windkanaluntersuchungen zwecks quantifizierung und validierung der wirkung von windinduktion und...

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229 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Bauphysik 34 (2012), Heft 5 Im Planungs- und Entwicklungsprozess des ersten Plusenergie- Produktions- und Innovationszentrums in Ungarn spielten gebäudeaerodynamische Untersuchungen eine essentielle Rolle hinsichtlich der natürlichen Belüftbarkeit, Raumkomfort und Ener- gieeffizienz des Gebäudes. Im Mittelpunkt der Prüfung des theore- tischen Gebäudemodells standen die zwei strömungstechnisch signifikanten Gebäudebereiche: die Produktionshalle mit passiven Lüftungstürmen und das zentrale Atrium. Im Rahmen einer Wind- kanalstudie wurde untersucht, wie sich das Konzept der natürli- chen Lüftung unter windinduzierten und thermisch bedingten An- triebskräften verhält. Hierzu sind die Winddruckverteilungen im Bereich der geplanten Öffnungen zu ermitteln und die Turmab- deckvorrichtungen bzw. Dachkonstruktionen aerodynamisch zu optimieren. Die Bewertung der Mess- und Berechnungsergeb- nisse zeigt, dass das passive Lüftungskonzept der im September 2012 fertiggestellten Anlage hinsichtlich Funktion und Effizienz be- reits in der Planungsphase nachgewiesen sowie die Baukonstruk- tionen strömungstechnisch optimiert werden konnten. Wind tunnel measurements for the purpose of quantifying and validation of wind induction and thermal buoyancy effects on natural ventilation in an industrial innovation centre. Building aerodynamic investigations play an essential role in the planning- and development process of the first energy-plus industrial inno- vation centre in Hungary. The main focus of the analysis con- cerns with natural ventilation, indoor comfort an energy effi- ciency in the two significant flow frequented parts of the Build- ing: the production hall with passive ventilation towers and the central atrium. In a wind tunnel study the natural ventilation con- cept could be surveyed in wind induced and under buoyancy dri- ven conditions. Therefor wind pressure contributions shall be de- termined and roof constructions must be aerodynamically opti- mized. The evaluation of the measurements and calculations shows, that the passive ventilation concept of this in September 2012 accomplished construction could be verified already in the planning phase, in regard to function and efficiency, furthermore the structural design was fluid mechanical optimized. 1 Das gebäudeaerodynamische Konzept Das Energiekonzept des Gebäudes wird von unterschiedli- chen Randbedingungen bestimmt. Die produktionstechno- logischen Vorgaben, die erforderlichen Raumdimensionen und stringente Raumorganisation bedingen einen funktio- nalen Entwurf mit bestimmten Raumklimazonen. Somit wurde ein kompakter Baukörper bestehend aus unter- schiedlich hohen Raumbereichen definiert. Das niedrige A/V-Verhältnis wurde durch weitere strategische Planungs- parameter hervorgerufen, welche einen minimalen Ener- giekonsum bei maximalem Behaglichkeits- und Komfort- niveau forderten. Bild 1 veranschaulicht das aus mehreren Planungsvarianten herausgefilterte, stationär berechnete und dynamisch simulierte theoretische Modell, das wegen Windkanaluntersuchungen zwecks Quantifizierung und Validierung der Wirkung von Windinduktion und thermischen Auftriebskräften auf die natürliche Lüftung eines industriellen Innovationszentrums István Kistelegdi Bálint Baranyai Fachthemen DOI: 10.1002/bapi.201200029 Bild 1. Nord-Ost Ansicht mit dem Haupteingang (Rendering) Fig. 1. North-East elevation with the main entrance (rende- ring) Bild 2. Verschiedene historische Windtürme mit unter- schiedlichen Konstruktionen in Yazd, Iran; [3] Fig. 2. Various ancient windtowers with different structures in the city of Yazd, Iran; [3]

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229© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Bauphysik 34 (2012), Heft 5

Im Planungs- und Entwicklungsprozess des ersten Plusenergie-Produktions- und Innovationszentrums in Ungarn spieltengebäude aerodynamische Untersuchungen eine essentielle Rollehinsichtlich der natürlichen Belüftbarkeit, Raumkomfort und Ener-gieeffizienz des Gebäudes. Im Mittelpunkt der Prüfung des theore-tischen Gebäudemodells standen die zwei strömungstechnischsignifikanten Gebäudebereiche: die Produktionshalle mit passivenLüftungstürmen und das zentrale Atrium. Im Rahmen einer Wind-kanalstudie wurde untersucht, wie sich das Konzept der natürli-chen Lüftung unter windinduzierten und thermisch bedingten An-triebskräften verhält. Hierzu sind die Winddruckverteilungen imBereich der geplanten Öffnungen zu ermitteln und die Turmab-deckvorrichtungen bzw. Dachkonstruktionen aerodynamisch zuoptimieren. Die Bewertung der Mess- und Berechnungsergeb-nisse zeigt, dass das passive Lüftungskonzept der im September2012 fertiggestellten Anlage hinsichtlich Funktion und Effizienz be-reits in der Planungsphase nachgewiesen sowie die Baukonstruk-tionen strömungstechnisch optimiert werden konnten.

Wind tunnel measurements for the purpose of quantifying andvalidation of wind induction and thermal buoyancy effects onnatural ventilation in an industrial innovation centre. Buildingaerodynamic investigations play an essential role in the planning-and development process of the first energy-plus industrial inno-vation centre in Hungary. The main focus of the analysis con-cerns with natural ventilation, indoor comfort an energy effi-ciency in the two significant flow frequented parts of the Build-ing: the production hall with passive ventilation towers and thecentral atrium. In a wind tunnel study the natural ventilation con-cept could be surveyed in wind induced and under buoyancy dri-ven conditions. Therefor wind pressure contributions shall be de-termined and roof constructions must be aerodynamically opti-mized. The evaluation of the measurements and calculationsshows, that the passive ventilation concept of this in September2012 accomplished construction could be verified already in theplanning phase, in regard to function and efficiency, furthermorethe structural design was fluid mechanical optimized.

