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NOMOS ISSN 0946-7165 2/2008 15. Jahrgang Heft 2 Dezember 2008 Hrsg. im Auftrag der Sektion Internationale Politik der DVPW Zeitschrift für Internationale Beziehungen Aus dem Inhalt Tine Hanrieder Moralische Argumente in den Internationalen Beziehungen Grenzen einer verständigungstheoretischen »Erklärung« moralischer Debatten Brigitte Young Die Globale Politische Ökonomie der Mikrofinanzprogramme Ideeller Institutionalismus als Erklärungsansatz für den Wandel der Normen in der Entwicklungsfinanzierung Dawid Friedrich Partizipatives Regieren in der EU Die EU zwischen Laissez-faire und geregelter Partizipation zivilgesellschaftlicher Akteure Jochen Hils Der »demokratische Krieg« als Folge verfälschter Präferenzbildung? Eine systematische Formulierung des Manipulationsverdachts der liberalen Theorie der Internationalen Beziehungen Literaturbericht Christian Büger/Frank Gadinger Praktisch gedacht! Praxistheoretischer Konstruktivismus in den Internationalen Beziehungen

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NOMOS

ISSN 0946-7165

2/200815. JahrgangHeft 2Dezember 2008

Hrsg. im Auftrag der SektionInternationalePolitik der DVPW

Zeitschrift für Internationale Beziehungen

Aus dem InhaltTine HanriederMoralische Argumente in den InternationalenBeziehungenGrenzen einer verständigungstheoretischen »Erklärung«moralischer Debatten

Brigitte YoungDie Globale Politische Ökonomie derMikrofinanzprogramme Ideeller Institutionalismus als Erklärungsansatz für den Wandelder Normen in der Entwicklungsfinanzierung

Dawid FriedrichPartizipatives Regieren in der EUDie EU zwischen Laissez-faire und geregelter Partizipationzivilgesellschaftlicher Akteure

Jochen HilsDer »demokratische Krieg« als Folge verfälschterPräferenzbildung?Eine systematische Formulierung des Manipulationsverdachtsder liberalen Theorie der Internationalen Beziehungen

LiteraturberichtChristian Büger/Frank GadingerPraktisch gedacht!Praxistheoretischer Konstruktivismus in den InternationalenBeziehungen

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Umschlag_ZIB_2_2008 18.11.2008 11:40 Uhr Seite 1

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1

ZIB 2/2008

INHALT

Christopher Daase

Editorial

................................................................................................................ 157

AUFSÄTZE

Tine Hanrieder

Moralische Argumente in den Internationalen Beziehungen

Grenzen einer verständigungstheoretischen »Erklärung« moralischer Debatten.. 161

Brigitte Young

Die Globale Politische Ökonomie der Mikrofinanzprogramme

Ideeller Institutionalismus als Erklärungsansatz für den Wandel der Normen in der Entwicklungsfinanzierung............................................................. 187

Dawid Friedrich

Partizipatives Regieren in der EU

Die EU zwischen Laissez-faire und geregelter Partizipation zivilgesellschaftlicher Akteure .............................................................................. 209

Jochen Hils

Der »demokratische Krieg« als Folge verfälschter Präferenzbildung?

Eine systematische Formulierung des Manipulationsverdachts der liberalen Theorie der Internationalen Beziehungen.............................................................. 237

LITERATURBERICHT

Christian Büger/Frank Gadinger

Praktisch gedacht!

Praxistheoretischer Konstruktivismus in den Internationalen Beziehungen ......... 273

TAGUNGSBERICHT

Kai Oppermann/Alexander Spencer

Don’t Mention the War or the World Cup

A Report on a British-German IR Conference ...................................................... 303

Neuerscheinungen

............................................................................................... 315

Mitteilungen der Sektion

.................................................................................... 319

Abstracts

.............................................................................................................. 321

Autorinnen und Autoren dieses Heftes

............................................................. 325

Jahresregister 2008

.............................................................................................. 327

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Editorial

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Zeitschrift für Internationale Beziehungen15. Jg. (2008) Heft 2, S. 157-160

Christopher Daase

Editorial

Neben der großen Finanzkrise, die auf absehbare Zeit ein zentrales Thema der Inter-nationalen Beziehungen sein wird, gibt es auch eine kleine Finanzkrise, die zumin-dest das Leben der ZIB nicht leichter gemacht hat.

Neuer Vertrag mit dem Nomos-Verlag

Mit dem satzungsgemäßen Auslaufen der zehnjährigen Förderung durch die Deut-sche Forschungsgemeinschaft musste die Zusammenarbeit der ZIB mit dem Nomos-Verlag auf eine neue Grundlage gestellt werden. In zwei Verhandlungsrunden wurdeein neuer Vertrag ausgehandelt und mit den Herausgebern und dem Sektionsvor-stand abgestimmt.

Die Neuerungen betreffen zum einen die so genannte Redaktionspauschale, mitder der Verlag die Redaktionsarbeit unterstützt. Sie beläuft sich auf 15% des Netto-jahresumsatzes, mindestens jedoch 3.000 Euro im Jahr. Damit wird zwar nur einBruchteil der Ausgaben abgedeckt, und die ZIB wird auf absehbare Zeit auf dieZuwendungen von einzelnen Instituten oder Lehrstühlen angewiesen bleiben.Gleichzeitig bietet die Formel aber einen Anreiz, die Verkaufszahlen der ZIB zusteigern. Jedes neue Abonnement kommt der Redaktionsarbeit direkt zugute.

Die zweite Neuerung betrifft den öffentlichen Zugriff auf die Texte der ZIB. Es istvereinbart worden, dass alle Hefte nach zwei Jahren vollständig im Internet zugäng-lich gemacht werden. Bei Erscheinen eines neuen Heftes werden zwei Beiträge überdie ZIB-Homepage kostenlos verfügbar gemacht. Nach einem Jahr können Autorin-nen und Autoren vom Verlag eine PDF-Fassung ihrer Artikel erhalten, um sie aufihre persönliche Homepage zu stellen.

ZIB geht an die Bundeswehruniversität München

Die ZIB geht in ihr letztes Jahr an der Ludwig-Maximilians-Universität München.Unter den genannten finanziellen Bedingungen war zu erwarten, dass es nicht leichtsein würde, einen Nachfolger für die Geschäftsführende Herausgeberschaft zu fin-den. Trotzdem gelang es, auf Vorschlag aus dem Sektionsvorstand und in Abstim-mung mit den Herausgebern, Stephan Stetter und Carlo Masala für diese Aufgabe zugewinnen. Da beide erst jüngst an die Universität der Bundeswehr in Neubibergberufen wurden, zeigte sich diese großzügig und stellte, anders als seinerzeit dieLMU, eine halbe Stelle für die Redaktion der Zeitschrift zur Verfügung. Im Sommer

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2009 wird der Transfer der ZIB an die UniBW in die Wege geleitet, sodass dieGeschäftsführende Herausgeberschaft Anfang 2010 von einem neuen Team über-nommen werden kann.

Writing Foreign – ZIB-Roundtable auf der ISA

Die ZIB-Redaktion hat mit einem Panel auf der diesjährigen ISA in San Franciscodie Existenz und Problematik nicht-englischsprachiger IB-Zeitschriften ins Bewusst-sein gerufen. Hintergrund unserer Initiative ist zum einen die immer wiederkehrendeDiskussion in der deutschen Politikwissenschaft, insbesondere in der IB, ob es über-haupt noch zeitgemäß ist, wissenschaftlich auf Deutsch zu publizieren: Sollte mannicht gerade Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlernraten, mit ihren Aufsätzen lieber in einer der vielen englischsprachigen begutachte-ten Zeitschriften unterzukommen? Uns interessierte, ob auch in anderen nicht-eng-lischsprachigen Ländern solche Diskussionen geführt werden und welche Argu-mente dort zu welchen Entscheidungen geführt haben. Zum anderen wollten wirgenerell auf die Problematik aufmerksam machen, die durch die Bevorzugung eng-lischsprachiger Zeitschriften im

Social Science Citation Index

(SSCI) entstehen.Nicht-englischsprachige Zeitschriften haben es nämlich deutlich schwerer als eng-lischsprachige, in den SSCI aufgenommen zu werden. Da aber die Kriterien für dieAufnahme durch die Firma Thomson Reuters vollkommen intransparent sind unddie Ablehnung, wie im Falle der ZIB geschehen, keiner weiteren Begründungbedarf, ist eine unabhängige Überprüfung der Entscheidungen oder gar eine Revi-sion nicht möglich. Dass private Standardsetzung zu Wettbewerbsverzerrungen füh-ren kann, ist ein bekanntes Phänomen der Governanceforschung. Tatsache ist jeden-falls, dass es im Zuge der wissenschaftlichen Globalisierung tendenziell wenigerattraktiv wird, in nicht-englischsprachigen Zeitschriften zu publizieren, weil inzwi-schen auch in nicht-englischsprachigen Ländern der SSCI-Index als Goldstandardwissenschaftlicher Exzellenz gilt und Berufungs- sowie Gehaltsverhandlungen aufGrundlage des SSCI geführt werden. Die Frage ist also, welche Berechtigung (undWertigkeit!) das Publizieren in anderen Sprachen als Englisch heute hat und zukünf-tig haben soll. Und wie kann ein möglichst globaler Wissenschaftsdiskurs geführtwerden, ohne dass nationale oder regionale Wissenschaftskulturen marginalisiertwerden?

Diese Fragen fanden unter den Eingeladenen (u. a. Didier Bigo von

Culture etConflit

, Gordon Mace von

Etudes Internationales

und Sonia de Camargo von

Con-texto Internacional

) großes Interesse. Einigkeit bestand darin, dass die ISA nebenihrer Funktion als Plattform für den globalen Wissensaustausch sich stärker als bis-her für die Förderung regionaler Wissenschaftskulturen im Bereich der Internationa-len Beziehungen einsetzen müsse. Es wurde eine stärkere Kooperation zwischenden nicht-englischsprachigen Zeitschriften verabredet mit dem Ziel, den Sinn für dieVielfalt der Ansätze und Ansichten wach zu halten und eine gemeinsame Stimmegegenüber der ISA und Thomson Reuters zu bilden. Für die ISA 2009 ist ein zweiter

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Editorial

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Editorial

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ZIB 2/2008

Roundtable angenommen worden, an dem die Herausgeber weiterer nicht-englisch-sprachiger Zeitschriften (u. a.

Politika, Internasjonal Politikk, Kokusai Seiji, CONfi-nes

) teilnehmen.

ZIB-Panel auf der Deutsch-Britischen IB-Tagung in Arnoldshain

Auf der diesjährigen deutsch-britischen IB-Tagung in Arnoldshain wurde ein ZIB-Panel veranstaltet. Die Idee war, die unterschiedlichen Wissenschaftskulturen zukontrastieren und zu fragen, warum es in Großbritannien eine eigene „EnglischeSchule“ gibt, wohingegen sich die Mehrzahl der Forscherinnen und Forscher inDeutschland eher dem amerikanischen Mainstream verpflichtet fühlt. Neben derPfadabhängigkeit der unterschiedlichen Entwicklungen wurde auf den unterschiedli-chen wirtschaftlichen Stellenwert der IB in beiden Ländern hingewiesen. Währenddie IB in Deutschland nach wie vor ein Teilgebiet der Politikwissenschaft ist, ist siein Großbritannien aufgrund des „Markterfolgs“ (Chris Brown) vor allem unter

over-seas students

zu einer eigenständigen Größe innerhalb der sozialwissenschaftlichenInstitute und Fakultäten geworden. Auch wenn sich die wenigsten britischen Wis-senschaftlerinnen und Wissenschaftler der Englischen Schule zugehörig fühlen, gibtes nach Auffassung der Panelteilnehmer ein Bewusstsein, anders als der amerikani-sche Mainstream zu arbeiten. Einen ausführlichen Bericht dieser Tagung können Sieauf Seite 303 dieses Heftes finden.

Online-Arbeitspapiere im Begutachtungsverfahren

Im Laufe dieses Jahres ist die Frage aufgetreten, ob eine Veränderung des bewährtenZIB-Begutachtungsverfahrens notwendig ist. Da insbesondere von Forschenden, dieüber Drittmittel finanziert werden, zunehmend verlangt wird, im Sinne von „openaccess“ ihre Forschungsergebnisse möglichst schnell online als Arbeitspapiere zupublizieren, ergeben sich Schwierigkeiten bei der Begutachtung solcher Beiträge ineinem

double-blind peer-review

-Verfahren, wie es die ZIB vorsieht. Die Redaktionist zu dem Schluss gelangt – gemäß der international üblichen Praxis –, nicht längerzu verlangen, dass Texte vom Netz genommen werden müssen, bevor sie in dasBegutachtungsverfahren eingespeist werden. Artikel im Begutachtungsverfahrenkönnen online bleiben. Wenn das Manuskript erfolgreich ist, sollte der Onlinetextdurch einen Link zum publizierten ZIB-Artikel ersetzt werden. Bei diesem Vorge-hen muss allerdings in Kauf genommen werden, dass die Anonymität des begutach-teten Manuskripts von der Redaktion nicht mehr garantiert werden kann.

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Editorial

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Dank an Redakteure

Abschließend sei an dieser Stelle zwei vor kurzem ausgeschiedenen Redakteuren derZIB gedankt: Sebastian Schindler und Alexander Heppt. Sebastian Schindler über-nahm den Posten des Chefredakteurs gleich nachdem die ZIB nach Münchengekommen war und führte überaus effiziente Arbeitsabläufe ein. Alexander Hepptübernahm seine Aufgabe für die letzten beiden Jahre und leitete das ZIB-Büro mitgroßem Enthusiasmus. Nicht zuletzt diesen beiden studentischen Redakteuren ist eszu verdanken, dass die ZIB auch ohne hauptamtliche Redakteursstelle ihre wissen-schaftliche Qualität und redaktionelle Professionalität erhalten konnte.

