zeit: warum ich doch recht habe

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  • 8/8/2019 Zeit: Warum ich doch recht habe

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    2. Dezember 2010 DIE ZEIT No 49 51

    Ich hatte im vergangenen Jahr angeregt,eine allmhliche Umstellung des beste-henden Steuersystems von einem bro-kratisierten Ritual der Zwangsabgabenzu einer Praxis freiwilliger Beitrge zumGedeihen des Gemeinwesens in Erw-gung zu ziehen. Sollte ein Hauch von

    Ironie an meinen ernst gemeinten Thesen zu be-merken gewesen sein, so wre diese dadurch be-dingt, dass ein Autor normalerweise selbst ziem-lich gut einschtzen kann, wann er etwas von sichgibt, was aller Wahrscheinlichkeit nach in den

    Wind gesprochen ist. Zumindest schien es mir so:Ohne den Beweis durch die Tatsachen htte esniemand fr mglich gehalten, dass eine Wort-meldung zu dem seit Jahrzehnten monoton dis-kutierten Komplex der unmglichen Steuer-reform in Deutschland Aufmerksamkeit erregenoder gar skandalfhig werden knnte.

    Genau dieses jedoch geschah im Anschluss aneinen Essay, den ich am 13. Juni 2009 in der FAZvorgelegt hatte. Mit einer Verzgerung von eini-gen Monaten wurde dieses Papier, das unter demredaktionellen Titel Die Revolution der gebendenHanderschienen war, von einem in jedem Sinndes Worts aufgebrachten Leser zum Anlass ge-nommen, zu behaupten, der Verfasser habe sichnun fr immer aus dem Kreis der zurechnungs-fhigen Zeitgenossen verabschiedet. Der Angriffauf meine Thesen erfolgte in der ZEITvom 24.September 2009 unter dem Titel Fataler Tiefsinn

    aus Karlsruhe. Er stammte aus der Feder von AxelHonneth, einem Nachfahren der erloschenenFrankfurter Schule. Ich habe darauf halbwegs ge-lassen, aber nicht ganz ohne Zuspitzungen in derFAZgeantwortet. Dabei erluterte ich meine Ideenoch einmal, wonach nur eine Ethik des Gebensdie Stagnation der zeitgenssischen politischenKultur berwinden knnte. Aus der Erregung bermeine mithilfe der ZEIT-Feuilleton-Redaktioneffektvoll verzerrten Thesen entwickelten sichmehrere parallele Debatten, teils unter dem Stich-wort Klassenkampf von oben, was in meinen

    Augen eine eigenwillige Abschweifung vom The-ma Steuerreform aus dem Geist des Gebensbedeutete.

    Niemand hat je im Ernst geleugnet, dass zueiner geordneten Staatlichkeit ein zuverlssigesFinanzwesen gehrt. Meine Anregungen tastendie Evidenzen nicht an. Was selbstverstndlichist, soll selbstverstndlich bleiben. Wren Steuern,wie manche sagen, nichts anderes als der natr-liche Preis des Glcks, in einem effizienten Staatunter der Herrschaft des Rechts zu leben, sobrauchte man ber ihre Begrndung kein Wort

    zu verlieren obschon ber ihre angemesseneHhe zu streiten bliebe. Jedoch: Es gibt im In-nersten des Selbstverstndlichen einen Komplexvon Annahmen, die sich bei nherem Zusehen alsein vllig unplausibles Konstrukt erweisen.

    Auf diese schwache Stelle zielt, was ich imFolgenden erlutern will. Wer dort genauere Son-dierungen vornehmen mchte, stt frs Ersteauf die Mauer der Tatschlichkeit: Der zeitgens-sische Staat ist, wie jeder seiner mittelalterlichenund absolutistischen Vorgnger, ein nehmender

    Staat, der vom Vermgen seiner Brger im-mer so viel abzieht, wie er nehmen

    kann, ohne ffentliche Unruhenzu provozieren. Sollte man

    ihn mit der Frage konfron-tieren, wie er sein neh-

    mendes Benehmenrechtfertigt, so wird

    man feststellen: Erbegngt sich da-mit, in Tautolo-gien zu kreisen.Er erhebt Steu-

    ern, weil eszum Staatsein

    FEUILLETON

    gehrt, Steuern zu erheben, und er braucht dasGeld, weil es keinen Staat gibt, der das Geld nichtbraucht. Auf diese eherne Logik kann der Brgerallein mit Fatalismus antworten. Den vernimmtman in dem Seufzer des alten Benjamin Franklin:Vllig sicher sind auf dieser Welt nur zwei Din-ge, man stirbt und man zahlt Steuern.

