweis der Harm-losigkeit ihrer Substanzen auferlegen möchte. Und das ist geradezu sprichwörtlichbei Agrarindustrie und Bauernvertretung, die im Abschied von Düngemitteln undPestiziden nur den Einstieg in wirtschaftlichen Niedergang zu erkennen vermögen.Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass die Energiewende nicht recht voran-kommt, von einer Verkehrswende weit und breit keine Spur zu sehen ist, und dieAgrarwende im Sande verläuft. Alle zusammen sind die Lobbys schließlich ziemlicheinig, wenn es in Brüssel bei der EU oder in Genf bei der Welthandelsorganisationdarum geht, die Position der hiesigen Industrien gegenüber den Volkswirtschaftender südlichen Hemisphäre auszubauen.

Aber jenseits aller Händel der Interessenvertreter und Seelenverkäufer sind grund-ständige Gegenkräfte wirksam. Da ist zum einen der kapitalistische Wettkampf, wel-cher Unternehmen bei Strafe des Untergangs – Aktiengesellschaften mehr als Perso-nengesellschaften – zwingt, Renditen auf das eingesetzte Kapital zu erwirtschaften.Für börsenorientierte Unternehmen sind die Investoren (Shareholder) die einzig re-levanten Anspruchsberechtigten (Stakeholder), nicht die Belegschaft und schon garnicht die weitere Gesellschaft oder zukünftige Generationen. Unternehmen müssentun, was sich lohnt, nicht was richtig ist – und nicht selten lohnt es sich, das Falsche

Einblicke 13

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14 Zukunftsfähiges Deutschland

Umweltschonende Fahrzeuge habeneinen bislang in Deutschland beispiel-losen Erfolgskurs eingeschlagen. Wasnoch bis vor 10 Jahren unumkehrbarerTrend zu sein schien, hat sich heute indas Gegenteil gewandelt: Statt immergrößerer Autos mit immer mehr PS undEnergiebedarf bestimmen heute smartePkw mit weniger Masse, weniger Leis-tung und weniger Verbrauch das Stra-ßenbild. Nahezu 70 Prozent aller Fahr-zeuge in Deutschland stellen kleinereTypen mit durchschnittlich 30 PS undeinem Verbrauch von drei Litern Dieselauf 100 Kilometer dar, weitere 20 Pro-zent sind mittlere Typen mit 40 PS undvier Litern Verbrauch, und nur nochzehn Prozent größere mit 50 PS undfünf Litern.

Vorangegangen war diesem Fortschrittein in der Geschichte bislang einmaligerAnsehensverlust der großen Autokon-zerne bei Kunden wie Anlegern: DieKunden glaubten immer weniger daran,dass die Autoindustrie die ökologischeInnovationsträgerin ist, wie sie es jah-relang behauptet hatte. Bei den Anle-gern war die Reputation gesunken, weilimmer deutlicher wurde, dass globalagierende Unternehmen, die für denWeltmarkt keine verbrauchsarmen Pkwsanbieten, auf Dauer keinen Erfolg ha-ben. Vor diesem Hintergrund starteteeine ausgeprägte Innovationsoffensive,die im Jahr 2015 ihren Höhepunkt er-

reichte. Mit der bereits bis dahin er-reichten Technik im Fahrzeug- und Mo-torenbau und weiteren Verbesserungenkonnte sukzessive die gesamte Auto-flotte so umgerüstet werden, dassEnergieverbrauch und Emissionen mitdem Jahr 2021 im Zehnjahresvergleichnahezu halbiert wurden. Die seit 2011massiven staatlichen Maßnahmen wiedie Einführung des Tempolimits und derCO2-basierten Kfz-Steuer taten ein Übri-ges: Tempo 120 auf deutschen Auto-bahnen brachte vergangenes Jahr mehrals zwei Millionen Tonnen CO2 wenigerund lässt zudem 250 PS heute ziemlichunsinnig erscheinen. Insofern kommtder gestrige Kabinettsbeschluss kaumüberraschend, wonach Pkw zukünftigbaubedingt nicht schneller als 120 km/hfahren dürfen. Auch die Werbung hatihren Anteil am Durchbruch der umwelt-schonenden Autos: Setzten die Spotsnoch vor zehn Jahren auf Power undgroße Autos, so zelebrieren heute»Small is beautiful«-Kampagnen dencleveren Kleinwagen, der nur das anEnergie verbraucht, was er wirklich be-nötigt. »Meine persönliche Mobilitätsehe ich in keiner Weise einge-schränkt«, sagt Autofahrerin Clara S.(37), »im Gegenteil: ich konnte mirmeinen BMW 0.5er sogar einfacher leis-ten, fühlte mich beim Kauf gut undschaffe damit immer noch problemlosdie Autobahnhöchstgeschwindigkeit.«

Zeitfenster:

Moderate Motorisierung2022

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zu tun. Ferner bringen überkommene Strukturen oft ihre eigenen Sachzwänge her-vor, weil im Laufe ihrer Geschichte alternative Lösungen bereits abgeräumt wurdenoder abgestorben sind. Es reicht, an das Autobahnnetz zu denken, an dem die weit-räumige wirtschaftliche Arbeitsteilung hängt, oder an die Suburbanisierung, die dasAuto erzwingt, oder auch an die Auflösung des Familienverbands, welche die Nach-frage nach Wohnfläche in die Höhe treibt. Diese Strukturen stellen Tatsachen dar,welche den Schwung der Veränderung bremsen. Und schließlich blockiert einegewisse kulturelle Hilflosigkeit den Wandel. Denn die fossil getriebenen Weisen derBedürfnisbefriedigung, obwohl erlernt, sind in den Menschen auch körperlich-emo-tional verankert. Das liegt auf der Hand bei Erwartungen nach Beleuchtung undHygiene, Heizung und Mobilität, ist aber auch wirksam bei Freuden des Alltags wieShopping oder Restaurantbesuchen.

Einblicke 15

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Umweltpolitische Ziele eines zukunftsfähigen Deutschlands 1995 und die reale Entwicklung bis 2005

Primärenergieverbrauch, in PJa

Fossile Brennstoffe, in PJ

Kernenergie, in PJ

Anteil erneuerbarer Energien, in %

Energieproduktivitätb

(1995 = 100)

Globaler Materialaufwandc, in Mio. t

Materialproduktivitätd

(1995 = 100)

Siedlungs- und Verkehrs-fläche (ha/Tag)

Landwirtschaft (Anteil des ökol. Landbaus, in %)

Waldwirtschaft (Anteil der zertifizierten Flächen, in %)

Kohlendioxid (CO2), in Mio. t

Schwefeldioxid (SO2), in Tsd. t

Stickoxide (NOx), in Tsd. t

Ammoniak (NH3), in Tsd. t

Flüchtige organische Verbindungen ohne Methan (-NMVOC), in Tsd. t

Synthetischer Stickstoff-dünger, in Tsd. t

Biozide in der Landwirtschaft,in t

Bodenerosion, in t/ha und Jahr

2005

14.469

11.828

1.779

4,7%

114,3

6.090f

108f

+ 118

4,7%

4,8%h

873

560

1.443

619

1.253

1.779

35.494

7,24

Veränderung 1995–2005

+ 1,4%

-3,7%

+5,8%

rund + 10%/Jahr

rund + 1,6%/Jahr

+ 5,1%

rund +0,8%/Jahr

unverändert

rund + 10%/Jahr

rund + 35%/Jahr

-5,2%

-67,6%

-33,5%

-1,9%

-36,5%

-0,4%

+2,8%

-34,2%

Umweltziel e

kurzfristig 2010

mind. -30%

-25%

-100%

+3% bis +5%/Jahr

+3% bis +5%/Jahr

-25%

+4% bis +6%/Jahr

absolute Stabilisierung

flächendeckendeUmstellung aufökologischen Land-bau, Regionalisie-rung der Nährstoff-kreisläufe

flächendeckendeUmstellung auf na-turnahen Waldbau,verstärkte Nutzungheimischer Hölzer

-35%

-80% bis -90%

-80% bis 2005

-80% bis -90%

-80% bis 2005

-100%

-100%

-80% bis -90%

Entwicklung

1995

14.269

12.282

1.682

1,9%

100

5.796

100

+ 120

1,8%

0,5%g

921

1.727

2.170

631

1.972

1.787

34.531

11

langfristig2050

mind. -50%

-80% bis -90%

-80% bis -90%

-80% bis -90%

Umweltindikator

Stof

fabg

aben

/Em

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Mat

eria

lFl

äche

Ener

gie

Ress

ourc

enen

tnah

men

a Petajoule (1 Billiarde Joule, Maßeinheit für Energie) · b Primärenergieverbrauch bezogen auf die Wertschöpfung (Bruttoinlandsprodukt) ·c Globaler Materialaufwand (einschließlich Erosion) · d Globaler Materialaufwand (einschließlich Erosion) bezogen auf die Wertschöpfung(BIP) · e Vorschlag aus »Zukunftsfähiges Deutschland« (Bezugszeitpunkt: Mitte der 1990er Jahre) · f 2004 · g 1998 · h 2006

