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LA 49 (1999) 9-36 WER BIN ICH? ODER NOCH EINMAL ZU EX 3,14! D. Volgger 1. Einleitung Der Bibelvers Ex 3,14 wird seit alters her als Offenbarung der Bedeutung des Gottesnamens YHWH interpretiert. Zugleich blieb nicht verborgen, daß gerade der Inhalt dieses Verses, versteht man ihn als Offenbarung oder gar Etymologie des Gottesnamens (GN), mehr verhüllt als deutlich macht. Es bleibt zumindest der Eindruck, Gott offenbare seinen Namen sehr zurück- haltend und bloß andeutungsweise. Diese Beobachtung steht im Gegensatz zur gesamten Erzählung der Offenbarung YHWHs an Mose, wie sie in Ex 3,1-4,17 zum Ausdruck kommt. Augenfällige Wunder, der brennende Dorn- busch, der nicht verzehrt wird, bis zur Hand Moses, die von einem Mo- ment zum anderen aussätzig und gleich darauf vom Aussatz wiederum befreit wird, sprechen eine deutliche Sprache. Zudem ist der GN YHWH für das Volk Israel, zu dem auch Mose gerechnet wird, kein Geheimnis mehr. Benennt der erste Mensch Adam lediglich alle von Gott geschaffe- nen Tiere (Gen 2,19f) und seine ihm entsprechende ‘Hilfe’, Eva (Gen 3,20), so ist nach Gen 4,26-5,10 schon zu Lebzeiten Adams der Name YHWH angerufen worden (vgl. Gen 4,26: ‘damals (ev. dieser [Enosch]) begann (man) anzurufen qr∑ (ev. zu opfern im 1 ) den Namen YHWHs’ (båm YHWH). Der GN YHWH, seit altersher bekannt, bedarf damit keiner neuerlichen Einführung in Ex 3,14(f). Die Verschleierung bzw. die Verwei- gerung der ausdrücklichen Nennung des GN in Ex 3,14 kann auch nicht mit dem Hinweis erklärt werden, die unaussprechliche Größe Gottes oder seine Unverfügbarkeit sei mit der Nennung seines Namens nicht vereinbar. Zunächst läßt das gesamte AT daran keinen Zweifel, daß die Nennung des GN YHWH, wieoft auch immer ausgesprochen, nichts mit dessen Verfüg- barkeit zugunsten menschlicher Ansinnen zu tun hat. Sodann spricht auch die Nennung des GN YHWH in Ex 3,15, gleich anschließend an Ex 3,14, gegen eine derartige Deutung. Noch viele andere Versuche, Ex 3,14 im Zusammenhang der Erklärung bzw. Etymologie des GN YHWHs zu interpretieren, könnten angeführt 1. Das Verb qr∑ müßte dann im Sinne von ‘(kultisch ) begegnen’ verstanden werden, vgl. dazu Ringgren, H., qärä∑ II, ThWAT 7, 1993, 172-175.

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LA 49 (1999) 9-36

WER BIN ICH? ODER NOCH EINMAL ZU EX 3,14!

D. Volgger

1. Einleitung

Der Bibelvers Ex 3,14 wird seit alters her als Offenbarung der Bedeutungdes Gottesnamens YHWH interpretiert. Zugleich blieb nicht verborgen, daßgerade der Inhalt dieses Verses, versteht man ihn als Offenbarung oder garEtymologie des Gottesnamens (GN), mehr verhüllt als deutlich macht. Esbleibt zumindest der Eindruck, Gott offenbare seinen Namen sehr zurück-haltend und bloß andeutungsweise. Diese Beobachtung steht im Gegensatzzur gesamten Erzählung der Offenbarung YHWHs an Mose, wie sie in Ex3,1-4,17 zum Ausdruck kommt. Augenfällige Wunder, der brennende Dorn-busch, der nicht verzehrt wird, bis zur Hand Moses, die von einem Mo-ment zum anderen aussätzig und gleich darauf vom Aussatz wiederumbefreit wird, sprechen eine deutliche Sprache. Zudem ist der GN YHWHfür das Volk Israel, zu dem auch Mose gerechnet wird, kein Geheimnismehr. Benennt der erste Mensch Adam lediglich alle von Gott geschaffe-nen Tiere (Gen 2,19f) und seine ihm entsprechende ‘Hilfe’, Eva (Gen 3,20),so ist nach Gen 4,26-5,10 schon zu Lebzeiten Adams der Name YHWHangerufen worden (vgl. Gen 4,26: ‘damals (ev. dieser [Enosch]) begann(man) anzurufen qr∑ (ev. zu opfern im1) den Namen YHWHs’ (båmYHWH). Der GN YHWH, seit altersher bekannt, bedarf damit keinerneuerlichen Einführung in Ex 3,14(f). Die Verschleierung bzw. die Verwei-gerung der ausdrücklichen Nennung des GN in Ex 3,14 kann auch nichtmit dem Hinweis erklärt werden, die unaussprechliche Größe Gottes oderseine Unverfügbarkeit sei mit der Nennung seines Namens nicht vereinbar.Zunächst läßt das gesamte AT daran keinen Zweifel, daß die Nennung desGN YHWH, wieoft auch immer ausgesprochen, nichts mit dessen Verfüg-barkeit zugunsten menschlicher Ansinnen zu tun hat. Sodann spricht auchdie Nennung des GN YHWH in Ex 3,15, gleich anschließend an Ex 3,14,gegen eine derartige Deutung.

Noch viele andere Versuche, Ex 3,14 im Zusammenhang der Erklärungbzw. Etymologie des GN YHWHs zu interpretieren, könnten angeführt

1. Das Verb qr∑ müßte dann im Sinne von ‘(kultisch ) begegnen’ verstanden werden, vgl.dazu Ringgren, H., qärä∑ II, ThWAT 7, 1993, 172-175.

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werden.2 Dabei bleibt aber die prinzipielle Frage im Hintergrund, ob Ex3,14 überhaupt eine Interpretation des GN leistet. Ich persönlich möchtedarlegen, daß Ex 3,14 eigentlich nichts mit dem GN YHWH zu tun hat,sondern vielmehr als kontextgemäße Deutung der Beziehung YHWHs zuseinem Boten Mose im Hinblick auf dessen Sendung zu verstehen ist. Umden Kontext von Ex 3,14 hinreichend wahrzunehmen, werde ich mit derAnalyse zu Ex 3,1-4,18 beginnen. Die Textgestalt dieses Abschnittes wirdals Berufungserzählung verstanden (2). Der komplexen Redesituation in Ex3,1-4,17 soll dabei besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden (3). Ineinem nächsten Schritt werden die GN in Ex 3,1-4,18 untersucht (4). Esfolgt die Darlegung zum Verhältnis zwischen dem GN YHWH und ande-ren göttlichen Bezeichnungen (5). Unter besonderer Berücksichtigung desVerbs hyh soll anschließend der Wortsinn von Ex 3,14 vorgestellt werden(6). Diese Interpretation soll noch durch drei weitere Argumente unterstri-chen werden (7), bevor zum Abschluß die weltweite Bedeutung der Beruf-ung Moses herausgestellt wird (8).

2. Der Kontext von Ex 3,14 - die Berufungserzählung Ex 3,1-4,17

Der Vers Ex 3,14 steht als YHWH-Rede im Rededialog zwischen YHWHund Mose. Diesen Dialog eröffnet YHWH in Ex 3,4 mit der zweifachenNennung des Namens ‘Mose, Mose’. YHWH ist es auch, der mit Ex 4,14-17 das ‘letzte’ Wort im Zwiegespräch hat. Die direkten Reden folgen je-weils direkt aufeinander, so daß die erzählte Zeit der Erzählzeit entspricht.Diese Detaillierung des Erzählens an dieser Stelle des Buches Exodus ver-rät die besondere Bedeutung dieses Abschnittes im Gesamt der Erzählan-lage. Initiiert wird der Dialog durch ein nicht-verbales Ereignis, Mose wirdnämlich eines brennenden Dornbusches gewahr (3,2f).

Die Einführung des Abschnittes Ex 3,4ff gibt folgende Erzählstrategiezu erkennen. Zunächst wird Mose als Kleinviehhirt seines SchwiegervatersJitro, des Priesters von Midian, gekennzeichnet (3,1). Es verwundert dabeinicht so sehr die Nennung der alltäglichen Arbeit Moses, sondern die ge-naue Bestimmung der Abhängigkeit Moses: Die Ziegen und Schafe, dieMose weidet, gehören nicht ihm, sondern seinem Schwiegervater. Dieserist nicht Israelit, genauer Levit (2,1f), und Anhänger des Gottes Israels,

2. Vgl. dazu den Überblick im Kommentar: Schmidt, W.H., Exodus. 1. Teilband Exodus 1-6, Neukirchen-Vluyn 1988, 175-177; siehe auch Ibáñez Arana, A., ∑ehyeh ∑aåer ∑ehyeh (Ex3,14a), Scriptorium Victoriense 45 (1998) 5-49.

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3. Siehe dazu C. Frevel, “Gottesberg”, NBL 1 (1991) 920.

sondern ein Priester von Midian. Alles deutet darauf hin, daß Mose unterdiesen Umständen im Dienst des midianitischen Priesters Jitro steht, des-sen Tochter er geheiratet hat (2,21). Auf diesem Hintergrund setzt die Er-zählung eines einmaligen Ereignisses ein: ‘und (einmal) trieb er dasKleinvieh über die Steppe hinaus und kam zum Gottesberg Horeb’. DieEinmaligkeit besteht zunächst darin, daß Mose eines Tages über eine ge-wohnte Weidegrenze hinausgerät. Der Ort ‘Gottesberg Horeb’3, an dem dergesamte Rededialog 3,4-4,17 verortet wird, liegt demnach außerhalb desWeidegebietes des midianitischen Priesters Jitro. Zugleich wird der Lesererkennen, daß die Bezeichnung ‘Gottesberg’ ein Informationsplus des Er-zählers darstellt, das nicht dem Wissensstand Moses entspricht. Auch dieKennzeichnung des brennenden Dornbusches als Erscheinung des BotenYHWHs in einer Flamme, die aus dem Dornbusch emporschlug (3,2), istMose zu jenem Zeitpunkt noch nicht zugänglich. So verwundert es nicht,daß Mose dieses Phänomen in seinen Überlegungen (3,3) zunächst ledig-lich als ‘großen Anblick’ kennzeichnet. Der Autor gibt sich als auktorialerGestalter der Erzählung zu erkennen. Das bedeutet für Ex 3,1ff, daß derLeser zu diesem Zeitpunkt der Erzählwelt besser informiert ist als derHauptprotagonist Mose.

Der Wissensvorsprung bezüglich der Gotteserscheinung wird in 3,6wieder eingeholt. Dort stellt sich die Stimme aus dem Dornbusch vor.Wenn Mose daraufhin sein Gesicht verhüllt, gibt er zu erkennen, daß er umdie göttliche Dimension dieser Erscheinung weiß. Auch die Kennzeichnungdes Ortes, an dem diese Erscheinung vonstatten geht, als Gottesberg(Horeb) in 3,1, wird dem Mose in 3,5 von der Stimme aus dem Dornbuschdeutlich gemacht: ‘Dies ist heiliger Erdboden’ (vgl. noch 3,12).

Der Dialog zwischen der göttlichen Stimme aus dem Dornbusch undMose kann unter diesen Voraussetzungen beginnen. Aus der Vorstellung dergöttlichen Stimme als Gott des Vaters Moses usw. ist auch klar geworden,daß es sich nicht um den Gott des Schwiegervaters Moses handelt. DieAbhängigkeit Moses, wie sie in 3,1 noch zum Ausdruck gekommen ist,besteht für den Dialog nicht mehr und wird auch in 4,18 von Jitro mit derEntlassung Moses zu seinen Brüdern unterstrichen.

Mose wird in den Plan des Gottes Israels eingeführt. Auch diesbezüg-lich weiß der Leser schon bedeutend mehr als Mose selbst. In Ex 2,23-25informiert der Autor in einem komprimierten Bericht von der elenden Si-tuation der Israeliten in Ägypten, ihrem Hilferuf zu Gott und dessen ge-

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4. Zur Verbindung des Textes Ex 2,25-3,1 in beide Richtungen des Textverlaufs vgl. Fi-scher, G., Jahwe unser Gott. Sprache, Aufbau und Erzähltechnik in der Berufung des Mose(Ex 3-4), OBO 91, Freiburg/Schweiz 1989, 25-29 .