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Zeitschrift für Internationale Beziehungen15. Jg. (2008) Heft 2, S. 161–186

Tine Hanrieder

Moralische Argumente in den Internationalen Beziehungen

Grenzen einer verständigungstheoretischen »Erklärung« moralischer Debatten

Das handlungstheoretische Fundament der Normenforschung wurde in den deutschenIB durch die Habermas-Rezeption erheblich vorangebracht und in der ZIB-Debattekontrovers diskutiert. Dieser Aufsatz widmet sich einer Reihe bislang vernachlässigterProbleme, die sich aus der Verschränkung von Handlungstheorie und Moralphiloso-phie in der Verständigungstheorie internationaler Verhandlungen ergeben. Wo dieanalytische Trennung zwischen normativer Begründung und empirischer Rekonstruk-tion aufgehoben wird, drohen nicht nur handlungstheoretische und empirische Ver-zerrungen, sondern auch eine Preisgabe kritischen Potenzials. Am Beispiel von NicoleDeitelhoffs »Diskurstheorie internationalen Regierens« werden die Moralisierungs-tendenzen der Theorie da deutlich, wo das rhetorische Handlungsmodell mit moral-philosophischen Argumenten unter den Verständigungsansatz subsumiert wird. Aufempirischer Ebene ist die Analyse auf Moralisierung angewiesen, sobald es das »bes-sere« Argument zu »beobachten« gilt. Mit dem Formalismus des Universalisierungs-kriteriums werden dabei normative Parteinahmen nicht umgangen, jedoch als solcheunkenntlich gemacht. So verhindert die Diskurstheorie der IB paradoxerweise, dassRäume für normative Kritik entstehen.

»Although communication has often been offered asthe medicine, it has seldom produced a cure.«

Erving Goffman (1969: ix)

1. Einleitung

1

Politische Verhandlungen können auf zweierlei Weise geführt werden: Im Modusdes »Verhandelns« oder

bargaining

, in dem Akteure ihre vorgängigen Interessenund Machtressourcen zur Geltung bringen, und im Modus des Argumentierens(

arguing

), in dem Akteure mit Gründen und Gegengründen über Werte und Normenstreiten.

2

Der

bargaining

-Aspekt von Verhandlungen ist in den InternationalenBeziehungen (IB) traditionell fest in spieltheoretischer Hand, für die Analyse inter-

1 Ich danke Heiko Baumgärtner, Stefan Militzer, Andreas Hasenclever, Frank Schimmel-fennig, Benjamin Rampp, und Sabrina Kopp für Rückmeldungen zu früheren Versionendieser Arbeit. Für hilfreiche Kommentare schulde ich außerdem Stefano Guzzini, Bern-hard Zangl, Alex Heppt, sowie den anonymen Gutachterinnen und Gutachtern der ZIBDank.

2 Vgl. Elster (1992); Gehring (1995); Saretzki (1996, 2007); Holzinger (2001); Ulbert/Risse (2005); Deitelhoff/Müller (2005).

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Aufsätze

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nationaler Argumentation werden dagegen verschiedene Theorien ins Feld geführt.Der »rhetorische« Ansatz nimmt hier eine sozialwissenschaftliche Perspektive einund sucht zu erklären, wie Argumentation empirisch verläuft. Demgegenüber hebtder aus der (Habermasschen) Philosophie kommende, »verständigungsorientierte«Argumentationsansatz auf die normativen Gehalte von Argumenten ab, und analy-siert Debatten als moralische Diskurse, die mehr oder minder gerecht verlaufen, undmehr oder minder akzeptable Ergebnisse produzieren können.

Wären alle Theoretikerinnen

3

internationaler Verhandlungen mit einer solchenAufgabenteilung einverstanden, so ergäbe sich ein sehr harmonisch aufgeteiltes For-schungsfeld. Doch Versuchen, der Theorie des verständigungsorientierten Handelnseine rein normativ-kritische Rolle zuzuweisen, die empirische Fragen allenfalls eva-luativ angeht,

4

haben Vertreter des Verständigungsansatzes spätestens seit der»ZIB-Debatte« Mitte der 1990er Jahre

5

entschieden widersprochen. Denn indemverständigungsorientiertes Handeln den »theoretischen Rang der Sprache« (Müller1994: 24) und vor allem ihrer normativen Gehalte ernst nehme, könne es Kommuni-kation über Werte und Normen weitaus besser analysieren als das strategischeHandlungsmodell, das

bargaining

-Ansätzen und der Theorie des rhetorischen Han-delns (Schimmelfennig 1995, 1997, 2003a) in den IB zu Grunde liegt. Die Theoriedes verständigungsorientierten Handelns beschreibt Argumentation nicht als über-zeugungsresistente Interaktion interessengeleiteter Akteure, sondern als einenvon Gründen und Vernunft geleiteten Deliberationsprozess, in dem die Verhandeln-den ihre Interessen und Ziele zur Disposition stellen und nur dem »zwanglosenZwang des besseren Argumentes« (Habermas 1995a: 47) Folge leisten. Verständi-gung nach Habermas sei keineswegs »nur« ein normatives Ideal der Diskursethik,sondern als Handlungstheorie zugleich der empirisch-analytische Schlüssel, umFälle von internationaler Kooperation und von argumentativer Überzeugung erklä-ren zu können.

6

Doch das Unterfangen, eine normativ begründete Diskurstheorie handlungstheo-retisch zu wenden, und die »logische Kluft« (Apel 1973: 228) zwischen morali-schem Sollen und empirischen Sein metatheoretisch zu überbrücken, ist, wie Müllerzutreffend einräumt, eine »methodisch gewagte […] Operation« (2007: 201). Des-sen ungeachtet haben Beiträge zum verständigungsorientierten Handeln in der inter-nationalen Politik bis dato nicht spezifiziert, worin dieses methodische Wagnisbesteht. Ich werde diese Lücke im Folgenden zu füllen versuchen und argumentie-ren, dass die Verschränkung von Moral- und Handlungstheorie einen doppelten ana-lytischen Preis hat: Sie führt einerseits zu einer Moralisierung der Handlungstheorie,die analytisch verzerrend wirken kann. Andererseits resultiert daraus eine Verkür-

3 Allgemeine Personenbezeichnungen verwende ich im Folgenden so, dass in der männli-chen Form das weibliche Geschlecht mitgemeint ist, ebenso wie der weibliche Genusprinzipiell männliche Personen mitbezeichnet.

4 Schimmelfennig (1995: 39f, 2003a: 202); Holzinger (2001); als Beispiele für eine nor-mativ-kritische Anwendung vgl. Bjola (2005); Finke (2005).

5 Für ein Kurzporträt der ZIB-Debatte siehe bspw. Risse (2003: 110-112).6 Müller (1994, 2004, 2007); Risse-Kappen (1995); Risse (2000); Deitelhoff (2006, 2007).

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Tine Hanrieder: Moralische Argumente in den Internationalen Beziehungen

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ZIB 2/2008

zung des Verständigungsbegriffs, im Zuge derer der Grundsatz der prinzipiellenOffenheit moralischer Diskurse aufgegeben wird. Nach einer kurzen Skizze derhandlungstheoretischen Problemstellung im zweiten Abschnitt werde ich im drittenAbschnitt auf diese problematische Verschmelzung von Moral- und Handlungstheo-rie eingehen. Im vierten Abschnitt lege ich dar, dass der Subsumptionsanspruch derVerständigungstheorie gegenüber der konkurrierenden Theorie des rhetorischenHandelns auf einer moralphilosophischen Argumentation fußt, und kritisiere diesenAnspruch aus sozialtheoretischer Sicht. Der fünfte Abschnitt argumentiert, dassVerständigungstheoretiker eine schlüssige Antwort auf die Frage schuldig bleiben,wie sich Verständigungsprozesse empirisch identifizieren lassen. Denn das positiveinhaltliche Kriterium des »besseren Arguments«, das sich in Verständigungsprozes-sen durchsetzen soll, kann mit dem formalen Maßstab der Universalisierung nichtermittelt werden. Der Preis ist entweder eine verdeckte moralische Parteinahme,oder eine Umdeutung verständigungsorientierter Diskurse zu einseitigen Norm-durchsetzungsprozessen. Der Beitrag plädiert abschließend für die stärkere Hinwen-dung der IB zum substanziellen Gehalt internationaler Normen und ihrer historisch-institutionellen Verortung.

2. Zum Kontext: Argumentation und soziales Handeln in den IB

Als Martin Hollis und Steve Smith Anfang der 1990er Jahre mit dem Plädoyer»make meaning central« (1990: 71) für einen interpretativen Zugang zu den inter-nationalen Beziehungen warben, verbanden sie mit dieser Forderung dezidiertkeinen Ruf nach einer sprachtheoretischen Agenda: »Luckily, theories of internatio-nal relations need not grapple with the nature of language in any depth« (Hollis/Smith 1990: 69). Dies wurde in den deutschen IB jedoch bald anders gesehen, alsHarald Müller in der ZIB eine lebhafte Debatte über die Grenzen utilitaristischerHandlungstheorien anstieß (Müller 1994). Müller und in der Folge Thomas Risse-Kappen (1995) betonten den »theoretischen Rang der Sprache« (Müller 1994: 24)und die große empirische und theoretische Bedeutung von moralischer Argumenta-tion in der internationalen Politik, die sich am besten unter Rückgriff auf JürgenHabermas' »Theorie des kommunikativen Handelns« (Habermas 1988, 1995a) erfor-schen lasse. Dem »stummen« Akteursmodell rationalistischer Kooperationstheoriensetzten sie ein Bild von sprachlich verfassten Akteuren entgegen, die immer auchüber ein argumentatives »Handlungsrepertoire« (Müller 1995: 387) verfügen, d. h.die prinzipiell bereit und in der Lage sind, Gründe für ihre Behauptungen anzugebenbzw. sich von guten Gründen überzeugen zu lassen. Der Typ des »verständigungs-orientierten Handelns« wurde als dritter Handlungstyp neben den klassischen Typendes »angemessenen« und des »konsequentialistischen« Handelns eingeführt (Risse2000: 2-7).

Bei aller Innovation war die »ZIB-Debatte« jedoch von allerlei Engführungengekennzeichnet (Holzinger 2001; Zangl/Zürn 1996: 342). Von Beginn an wurdesie als Duell zwischen Vertretern des Habermasschen, verständigungsorientierten

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Aufsätze

164

Ansatzes

7

(Müller 1994, 1995; Schmalz-Bruns 1995, Risse-Kappen 1995) undAnhängern spieltheoretischer

rational-choice

-Ansätze (Schneider 1994; Keck 1995)konstruiert. Unstrittig war dabei die empirische Beobachtung, dass Argumentationund Kommunikation über Werte und Normen ein wichtiges und auch erklärungsbe-dürftiges Phänomen internationaler Politik sei. Eine, wenn nicht die zentrale Kontro-verse der »ZIB-Debatte« lautete vielmehr, ob spieltheoretische Ansätze nicht auchKommunikation und die Rolle von Ideen und Normen mit ihren Modellen erklärenkönnen. Besonders sogenannte

cheap talk

-Modelle (Schneider 1994: 362f) eineskostenlosen, d. h. risikofreien Informationsaustauschs wurden als rationalistischeVersion von Verständigung angeführt (vgl. auch Keck 1995) und kritisiert (Risse-Kappen 1995; Müller 1995). Zudem wurde die Tragfähigkeit von

rational-choice

-Modellen, die so formal gehalten sind, dass auch normative oder altruistische Präfe-renzen darin inbegriffen sind (Keck 1995), kritisch diskutiert (Müller 1995;Schmalz-Bruns 1995). Diese Auseinandersetzung mündete in eine Art Übereinkom-men, dass beide Handlungsmodelle irreduzibel und unverzichtbar seien, und es nichtso sehr auf Sieg oder Verwerfung eines Modells, sondern auf die Bestimmung undBegrenzung seines Anwendungsbereichs ankomme (Zangl/Zürn 1996: 359-362; kri-tisch Holzinger 2001). Wo die Erklärungskraft rationalistischer Kommunikations-und Lernmodelle endete – namentlich bei der

Frage nach der normativen Dimensionvon Verhandlungsgegenständen

(Zangl/Zürn 1996: 355f; Yee 1997: 1014-1022) –,blieb dann gemäß den in der Debatte verteilten Beweislasten als einzige Alternativeder Rückgriff auf die Habermassche »Theorie des kommunikativen Handelns«.

Diese Beweisführung

ex negativo

für den Verständigungsansatz ersparte der The-orie zum Einen eine eingehende Kritik ihrer konstruktiven Leistung bei der Analyseinternationaler Argumentationsprozesse. Zum Anderen wurden denkbare alternativeHandlungstypen in dieser dichotomischen Gegenüberstellung schlicht ignoriert(Holzinger 2001: 244). So blieb Frank Schimmelfennigs (1997) Entwurf einer rheto-rischen Argumentationstheorie in der »ZIB-Debatte« unbeachtet.

8

Im rhetorischenAnsatz werden Argumente anders als beim Verständigungshandeln nicht »wahr-heitssuchend«, sprich: wertrational (Risse 2000: 6f), sondern strategisch und oppor-tunistisch ausgewählt. Erfolgreiche rhetorische Argumentation ähnelt eher dem Siegvor Gericht als einer auf Einsicht basierenden Einigung der Debattierenden. Das rhe-torische Handlungsmodell, auf das ich unten zurückkommen werde (Abschnitt 4),wurde von Proponentinnen des Verständigungsmodells erst in späteren Publikatio-nen rezipiert und kritisiert (Risse 2000; Müller 2004; Deitelhoff 2006).

7 Dieser Theorieansatz wurde in der ZIB-Debatte zunächst als »kommunikatives Handeln«(Müller 1994) eingeführt, und später in internationalen Publikationen als

arguing

bezeichnet (Risse 2000). Innerhalb des Interaktions

modus

der Argumentation bzw. Kom-munikation ist Argumentieren mit einer Verständigungs

orientierung

jedoch nur einehandlungstheoretische Option neben beispielsweise rhetorischer Argumentation(Saretzki 1996). Daher werde ich den engeren Begriff der Verständigung für die Haber-massche Handlungstheorie reservieren.

8 Vgl. die Rekonstruktion der ZIB-Debatte bei Risse (2000: 7, Fn. 21); Deitelhoff/Müller(2005: 167, Fn. 1) und Humrich (2006: 91, Fn. 3), die den rhetorischen Ansatz nicht als»Debatten-Teilnehmer« aufführen.