16 Zukunftsfähiges Deutschland

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Viele ahnen es, aber wenige sagen es: Der Klimawandel ruft nach einem Zivilisations-wandel. Der Übergang zu einer postfossilen Zivilisation wird das bestimmende Vor-haben dieses Jahrhunderts sein – vor allem für die Industriegesellschaften. Er um-fasst erstens ein technologisches Projekt, nämlich die Umgestaltung der gesellschaft-lichen Hardware – von Gebäuden über Kraftwerke zu Textilien – zu ressourcenleich-ten und naturverträglichen Systemen. Das ist im Kern die Herausforderung für dieIngenieurs-, Verfahrens- und Designwissenschaften sowie für Planer und Manager.Zu ihm gehört zweitens ein Institutionenprojekt, nämlich der Aufbau von Regelwer-ken und Einrichtungen, welche die Achtung der Menschenrechte gewährleisten unddie Entwicklungsdynamik der Wirtschaft innerhalb der Regenerationsgrenzen derBiosphäre halten. Das sind die Baustellen der Wirtschaftswissenschaft und der Polito-logie, aber vor allem ein Großthema für Konfrontation, Disput und Entscheidung inder politischen Öffentlichkeit und den Parlamenten. Und drittens umgreift ein sol-cher Wandel die Leitbilder für Handeln und Sein, von der persönlichen Lebensfüh-rung über das professionelle Ethos zu den Prioritäten des Gemeinwesens. Es werdenLeitbilder sein, welche eine ganzheitliche Wahrnehmung zum Ausdruck bringen undum die rechte Balance zwischen Mensch und Natur kreisen. Und es werden Leitbildersein, welche eine kosmopolitische Verantwortung widerspiegeln und die persönlicheLebensführung mit dem globalen Kontext in Verbindung bringen.

Eine solche Perspektive muss zuerst mit einer konzeptuellen Nachlässigkeit aufräu-men, die sich im politischen Raum durchgesetzt hat. Seit der 1998er Enquete-Kom-mission des Bundestags zum »Schutz der Menschen und der Umwelt« hat sich, übri-gens eingebracht vom Verband der Chemischen Industrie, die Rede vom »Dreieck derNachhaltigkeit« eingebürgert. Sie fordert, dass wirtschaftliches Wachstum, sozialeSicherheit und ökologische Verträglichkeit als gleichberechtigte Ziele zu betrachtenseien, die miteinander in Balance zu bringen sind. Doch diese Gleichstellung ver-kennt die Absolutheit sowohl ökologischer Grenzen als auch der Menschenrechte.Deshalb wird eine Politik der Zukunftsfähigkeit vordringlich die Grenzen der Trag-fähigkeit der Ökosysteme beachten und von dort aus Leitplanken für Wirtschaft undsoziale Sicherheit formulieren. Ein ähnlicher Unbedingtheitsanspruch kommt denMenschenrechten zu; die kosmopolitische Verpflichtung, sie zu gewährleisten, kannnicht gegen andere Ziele wie Wettbewerbsfähigkeit oder Besitzstandswahrung ver-rechnet werden. Die Wirtschaftsdynamik innerhalb von ökologischen und menschen-rechtlichen Leitplanken zu halten, ist als das Kernprogramm der Nachhaltigkeit zubegreifen.

Ein solches Programm ist offensichtlich nicht mit dem Anspruch vereinbar, die Wirt-schaft sei der Motor für gesellschaftliche Entwicklung. In jedem Fall verlangt der

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Wofür das Buch steht

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18 Zukunftsfähiges Deutschland

Seit der abrupten Eskalation der Ölprei-se infolge der immer schwächeren Aus-beute auf den Ölfeldern haben ver-schiedene Staatsfonds der OPEC mas-siv in Unternehmen investiert, die So-larstrom in der Wüste produzieren. Vorallem Algerien, Libyen und Iran habensich nach einer anfänglichen Phase desZögerns an die Spitze der Solarstrom-produktion in den Regionen Nordafrikaund Persischer Golf gesetzt. Derzeitwird der Strom noch im Inland einge-setzt. Er hilft – gemeinsam mit Anstren-gungen, die Energieeffizienz zu steigern– Erdöl und Erdgas einzusparen undstattdessen auf den internationalenEnergiemärkten höchst profitabel zuverkaufen. Laut der jüngsten Regie-rungserklärung von Scheich Abdul-Solwird Saudi-Arabien ebenfalls in die So-larstromproduktion einsteigen – undmit ihm auch die anderen Mitgliederdes Golf- Kooperationsrates. Die hoheSonneneinstrahlung schafft in Nord-afrika und am Persischen Golf idealeVoraussetzungen, erneuerbaren Stromzu produzieren.

Algerien geht bereits offensiv dennächsten Schritt: Neben der Strompro-duktion für den heimischen Verbrauchsollen die neuen Kraftwerke dem Landeinen attraktiven neuen Exportmarkt er-öffnen – Stromexport nach Europa. Zu-pass kommt diesem Vorstoß die starkeKostensteigerung der Kohleverstro-

mung, beispielsweise durch die Einbin-dung einer CO2-Abscheidung. DerTransportverlust des Stroms über meh-rere tausend Kilometer liegt mit zehnProzent noch im tolerierbaren Bereich.Parallel dazu haben europäische Ener-giemultis ihre Forschungsabteilungenim Bereich erneuerbarer Energien mas-siv ausgeweitet. Damit laufen sie je-doch dem Trend nur noch hinterher.Das weltweit größte Forschungszentrumfür erneuerbare Energien mit Hauptsitzin Algier wird inzwischen von der OPECfinanziert und bringt nicht nur führendeForschungsgruppen zusammen, son-dern auch Unternehmer und Bankiers,um die direkte Umsetzung voranzutrei-ben. »Natürlich verdienen wir auchnach unserem Peak immer noch gut amÖlexport«, so Scheich Sultan Ahmed Al-Jabal (43), Fondsmanager bei »SaudiInvest«, gegenüber US-amerikanischenund europäischen Delegationen, »docherstens schaffen unsere Investments fürSaudi-Arabien ein weiteres Wirtschafts-standbein, und zweitens sichern wiruns eine strategische Stellung in derEnergieversorgung. Ich kann mir heutekaum mehr vorstellen, dass Saudi-Ara-bien noch zu Beginn des Jahrhundertsgegen erneuerbare Energien eingestelltwar.«

Zeitfenster:

Solarer Goldrausch bei den Ölscheichs2022

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Kurswechsel auf Zukunftsfähigkeit den endgültigen Abschied vom Neoliberalismus.Der britische Historiker Eric Hobsbawm hat gezeigt, wie die Leitidee eines Sozial-kontrakts zwischen Wirtschaft und Staat, welche die Geschichte der Nachkriegszeitgeprägt hatte, seit den späten 1970er Jahren abgelöst wurde durch die Leitidee derDeregulierung des Wirtschaftsgeschehens. Im Kontext dieses Wechsels errang dasZiel der ökonomischen Effizienz eine weitgehende Dominanz über andere gesell-schaftliche Ziele wie Ökologie oder Gerechtigkeit. Die Liberalisierung der Märkteund die Privatisierung öffentlicher Grunddienste wurden zu beherrschenden Kam-pagnen, was vor allem transnationalen Unternehmen einen enormen Machtzuwachsbescherte. Diese ideologische Konstellation hat sich nach bald 30 Jahren erschöpft.Ein wichtiger Grund dafür ist ihre bewiesene Impotenz gegenüber der globalenArmuts- und Umweltkrise.