5. Zur Interpretation dieses Abschnittes vgl. Fischer, Jahwe unser Gott, 29-36.

6. Vgl. Fischer, Jahwe unser Gott, 50.

plantem Einlenken zugunsten der Israeliten. Vor allem der Plan, Israel zuhelfen, der in 2,25 noch vage ausgedrückt wird (‘auf die Söhne Israelsschauen und sich ihnen zu erkennen geben’), gibt dem Leser die Deutungzur Hand, die er nicht bloß der wunderbaren Errettung des Kindes aus demWasser (Ex 2,1-10), vielleicht sogar der freundlichen Aufnahme Moses beider Familie des Midianiters Jitro zuschreiben soll, sondern auch dem fol-genden Geschehen, das in Ex 3,1ff erzählt wird.4 In 3,7-9 wird dieser Hin-tergrund dem Mose explizit mitgeteilt.

Auch das Wissen, daß der ägyptische König, der Mose töten wollte(2,15), zum Zeitpunkt der Erscheinung des brennenden Dornbusches be-reits tot ist (2,23), wird Mose erst in 4,19 zuteil. Auf diese BotschaftYHWHs hin, daß alle Gegner, die Mose einst nach dem Leben getrachtethatten, tot sind, bricht Mose endgültig nach Ägypten zu seinen Brüdern auf.Dieser Aufbruch nach Ägypten und dessen Durchführung werden in denvv 4,18-26 geschildert.5

Die ersten Beobachtungen zum Kontext von Ex 3,14 haben gezeigt, daßder Textabschnitt Ex 3,1-4,18 einerseits aus seinem Kontext durch die aus-gesprochen lange Dialogpartie zwischen Gott und Mose herausragt, ande-rerseits wiederum gut in den Kontext eingefügt ist. Der Autor orientiert denLeser in dem Abschnitt Ex 2,24-4,26 auf die Gestalt des Mose hin, indemdieser angehalten wird, die Wissensstruktur, die der auktorialen Erzähl-weise entspricht, in Mose Schritt für Schritt wiederzuerkennen. Dadurchkann ein Identifizierungsprozeß mit der Gestalt Moses erfolgen, der zurZustimmung der Offenbarung Gottes gegenüber motivieren soll. Gott hatdas erste und letzte Wort, er allein verleiht Wissen und zeichnet sich durchHandeln aus, das diesem Wissen entspricht.

Vergleicht man den Abschnitt Ex 3,1-4,18 mit anderen Texten wie Ri 6,1 Sam 9f, Jes 6, Jer 1 oder Ez 1-3, so kann die Texttypik durch folgende Text-elemente gekennzeichnet werden: (1) Einleitung bzw. Antreffen bei der Be-rufsausübung (Ex 3,1-9 bzw. 3,1); (2) Auftrag (3,10.16; 4,12a); (3) Einwand(3,11.13; 4,1.10.13); (4) Zusicherung (3,12a.14f; 4,5.8f.(11) 12b.15); (5)Zeichen (3,12*;4,3f.6f.9b.(17)); ev. (6) Schluß (4,18).6 Folgt man dieser Ein-teilung, so fällt sofort die Wiederholung einzelner Elemente auf (Element (2)dreimal; Element (3) fünfmal; Element (4) sechsmal; Element (5) vier-/fünf-

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mal). Doch die reine Aufzählung dieser Elemente täuscht über die innereDramatik des Dialogs zwischen Gott und Mose hinweg. Der erste EinwandMoses betrifft sein persönliches Unvermögen gegenüber dem kühnen gött-lichen Auftrag. Gott entgegnet diesem Einwand, indem er Mose seine Ge-genwart zusichert (3,11f). Im zweiten Einwand fürchtet Mose seinUnvermögen gegenüber den Israeliten. Auch diesen Einwand soll die Ant-wort Gottes 3,14-15, in dem unser Vers 3,14 vorkommt, entkräften. Die Ant-wort YHWHs, die die Verse 3,14-21 umfaßt, führt über dieses Nahzielhinaus. YHWH fügt den Auftrag hinzu, Mose solle mit den Ältesten Israelszu den Ägyptern gehen, um eine kultische Begehung Israels in der Wüstedurchzusetzen. Dabei gibt YHWH gegenüber 3,12 zu erkennen, daß auch derWiderstand des Pharao in seinem Ermessen liegt (3,19-21). In einem drittenEinwand rechnet Mose mit dem Widerstand der Israeliten, die zwar nicht dieGöttlichkeit YHWHs und seine Wirkmacht bestreiten, jedoch Mose als Bo-ten dieses YHWH ablehnen. Dieser dritte Einwand gleicht eigentlich demzweiten. In beiden Fällen geht es um Mose und die Israeliten. Jedoch unter-scheiden sich beide Einwände in der Perspektive und der Einstellung Moseszur Wirkmacht seines Auftraggebers. Im ersten Fall bezweifelt Mose ausseiner persönlichen Sicht der Dinge die Möglichkeit seines wirkmächtigenHandelns Israel gegenüber. Im zweiten Fall geht Mose, in Übereinstimmungmit der Zusicherung YHWHs aus 3,14f, davon aus, selbst in der WirkmachtYHWHs zu stehen, jedoch befürchtet er die Möglichkeit, daß die Israeliteninsgesamt seinen Auftrag und seine Sendung ablehnen könnten. Entscheidetsich im ersten Fall die Zustimmung (oder Ablehnung) der Israeliten zumAuftrag Moses erst auf die Beantwortung ihrer Frage hin, so wird diese Zu-stimmung in 4,1 von vornherein abgelehnt. Auffallend ist dabei, daß im er-sten Fall genau diese Frage die Antwort des GN YHWH provoziert (3,15),im zweiten Fall jedoch dieser GN bereits vorausgesetzt ist und zugleich eineTotalablehnung von seiten Moses befürchtet wird. Unschwer läßt sich erken-nen, daß diese Erzählstrategie die Offenheit des ‘Elohim’-Begriffes und dieEntscheidungsqualität des GN YHWH für Israel impliziert. Mit Elohim kön-nen auch andere Götter, außer YHWH, gemeint sein. Dies gilt es dann aufisraelitischer Seite jeweils zu überprüfen. Erfolgt der Auftrag jedoch im GNYHWHs, so steht Israel vor der Entscheidung zwischen Zustimmung oderAblehnung. Dabei ist jede Zuwendung zu ‘anderen’ Göttern, ausgenommenYHWH, schon zugleich Ablehnung.

Anders schaut diesbezüglich das Verhältnis Ägyptens zum AnspruchYHWHs aus. Wird YHWH in 3,18 auch noch in eine für ägyptische Ver-hältnisse kommunikative Deutung als ‘Gott (Elohim) der Hebräer’ vorge-stellt, so kann der ägyptische Pharao den Gott der Hebräer als unbekannten

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7. Siehe dazu unter Punkt 7!

ablehnen (5,2) und sich dennoch im Kreis seiner Priester und Wahrsagerbestätigt fühlen (7,11f). Allein der Erzähler bzw. Leser von Ex weiß, daßauch Ägypten angesichts des Auftrags YHWHs, den Mose überbringt, zurEntscheidung gezwungen wird (vgl. 12,31f).

Auf den dritten Einwand in 4,1 folgen gleich zwei Kurzdarstellungenvon zwei Wunderzeichen, die dahin führen sollten, dem YHWH-BotenMose Glauben zu schenken (4,5.8). Zur Steigerung wird in 4,9 noch eindrittes Wunderzeichen angedeutet, diesmal ohne ‘probeweise’ Durchfüh-rung, was auch gar nicht möglich wäre, da es in der Wüste am Gottesbergkein Nilwasser in greifbarer Nähe gibt. Von Interesse ist, daß zumindest daserste und dritte Wunder, der Stab, der zur Schlange wird, und das Nil-wasser, das zu Blut wird, in der weiteren Ex-Erzählung als Wunder ange-führt werden, jedoch nicht zum Zeichen ‘gegen’ die Israeliten, sonderngegen die Ägypter (Ex 7,8-13; 7,19-25). In beiden Fällen ist jedoch Aaronund nicht Mose Ausführender des Wunders.

Dieser Unterschied spiegelt sich auch noch im vierten Einwand Gottesin 4,10 wider. Mose führt - gegenüber 3,11, wo er sich gegenüber demAuftrag Elohims insgesamt überfordert fühlte - noch ein Detail seiner per-sönlichen Unfähigkeit ins Spiel: Er könne nicht gut reden. Wiederum si-chert YHWH Mose seinen Beistand und seine Führung zu. In diesem Fallsetzt Mose noch einmal nach und läßt im Hinblick auf seine Sendung allesoffen. YHWH soll mit der Macht senden, mit der er sendet (4,13)7. An die-sem Punkt wird die Sendung des Mose von seiten Moses noch einmal ins-gesamt in Frage gestellt. YHWH geht auf diese totale Infragestellungverbal nur insofern ein, daß er einen anderen, nämlich Aaron, den redege-wandten Bruder Moses, mitsendet (4,14-16). Gegenüber der möglichen to-talen Ablehnung der Sendung YHWHs von seiten Moses gibt YHWHlediglich seinen Zorn zu erkennen (4,14). Die göttliche Sendung steht so-mit unter dem Zorn YHWHs gegen einen Mose, der sich diesem Auftraggänzlich entziehen will, und zugleich auch unter dem Zorn gegen einenägyptischen Pharao, der das Volk Israel nicht zur YHWH-Verehrung freigibt (11,8). In 11,8 ist freilich Mose, der sich ganz in die Sendung YHWHsdreingibt, Träger des Zornes YHWHs gegen den Pharao geworden.

Die Analyse des Textabschnittes Ex 3,1-4,18 unter dem Gesichtspunktder Texttypik ‘Berufungsgeschichte’ hat zu erkennen gegeben, daß zwi-schen dem rufenden Gott und dem berufenen Menschen Mose schrittweiseeine Verhältnisbestimmung vorgenommen wird, die die Israeliten und dieÄgypter mitbetrifft. Dabei wird auch der Wechsel des Gottesnamens in Ex

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8. Vgl. Fischer, Jahwe unser Gott, 46, Anm. 21.

9. Zu einer differenzierten Analyse von biblischen Texten mittels Sprechakten vgl. dasSchema von Irsigler, H., in seinem Aufsatz ‘Psalm-Rede als Handlungs-, Wirk- und Aus-sageprozeß. Sprechaktanalyse und Psalmeninterpretation am Beispiel von Psalm 13, in :Seybold, K. / Zenger, E. (Hg.), Neue Wege der Psalmenforschung, FS W. Beyerlin, HBS 1,Freiburg u.a. 1994, 63-104, hier 91f.

3,15, zwischen dem zweiten und dritten Einwand Moses, als literarischesGestaltungsmittel verwendet. Insgesamt wird die Berufung Moses aus demisraelitischen Stamm Levi im Fall der Zusage Moses (und Israels) unter dasZeichen Segen YHWHs für Mose und Israel bzw. im Fall der Ablehnungvon seiten Moses unter das Zeichen Zorn YHWHs gegenüber Mose, Israelund Ägypten gestellt.

Im Folgenden soll der Einsatz verschiedener GN in Ex 3,1-4,18 unter-sucht werden. Dazu bedarf es jedoch zunächst einer genauen Analyse derRedeebenen in diesem Abschnitt.

3. Die Redeebenen in Ex 3,1-4,18

Ex 3,4- 4,17 stellt den längsten Dialog zwischen Gott und einem Menschenim AT dar, wenn man von der Unterredung Gottes mit Ijob, der eher einemMonolog Gottes gleicht (Ijob 38,1-42,6), absieht.8 Der Dialog beginnt in3,4, wenn auch die Überlegung, die Mose in 3,3 anstellt, als direkte Redebzw. innerer Monolog (wy∑mr) gekennzeichnet wird. Lexikalische Einleit-ungen (∑mr, qr∑, ‘nh) zu den Reden Gottes finden sich in den Versen3,4.5.6.7.12.14(2x).15; 4,2.3.4.6.7.11.14, zu den Reden Moses in den Ver-sen 3,4.11.13; 4,1.2.10.13. In zwei Fällen (4,5.8f) unterbleibt die lexikali-sche Markierung einer Gottesrede. Dennoch ist die Sprechersituation fürden Leser ohne Probleme durchsichtig, da auf einen Befehl YHWHs hindessen Durchführung durch Mose konstatiert wird und sogleich dieYHWH-Rede von neuem einsetzt (4,4f; 4,7-9). Die kurzen Notizen zurDurchführung des Befehls YHWHs in 4,3.4b.6.7 sind neben 3,4a.6b dieeinzigen Textelemente, die die direkten Reden in 3,4-4,17 unterbrechen.