1 Das gebäudeaerodynamische Konzept

Das Energiekonzept des Gebäudes wird von unterschiedli-chen Randbedingungen bestimmt. Die produktionstechno-logischen Vorgaben, die erforderlichen Raumdimensionenund stringente Raumorganisation bedingen einen funktio-nalen Entwurf mit bestimmten Raumklimazonen. Somitwurde ein kompakter Baukörper bestehend aus unter-

schiedlich hohen Raumbereichen definiert. Das niedrigeA/V-Verhältnis wurde durch weitere strategische Planungs-parameter hervorgerufen, welche einen minimalen Ener-giekonsum bei maximalem Behaglichkeits- und Komfort -niveau forderten. Bild 1 veranschaulicht das aus mehrerenPlanungsvarianten herausgefilterte, stationär berechneteund dynamisch simulierte theoretische Modell, das wegen

Windkanaluntersuchungen zwecks Quantifizierungund Validierung der Wirkung von Windinduktion und thermischen Auftriebskräften auf die natürliche Lüftung eines industriellen Innovationszentrums

István KistelegdiBálint Baranyai

Fachthemen

DOI: 10.1002/bapi.201200029

Bild 1. Nord-Ost Ansicht mit dem Haupteingang (Rendering)Fig. 1. North-East elevation with the main entrance (rende-ring)

Bild 2. Verschiedene historische Windtürme mit unter-schiedlichen Konstruktionen in Yazd, Iran; [3]Fig. 2. Various ancient windtowers with different structuresin the city of Yazd, Iran; [3]

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seiner Kompaktheit eine Produktionshalle beinhaltet, dienicht ohne weiteres vollständig natürlich belüftet werdenkann [1]. Aus diesem Grund soll die natürliche Lüftung derProduktionshalle über Lüftungstürme mit großen Austritts-querschnitten und aerodynamisch zu optimierenden Ab-deckvorrichtungen erfolgen. Seit Jahrhunderten gibt es ver-nakuläre, uni- und multidirektionale Windtürme (Ba–dgir),die zur natürlichen Lüftung und passiven Kühlung von Ge-bäuden in warmen Regionen intensiv beitragen (Bild 2), [3].

1.1 Passiv-hybrides Lüftungskonzept der Produktionshalle mit passiven Lüftungstürmen

Die lokalen ungarischen Klimaverhältnisse im Hochsom-mer nähern sich – in gemilderter Form – dem Klima sol-cher Gebiete an, wo diese Art von Naturlüftung betriebenwird. Im vorliegenden Projekt wird angestrebt, die Zuluftim bodennahen Bereich zuzuführen und die Abluft imdachnahen Bereich wieder ins Freie zu führen. Demnachhandelt es sich um ein unidirektionales Solarkamin-Kon-zept, wo die Luftströmung thermisch angetrieben von un-ten nach oben bzw. im Windfall verstärkt nach oben he-rausgesaugt wird. Im Gegensatz zum Windfänger-Ein-strömmodell des Ba–dgir, wo im Windfall das Ein- undAbströmen simultan stattfindet, induziert Wind im Unter-suchungsmodell der Industriehalle eine Verstärkung desSogeffektes nach oben bzw. des thermischen Auftriebs imTurm. Bei Windstille ist für beide Konzepte das Solar -kaminprinzip identisch.

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Wie in Bild 3 dargestellt, soll die Zuluft im bodenna-hen Bereich über drei Tore in der Nordfassade sowie er-gänzend über Türen in der West- und Ostfassade einge-bracht und die Abluft über die drei Entlüftungstürme imDach wieder abtransportiert werden. Hier soll ausge-schlossen werden, dass infolge widriger Windbedingun-gen Außenluft im dachnahen Bereich in die Halle einströ-men und dabei Abluft in den Aufenthaltsbereich der Nut-zer zurückströmen kann. Dies kann insbesondere dannnicht ausgeschlossen werden, wenn im Bereich der Entlüf-tungsklappen ein windbedingter Überdruck und im Be-reich der Zuluftöffnungen ein windbedingter Unterdruckherrscht. Die Türme werden nicht nur in den milden Über-gangszeiten sondern auch in den warmen Sommermona-ten zur Entlüftung und Entwärmung herangezogen, mitdem Unterschied, dass im Hochsommer die Nachström-öffnungen geschlossen bleiben. Die Zulüftung wird durcheinen 840 m langen Erde-Luft-Bodenkollektor (Thermola-byrinth) mechanisch angetrieben, durch Kreuzweg-Plat-tenwärmetauscher der drei Lüftungsanlagen vorgewärmtund bei Bedarf nachkonditioniert. Als Quelle für dieNachheizung bzw. -kühlung der Zuluft dienen drei Erd-wärme/Wasser-Wärmepumpen, angetrieben von 25 geo-thermischen Erdsonden in 100 m Tiefe. Die Zuluft wirdunterhalb der Decke der Produktionshalle diffus (Indukti-onslüftung) eingebracht. Die verbrauchte Abluft, die zumTeil auch aus der abgesaugten Abluft aus dem Atriumstammt, steigt thermisch bzw. im Windfall windinduziertangetrieben in den Türmen empor und verlässt den In-