Die Stärke des Marktes liegt darin, über den Wettbewerb alle Teilnehmer zu veran-lassen, beständig auf den bestmöglichen Einsatz von Kapital, Material, Menschen undZeit zu achten. Er soll so für die optimale Allokation wirtschaftlicher Mittel sorgen.Es ist ihm aber nicht in die Wiege gelegt, die beiden anderen Aufgaben einer funkti-onstüchtigen Ökonomie zu gewährleisten: Weder ist er imstande, den Naturver-brauch auf einem zuträglichen Niveau zu halten, noch kann er eine faire Verteilungder Güter unter den Marktteilnehmern und darüber hinaus herstellen. Er ist blindfür die Sache der Ökologie wie auch der Gerechtigkeit. Deshalb ist es im weiten Sin-ne die Politik, welche dafür die Regeln zu setzen hat. Gemeinwohl vor Markt, andersgeht es gar nicht, um ökologischen Leitplanken und fairer Teilhabe gegenüber demZiel der Wettbewerbsfähigkeit Geltung zu verschaffen. Im Übrigen stecken darinauch neue Chancen für den Markt. Neue Spielregeln treiben Innovationen in eineneue Richtung, erschließen neue Bereiche des Wettbewerbs, ja können der Wirtschafteine neue Glaubwürdigkeit verschaffen. Schon zeichnet sich ab, wie eine neuartigeGeneration von Spar- und Solartechnologien bislang unbekannte Geschäftsfeldermitsamt Verdienstmöglichkeiten und Arbeitsplätzen eröffnet. Und im Hinblick aufGerechtigkeit ist seit Langem bekannt, dass eine ausgeglichenere Einkommensver-teilung sowohl national wie international der Nachfrage guttut.

Dennoch sind die Zeiten vorbei, in denen man sich von mehr Wirtschaftswachstumein besseres Leben erwarten konnte – jedenfalls in den wohlhabenden Ländern. Zwarwar man noch nie gut beraten, eine hohe Produktionsmenge mit einer zivilisiertenGesellschaft zu verwechseln, doch ist unterdessen der Wachstumsimperativ zu eineröffentlichen Gefahr geworden. Dabei ist der Punkt nicht nur, dass Wachstum weitge-hend zum Selbstzweck verkommen ist und meist nur Lösungen für Bedürfnisse ver-marktet, die vorher niemand verspürt hatte. Sondern es mehren sich die Anzeichen,dass Wachstum mehr Nachteile als Vorteile produziert, also in der Gesamtheit dieGrenzkosten des Wachstums schneller zunehmen als sein Grenznutzen. Ist es damitaber nicht zur selbstzerstörerischen Veranstaltung geworden? Die Destabilisierungdes Klimas sowie die soziale Aufspaltung vieler Gesellschaften sind dafür die heraus-

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20 Zukunftsfähiges Deutschland

Eines der wichtigsten Solarenergiepro-jekte nahm seinen Anfang im sonnenar-men Norden. Auf Grundlage von Laser-scannerdaten, die per Flugzeug gesam-melt wurden, errechnete man für Osna-brück die Ausrichtung und Neigung al-ler Dachflächen und simulierte aufgrundder umstehenden Gebäude und Bäumedie jahreszeitlich bedingte Verschattungbei unterschiedlichem Sonnenstand.Das Ergebnis der Berechnungen über-zeugte sogleich andere Stadtväter inDeutschland: Osnabrücks Strombedarfließe sich bei Ausstattung der geeigne-ten Flächen komplett abdecken. Einenmindestens um den Faktor drei höhe-ren Energieertrag würde die Nutzungder Flächen für Solarwärme erbringen.

Inzwischen ist es fast selbstverständ-lich, dass Kommunen ihre solarenDächerdaten via Internet zur Verfügungstellen. Schließlich erzielt die ehergeringe Investition in die Dachanalyseeine enorme Wirkung. Für Hausbesitzer,Solarvereine und Investoren ist dieStandortsuche für die Installation vonSolaranlagen kinderleicht geworden.Auf einem Stadtplan ist jedes Gebäudefarblich gekennzeichnet, je nach dem,wie hoch der mögliche Solarertragjeweils ist. Für Investoren von großenSolaranlagen wird insbesondere dieSuche von großen Dachflächen inIndustriegebieten erleichtert. EinigeKommunen haben ihre Datenbanken

um den möglichen Einsatz von Kraft-Wärme-Kopplung und solare Nahwär-menutzung bereichert. Damit zeigt sich,welche Technik vorzugsweise installiertwerden sollte und wie die jeweiligenAmortisationsbedingungen sind. Vieler-orts finanzieren und verwalten Dienst-leistungsunternehmen die Energie-Infra-struktur in Form von Sonnenkollekto-ren, Kraft-Wärme- Kopplungsanlagen,Nahwärmenetzen oder Brennstoffzellen.Die Anwohner bezahlen für die ver-brauchte Energie, abzüglich der produ-zierten Energie. Um den Rest kümmernsich die Unternehmen. »Wenn irgend-etwas nicht funktioniert mit der Brenn-stoffzelle, der Photovoltaikanlage, derWarmwasseraufbereitung, am Gasherdoder am Waschautomat «, berichtet einAnwohner der sächsischen Stadt Tor-gau, »steht, noch bevor du es richtigmerkst, ein Techniker vor der Tür undbringt die Dinge in Ordnung.«

Zeitfenster:

Vom Dächerscan zur Solarstadt2022

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ragenden Beispiele. Deshalb steht der Wachstumszwang im Widerspruch zur Nach-haltigkeit. Erst wenn Wachstum zu einer Option unter anderen zurückgestuft wird,kann man einen Kapitalismus mit sozialem und ökologischem Mehrwert erwarten.

Schließlich wird die Rettung der Biosphäre nicht ohne Abschied von der Hegemonie-stellung des Nordens in der Weltpolitik zu haben sein. Es ist unübersehbar, dass eineWeltordnungspolitik (Global Governance) in Sachen Ökologie nur in einer gemein-samen Anstrengung der reichen und der armen Länder gelingen kann. Bislang aberist eine ernsthafte Kooperation zwischen Nord und Süd in der Umweltpolitik darangescheitert, dass der Norden ungebrochen seine strukturelle Macht in der Finanz-,Handels- und Entwicklungspolitik zu Ungunsten des Südens ausspielt. Weil dasimmer wieder so weit geht, dass die Stärkeren Abmachungen systematisch nichteinhalten, sieht sich der Süden an die Wand gedrängt und antwortet mit Misstrauenund Vergeltungsgelüsten. Umweltpolitik, die nicht gleichzeitig Solidaritätspolitik ist,wird darum erfolglos bleiben. Ohnehin wird sich die Zeitbombe des globalen Elendserst dann entschärfen lassen, wenn Solidaritätspolitik zum Herzstück der internatio-nalen Beziehungen wird. Entwicklungsförderung, nicht Wirtschaftsförderung mussdie Architektur der Weltgesellschaft auszeichnen. Ohne eine Wende in der Hegemo-nialpolitik, vor allem was Schulden, Patente und Handelsverträge angeht, ist eineernsthafte Kooperation der Südländer für den Auszug aus der fossilen Ökonomienicht zu erwarten.

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22 Zukunftsfähiges Deutschland

Öl verseucht die Böden und Flüsse im Regenwald

von Ecuador. Foto: picture-alliance/dpa

Seit 1964 das Konsortium Texaco-Gulfdie ersten Bohrstellen eröffnet hat, istim Amazonasgebiet Ecuadors, dem sogenannten Oriente, das Ölzeitalter an-gebrochen. Öl bringt dem ecuadoriani-schen Staat Geld, und was noch wichti-ger ist: Dollars. Zumeist geht das geför-derte Öl in die USA. Die an multinatio-nale Konzerne (AGIP, Mobil, Amoco, ElfAquitaine, Petrobras, Texaco und ande-re) vergebenen Konzessionen betreffenGebiete von rund 1,2 Millionen HektarRegenwald und liegen oft in indigenenTerritorien. Die im Oriente lebendenVölker sind vorwiegend Subsistenz-gesellschaften, mit unterschiedlichenSprachen und Kulturtraditionen. Eshandelt sich dabei vor allem um dieQuichua, Huaorani und Shuar, wobeialle indigenen Gruppen zusammen

etwa 125.000 Personen zählen. DasZusammenspiel von Wald und Wassermacht die Region zu einer der arten-reichsten in der Welt, die indigenenGruppen sind auf die Naturräume derWälder, der überfluteten Gebiete undder Flussufer angewiesen.

Doch Ölförderung verlangt Sprengun-gen, Pumpanlagen, Pipelines, Raffinie-rien und darüberhinaus Schneisen,Straßen, Landepisten, schweres Gerätund Arbeitercamps. Daher ging es über-all zuerst um die Abholzung der Wälder,und tatsächlich ist insgesamt die Wald-fläche auf 30 Prozent der Fläche der1970er Jahre geschrumpft. Ölreste undGas wurden abgefackelt, Schneisen undBohrzonen geschlagen, sogar ohne dieheiligen Orte der Indios zu schonen.Besonders dramatisch aber waren undsind die Folgen der Wasserverschmut-zung: Giftige Abfälle und Abwässer ver-unreinigen Bäche und Flüsse, die denEinwohnern als Trinkwasser, Kochwas-ser und zum Waschen dienen. Überzahlreiche Lecks in den Leitungsrohrensickert Öl in Boden und Wasser; in denvergangenen 20 Jahren flossen ausüber 30 Brüchen im Pipeline-Systemmehr als eine halbe Million Barrel Öl inEcuadors Flussläufe. Als damit Pflan-zen, Fische und Wildtiere verschwan-den, erodierte die Existenzbasis derindigenen Gruppen. Mangelernährung,sozialer Niedergang und letztendlichVertreibung waren und sind die Folge.