Von besonderem Interesse sind noch die Reden Gottes, die wiederholtals Reden Gottes lexikalisch markiert werden, obwohl diese weder von ei-ner Rede Moses noch von einem Erzählerkommentar unterbrochen werden.Es handelt sich dabei um die Verse 3,6.14.15; 4,6. In 3,6 wird die neuer-liche Einführung der Rede Gottes verständlich, wenn man den neuen Aus-sagegehalt von 3,6 gegenüber 3,5 berücksichtigt: Befiehlt Gott in 3,5 Mose,die Schuhe am heiligen Ort auszuziehen, so wechselt in 3,6 der Sprechakt9

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10. Vgl. Coats, G.W., Exodus 1-18, FOTL IIA, Grand Rapids. Michigan 1998, 177.

bezüglich der Sprechereinstellung und dem Sachverhalt bzw. Inhalt derGottesrede, wenn Gott sich als Gott des Vaters Moses usw. vorstellt bzw.deklariert. Anders und doch ähnlich ist der Fall in 4,6 gelagert. Dieser Versgehört gewissermaßen zu einer neuen Einheit, die mit dem Befehl YHWHsgegenüber Mose, seine Hand in den Gewandbausch zu legen, die Insze-nierung eines neuen Wunders eröffnet (vgl. 4,2-5). Demgegenüber rundetdie Gottesrede 4,5, die in der Anerkennung des Gottes YHWHs von SeitenIsraels das Ziel des Wunders angibt, die erste Wundererzählung ab. Wieschon in 3,5f wechselt auch in 4,5f der Sprechakt, diesmal von (Ziel-)De-klaration zu Befehl YHWHs. Der Wechsel in der SprecherperspektiveYHWHs wird in 4,6 noch durch die Partikel ‘wd lexikalisch unterstrichen.Diese Partikel, die auch als Substantiv syntaktisch funktioniert, bringt eineWiederholung bzw. eine Fortdauer zum Ausdruck. In unserem Zusammen-hang kann es sich nur um die Wiederholung bzw. Fortdauer der YHWH-Rede handeln: ‘Und YHWH sprach zu ihm wiederum, zudem, ferner’. DasSprachzeichen ‘wd signalisiert dabei, daß sich die folgende Rede nicht di-rekt bzw. logisch aus der vorhergehenden weiterentwickelt. Die direkteRede wird zwar fortgesetzt, es folgt aber etwas Neues, ein neuer Aspekt,ein neues Argument.

Diese Funktion dürfte die Partikel ‘wd auch in 3,15 haben: ‘und essprach ferner Elohim zu Mose’. Gegenüber dem Aussagegehalt von 3,14wird in 3,15 etwas hinzugefügt, das sich nicht direkt und notwendig ausdem Vorhergehenden ergibt. Der Sprechakt Elohims bleibt in v 15 gegen-über v 14 (2. Redeabschnitt) konstant: In beiden Fällen wird Mose beauf-tragt, den Israeliten eine Botschaft zu überbringen: ‘So sollst du sprechenzu den Söhnen Israels’. Auch die explizite Wiederholung dieser Boten-beauftragungsformel10 kann als Hinweis gelten, daß die jeweilige Botschaftnicht genau ein und dasselbe Thema betreffen. Freilich kann nicht behaup-tet werden, beide Botschaften hätten nichts miteinander zu tun. Jedoch derkonkrete Zusammenhang beider Botschaften muß erst noch genauer be-stimmt werden. Bevor dies in den folgenden Untersuchungsschritten ge-schieht, soll noch die wiederholte Einleitung der Gottesrede in 3,13berücksichtigt werden. Auf die Frage Moses in 3,14 wird die Antwort Got-tes mit der Phrase ‘und Elohim sprach zu Mose’ (3,14) eröffnet. Auf diekurze, direkte Rede Elohims wird noch einmal der Redebezug durch diePhrase ‘und er sprach’ hergestellt. Es ist offenbar, daß YHWH der Spre-cher ist und Mose der Angesprochene. Die Interpretation der Anwesenheitdieser neuen Redeeinleitung kann in unserem Erklärungszusammenhang

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lediglich in der Veränderung der Redeinhalte Gottes liegen. Tatsächlich las-sen sich dabei - trotz aller vorläufigen Unsicherheit über die Inhalte derdirekten Reden (v14) - folgende Änderungen feststellen. In der ersten di-rekten Rede wird Mose angesprochen und ihm ein deklarativer Satzinhaltvermittelt, während in der zweiten Rede zunächst wieder Mose angespro-chen wird, dieser aber sodann beauftragt wird, die Söhne Israels anzuspre-chen und diesen einen deklarativen Sachverhalt zu übermitteln. Im letzterenFall wird demzufolge eine direkte Rede in eine bereits eröffnete direkteRede eingefügt, wobei die Adressaten zumindest auf der Textoberflächewechseln, zunächst Mose, sodann (Mose und) die Israeliten.

Zudem fällt noch auf, daß sich die Kommunikation zwischen Elohimund Mose von der Kommunikationsübermittlung Moses an die Israelitenzeitlich unterscheidet. Die Kommunikationsebene zwischen Elohim undMose ist in der Textwelt 3,1ff gleichzeitig, die zwischen Mose und den Is-raeliten gegenüber der Zeitstufe, auf der Elohim und Mose miteinandersprechen, nachzeitig. Im ersten Fall könnte man von einem zeitgleichenDialog, im zweiten Fall von einem zeitverschobenen ‘Dialog’ sprechen.Freilich ist für Mose diese Nachzeitigkeit bereits in der gegenwärtigen Zeit-stufe präsent. Das heißt aber nichts anderes, als daß Mose der erste in Isra-el ist, der die Botschaft Gottes erfährt. Diesbezüglich besitzt er gegenüberIsrael einen ‘Informationsvorsprung’, der mit der Übermittlung der Bot-schaft eingeholt wird. Wenn also Israel die Botschaft Moses aufnimmt,wird es zugleich in die Kommunikationsebene Moses miteinbezogen.

Im Folgenden soll noch die komplexe Redesituation für die Verse 3,13-22 nachgezeichnet werden. Ist in 3,10 der Auftrag YHWHs, die Israelitenaus der Gewalt Ägyptens herauszuführen, direkt an Mose ergangen (‘undnun komm, ..., führe heraus...!’), so möchte Mose genauer wissen, wie diesdenn überhaupt möglich sein soll. Dafür gibt Mose vor, einer gewissenEtappe dieses Plans zu folgen, um dann von Gott zu erfahren, wie es dannin concreto unter bestimmten Voraussetzungen weitergehen soll. In seinerRede in 3,13 blickt Mose von der gegenwärtigen Gesprächssituation amBerg Horeb in die Zukunft. Er stellt sich vor, daß er dem Auftrag Gottesnachkommt, bis er auf die Israeliten trifft. Auf dieser Redeebene (IIa) setztMose den Rahmen für seine folgende Unterredung mit den Israeliten, dieer in direkter Rede wiedergibt: ‘Der Gott eurer Väter hat mich zu euch ge-sandt.’ Auf dieser Redeebene (IIb), die eine zukünftige Dialogsituationzwischen Mose und den Israeliten im Blick hat, antworten - so nach derVorstellung Moses - die Israeliten mit der Frage: ‘Was ist sein Name?’.Gleich darauf fährt Mose mit einer Frage fort, die er an Gott richtet: ‘Wassoll ich sagen?’. Letztere Frage bezieht sich auch auf die Gegenwart der

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Gesprächspartner Gott und Mose (I), so daß die gesamte bisherige RedeMoses als eine von ihm ins Auge gefaßte hypothetische Situation der Zu-kunft verstanden werden muß. Der Unterschied zwischen den RedeebenenI, IIa und IIb besteht darin, daß sich Mose auf der Ebene I in derGesprächsgegenwart direkt an Gott wendet und daß sich IIa und IIb beidein der Zukunft abspielen, wobei IIa nicht direkt an Gott gerichtet ist undIIb eine künftige Gesprächssituation kennzeichnet, in der Gott nicht Ge-sprächspartner ist.

In 3,14 wechselt der Sprecher, Gott gibt Mose auf seine hypothetischeErschließung seiner künftigen Sendung eine Antwort. Zunächst istunentscheidbar, ob Gott, der sich direkt an Mose wendet, auf der Ebene Ioder II spricht. Die Aussage ∑hyh ∑år ∑hyh, die kaum klare Handlungs-momente wie in 3,13 (IIa) erkennen läßt, ist der Redeebene I zuzurechnen,da Mose explizit als Angesprochener angegeben wird. Sie kann aber auchdie Redeebene IIa betreffen, wenn der Inhalt auch auf die Zukunft ausge-richtet verstanden wird. Mit der weiteren Redeeinleitung ‘und er sprach’und der darauf folgenden Botenbeauftragungsformel ‘so sollst du zu denSöhnen Israels sprechen’ wird die Redeebene präzisiert. Es handelt sich umdie Redeebene IIb, die Mose und die Israeliten als zukünftige Gesprächs-partner ins Auge faßt, freilich diesmal aus der Perspektive Elohims. Damitgeht Elohim auf die hypothetische Situation, die ihm Mose suggeriert hat,ein und gibt Mose zunächst eine Botschaft in Form einer direkten Rede andie Hand. Diese muß jedoch noch nicht die Antwort auf die Frage des Moseaus 3,13 ‘Was ist sein Name?’ sein. Erst von v 3,15 kann man zweifelsfreibehaupten, daß darin eine Antwort auf die Frage Moses enthalten ist:‘YHWH, ..., das ist mein Name für die kommende Zeit ...’. Die Einleitungzu 3,15 ‘und es sprach ferner Elohim zu Mose’ und die folgende Boten-beauftragungsformel ‘so sollst du zu den Söhnen Israels sprechen’ weisenden Rest dieses Verses in direkter Gottesrede der Redeebene IIb zu. Wieschon v 3,14 ist auch v 3,15 aus der Perspektive Gottes formuliert.

Gleich anschließend an diese Aussage fährt die Gottesrede mit einerReformulierung des Auftrags an Mose (vgl. 3,10) fort. In die neue Auf-tragsformulierung fließt - neben einigen Phrasen aus 3,7-911 - die hypothe-tische Perspektive Moses und die Nennung des GN YHWH ein (3,16:‘Geh, versammle die Ältesten Israels und sag ihnen: YHWH, der Gott eu-rer Väter …) (Redebene IIb; Perspektive: YHWH).

11. Z.B.: Israels Elend in Ägypten (v 7, v 17); Nennung von sechs Völkern im gelobtenLand (v 8, v 17); Kennzeichnung des gelobten Landes als Land, in dem Milch und Honigfließt (v 8, v 17).

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Ab v 18 zieht dann YHWH auf der Redeebene IIa die Linie der zukünf-tigen Geschehnisse weiter aus bis zur nächsten Gesprächssituation, die ei-nerseits Mose mit den Ältesten Israels und andererseits den König vonÄgypten als Gespächspartner aufweisen. Der ägyptische Pharao kommtdabei nicht zu Wort. Vielmehr offenbart YHWH Mose sein Vorauswissen,daß sich der Pharao dem mündlich überbrachten Plan Gottes widersetzenwerde, bis YHWH Ägypten mit Wundertaten zum Einlenken zwingt(v3,19-21[22]).