    Bei der Vereinnahmung von Gtern, die inden Fiskus neuzeitlicher Staatswesen flieen, sindvier verschiedene Modi der Aneignung undebenso viele Optionen zur Begrndung vonNehmer-Routinen in Ansatz zu bringen:

    1. Plnderungen in kriegerisch-beutemacheri-scher oder piratischer Tradition ein Modus derStaatsbereicherung, der sich von den ersten Reichs-bildungen der Antike an ber Jahrtausende bewhrthat und auch fr die Grndungsphasen frhmo-derner Staatswesen typisch blieb. Die Brger Roms

    waren ber Jahrhunderte hinweg vllige Steuerbe-freiung gewohnt, weil die Plnderungspolitik dessich ausdehnenden Reichs Abgaben im Innerenberflssig machte. Erst unter Augustus musstendie nicht mehr ausreichenden Plnderungen an

    der Peripherie durch interne Steuern ergnzt wer-den. Die Wirksamkeit dieses Verfahrens zur Fllung

    der Staatskasse reicht weit bis ins 20. Jahrhunder t,seine Popularitt kann auch in volksgemeinschaft-lich integrierten Sozialstaaten zuweilen ein hohesNiveau erreichen. Dies hat Gtz Aly in seiner Un-tersuchung ber Hitlers Volksstaat gezeigt: Frberflle auf das Vermgen wohlhabender Judenwie fr die Enteignung der rmeren jdischen Mit-brger waren die Deutschen noch in den dreiigerund vierziger Jahren leicht zu gewinnen. Eine PriseSozialismus, eine Prise Rassismus, schon kommtder Plnderungsfiskus auch auf der Hhe derModerne in Schwung. Dass Formen der Bereiche-rung dieses Typs fr die heutige Bedarfsregelungvon Steuerstaaten zumindest auf der Ebene diskur-siver Begrndungen unannehmbar sind, bedarfkeiner nheren Erluterung.

    2. Auflagen in autoritr-absolutistischer Tradi-tion. Dies ist der im frhneuzeitlichen Staat etablier-te Modus einer regulr-brokratischen Fiskalitt,die das Brgertum und die rmeren Schichten derBevlkerung gewohnheitsmig krftig belastete,indes sie Adel, Klerus und andere Privilegierteschonte. Die Legitimierung von Auflagen wurde

    anfangs oft in der natrlichen Berufung der zumDienen bestimmten Schichten gesucht und nach

    kurzer Suche gefunden. Gleichwohl kommt es imAbsolutismus schon zu Anstzen einer reziprokenBindung zwischen dem schtzend-vorsorgendenStaat und einer aus den Wohltaten der autoritrgewhrten Ordnung Vorteile ziehenden Zivilgesell-schaft. Es entstehen die ersten Grundlagen einertransaktionalen Deutung des Steuerwesens, wonach

    Steuern der gerechte Preis des Lebens in geordnetenVerhltnissen seien. Aus ihnen geht ein wesentlicherTeil der aktuellen Fiskalitt hervor. Jedoch ist auchdiese autoritre Tradition fr eine demokratischeGesellschaft letztlich inakzeptabel, weil sie zwarElemente einer rational-reziproken Beziehung im-pliziert, jedoch die Reziprozitt einseitig von obenher gestaltet. Nach einer demokratischen Metamor-phose sollte der Staat seine Zugriffe auf Brgerver-mgen lngst den postabsolutistischen Verhlt-nissen angepasst haben man wrde dies daranerkennen, dass die faktisch gebende Seite auchrechtens mehr als gebende denn als schuldende ver-standen wrde und daher in alle Phasen des fis-kalischen Prozesses angemessen involviert wrde.Von einem solchen Schritt in die steuerpolitischeModerne jedoch kann bis heute nirgendwo dieRede sein. Das fiskalische Mittelalter ist nicht zuEnde. Nach Lage der Dinge sieht alles so aus, alssolle das Fiskalsystem direkt aus dem Absolutismusins postdemokratische Zeitalter bergehen, ohne

    je eine demokratische Phase gekannt zu haben.

    3. Gegenenteignung in sozialistischer Tradition,

    ausgehend von der populren Devise Expropria-tion der Expropriateure, mit welcher die Linke des19. Jahrhunderts ihr Verstndnis des brgerlichenReichtums als Resultat von Ausbeutung der Werk-ttigen zum Ausdruck brachte. Wenn wirklich,wie Proudhon unter dem Beifall von Marx be-hauptete, Eigentum Diebstahl ist, kann nur ein gutdosierter Gegendiebstahl das Mittel zur Behebungdes bels sein. Die Legitimierung der staatlichenZugriffe erfolgt hier durch den Imperat iv der Um-verteilung eines Reichtums, vom dem nicht ein-zusehen sei, warum seine kollektive Erzeugungdurch seine private Aneignung dementiert werdensollte. In sozialdemokratisierten Systemen wie demder BRD werden hohe Steuerstze als Erfolge derverteilenden Linken eingeschtzt, whrend manniedere Stze den Bestrebungen der raffendenRechten zuordnet. Die Legitimittsbasis diesesModells ist freilich seit je brchig, da sie von dersachlich wie ethisch problematischen Hypotheseder Ausbeutung der Arbeitnehmer durch denMehrwertdiebstahl seitens der Unternehmenabhngt. Weist man dieses vergilbte Dogma zurck,so ist der gngigen Steuerbegrndung sozialisti-