Öl aus dem Regenwald Ecuadors

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Zu Beginn werden in den „Ausgangslagen“ die globalen Probleme und Krisen darge-stellt und erklärt. Welche Verantwortung Deutschland trägt und was sich in den let-zen Jahrzehnten wirklich bewegt hat, das verdeutlichen die „Bilanzen“. Es folgen die„Leitbilder“ welche aufzeigen, wohin nachhaltige Entwicklungen führen müssen.Dabei wird deutlich, dass ein „Kurswechsel in Deutschland und Europa“ nicht ansolaren, dezentralen Energiestrukturen oder neuen Arbeitsmodellen vorbei führt.Und auch weltweit gilt es enger zusammenzuarbeiten und verbindliche Regeln zuschaffen. Dafür steht der Abschnitt „Übereinkünfte global“. Zu guter Letzt wird derBogen zum eigenen Handeln gespannt und dem „Engagement vor Ort“ eine Schlüs-selrolle beigemessen. Der „Ausblick“ schließt die Studie und steht auch am Endedieser Broschüre. Zusätzlich führen kurze Texte in die Kapitel ein und unterstreichenden Einblick.

Ausgangslagen

Klimachaos, Peak Oil und die Krise der BiodiversitätFür die moderne Wirtschaft muss die Natur als Mülldeponie, als Bergwerk und alsStandort herhalten. Globale Erwärmung, erschöpfte Lagerstätten und verschlisseneNaturräume demonstrieren, dass die Menschen ihr Konto überzogen haben. Alledrei Krisen hängen zusammen und alle drei Krisen rufen nach einer gemeinsamenLösung: den Einstieg in die Solar-Spar-Gesellschaft.

Eine Welt mit NachholbedarfDie Biosphäre geht schon in die Knie, obwohl erst ein Viertel der Weltbevölkerungdie Früchte des wirtschaftlichen Fortschritts genießt. Drei Viertel jedoch haben nochNachholbedarf, sie wollen es den Wohlhabenden gleichtun. In einer zerklüfteten Weltist der Wille, Ungleichheiten zu überwinden, eine der stärksten Triebkräfte. Sollen dieÄrmeren ausgeschlossen bleiben, um die Umwelt zu retten, oder gelingt es, Formendes Wohlstands zu entwickeln, die ungleich weniger Natur verbrauchen? Es ist diekosmopolitische Mission der Ökologie, mehr globale Gerechtigkeit zu ermöglichen,ohne die Erde ungastlich zu machen.

Wachstum oder WohlstandWie andere Industrieländer auch ist Deutschland eine Wachstumsgesellschaft. Nichtnur die Wirtschaft dreht sich um Wachstum, sondern auch die Lösung gesellschaft-licher Großprobleme wie Beschäftigung und soziale Sicherheit werden von ihm ab-hängig gemacht. Doch die Wachstumsorientierung steht in starker Spannung zurNachhaltigkeit. Zwar kann der ökologische Umbau der Industriegesellschaft zunächst

Einblicke 23

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Wie das Buch aufgebaut ist

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24 Zukunftsfähiges Deutschland

Nach inzwischen sieben EU-Aktionsplä-nen für ökologische Landwirtschaft inFolge überschreitet der ökologischeLandbau in diesem Jahr in Deutschlanderstmalig die 40 Prozentgrenze. Maß-geblich dafür war, dass es seit 2012jährlich nationale Aktionspläne mit kla-ren Zielen und Zeitplänen gab. Auch dieUmstellungs- und Beibehaltungszahlun-gen, die Landwirten den Übergang indie ökologische Landwirtschaft erleich-tern, sind seit 2010 drastisch erhöhtworden.

Anfangs hatten nur fünf Bundesländervon diesen Möglichkeiten Gebrauch ge-macht, inzwischen beteiligen sich alleBundesländer daran. Heute wirtschaftenfast 80.000 deutsche Betriebe ökolo-gisch, und der Umsatz mit Öko-Produk-ten erreicht bei einer Wachstumsratevon 15 Prozent einen Jahresumsatz vonrund 20 Milliarden Euro. Das einstigeNischensegment Bio ist Standard ge-worden, wobei die Preise infolge derbreiten Produktion auf ein für fast allebezahlbares Niveau gesunken sind.Kaum ein Restaurant kommt mehr ohneeine Biospalte auf der Speisekarte aus.»Aus heutiger Sicht erscheint es unzu-mutbar, dass Patienten noch vor 15 Jah-ren in deutschen Krankenhäuserndurchweg chemisch behandelte Lebens-mittel zu essen bekamen«, erinnert sichein Berliner Krankenhausleiter in derZDF-Sendung »Öko und fair«.

Neben der erhöhten Lebensmittelsicher-heit wurde mit diesem Durchbruchgleich ein ganzes Bündel an weiterengesellschaftlichen Zielen erreicht. Auf-grund der weitgehend geschlossenenBetriebskreisläufe, des Verzichts aufchemisch-synthetische Pflanzenschutz-und Düngemittel, des geringeren Tier-besatzes sowie einer nachhaltigerenBodenbearbeitung konnten bedeutendeBeiträge zum Umwelt- und Klimaschutzgeleistet werden. Allein die Treibhaus-gasemissionen aus der Landwirtschaftsind um etwa 60 Prozent gegenüberder Zeit vor 2012 zurückgegangen. DieVerluste an Artenvielfalt konnten deut-lich gebremst werden. Seit 2015 wer-den alle Tiere artgerecht im Auslauf undauf Stroh gehalten, Leistungsfördererim Futter sind gesetzlich verboten.Durch die arbeitsintensive Produktionentstanden seit 2012 jährlich mehr als20.000 neue Arbeitsplätze in der Land-wirtschaft. Ein Ende der Erfolgsstory istbislang nicht abzusehen. Im Gegenteil,zwei weitere Bundesländer sind nachden großen Genmais-Skandalen von2013 und 2017 dem Beispiel Mecklen-burg-Vorpommerns gefolgt, haben Öko-landbau flächendeckend eingeführt undreihen sich damit ebenfalls in den Kreisder »Ökologischen Modellregionen«ein.

Zeitfenster:

Ökologischer Landbau überschreitet die 40 Prozentgrenze

2022

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einen Wachstumsschub auslösen. Aber der notwendige Rückbau des fossilen Res-sourcenverbrauchs um 80 bis 90 Prozent bis zum Jahr 2050 wird sich kaum mit einerVerdoppelung des Bruttoinlandsprodukts – was einer geringen jährlichen Wachs-tumsrate von 1,5 Prozent entspräche – vereinbaren lassen. Zukunftsfähigkeit erfor-dert deshalb, schon heute vorsorgend Wege zu einer Wirtschaftsweise einzuschlagen,die allen Bürgern ein gedeihliches Leben sichert, ohne auf ständiges Wachstum ange-wiesen zu sein.

Bilanzen

Deutschland im WeltumweltraumDie Menschheit übernutzt die Biosphäre, und das Jahr für Jahr. Weil vor allem dieglobale Landfläche sowie die Atmosphäre in ihrer Tragfähigkeit überstrapaziert wer-den, treten vielfältige ökologische Krisen auf. Dabei ist die Nutzung des globalenUmweltraums ungleich verteilt: Es sind besonders die Industrieländer, welche sich dienatürlichen Ressourcen der Erde aneignen, rasch gefolgt von den Schwellenländern,und die arme Mehrheit der Weltbevölkerung hat weitgehend das Nachsehen.

Deutschland im WeltwirtschaftsraumDeutschland ist ein prominenter Akteur in der Weltwirtschaft. Güter- und Investiti-onsströme fließen in alle Welt und kommen aus dem Ausland – beides in wachsendemAusmaß. Woher kommen und wohin gehen diese Ströme, und was sind ihre Folgen?Deutschland ist ein Gewinner der Globalisierung, auch wenn es Arbeitsplätze verliert.Allerdings trägt es dazu bei, die ökologische Raubwirtschaft über den Globus zu ver-breiten und einheimische Akteure von ihren Märkten zu verdrängen. Zukunftsfähigkann nur eine Exportwirtschaft sein, die sozial und ökologisch lebensdienlich ist – waswohl kaum ohne eine Schrumpfung dieses Sektors abgehen wird.