Faßt man die Ergebnisse zur Untersuchung der Redeebenen in Ex 3f,v.a. in Ex 3,13-22 zusammen, so muß festgehalten werden, daß YHWH inseiner Rede 3,14-22 auf die hypothetische Konkretisierung der Mosevor-stellung von 3,13 eingeht, sie konkretisiert und auf die Begegnung Mosesund der Ältesten Israels mit dem Pharao ausdehnt. Freilich ist dieser WegMoses zum Pharao bereits in der Sendung Elohims von 3,10 enthalten.Dennoch bietet 3,18-22 demgegenüber einige Präzisierungen: Nicht Moseallein, sondern mit den Ältesten Israels wird den Pharao aufsuchen. DieRede an den Pharao wird noch in direkter Rede konkretisiert (3,18). Zu-gleich wird auch das ablehnende Verhalten des Pharaos gegenüber demAnsinnen der Israeliten und der schlußendliche Erfolg des göttlichen Pla-nes durch Machttaten YHWHs gegen Ägypten kundgetan (3,19-22).

Versteht man die Verse 3,13-22 auf diese Weise, so erweist sich dieEtikettierung ‘Einwand des Mose gegenüber dem Plan Elohims’ für 3,13als unzureichend. Mose wendet sich nicht gegen den Plan Elohims, son-dern er ersucht seinen Auftraggeber Elohim, er möge seinen Plan bezüg-lich einer möglichen künftigen Fragestellung konkretisieren. Die AntwortElohims (3,14-22) stellt somit eine Klärung, eine Konkretisierung des an-fänglichen Entschlusses dar, Israel aus Ägypten zu befreien (3,10). Genauin diese textliche Konkretisierungsphase fällt auch die Präzisierung der Fra-ge, wer diese göttliche Stimme aus dem Dornbusch sei (3,13-15).

4. Die Gottesnamen in Ex 3,1-4,18

In unmittelbaren Zusammenhang mit der Darstellung zu den Redeebenenmuß auch der Gebrauch der Gottesnamen untersucht werden. In den erstenbeiden Kapiteln des Buches Exodus wird, wenn überhaupt, ausschließlichder GN Elohim verwendet (1,17[mit Artikel].20.21[mit Artikel]; 2,23-26[insgesamt 5x; einmal mit Artikel in 2,23]). Dies ändert sich in 3,2, wozum ersten Mal der GN YHWH vorkommt. Ab 3,2 bis 4,17 schaut die Ver-teilung der GN folgendermaßen aus: Elohim ohne Artikel kommt in

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3,(4).4.14.15; 4,16 vor. Elohim mit Artikel (ha=Elohim) findet sich in3,6.11.12.13. Auch die Constructusverbindungen mit Elohim bzw. die Vor-kommen von Elohim mit enklitischen Personalpronomen können in diesemZusammenhang angeführt werden (3,6[4x].13.15[4x].16.18[2x]; 4,5[4x]).Der GN YHWH steht in den Versen 3,2[‘Bote YHWHs’].(4).7.15.16.18[2x]; 4,1.2.4.5.6.10.11[2x].14. Nicht zu vergessen ist die Gottesbe-zeichnung ‘Adonay’ ∑dny ‘mein Herr’ in 4,10.13, die auch als Qere, als zuLesendes, für das Tetragramm YHWH Verwendung findet.

An dieser Verteilungsanzeige fällt zum einen das gehäufte Vorkommenvon Elohim zu Beginn des zu untersuchenden Textabschnittes auf und zumanderen das fast ausschließliche Vorkommen von YHWH nach 3,15. DerSchlüssel zum Verständnis des verschiedenen Auftretens der GN dürfte inder Erzählstrategie von Ex 3,1ff liegen, die aus der Perspektive der Spre-cher, d.h. aus der Perspektive Moses und aus der Perspektive Gottes, dieder des auktorialen Erzählers entspricht, formuliert.12 Dabei ist der primäreFokus auf die Erkenntnisstruktur Moses zu legen. Diese entwickelt sichinfolge der Erscheinung und der direkten Redeanteile der Stimme aus demDornbusch. Mose erkennt im Anblick des brennenden Dornbusches, dernicht verbrennt, zunächst eine außergewöhnliche Erscheinung (3,3). Mitder ersten verbalen Selbstoffenbarung der göttlichen Erscheinung in 3,6(‘ich [bin] der Gott (Elohim) deines Vaters, der Gott Abrahams, der GottIsaaks, der Gott Jakobs’) weiß Mose, daß es sich um eine göttliche Erschei-nung handelt, die sich bereits seinem Vater und seinen großen Vorväterngezeigt hat. Es ist eine erste Präzisierung der göttlichen Erscheinung ge-schehen, von der unbestimmten göttlichen Naturerscheinung zur Erkennt-nis, daß es sich dabei um eine Erscheinung eines in Israel bekannten Gotteshandelt. Bezüglich der Konkretisierung des Göttlichen verbleibt Mose zu-nächst auf diesem Niveau der Erkenntnis, nicht jedoch bezüglich der Ab-sicht dieses Gottes (3,7-10). In 3,13 fragt Mose den Gott seiner Väter, mitwelchem GN er den Plan, Israel aus Ägypten zu befreien, verbinden soll.3,15 liefert die letzte Konkretisierung des Gottes der Väter im Zusammen-hang seines künftigen Planes mit Mose und Israel: ‘YHWH, der Gott …ist sein Name für alle Zeit’. Auch dieser Name dürfte dem Israeliten und

12. Ähnlich Magonet, J., “The Names of God in Biblical Narratives”, in: Davies, J. /Harvey, G. / Watson, W.G.E. (Hg.), Words Remembered, Texts for the study of the OldTestament, JSOTS 195, Sheffield 1995, 82f. Zu einem neueren Versuch, Ex 3f u.a. mittelsdes Vorkommens verschiedener GN in literarische Darstellungsschichten zu trennen, sieheSchmidt, L., Diachrone und synchrone Exegese am Beispiel von Exodus 3-4, in: Ders, Ge-sammelte Aufsätze zum Pentateuch, BZAW 263, Berlin, New York 1998, 224-250.

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Leviten Mose bekannt sein, der in Ägypten nicht ohne Kontakt zu seinenMitbrüdern aufgewachsen ist. Neu ist, daß der Befreiungsplan des GottesIsraels mit dem Namen YHWH verbunden werden soll.

Die Textstrategie in 3,1-15 gibt zu erkennen, daß Mose in keinem Fallvoreilige Schlüsse bezüglich der konkreten Gotteserscheinung gezogen hat.Er ist vielmehr der Erkenntnisstruktur der Offenbarung gefolgt, von derNaturerscheinung des brennenden Dornbusches, der nicht verbrennt, zurStimme aus dem Dornbusch, die sich zunächst selbst vorstellt, sodann ih-ren Plan mit Mose und Israel preisgibt, bis zur Offenbarung, diesen mitMoses Berufung begonnenen Weg mit dem GN YHWH zu verbinden bzw.zu konkretisieren. In demselben Atemzug wird dieser Name und damit die-se Wegstrecke, der Exodus Israels aus Ägypten, als unvergeßbare Strukturisraelitischer Gottesverehrung für alle Zeit angekündigt.13 Damit hat Mosedie Erkenntnisstruktur erreicht, die der Autor dem Leser schon in 3,2 bzw.3,4 vorgegeben hat. Bei der Erscheinung, die in 3,2ff geschildert wird,handelt es sich um eine konkrete, geschichtliche Manifestation des GottesYHWH. Es verwundert daher nicht, daß die Dialogpartie nach der erstenSelbstoffenbarung bis 3,13 lediglich den GN Elohim verwendet. Dies ent-spricht der Selbstvorgabe der Gottesoffenbarung in 3,6. Daß die Einleitun-gen der Mosereden die Gottesbezeichnung Elohim mit Artikel verwenden(3,11.13), repräsentiert die Vorläufigkeit der Perspektive Moses, der erst ab3,15 die letzte Konkretisierung der Erscheinung des Gottes seiner Vätererfährt. Dem entsprechen auch die Reden Gottes, die in 3,6 und 3,12 vor-erst noch Elohim verwenden.

Demgegenüber wird die Rede Gottes an Mose jeweils ohne Artikel ein-geleitet (3,4.14.15), weil der Autor die Konkretisierung der göttlichen Per-spektive schon eingangs fixiert hat: Die Erscheinung geht auf YHWHzurück. Elohim muß daher nicht mehr auf eine konkrete, historische Situa-tion hin spezifiziert werden (vgl. nochmals 3,15 Ende). Auch die Zusam-menstellung von YHWH und Elohim der Väter, der Hebräer, in 3,15.16.18und 4,5 wiederholt diese letzte Konkretisierung der Gotteserscheinung anMose. Dabei verdient 3,16 besondere Aufmerksamkeit. Denn in diesemVers wird diese letzte Konkretisierung in die Kommunikation mit dem Pha-rao zwar aufgenommen, gewinnt aber in diesem Horizont eine neue Funk-tion: YHWH wird als Eigenname des Gottes des Volkes der Hebräer demPharao näher gebracht. Der Pharao selbst wird natürlich nicht von vornher-ein auf die Konzentrierung jeglicher göttlichen Erscheinung auf YHWH hin

13. Zum engen semantischen Zusammenhang von zkr ‘Gedenken’ und åm ‘Name’ vgl.Eising, H., zäk-ar, ThWAT 2, 1977, 586.

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schließen. Er kann sich sogar gegen YHWH stellen in der Meinung, nichtgegen das Göttliche zu verstoßen. Die Bezeichnung ‘Elohim’ ist somit einScharnierbegriff, der sowohl israelitischen als auch ägyptischen Vorstellun-gen vom Göttlichen entsprechen kann.

Wenn YHWH seinen Gesandten Mose am Schluß unseres Textes in4,16 mit Elohim bezeichnet, so wird das Auftreten Moses gegenüber Aa-ron der Erscheinung des brennenden Dornbusches fast gleichgestellt. Bei-des birgt in sich einen nicht überseh- bzw. überhörbaren göttlichenAnspruch. Aaron bzw. sein von Mose abgeleitetes Wort stellt in dieser pro-totypischen Konzeption den konkret ausgesprochenen Anspruch Elohimsv.a. Ägypten gegenüber dar. Freilich wird in den folgenden Kapiteln vonEx v.a. auch Mose als Sprachrohr des Gotteswortes auftreten.

Noch eine letzte Beobachtung bezüglich der Verteilung der GN in Ex3,1-4,18 ist von Bedeutung. Wenn Mose ab 3,15 weiß, daß der GN YHWHals letzte Konkretisierung mit der göttlichen Erscheinung des Dornbuschesund der folgenden Beauftragung zu verbinden ist, verwundert es, daß die-ser GN aus seinem Munde höchstens indirekt über die Redeebene IIb (Per-spektive ‘Israeliten zu Mose’) zu hören ist (4,1). Er selbst wendet sich anYHWH mit der Bezeichnung ‘Adonay’ ∑dny ‘mein Herr’ (4,10.13).14 Manwird dies kaum Zufall nennen können. Bevor jedoch die Beziehung der GNYHWH und Adonay genauer dargelegt wird, sollen die Ergebnisse derAnalyse der Redeebenen und des damit verbundenen Einsatzes der GNzusammengefaßt werden.

Der noch vage Gottesplan in 3,10 wird in 3,13-22 konkretisiert. WennMose die Begegnung mit den Israeliten in 3,13 thematisiert und nach derkonkreten Ausführung des Planes Gottes fragt und wenn Gott zumindestab 3,15 mit der Offenbarung des GN YHWH auf die Frage Moses aus3,13 eingeht, so kommt darin folgende Darstellungsweise der BerufungMoses zum Ausdruck. Der von Gott beauftragte Mose stößt zur Konkre-tisierung des noch unspezifischen Gottesplanes an. Und Gott nimmt die-se Linie auf, so daß Mose als Berufener in den Plan Gottes zumindestals aktiv Erkennender einfließt. Schritt für Schritt nimmt der erkenntnis-fähige Mose an der Offenbarung des Befreiungsplanes und schließlich ander Befreiung selbst (nach Ex 4,18) teil. Der aktive Teilnehmer an derBerufung Gottes wird somit selbst zum Referenzpunkt des Gottesplanes.In diese Dynamik, die Ex 3,1-4,18 insgesamt und 3,13-22 im speziellenkennzeichnet, muß auch 3,14 eingeordnet werden. Dabei wurde bereits

14. So zumindest im Text der BHS, der Leningrader Handschrift B 19A (L), Anfang11.Jh.

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festgehalten, daß die Redeeinleitung in 3,15 ein Signal dafür ist, daß sich3,15 nicht ohne weiteres aus der Erzähllogik von 3,14 ergibt. Die Parti-kel ∑wd zeigt vielmehr eine wie auch immer geartete Neuorientierung derErzähllogik in 3,15 an. Da davon auszugehen ist, daß 3,15 zweifelloseine Antwort auf die Frage nach dem Namen Elohims (3,13) enthält, muß3,14 - den obigen Überlegungen zufolge - eine davon inhaltlich z.T. un-terschiedene, aber dennoch wichtige Textfunktion in der Gottesrede er-füllen.