    schen Stils der Boden entzogen. Der Mythos vomDiebstahl der Reichen an den Armen und vommoralisch legitimen Gegendiebstahl des sozialengagierten Staats zugunsten der Benachteiligtenhlt in unseren Breiten und unter heutigen Umstn-den der berprfung nicht stand. Als Grundlagefr eine steuerethisch reflektierte Rechtfertigungdes staatlichen Teilnehmens an den konomischenErfolgen der Gesellschaft kommt diese Erklrungnicht mehr in Betracht, so tief sie auch in unsersozialistisches Unbewusstes eingegraben ist undso verzweifelt manche Bewohner des linken Anti-quariats versuchen, sie zu verteidigen.

    4. Spenden in philanthropischer Tradition auf-bauend auf der christlichen, humanistischen, soli-daristischen und volksmoralischen berzeugung,dass es den Habenden gut ansteht, den Nicht-habenden und den Organisationen ihrer Helfereinen angemessenen, also nicht unbedeutenden Teilihrer berschsse abzutreten: sei es aufgrund desSolidarittsgefhls, das Erfolgreiche an den Schick-salen der weniger Glcklichen Anteil nehmen lsst,sei es aufgrund des schlechten Gewissens, das oft

    LITERATURBiografie: Ein neuer Blick aufMax Frisch S. 55

    GLAUBEN & ZWEIFELNZeitung und Religion: ber die Freiheit in derchristlichen Presse S. 66

    LEKTREZUR LAGE

    Von WikiLeaks wussteAndr Malraux (1901 bis 1976)nichts. Doch als Schriftstellerund Politiker war ihm klar, wieman am besten mit blerNachrede undVertrauensbruchumgeht: Ich verzeihe meinenFreunden, die Schlechtes ber michsagen. Aber nicht denen, die es mir

    berbringen.

    Wir AntidemokratenDer Wutbrger ist nicht

    konservativ, er ist reaktionr

    D E U T S C H E T E A P A R T Y

    Der kommende Aufstand, jenes viel diskutier-te, im Spiegelteilabgedruckte, in den Feuille-tons gewrdigte Manifest eines franzsischenUnsichtbaren Komitees hat, bei aller Revo-lutionsrhetorik, einen konservativen Kern:Beklagt wird der Verlust an tradierter Gesel-ligkeit, an Volksfesten, an guten Manieren.Radikal links assoziierbares Gedankengut der Aufruf zur Errichtung von Kommunen,die Feier eines subversiven Protests, der Anti-kapitalismus wird mit der Trauer um ver-gangene Alltagsgewohnheiten verzahnt.

    Der kommende Aufstand wird auch des-halb so rege rezipiert, da er die Wutbrger-aufstnde abzubilden scheint, die diesenHerbst das Land nicht nur in Stuttgart be-wegten. Das jedenfalls behauptet der Spiegelin dieser Woche. Und verkennt dabei, dassdie Proteste gegen allen Anschein keines-wegs konservativer Natur sind. Gewiss, manmchte als Rentner auf dem Spaziergangnicht mit einer zehnjhrigen Baustelle kon-

    frontiert sein, in den letzten Lebensjahrensoll mglichst alles bleiben, wie es war.Was auf den ersten Blick als konservativer

    Impuls scheint, ist aber in Wahrheit ein reak-tionrer. Reaktionr insofern, als er insgeheimvon einem glhenden Misstrauen gegenberdem Parlamentarismus und demokratischenInstitutionen geprgt ist, die Partizipationstrukturieren. Offenkundig ist mittlerweile

    jeder Sinn fr die formalistischen Aspekteder Demokratie verloren gegangen: Man willsich nicht in den Niederungen der Parteienengagieren, sondern den Meinungsbildungs-prozess in Volksabstimmungen abkrzen.Man mchte keine Regierung mehr, die aufdiskrete Kommunikation angewiesen ist,sondern feiert WikiLeaks. Man mchte dieMinderheiten (Migranten und Raucher)durch Brgerbefragungen gngeln, solangeder Staat sie unntigerweise noch schtzt.