Leitbilder

Gastrecht für alleNicht Hightech und Tatendrang, sondern Elend und Ohnmacht machen das Lebenvieler Weltbürger aus. Doch die Zukunft wird solange verstellt sein, wie die Hälfteder Menschheit kein Gastrecht auf diesem Planeten genießt. Dabei gleichen Armutund Reichtum in mancher Hinsicht siamesischen Zwillingen – sie existieren nichtgetrennt voneinander. Den Menschenrechten auf der Welt volle Geltung zu verschaf-fen, erfordert eine Reform des Reichtums. Und einen Kurswechsel in der Außen- undWirtschaftspolitik, die Deutschland und Europa zu den benachteiligten Ländern derWelt unterhält.

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26 Zukunftsfähiges Deutschland

Heute gab das Bundesministerium fürWirtschaft und Technologie (BMWi) dieVeröffentlichung der neuen Broschüre»Erfolgsgeschichte der Kraft-Wärme-Kopplung in Deutschland« bekannt,die den Werdegang dieser Technologienachzeichnet.

Im Gegensatz zu konventionellen Kraft-werken mit elektrischen Wirkungsgradenvon 35 bis 45 Prozent erreichen KWK-Anlagen durch eine konsequente Nut-zung der Abwärme des Stromerzeu-gungsprozesses eine Ausschöpfung desEnergieinhaltes der Brennstoffe von 80bis 90 Prozent. Somit ist es technischmöglich, Primärenergieverluste auf einMinimum zu beschränken. Dennochmangelte es zunächst am politischenWillen, für eine breite Anwendung die-ser Technologie zu sorgen. Verschiedenestaatliche Förderungen etwa in Formvon Investitionszuschüssen wurdenzwar schon im vergangenen Jahrhundertgewährt, jedoch immer nur zeitweiseund nicht mit der notwendigen Konse-quenz und Dauerhaftigkeit. So lagAnfang dieses Jahrtausends der KWK-Anteil an der Stromerzeugung inDeutschland nur bei etwa 11 Prozent.Angespornt durch die Erfolgsgeschich-ten des KWK-Ausbaus im 20. Jahrhun-dert in anderen europäischen Staatenwie Dänemark (50 Prozent), den Nieder-landen und Finnland (jeweils knapp 40Prozent) wurde schließlich auch in

Deutschland zu Beginn dieses Jahrhun-derts die KWK-Politik mit der Einführungeiner Mineralölsteuerbefreiung und ei-nes Bonus im Rahmen des KWK-Geset-zes neu justiert, zunächst aber nur mitmäßigem Erfolg. Die geplante Verdopp-lung des deutschen KWK-Anteils bis2020 auf 25 Prozent der Stromerzeu-gung erschien Experten mit diesemMaßnahmenbündel schon damals wenigrealistisch. Erst mit der konsequentenEinführung eines weitgehenden KWK-Gebotes für Neuanlagen in Verbindungmit einer Quotenregelung gelang es derBundesregierung Anfang 2010 in Verbin-dung mit einer Imagekampagne einenwirkungsvolleren Impuls zu setzen. Inganz Deutschland schossen große undkleine KWK-Anlagen wie Pilze aus demBoden, während parallel Nah- und Fern-wärmenetze ausgebaut wurden. Anfangdes Jahres 2022 hat Deutschland zu deneuropäischen Kraft-Wärme-Kopplungs-Vorreitern aufgeschlossen und auchdank der parallel durchgeführten Strom-einsparstrategie das Verdopplungszielbeim KWK-Stromanteil übertroffen. Doch das Ende der Fahnenstange istnoch nicht erreicht. Experten gehen da-von aus, dass bis zu 50 Prozent mög-lich sind, manche Schätzungen verwei-sen gar auf ein Potenzial von bis zu 70Prozent.

Zeitfenster:

Erfolgskonzept Kraft-Wärme-Kopplung(KWK)

2022

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Ökologischer WohlstandBesser, anders, weniger – so lautet die Faustformel für den Weg zu einer zukunftsfä-higen Wirtschaft in Deutschland und anderen Reichtumszonen der Welt. Demateria-lisierung allein ist noch nicht naturverträglich, und Naturverträglichkeit verhindertkeine Wachstumseffekte. Deshalb entsteht ressourcenleichter Wohlstand aus demDreiklang von Dematerialisierung (Effizienz), Naturverträglichkeit (Konsistenz) undSelbstbegrenzung (Suffizienz).

Gesellschaft der TeilhabeSeit einigen Jahren reißt in Deutschland der soziale Zusammenhalt auf. Es öffnet sichdie Einkommensschere, es wachsen die Armutsrisiken, und die Gesellschaft wird ins-gesamt als unsolidarischer wahrgenommen. Das sind schlechte Voraussetzungen füreine Wende zu mehr Ökologie und internationaler Fairness. Denn das Projekt derZukunftsfähigkeit verlangt Veränderungsbereitschaft. Sie wird verweigert, wenn dieBürgerinnen und Bürger sich nicht gerecht behandelt fühlen. Gute Beziehungen zurNatur sowie zu anderen Völkern setzen gute Beziehungen innerhalb der eigenenGesellschaft voraus. Deshalb kommt eine Politik der Zukunftsfähigkeit nicht ohneeine Politik der sozialen Teilhabe aus.

Die ganze WirtschaftErfolg wie Misserfolg der Marktwirtschaft rühren von ihrer Verengung aufs Geld.Aber zum Wohlstand der Nation tragen nicht nur die Geldökonomie, sondern eben-falls die Natur- wie auch die Lebensweltökonomie bei. Diese außer Acht zu lassen,macht zwar die Überlegenheit kapitalistischen Wirtschaftens aus, treibt dieses abergleichzeitig in seinen Niedergang. Die Krise der Natur wie die Krise des sozialen Zu-sammenhalts sind ein Beleg dafür. Vorbei sind die Zeiten, in denen die kommerzielleWirtschaft sich lautlos und unentgeltlich Leistungen aus der Natur oder der Lebens-welt aneignen konnte. Eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft wird den Kapitalis-mus so zugunsten der natürlichen und sozialen Mitwelt konditionieren, dass er dasWohlergehen der ganzen Wirtschaft im Blick hat.

Kurswechsel in Deutschland und Europa

Basis wechseln: Auf Solarwirtschaft umsteigen Das Kernstück eines Übergangs zu einer naturverträglichen Wirtschaft ist der Wechselder Ressourcenbasis. Energien und Stoffe solaren Ursprungs werden solche fossilenUrsprungs ablösen. Nicht nur in der Stromerzeugung, auch für Wärme, Treibstoff unddie Herstellung einer Reihe von Grundstoffen stehen Umwandlungstechnologien fürSonnenstrahlung und Pflanzen zur Verfügung. Um sie boomen auch Forschung undInnovation. Eine weiträumig vernetzte Struktur der Versorgung zeichnet sich ab, inder viele Orte und viele Akteure in der Erzeugung von Energie zusammenwirken.

Einblicke 27

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28 Zukunftsfähiges Deutschland

Porto Alegre, Brasilien, 20. März 2022.Heute haben die Wirtschaftsministervon 176 Staaten ihre Unterschrift unterein historisch einmaliges Abkommengesetzt. Nach zehn Tagen intensiverVerhandlungen und einer insgesamtfünfjährigen Verhandlungsrunde habensie mit dem Abkommen den Start-schuss für die Gründung einer neuen»Internationalen Handelsorganisation«(ITO) unter dem Dach der UNO gege-ben. Wieder in Brasilien, wird hiermitnach genau 30 Jahren das Versprechender Erdkonferenz in Rio 1992 ein weite-res Stück umgesetzt: Handel, Entwick-lung und Nachhaltigkeit miteinander inEinklang zu bringen. Die neue ITO wirddie bisherige Welthandelsorganisation(WTO) ablösen, welche nach ihrer Grün-dung 1994 einseitig die Liberalisierungdes Handels vorangetrieben hatte. Diekünftige ITO soll den Handel wenigerderegulieren, als vielmehr koordinieren.Sie wird aus fünf Abteilungen bestehen:Eine Abteilung für Koordinierung wirddie Abwägung nationaler Präferenzenund internationaler Interessen zur zen-tralen Aufgabe haben. Sie wird dafürsorgen, dass der nationale politischeSpielraum im Handel wiederhergestelltwird. Sie wird diesen Spielraum aberauch mit Blick auf mögliche schädlicheEffekte für internationale und ausländi-sche Märkte überwachen und eventuelleingrenzen. Eine Abteilung für Quali-tätssicherung wird darauf abzielen, auf