Um diese genauer bestimmen zu können bedarf es zunächst noch derUntersuchung der Konzeption des GN YHWHs im Vergleich zu anderenGottesbezeichnungen.

5. Der GN YHWH und die vielen Namen Gottes

Das Tetragramm YHWH wird in den heutigen punktierten Bibelausgabendurch das Qere ‘Adonay’ ausgesprochen. Dieser Brauch setzt mündlicheund schriftliche Lese- und Schreibtraditionen voraus. Denn ausschließlichvom Hören des Bibeltextes her könnte heute kein Mensch mehr auf dieIdee kommen, daß sich in der Aussprache ‘Adonay’ zumeist eine andereGottesbezeichnung verbirgt, die im Bibeltext schriftlich durch die vierBuchstaben YHWH angezeigt wird. Diese Konsonantenkombination wur-de früher wohl nicht mit ‘Adonay’ wiedergegeben, sondern mit einer Aus-sprache, die den Konsonantenbestand von YHWH berücksichtigt hat. Diegriechische Wiedergabe Iabe ist dafür ein Beispiel.15 Aufgrund der epi-graphischen Belege des GN YHWH aus dem 1. Jt.v., bis in die hellenisti-sche Zeit, lassen sich noch keine besonderen Schlüsse auf die Aus-spracheregelung dieses GN ziehen.16 Erst im Zusammenhang mitLXX-Handschriften und Texten aus Qumran gibt es bezüglich der Ver-wendung des GN YHWH einige Besonderheiten zu verzeichnen. FrühesteZitate von LXX-Texten haben das Tetragramm nicht durch phonetischeLautzeichen in griechischer Schrift (z.B. iaw) oder durch (alt-)hebräische

15. Vgl. Epiphanius von Salamis (2.H. 4.Jh.n.), belegt bei: Weippert, M., Jahwe (1977), in:Weippert, M., Jahwe und die anderen Götter. Studien zur Religionsgeschichte des antikenIsrael in ihrem syrisch-palästinischen Kontext, FAT 18, Tübingen 1997, 39.

16. Zu den rund 40 Belegen vgl. Davies, G.I., Ancient Hebrew Inscriptions. Corpus andConcordance, Cambridge 1991, 366-367. Zu den YHWH-haltigen Personennamen in die-sem Zeitraum vgl. Norin, S., “Jô-Namen und Jehô-Namen”, VT 29 (1979) 87-97 undMillard, A.R., “YW and YHW Names”, VT 30 (1980) 208-212.

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Schriftzeichen wiedergegeben, sondern durch die griechische Phrase ‘(o)kurioß’ ‘(der) Herr’ ersetzt. Ein Zitat aus dem Schriftsteller Aristobul (M.2. Jh.v.)17 und ein weiteres aus dem Aristeas Brief (E. 1. Jh.v.)18 sind dieältesten Belege dieser vielleicht noch unsystematischen Praxis.

In den Qumranhandschriften wird das Tetragramm in zweifacher Wei-se gesondert behandelt. Einerseits lassen sich bestimmte außergewöhnlicheSchreibkonventionen beobachten: So wird in manchen Handschriften derGN YHWH von der üblichen aramäischen Quadratschrift durch Schreibungin althebräischer Schrift hervorgehoben.19 Dieser Schreibusus ist z.B. in denHodajot oder in 4 Q Jesc konsequent durchgeführt. Das Tetragramm kannauch durch vier Punkte angedeutet werden (vgl. z.B. 1 QS viii,14; 4 QTestimonia).

Neben diesen Schreibvarianten findet der GN YHWH anderseits auchnoch besondere Behandlung, indem er fallweise durch ynwda ‘Adonay’ er-setzt wird, so z.B. in 1 Q Jesa . Die Ersetzung kann aber auch in die andereRichtung, d.h. YHWH statt ‘Adonay’ geschehen. Daneben findet sich z.B.in 11Q Targum Hiob statt dem biblischen YHWH die (aram.) Gottes-bezeichnung ∑lh∑.

Es ließen sich noch andere Differenzierungen, Veränderungen zumGebrauch der GN in den frühesten (biblischen) Handschriften bzw. Zitatenaufzählen. Für unsere Fragestellung zu Ex 3,14 ist folgendes festzuhalten:Gegenüber den vielen Gottesbezeichnungen bzw. Gottesnamen, die Israelkennt, genießt der eine GN YHWH eine Sonderstellung. Er allein unterliegtspätestens ab E. 2.Jh.v. einer auffälligen Behandlung in Aussprache undVerschriftung. Dabei sind beide Elemente, ‘Laut’ und ‘Schrift’, für die Son-derbehandlung des Tetragramms von Bedeutung. Denn nur im Zusammen-spiel von schriftlicher Fixierung, z.B. in Quadratschrift YHWH (griechischPIPI PIPI) und von mündlicher Aussprache, die nicht an die vorgegebeneKonsonanteninterpretation anschließt, sondern ein Substitut (Qere) liest,kann YHWH zum ‘unaussprechbaren’ GN werden. Dieser Sachverhalt hat

17. Dieses Zitat aus Aristobul ist in der Praeparatio Evangelica (VIII,10,8) des Eusebius v.Caesarea (263(?)-339) enthalten; Aristobul gibt darin Ex 9,3 wieder; vgl. dazu Stegemann,H., “Religionsgeschichtliche Erwägungen zu den Gottesbezeichnungen in den Qumran-texten”, in: Delcor, M. (Hg.), Qumrân. Sa piété, sa théologie et son milieu, BETL 46, Paris1978, 195-217, hier: 205 Anm. 35.

18. Es handelt sich dabei um ein Zitat aus Dtn 7,18f; Aristeas-Brief §155; Text in:Thackeray, H.St.J., “The Letter of Aristeas”, in: Sweete, H.B., An Introduction to the OldTestament in Greek, Cambridge 1902.

19. Auch in manchen Septuagintahandschriften taucht das Tetragramm in althebr. Schriftauf; vgl. Stegemann, Religionsgeschichtliche Erwägungen, 205.

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zur Folge, daß der mündliche Vortrag der Bibel und die schriftliche Fixie-rung zumindest bezüglich des GN YHWH aufeinander verwiesen sind.Zudem schafft die Konzeption eines ‘unaussprechbaren’ GN im Verbundvieler aussprechbarer GN ein Gefälle aller GN, die einander in Laut undSchrift entsprechen, auf diesen einen GN hin, der gerade als ‘unaussprech-barer’ festgehalten wird. Die Konzeption dieses einzigartigen GN fungiertsomit als ‘Leerstelle’, auf die hin alle GN zentriert werden.20

Dennoch weiß sowohl die christliche als auch die jüdische Tradition umdie ‘einstige’ Aussprache dieses GN YHWH, der in den geschriebenen undgesprochenen Konsonanten-, eventuell auch Vokalzeichen übereinstimmt.Bei aller Unsicherheit, die eine historische Rekonstruktion der Verwendungdes GN YHWH mit sich bringt, scheint mir immer noch die Erinnerungendes babylonischen Talmuds aus dem Traktat Moed, Yoma am aussage-kräftigsten. Der babylonische Talmud, ein Sammeldokument aus dem 7./8.Jh.n.21, spricht im Zusammenhang des Versöhnungstages von der Ausspra-che des unaussprechbaren GN (z.B. Yoma 39b: Zehnmal sprach der Hohe-priester den [unaussprechbaren] Namen an diesem Tag aus; Yoma 69b: UndEsra ...; er pries ihn, indem er den ‘unterschiedenen’ Namen ausrief)22. Die-se Texte gehen davon aus, daß die Aussprache des unaussprechbaren GNzumindest im Kult kontrolliert, d.h. zählbar geschah und daß sich dieserGN von anderen Namen bzw. GN unterschied bzw. immer noch unterschei-det. Im präzisesten Fall wird die Verkündigung dieses einzigartigen GN andie Person des Hohenpriesters gebunden, der am Jerusalemer Tempel ein-mal im Jahr das Versöhnungsopfer begeht. In dieser Konzeption wird dieKonzentration des GN YHWH mit dem Zentrum des Jersualemer Tempelsund dem dortigen Leiter der Priesterschaft zusammengesehen. Daß dieAussprache des unaussprechbaren GN einer fortschreitenden Limitierungunterlag, die auch mit historisch fixierbaren Daten zusammenhängt, sugge-riert der Abschnitt Yoma 39b. Dort wird nämlich berichtet, daß die Priesternach dem Tod Simeon des Gerechten es unterließen, den unaussprechba-ren Namen im Zuge der priesterlichen Segnungen auszusprechen. Wie lan-

20. In Ex 6,2 werden die Gotteserscheinungen der Patriarchen auf den Namen ‘El Schadday’zentriert. Aber selbst dieser GN ist in der Konzeption des unaussprechlichen GN YHWH aufdiesen bezogen bzw. zentriert. Zur Gottesbezeichnung El Schadday vgl. Niehr H. / Steins G.,åaddaj, ThWAT 7, 1993, 1078-1104, v.a. 1085-1088.

21. Vgl. Stemberger, G., Der Talmud. Einführung Texte Erläuterungen, München 21987, 53.

22. Zu den Texten aus dem babylonischen Talmud, Yoma vgl. Epstein, I. (ed.), Hebrew-EnglishEdition of the Babylonian Talmud. Seder Moed. Yoma [translated into English with notes andglossary by L. Jung], London, Jerusalem, New York 1974.

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ge auch immer diese Zurückhaltung gedauert hat, eines ist klar: Der Textweiß um eine historische Situation, in der die Aussprache des unaussprech-lichen Namens reduziert bzw. bis aufs äußerste limitiert wurde. Geht mandavon aus, daß Simeon der Gerechte nach Abot I,1ff23zur Großen Synago-ge gerechnet wurde, so wäre diese Veränderung des Gebrauchs des GNYHWH in das ausgehende 4. Jh.v. zu datieren. Sieht man in Simeon denHohenpriester, der in Sir 50 gerühmt wird, so käme die 1. Hälfte 2. Jh.v.für die Datierung des oben genannten Geschehens in Frage. LetztgenannteMöglichkeit hätte im Vergleich mit der Bezeugung der Sonderbehandlungdes GN YHWHs in griechischen Schriftzeugnissen, die sich auf LXX-Tex-te beziehen, und in den Handschriften aus Qumran vieles für sich.

Wie auch immer man die historische Verläßlichkeit dieser Nachrichtaus Yoma 39b bewertet, für unseren Zusammenhang dürfen dennoch fol-gende Schlüsse gezogen werden. Geht man von einer Qere-Lesung desGN YHWH aus, so könnte ein Hörer der Berufungserzählung von Ex 3fkeine etymologischen Überlegungen bezüglich dieses GN im Hinblickauf Ex 3,14 machen. Denn in 3,15 würde er ‘Adonay’ hören, und diesesNomen würde er niemals mit der hebr. Verbalwurzel hyh ‘sein’ lautlichverbinden. Aber auch wenn man davon ausgeht, daß das Zusammenspielvon Schrift <YHWH> und Aussprache [Adonay] garantiert sei, kannhöchstens auf der graphischen bzw. syntaktisch-analytischen Ebene eine‘Ähnlichkeit’ der hebräischen Schriftzeichen <YHWH> und ∑hyh vorlie-gen. Daß dieses komplexe Geschehen weder in die griechische noch indie lateinische Übersetzung24 eingehen konnte, ist offenbar. Aber auch diearamäische Übersetzungsinterpretation der Bibel, z.B. im TargumOnkelos, hat dieses Zusammenspiel von Schrift und Laut in Ex 3,14

23. Vgl. Stemberger, Der Talmud, 71.

24. Zum griechischen Text siehe Wevers, J.W., Septuaginta. Vetus Testamentum Grae-cum. II,1 Exodus, Göttingen 1991, 85: egö eimi ho ön …ho ön apestalken me pros hymas.Das Partizip, dem im Hebr. ein Relativsatz entspricht, gilt als nominales Element undkann in der folgenden Satzphrase ohne Probleme als Subjekt des Satzes apestalken mepros hymas verstanden werden. Ohne Zweifel wird dadurch die Koindizierung der Sub-jekte (Gott) begünstigt. Aquila und Theodotion interpretieren die direkte Rede Gottes anMose mit esomai (hos) esom[ai]. Gegenüber der LXX sind zwei Unterschiede zu bemer-ken: (1) Aquila und Theodotion verwenden wie der hebr. Text zweimal die verbaleRektion des Verbs ‘sein’. (2) Sie übertragen die hebr. Verben gegenüber LXX (und auchVulgata) mit der Zeitstufe Futur. Der lateinische Text liest ego sum qui sum … qui estmisit me ad vos. (vgl. Weber, R., Iuxta Vulgatam Versionem, Stuttgart 31983, 79). Dielateinische Interpretation wechselt im zweiten Redeabschnitt die Person, von der erstenzur dritten. Auch diese Veränderung begünstigt die Koindizierung des Subjekts beiderRedeabschnitte.