Bild 3. Natürliches Lüftungskonzept der Produktionshalle mit passiven Lüftungs- und EntwärmungstürmenFig. 3. Natural ventilation concept of the production hall with passive ventilation and cooling towers

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nenraum. Wenn TLuft Atrium < TLuft Produktionshalle, wird dieAbluft des Atriums, die aus den Büros in das Atrium nach-strömt, durch 3 × 2 Lüftungskanäle, jeweils in den Turm-ecken, in die Halle zwecks Temperierung abgesaugt. ImHeizbetrieb wird diese Abluft ebenfalls in die Produktionabgesaugt, um die Halle mit Warmluft zusätzlich zudurchspülen (Synergieeffekt der Abwärmenutzung ausden Büros). Im Winter steigt die Abluft in den oben ge-schlossenen Türmen hoch, wo in Höhe des 2. Oberge-schosses an jedem Turm ein angeschlossener Abluftkanaldie Abluft zur Wämerückgewinnung absaugt. Die dreiTürme können gemäß den dynamischen Simulationenmindestens 5 Monate lang geöffnet werden [2].

Für die Untersuchungen einer optimierten windbe-dingten Lüftung der Produktionshalle wurden vier ver-schiedene Turmabdeckvarianten auf jeweils drei Türmenuntersucht und ausgewertet. Dabei wurden zwei verschie-dene Turmquerschnitte (lichtes Maß 3,80 m × 3,80 m bzw.4,90 m × 3,80 m) zugeordnet:– Venturi 1 – rund, Turmquerschnitt innen L × B =

3,80 m × 3,80 m;– Venturi 2 – oval, Turmquerschnitt innen L × B =

4,90 m × 3,80 m;– Venturi 3 – abgerundet, Turmquerschnitt innen L × B =

4,90 m × 3,80 m;– Platte – rund, Turmquerschnitt innen L × B = 3,80 m ×

3,80 m.

Die drei Türme, für die im Folgenden die BezeichnungenTurm 1 (West), Turm 2 (Mitte) und Turm 3 (Ost) gewähltwerden, unterscheiden sich im Austrittsquerschnitt jeweilsnicht. Ferner ist bei den vier Varianten der Strömungs-querschnitt vom Eintritt im Bereich der Produktionshallebis zum Luftaustritt unverändert. Für weitere Ausführun-gen zur Untersuchung der Venturiformen siehe [13].

1.2 Natürliches Lüftungskonzept für das Atrium

Das zentral angeordnete Atrium stellt den zweiten komple-xen, strömungstechnisch zu lösenden Gebäudebereich dar.Bei einer natürlichen Lüftung des Atriums soll die Nach-strömung über die Terrassentüren der ost- und westseitigenGiebelfassaden sowie über die Schiebefenster des Café-Mehrzweckraums erfolgen, wonach die erwärmte Abluftüber Dachklappen ausströmen soll, Bild 4, [1]. Zwischenden drei Türmen wurden zwei Dachkonstruktionsseg-mente, ähnlich einer Basilika-Dachstruktur, über die nor-male Dachebene aufgestockt. Die Lösung hat bei Windstillebzw. wenn der thermische Auftrieb im Atrium gering odernull ist, den Vorteil, dass infolge einer sich einstellendenvertikalen Temperaturschichtung unbehaglich warme Luft-schichten nicht unmittelbar in Kopfhöhe der Nutzer entste-hen, sondern der Wärmestau ca. 2 bis 3 m über Kopfhöhevom 1 m hohen Dachaufsatz gepuffert wird. Dies hat einhöheres Behaglichkeitsniveau in den Galeriefluren des kri-

Bild 4. Natürliches Lüftungskonzept des zentralen Atriums mit Entlüftungsklappen oben auf dem Dachaufsatz und Klappenseitlich am DachaufbauFig. 4. Natural ventilation concept of the central atrium with exhaust ventilation skylight windows and openings at the sides of the louver constructions

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tischen obersten Atriumgeschosses zur Folge. Im Kühl- undHeizbetrieb wird die Abluft aus dem Atrium analog zummechanischen Lüftungprinzip in die Produktionsebene ab-gesaugt oder über Dach entlüftet (s. Abschn. 1.1).

Zur Entlüftung des Atriums sollen zwei unterschiedli-che Klappflügel-Varianten auf ihre Entlüftungseffizienz er-probt werden, indem entweder seitlich oder oben Klapp -flügelbänder im Dachaufbau vorgesehen werden (Bild 5).

2 Windkanalstudie

Es wurde für jeweils zwölf Windrichtungen die Verteilungder zeitlich gemittelten Druckbeiwerte an den Fassadenund in den Dachbereichen ermittelt, indem unter Berück-sichtigung von Lage und Dimensionierung der Öffnungs-flächen die Nach- und Abströmverhältnisse bei dominan-ten Windsituationen und bei signifikanten Temperaturein-flüssen quantifiziert wurden. Anhand der Ergebnisse kannim Rahmen der weiteren Planung unter Abwägung des da-mit verbundenen konstruktiven Aufwandes die am meis-ten geeignete Turmkonfiguration bestimmt werden.