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Tine Hanrieder: Moralische Argumente in den Internationalen Beziehungen

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ZIB 2/2008

Auf empirischer Ebene reklamiert die rhetorische Handlungstheorie jedoch mehrErfolge für sich als ihr Habermasscher Gegenpart: Schimmelfennig erklärt mit ihrdas Ende des Ost-West-Systemkonflikts (Schimmelfennig 1995) und die Osterwei-terung der EU und der NATO (2003a). Ebenso fand sie bei der Erklärung der euro-päischen Parlamentarisierung (Rittberger 2005) und Menschenrechtspolitik (Ritt-berger/Schimmelfennig 2006) Anwendung. Demgegenüber waren Versuche,Evidenz für die Wirksamkeit verständigungsorientierten Handelns zu finden, erklär-termaßen wenig erfolgreich. Eine Forschungsgruppe unter der Leitung von Müllerund Risse

9

, die die empirische Bedeutung verständigungsorientierten Handelnsnachzuweisen und gegenüber der rhetorischen und der

bargaining

-Hypothese abzu-heben suchte, gab dieses Ziel auf (Deitelhoff/Müller 2005: 170). Angesichts derSchwierigkeiten, die Handlungsorientierungen von Akteuren empirisch zu überprü-fen (Deitelhoff 2006: 150f; Müller 2007: 214f; Risse 2007: 73), wich im Laufe desProjekts die Frage nach der Handlungs

logik

in multilateralen Verhandlungen dernach den Erfolgs

bedingungen

von Argumenten (Ulbert/Risse 2005). Untersuchtwurde dann die Frage, welche institutionellen Bedingungen effektives Argumentie-ren begünstigen, nicht jedoch, durch welche Art von Argumentationsprozess bzw.sozialen Mechanismus diese Bedingungen wirksam werden.

Den schwierigen Nachweis, dass tatsächlich Verständigung am Werk ist, wennauf internationalem Parkett neue Normen etabliert werden, beansprucht jüngstNicole Deitelhoff

10

mit ihrer »Diskurstheorie internationalen Regierens« undder Fallstudie zur Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) zuerbringen (Deitelhoff 2006: 14). Die Autorin analysiert insbesondere die Rollenichtstaatlicher Normunternehmer sowie die institutionellen und substanziellenKontextbedingungen deliberativer Normgenesen. Zu diesem Zweck entfaltet sieeine profunde handlungstheoretische Argumentation und eine pointierte Stellung-nahme zur Theoriekonkurrenz zwischen dem Habermasschen und dem rhetorischenArgumentationsmodell. Zusammen mit dem konstruktiven Modell der Überzeugungin internationalen Verhandlungen ist Deitelhoffs Arbeit aktuell der ausgereiftesteBeitrag zum verständigungsorientierten Handeln in den IB, der eine Fülle normen-theoretischer und empirischer Einsichten bietet.

11

Insbesondere ergänzt ihr Modellden handlungstheoretischen Fokus der »ZIB-Debatte« um die institutionelle Dimen-

9 Das durch die VW-Stiftung geförderte Projekt zu »Arguing and Bargaining in Multilate-ral Negotiations« wurde zwischen 1999 und 2005 von Thomas Risse, Cornelia Ulbertund Jens Steffek von der Freien Universität Berlin und von Harald Müller, SimoneWisotzki und Nicole Deitelhoff von der Frankfurter Hessischen Stiftung Friedens- undKonfliktforschung durchgeführt (Deitelhoff/Müller 2005: 170, Fn. 15). Die Synthese undAuswertung der Ergebnisse können in Ulbert/Risse (2005) und Deitelhoff/Müller (2005)nachgelesen werden. Eine detaillierte und kritische Besprechung des Projekts bietetSaretzki (2007).

10 Ich danke Nicole Deitelhoff sehr herzlich dafür, dass sie mir Teile ihrer Manuskriptebereits vor der Publikation zur Verfügung stellte.

11 Ein wichtiger Befund Deitelhoffs verweist beispielsweise darauf, dass auf globalerEbene die prozeduralen Bedingungen von Verständigung – Inklusion und Offenheit –mit den lebensweltlichen Voraussetzungen – geteilte kulturelle Hintergründe der Teil-nehmer – konfligieren können (2006: 300-302).

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Aufsätze

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sion der deliberativen Demokratietheorie (vgl. Habermas 1992; Schmalz-Bruns1995) – ein Aspekt, auf den hier nicht weiter eingegangen werden soll.

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Ihre Arbeitwird hier vielmehr deshalb als Hauptreferenz dienen, weil darin die handlungstheo-retische Argumentation der Diskurstheorie konsequent und köharent weitergedachtwird. Denn die analytischen Schwierigkeiten der Diskurstheorie internationalerNormgenesen

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sind in der verständigungsorientierten Handlungstheorie der IB sys-tematisch angelegt. Ich werde daher zunächst darlegen, wie sich das Modell desVerständigungshandelns mit der Idee der »kontrafaktischen Idealisierung« vonvornherein keine leichte vernunftphilosophische Bürde auferlegt.

3. Das Ebenenproblem: Zwischen Diskursethik und Handlungstheorie

Die Theorie des verständigungsorientierten Handelns geht von moralisch autonomenund urteilsfähigen Akteuren aus, die kritisch auf Normen zu reflektieren vermögen,die problematisch oder strittig geworden sind (Risse 2000: 6). Die den Normenzugrunde liegenden und kritisierbaren Gründe motivieren ihr Handeln (Habermas1995a: 54; Deitelhoff 2006: 91f),

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und veranlassen sie überdies, sich wie in einer»idealen Sprechsituation« gemäß den Regeln eines rationalen Diskurses zu verhal-ten. Zu diesen Regeln gehören die Aufrichtigkeit der Sprecherinnen, der Verzichtauf Macht- und Drohpotenziale, die Anerkennung ihrer Gegenüber als gleichberech-tigt sowie die Bereitschaft zur moralischen Unparteilichkeit, die sich nur vom besse-ren Argument überzeugen lässt (Deitelhoff 2006: 94f). Dass hier Moraltheorie undHandlungstheorie in eins fallen, wird mit der logischen Denkfigur der kontrafakti-schen Idealisierung begründet (3.1). Daraus resultiert aber das schwierige methodo-logische Problem, die Ebenen der moralischen Rechtfertigung und der empirischenBeobachtung von Argumentationsprozessen ins rechte Verhältnis zu setzen (3.2).

12 Deitelhoffs Modell internationaler Normgenesen integriert die

institutionellen

Bedingun-gen erfolgreicher Überzeugung als wichtige Kontextfaktoren von Verständigung (Deitel-hoff 2006: 119-125).

13 Die Diskurstheorie (als Handlungstheorie) ist sowohl in der ZIB-Debatte als auch inHabermas’ Werk (vgl. bspw. Habermas 1992, Vorwort) stets diskurs

ethisch

informiert(siehe Abschnitt 3). Mit der Wahl des Begriffs »Diskurstheorie« lehnt sich Deitelhoffjedoch stärker an den institutionen

theoretischen

Habermas (1992) an. Ich danke eine(m)anonymen Gutachter(in) für diesen Hinweis.

14 In dieser deliberativen Version von Wertrationalität wird somit auf eine andere Art vonNormativität verwiesen als in der Angemessenheitslogik des »normenregulierten Han-delns« (Habermas 1995a: 132-135). Verständigungsorientierte Akteure werden vonmoralischen

Gründen

, die für sie rational einsichtig, d. h.

akzeptabel

sind, zum Handelnmotiviert. Angemessen Handelnde richten sich nach sozial

akzeptierten

Normen. Im Mit-telpunkt ihres Urteilens (

reasoning

) steht die Anwendung der Normen auf ihre jeweiligeHandlungssituation (March/Olsen 1989: 25).

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3.1. Die empirische These: Normative Voraussetzungen von Argumentation

Das normative Fundament der Verständigungstheorie mit ihren anspruchsvollenDiskursbedingungen ist offensichtlich. Der normative Gehalt spricht aber aus Sichtihrer Vertreter nicht gegen, sondern vielmehr für ihre deskriptive Angemessenheit.Denn die Theorie vermeide die »empiristische Verkürzung« (Habermas 1995a: 51)von Werten und Argumenten zu positiven »Faktoren«, wie sie die rationalistischeHerangehensweise des rhetorischen Ansatzes mit sich bringt.

15 Verständigungsori-entiertes Handeln sei im Gegensatz zu rationalistischen Handlungstheorien ein»gehaltvolles Handlungskonzept« (Deitelhoff 2006: 96), und in einer sprachlich ver-fassten Welt auch die »erklärungsfähigere Handlungstheorie« (Müller 1994: 37).Untermauert wird dieser empirisch-analytische Anspruch durch eine anspruchsvollesprachtheoretische Argumentation, die sich auf die logische Denkfigur der »kontra-faktischen Idealisierung« aus der Sprachpragmatik Karl-Otto Apels stützt. Derenhandlungstheoretische Interpretation ist der Schlüssel zur Theorie des verständi-gungsorientierten Handelns.

Gemäß der Verständigungstheorie bringt der argumentative Sprachgebrauch seineeigene Rationalität und logische Implikationen mit sich, die in der Operation der»kontrafaktischen16 Idealisierung« beim Sprechen zur Geltung kommen (Risse et al.2002: 23; Deitelhoff 2006: 92). Durch diese Denkoperation unterstellen Sprecher,sie befänden sich in einer idealen Sprechsituation. Sie setzen also voraus, dass siesich in einem intersubjektiv geteilten Kontext bewegen – dass sich ihre »Lebenswel-ten überlappen« – und dass die Regeln des rationalen Diskurses mit den Anforde-rungen der Authentizität, Gleichberechtigung, und Offenheit gelten (Deitelhoff2006: 92-95). Auch wenn dieses Ideal in konkreten Kontexten nie ganz verwirklichtsein wird, beachten verständigungsorientierte Akteure doch die »Autonomieregelder Argumentation« (Böhler 1982: 83). Das heißt sie abstrahieren von »außer-sprachlichen« Faktoren wie den Machtverhältnissen in einer bestimmten Verhand-

15 Zum äußerst schwer zu klärenden Verhältnis zwischen der Normativität und Positivitätsozialer Normen vgl. auch Steffek (2003: 253f), und zu den Grenzen rationalistischerLösungsversuche Yee (1997).

16 Das Attribut »kontrafaktisch« wird in der Sozialwissenschaft üblicherweise andersgebraucht als in der Diskurstheorie und bezeichnet eine kausalanalytische Methode, diedie Wirkung einzelner Faktoren in einem komplexen kausalen Feld bestimmen soll (vgl.klassisch Mackie 1965). Zu diesem Zweck werden Annahmen darüber gemacht, wie einbestimmter kausaler Prozess verlaufen wäre, wenn bestimmte Faktoren nicht gegebengewesen wären. Durch diese kontrafaktische Bezugnahme auf Ereignisse, die de factonie statt gefunden haben, ergeben sich dann Rückschlüsse für den kausalen Status dieserFaktoren (King et al. 1994: 76-85; Fearon 1991; kritisch Fischer 1971: 15-21). Dagegenbezeichnet die kontrafaktische Idealisierung im Verständigungsansatz eine Denkopera-tion, die Argumentierende beim Sprechen »mitvollziehen«. Sie sprechen so, als ob siesich aktuell in einer idealen Sprechsituation mit einer idealen Kommunikationsgemein-schaft befänden, ohne aber zu erwarten, dass dieses Ideal je Realität würde (Deitelhoff2006: 120, Fn. 4).

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lungssituation,17 und lassen sich beim Sprechhandeln nur von der »Verfügbarkeitguter Gründe« (Deitelhoff 2006: 95) leiten.

Die Pointe der kontrafaktischen Idealisierung besteht also darin, dass sie diskurse-thische Standards nicht »nur« als Wertmaßstab für normativ-kritische Analysenbegreift, sondern auch als empirisches Phänomen. Denn wir als Argumentierendeseien nicht nur moralisch verpflichtet, sondern gleichsam rational genötigt, unsgemäß den Regeln eines vernünftigen Diskurses zu verhalten. Diese Perspektivewirft nun aber die Frage auf, wie sozialwissenschaftlich mit dieser moralischenQualität des Untersuchungsgegenstands »Argumentation« umzugehen ist. Denn woMoralität als sozialer Fakt ernst genommen wird, drohen auch methodologische Fal-len.

3.2. Rationale Rekonstruktion als empirische Analyse?

Habermas versteht seine Theorie als nachmetaphysische Moralbegründung: Ermöchte aus Welt-immanenten Kommunikationsbedingungen moralische Maßstäbegewinnen, ohne auf metaphysische Letztbegründung angewiesen zu sein. Hierzuentnimmt er der »lebensweltlichen« sprachlichen Praxis Rationalitätskriterien, dieohne Rückgriff auf metaphysische Annahmen eine moderne Moral begründen sollen(Habermas 1988: 88, 1992: 34). Um den aus seiner Sicht unhaltbaren »Fundamen-talismus« metaphysischer Aprioris zu vermeiden, beruft sich Habermas in seinerTheorie auf die »Intuition, daß der Sprache das Telos der Verständigung innewohnt«(1988: 75), und sucht dieses Telos sowie die damit einhergehenden apriorischenDiskursbedingungen rational zu »rekonstruieren« (McCarthy 1989: 309-320). DieArgumentationsbedingungen, die er rekonstruktiv aus der Sprache gewinnt, gehendeutlich über das hinaus, was in der Sprechakttheorie unter sprachlichen Regelngeführt wird. Nicht nur linguistische Bedeutungsregeln (Searle 1969: 12-17; Austin1971: 26) sollen Akteure beherrschen und befolgen müssen, um überhaupt kommu-nizieren oder sprachlich handeln zu können. Zusätzlich impliziere der Sprach-gebrauch moralisch-praktische Regeln und fordere von den Sprecherinnen bei-spielsweise Aufrichtigkeit und Respekt (Habermas 1995b: 307-311). Moralisch»schlechte« Sprechakte wie Diskriminierung und Bedrohung durch Sprechen(Butler 1997) sind aus dieser diskursethischen Interpretation nur als uneigentlich undals Abweichung vom »normalen Sprachgebrauch« (Habermas 1988: 72) zu begrei-fen.

17 Dieses moralische Kriterium ist gut in ein kausalanalytisches Kriterium übersetzbar(Holzinger 2001: 251) und wird auch in Studien verwendet, die die Wirkung von Nor-men zu belegen suchen (vgl. etwa Klotz 1995; Hasenclever 2001; Schimmelfennig2003a): Durch die Formulierung von Erwartungen, wie das Verhandlungsergebnis einesreinen bargaining-Prozesses aussehen würde, lässt sich überprüfen, ob machtbasierteInteressendurchsetzung kausal ausschlaggebend war (Schimmelfennig 2001: 54f).