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nicht festgehalten.25 Dort wird der GN je nach Handschrift mit den(unpunktierten) Buchstaben yyy oder ywy oder yy wiedergegeben.26 EinBezug zwischen diesen Wiedergaben des GN und finiten Verben derVerbalwurzel hyh, die im Targum Onkelos Ex 3,14 aus dem Hebräischenbuchstabengetreu übernommen sind, läßt sich ohne Zusatzinformation nurschwer ausmachen.

Am ehesten könnte das etymologische Wortspiel zwischen ∑hyh (3,14)und YHWH (3,15) funktionieren, wenn man davon ausgeht, daß der GNYHWH zur Zeit der Textabfassung in seinem Konsonantenbestand vokali-siert ausgesprochen worden wäre. Bedenkt man aber, daß zum einen derKonsonantenbestand beider Lexeme nicht übereinstimmt27 und zum ande-ren die Vokalisierung des GN YHWH, die für die Zeit vor der Ersetzungdurch das Qere nicht unbedingt in Richtung [Jahwe] weist28, unsicherbleibt, kann diese Interpretationsmöglichkeit für 3,14 kaum zufriedenstel-len. Dennoch muß an der Bedeutung der zweifachen, d.h. der mündlichenund der schriftlichen Überlieferung festgehalten werden. Erst im Wechsel-spiel beider Komponenten wird der GN YHWH zum unaussprechlichen,besonderen GN.

25. Vgl. Sperber, A. The Bible in Aramaic. Based on Old Manuscripts and Printed Texts;Volume I. The Pentateuch According to Targum Onkelos, Leiden 1959; zur Abkürzung desGN YHWH in den Handschriften des Targum Onkelos vgl. noch die Einleitung auf denSeiten xix-xx. Zur englischen Übersetzung und Interpretation siehe Drazin, I., TargumOnkelos to Exodus. An English Translation of the Text with Analysis and Commentary,Denver 1990. Zum Thema vgl. noch Chester, A., Divine Revelation and Divine Titles in thePentateuchal Targumim, Tübingen 1986, v.a. 301ff.

26. Zu einer umfassenden Studie der Substitute des Tetragramms in der jüdischen Traditi-on vgl. Lauterbach, J.Z., Substitutes for the Tetragrammeton, Proceedings of the AmericanAcademy for Jewish Research, 1930-31, New York 1931.

27. Nicht nur der Personenwechsel (1.Ps <∑> zu 3. Ps <y>), sondern auch der Wechsel desdritten Konsonanten von <y> zu <w> bedarf einer Zusatzerklärung. Daß dabei der TargumOnkelos keinen Gebrauch einer aramäischen Verbalform von <hwh> ‘sein’ gemacht hat,kann nur verwundern.

28. Weippert, M. (Jahwe, 39) führt drei Zeugen für die Aussprache [*Yahwë] an: Clemensvon Alexandrien (3.Jh.n.); Epiphanius von Salamis (2.H. 4.Jh.n.) und Theodoret vonCyrrhus (1.H. 5.Jh.n.). Doch schon Hieronymus (2.H. 4.Jh.n.) weiß um eine andere Aus-sprache [Iaho], vgl. Comm. in Ps. VIII 2; und sofern frühere Zeugnisse Schlüsse bezüglichder Aussprache des Tetragramms erlauben, weisen sie in ähnliche Richtung; vgl. dazu (1)LXX-Handschrift des Buches Leviticus in Qumran: 4 Q Levb LXX: iaw; (siehe dazu Stege-mann, Gottesbezeichungen, 205); (2) die (un)selbständigen Namensformen in Elefantineweisen auf die Aussprache [*Yahö] hin (siehe dazu Weippert, Yahwe, 39); (3) biblische EN,die das wohl göttliche Element yhw enthalten, werden ähnlich interpretiert: [*Yehö]; (vgl.dazu Norin, Jô-Namen und Jehô-Namen); (4) zu den Keilschriftbelegen, die diesem Befundentsprechen, vgl. wiederum Weippert, Jahwe, 39.

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Auch die Zentrierung der verschiedenen GN auf den einen NamenYHWH hin funktioniert nur, weil dieser GN, wenn überhaupt, höchstens‘kontrolliert’ - im Extremfall durch den Hohenpriester, am JerusalemerTempel, an einem bestimmten Fest - aussprechbar ist. Wer jedoch den GNYHWH mit Hilfe der vier Schriftzeichen <y, h, w, h> wie auch immer aus-spricht, fügt zu der Vielzahl von GN und Gottesbezeichnungen nur eineweitere hinzu, ohne den unaussprechlichen GN jemals zu ersetzen.

Für 3,14 scheint es aber geboten zu sein, die wie auch immer geartetelautliche bzw. schriftliche Ähnlichkeit von ∑hyh und YHWH für die Inter-pretation der Verse 3,14f nicht in den Vordergrund zu stellen. Im folgendenPunkt möchte ich mich der Deutung von 3,14f mit Hilfe einer kurzen syn-taktischen und semantischen Analyse von Ex 3,14 widmen.

6. Der Wortsinn von Ex 3,14: ‘ich werde sein, der ich sein werde’ -‘ichwerde sein, insofern er mich zu euch gesandt hat’.

In 3,14 kommt das Verb hyh gleich dreimal vor, zweimal in der Phrase ∑hyh∑år ∑hyh und gegen Ende des Verses noch einmal in der Phrase ∑hyh. Blicktman auf die weiteren Vorkommen dieses Verbs in Ex 3,1-4,18 (3,1.12.21;4,3.8.9(3x).12.15.16(3x)), so läßt sich folgende Zweiteilung des Gebrauchsdes Verbs hyh für diesen Abschnitt feststellen29:

(1) Die Erzählsequenz gewinnt durch das Auftreten des finiten Verbs hyheine gewisse Perspektive: Die SK (3,1.21; 4,8.9(3x).16[erstes Vorkommen vonhyh] betont den Zustand (3,1) bzw. den perfektiven Aspekt, von dem aus einefolgende Handlung bzw. Handlungssequenz betrachtet wird. Dabei kann auchdie Zukunft als Zeitstufe der Handlungen gelten (3,21; 4,8.9(3x).16 [erstes hyh]- alle in direkter Rede). Die wayyiqtol Form in 4,3, ev. auch in 4,9 (drittesVorkommen von hyh) drückt den ‘imperfektiven’ Aspekt des Verbs im Erzähl-vollzug aus: ‘und er (der Stab) wurde (war dann) zur Schlange’.

(2) Die bisherigen Vorkommen unterscheiden sich von den restlichenin 3,12; 4,12.15.16(2x) dadurch, daß sie als PK vorkommen und ein beleb-tes Wesen zum Subjekt haben. In diesem Fall leuchtet der imperfektiveAspekt des Verbs ‘sein’ besser ein, da es sich um eine voluntative, ev. wie-derholte Tätigkeit des lebenden Subjekts handelt: ‘Ich (YHWH) werde, ev.ich will mit dir sein’ (3,12); ‘ich (YHWH) werde, will mit deinem Mundsein’ (4,12); ‘ich (YHWH) werde, will mit deinem Mund und mit seinem

29. Zu den Aspekteinteilungen des hebr. Verbs vgl. Volgger, D., Notizen zur Textanalysevon Ps 89, ATSAT 45, St. Ottilien 1994, 36-38.40-42.

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Mund sein’ (4,15); ‘er (Aaron) wird für dich (zum) Mund sein, und du wirstfür ihn (zu) Gott/Elohim sein’ (4,16). Die Zeitstufe Futur wird aus den je-weiligen Kontexten deutlich.

Von diesem Hintergrund her muß das Vorkommen des Verbs hyh (PK)in 3,14 zur zweiten Verwendungsgruppe gezählt werden, da in allen dreiFällen eine erste Person als Subjekt fungiert. Die vorläufige Übersetzungder betreffenden Phrasen lautet: ‘Ich werde sein, der ich sein werde’ bzw.‘ich werde sein’.

Eine Besonderheit weist die syntaktische Konstruktion v.a. des drittenVorkommens von ∑hyh in 3,14 auf: Dieses besitzt kein weiteres nominalesSatzelement. In den Beispielen in 3,12; 4,12.15.16(2x) hingegen wird dasVerb hyh zumindest mit einer Präpositionalphrase, wenn nicht gar mit derexpliziten Nennung des Subjekts in Form von Personalpronomen (4,16)konstruiert. Freilich zeigen auch die ersten beiden ∑hyh in 3,14 keine lexi-kalische Ergänzung. Analysiert man jedoch die Phrase ∑år im Zusammen-hang eines komplexen Relativsatzes30, so ergibt sich für diese Textsequenzfolgender Lesevorgang:

Das Verb ‘ich werde sein’ läßt eine ‘nominale’ Ergänzung31 erwarten,diese wird aber durch die Eröffnung einer Satzkonstruktion, die diese no-minale Phrase vertritt (RS), ausgedehnt. Der Effekt dieser Textabfolge be-steht darin, daß der Leser gespannt auf die lexikalische Ausfüllung diesesPlatzhalters wartet. Betrachtet man davon unabhängig den Relativsatz, soenthält er die Verbform ∑hyh, die ihrerseits wiederum eine ‘nominale’ Er-gänzung erwarten läßt. Der Relativsatz zeichnet sich aber dadurch aus, daßer einen nominalen Satzteil in die satzexterne COMP-Position bewegenkann, wobei dieser Satzteil nicht mehr als lexikalische Einheit vorkommenmuß, sondern in der COMP-Position, in der auch die Relationspartikel ∑årsteht, getilgt werden kann. In diesem Fall ist aber gerade diejenige lexika-lische Einheit getilgt worden, die sowohl die Ergänzung des Relativsatzesals auch die des übergeordneten Matrixsatzes ausgemacht hätte. Wenn auchdie Phrase ∑hyh ∑år ∑hyh syntaktisch akzeptabel ist, bleibt ein semantischesUngenügen. Dieses kann weder eine spezielle Bedeutung des Verbs hyhnoch eine indirekte Präzisierung der getilgten Phrase32 aufwiegen.

30. Vgl. Volgger, Notizen zur Textanalyse von Ps 89, 23-25.

31. Dazu sind Adjektive, Nomen, Nominalphrasen, Präpositionalphrasen und Satzphrasenzu zählen.

32. Gegen Floß (J.P., ‘Ich bin mein Name’. Die Identität von Gottes Ich und Gottes Namennach Ex 3,14, in: Groß, W./Irsigler, H./Seidl, Th. (Hg.), Text, Methode und Grammatik (FSW. Richter zum 65. Geburtstag), St. Ottilien 1991, 67-80), der zumindest für den Matrix-satz aus 3,13 (unter Transformation der Person) ‘mein Name’ åmy ergänzt.