2.1 Simulation des Windfeldes 2.1.1 Atmosphärische Grenzschichtströmung

Das in der Natur vorherrschende Windströmungsfeld wirddurch die Bodenbeschaffenheit, d. h. durch die Rauigkeitsowie die topografischen Verhältnisse der Oberfläche, be-einflusst. Maßgebend sind dabei Bebauungsdichte, Höheund Form der Gebäude. Hieraus resultiert eine Geschwindig -keitsverteilung über der Höhe, bei der mit zunehmendemAbstand vom Boden eine Erhöhung der Windgeschwindig-keit verbunden ist. In Abhängigkeit der Oberflächenrauhig-keit wird auch die Turbulenz der Windströmung, d. h. dielokalen Schwankungen von Windrichtung und Windge-schwindigkeit, ausgebildet. Von der Oberflächenrauhigkeitunbeeinflusste Windverhältnisse stellen sich über einerfreien Bebauung in einer Höhe von mehreren hundert Me-tern ein. Für den untersuchten Bereich der Umgebung inKomló/Ungarn wird hier eine Höhe von ca. 300 bis 400 m

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zugrunde gelegt. Innerhalb dieser Höhe bildet sich eineGrenzschichtströmung aus, die für die durchzuführendenVersuche bis zu einer Höhe von ca. 150 m mit einer hinrei-chenden Genauigkeit nachzubilden ist. Für das Höhenpro-fil der Windgeschwindigkeit werden typische Verteilungenaus der Literatur herangezogen und in einem Grenzschicht-Windkanal maßstäblich verkleinert nachgebildet [8]. DieseProfile [9] gelten für die neutral geschichtete Atmosphäre,welche im Windkanalversuch mit guter Genauigkeit nach-gebildet werden kann.

Zur Überprüfung der Ähnlichkeit der Anströmungwurde das Geschwindigkeits- und Turbulenzprofil der Mo-dellgrenzschicht mit Hilfe einer X-Drahtsonde (Hitzdraht-sonde) ermittelt und mit Naturmessungen [10] verglichen.Bei der Simulation der Anströmbedingungen ist vor allemdie maßstäblich korrekte Einhaltung der Höhenabhängig-keit der Windgeschwindigkeit und der Turbulenzstruktureinzuhalten. Unter Berücksichtigung der örtlichen Bebau-ungs- bzw. Geländeverhältnisse der näheren Umgebungwurden im Grenzschichtwindkanal Strömungsverhältnisseeingestellt, welche hinsichtlich der Vertikalprofile von Wind -geschwindigkeit und Turbulenz maßstäblich die realenWindverhältnisse am Standort nachbilden.

2.1.2 Aufbau des Gebäudemodells und des Windkanals

Die Modellversuche wurden mit Bernhard Bauhofer, Ge-sellschaft für Aerophysik, München im Grenzschicht-windkanal des Ingenieurbüros Dr. Theurer in Hahnhofendurchgeführt [11]. Da die Windströmung durch die Umge-bungssituation des zu untersuchenden Gebäudekomple-xes stark beeinflusst wird, sind neben dem Neubau auchdie umliegenden Geländeformen maßstabgetreu nachzu-bilden. Das Modell des projektierten Gebäudes wurde in-klusive Umgebungsbereich bis zu einer Entfernung vonca. 100 m im Maßstab 1 : 200 eingesetzt, mit dem Ziel einermöglichst hohen Auflösung und einer möglichst genauenNachbildung der atmosphärischen Grenzschicht. Das Mo-dell ist leicht vom Norden abweichend orientiert. In denanschließenden Berechnungen wird eine durchschnittli-che örtliche Windgeschwindigkeit von 3,0 m/s berück-sichtigt, wie aus der Windrichtungs- und Windgeschwin-digkeitsverteilung des Standortes zu entnehmen ist.

Die Messungen erfolgten in einem Windkanal in offe-ner Bauweise mit geschlossener Messstrecke. Die Abmes-sungen der Testsektion betragen L × B × H = 3,0 m ×2,0 m × 1,7 m. Zur Einstellung verschiedener Anströmrich-tungen wird das Gebäudemodell mit seiner näheren Um-gebung auf einer stufenlos verstellbaren Drehplatte aufge-baut. Zur Erzeugung einer der natürlichen Windströmungentsprechenden Turbulenzstruktur sind Vortex-Generato-ren nach Irwin nahe dem Einlauf angeordnet [6], [9]. Dienachfolgenden Rauhigkeitselemente am Boden, bestehendaus im wechselnden Rhythmus aufgebauten Blöcken, die-nen zur Stabilisierung der turbulenten Grenzschichtströ-mung und zur Einstellung des Geschwindigkeitsprofils.Durch Einbau der Gebäude- und Umgebungsmodelle darfeine Versperrung der frei durchströmten Querschnittsflä-che von 5 % nicht überschritten werden. Die Einhaltungder Ähnlichkeitsbedingung (eine von der Re-Zahl unab-hängige Gebäudeumströmung) soll schon bei kleinen Strö-mungsgeschwindigkeiten erreicht werden können. Die er-

Bild 5. Entlüftungsklappen oben auf dem Dachaufsatz undKlappen seitlich am Dachaufbau über Atrium, 2. OG; [7]Fig. 5. Exhaust ventilation skylight windows and openings atthe sides of the louver constructions over Atrium, 2nd floor; [7]

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forderlichen Strömungsgeschwindigkeiten werden durchein stufenlos regelbares Axialgebläse eingestellt.

2.2 Messverfahren

Die Ermittlung der Winddrücke im Bereich der zu unter-suchenden Lüftungsöffnungen erfolgte für 12 Windrich-tungen in Schritten von 30°. Für die zeitlich gemitteltenDruckbeiwerte wurden die windinduzierten Drücke an 95Messstellen aufgenommen. Eine genaue Beschreibung desMessverfahrens und der Messtechnik im Windkanal be-findet sich in [13].