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Für Sozialwissenschaftlerinnen ist Habermas' Theorie v. a. deshalb interessant,weil er sie nicht einfach als Moraltheorie klassifiziert, sondern auch sozialtheoreti-sche Erklärungsansprüche mit ihr einlösen möchte. Unsere Fähigkeit zum morali-schen Diskurs ist aus dieser Sicht ein gesellschaftlicher Fakt, der Kooperation über-haupt erst ermöglicht (vgl. Müller 1994: 29f). Denn ein rationaler Konsens profitiertvon den sozialen »Bindungsenergien« (Habermas 1988: 69) der Sprache und wirdfür die Gesellschaft koordinationswirksam. Die Diskurstheorie versteht sich so alsTheorie über die Möglichkeit sozialer Ordnung (Habermas 1995a: 7f). Dieser dop-pelte Anspruch der Diskurstheorie, empirisch und moralisch valide zu sein, stößtfreilich sowohl auf philosophischer als auch auf sozialtheoretischer Seite auf Pro-bleme.

Aus moralphilosophischer Sicht wird nicht klar, welchen Status die Habermass-chen Diskursprinzipien und die Operation der kontrafaktischen Idealisierung haben:Handelt es sich dabei um empirische Gesetzmäßigkeiten – die kausal determiniertsind –, oder um moralische Imperative – denen Akteure auch zuwider handeln kön-nen (Böhler 1982: 84)? Und wie kann eine empirisch begründete Moraltheorie einenkritischen Standpunkt gegenüber faktischen Diskursen ausweisen (Schnädelbach2002: 34)? Karl-Otto Apel, auf dessen Idee der kontrafaktischen Idealisierung sichHabermas explizit stützt (vgl. auch Risse et al. 2002: 23), betont gegen Habermasvehement die Differenz zwischen einer philosophischen18 Moralbegründung undempirischen Aussagen und wirft ihm einen »naturalistischen Fehlschluss« vom Seinauf das Sollen vor (Apel 1989: 26-28).19 Apel spricht damit das grundsätzlichemethodologische Problem an, dass sich die empirische Verankerung der Diskursthe-orie nicht mit einer empirisch-analytisch vorgehenden Verständigungstheoriegleichsetzen lässt (McCarthy 1989: 317). Denn das Prüfkriterium diskursethischerAussagen über Kommunikation ist nicht, ob diese Aussagen faktischen kausalenZusammenhängen entsprechen (Johnson 1993: 76). In ihrer moralisch-begründen-den Logik geht es vielmehr darum, rechtfertigbare Diskursregeln aus der Sprache zugewinnen und als rational zwingend auszuweisen (Apel 1989: 52).

Wie verhält es sich nun aber umgekehrt mit der sozialtheoretischen Dimensionder Verständigungstheorie? Lassen sich empirische Sprechakte mit einem dezidiertnormativen Verständigungsbegriff (Habermas 1988: 75) analysieren? Liest manVerständigung als Handlungstheorie, so werden diskursethische Begründungs-standards zu einer empirischen Rationalitätsannahme gewendet, die als Alternativezur utilitaristischen Rationalitätsannahme von rational-choice-Ansätzen ins Feld

18 Und damit metaphysischen, vgl. Apel (1989: 45-49).19 Als »naturalistischer«, »empiristischer« bzw. »Sein-Sollen-Fehlschluss« wird in der phi-

losophischen Ethik der begründungslogische Fehler verstanden, den man begeht, indemman von empirischen Tatsachen auf moralische Pflichten schließt (Tugendhat 1993: 14f,54; klassisch Hume 2002: 15; Kant 1968: 229f).

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geführt wird (Müller 1994).20 Zugespitzt formuliert, wird sozialen Akteuren hiereine gleichsam philosophische Argumentationseinstellung unterstellt, die dem Rati-onalitätsideal der Diskurstheorie entspricht (vgl. Apel 1989: 54-59). Die »Einsicht indie der Sprache selbst innewohnende Rationalität der Verständigung« (Deitelhoff2006: 91) bringt Akteure demnach dazu, sich in moralischen Diskursen verständi-gungsorientiert zu verhalten. Denn »wer einen Geltungsanspruch mit Verweis aufEinlösbarkeit unterstellt, muss zugleich davon ausgehen, dass er diesen unter idealenArgumentationsbedingungen auch verteidigen könnte« (Deitelhoff 2006: 94; vgl.auch Risse 2000: 2).

Methodologisch bedeutet dies: Wer argumentatives Verhalten erklären will, musses aus der Perspektive diskursiver Rationalität nachvollziehen, d. h. die moralischeRekonstruktion in die empirische Analyse einfließen lassen. Diese Verschränkungvon normativer und empirischer Ebene birgt freilich methodologische Risiken (Mül-ler 2007: 201). Denn ohne eine strikte und transparente Eingrenzung der jeweiligentheoretischen Geltungsansprüche droht hier schnell die philosophisch-begründendeTheorieebene auf die sozialtheoretische Ebene überzugreifen, droht also eine Art»moralistischer Fehlschluss« vom Sollen auf das Sein, der den »naturalistischenFehlschluss« der Ethik quasi umkehrt. Dies kann dann geschehen, wenn das »Aprio-ri der Verständigungsorientierung« (Schmalz-Bruns 1995: 357) nicht als über-prüfbare empirische Hypothese, sondern als logische Wahrheit zur Entscheidunghandlungstheoretischer Fragen vorgebracht wird (Apel 1989: 48). Diese metatheore-tische Vorgehensweise kommt da zum Tragen, wo der Verständigungsansatz daskonkurrierende Modell des rhetorischen Handelns schlicht subsumiert (Abschnitt 4).Ferner ist die Verständigungstheorie bei der empirischen Analyse gar zur Moralisie-rung genötigt, wenn sie den Sieg des »besseren Arguments« als empirischen Indika-tor für Verständigungsprozesse heranzieht (Abschnitt 5).

4. Die vernunftphilosophische Subsumtion rhetorischer Argumentation

Angesichts der ernüchternden Erfahrungen beim Versuch, Verständigung empirischvon alternativen Handlungstypen abzugrenzen (Deitelhoff/Müller 2005), verlegtDeitelhoff wichtige Teile ihrer Argumentation auf die konzeptionelle Ebene. Sobetont sie in ihrer Kritik alternativer Handlungstheorien, diese böten kein »gehalt-volles Konzept von Überzeugung« (2006: 108), und damit könnten sie auch normati-ven Wandel durch Überzeugung nicht erklären. Diese Behauptung scheint zunächstunproblematisch, würde nicht zugleich unterstellt, jegliches argumentativ herbeige-führte Verhandlungsergebnis müsse auf Überzeugung im Sinne der Verständigungs-

20 Parallel und alternativ zum handlungstheoretischen Idealtyp zweckrationaler Akteure(vgl. bspw. Schütz 1967, bes. 40-43 und klassisch Weber 1976: 3) wird hier also ein Ide-altyp des Verständigungshandelns konstruiert (Müller 2007: 201; Deitelhoff 2006: 28;Risse 2000: 18). Verständigungshandeln ist also, wie auch Habermas betont, keine mora-lische Utopie, sondern eine mögliche empirische Diskurseinstellung (Habermas 2007:426).

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theorie21 beruhen. Damit beansprucht sie für den Verständigungsansatz ein Monopolbei der Erklärung von Verhandlungsergebnissen, die sich nicht allein durch Machtund Interesse, sondern wesentlich durch den Einfluss von Normen und Argumentenerklären lassen. Denn der kausalen Relevanz von Argumenten könne einzig mit Ver-ständigung Rechnung getragen werden, die erklärungslogischen Vorrang vor demrhetorischen Verhandlungstyp besitze und diesen subsumieren könne.

Dieser sehr weitreichende Einwand gegen eine rhetorische Argumentationstheorieführt einen Kritikpunkt fort, der schon von Risse (2000: 8) formuliert wurde. Rissemoniert, dass rhetorisch Kommunizierende durch Argumente nicht zum Präfe-renzwandel bewogen werden: Wo alle Akteure nur strategischen Gebrauch vonArgumenten machen, ändern auch die besten Argumente niemandes Überzeugung.Diese Kritik ist durchaus berechtigt. Zwar können sich aus Schimmelfennigs Sichtrhetorische Argumentationserfolge in verschieden »tiefen« Formen der Überzeu-gung niederschlagen. Das stärkere Argument erzeugt dann entweder schlicht Legiti-mitätsdruck und hat nur Auswirkungen auf der Verhaltensebene, wo es die prefe-rences over actions der Adressaten ändert. Oder aber der rhetorische Erfolg bestehtdarin, dass Argumente auf der »tieferen« Identitätsebene preferences over outcomesbeeinflussen (Schimmelfennig 2003a: 201f). Mit einem strategischen Handlungs-konzept, das von feststehenden Interessen der Akteure ausgeht, ist aber nur erklär-bar, dass argumentativer Druck ihre situationsspezifischen Präferenzen beeinflusst,etwa ihre Kooperationsbereitschaft (Schimmelfennig 2003a: 202, 223). Wenn dage-gen ein tiefer Präferenzwandel, also Überzeugung im eigentlichen Sinn, stattfindensoll, muss man »eine Verständigungsorientierung der Interaktionspartner oder desPublikums immer schon voraussetzen« (Deitelhoff 2006: 107). Aus der

21 Der Überzeugungsbegriff wird in den IB nicht einheitlich gebraucht bzw. nicht immerhandlungstheoretisch expliziert. Payne definiert »persuasion« sehr allgemein als einenerzielten Präferenzwandel bei Normadressaten. Ob dieser Präferenzwandel sich nur aufdie Handlungsmittel (preferences over actions) bezieht, also eine reine Verhaltensanpas-sung darstellt, oder ob sich auch die Motivationen und Handlungsziele (preferences overoutcomes) der Adressaten ändern, bleibt dabei unklar (Payne 2001: 38). Schimmelfennigunterscheidet zwischen diesen beiden Ebenen und spricht dann von verschieden »tiefen«Formen von Überzeugung (2003a: 201f). Keck und Sikkink reduzieren den Begriff der»persuasion« auf erfolgreiche Einflussnahme, also auf den Wandel der preferences overactions von Adressaten, ohne die Norminternalisierung zum Kriterium zu machen (1998:16). Doch nicht nur das Ergebnis von Überzeugung kann verschieden definiert werden,auch der Prozess der Überzeugung lässt sich differenzieren. So unterscheidet Johnston(2001) mindestens zwei Typen von intrapsychischen Überzeugungsmechanismen: einenkognitiven, der dem Verständigungsansatz nahe kommt, und einen eher sozialpsycholo-gischen, der auch emotionale Aspekte und Charaktermerkmale einbezieht (Johnston2001: 496-499).

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Perspektive der rhetorischen Argumentationstheorie wäre ein solcher tiefer Präfe-renz- und Identitätswandel in der Tat eine Anomalie.22

4.1. Die Moralisierung sozialer Normen

Die Kritik Deitelhoffs geht aber weiter, indem sie dem rhetorischen Modell dieFähigkeit abspricht, überhaupt die kausale Wirkung von Normen erklären zu kön-nen. Denn, so Deitelhoff, wenn Akteure manipulativ und strategisch mit wertebezo-genen Argumenten umgehen, dann beeindrucken und beeinflussen diese Argumenteauch niemanden. In einer strategischen Welt wüssten alle voneinander, dass sie andie vorgebrachten Geltungsgründe gar nicht glauben und nur damit spielen – folglichbräuchten sie auch den Schein der Legitimität nicht länger zu wahren und könntenden rhetorischen Druck, der vom besseren, rhetorisch »überlegenen«, Argument aus-geht, getrost ignorieren. Im Umkehrschluss entfiele dann auch die subjektive Not-wendigkeit, die eigenen Ziele überhaupt argumentativ, und nicht gleich offen strate-gisch, durchsetzen zu wollen (2006: 107). Unterhöhlt die Option einer manipulativenArgumentation also die »legitimitätsgewährende Kraft« (Deitelhoff 2006: 106), unddamit die unabhängige kausale Wirkung von Werten und Normen? Anders ausge-drückt: Kann also ein strategisches Argumentationskonzept nicht nur keine Überzeu-gung, sondern auch keine Verhaltensänderungen von Akteuren erklären? DieserVorwurf, der aus verständigungstheoretischer Sicht naheliegend scheint, beruht frei-lich auf einem moralistischen Begriff von sozialer Legitimität, der sozialtheoretischbetrachtet fragwürdig ist.

In Deitelhoffs Argument sind Normen und auf sie gestützte Argumente nur dannwirksam, wenn »zumindest eine relevante Teilmenge der Akteure sehr wohl an dieLegitimität dieser Normen glaubt, sie also internalisiert hat« (2006: 107). Dies imp-liziert eine vernunftmoralische Sicht sozialer Normen (vgl. auch Deitelhoff 2006:38-42): Normen wirken nur und nur solange, wie ein Akteur sie als vernünftig ein-sieht und akzeptiert. Schwindet oder fehlt jedoch diese rationale Akzeptanz, so ver-lieren auch die Normen ihre motivationale »Kraft« für die Handelnden. Nach die-sem anspruchsvollen Verständnis sozialer Normen, das deren Wirksamkeit an dieEinsicht in ihre Legitimität knüpft, ist rhetorische Argumentation allenfalls schöner

22 Schimmelfennig hält diesem Vorwurf entgegen, dass nicht alle Akteure in einerbestimmten Situation gleich gut informiert oder stark genug an einem Problem interes-siert sein müssen. Dann können die rhetorischen Strategen ihr strategisch unterlegenesPublikum durchaus »überzeugen« bzw. in seinen Vorurteilen bestätigen, ohne dass die-ses Publikum gleich verständigungsorientiert eingestellt sein müsste (Schimmelfennig2003a: 223f). Hier relativiert der Autor also die Prämisse strategischer Akteursdispositio-nen (vgl. dagegen explizit Schimmelfennig 2003b: 159), sodass auch rhetorische Über-zeugung theoretisch plausibel wird. Ob dieses Argument triftig ist, kann hier nichtvertieft werden. Um der Gefahr einer konzeptionellen Überdehnung des rhetorischenArgumentationstyps zu entgehen, gehe ich aber davon aus, dass dieser primär strategi-sche Verhaltensanpassungen erklären kann. Deitelhoffs These, genuine Überzeugungs-prozesse fielen in die Expertise der Verständigungstheorie, betrachte ich damit alszutreffend.