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Diese Beobachtungen sollen nun mit dem Kontext von 3,14 verbundenwerden. Auf die Frage Moses, wie er den Israeliten entgegnen soll, wenn sieihn nach dem Namen seines Auftraggebers fragen, wendet sich Gott zunächstan Mose selbst und beginnt seine Antwort mit einer Phrase, die sehr viel of-fen läßt: ‘Ich werde sein, der ich sein werde.’ Aus dieser Offenheit wird Mosehöchstens eines heraushören: Das ‘Ich’ entspricht dem Gesprächspartner, dem‘Göttlichen’. Der Auftraggeber wendet sich als dieses ‘Ich’ zunächst - und auchfür die Zukunft - an Mose, den berufenen Boten. Dabei spielt die Übertragungder Zeitstufe des Relativsatzes keine Rolle, wenn auch Vgh. mit der Funktionder Identifizierung kaum in Frage kommt, da die Identifizierung des Elohimseit 3,6 für Mose schon zugänglich ist.33

Erst in einem zweiten Schritt wendet sich dieses ‘Ich’ an die Israeliten. DieBotenbeauftragungsformel ‘und so sollst du zu den Söhnen Israels sprechen’unterstreicht den Aspekt der Sendung Moses. Der Ausgangspunkt jeder Sen-dung ist dieses ‘Ich’. Die Vermittlung der Sendung zur Befreiung Israels ob-liegt Mose. So soll Mose seine Rede zu den Israeliten mit den Worten ‘Ich werdesein’ eröffnen. Unschwer ist zu erkennen, daß diese Phrase aus der Rede Elohimsan Mose wieder aufgenommen ist. Für Mose ist dieses ‘Ich’ wiederum der ur-sprüngliche Ausgangspunkt aller Botschaft. Für die Israeliten ist dies anders:Da die Botschaft Moses nicht durch eine Phrase wie ‘so spricht Elohim’34 oderähnlich eingeleitet wird, kann das ‘Ich’ auch und zunächst auf den aktiven Spre-cher, Mose selbst, bezogen werden. Mose stellt sich somit für die Israeliten alsdas für sie letztgültige ‘Ich’ der Botschaft zur Befreiung Israels dar: ‘Ich (Mose)werde sein’.35 Darauf folgt ein asyndetischer Satz: ‘Er hat mich gesandt.’ ImHebräischen kann das Verhältnis zweier Sätze, die asyndetisch nebeneinander

33. Niccacci (A., “Esodo 3,14a: ‘Io sarò quello che ero’ e un parallelo egiziano”, LA 35(1985) 7-26) interpretiert das Verb des RS vergangenheitlich; er unterstreicht dies in seinerRezension zu Floß, J.P. “‘Ich bin mein Name’. Die Identität von Gottes Ich und GottesNamen nach Ex 3,14”, in: Groß et al. (ed.), Text, Methode und Grammatik. Wolfgang Rich-ter zum 65. Geburtstag, St. Ottilien 1991, in LA 44 (1994) 669-670, wobei er yiqtol in Pro-sa, Erstposition volitiv deutet: ‘Sarò (prometto di essere; mi impegno ad essere) quello cheero’. - Die LXX, die den RS mit determinierten Partizip ho ön interpretiert, läßt wohl kei-nen Schluß bezüglich der Zeitstufe des hebräischen Verbs im RS zu.

34. Coats, G.W., Exodus 1-18, 177 spricht in diesem Fall von einer Messenger Formula(Botenformel) und führt in Ex 1-19 folgende Beispiele an: Ex 4,22ba; 5,1ba; 7,2aba.15-16aa.18.19.26; 8,5.12.16; 9,1.13; 11,2.3aa; 16,9.12; 19,3.

35. Die unterschiedliche Redesituation macht auch einen Referenzwechsel des Subjekts inden Phrasen ∑hy∑ ∑år ∑hyh (Elohim) bzw. ∑hyh (Mose) möglich. Das ‘Ich’ Moses in der zwei-ten Phrase ist aber aufgrund des göttlichen Sendungsauftrags auf das ‘Ich’ Elohims zurück-zubeziehen. Die Phrase ∑hyh wird dabei als finite Verbalform, nicht als satzhafter Personen-bzw. Gottesname interpretiert.

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zu stehen kommen, unterschiedlich wiedergegeben werden.36 Für unserenKontext eignet sich am besten die Junktion ‘insofern’ als Verhältnisbestimmungdieser beiden Sätze: ‘Ich werde sein, insofern er mich gesandt hat’. Die Bot-schaft des göttlichen ‘Ich’, wie sie in Mose an Israel ergeht, wird somit alsletztgültige Botschaft für Israel ausgegeben, so daß Mose für Israel die ‘irdi-sche’ Erscheinungsform Elohims repräsentiert.37 Dies jedoch nur insoweit Mosedie Botschaft Elohims auch tatsächlich übermittelt (‘insofern er mich gesandthat’). Sobald diese komplexe und präzise Gestalt der Beziehung des Boten zurBotschaft und zum Auftraggeber der Botschaft dargelegt ist, kann die Offen-barung des GN YHWH, die Gestalt des unaussprechlichen GN, in 3,15 erfol-gen. Mit Mose als Berufenen Gottes und dem GN YHWH für das befreiendeHandeln Elohims steht Israel vor seiner präzisesten und konzentriertesten Be-stimmung. Nur mehr Annahme oder Ablehnung sind angesichts dieser Offen-barung für Israel aber auch für Mose möglich (vgl. 4,1 [-9] bzw. 4,13).

Zum Abschluß dieses Untersuchungsschrittes soll noch die Interpretati-on von v3,14 festgehalten werden: Und Elohim sprach zu Mose: ‘Ich werdesein, der ich sein werde.’ Und er sprach: ‘So sollst du zu den Söhnen Israelssprechen: ‘Ich werde sein, insofern er mich zu euch gesandt hat.’’

7. Drei unterstützende Hinweise für die vorgelegte Interpretation vonEx 3,14

Im Folgenden möchte ich drei zusätzliche Verstehenshilfen für die vorge-legte Interpretation von 3,14 darlegen. Zuerst gilt es, die Gottes-erscheinung, den brennenden Dornbusch, der nicht verbrennt, auf die

36. Vgl. Meyer, R., Hebräische Grammatik. Mit einem bibliographischen Nachwort von U.Rüterswörden, Sammlung Göschen III Satzlehre, Berlin, New York 31972, 92ff; Asyndese wirdfür Subjektsätze (S. 92f), Objektsätze (S. 94), Attributsätze (S. 96), Komparativsätze (S. 100),Finalsätze (S. 101f), Konsekutivsätze (S. 103), Kausalsätze (S. 105), Temporalsätze (S. 107f)und Konditionalsätze (S. 111f) angenommen. Für die syntaktische Analyse der betreffendenPhrasen in Ex 3,14 möchte ich einen asyndetischen Kausalsatz (‘weil, insofern’) vorschlagen.

37. In 4,15 wird dann Mose auch tatsächlich gegenüber der zweiten Botengestalt Israels, Aa-ron, als Elohim bezeichnet. In 7,1 erscheint Mose als Elohim gegenüber dem Pharao, wobeiAaron, der Mund des Mose als dessen Prophet vorgestellt wird. Zum Zusammenhang vonElohim und Bote bzw. Engel siehe z.B. Fossum, J.E., The Name of God and the Angel of theLord. Samaritan and Jewish Concepts of Intermediation and the Origin of Gnosticism, WUNT36, Tübingen 1985; die Phrasen åm YHWH und YHWH können als alternative Bezeichnungverstanden werden. Die Gegenwart des GN auf Erden wird in Ex 23,20f mit dem Boten (En-gel) YHWHs, der das göttliche Wort verkündet, verbunden. So wird auch Mose als Träger desAuftrags YHWHs in Ex 4,15 bzw. 7,1 als Elohim bezeichnet. Elohim ist im Samaritanischeneine Bezeichnung für den Engel bzw. den Boten (Fossum, The Name of God, 124).

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vorgeschlagene Deutung von 3,14 durchsichtig zu machen. Sodann werdeich auf die Phrase ål˙-n∑ byd-ål˙, die sich im unmittelbaren Kontext (4,13)der Berufungserzählung befindet, zu sprechen kommen. Abschließend sollnoch die Funktion der Erzählung von der Sünde Moses im Kontext von3,14 untersucht werden.

(1) Wer Ex 3,1-4,18 im Kontext des gesamten Pentateuch liest, wirdunschwer die Verbindung von Dornbusch zur baumförmigen Menora imHeiligtum ziehen können (Ex 25,31-40; 37,17-24; Num 8,1-4).38 Das Feu-er, das am Dornbusch und am Menora-Leuchter zu sehen ist, kann als Sym-bol für die Präsenz Gottes gelten. Verbindet man diese Vorstellung noch mitder Erzählung aus Dan 3, wo drei YHWH-Diener und ein Engel im Feuer-ofen stehen und dennoch nicht verbrennen, so wird deutlich, daß der Bote,der im Gehorsam YHWHs steht, Bestand haben wird. Der Dornbusch, denMose erblickt, ist somit ein Symbol für den Boten, der von YHWH beru-fen wird: Der Bote wird sein, insofern er sich in das ‘Ich’ Gottes einfügtund seine Botschaft verkündet (Ex 3,14).

(2) In 4,13 wendet sich Mose an Adonay (by ∑dny ‘bitte, Herr’) mit denWorten ål˙-n∑ byd-tål˙ ‘sende mit der Macht, mit der du sendest’. In die-ser Aufforderung gibt Mose aus seiner Perspektive die Bedeutung des bis-herigen Geschehens zu erkennen. Demzufolge ist es um die Sendung durchAdonay gegangen. Wohl nicht zufällig unterbleibt in dieser von Mose ge-sprochenen Phrase die Nennung des Gesandten (‘mich, d.h. Mose’). Daserweckt den Eindruck, Mose habe in seiner Antwort noch nicht akzeptiert,daß YHWH zunächst und ausschließlich ihn für dieses Sendung berufenund befähigt habe.

Die LXX geht in ihrer Interpretation noch einen Schritt weiter, wennsie den Gesandten mit dynamenon allon ‘einen fähigen anderen’ deutet.Nicht Mose, sondern einen anderen möge Adonay auswählen. Gemäß die-sem Verständnis lehnt Mose seine Sendung ab. Diese Ablehnung macht denZorn YHWHs über Mose, von dem 4,14 berichtet, noch verständlicher.

Der hebr. Text bleibt gegenüber der LXX zurückhaltender bzw. offe-ner: Mose gibt nur indirekt zu erkennen, daß er sich trotz aller Befähigungdurch YHWH - noch - nicht ganz in die Sendung YHWHs gestellt weiß.

Infolge dieser Interpretation von 4,13 ist unschwer der Zusammenhang mit3,14 zu erkennen. Beide Verse betreffen das Thema ‘Sendung’, zum einen ausder Perspektive dessen, der sendet (3,14), zum anderen aus der Perspektivedessen, der aufgerufen wird, diese Sendung anzunehmen und auszuführen

38. Vgl. dazu Robinson, B.P., “Moses at the Burning Bush”, JSOT 75 (1997) 107-122, v.a.116-121.

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(4,13). Beide Perspektiven kommen darin überein, daß das göttliche ‘Ich’ bzw.‘Du’ Ursprung der Sendung ist. Die Erkenntnis, daß der von YHWH ElohimGesandte allein in dieser Sendung Zukunft hat, gilt es von Seiten des Gesand-ten erst zu akzeptieren. Dabei genügt es nicht, auf den konkreten AnrufYHWHs eine Antwort zu geben, die das Engagement der eigenen Person of-fen läßt. Ziel der Sendung Moses ist ein ‘Ich’, das aktiv in die Sendung (‘ichwerde sein, insofern er mich zu euch gesandt hat’, 3,14) eintritt und spricht‘ich will gehen und zu meinen Brüdern nach Ägypten zurückkehren’ (4,18).