    Wie die 68er-Bewegung einst von Ame-rika aus nach Deutschland fand, ist es heutedie reaktionre Tea-Party-Bewegung, die unsinspiriert. Die Brgerwut ist dabei schon

    deshalb nicht als konservativ zu bezeichnen,da sie das Mehrheitsprinzip ganz nach markt-wirtschaftlichem Vorbild gegen die demo-kratischen Institutionen in Anschlag bringt.Glaubten die 68er, der Staat sei auf unheil-volle Weise mit dem Kapitalismus vermengt,gehen heute die Wutbrger strukturell eine

    Allianz mit diesem ein.Der Publizist Henning Ritter hat in sei-

    nenNotizheften jngst die feine Beobachtunggemacht, dass zwar Selbstverwirklichunghoch im Kurs steht, sie aber nichts mehr mitEmanzipation gemein hat. Die 68er warennoch vom berechtigten Drang beseelt, sichvon allerlei emanzipieren zu mssen, von derElterngeneration, dem Pressemonopol, demPatriarchat. Bei allem revolutionren Pathosmndete der Protest bald in subkulturelleNischen oder allerlei Karrieren, die als sinn-stiftend empfunden wurden. Von dem Zeit-punkt an aber, da man ahnt, dass die Selbst-verwirklichung ber das Erreichte hinauskeinem individuellen Freiheitszugewinnmehr entspricht, findet kein Marsch mehr

    durch die Institutionen, sondern ein Nieder-reien derselben statt. ADAM SOBOCZYNSKI

    Warum ich

    doch

    recht habePeter Sloterdijks revolutionrer Vorschlag, dieReichen nicht durch Steuern zu belangen, sondernauf freiwillige Abgaben zu setzen, entfachte einegroe Debatte. In der ZEIT wurde erdafr von dem Philosophen Axel Honneth massivangegriffen. Jetzt antwortet PETER SLOTERDIJKerstmals ausfhrlich seinen Kritikern

    Fortsetzung auf S. 52

    Foto:UrbanZintel/laif

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    als moralischer Schatten auf das Leben der Bevorzugtenfllt. Spenden knnen auch als Friedensprmie fr einevon Ungleichheitskonflikten bedrohte Gesellschaftverstanden werden oder als freiwillige Beitrge zurKompensation von Nachteilen, mit denen begabte

    Bewerber aus rmeren Milieus um Aufstiegschancenzu ringen haben. Schlielich sollen Spenden als regu-lre Beitrge zu anerkannten Gemeinschaftsaufgabengeleistet werden oder werden schlechthin aufgrund derGenugtuung des Gebers ber seine Grozgigkeit er-bracht. Ein Legitimittsproblem bei der Annahme vonSpenden durch den Staat tritt hier nicht auf, viel eherstellt sich die Frage, was seitens des Empfngers getanwerden sollte, um solches Verhalten als ein allgemeinnachahmenswertes Muster privater Generositt inffentlicher Perspektive zu popularisieren.

    Blickt man auf diese Liste, die summarisch alleModi der Staatsbereicherung erfasst, ist eines un-mittelbar evident: Das aktuelle Fiskalsystem lsstsich nur als ein in sich widersprchliches Amalgamaus dem zweiten und dritten Modus der Steuer-rechtfertigung verstehen. Es ist zur einen Hlftenach wie vor autoritr-obrigkeitlich bestimmt undin der Auflagen-Praxis vordemokratischer Staats-wesen verankert was sich nicht zuletzt in der Kon-tinuitt der Finanzverwaltungen vom Sptabsolu-tismus bis in die Gegenwart zeigt. In seiner anderenHlfte sttzt es sich auf die Gegenenteignungslogik

    des sozialistischen Umverteilungsdenkens, das esirgendwie geschafft hat, sich mit den Versprechender sozialen Marktwirtschaft zu verbinden. In ih-rer praktischen Fusion erzeugen die beiden steuere-thischen Komplexe einen Block, der fr die gebendeSeite keine andere Option als die Unterwerfungunter das waltende Regime brig zu lassen scheint.

    Die Widersprchlichkeit zwischen der sptabsolu-tistischen und der semisozialistischen Steuermotivie-rung wird durch den Umstand verdeckt, dass beidedank ihrer gemeinsamen latent antidemokratischenVisionen von der Rolle der Staatlichkeit aufeinanderzugehen knnen. De facto kommen sie sich bis zurVerwechselbarkeit der Standpunkte nahe: hier diealtetatistische Konzeption des Staats als wohlttigerOrdnungsmacht, die sich selbst autorisiert, indem sievorgibt, von oben eingesetzt zu sein; dort die neu-etatistische Konzeption des Staats als moralisch auto-risierter Agentur der Umverteilung und der umfas-senden sozialen Frsorge.