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Schein. Gelingende Argumentation ist dann nur durch genuine Verständigung mög-lich, in der Akteure von der Akzeptabilität gewisser Geltungsansprüche überzeugtwerden. Sind sie aber nicht überzeugt, lassen sie sich auch nicht durch argumentati-ven Druck zu einer Verhaltensänderung bewegen.

Sozialtheoretisch gesprochen hebt dieser moralistische Normenbegriff die Diffe-renz zwischen Akteuren und Strukturen auf. Einerseits ist hier die rationale Einsichtder je einzelnen Akteurin die notwendige Bedingung, damit Argumente Wirkungentfalten – insofern wird hier eine radikal individualistische Position vertreten (vgl.Holzinger 2001: 259). Paradoxerweise geht die Moralisierung sozialer Normen imVerständigungsansatz jedoch auch mit einem extremen Strukturalismus einher.Denn es wird ja andererseits davon ausgegangen, dass Sprache mit ihrem Verständi-gungstelos Akteursdispositionen konstituiert, wenn nicht gar determiniert. Selbstwenn Akteure vor dem Eintritt in einen argumentativen Austausch zweckorientierthandeln, so Habermas, »die strukturellen Beschränkungen einer intersubjektivgeteilten Sprache […] erzwingen von den Handelnden einen Perspektivenwechsel«(Habermas 1988: 72, meine Hervorh.) hin zum Standpunkt der Verständigungsratio-nalität. Kurz: wer einen Geltungsanspruch erhebt, unterwirft sich der Logik rationa-ler Verständigung (Risse 2000: 8f, 23).

Das monistische Bild sozialer Normen, das die Verständigungstheorie hier zeich-net, postuliert in letzter Konsequenz ein übergreifendes und einheitliches Vernunft-medium, das eine Unterscheidung von Akteuren und Strukturen tendenziell über-flüssig macht. Dann freilich fallen die Überzeugungskraft von Argumenten mit derEinsicht der Argumentierenden in eins. Indem die Theorie des verständigungsorien-tierten Handelns die moralische Akzeptabilität von Normen mit ihrer sozialen Wirk-samkeit gleichsetzt, fallen so auch die normative und die sozialtheoretische bzw.empirische Theorieebene in eins. Eine derart moralisierte Perspektive auf Argumen-tationsprozesse mag moralphilosophisch kohärent sein. Sozialtheoretisch ist siejedoch keineswegs alternativlos.

4.2. Eine nicht-moralistische Sicht sozialer Normen

Dass wir uns gegenüber sprachlichen Konventionen auch instrumentell und manipu-lativ verhalten können, wie in der Sprechakttheorie zurecht betont wird (Butler1997: 7f)23, blendet die vernunftphilosophische Perspektive der Verständigungstheo-rie aus. Ihr lässt sich aber ein Konzept von Normen als soziale Institutionen entgegenhalten, die ihre Akteure niemals völlig determinieren. Neben der Dimension dermoralischen Richtigkeit oder »Gültigkeit« einer Norm, die eine Akteurin anerken-nen kann oder nicht, sieht sich diese immer auch mit der faktischen »Geltung« voninstitutionalisierten Normen konfrontiert, über die sie allein keine Kontrolle hat

23 Prominent ist hier Austins Beispiel des Versprechens: Ein geäußertes Versprechen ist einVersprechen, selbst wenn diejenige, die es geäußert hat, es gar nicht einzulösen gedenkt,sich den von der sozialen Konvention implizierten Anspruch also gar nicht zu eigengemacht hat (Austin 1971: 9-11).

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(Wendt 1999: 76), derer sie sich aber als Ressourcen bedienen kann (Schimmelfen-nig 2003a: 194). Normen und deren intersubjektive Legitimität sind aus dieser Sichtnicht reduzibel auf oder identisch mit subjektiven Einstellungen und Werthaltungen,sondern liegen auf der intersubjektiven Ebene (Guzzini 2000: 155; Herborth 2007:166). Sie sind nicht Ausdruck einer allen gleichermaßen einsichtigen, universellenRationalität, sondern das Ergebnis sozialer Aushandlungen, Kompromisse und Kon-ventionen.

Der »strategische Begriff von Normen« (vgl. Schimmelfennig 2003a: 194) betontdiese Differenz von Akteuren und sozialen Strukturen und geht davon aus, dassAkteurinnen ein nichtlineares oder »dialektisches« (Schimmelfennig 2003a: 195)Verhältnis zu sozialen Normen haben (vgl. auch Liese 2006: 271-277). Einerseitswertschätzen diese die Regeln der sozialen Gruppe, mit der sie sich identifizieren.Andererseits haben sie, schon weil soziale Systeme stets unabgeschlossen sind,deren Grundsätze nie umfassend internalisiert und sind nicht mit diesen identisch. Inrelativer Unabhängigkeit von dem normativ strukturierten Umfeld, in dem sie sichbewegen, handeln soziale Akteure dann unvermeidlich im Bewusstsein des »Ein-drucks«, den sie vermitteln, und der sozialen Folgen, die aus ihrem Handeln entste-hen können. Anstelle von moralischer Authentizität wie im Diskursmodell wird hieralso von der nichthintergehbaren Performativität des Sozialen, die immer auch mitstrategischer Unsicherheit verbunden ist, ausgegangen (Goffman 1969: 5-11).

In einer solchen Konzeption sozialer Normen, die anstelle der individuellen Inter-nalisierung die intersubjektive Faktizität gesellschaftlicher Normen betont, ist strate-gisches Handeln im Bewusstsein sozialen Drucks keine contradictio in adjecto, son-dern eigentlich unumgehbar – gleich welche moralische Einstellung ein Akteur zukonkreten Normen hat. Eine Regelbrecherin hat mit sozialen Sanktionen zu rechnen,die keinesfalls unmittelbar aus den »intrapsychischen« Zuständen ihrer Interaktions-partner entstehen. Diese sind ihr schließlich genauso schwer zugänglich wie demSozialwissenschaftler (Deitelhoff 2006: 150f). Denn die Legitimität oder Illegitimi-tät einer Norm ist nicht an den internalisierten Überzeugungen der Interaktionspart-ner oder des Publikums ablesbar bzw. unmittelbar von diesen ableitbar, sondern istunvermeidlich eine soziale Konstruktion (Goddard 2006: 39-42). Handelnde bezie-hen sich immer auf diese Konstruktion, nie auf ein intersubjektives Bewusstsein,ebenso wie sie sich in der Kommunikation als performative Akteure auf die perfor-mativen Äußerungen anderer beziehen, und allenfalls mittelbar auf deren »authenti-sche« Überzeugungen.

Mit dieser sozialkonstruktivistischen Perspektive auf die Bedeutung von Legiti-mität stellt der rhetorische Handlungstyp eine theoretische Alternative dar, die dieWirkung moralischer Argumente unabhängig von individuellen Akteursüberzeu-gungen erklärt (vgl. auch Krebs/Jackson 2007: 41f). Mit anderen Worten: der Wir-kung moralischer Argumente stehen mehr kausale Pfade zur Verfügung als nur derdes wertrationalen Handelns. Überzeugung durch Verständigung ist hier ein denkba-rer Mechanismus, Verhaltensanpassungen angesichts rhetorischen Drucks ein ande-rer. Die Strategie, einen Handlungstyp unter den anderen zu subsumieren, mag derontologischen Einheitlichkeit dienen (Müller 2004). Sie sollte aber nicht dazu ver-

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wendet werden, empirische Fragen per definitionem zu entscheiden. Im Sinne derFeststellung Jeffrey Checkels, dass »norms sometimes constrain, and sometimesconstitute« (1997: 473), muss die Frage nach dem Verhältnis von Handeln und sozi-alen Normen empirisch geklärt werden. Deshalb können und müssen auch die bei-den Argumentationstheorien als konkurrierende Hypothesen aufgefasst werden,zwischen denen rein analytisch nicht entschieden werden kann.

5. Die Rekonstruktion von Verständigung: Bessere Argumente und bessere Akteure

Doch auch in der empirischen Untersuchungsanlage der »Diskurstheorie internatio-nalen Regierens« schlägt sich die Tendenz zur Moralisierung nieder. Denn um ihreempirische These zu belegen, kleine »Inseln der Überzeugung« seien für die Aus-handlung des IStGH entscheidend gewesen, entwickelt Deitelhoff ein vernunftphilo-sophisch voraussetzungsreiches Untersuchungsdesign. Hintergrund dieser Strategieist erstens der – freilich nicht unumstrittene24 – Befund ihres Forschungsprojektsunter Risse und Müller (siehe Abschnitt 2), Verständigungsprozesse ließen sichempirisch nicht feststellen, da sich Handlungsorientierungen methodisch nicht über-prüfen lassen (Deitelhoff 2006: 150f; Müller 2007: 214f).25 Zweitens geht die Auto-rin, wie oben dargelegt, von einer konzeptionellen Überlegenheit der Verständi-gungstheorie gegenüber der Theorie des rhetorischen Handelns aus. Als Konsequenzwird die rhetorische Hypothese gar nicht erst ins Untersuchungsdesign aufgenom-men (Deitelhoff 2006: 149-156). Statt dessen werden Inseln der Überzeugung durchnegatives Schließen nachgewiesen: Positionswechsel, die sich nicht mit derursprünglichen Interessenkonstellation der Verhandlungspartner oder den Interessender mächtigsten Staaten (vornehmlich der USA) korrelieren, gelten als verständi-gungsbasiert (Deitelhoff 2006: 149-152). Einer ähnlichen Beweisführung ex nega-tivo bedient sich auch Risse, der in seinem bekannten Aufsatz »Let’s Argue!« nach-weist, dass Gorbatschows Gesinnungswandel in den 2+4-Gesprächen in Bezug auf

24 Saretzki kritisiert, die Forschungsgruppe um Müller und Risse habe ihre methodischenSchwierigkeiten vorschnell dahingehend verallgemeinert, argumentative Einstellungenließen sich nicht empirisch nachweisen. Dieser methodologische Befund könne auch aufBesonderheiten der Datenlage, der Fallauswahl oder der Methodenwahl gelegen haben(2007: 134f). Vgl. außerdem Schimmelfennig (2003a: 204f), der Verhaltensindikatorenangibt, die einen indirekten Rückschluss auf argumentative Einstellungen zulassen.

25 Damit hängt Deitelhoff die Latte freilich auch sehr hoch, denn sie verlangt von ihrenIndikatoren einen »zweifelsfreien Nachweis« (vgl. 2006: 151), dass Überzeugung statt-gefunden hat. Hier sei aber darauf hingewiesen, dass die Interviewdaten, die in der Stu-die präsentiert werden, durchaus den starken Verdacht nahe legen, dass in derAushandlungsgeschichte des IStGH erfolgreich »Inseln der Überzeugung« geschaffenwurden (Deitelhoff 2006, Kap. 6.4).

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den NATO-Beitritt eines vereinigten Deutschlands nicht oder nicht vollständig aufäußeren Zwang zurückzuführen ist (Risse 2000: 24).26

Freilich ist ein rein negatives Verfahren nicht ganz befriedigend, selbst wenn mandie Argumente für den Ausschluss theoretischer Alternativen als schlüssig aner-kennt. Denn ihm fehlen positive Anhaltspunkte dafür, dass in einer internationalenVerhandlung tatsächlich moralische Überzeugung am Werk war. Doch wenn derintrapsychische Prozess der Überzeugung sich nicht beobachten lässt, wie kannVerständigung in internationalen Verhandlungen dann überhaupt positiv identifi-ziert werden? Hier bleibt nur die Alternative, Verständigung im Nachhinein amInhalt eines Verhandlungsergebnisses fest zu machen: Es muss ein vernünftigerKonsens zustande gekommen sein, in dem sich das bessere Argument durchgesetzthat. Der »Sieg des besseren Arguments« verbleibt damit als einziger positiver Indi-kator für verständigungsorientiertes Handeln.

5.1. Begründungsproblem und Methodenproblem: Was ist das »bessere Argument«?

Laut Risse kann die kritische Aufgabe der Diskurstheorie, einen bloß faktischen voneinem gültigen, »vernünftigen« Konsens zu unterscheiden, auf handlungstheoreti-scher Ebene eine empirisch-analytische Funktion übernehmen (Risse 2000: 17).Dies möchte sich Deitelhoff in ihrer Untersuchung zunutze machen. Wo sich zeigenlässt, dass Positionswechsel von Verhandelnden mit den besseren Argumenten inEinklang sind, kann eine vernünftige und verständigungsbereite Einstellung derSprecher angenommen werden, so ihre Erwartung. Damit steht sie allerdings voreiner Herausforderung, die Anhänger des Verständigungsansatzes lange vermiedenhaben: den Begriff des besseren Arguments (vgl. bspw. auch Risse et al. 2002: 12)explizit mit Inhalt zu füllen. Hier fehlt eine Methode, um einen vernünftigen Kon-sens inhaltlich zu bestimmen. Deitelhoff füllt diese Lücke nun ganz im Sinne Haber-mas’ und identifiziert das bessere Argument als das besser universalisierbare Argu-ment, denn »[b]ei moralischen Normen sind nur die Argumente ausschlaggebend,

26 Dieser systematische Ausschluss machtbasierter Erklärungen geht über frühere Arbeitenzu Verständigungshandeln hinaus. So wurde im Spiralmodell der Menschrechtsdurchset-zung der Forschungsgruppe Menschenrechte Verständigung zwar als notwendiger Sozia-lisationsmechanismus postuliert, der »normverletzende Staaten« zum rechtsstaatlichenWandel bewegt (Risse/Sikkink 1999; Risse et al. 2002). Doch wurde diese These wedergegen die rhetorische Hypothese noch gegen machtbasierte Erklärungen abgesichert, dadas Spiralmodell bis zur letzten Sozialisationsphase auch auf rhetorischem und materiel-len Druck beruht (Schimmelfennig 2003a: 225; Schröder 2003: 27-33).

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die einen Universalisierungstest bestehen« (2006: 151).27 Bei genauerer Betrachtungstellt sich jedoch heraus, dass auch diese inhaltlich vorgehende »positive Identifika-tion« (Deitelhoff 2006: 152) von Verständigung nicht trägt, sondern im Gegenteil zueiner verdeckten Moralisierung der Analyse führt.