3 Auswertung der Mess- und Berechnungsergebnisse3.1 Ein- und Ausströmverhältnisse über die Gebäudehülle

der Produktionshalle

Aus den in Messungen und Berechnungen ermittelten di-mensionslosen Winddruckbeiwerten lässt sich nicht un-mittelbar ableiten, ob bei Windeinwirkung über eine aus-gewählte Öffnungsfläche in der Gebäudehülle Luft ein-oder ausströmt. Deshalb ist der an den Öffnungsflächen inder Gebäudehülle angreifende Winddruck als Differenzzum Innendruck im Gebäude (cpe – cpi) darzustellen. Derwindbedingte Innendruck ist dabei von der jeweiligen Öff-nungskonfigurationen und von der Windrichtung sowievon der Windgeschwindigkeit abhängig. Er wird als di-mensionsloser Innendruckbeiwert für definierte Wind-richtungssektoren unter Vorgabe verschiedener Öffnungs-konfigurationen der Zu- und Abluftöffnungen ermittelt.Durch die Berechnungen kann untersucht werden, wiesich die natürliche Lüftung unter windinduzierten undthermisch bedingten Antriebskräften verhält.

3.1.1 Windinduzierte natürliche Lüftung der Produktionshalle

Zunächst sollte anhand einer vereinfachten Ausgangssitu a -tion überprüft werden, welche der geplanten Turmvarian-ten die windbedingten Antriebskräfte am besten nutzenkann und welche Ein- und Ausströmverhältnisse sich da-bei einstellen. Für die Bewertung dieser Ausgangssituationwurden die drei Tore an der Nordfassade (Nr. 81, 82 und83) geöffnet. Die Klappen am Luftaustritt der Türme imDach waren vollständig offen. Es wurden folgende An-nahmen für die Berechnungen festgesetzt:– Eine vorrangig windbedingte Innenströmung ist gege-

ben für den isothermen Fall, wobei die Lufttemperaturim Inneren der Halle in etwa der Außentemperatur ent-spricht und/oder bei Starkwind.

– Es sind die aerodynamisch wirksamen Flächen sowohl fürdie Zuströmung als auch für die Abströmung anzusetzen.

– Windgeschwindigkeit = 3 m/s (entspricht durchschnitt-lichen Verhältnissen und kann bei jeder Windrichtungauftreten).

Es zeigte sich, dass bei Wind aus nordöstlichen Richtun-gen die Außenluft im bodennahen Bereich zuströmt unddie Abluft im dachnahen Bereich abströmt. Bei Wind aussüdöstlichen Richtungen ist über die Türme sowohl einAus- als auch ein Einströmen zu erkennen.

In Bild 6 ist für alle untersuchten Windrichtungen derGesamtvolumenstrom durch die Produktionshalle unter

Windeinfluss dargestellt, ungeachtet der jeweiligen Strö-mungsrichtung. Bei der Auftragung ist zur besseren Ver-gleichbarkeit eine normierte Form gewählt, wobei der Be-zugswert bei Wind aus 30° und der Turmvariante Venturi 2 –oval gewählt wurde. Während sich Unterschiede zwischenden einzelnen Turmvarianten nicht so gravierend darstellen,zeigt sich eine sehr starke Windrichtungsabhängigkeit.

Bei Betrachtung der Austrittsvolumenströme über dieeinzelnen Türme für je 12 Windrichtungen werden dieWind richtungen deutlich, bei denen über einzelne Turm-bereiche auch ein Einströmen zu beobachten ist. Auf eineDarstellung des Austrittsvolumenstromes in Abhängigkeitder Windgeschwindigkeit wurde verzichtet, da hier einrein linearer Zusammenhang gegeben ist, so dass z. B. beidoppelter Geschwindigkeit sich ein doppelter Volumen-strom einstellt, sowie bei halber Geschwindigkeit sich derVolumenstrom halbiert.

3.1.2 Natürliche Lüftung der Produktionshalle durch Thermik(Windstille)

Im anschließenden Fall wurde für die gleiche Öffnungskon-figuration der Einfluss der Thermik auf die natürliche Lüf-tung untersucht, d. h. dieser Betrachtungsfall beschreibt dieVerhältnisse bei Windstille (v = 0 m/s). Für eine beispielhaftvorgegebene Innentemperatur von 26 °C wurden Außen-temperaturen zwischen 6 und 32 °C angenommen, so dasssich sowohl eine Übertemperatur in der Produktionshallegegenüber der Umgebung als auch eine Untertemperaturbetrachten lässt. Bei einer Übertemperatur (Ti – Ta > 0) istim bodennahen Bereich (unterhalb der neutralen Zone) einZuströmen in die Halle und im dachnahen Bereich (ober-halb der neutralen Zone) ein Abströmen aus der Halle zuerwarten. Bei einer Untertemperatur (Ti – Ta < 0) kehrensich diese Strömungsverhältnisse um.

Die Ein- und Austrittsvolumenströme für die beidenunterschiedlichen Turmquerschnitte wurden berechnet.

Bild 6. Gesamtluftvolumenstrom V/Vbez bei windbedingterLüftung der Produktionshalle mit Vbez = 210.000 m3/h(Venturi 2 – oval bei Wind aus 30°)Fig. 6. Total air flow V/VBez under wind induced ventilationin the production hall with VBez = 210,000m3/h (Venturi 2 –oval, wind direction 30°)

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Hierbei wurde die aerodynamisch wirksame Abströmflä-che der gesamten Austrittsfläche eines Turmes eingesetzt.Diese betragen bei den Varianten Venturi 1 (rund) undPlatte (rund) jeweils Aaero = 5,78m2 und bei Venturi 2(oval) und Venturi 3 (abgerundet) jeweils Aaero = 7,45m2.Der Temperaturwert im Innern der Produktionshalle Tientspricht einem räumlichen Mittelwert, mögliche Tempe-raturschichtungen wurden dabei vernachlässigt. Für denGesamtvolumenstrom ergeben sich nur geringfügige Un-terschiede infolge der Turm- bzw. Austrittsquerschnitte.