    Was man im aktuellen Zustand durchweg ver-misst, ist die Bemhung um eine Neubegrndungder fiskalischen Transaktionen zwischen der geben-den Gesellschaft und dem nehmenden Fiskus aus

    dem Geist der demokratischen Brger-Allianz. Alsfehlende Gre kommt dies zu Bewusstsein, wennman sich der Mhe unterzieht, den Block der Selbst-verstndlichkeiten, auf dem unsere Fiskalitt beruht,

    hinsichtlich seiner Grundlagen zu befragen. Wer sichdarauf einlsst, bemerkt mit Erstaunen, dass es nichtdie geringsten Anstze zu einer Neudeutung des Sys-tems ffentlicher Finanzen von der Geberfunktionder Zivilgesellschaft her gibt. Man denkt auch heutenoch, sobald von Steuern die Rede ist, so gut wieimmer vom Bedarf des Staates aus und setzt seine

    Nehmer-Berechtigung dogmatisch voraus. Im Steuer-system der Moderne berlebt der Absolutismus. VomOhr der Steuerbehrden ist der Satz, wonach alle Ge-walt vom Volke ausgehe, nie gehrt worden. Die

    Wahrheit des Finanzsystems heit: Alle Gewalt gehtvom Fiskus aus. Weil souvern ist, wer ber dieZwangsvollstreckung entscheidet, ist der Fiskus dernicht deklarierte Souvern.

    Begriffe wie Volkssouvernitt und Brger-macht sind in diese Sphre bisher nicht eingedrun-gen. Sogar die Idee einer nachtrglichen Kontrolledes Fiskus durch den Brgersteht nach wie vor auf schwachenFen. Gewiss, wir schtzen denBund der Steuerzahler, der sichimmense Verdienste erwirbt, in-dem er Jahr fr Jahr dem Staatbei seinen Verausgabungen aufdie Hnde schaut. Lobenswertist auch die Ttigkeit der Rech-nungshfe. Beiden Institutionenaber stehen bedauerlicherweisekein Bund der Spender fr denStaat und kein Parlament der

    Geber zur Seite. Diese virtuellenOrgane mssten sich fr die T-tigkeiten der Staatshand von derSeite jener Einnahmen her interessieren, die in

    Wahrheit als solche noch nicht begriffene Gaben derBrger an den Staat darstellen.

    Solchen Einrichtungen fiele die psychopolitischwichtige Rolle zu, das Steuerzahlen zu deautomati-sieren und aus dem Bereich der stummen Erduldun-gen herauszufhren. Ihr Ziel wre es, das groe Ein-zahlen in die Staatskasse als das explizit zu machen,was es in einer demokratischen Gesellschaft de factoimmer schon ist: kein Tribut von Unterworfenen aneine immer siegreiche Obrigkeit, auch nicht eine ein-seitig festgesetzte, mit nebulsen Rechtsformeln sta-tuierte Schuld des Steueruntertanen gegenber demLeviathan, sondern eine von Einsicht und genersemBeitragswillen getragene aktive Gebe-Leistung zu-gunsten des Gemeinwesens seitens einer anteilneh-menden und anteilgebenden Brgerschaft.

    Die Deautomatisierung der fiskalischen Ablufewrde die Zurckdrngung des zweiten und drittenModus von Steuermotivierung nach sich ziehen undunvermeidlich den vierten Modus strken. Nur sie

    wrde wohl aus dem fiskalischen Mittelalter heraus-fhren, in dem wir, wenn man es sich recht berlegt,noch immer leben. Allein sie knnte das auf men-taler Ebene ebenfalls mittelalterliche Phnomen

    der Steuerflucht eindmmen, das ja nichts anderesbesagt, als dass zahlreiche Wohlhabende sich nochimmer fr Adlige halten, die nicht einsehen, warumausgerechnet sie fr das Gemeinwesen etwas erbri-gen sollten ber die Wohltat ihrer bloen Gegen-wart hinaus. Die groen Steuerhinterzieher bringen

    ja durch ihr Verhalten zum Ausdruck, dass sie nicht

    verstanden haben, auf welcher Geschftsgrundlagesie dem Gemeinwesen sechs-, sieben- oder achtstel-lige Euro-Betrge schulden knnten. Hier btesich die Gelegenheit, den subtilen Unterschied zwi-schen einer Schuld und einer imperativen Leis-tungserwartung zu diskutieren.