Dass Verständigungsprozesse zu tendenziell universelleren Normen führen sollen,ist ein Element der Habermasschen Diskurstheorie, das in den IB bislang keine Auf-merksamkeit gefunden hat. Es ist jedoch Teil der erwähnten kontrafaktischen Ideali-sierung, die den vernünftigen Diskurs im Verständigungsansatz kennzeichnet.Durch diese Denkoperation unterstellen Sprecherinnen wie gezeigt eine idealeSprechsituation, in der nicht Machtverhältnisse, sondern nur gute Gründe zählen.Teil dieser idealen Sprechsituation ist nun weiterhin ihr Bezug auf eine »idealeKommunikationsgemeinschaft«. Wertebezogene Argumente richten sich ihrerLogik nach nicht nur an die kontingente Auswahl von Adressatinnen, die an einerkonkreten Debatte beteiligt sind, sondern an »alle potenziell Betroffenen« (Deitel-hoff 2006: 95; Risse 2000: 10). Vernünftig Argumentierende transzendieren so ihrekonkrete Gemeinschaft und unterstellen idealiter eine unbegrenzte, gleichsam vonKontingenz befreite Zuhörerschaft. Verständigungsprozesse unterliegen damit denStandards universalisierenden Begründens, denn der Prüfstein für die Güte vonmoralischen Argumenten ist deren Verallgemeinerbarkeit auf alle denkbaren Kon-texte (Habermas 1999: 259). Ein Konsens ist dagegen nicht rational akzeptabel,wenn er einfach einen gemeinsamen Nenner aus den vorgehenden Überzeugungender jeweiligen Diskurspartner bildet (Habermas 1992: 30f; Risse 2000: 7).

Das Universalisierungskriterium soll es der Sozialwissenschaftlerin nun ermögli-chen, unter mehreren konkurrierenden Argumenten das besser universalisierbare zuermitteln. Hier stößt sie aber schnell auf das begründungstheoretische Problem, dassUniversalisierbarkeit ein rein formaler Indikator und inhaltlich unterbestimmt ist(Kratochwil 1989: 132-138). Damit lässt sich beispielsweise nicht entscheiden, obin der internationalen Politik das Souveränitätsprinzip oder Menschenrechte univer-sell gelten sollen (Wiener 2007a: 186). Beide Kandidaten für eine globale Grund-norm lassen sich a priori gleichermaßen universalisieren. Wie setzt eine Handlungs-theorie, die sich ganz wesentlich auf den viel beschworenen »zwanglosen Zwangdes besseren Arguments« in der internationalen Politik stützt, die Bestimmung die-ses universelleren Argumentes methodisch um? Diese Frage taucht in Beiträgenzum verständigungsorientierten Handeln bezeichnender Weise überhaupt nicht auf.Die Identifikation des besseren Argumentes scheint hier gänzlich fraglos und wirdnicht problematisiert. So ist es beispielsweise für die Forschungsgruppe Menschen-

27 Die Verallgemeinerungsmaxime charakterisiert bei Habermas »moralische« gegenüber»pragmatischen« und »ethischen« Diskursen. Pragmatische Diskurse beziehen sich aufdie Wahl der richtigen Handlungsmittel, um ein bestimmtes Handlungsziel zu erreichen.Ethische Diskurse betreffen die individuelle Verwirklichung des guten Lebens. Diesebeiden Diskursarten liegen also auf der persönlichen und nicht auf der sozialen bzw.politischen Ebene (wie »moralische« Diskurse). Politische Verhandlungen, in denen esum die Rechtfertigung kollektiver Handlungsnormen geht, sind dagegen in Habermas'Terminologie moralische Diskurse, unterliegen also dem Universalisierungsgrundsatz(Habermas 1991).

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rechte um Risse klar, dass Menschenrechts-Argumente die besseren Argumentesind, und eine Berufung »normverletzender Regierungen« auf das Souveränitäts-prinzip allenfalls ein rhetorisches Ablenkmanöver sein kann (Risse et al. 2002: 39).

Indes, auch Deitelhoff geht in dieser Frage eher ad hoc vor. Sie erachtet verallge-meinerungsfähige Argumente als solche, die »progressiv« und »prinzipiengeleitet«sind, was in ihrer Arbeit vornehmlich auf die Gründe zugunsten eines starken IStGHzutrifft. Weniger universalisierbare Argumente macht sie daran fest, dass sie sichkonservativ an Machbarkeitskriterien orientieren und beispielsweise den Einwandvorbringen, ein starker Internationaler Strafgerichtshof fände keine internationaleAkzeptanz (Deitelhoff 2006: 213-219). Dies sind üblicherweise die Argumentemächtiger Staaten (Deitelhoff 2007: 42). Die implizite Prämisse dieser Beurteilungist freilich, dass »deontologische« moralische Argumente, also solche, die durchRekurs auf »Prinzipien« gerechtfertigt werden, am besten verallgemeinerungsfähigsind (vgl. Deitelhoff 2006: 40-43). Machbarkeits- und Effektivitätskriterien hält dieAutorin demgegenüber für moralisch unterlegen, sie stünden für ein »politisches,machtkonservierendes Modell« (2006: 216). Deitelhoffs Skepsis gegenüber Argu-menten, die den Mächtigen nützen, kann man teilen. Man kann dem aber auch ent-gegen halten, dass sich auch Machbarkeitskriterien moralisch rechtfertigen lassen,nämlich durch eine »teleologische« Moralbegründung, die die Konsequenzen vonHandlungsnormen zum Maßstab nimmt.28 Beide Arten von Gründen – deontologi-sche wie teleologische – werden moralphilosophisch vertreten (vgl. Rawls 1979:42f) und können argumentativ erfolgreich sein (Elster 1992: 31-39). Und sie kön-nen, sofern sie als richtig angesehen werden, auch gleichermaßen universalisiertwerden. Die moralische Entscheidung, die Deitelhoff hier trifft, ist also eine sub-stantielle Entscheidung, die zum formalen Universalisierungsgrundsatz quer stehtbzw. nicht auf ihn reduzibel ist.29

Dass Deitelhoff die Suche nach dem besser verallgemeinerbaren Argument mitkonkreten Wertvorstellungen füllt, ist kein Zufall. Denn das universalisierendeBegründen ist, wie beispielsweise Charles Larmore in seiner Kritik an Habermaszeigt, immer schon auf vorgängige Wertmaßstäbe angewiesen. Die von Habermas

28 Eine solche konsequentialistische moralische Argumentation legt beispielsweise HaraldMüller vor, der sich aus friedenspolitischer Perspektive gegen eine »liberale Selbster-mächtigung« zu Weltordnungskriegen ausspricht. Sein Plädoyer gegen einen »überschie-ßenden Kosmopolitismus« verweist auf dessen schädliche Konsequenzen: WestlicheBesserwisserei unterminiere die Verständigungsbereitschaft in weniger privilegiertenTeilen der Erde und damit die normativen Grundlagen des Völkerrechts. Ein Kosmopoli-tismus, der zu selbstgewiss auf den »richtigen« Prinzipien verharrt, wirke also letztlich»gewaltfördernd« (Müller 2007: 216-223).

29 Neben ihrer Bevorzugung nicht-konsequentialistischer Normbegründungen verweistDeitelhoff noch auf eine weitere Qualität von Argumenten, die sie in ihren Augen mehroder weniger universalistisch machen: die Frage, ob sie gemeinwohlorientiert oder parti-kularistisch sind (2007: 43f). Die dahinter stehende Annahme, dass gemeinwohlorien-tierte Argumente in öffentlichen Debatten erfolgreicher sind als egoistische, ist zwar ausder Forschung zu arguing bekannt und gilt für rhetorische wie verständigungsorientierteDiskurse gleichermaßen (Elster 1992: 15). Doch auch diese Erfahrungstatsache stehtquer bzw. unverbunden zum formalen Universalisierungsgrundsatz und impliziert bereitsinhaltliche Vorstellungen darüber, was ein »gutes« Argument ausmacht.

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geforderte Begründbarkeit eines moralischen Anspruchs in allen denkbaren Kontex-ten ist dagegen schlicht denkunmöglich (Larmore 1993: 322). Denn wie sollte dergleichsam »standpunktlose Standpunkt« einer idealen Sprechsituation argumentie-rend eingenommen werden, in der ja gerade die Begründungsressourcen lebenswelt-licher Überzeugungen (Deitelhoff 2006: 93f) zusammen mit dem Kontext derLebenswelt wegfallen? »Idealisierung« kann allenfalls bedeuten, dass man die Gül-tigkeit der bereits verinnerlichten Wertmaßstäbe verallgemeinert (Larmore 2001:110). Der Anspruch, über das bessere, »gültigere« Argument kontext- und stand-punktunabhängig zu debattieren und zu befinden, kann logisch dagegen gar nichteingelöst werden.30

Dieses Begründungsproblem der Kritischen Philosophie stellt für die handlungs-theoretische Analyse von Verhandlungsprozessen also ein zentrales methodischesProblem dar: Welchen moralischen Maßstab soll und kann man anlegen, um ver-nünftige Verhandlungsergebnisse von »falschen« Konsensen zu unterscheiden?Umso erstaunlicher ist es, dass Verständigungstheoretiker die Frage, wie sich dasbessere Argument und ein gültiger Konsens empirisch identifizieren lassen, nichteinmal stellen (Hawkins 2004: 784). Die vermeintliche Objektivität des Universali-sierungskriteriums, das Deitelhoff in ihrer Arbeit einführt, verdeckt nur schlecht,dass für die Theoretikerin von Beginn an feststeht, wie ein vernünftiger Konsensauszusehen hat, und sie den Grundsatz der »prinzipiellen Offenheit« deliberativerDiskurse (Herborth 2007: 153f) auf empirischer Ebene aufgeben muss.

5.2. Die Konsequenz: Normdurchsetzung anstelle von Normgenese

Die Diskurstheorie betont die konstruktive Leistung der Argumentation und möchteerklären, wie Akteure angesichts umstrittener und problematisch gewordener Nor-men neue Situationsdeutungen und Normen hervorbringen (Deitelhoff 2006: 90-94).Demgemäß beansprucht die Theorie des verständigungsorientierten Handelns insbe-sondere dort eine, anderen Handlungstheorien überlegene, Expertise, wo Analytikeres mit »Dynamik und Wandel« (Deitelhoff 2006: 88) im internationalen Normenge-füge zu tun haben. Doch ist, wie gezeigt, der Anspruch, Argumentation als dyna-misch und als prinzipiell offen zu konzipieren, empirisch-analytisch schwer einzulö-sen. Denn aus verständigungstheoretischer Sicht »kann sich die Antwort – und dasist zugleich auch die Pointe –, welches Argument in einem Diskurs sich letztlich alsüberzeugungsfähig erweist, nur innerhalb des Diskurses aus der Perspektive derbeteiligten Akteure ergeben, nicht aber von einem außenstehenden Beobachter prog-nostiziert werden« (Deitelhoff 2006: 95f; vgl. auch Holzinger 2001: 252; Payne2001). Was Deitelhoff hier für die Prognosefähigkeit des Verständigungsmodellseinräumt, trifft auch auf die nachträgliche Rekonstruktion internationaler Verhand-

30 Eine kontextlose Kommunikationsgemeinschaft wäre nicht zuletzt konfliktfrei undbedürfte der Verständigung von vornherein nicht. Tietz verweist diese vermeintlich »kri-tische« und demokratische Idee daher in den »vorkritischen« Bereich der Metaphysik(Tietz 1993: 339f).

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lungen zu: Um aus der Beobachterperspektive festzustellen, dass bestimmte Argu-mente akzeptabler und besser sind oder waren als andere, braucht es evaluative Kri-terien, die über den Formalismus der Verallgemeinerungsfähigkeit hinausgehen.

In Ermangelung dieser Kriterien haben Verständigungstheoretiker sich daraufverlegt, Verständigung als einen einseitigen Überzeugungs- bzw. Sozialisationspro-zess zu begreifen. Nicht die reziproke Hervorbringung konsensfähiger Normen istGegenstand ihrer empirischen Analysen, sondern die Durchsetzung von normativen»Ergebnissen, die inhaltlich bereits festzuliegen scheinen« (Niesen 2007: 17; vgl.Herborth 2007: 153). Am deutlichsten bezeichnet mittlerweile Risse Argumentationund die damit einhergehende Überzeugung als »Mechanismen zur Sozialisation vonAkteuren in neue Regeln« (2007: 78), sprich: als eine Technik zur Erzeugung voncompliance mit vorab fest stehenden Normen – wie etwa dem globalen Menschen-rechtsregime (Risse et al. 2002). Auch Deitelhoff identifiziert Verständigung inihrem Modell internationaler Normgenesen mit der Durchsetzung konkreter Nor-men – derjenigen Normen nämlich, die von nichtstaatlichen Normunternehmern(und ihren gleichgesinnten Regierungen) propagiert werden. Erfolgreiche Verstän-digung wird in ihrer Studie gleichbedeutend mit den Überzeugungserfolgen derKampagne für einen Internationalen Strafgerichtshof (Deitelhoff 2006: 140-148).Folglich erwartet die Autorin, »dass Normunternehmer gezielt normative und insti-tutionelle Verknüpfungen konstruieren, um einen rationalen Diskurs zu ermögli-chen, innerhalb dessen Staaten als Normadressaten sich wechselseitig überzeugenkönnen« (Deitelhoff 2006: 147, meine Hervorh.). Hier wird eine klare Arbeitstei-lung vorgenommen zwischen Normunternehmern, die ihre normativen Präferenzennicht zur Disposition stellen, und Normadressatinnen als denjenigen, die einseitigüberzeugt werden bzw. »sich« von der Richtigkeit der ihnen anheim gestelltenNorm überzeugen dürfen.

Eine solche Verschränkung der Verständigungstheorie mit der Normdurchset-zungsperspektive muss unvermeidlich moralisch Partei ergreifen. Denn aus verstän-digungstheoretischer Sicht sind ja Argumente gerade nicht schon deshalb überzeu-gend, weil sie mit einer konkreten – und historisch kontingenten – Identitätverknüpft sind, die Normadressaten für erstrebenswert halten (Risse/Sikkink 1999:11). Diese identitätsbezogene Perspektive der Sozialisationstheorie ersetzt die Ver-ständigungstheorie mit der Universalität bzw. moralischen Unbedingtheit des »bes-seren« Argumentes. Implizit unterstellt ein solches Vorgehen, die vom Forscheridentifizierte Sozialisationsagentur – seien es NGOs (Deitelhoff 2006: 132), sei esdie »westliche Staatengemeinschaft« (Risse et al. 2002: 24) – propagiere genau dieNorm, die sich im universalisierenden Diskurs als gültig erweist (vgl. Humrich2006: 84f). Problematisch ist diese moralische Parteinahme deshalb, weil sie vonVerständigungstheoretikern nicht als solche kenntlich gemacht wird. Der vermeint-lich neutrale und objektive Maßstab der Universalität verdeckt, dass in Aussagenüber den Sieg des »besseren Argumentes« die normativen Präferenzen der theoreti-schen »Beobachterin« in die empirische Analyse mit einfließen. Die derart morali-sierte Analyse verschließt sich durch diese Objektivierung von vornherein – undparadoxerweise aus diskurstheoretischer Sicht – der normativen Kritik.