globalen Märkten die Qualität von Han-delsströmen zu garantieren. Dabei wirdsie vor allem die Einführung von Men-schenrechts-, Sozial- und Nachhaltig-keitsstandards auf nationaler und mul-tilateraler Ebene unterstützen. Eine Ab-teilung für Handelsbilanzausgleich wirddafür Sorge tragen, dass Handelsbilanz-defizite oder -überschüsse mittelfristigin einer Balance bleiben. Sie wird ineiner doppelten Buchführung einen Ab-gleich zwischen allen nationalen Han-delsbilanzen und einer neuen interna-tionalen Leitwährung vornehmen undLänder mit Bilanzdefiziten oder Über-schüssen darin unterstützen, einenBilanzausgleich zu erzielen. Eine Abtei-lung für Kartellaufsicht wird dafür zu-ständig sein, Verhandlungen über dieWettbewerbspolitik auf globaler Ebenezu begleiten. Sie wird Informationenüber Größe und Aktionsradius interna-tionaler Unternehmen einschließlich derFusionen und Aufkäufe veröffentlichenund im Falle einer schädlichen Markt-konzentration einschreiten. Schließlichhat eine Abteilung für Streitschlichtungdie Aufgabe, Konflikte zwischen Mit-gliedsstaaten zu schlichten und zwi-schen diesen und Dritten wie etwaKonzernen und Nichtregierungsorgani-sationen zu vermitteln. Dabei müssenGewaltenteilung und institutionelleUnparteilichkeit gewährleistet sein.

Zeitfenster:

Eine Welt-Fairhandels-organisation2022

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Überflüssig machen: Von den Chancen der Ressourceneffizienz?Mit weniger auszukommen erfordert, klüger zu wirtschaften. Um den vollständigenUmstieg auf solare Energien und Stoffe möglich und finanzierbar zu machen, kommtes darauf an, den Gesamtbedarf an Ressourcen zurückzubauen. Dabei hilft, dass inden Wohnungen und Fabriken, in den Motoren und Werkstoffen erstaunliche Ein-sparpotenziale verborgen liegen. Sie zu erschließen, dafür ist eine neue Richtung destechnischen Fortschritts angesagt: statt der Arbeitseffizienz die Ressourceneffizienzvoranzubringen. Das ruft nach Umsicht im Verhalten und Intelligenz im Design, abervor allem auch nach einer Politik, die imstande ist, auf breiter Front eine Mega-Zahlvon Mini-Investitionen und -initiativen anzustoßen.

Märkte gestalten: Der Primat der PolitikMärkte sind eine pfiffige Einrichtung. Sie koordinieren, spornen an, belohnen – unddas alles ohne eine zentrale Regie. Doch ihre Stärke ist zugleich ihre Schwäche: Siebefeuern die Suche nach der privaten Vernunft, aber haben kein Organ für die gesell-schaftliche Vernunft. Das ist verhängnisvoll. In einer Zeit, in der das Schicksal vonMensch und Natur auf des Messers Schneide steht, ist es unerlässlich, die Dynamikvon Märkten als Motor für mehr Ökologie und Fairness zu nutzen. Es ist Sache derPolitik, die Marktprozesse nach Maßgabe des Allgemeinwohls zu gestalten. Eine öko-soziale Marktwirtschaft lässt sich nicht ins Werk setzen, ohne die Priorität der Politikgegenüber der Wirtschaft zurückzugewinnen.

Kreisläufe schließen: Die Renaissance der RegionenDie Globalisierung könnte sich als der Nachsommer des Ölzeitalters herausstellen.In einer treibstoffarmen und ressourcenknappen Welt ist dann keine Verlängerung,sondern wieder eine Verkürzung der Wertschöpfungsketten angesagt. Das muss keinNachteil sein, denn für zahlreiche Aktivitäten – man denke an Verwaltung, Betreu-ung, Pflege, Recycling, Ernährung – bietet der Nahraum heute schon die angemesse-ne Größe. Dazu öffnen sich künftig mit der Solarwirtschaft neue Chancen für dezen-trale Produktion von Energie und sogar von Rohstoffen, wie auch das Internet alsMittel lokaler Vernetzung zur Verfügung steht. Wer jedenfalls für ein Mehr an Öko-logie, Subsidiarität und Demokratie eintritt, dem wird daran gelegen sein, Wirt-schaftsbeziehungen vor Ort zu stärken.

Arbeit fair teilen: Auf dem Weg zur TätigkeitsgesellschaftOhne Gerechtigkeit keine Ökologie, diese Maxime gilt nicht nur auf Weltebene,sondern ebenso in der heimischen Gesellschaft. Deshalb wird der Übergang zurZukunftsfähigkeit von einer Revision der Arbeits- und Sozialpolitik begleitet seinmüssen. Eine solche Revision wird eine gerechte Verteilung von Arbeit anstrebenund die Chancen von Männern und Frauen erhöhen, sich nach ihren Bedürfnissen anErwerbsarbeit zu beteiligen. Weiter wird sie für die soziale und finanzielle Anerken-nung von lebens- und gemeinwohldienlichen Tätigkeiten außerhalb der Erwerbs-arbeit sorgen. Dabei wird es auch darauf ankommen, die enge Bindung der sozialen

Einblicke 29

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30 Zukunftsfähiges Deutschland

Die Stadt Augsburg, mit etwa 256.000Einwohnern die drittgrößte Stadt Bay-erns und Mitglied im Klimabündniseuropäischer Städte e.V., verfolgt einehrgeiziges Ziel: Die klimaschädlichenCO2-Emmissionen der Stadt sollen biszum Jahr 2010 (im Vergleich zu 1987)um 50 Prozent reduziert werden. Dazuwurde ein kommunales Klimaschutz-konzept entwickelt und im Jahr 2004vom Stadtrat verabschiedet.

Im Zuge der lokalen Agenda 21 Prozes-se entstand seit der Mitte der 1990erJahre eine intensive Bürgerbeteiligungzu allen Themen der lokalen Nachhal-tigkeit. Aus ihr hat sich ein kontinuier-licher Kommunikations- und Kooperati-onsprozess zwischen Bürgerschaft, Poli-tik und Verwaltung entwickelt. Auch beider Erarbeitung des Klimaschutzkon-zeptes konnten sich die Bürger aktiv

beteiligen und ein Jahr lang an siebenverschiedenen »KlimaAktionsTischen«mitwirken: Energiepass Schwaben,Nachhaltige Mobilität an AugsburgerSchulen, Mobilitätsmanagement inAugsburg, Beratung Mietwohnungsbau,Erneuerbare Energien, Stromeffizienz imGewerbe, Klimaschutz durch den einzel-nen Bürger. In diesem Verfahren wurdeein Augsburger Maßnahmenkatalog ent-wickelt, der mehr als 70 konkrete Maß-nahmen umfasst. Als Klimaschutzleit-stelle begleitet eine Abteilung desUmweltamtes Augsburg fortlaufend dieUmsetzung der Maßnahmen. Sie zeigtVerbesserungsmöglichkeiten, leitet Ak-tionen ein, koordiniert sie, vermitteltnötiges Knowhow und fungiert alsSchnittstelle zwischen den Bürgern undden lokalen Institutionen. Einige Pro-jekte konnten bereits realisiert werden.So hat die Universität Augsburg die Käl-teerzeugung für die Bibliotheksgebäudezentralisiert und von der veraltetenHeizungsanlage auf Kraft-Wärme-Kopp-lung umgestellt. Schon dreimal wurdeAugsburg von der Deutschen Umwelthil-fe e.V. als »Zukunftsfähige Kommune«ausgezeichnet. Die Jury überzeugtenicht nur die vorbildhafte Siedlungsge-staltung und die klimafreundliche Ener-gieerzeugung der Stadt, sondern insbe-sondere die gute Kooperation zwischender Kommune und ihren Bürgern.

Teilnehmer des Kongresses

McPlanet.com demonstrieren in Berlin für ein

„Klima der Gerechtigkeit“.

Foto: Paul Langrock/ Zenith/Greenpeace

Klimaschutzkonzept Augsburg – Bürger bringen sich ein

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Einblicke 31

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Sicherung an die Erwerbsarbeit zu lockern und – in einer längerfristigen Perspektive– mit einer allen zukommenden Grundsicherung neue Handlungsräume zu öffnen.