    Intuitiv mag evident sein, dass Wohlhabende aufihre Strken angesprochen werden drfen, wenn esum die Beschaffung von Mitteln fr Gemeinwesen-aufgaben geht, doch von einer moralischen Intuitionbis zur Festsetzung einer vollstreckbaren Schuld ist es

    ein weiter Weg. An der Gestedes Spendens lsst sich hin-gegen ohne groen Aufwandzeigen, dass sie die einzigeForm von Zuwendungen anden Staat ist, die einer sichselbst ernst nehmenden Br-gergesellschaft zu Gesicht stn-de. Sie ist zugleich die einzige

    Weise der Mittelausstattungdes Staats durch seine Brger,die sich bei ihrer Begrndungnicht in selbstsabotierende In-

    konsequenzen verstrickt.Nur wenn die Zuwendun-gen der Brger an den Staat

    Spenden sind und nicht Schulden, lassen sich dieAbsurditten ausrumen, die sofort auftreten, wennman Steuern als Preise fr Staatsleistungen oder alsrelativ gleichwertige Opfer fr das Gemeinwesen be-stimmt. Diesem Gedanken widersetzt sich allein, wervon vornherein auf eine rechtlich stichhaltige Steuer-begrndung verzichtet. Einen solchen Verzicht leistetgern, wer offen fr die vorgeblich gutartige Despotiedes leviathanischen Wohlfahrtsstaats eintritt, underst recht, wer in der paranoischen Tradition desMarxismus die rechtsstaatlichen Verfassungen alsfreiheitlich getarnte Herrschaftsapparate der Kapital-besitzer durchschaut.

    Sobald man der Auffassung zuneigt, der demo-kratische Rechtsstaat sei eine politisch-ethischeStruktur eigenen Werts und nicht nur die Maske vonKapitalherrschaft, fhrt kein Weg daran vorbei,sich ber die Mglichkeiten einer Ausweitung desvierten Modus von Geben und Nehmen im Verkehrzwischen Staat und Gesellschaft Gedanken zu ma-chen. Die erste Pflicht der Finanzminister wre es

    dann, ihr Ressort als Seminar fr Geberbildung zufhren. Demokratie wrde synonym mit einer Schu-le der Grozgigkeit, und solange nicht Grozgig-keit das primre Merkmal einer Gesellschaftsform

    wre, sollte man von Demokratie nur mit Vor-behalt reden.

    Jacques Derrida hat nicht umsonst von derDemokratie als einer politischen Lebensform ge-sprochen, die nur als im Kommen vorgestelltwerden drfe. Demokratie ist nicht der Name ei-ner vorhandenen politischen Ordnung, sondern

    eine Richtungsangabe, die einer dynamisiertenGesellschaft das Ziel ihrer stndigen endogenenVerwandlung nennt. Die Demokratie ist ihre ei-gene Visionsquelle und bringt die Korrektive ihrerZustnde aus sich selbst hervor. Wenn sich jedochin einer Gesellschaft, wie es heute der Fall ist, eindumpfes Gefhl von Aussichtslosigkeit breit-macht, beweist dies nichts anderes, als dass dieBrger schon allzu lange einer demoralisierendenMechanik ausgesetzt sind.

    In einer sich selber nher kommenden Demo-kratie wrde das Geben fr berpersnliche Zwe-cke mit der Zeit aufhren, nur als eine moralischePrivatlaune zu gelten. Die Spender-Geste wrdein einer vom Geist der Gabe umgestimmten Ge-sellschaft nach und nach selbstverstndlich genugwerden, um alles aufzubringen, was ein zeitgens-sisches ffentliches Finanzwesen zu seiner Kon-solidierung braucht. Das Spenden frs Gemein-wohl msste sich mit der Zeit in einen psycho-politischen Habitus verwandeln, der die Popula-tionen wie eine zweite Natur durchdringt undeine globale Umstimmung der Gesellschaften inRichtung auf Empathie und materiellen Ausgleich

    bewirkt. Der neue Habitus knnte nach und nachdie Krfte freisetzen, die ntig wren, um die un-wrdigen Relikte der sptabsolutistischen Staats-kleptokratie und deren Fortsetzung in der tiefeingewurzelten Gegenenteignungslogik der klassi-schen Linken durch eine demokratische Geber-kultur zu berwinden.

    Sobald man den Brgern die Freiheit einrum-te, einen Teil ihrer bisherigen Steuerlast, und w-ren es anfangs nur einige Prozente der fiskalischenSchuld, als frei adressierbare Gabe aufzubringen,wrden sie aller psychologischen Wahrscheinlich-keit zufolge aus ihrer Steuerduldungsstarre er-wachen um nicht zu reden von den unwrdigenSteuervermeidungsreflexen, um die unser durchfalsche Anreize pervertiertes Wirtschaftsrechtssys-tem konstruiert ist. Dieser Effekt darf nicht mitder Absetzung von Spenden bei der Steuererkl-rung verwechselt werden: Das neuartige generali-sierte Spendensegment in der Pflichtsteuer wrekeine Laune von hoch motivierten Einzelnenmehr, sondern wrde zu einem allen Steueraktivengarantierten Recht, gewisse Betrge aus ihremSteuerpensum an gemeinwohlrelevante Instanzen

    ihrer Wahl zu adressieren. Es geht nicht um Steuer-senkungen fr geizige Wohlhabende, die dem Ge-meinwohl den Rcken gekehrt haben, sondernum die ethische Intensivierung und Verlebendi-gung von Steuern als Gaben des Brgers ans Ge-meinwesen. Dies wrde vor allem dem Bildungs-wesen zugutekommen, zu dessen Prioritt sichPolitiker am Sonntag bekennen, um es an Werk-tagen mit seinen Defiziten allein zu lassen.