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6. Fazit und Ausblick

Sozialwissenschaft ist ohne normativen Standpunkt nicht zu haben. Dies gilt auchfür die Forschung zur Durchsetzung internationaler Normen. Schon die empirischeEntscheidung, Normen als faktisch geltend zu identifizieren und in der Analyse zureifizieren (Hasenclever 2001; Risse et al. 2002; Schimmelfennig 2003a; als KritikWiener 2007b), ist eine Form der Parteinahme. Diese Parteinahme nicht selbst alssystematischen Bestandteil der Analyse zu berücksichtigen, ist aus Habermas’ Sichteine unzulässige »empiristische Verkürzung« (Habermas 1995a: 51). Das Modelldes Verständigungshandelns zieht hieraus die radikale Folgerung, Beobachtungsaus-sagen und Werturteile systematisch zu verschränken. In diesem Aufsatz ging esdarum, einige grundsätzliche Probleme herauszuarbeiten, die sich aus dieser analyti-schen Verschränkung ergeben, und die in der Habermas-Rezeption der deutschen IBbislang vernachlässigt wurden: Indem die Verständigungstheorie der IB von Haber-mas die Verschränkung von moralisch-rechtfertigender und empirisch-analytischerPerspektive übernimmt, riskiert sie einen moralistischen Fehlschluss vom Sollen aufdas Sein. Dieser unterläuft beispielsweise da, wo moralische Argumente zur Ent-scheidung handlungstheoretischer Kontroversen herangezogen werden. Bei derempirischen Analyse wird diese theoretische Doppelbödigkeit dann problematisch,wenn die moralischen Gehalte internationaler Debatten als Indikator für die Einstel-lungen der Debattierenden verwendet werden, sprich: wenn es den Sieg des besserenArguments zu »beobachten« gilt. Statt eine Methode anzugeben, wie sich das bes-sere Argument theoretisch bestimmen oder moralisch rechtfertigen lässt, ergreifendie Analytikerinnen implizit Partei für die Positionen, die sie für normativ richtighalten.

Diese Schwierigkeiten der Verständigungstheorie verdeutlichen die sozialwissen-schaftliche Notwendigkeit, die Trennung zwischen empirisch-analytischer und nor-mativ-kritischer Ebene zu bewahren und ihre Wechselwirkungen reflexiv offen zulegen. Da diese methodische Trennung stets prekär ist, ist reflexive Transparenz kei-neswegs ein geringer Anspruch,31 jedoch gerade für die Forschung über globaleWertekonflikte ein wichtiges Ideal. Denn sie gewährt die Offenheit für unerwarteteund »befremdliche« empirische Entdeckungen und die Kritisierbarkeit der eigenenWerturteile. Harald Müllers jüngst vorgebrachtes Plädoyer, substanzielle Argu-mente in einer »Topik internationaler Beziehungen« (Müller 2007: 221; Hervorh.dort) explizit zu erforschen, ist daher nur zu begrüßen.

Die problematischen normativ-kritischen Implikationen des Verständigungsmo-dells schmälern an sich noch nicht seine handlungstheoretische Erklärungskraft.Doch wie gezeigt ist der Anspruch, moralische Überzeugung empirisch nachzuwei-sen, methodisch nur schwer einzulösen. Für die »Überzeugtheit« der Verhandelndenkönnen zwar indirekte Indikatoren formuliert werden. Als Anhaltspunkt für eine»authentische« Wertorientierung von Argumentierenden lässt sich beispielsweise

31 Der zudem aufgrund der »relative[n] epistemologische[n] Abstinenz der deutschen For-scherinnengemeinschaft« (Mayer 2003: 89) selten thematisiert wird.

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überprüfen, ob diese in verschiedenen öffentlichen und privaten Kontexten diesel-ben normativen Einstellungen an den Tag legen (Ecker-Ehrhardt 2002; Schimmel-fennig 2003a: 204f; Müller 2004: 417). Gewissheit über Akteurseinstellungen ver-schafft natürlich auch dieses Vorgehen nicht, doch ist es im Mindesten nicht somoralphilosophisch aufgeladen wie der Indikator des »vernünftigen Konsenses«.

Zuletzt muss hier aber die grundsätzlichere Frage nach dem Beitrag der Hand-lungstheorie zur Normenforschung in den IB gestellt werden. Denn wie in diesemBeitrag klar wurde, kann die IB-Debatte über die Authentizität wertegeleiteten Han-delns und wahrhaftige, »tiefe« Überzeugung nur begrenzt dazu beitragen, Werte-konflikte und normativen Wandel zu untersuchen. So besteht erstens kein zwingen-der Zusammenhang zwischen (handlungstheoretischen) Akteurseinstellungen unddem (normativ-kritischen) Wert von Argumenten. Auch von »schlechten« Gründenkönnen Sprecherinnen aufrichtig überzeugt sein, und umgekehrt können auch eigen-nützig vorgebrachte Argumente einer diskursiven Prüfung standhalten. Diese Kritikkann nicht auf handlungstheoretischer Ebene erfolgen, sondern bedarf einer logisch-kritischen Methode, wie sie beispielsweise der pragma-dialektische Ansatz derArgumentationstheorie bietet (Heppt 2007). Zweitens ist das verständigungstheore-tische Projekt, Normgenesen als Lernprozesse auf der Mikroebene zu erklären, mitgroßen Schwierigkeiten behaftet. Dies liegt nicht nur an dem oben ausgeführtenmethodischen Problem, das die Frage nach dem besseren Argument den Blick aufdie Durchsetzung »guter« Normen lenkt. Hier stellt sich vielmehr auch das sozial-theoretische Problem, ob Normen als intersubjektives Phänomen auf der Mikroe-bene überhaupt adäquat erfasst werden können. So zeigen diskursanalytische Arbei-ten in der Tradition Foucaults, dass internationale Normgenesen historischkomplexe und pfadabhängige Prozesse sind (Bartelson 1995; Price 1997). Normati-ver Wandel ist immer auch ein langfristiger und makrosozialer Prozess, der sich nurbegrenzt individuellen Einstellungswechseln verdankt. Ebenso wichtig wie diehandlungstheoretische Frage, welche Art von Rationalität normenkonformem Ver-halten wann zugrunde liegt, ist daher die Frage nach dem historischen und institutio-nellen Kontext, in dem Normen gelten und sich wandeln.

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187Zeitschrift für Internationale Beziehungen15. Jg. (2008) Heft 2, S. 187–208

Brigitte Young

Die Globale Politische Ökonomie der Mikrofinanzprogramme Ideeller Institutionalismus als Erklärungsansatz für den Wandel der Normen in der Entwicklungsfinanzierung

Die Intention des vorliegenden Aufsatzes ist es, anhand des ideellen Institutionalismusdie Popularität der Mikrofinanzprogramme seit den 1990er Jahren zu erklären. Wäh-rend sich die Fachliteratur in zwei stark polarisierende Lager teilt, die einerseits voneinem Win-win Szenario ausgeht und andererseits auf einer Kapitalismuskritikbasiert, versucht der vorliegende Ansatz, die Popularität der Mikrofinanzprogrammeals einen gemeinsamen Wandel der Ideen in der Entwicklungspolitik und der Entwick-lungsfinanzierung zu interpretieren. Ausgehend von den theoretischen Einsichten desideellen Institutionalismus wird gezeigt, dass sich die Popularität von Mikrofinanz-programmen in den 1990er Jahren durch die Konvergenz von drei ideellen Trendserklären lässt. Erstens durch den Paradigmenwechsel der Weltbank in der Definitionvon Armut, des Weiteren durch den normativen Wandel der Verankerung des gendermainstreaming-Ansatzes in der Entwicklungspolitik und schließlich durch den Wech-sel in den Grundüberzeugungen von ehemals staatszentrierter Entwicklungsfinanzie-rung hin zu mehr privaten und mikroökonomischen Strategien.

1. Mikrofinanzprogramme als Strategie der Armutsbekämpfung1

Mit der Verleihung des Friedensnobelpreises 2006 an Mohammad Yunus und dervon ihm gegründeten Grameen Bank sowie dem von den Vereinten Nationen 2005ausgerufenen »Internationalen Jahr der Mikrokredite« wurde das Konzept der Klein-kredite für die Ärmsten auf die internationale Agenda gesetzt.2 Durch die Vergabeder Auszeichnung an einen Bankier hat das Nobelpreiskomitee bewusst einenZusammenhang zwischen Weltfrieden und Armutsbekämpfung signalisiert. Armutsei eine Gefahr für Frieden, Sicherheit und globale Entwicklung.3 MuhammadYunus forderte in seiner Friedensnobelpreisdanksagung, den Zugang zu Kleinkredi-ten für die Ärmsten zu einem Menschenrecht zu deklarieren. Mikrokredite sind nachden Aussagen des Bangladeschers ein Mittel zur Förderung von ökonomischer und

1 Ich danke Anthony McGrew und den Mitgliedern der Global Governance, Regionalisa-tion and Regulation Network of Excellence (GARNET) Konferenz »Global Financial andMonetary Governance, the EU, and Emerging Market Economies« in Amsterdam(2006), Antje Wiener, Grahame Thompson, Phil Cerny, Geoffrey Underhill, DanielMügge, sowie der ZIB-Redaktion und den anonymen Gutachterinnen und Gutachtern fürtheoretische Anregungen und Literaturhinweise.

2 Http://nobelprize.org/nobel_prizes/peace/laureates/2006; 18.9.2008.3 Http://nobelprize.org/nobel_prizes/peace/laureates/2006/press.html; 18.9.2008.

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Aufsätze

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sozialer Entwicklung »von unten« und ein wichtiges policy-Instrument, um die glo-bale Armut bis 2015 zu halbieren, die Rechte der Frauen in ihren Familien und in derGesellschaft zu stärken (empowerment) und gleichzeitig die Demokratie zu fördern.4

Politiker, wie Hillary und Bill Clinton, kapitalistische Philanthropen, wie Micro-soft-Firmengründer Bill Gates und Ebay-Gründer Pierre Omidyar, bis hin zum ehe-maligen VN-Generalsekretär, Kofi Annan, und viele internationale Entwicklungsor-ganisationen, wie z. B. die Weltbank, sind vereint in dem Glauben, dass Mikrokrediteeinen wesentlichen Beitrag zur Armutsbekämpfung leisten können.5 Die Vergabevon Mikrokrediten wird als Strategie zur Verbesserung der Lebensbedingungen derArmen gesehen, insbesondere von armen Frauen, denen durch Kleinkredite zumKauf einer Kuh, eines Webstuhls oder eines Mobiltelefons verholfen wird.

Die Euphorie in der Bewertung der Mikrokreditbewegung ist aber nichtbeschränkt auf internationale Hilfsorganisationen, Philanthropen und hochrangigePolitiker. Zunehmend treten Großbanken, Versicherungen, finanzielle Anleger undInvestmenthäuser, wie z. B. die Deutsche Bank, Citigroup, Commerzbank, Hong-kong and Shanghai Banking Corporation oder ABN Amro, als Befürworter undGründer von Mikrofinanzinstituten auf (Deutsche Bank Research 2008).6 Da Frauenaufgrund ihrer hohen Rückzahlungsquote im Vergleich zu vielen Unternehmen alsminimales Kreditrisiko eingestuft werden und der Zahlungsverzug äußerst geringist, haben finanzielle Investoren erkannt, dass »banking on women«7 eine durchausprofitable Strategie und gleichzeitig eine Form von Entwicklungshilfe sein kann.

Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich vor allem mit der Frage, warum Mikrofi-nanzprogramme diese Popularität in der Entwicklungspolitik seit den 1990er Jahrenerreichen konnten. Die Fachliteratur zu Mikrofinanzen, die in den letzten Jahrenexponentiell angestiegen ist, spaltet sich einerseits entlang eines rational-choice-Ansatzes des methodologischen Individualismus, der vor allem ein Win-win Szena-rio betont, und eines kapitalismuskritischen Ansatzes andererseits auf. Die Befür-worter des Win-win Szenarios betonen – gemessen anhand der hohen Rückzahlungs-quote der Kleinkredite – die ökonomischen Anreize bei der Vergabe derMikrokredite an ärmere Bevölkerungsschichten, die als Zielgruppe ohne Land oderBesitz als Sicherheitsrisiko vom formalen Bankensektor ausgeschlossen sind. Erstdurch den subventionierten Zugang zu Kleinkrediten eröffnet sich für diese Gruppe,insbesondere für ärmere Frauen, eine nachhaltige Entwicklungsperspektive.8

Dieses Win-win-Szenario wird wiederum aus einer kapitalismuskritischen Pers-pektive in Frage gestellt. Während die meisten KritikerInnen zwar zustimmen, dassder Zugang zu Krediten ein wichtiger Schritt für ärmere Frauen ist, reiche dieser

4 Frankfurter Rundschau, 16.11.2006: 10; vgl. UNCDF (2005).5 Http://web.worldbank.org/WBSITE/EXTERNAL/COUNTRIES/SOUTHASIAEXT/0,,

contentMDK:21153910~pagePK:2865106~piPK:2865128~theSitePK:223547,00.html;18.9.2008.

6 The Economist, 5.11.2005.7 Financial Times, 13.2.2006: 10.8 Microcredit Summit Campaign Report (2006, 2007); Deutsche Bank Research (2008);

Matthäus-Maier/von Pischke (2006); Rahman (1999); Deutscher Bundestag (2005).