(3) Wer die Sendung YHWHs, die an einen ergangen ist, nicht akzeptiertbzw. verrät, der erweckt den Zorn YHWHs. Mose erweist sich im Zuge sei-ner Sendung in Ex-Dtn als exemplarisch gehorsamer Diener YHWHs. Je-doch in einem Fall ist er dem Sendungsauftrag YHWHs nicht nachgekom-men, wie Dtn 32,51 und Num 20,12 betonen. Als Folge dieser Untreue mußMose noch vor dem Eintritt in das gelobte Land sterben. Die Erzählung Num20,1-13, die von der Sünde Moses (und Aarons) handelt, hat den Interpretendieses Textabschnittes so manche Rätsel aufgegeben.39 Für unseren Zusam-menhang sind folgende Beobachtungen wichtig: In 20,8 gibt YHWH inwörtlicher Rede eine genaue Anweisung dafür, wie Mose und Aaron gegendas Aufbegehren der Israeliten, die in der Wüste vor Durst fast umkommen,vorgehen sollten. In v 9 kennzeichnet der Erzähler die ersten Schritte Mosesnoch als Ausführungen gemäß den Befehlen YHWHs. Doch gleich in denfolgenden Versen 11f wird der aufmerksame Leser unschwer erkennen, daßMose und Aaron von der genauen Anweisung YHWHs aus v 8 abweichen.40

Dies hat zwar keine negativen Folgen für die Israeliten, denen trotz ihresAufbegehrens die Zuwendung YHWHs zuteil wird. Dennoch kann Israel indiesem Fall nicht an den Worten und Taten Moses bzw. Aarons den AuftragYHWHs eindeutig erkennen. Allein das Ergebnis bleibt sowohl im ursprüng-lichen Auftrag YHWHs als auch in der Wunderinszenierung durch Mosegleich: Wasser fließt aus dem Felsen.

Die Funktion dieser Erzählung liegt meines Erachtens nicht so sehrdarin, der vorbildhaften Mosefigur einen Abbruch zu tun. Vielmehr sagtdiese Erzählung etwas über die Qualität der Vermittlung Moses (und Aa-

39. Vgl. z.B. Lim Teng Kok, J., “Parallel Scripts, Paradigm Shifts”, BN 42 (1989) 81-90.

40. Zunächst ist die Rede Moses an die Israeliten (v 10) im Auftrag YHWHs nicht vorgese-hen. Mose soll vielmehr vor ihren Augen zum Felsen sprechen, dieser solle sein Wasserfließen lassen (v 8). Zwar soll Mose seinen Stab bei dieser Handlung bei sich tragen, dochdie Hand hochzuheben und mit dem Stab zweimal auf den Felsen zu schlagen (v 11), hatYHWH in v 8 nicht geboten. Vgl. dagegen die Erzählung Ex 17,1-7: Der Befehl YHWHswird in den vv 17,5-6 in direkter Rede verdeutlicht. Die Ausführung dieses Befehls wird in17,6 (Ende) bestätigt: ‘Das tat Mose vor den Augen der Ältesten Israels’.

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rons) aus. Dafür sind folgende zwei Punkte zu beachten: Erstens berichtendie Bücher Ex-Dtn allein von diesem einen Vergehen Moses gegen YHWH.Zweitens wird dieses Vergehen als Ungehorsam gegen die von YHWHübermittelte Sendung verstanden. Das bedeutet aber nichts anderes, als daßMose der Übermittlung der Worte YHWHs an und vor Israel nur in einemeinzigen Fall nicht exakt nachgekommen ist. In allen anderen Fällen kannsich Israel ausnahmslos und felsenfest darauf verlassen, daß das WortYHWHs durch den Mund Moses (und Aarons) geflossen ist.

Wenn sich Ex 3,14 ‘ich werde sein - insofern er mich gesandt hat’ aufdie Einfügung des göttlichen Gesandten in den Auftrag bzw. in das ‘Ich’Gottes bezieht, so ist damit auch indirekt eine Grenze der Sendung ange-zeigt. Wer sich nicht mehr im Horizont der Sendung seines göttlichen Auf-traggebers befindet, wird keinen Bestand haben. Er wird nicht mehr sein.Er unterliegt dem Zorn Gottes. Im Fall Moses und Aarons kommt dieserZorn in der göttlichen Verfügung zum Ausdruck, daß deren Leben nicht bisin das gelobte Land hineinreichen werde.

8. Die Bedeutung der Berufung Moses für die Welt

Zum Abschluß unserer Überlegungen soll noch kurz auf die Bedeutung derBerufung Moses im Pentateuch und darüberhinaus hingewiesen werden.

Gott beruft zunächst eine Einzelperson. Die Berufung hat eine Neu-orientierung gegenüber dem bisherigen Lebenskontext zur Folge. Zugleichwerden auch die Mitmenschen des Berufenen dazu aufgerufen, Stellunggegenüber diesem Ereignis zu beziehen, den Berufenen mit seinem Auftragabzulehnen oder anzunehmen.

Dieser Zusammenhang gilt für Noach, Abraham, Mose wie auch fürAmos, Jeremia, usw. Für das Buch Genesis ist charakteristisch, daß es die‘Berufung’ der zwei großen Gestalten Noach und Abraham in einen welt-weiten Horizont hineinstellt. Für Noach ist das offenbar, wenn er nach derErzählung von der Sintflut als Stammvater aller Völker der Erde gekenn-zeichnet wird (Gen 10). Die Berufung Abrams bzw. Abrahams fügt demVerständnis des Welthorizontes seiner göttlichen Berufung etwas Neueshinzu. Er wird einerseits als Stammvater vieler großer Völker gekennzeich-net, zugleich aber nicht als Stammvater aller Völker dieser Welt. Zudemwerden die Völker, die Abraham als Stammvater kennen, noch unterteilt indiejenigen, die aus einer Beziehung mit Abraham und einer Frau aus nichtabrahamitischer, wohl aber noachitischer Herkunft kommen (Hagar,Ketura) und demjenigen Volk, das aus der Beziehung Abrahams mit Hagar,

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einer Frau aus der Familie Abrahams, stammt (Isaak).41 In der BerufungAbrahams werden alle Völker auf ihn bezogen, wobei er für diejenigen zumSegen sein soll, die ihn als Segen akzeptieren. Ziel ist es, daß alle Völkerdes Erdbodens in Abraham gesegnet werden (Gen 12,3). Das Ergebnis die-ser Konzeption ist eine Reflexion der Beziehungen der Volksgruppen aufAbraham bzw. auf das eine Volk Abrahams hin, das ihm verheißen wird, erselbst jedoch nur in seinem Sohn Isaak kommen sieht.

Mit der Berufung Moses geschieht wiederum etwas Neues: Zwar ergehtder göttlichen Ruf wie bei Noach und Abraham an eine Einzelperson, dochder Inhalt der Berufung, das Volk YHWHs aus Ägypten zum Gottesdienstam Gottesberg herauszuführen, macht deutlich, daß das ganze Volk Israelin die Berufung Moses eingebunden ist. Bezüglich der anderen Völker gibtdie Erzählung Ex 3-4 zunächst im Midianiter Jetro beispielhaft Antwort aufdie Berufung Moses. Jetro läßt seinen Schwiegersohn, den er als Fremdenin sein Haus aufgenommen hat, bereitwillig ziehen (vgl. 3,1 und 4,18).42

Wenn die Weltmacht Ägypten diesem Beispiel zunächst nicht folgt, so wer-den die Machttaten YHWHs schließlich dazu führen, Mose und Israel ausÄgypten fortziehen zu lassen. Dieses von Gott berufene Israel wird denPlatz der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter

41. Diese Volkskonzeption wird im Fall von Esau und Jakob noch einmal unterteilt, wobeider Fokus der Aufmerksamkeit auf Jakob und seine Söhne fällt.

42. Die Beziehung des Leviten Mose zu dem Midianiter Jitro ist dabei ein Modellfall; demge-genüber weiß der Pentateuch von den unterschiedlichen Möglichkeiten der Begegnung Israelsmit Midian bis hin zu Krieg und Abgrenzung (Num 22,4-7; 25,6-18; 31,1-54); vgl. dazu Knauf,E.A., “Midian und Midianiter”, NBL 2 (1995) 802-804. Die komplexe Beziehung zwischenYHWH, Israel, Mose und den Völkern wird verkannt, wenn Bartelmus (R., “Begegnung in derFremde. Anmerkungen zur theologischen Relevanz der topographischen Verortung derBerufungsvisionen des Mose und des Ezechiel (Ex 3,1-4,17 bzw. Ez 1,1-3,15)”, BN 78 (1995)21-38) davon ausgeht, daß YHWH ein midianitischer Gott gewesen sei und auf Seite 34 sei-nes Aufsatzes behauptet: ‘ So wie er sich als midianitischer Gott Israel zuwenden konnte, sokann er sich später allen Völkern zuwenden’. Nicht die Zuwendung YHWHs anderen Völkerngegenüber ist der entscheidende Punkt, denn die Erwählung Abrahams, Moses usw. bedeutetim Grunde immer auch Zuwendung YHWHs an alle Völker. Demgegenüber spricht das ATeine deutliche Sprache, wenn es um die ‘Zuwendung’ YHWHs gegenüber den verschiedenenGöttern der Völker, auch innerhalb Israels, geht. - Bezüglich Mose und Midian fällt zudem nochauf, daß die genealogische Linie Moses und seiner Söhne mit der Midianiterin Zippora für dasAT kaum von Belang ist. Ähnliches wie für Midian gilt auch für Ägypten. Abraham hatte ne-ben Sara noch eine ägyptische Nebenfrau namens Hagar, die für Abraham und Sara Ismaelgebar. Dennoch ist die Geschlechterfolge der Ismaeliten (Gen 25,12-18) nicht im Fokus derAufmerksamkeit der Genealogie Abrahams. Auch Josef, ein Sohn Jakobs, heiratete eine Ägyp-terin, die ihm Ephraim und Manasse gebar. Diese beiden Söhne Josefs wurden jedoch in denStammbaum Israels adoptiert (Gen 48). Darin wird wiederum deutlich, wie vielschichtig dieBeziehungen sind, die sich hinter den Etiketten von Völkerbezeichnungen verbergen.

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(3,8.17) im gelobten Land einnehmen. Midian, aus den Nachkommen Abra-hams und Keturas (Gen 25,4), die Ägypter, aus den Nachkommen Noachs(Gen 10,6: Sohn Hams), mit denen Abraham zusammen mit der ägypti-schen Nebenfrau Hagar Stammvater der Ismaeliter geworden ist (Gen 16;25,12-18), und die sieben Stämme im gelobten Land, Nachkommen Noachs(vgl. z.T. Gen 10,15-18), alle diese Völker sind von der Berufung Mosesund des in Folge seiner Berufung befreiten Israels betroffen. Die Wüsten-wanderung wird die Zahl der betroffenen Völker noch vergrößern. DieKenntnisnahme der Mosetora, der Berufungsurkunde Israels, soll schließ-lich die Völker bzw. Nationen dazu bewegen, in Israel, den Träger dieserBerufung, ein weises und gebildetes Volk zu sehen. Darin wird wiederumdie weltweite Bedeutung der Berufung Moses und Israels offenbar.

Israel weiß sich zwar in Noach oder in Abraham, ihrem eigentlichenStammvater, auf vielfache Weise und zu unterschiedlichem Grade mit derganzen bewohnten Menschheit verbunden. Dennoch zielt jeglicher RufGottes, der Himmel und Erde erschaffen hat, auf die Berufung Israels, wiesie in der Offenbarung YHWHs am Sinai (und in der Ebene von Moab)ergangen ist. Diese gewinnt in Mose bzw. Israel die konzentrierteste undkonkreteste Gestalt Gottes auf Erden.43

Die fünf Bücher Moses sind für das Bestehen Israels in dieser Welt dervielen Völker kein Hindernis. Vielmehr wird Israel allein in der Akzeptanzdieser Berufung, die Israel erst zu Israel macht, den Völkern der Erde Se-gen vermitteln. Israel kann einzig im Gehorsam auf die Berufung undSendung Moses das befreiende ‘Ich’ YHWH Elohims auf Erden repräsen-tieren. ‘Ich werde sein - insofern er mich gesandt hat’.

David Volgger, ofmPontificium Athenaeum Antonianum, Roma

43. Wenn Thompson (Th.L., “How Yahweh became God: Exodus 3 and 6 and the Heart ofthe Pentateuch”, JSOT 68 (1995) 57-74, hier 73) schreibt ‘The gods of nations and the godsof tradition alike are but human traditions: representations, manifestations, prophetic voicesnaming the one universal spirit, who lies at the center of the universe, beyond under-standing’, so verkennt er den oben darsgestellten Zusammenhang. Israel erhebt in Mose denAnspruch, für alle Völker die Erkenntnis des universalen Gottes zum Leuchten zu bringen,noch diesseits der Erkennbarkeit des unerschöpflichen Geheimnisses.