Übereinkünfte Global

Gemeingüter wertschätzen: Umwelt – Angelpunkt der Weltinnenpolitik?Welche Globalisierung ist zukunftsfähig? Das ist die Schlüsselfrage am Beginn des21. Jahrhunderts. Noch ist nicht entschieden, ob die aufsteigende Weltgesellschaftvon Gewalt oder von Gerechtigkeit geprägt sein wird. Die Krise der Biosphäre ist einPrüfstand; an ihr wird sich, neben der Sicherheitspolitik, entscheiden, ob die Weltkooperativ regiert werden kann. In den multilateralen Verhandlungen um den Schutzdes Klimas und der biologischen Vielfalt stellt sich heraus, welche Chancen multi-laterale Übereinkünfte für Ökologie und Fairness haben werden.

MehrWert-schöpfen: Verantwortung entlang globaler Produktketten?Die Wirtschaft hat sich globalisiert. Komplexe Produktionsnetzwerke umspannen denErdball, und die Waren in den Einkaufszentren haben oft lange Reisen hinter sich.Wird an den fernen Produktionsorten die Natur strapaziert, werden die Arbeiter ge-knebelt? Die Verantwortung für naturschonende und faire Produktionsbedingungenlässt sich nicht mehr auf einzelne Betriebe beschränken; sie ist zu einer globalen Ge-staltungsaufgabe geworden. Doch die Welt hat keine Regierung: Welche Ansätze gibtes dennoch, mehr Ökologie und Fairness in transnationale Wertschöpfungsketten zubringen?

Regeln ändern: Fairness im Welthandel Ein sozialer Ausgleich in der Weltgesellschaft wird hauptsächlich über die Handels-und Außenwirtschaftspolitik ins Werk zu setzen sein. Europa hat damit Erfahrung,es ist selbst ein internationaler Wirtschaftsraum wie auch ein Raum des sozialenAusgleichs. Doch in der Handelspolitik mit Dritten bleibt Europa hinter seiner sozia-len und menschenrechtlichen Tradition zurück. In auffälligem Kontrast zur Umwelt-politik kann es auf diesem Feld keine Pionierrolle beanspruchen. Doch eine Politik,die auf eine Globalisierung der öko-sozialen Marktwirtschaft zielt, wird die Handels-politik nicht länger isolieren. Ganz im Gegenteil, sie wird die Handelspolitik zurTriebkraft für mehr Ökologie und Fairness in der Weltwirtschaft machen.

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Brot für die Welt

Die Krisen der Umwelt und der Entwicklung

sind eng miteinander verschränkt. Es sind

vor allem die Armen in den Ländern des Sü-

dens, die unter den Folgen des Klimawandels

zu leiden haben. Der Raubbau an unseren

natürlichen Lebensgrundlagen, der vom

Wachstumsmodell der Industrieländer aus-

geht, ist auch Ausdruck des Mangels an in-

ternationaler Gerechtigkeit. „Brot für die

Welt“ setzt sich daher für einen Kurswechsel

in Richtung auf eine zukunftsfähige und ge-

rechte Entwicklung ein – bei uns wie in den

Entwicklungsländern.

„Brot für die Welt“ ist die Spendenaktion der

evangelischen Landes- und Freikirchen im

Bereich Entwicklungszusammenarbeit. Sie

wurde 1959 gegründet. Den Benachteiligten

und sozial Ausgegrenzten ein Leben in Wür-

de zu ermöglichen, ist das Grundanliegen

von „Brot für die Welt“. In mehr als tausend

Projekten jährlich leistet „Brot für die Welt“

gemeinsam mit einheimischen Kirchen und

Partnerorganisationen in Afrika, Asien, La-

teinamerika und Osteuropa Hilfe zur Selbst-

hilfe.

Darüber hinaus will „Brot für die Welt“ mit

seiner Öffentlichkeitsarbeit auf Missstände

in der Welt aufmerksam machen. Das ge-

schieht nicht mit dem erhobenen Zeigefinger.

Den Menschen in Deutschland wird Mut ge-

macht, sich durch Aktionen in ihren Gemein-

den und durch politisches Engagement für

eine gerechtere Welt einzusetzen und Schrit-

te auf dem Weg zu einer ressourcenleichten

und global verträglichen Lebensweise zu ge-

hen.

www.brot-fuer-die-welt.de

Bund für Umwelt und Naturschutz Deutsch-

land e.V. (BUND)

Wie kann eine zukunftsfähige Politik ausse-

hen, die naturverträglich ist? Eine Politik, die

Kindern und den Kindern dieser Kinder eben-

so eine sichere Existenz ermöglicht wie den

Menschen auf der Südhalbkugel. Der BUND

meint: Das gelingt nicht mit einer Politik, die

stur auf „immer mehr und immer schneller“

setzt: immer mehr Ressourcen verbrauchen,

immer mehr Natur mit Beton überziehen,

immer schneller Scheinlösungen produzieren,

statt Zusammenhänge zu sehen. Verkehrspoli-

tik zum Beispiel muss Mobilitäts- und Raum-

ordnungspolitik sein, denn immer mehr Autos

auf den Straßen bringen uns nicht voran, son-

dern in Atemnot und Stress. Und immer mehr

Einkaufszentren auf der grünen Wiese ziehen

mehr Autoverkehr nach sich.

Der BUND setzt sich seit über dreißig Jahren

für den Natur- und Umweltschutz ein. Er ist

mit über 400.000 Mitgliedern, Förderinnen

und Förderern der größte deutsche Umwelt-

verband. In 16 Landesverbänden und rund

2.000 Gruppen setzen sich BUND-Mitglieder

dafür ein, dass die Natur und die Vielfalt der

Arten erhalten bleiben.

Der BUND ist auch international aktiv. Damit

unser Klima nicht zur Katastrophe wird und

für einen fairen Ausgleich zwischen Nord und

Süd. Er ist Mitglied von Friends of the Earth,

der weltweit größten Föderation unabhängi-

ger Umweltverbände.

Die Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“,

die der BUND 1996 gemeinsam mit Misereor

veröffentlichte, prägte die Nachhaltigkeitsdis-

kussion in Deutschland entscheidend mit.

www.bund.net

32 Zukunftsfähiges Deutschland

Die Herausgeber und Autoren

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Einblicke 33

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Engagement vor Ort

Einfluss nehmen: Bürger gestalten KommunenBürgerverkehrskonzept Prien: per Partizipation von der Verkehrsführung zur nach-haltigen Mobilitätsgestaltung. Ensdorfer Bürgerinitiative verhindert RWE-Steinkoh-le-Großkraftwerk. Der Grüne Gockel: Die Evangelische Kirchengemeinde Neuluß-heim vermindert Ihren Umweltverbrauch. Bürger planen, bauen und wohnen auto-frei in Hamburg-Barmbek. Solche Schlagzeilen machen deutlich: Die Zivilgesellschaftkann wirksam für mehr Nachhaltigkeit lokal handeln. Städte und Gemeinden sinddie Orte, an denen Nachhaltigkeit und Bürgermitwirkung konkret werden. Bürgerin-nen und Bürger sind deshalb am leichtesten im überschaubaren Bereich ihrer Kom-mune oder ihres Stadtteils zur Mitgestaltung einer nachhaltigen Entwicklung zugewinnen und können dafür ihre Einflussmöglichkeiten nutzen.

Achtsam leben: Das Private ist politischDas historische Projekt, eine solar-solidarische Gesellschaft zu bauen, lebt von derInitiative einer Vielzahl von Menschen. Auch durch die eigene Lebensführung kannjeder Einfluss auf den Gang des Geschehens ausüben. Wer achtsam einkauft, wirdüber den Preis hinaus ein Augenmerk für die ökologische und soziale Qualität vonProdukten haben. Als Konsument, der sich gleichermaßen als Bürger versteht, wirder darauf schauen, dass sein Kaufakt sowohl zur Umweltentlastung als auch zur Soli-darität mit Schlechtergestellten beiträgt. Wer überdies seinen Kopf über der Waren-schwemme halten möchte, wird die hohe Kunst der Einfachheit pflegen, ansonstenzerfasert sein Leben. Sparsam im Haben, aber großzügig im Sein, so lautet die Deviseder Zukunftsfähigkeit für einen selbst wie für die Gesellschaft.

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Der Evangelische

Entwicklungsdienst (EED)

Als Entwicklungswerk der evangelischen Kir-

chen in Deutschland fördert der Evangelische

Entwicklungsdienst e.V. (EED) jährlich rund

300 Projekte mit einem Volumen von über

100 Millionen Euro. Er unterstützt Partner-

organisationen in Afrika, Asien, Lateinameri-

ka und Osteuropa darin, Armut und Unge-

rechtigkeit zu überwinden. Darüber hinaus

vermittelt er Fachkräfte an Projektpartner in

Übersee und vergibt Stipendien an Studie-

rende aus Partnerländern.