    Was die groe Mehrheit der Kritiker meinerThesen miteinander teilt, ist die berzeugung, eswrde bei einer Umstellung der ffentlichenHaushalte von Zwangssteuern auf freiwillige Br-gerspenden sofort zu einem Kollaps des sozialenLebens kommen.

    Diese Beobachtung kannals ein gesichertes Resultatder Diskussion verbucht wer-den: Das Gros der Beitrgerbekennt sich durch seine Ein-lassungen zu einer berauspessimistischen Ansicht berdie Natur des sozialen Zu-sammenhangs in unseremGemeinwesen. Zwar lobtman die kommunikativeKompetenz des Brgers inhohen Tnen. Wenn es anseffektive Geben geht, erlischt

    jedoch der Glaube an einesolche Kompetenz, und man stellt vorsorglich vonKommunikation auf Konfiskation um. Die Mehr-heit der Diskutanten geht davon aus, die von ih-nen unisono unterstellte kollektive Selbstsuchtwrde sich sofort Bahn brechen, wollte man demdubiosen Kollektiv der Steueraktiven (den im Fis-kaljargon so genannten Leistungstrgern) auchnur fr einen Augenblick die Freiheit lassen, selberzu entscheiden, ob sie etwas fr den Zusammen-halt des Gemeinwesens aufbringen wollen.

    Fast ausnahmslos machen die Kommentatorendie Annahme, eine Geberkultur auf der Basis vonFreiheit und Freiwilligkeit knne blo ein Patch-work aus Launen und Almosen ergeben nichts

    jedoch, was einem Budget gliche, aus dem einStaat wie der unsere seine Aufgaben bestreitenknnte. Man she vermutlich ein paar schneGesten, einzelne Geber tten sich durch aufsehen-erregende Spenden hervor, und einige Menschenguten Willens erbrchten wohl ihre regelmigenOpfer, im Groen und Ganzen aber wrde dieMassenflucht vor dem Klingelbeutel die Szenebeherrschen. Unsere kritischen Kommentatoren,berwiegend Journalisten und Sozialwissenschaft-ler altlinker, gelegentlich sogar altleninistischerund palomaoistischer Provenienz sie alle tratenbei dem Schreckensbegriff Freiwilligkeit dieFlucht nach vorne an. Mit einem Mal bekanntensie sich freimtig zum Zwang, weil der eben seinmsse, sobald es ums Materielle geht, und nocheinmal zum Zwang, da nur er die Staatsbrger aufdas Verhalten festlegen knne, das den Diskutan-

    ten als das einzig richtige erscheint: die Unterwer-fung unter den Oktroi von Abgaben.

    Nun knnte man hypothetisch annehmen,diese Autoren htten mit ihrem misanthropischen

    Weltbild letztlich recht. Womglich ist es wirklichso, dass sozialer Zusammenhang in allen Gesell-schaften jenseits einer gewissen Gre nur durch

    uere Gewalt und ihre Verinnerlichung entsteht.Hat nicht Hobbes im Leviathan geschrieben:Vertrge ohne das Schwert sind bloe Worte?

    Also hngen wir letztlich nur durch die Furcht zu-sammen? Dann drfte man auch den Gedankenzulassen, man sei der Wahrheit am nchsten, wennman die unvornehmen Unterstellungen hinsicht-lich der Beweggrnde menschlichen Verhaltensfavorisiert: Angst, Gier und heimliche Lust an derErniedrigung des Mitmenschen?

    Dies zugegeben, knnte es erlaubt scheinen,diese Gesellschaft von Teufeln, kantisch klugund pdagogisch realistisch, auch steuergesetzlichstreng an die Kandare zu nehmen. Das alles gehrtin einen Bezirk anthropologischer Spekulation,ber deren Legitimitt oder Illegitimitt nichtsvorentschieden ist. Dennoch mchte ich gleicherklren, warum ich diese allzu populre Anthro-pologie der primren Gier und die berzeugungvon der berwiegend niedertrchtigen Motiviert-heit menschlichen Verhaltens (worin brgerlicheKonservative und altgediente Linke lngst konver-gieren) fr von Grund auf falsch halte und nichtnur fr falsch, sondern fr ethisch prekr und so-

    zialklimatisch verheerend.Angenommen, meine Kritiker seien, ihren of-fen bekundeten prosozialen und diskret prosozia-listischen Optionen zum Trotz, tatschlich vonsolchen traurigen Ansichten ber die menschlicheNatur eingenommen. Woher dann ihre Wut ge-gen die Erinnerung an die dennoch unbestreitbarvorhandene generse Komponente im mensch-lichen Seelenhaushalt, die nach allem, was manwei, noch vor dem Mitgefhl die strkste Quellealler gebenden Haltungen darstellt? Woher die

    Aufgeregtheit, mit der man darauf besteht, dasGeben frs Allgemeine sei nur dann ein richtigesGeben, wenn es unter Zwang zustande kommt?