3.1.3 Natürliche Lüftung der Produktionshalle bei Über -lagerung von Wind und Thermik

Bild 7 beschreibt den Gesamtvolumenstrom durch dieProduktionshalle unter Windeinfluss mit uH = 3 m/s undgleichzeitig unter thermischem Auftriebseffekt mit einemräumlich gemittelten Temperaturunterschied von Ti – Ta =5 K. Auch hier wurde zu Vergleichszwecken der Bezugs-wert bei Wind Vbez = 210.000m3/h beibehalten. Es ergibtsich eine dominante Windrichtungsabhängigkeit bei gleich-zeitiger Vergrößerung des durchspülten Luftvolumen-stroms im Vergleich mit der rein windbedingten Situationdurch die Halle um ca. 18 %.

Bei Überlagerung der windbedingten und thermi-schen Antriebsmechanismen ergeben sich Austrittsvolu-menströme über die einzelnen Türme bei Windanströ-mung aus den 12 Richtungen. Bei der angenommenenWindgeschwindigkeit und der Übertemperatur von 5 K inder Produktionshalle ist bei allen Türmen stets ein Aus-strömen zu beobachten.

3.1.4 Zusätzliche Nachströmung in die Produktionshalle unter Windeinfluss

In Ergänzung zu der Ausgangssituation nach Abschn.3.1.1 wurden neben den drei Toren an der Nordfassade

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(Nr. 81, 82 und 83) das Tor Nr. 89 in der Ostfassade unddie Tür Nr. 94 in der Westfassade geöffnet. Die Klappenam Luftaustritt der Türme im Dach waren weiterhin voll-ständig offen. Für den isothermen Fall (Ti = Ta ) wurdebei einer Windgeschwindigkeit uH = 3 m/s der rein wind-bedingte Luftvolumenstrom berechnet. In Bild 8 ist derGesamtvolumenstrom durch die Produktionshalle in Ab-hängigkeit der Windrichtungen angegeben. Hier wurdezwecks Vergleichbarkeit wiederum Vbez = 210.000m3/hverwendet. Durch die Erhöhung der „Zuluftöffnungsflä-chen“ in den Fassaden von Aaero = 23,64m2 auf Aaero =27,62 m2 steigt der Gesamtvolumenstrom durch die Pro-duktionshalle je nach Windrichtung um 5 bis 22 %.

Die Austrittsvolumenströme über die einzelnen Türme(Bild 9) zeigen im Gegensatz zum Gesamtvolumenstrom,dass im Turmaustrittsbereich kaum Zunahmen erkennbarsind. Lediglich bei den Windrichtungen, bei denen über ein-zelne Turmbereiche auch ein Einströmen zu beobachtenist, verschieben sich die Verhältnisse geringfügig. Die Erhö-hung des Gesamtvolumenstromes begründet sich durcheine zusätzliche bodennahe Querströmung zwischen denTüren in der Ost- und Westfassade, so dass die Verhältnisseam Turmaustritt weitgehend unbeeinflusst bleiben.

3.2 Ein- und Ausströmverhältnisse über die Gebäudehülledes Atriums

3.2.1 Windinduzierte natürliche Lüftung des Atriums

Bei einer natürlichen Lüftung des Atriums soll die Zuluftüber die vier Schiebefenster in der Nordfassade (Nr. 77 bisNr. 80) sowie über die Türen Nr. 85 und 87 sowie Nr. 91und 93 in der Ost- und Westfassade eingebracht und dieAbluft über die seitlich am Dachaufsatz angeordnetenKlappflügelbänder Nr. 13 bis Nr. 18 sowie Nr. 35 bis Nr. 40oder alternativ an der Oberseite des Dachaufbaus über dieKlappflügel Nr. 19 bis Nr. 34 wieder ins Freie abtranspor-tiert werden. Es wird geprüft, welche der beiden geplanten

Bild 7. Gesamtluftvolumenstrom V/Vbez bei wind- und thermisch bedingter Lüftung der Produktionshallemit Vbez = 210.000 m3/h (uH = 3 m/s, Ti – Ta = 5 K)Fig. 7. Total air flow V/VBez under wind induced and thermalinfluenced (buoyancy driven) ventilation in the productionhall with VBez = 210,000m3/h (uH = 3m/s, Ti – Ta = 5K)

Bild 8. Gesamtluftvolumenstrom V/Vbez bei windbedingterLüftung der Produktionshalle und erhöhter Zuluftfläche mitVbez = 210.000 m3/h (Venturi 2 – oval bei Wind aus 30°)Fig. 8. Total air flow V/VBez under wind induced ventilation inthe production hall with increased openings for air supply withVBez = 210,000m3/h (Venturi 2 – oval, wind direction 30°)

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Abluftvarianten auf die rein windbedingten Einflüsse strö-mungstechnisch effektiver reagieren und welche Ein- undAusströmverhältnisse sich dabei einstellen. Die Klappenam Luftaustritt im Dach und die Fenster sowie Terrassen-türen waren vollständig offen. Für die Berechnungen dessich einstellenden Innendrucks sowie der ein- und ausströ-menden Luftmengen wurden Annahmen analog zuAbschn. 3.1.1 getroffen.