In Deutschland unterstützt der EED die ent-

wicklungspolitische Bildungsarbeit von 500

Organisationen, darunter Kirchengemeinden,

kirchliche Gruppen, Aktionsgruppen und

Nichtregierungsorganisationen durch Zu-

schüsse zu Seminaren und Studienreisen, zu

Kampagnen und Informationsmaterial.

Mit seiner Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit

trägt der EED, zusammen mit seinen Part-

nern, entwicklungspolitische Anliegen in

Kirche und Gesellschaft in Deutschland und

Europa. Dabei geht es ihm darum, die Diskus-

sionen und politischen Entscheidungen im

Sinne globaler Gerechtigkeit und einer zu-

kunftsfähigen Entwicklung zu beeinflussen.

Die Partner des EED in Nord und Süd sind

Kirchen, christliche Organisationen und

Nichtregierungsorganisationen, die mit ihrer

Arbeit die gleichen Ziele und Leitbilder wie

der EED verfolgen: Gerechtigkeit, Frieden

und Bewahrung der Schöpfung.

www.eed.de

Wuppertal Institut für Klima, Umwelt,

Energie GmbH

Das Wuppertal Institut erforscht und entwi-

ckelt Leitbilder, Strategien und Instrumente

für eine nachhaltige Entwicklung auf regio-

naler, nationaler und internationaler Ebene.

Im Zentrum steht die Ökologie und deren

Wechselbeziehung mit Wirtschaft und Ge-

sellschaft. Die Analyse und Induzierung von

Innovationen zur Entkopplung von Natur-

verbrauch und Wohlstandsentwicklung bil-

den einen Schwerpunkt seiner Forschung.

Nachhaltigkeitsforschung am Wuppertal

Institut ist

• anwendungsorientiert und praxisnah

• integrativ und sektorübergreifend

• interdisziplinär und systemanalytisch

• langfristig denkend und ökologisch

orientiert

• teamorientiert und transdisziplinär

• vernetzt mit Partnern in Wissenschaft

und Praxis

• unabhängig und engagiert

In den Projekten arbeiten Wissenschaftlerin-

nen und Wissenschaftler aus den unterschied-

lichsten Disziplinen zusammen. So war auch

die Studie „Zukunftsfähiges Deutschland in

einer globalisierten Welt“ in hohem Maße in-

terdisziplinär angelegt. Beteiligt waren unter

der Leitung von Wolfgang Sachs alle For-

schungsgruppen des Instituts und das Berli-

ner Büro. Während der Erstellung der Studie

fand ein intensiver Dialog-Prozess mit den

Auftraggebern/Herausgebern statt.

www.wupperinst.org

34 Zukunftsfähiges Deutschland

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Wie kann geschehen, was geschehen muss? Zunächst einmal ist festzuhalten: DerWandel ist schon im Gange. Er wartet nicht auf Regierungsbeschlüsse und EU-Richt-linien, er greift Platz durch große und kleine Initiativen vielerorts in der Gesellschaft.Gewiss, die Mehrheit der Gesellschaft ist daran noch nicht beteiligt. Aber Geschichteist selten von Mehrheiten gemacht worden. Der Beitrag der Gruppen und Organisa-tionen der Zivilgesellschaft zur notwendigen Veränderung ist, wie dieses Buch zeigt,konstitutiv. Zwar haben Minderheiten nicht die Macht, aber sie haben Einfluss. Siereagieren früh auf sich anbahnende Umbrüche, sie verkörpern neue Sensibilitäten,sie bringen dringende Forderungen zur Sprache und realisieren neue Lösungen. Sohat in den letzten Jahrzehnten quer über den Globus eine »Bewegung ohne Namen«(Paul Hawken) Aufschwung genommen, vom Biolandbau zum Fairhandel, von Null-Energie-Häusern zur Solarindustrie, von Stadtteil-Initiativen zu globalen For-schungsnetzwerken. Die Bewegung ohne Namen hat keinen Kopf und kein Zentrum,aber sie ist vielgestaltig und global. Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit und –außerhalb Europas – die Rechte indigener Völker sind allenthalben ihre Leitmotive,und bei aller Verschiedenheit vereint sie ein Grundgedanke: Die Rechte der Men-schen und das Lebensnetz der Natur sind wichtiger als Güter und Geld.

Es ist kein Zufall, dass für diese Neue Internationale weder die Sichel noch der Ham-mer als Symbol in Frage kommen, sondern allenfalls das Internet. Im Gegensatz zuBauern- oder Arbeiterbewegungen rührt ihre Stärke weniger von der Mobilisierungder Massen, sondern von den besseren Lösungen. Worauf es ankommt, ist Überzeu-gungskraft und Vernetzung quer durch die Gesellschaft, die Manifestation auf derStraße kommt vor allem ins Spiel, wenn es gilt, Widerstand gegen falsche Lösungenzu leisten. Der Konflikt um Zukunftsfähigkeit ist, wenigstens in den wohlhabendenLändern, nicht Klassen bildend, das heißt die Auseinandersetzungen laufen nicht ent-lang der Grenzen von Klassen oder Institutionen, sondern durch sie hindurch. Erwird innerhalb der Firmen, Kirchen, Parteien, Verwaltungen ausgetragen und nichtzwischen ihnen, und es ist die Allianz von gleichgesinnten Minderheiten, die quer zuihren jeweiligen Parteien, Institutionen, Nationen zusammenarbeiten, welche denWandel voranschieben. […] Manche Option, die zunächst von Minderheiten auspro-biert und praktiziert wurde, ist allmählich oder schubweise in den »mainstream« derGesellschaft gerückt. Minderheiten sind oft Pioniere des Wandels, doch wenn diebreite Gesellschaft davon profitieren soll, ist es an der Politik, zum Garant diesesWandels zu werden.

Einblicke 35

Ausblick

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Impressum

Herausgeber:Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschlande.V. BUND, Friends of the Earth GermanyAm Köllnischen Park 1, 10179 Berlin

Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland e.V.Aktion „Brot für die Welt“Stafflenbergstr. 76, 70184 Stuttgart

Evangelischer Entwicklungsdienst e.V. EEDUlrich-von-Hassell-Str. 76, 53123 Bonn

Konzept: Marek Burmeister, V.i.S.d.P.: Dr. NorbertFranck, Text: Wuppertal Institut, Gestaltung, Produktion: Natur & Umwelt Verlag, Am Köllnischen Park 1, 10179 BerlinClaudia Gunkel (Produktion), Marc Venner (Grafik)

Fischer Taschenbuch Verlag, einUnternehmen der S. Fischer GmbH650 SeitenPreis 14,95 EuroISBN 978-3-596-17892-6

Klimawandel, Hungerkrise, Rohstoff-knappheit und Naturzerstörung stehenauf der internationalen Tagesordnung.Dennoch geht in der Politik, in derWirtschaft und im Alltag vieles weiterwie bisher: Für Flughäfen werden neueStart- und Landebahnen geplant, neueKohlekraftwerke sollen gebaut werden

und Heizpilze sprießen aus dem Bo-den. Im Zweifelsfalle sind der Politikdie Ankurbelung der Nachfrage und dieInteressen der Autoindustrie wichtigerals der Klimaschutz. Und selbstver-ständlich sollen Lebensmittel, T-Shirtsund Turnschuhe wenig kosten. Armut inEntwicklungsländern hin, Umweltver-schmutzung in Schwellenländern her.Die Notwendigkeit einer nachhaltigenPolitik wird vielfach beschworen – undungebrochen dem WirtschaftswachstumVorrang eingeräumt. Wir wissen immer mehr und hinken inden Problemlösungen immer mehrhinterher. Deshalb ist ein Kurswechselnötig. Wir brauchen eine gesellschaft-liche Debatte über die Zukunft unseresLandes in einer globalisierten Welt.Zukunftsfähiges Deutschland, heraus-gegeben vom größten deutschen Um-weltverband und den beiden großenevangelischen Entwicklungswerken,ist ein Anstoß für eine solche Debatte.Wissenschaftlich fundiert, politischpointiert, handlungsorientiert.

Ab Oktober 2008 im Buchhandel.

www.zukunftsfaehiges-deutschland.de

ZUKUNFTSFÄHIGESDEUTSCHLANDin einer globalisierten Welt

Ein Anstoß zurgesellschaftlichen Debatte

Eine Studie des Wuppertal Instituts fürKlima, Umwelt, Energie

herausgegeben von

Zukunftsfähiges DeutschlandDie Studie