    In diesem Punkt zeigt sich die nicht berbrck-bare Differenz in den sozialanthropologischenGrundannahmen, die meine berlegungen vonden Einwnden der meisten Kritiker trennen. Un-sere realistischen Freunde glauben ganz entschie-den nicht daran, dass aus Freiwilligkeit in sozialen

    Angelegenheiten je etwas Gutes und Verlsslichesentsteht. Diese Unglubigkeit bewirkt, dass dieUnglubigen die reale Gegenthese zu ihren Be-kenntnissen bis heute nicht einmal bemerkt haben.

    Der kritische Punkt meiner berlegungen kommtin ihren Kommentaren nicht vor. Sie reagiertenfast durchweg mit der monotonen Unterstellung,dass der Autor des FAZ-Essays nur eine heimt-ckische Form von Steuerersparnis fr die Reichenin die Debatte geworfen habe! Fr diese Autorensindfreiwilliggeben und weniggeben synonym wobei sie sich wohl auf Selbstbeobachtungensttzen, sind sie doch selbst Kinder des sozial-psychologischen Status quo, der in uns engherzigeHaltungen zchtet. Sie glauben: Der Hinweis aufGrozgigkeit kann nur ein Sparprogramm be-deuten! Nur aufgrund dieser Unterstellung habensie sich geweigert, meine leitende Annahme zur

    Kenntnis zu nehmen, ge-schweige denn zu referierenund gegebenenfalls mit Grn-den zurckzuweisen.

    Die prononciertesten Kri-tiker meiner Anregungensind Partisanen eines Realis-mus, der sich berschlaugibt und doch blind bleibtfr die psychopolitischen

    Wirklichkeiten in den mo-dernen sozialen Systemen.Der vorgebliche Realismusflstert ihnen ein, der gesam-te soziale Zusammenhangmsste sofort in Millionen

    autistischer Gier-Atome zerfallen, sobald man denBrgern mehr Freiheit in der Gestaltung ihrerGaben ans Gemeinwesen liee. Sie denken nochimmer in den Klassenhass-Stereotypen des 19.

    Jahrhunderts und der zwanziger, dreiiger Jahre,wie sie nach 1967 vom leninistischen Flgel derStudentenbewegung rezykliert wurden. Sie folgenden Bahnen einer falschen Soziologie, nach wel-cher eine brgerliche Gesellschaft nichts anderessei als ein Mosaik aus Agenten des Eigennutzes.

    Die traditionelle Sozialdemokratie liegt poli-tisch und ideell am Boden, weil sie in sozialethi-scher Hinsicht keinen neuen Gedanken zu fassenvermochte. Sie war allzu lange unfhig, ihren

    Wortschatz zu erneuern. Sie hat es nicht gelernt,das Wortfeld der Grozgigkeit in ihre Sprache zuintegrieren und die Verben des Gebens zu kon-

    jugieren. Sie ist in den zeitgenssischen psycho-politischen Tatsachen nicht mehr zu Hause. In deralten Unzufriedenheit bewegt sie sich weiterhinwie der Fisch im Wasser, doch auf dem Boden dergebenden Tugenden humpelt sie. Ich wnschte,sie wrde so bald wie mglich wieder gehen ler-nen. Zu lange hat sie auf eine realistische Sozio-logie und auf eine vom gutgesinnten Ressentimentdiktierte Sozialphilosophie gehrt. Und je weiterman heute nach links schaut, desto reaktionrereKonzepte blicken zurck. Deutschland war ein-mal Exportweltmeister bei falschen politischenIdeen, die in groem Mastab wirksam wurden.

    Jetzt reicht die Produktion kaum noch, die In-landsnachfrage zu decken.

    Fortsetzung von S. 51

    Vom Anfang derDebatte an hatman sich geweigert,meine leitendeAnnahme zurKenntnis zu nehmen,geschweige denn zureferieren

    Die traditionelleSozialdemokratieliegt am Boden.Sie hat es nichtgelernt, das Wortfeldder Grozgigkeit

    in ihre Sprachezu integrieren

    Meine Kritiker glauben ganz entschieden nicht, dass aus Freiwilligkeit insozialen Angelegenheiten je etwas Gutes und Verlssliches entsteht

    FEUILLETON

    Foto (Ausschnitt): Urban Zintel/laif