Die errechnete Differenz zwischen externen und in-ternen Druckbeiwerten kennzeichnet ein Aus- und Ein-strömen unter Windeinfluss. Bei Wind aus nördlichenRichtungen strömt im Dachbereich sowohl bei einer An-ordnung der Klappflügel seitlich am Dachaufbau als auchoben am Dachaufbau die Abluft ab. Das Zuströmen derAußenluft erfolgt dabei über die Öffnungen in der Nord-

und Westfassade. Die Luftmenge, die in das Atrium nach-strömt, ist insbesondere bei der seitlichen Anordnungdeutlich größer, als die im Dachbereich abströmende Luft-menge, d. h. ein sehr großer Anteil der Zuluft strömt so-fort über die Türen in der Ostfassade wieder ab. Hier istanzumerken, dass bei der seitlichen Anordnung der Dach-klappen die Summe der geplanten Zuströmöffnungen imbodennahen Bereich deutlich größer ist, als die Summeder Abströmöffnungen im Dach. Bei Wind aus südlichenRichtungen stellt sich bei der seitlichen Anordnung derKlappflügel am Dachaufbau eine direkte Kurzschlussströ-mung zwischen der Süd- und der Nordseite der Dacher-höhung ein. Hier erweisen sich die Klappflügel an derOberseite des Daches als erheblich effizienter, was sichauch bei südwestlichen Windrichtungen bestätigt.

Bild 10 zeigt in allen untersuchten Windrichtungenden windinduzierten Gesamtvolumenstrom durch dasAtrium, wobei die Strömungsrichtungen unberücksichtigtbleiben. Bei dieser Auftragung ist zur Vergleichbarkeiteine normierte Form gewählt, wobei der Bezugswert fürdie Variante bei Wind aus 0° und der Anordnung derKlappflügel oben am Dachaufbau gewählt wurde. Es zeigtsich bei beiden untersuchten Varianten eine sehr starkeWindrichtungsabhängigkeit. Bedeutsam ist der erheblicheFlächenunterschied der beiden Varianten:– Summe Aaero (Klappen seitlich) = 3,0 m2,– Summe Aaero (Klappen oben) = 14,88 m2.

In Bild 11 sind die am Dachaufbau nach Norden gerichte-ten Klappflügelbänder (Variante seitlich: Nr. 13 bis Nr. 18bzw. Variante oben: Nr. 19 bis Nr. 26) und die am Dach-aufbau nach Süden gerichteten Klappflügelbänder (Va -riante seitlich: Nr. 35 bis Nr. 40 bzw. Variante oben: Nr. 27bis Nr. 34) zusammengefasst. Ferner wird für die vierSchiebefenster in der Nordfassade Nr. 77 bis Nr. 80 einzusammengefasster Wert angegeben. Ebenso zusammen-gefasst sind die vier Türen in der West- und OstfassadeNr. 85, Nr. 87, Nr. 91 und Nr. 93. Bei der Zusammenstel-Bild 9. Austrittsvolumenstrom V/Vbez für die drei Türme bei

windbedingter Lüftung der Produktionshalle und erhöhterZuluftfläche mit Vbez = 210.000 m3/h (Venturi 2 – oval beiWind aus 30°)Fig. 9. Exhaust air flow V/VBez of the three towers underwind induced ventilation in the production hall with increa-sed openings for air supply with VBez = 210,000m3 /h (Venturi 2 – oval, wind direction 30°)

Bild 10. Gesamtluftvolumenstrom V/Vbez bei windbedingterLüftung des Atriums mit Vbez = 103.000 m3/h (aus Klappenoben bei Wind aus 0°)Fig. 10. Total air flow V/VBez under wind induced ventila-tion of the atrium with VBez = 103,000m3/h (skylight ope-nings version, wind direction 0°)

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lung der Austrittsvolumenströme über die Klappenberei-che am Dachaufbau werden Windrichtungen deutlich, beidenen über Teilbereiche auch ein Einströmen zu beobach-ten ist. Deutlich wird der sehr geringe Volumenstrom-An-teil über die seitlich am Dachaufbau angeordneten Klap-pen bezogen auf den Gesamtvolumenstrom durch dasAtrium.

3.2.2 Natürliche Lüftung des Atriums durch Thermik (Windstille)

Die Schiebefenster in der Nordfassade und die Türen inder Ost- und Westfassade waren nach wie vor geöffnet.Beispielhaft vorgegebene Innentemperaturen wurden ana-log zu Abschnitt 3.1.2 angenommen. Bei der VarianteKlappen seitlich am Dachaufbau liegt die neutrale Zoneunterhalb der Schiebefenster in der Nordfassade, wodurchein Zuströmen für Ti – Ta > 0 nur über die Türen in derWest- und Ostfassade erfolgen kann. Die Abluft des Atriumsströmt hierbei sowohl über die Klappen seitlich am Dach-aufbau als auch über die Schiebefenster ab. Bei der Vari-ante Klappen oben am Dachaufbau liegt die neutrale Zoneoberhalb der Schiebefenster in der Nordfassade, weshalbein Zuströmen für Ti – Ta > 0 sowohl über die Türen in derWest- und Ostfassade als auch über die Schiebefenster in

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der Nordfassade erfolgen kann. Über die 16 Klappen obenam Dachaufbau strömt die Abluft ins Freie.

3.2.3 Natürliche Lüftung des Atriums unter der kumuliertenWirkung von Wind und Thermik

Bei gleichzeitiger Windinduktion und thermischem Auf-trieb entsteht ein Gesamtvolumenstrom durch das Atriummit uH =3 m/s und einem räumlich gemittelten Tempera-turunterschied von Ti – Ta = 5 K (Bild 12). Der Bezugs-wert bei Wind Vbez = 103.000 m3/h dient zu Vergleichs-zwecken. Es entsteht eine Intensivierung des Luftdurch-satzes gegenüber dem rein windbedingten Effekt in Höhevon 5 bis 10 % bei Variante Klappen oben und ca. 2 bis5 % bei Variante Klappen seitlich am Dachaufbau ange-ordnet.

Bei der angenommenen Windgeschwindigkeit uH = 3 m/s und der Übertemperatur von 5 K im Atrium ist einevon den Winddrücken dominierte Situation zu beobachten(Bild 13). Aufgrund der sehr geringen Volumenstrom-An-teile über die seitlich am Dachaufbau angeordneten Klap-pen bezogen auf den Gesamtvolumenstrom stellt sich beidieser Variante vielfach eine sehr intensive Querströmungzwischen der West- und Ostfassade ein. Diese Querströ-mung bedeutet dabei auch einen sehr hohen Anteil am Ge-samtluftvolumenstrom. Der Anteil der über den Dachauf-bau abströmenden Luftmenge ist dabei stets erheblichniedriger. Bei der Variante Klappflügel oben am Dachauf-bau ist mit einer deutlich klareren Aufwärtsströmung zurechnen. Der Grund hierfür liegt in der ausgewogenerenDimensionierung der vorgesehenen Abluftöffnungen.

Die Ergebnisse zeigen, dass die seitlich am Dachauf-bau angebrachten Klappflügel vorrangig aufgrund derdeutlich geringeren Öffnungsquerschnitte weniger geeig-net sind, als die Klappflügelbänder oben am Dachaufbau.

Bild 11. Austrittsvolumenstrom V/Vbez zusammengefasstfür 3 × 4 Klappflügel bei seitlicher Anordnung und für 4 × 4Klappflügel bei Anordnung oben am Dachaufbau bei windbedingter Lüftung des Atriums mit Vbez = 103.000 m3/h(Klappen oben – Wind aus 0°)Fig. 11. Cumulated exhaust air flow V/VBez for 3 × 4 venti-lation openings at the sides of the louver and for 4 × 4 ven-tilation openings on the top of the louver construction under wind induced ventilation of the atrium with VBez =103,000m3/h (skylight openings version, wind direction 0°)

Bild 12. Gesamtluftvolumenstrom V/Vbez bei wind- und ther-misch bedingter Lüftung des Atriums mit Vbez = 103.000 m3/h (uH =3 m/s, Ti – Ta = 5 K)Fig. 12. Total air flow V/Vbez under wind induced andbuoyancy driven ventilation of the atrium with VBez =103,000m3/h (uH =3m/s, Ti – Ta = 5K)

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4 Schlussfolgerungen

Durch die Windkanalstudie konnte das natürliche Lüftungs-prinzip der zwei strategisch bedeutenden RaumbereicheProduktionshalle und Atrium erfolgreich nachgewiesen wer-den. Neben einer einwandfreien Funktionstüchtigkeit wurdedie Effizienz unterschiedlicher Ven turi-Varianten quantifi-ziert und bewertet. Die Variante Venturi 2 – oval erwies sichmit einem maximalen Luftdurchsatz von 210.000 m3/h alsdie effizienteste passive Lüftungsturmvariante mit Entwär-mungskapazität. Die mit IDA ICE durchgeführten dynami-schen Gebäudesimulationen belegen, dass Temperaturenüber 28 °C in der Fabrikhalle in den Mittagsstunden an achtTagen im Jahr entstehen, wobei lediglich an einem Tag eineHöchsttemperatur von 31 °C zu quittieren ist. Dabei wirdmindestens drei Monate lang passiv be- und entlüftet undmindestens zwei Monate lang natürlich entlüftet. Weiterent-wickelte, optimierte Simulationsmodelle erzielen sogar eineMinderung des Kühl- und Stromverbrauchs der Gebäude-technik um 50 % [2]. Bezüglich der natürlichen Durchlüf-tung des Atriums kann eine wesentlich höhere Effizienz derVariante Klappfügel oben am Dachaufbau verzeichnet wer-den, was hauptsächlich der größeren Anzahl und Dimen-sion zu verdanken ist. Diese Version erwies sich mit einemmaximalen Gesamtvolumenstrom von 103.000 m3/h als einsehr leistungsfähiges passives Lüftungssystem, das in dieserkritischen Pufferzone intensiv zur Dämpfung der sommerli-chen Überhitzung beitragen kann. Ab Dezember 2012 star-

tet der Lehrstuhl für Energiedesign, Universität Pécs einmehrjähriges bauklimatisches und energetisches Messdaten-erfassungs- und Steuerungsprogramm, um die Ergebnisseder Windkanalstudie durch Messungen am realen Objektabzugleichen.

Danksagung

Dieses Forschungsprogramm wurde durch SROP-4.2.1.B-10/2/KONV-2010-0002, Developing the South-Transdanu-bian Regional University Competitiveness research and de-velopment program (Verstärkung der Wettbewerbsfähig-keit von Universitäten in der südungarischen Region imBereich Forschung und Entwicklung) gefördert.

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Autoren dieses Beitrages:Ass. Prof. Dr.-Ing. habil. István Kistelegdi, Leiter des Lehrstuhls Energia-design, Fakultät für Ingenieurwissenschaften und Informationstechno -logien „Mihály Pollack“, Universität Pécs/ UngarnBálint Baranyai, Forschungsbeauftragter, Phd Student am Lehrstuhl Ener-giedesign, Fakultät für Ingenieurwissenschaften und Informationstechno-logien „Mihály Pollack“, Universität Pécs/ Ungarn

Bild 13. Zusammengefasste Volumenstromanteile V/Vbezfür die beiden Klappenvarianten bei wind- und thermischbedingter Lüftung des Atrium mit Vbez = 103.000 m3/h (uH =3 m/s, Ti – Ta = 5 K)Fig. 13. Cumulated exhaust air flow V/VBez for both ope-ning-variations under wind induced and buoyancy drivenventilation of the atrium with VBez = 103,000 m3/h (uH =3m/s, Ti – Ta = 5K)