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Brigitte Young: Die Globale Politische Ökonomie der Mikrofinanzprogramme

189ZIB 2/2008

aber weder aus eine finanzielle Nachhaltigkeit zu garantieren noch könnten dadurchdie traditionellen asymmetrischen Geschlechterverhältnisse, die in den gesellschaft-lichen Verhältnissen eingebettet sind, transformiert werden (Hanak 2000; Mayoux2000, 2001; Goetz/Sen Gupta 1996; Scully 1997; Lucarelli 2005).9 Darüber hinauswird moniert, dass der empowerment-Diskurs, der in den Mikrofinanzprogrammenzu finden ist, nichts anderes ist, als eine Verschleierung der Machtverhältnisseinnerhalb der Weltwirtschaft zuungunsten der ärmeren Entwicklungsländer undBevölkerungsschichten. Deshalb wird die Strategie der marktorientierten Mikrofi-nanzierung nur als ein weiterer disziplinierender Hebel einer derzeit vorherrschen-den neoliberalen Rationalität interpretiert, der insbesondere ärmere Frauen in denEntwicklungsländern in den Bann der voranschreitenden globalen Ökonomisierungzieht (Fernando 2006; Weber 2002, 2004, 2006; Brigg 2006; Rankin 2002).

Dieser Artikel unterscheidet sich von den soeben kurz skizzierten strukturalisti-schen und rational-choice-Ansätzen und versucht vielmehr zu erklären, wie dieMikrofinanzprogramme diese explosionsartige Entwicklung in der Armutsbekämp-fung in den 1990er Jahren erreichen konnten. Im Gegensatz zu den stark normativgeprägten Ansätzen der Befürworter und der Kritiker der Mikrofinanzprogrammesteht im vorliegenden Aufsatz vielmehr der Wandel der Ideen in der Entwicklungs-finanzierung und der Entwicklungspolitik im Vordergrund. Auf der Basis des ideel-len Institutionalismus nach John Campbell (1998) wird die Genese der Mikrofinanz-programme durch die Konvergenz dreier ideeller Trends erklärt. Erstens ist dieMikrofinanzstrategie in der Weltbank durch einen akteurszentrierten internen Wan-del der Ideen im Hinblick auf die Anerkennung der sozialen Dimension für dieArmutsbekämpfung zu erklären. Des Weiteren hat die Verankerung des gendermainstreaming-Ansatzes in der Beijing Action Platform der Vierten Weltfrauenkon-ferenz 1995 einen normativen Wandel zur Gleichstellung der Geschlechter in derEntwicklungspolitik forciert. Gleichzeitig hat sich ein Wechsel in den Grundüber-zeugungen von ehemals staatszentrierter Entwicklungsfinanzierung hin zu mehr pri-vaten und mikroökonomischen Strategien durchgesetzt.10

Die Betonung der Rolle von Ideen hat im Vergleich zu interessengeleiteten undrationalen Ansätzen den Vorteil, dass aufgezeigt werden kann, wie einerseits dieInteressen von Akteuren in der Entwicklungspolitik und -finanzierung durch Ideenbeeinflusst werden und wie Ideen andererseits die politischen Entscheidungen prä-gen. Theoretisch wird im Folgenden anhand des ideellen Institutionalismusansatzeszu erklären versucht, wie Ideen und Institutionen nicht nur als Hemmnis gegenübermöglichen Lösungsstrategien für politische Entscheidungsträger fungieren, sondernwie Akteure innerhalb von Institutionen durch ein symbolisches und diskursives fra-ming von programmatischen Ideen zur konkreten Problemlösung beitragen können.

Dabei wird zum einen analytisch zwischen Entwicklungspolitik und Entwick-lungsfinanzierung unterschieden, zum anderen geht es darum, diese bisher weitge-

9 Eine etwas differenziertere Betrachtung aus anthropologischer Perspektive findet sichbei Naila Kabeer (1998, 2001).

10 Www.un.org/womenwatch/daw/beijing/platform/declar.htm; 18.9.2008.

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hend getrennten Felder in der Entwicklungsforschung zu verbinden. Wie Inge Kaul(1999: 19) monierte, werden Finanzen als arme Verwandte in der Entwicklungspoli-tik behandelt. Umgekehrt zeigen Finanzexperten – bis auf wenige Ausnahmen –kaum Interesse an der Entwicklungspolitik. Um aber die Popularität der Mikrofinan-zierung zu verstehen, muss der Wandel der Ideen und Normen sowohl in der Ent-wicklungspolitik wie auch in der Entwicklungsfinanzierung analysiert werden. Erstdurch die ideelle Wende in beiden Bereichen und durch das Wechselspiel zwischenEntwicklungspolitik und Entwicklungsfinanzierung kann die Popularität der Mikro-finanzen seit den 1990er Jahren erklärt werden.

Im zweiten Abschnitt wird kurz die empirische Entwicklung der Mikrofinanzpro-gramme skizziert, um anhand des quantitativen Anstiegs den Paradigmenwechsel inder Entwicklungsfinanzierung zu verdeutlichen. Im dritten Teil werden dann dietheoretischen Grundlagen des ideellen Institutionalismus vorgestellt. Anschließendbefasst sich der vierte Abschnitt mit dem Wandel der Normen und Ideen in derWeltbank seit den 1980er Jahren, der dazu führte, dass die »soziale Dimension«zum entscheidenden Faktor für die ökonomische Entwicklung wurde. Im fünftenAbschnitt geht es dann um die Verankerung des gender mainstreaming-Ansatzes,der einen normativen Wandel zur Gleichstellung der Geschlechter in der Entwick-lungspolitik forcierte. Dies hatte zur Folge, dass arme Frauen in Entwicklungslän-dern als Zielgruppe der Mikrofinanzierung ins Visier genommen wurden und dasssie als ökonomische Akteurinnen und Kundinnen in Erscheinung traten und nichtmehr als Empfängerinnen von staatlicher Hilfe. Im sechsten Teil wird der Ideen-wandel in der Entwicklungsfinanzierung von einem staatsgebundenen Prozess hinzum Aufbau einer neuen mikroökonomischen Finanzarchitektur analysiert, der dieGrundnormen von Eigeninitiative, Selbstverantwortung, Privateigentum und Effizi-enz als Ersatz für staatliche Abhängigkeit der Armen propagierte.

2. Der explosionsartige Anstieg der Mikrofinanzprogramme seit den 1990er Jahren

Der Begriff Mikrofinanzen ist ein Sammelbegriff für die Erbringung von Finanz-dienstleistungen für arme Bevölkerungsgruppen, die in der Regel von traditionellenBanken nicht mit Finanzdienstleistungen versorgt werden. Das Modell von Mikrofi-nanzen basiert auf der Annahme, dass auch arme erwerbstätige Menschen unterneh-merisch handeln können und grundsätzlich kreditwürdig sind.

»Im Gegensatz zu konventionellen Kreditinstituten vergeben aber Mikrofinanzinstitute(MFIs) Kleinstkredite ohne bankübliche Sicherheiten. Stattdessen findet vielfach dasPrinzip der gruppenbasierten Kreditvergabe Anwendung, das die Kreditvergabe auf wei-tere Mitglieder dieser Gruppe ausdehnt oder die Kredithöhe erhöht. Da die Gruppegesamtschuldnerisch für die fristgerechte Zurückzahlung aller an sie vergebenen Kleinst-kredite haftet, ist die Kreditdisziplin in der Gruppe sehr hoch« (Deutsche Bank Research2008: 5f).

Die Mikrokreditrevolution fing 1976 mit dem Experiment der Grameen Bank inBangladesch an. Der scheinbar unlösbare Konflikt zwischen dem Sicherheitsbedarfder Banken einerseits und der Unfähigkeit der Armen, Sicherheiten nachzuweisen

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Brigitte Young: Die Globale Politische Ökonomie der Mikrofinanzprogramme

191ZIB 2/2008

andererseits, hat Muhammad Yunus11 während der Hungersnot in Bangladesch imJahre 1974 dazu bewogen, kleine Kredite an Gruppen der verarmten Landbevölke-rung zu vergeben, damit sie als Kleingewerbetreibende ihre Existenz sichern konn-ten. Die Ausdehnung der vorerst auf die ärmere Landbevölkerung beschränkten Kre-ditvergabe auf weitere Kreise der ärmeren Bevölkerungsschichten war dann derentscheidende Punkt für den Aufbau der Grameen Bank.12 In der Regel ist die Auf-nahme eines Mikrokredits die einzige Alternative zu inoffiziellen Geldverleihern,die meistens exorbitant hohe Zinssätze für Kleinstdarlehen verlangen (DeutscheBank Research 2008). Wichtig bei dieser Art von Kreditverleih ohne Sicherheit istder Gruppendruck, der die Sicherheitsgarantien an traditionelle Pfandleiher durchverpfändete Güter ablöst. Erst wenn alle Mitglieder die Ziele am Ende des Kreditzy-klus erfüllt haben, kann die Gruppe einen höheren Kredit für die Expansion ihresKleingewerbes anfordern (Isserles 2003). Umgekehrt gilt, dass die ganze Gruppe fürden Rückstand haftet, wenn ein Mitglied der Gruppe die Rückzahlung nicht fristge-mäß tätigt. Schlimmstenfalls wird den Mitgliedern der Zugang zu weiteren Kreditengänzlich gesperrt (Rankin 2002; Morduch 1999). Die offizielle Rückzahlungsquoteder Kredite wird auf der Webseite der Grameen Bank mit 99% angegeben.13 DieseAngabe muss aber durchaus kritisch hinterfragt werden, da die methodischenSchwierigkeiten der Datenerhebungen in ländlichen Gebieten hier nicht mit einkal-kuliert sind.14 The Economist geht deshalb von einer Dunkelziffer der nicht erfasstenRückzahlungen in ländlichen Gebieten aus.

Das Grameen-Bank-Experiment wird vor allem mit der Vergabe von Krediten anarme Frauen assoziiert. Dies war aber nicht immer der Fall. Der weibliche Anteil ander Gesamtklientel der Bank von 1980 bis 1983 betrug 39%. In den Folgejahren hatdieser Trend eine drastische Kehrtwende erfahren, sodass die weiblichen Gläubiger1991-92 bereits über 93% der Gesamtzahl ausmachten, und 2006 waren es dannsogar 99%.15 Diese geschlechtsspezifische Umkehrung geht auf einen Wandel derIdeen in der Armutsbekämpfung hin zur Integration der »sozialen Dimension«, vonder später noch ausführlicher berichtet wird, zurück. Ende der 1990er Jahre hat sichdiese Kehrtwende in der Kreditvergabepraxis in fast allen Kreditinstituten vollzo-gen. In der Zwischenzeit nehmen weibliche Kreditnehmer in Asien bis zu 99% allerMikrokredite in Anspruch, in Latein-Amerika und der Karibik bis zu 59%, in Afrika

11 Grameen Bank bedeutet in der Übersetzung »Dorf Bank«. Die Inspiration für die Gra-meen Bank hat ihre Wurzeln in der deutschen Genossenschaftsbewegung, die Ende des19. Jahrhunderts von Frederick Raiffeisen gegründet wurde, um den ärmeren Bevölke-rungsschichten ein Spar- und Kreditangebot zu gewährleisten.

12 Die Grameen Bank wurde 1983 in eine unabhängige Bank transformiert.13 Die hohe Rückzahlungsquote bei der Grameen Bank wurde nur 1995 durch einen fundamen-

talistischen religiösen Boykott unterbrochen, der sich gegen die Verbesserung der Rolle derFrauen richtete. Wenngleich der Boykott schnell eingestellt wurde, hat diese Aktion auchgezeigt, dass die Stärkung der Frauenrechte (empowerment) weiterhin eine sehr umstritteneAngelegenheit in vielen traditionellen Gesellschaften ist. http://www.grameen-info.org/index.php?option=com_content&task=view&id=26&Itemid=175; 18.9.2006.

14 The Economist, 3.11.2005.15 Www.grameen-info.org/bank/GBGlance.htm; 10.9.2006.

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bis zu 67% und im Mittleren Osten und Nordafrika werden die Mikrofinanzange-bote zu 66% von Frauen aufgenommen (Commonwealth Secretariat 2007: 9).

Die Expansion der Mikrofinanzinstitute und die Anzahl der KreditnehmerInnenhaben sich seit den 1990er Jahren auch außerhalb Bangladeschs explosionsartig ent-wickelt. Waren es in den 1970er Jahren nur einige tausend Kreditnehmer im Micro-credit Summit,16 das sich zum Ziel gesetzt hat, bis 2015 175 Millionen arme Fami-lien mit Kleinkrediten zu versorgen, so hat sich die Zahl der ärmsten Klienten bis2006 auf 93 Millionen erhöht. Das Microcredit Summit gibt in seinem Bericht von2007 an, dass von 3.316 Mitgliedsorganisationen17 133 Millionen Klienten versorgtworden sind (siehe Tab. 1). 93% dieser Klientel gehören zu den Ärmsten derArmen. Von den bis 2006 erreichten 93 Millionen Armen sind 85% Frauen (79 Mil-lionen). Die Anzahl an weiblichen Kreditnehmern stieg somit von 10,3 MillionenEnde 1999 auf 79 Millionen bis Ende 2006.

Tabelle 1: Regionale Aufschlüsselung der Mikrofinanzdaten

(Quelle: Microcredit Summit Campaign Report 2007: 26)

16 Microcredit Summit ist eine Dachorganisation für Mikrokreditbanken, internationaleEntwicklungsorganisationen, internationale Finanzinstitute, wissenschaftliche Einrich-tungen, Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) und Regierungsorganisationen.

17 Generell wird angenommen, dass es weltweit über 10.000 Mikrofinanzinstitute gibt, diein einer Vielzahl an Organisations- und Rechtsformen Mikrokredite vergeben (DeutscheBank Research 2008: 7).

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Im nächsten Abschnitt soll nun anhand des ideellen Institutionalismus nach JohnCampbell erklärt werden, wie es zu diesem Paradigmenwechsel in der Entwick-lungsfinanzierung hin zu Kleinkrediten insbesondere für arme Frauen kommenkonnte.

3. Ideeller Institutionalismus und dessen Einfluss auf politische Entscheidungen

Die soeben skizzierte explosionsartige Entwicklung der Mikrofinanzen bedarf auchdeshalb einer theoretischen Klärung, da die rational-choice-Befürworter dieser Pro-gramme deren Popularität im Vergleich zu anderen entwicklungspolitischen Instru-menten gerade darin sehen, dass sie nachhaltiger sind, sich nach kurzer Zeit selbsttragen (oder mit einer nur geringen Subvention), und von Akteuren aus den Entwick-lungsländern geleitet werden.18 Diese Annahmen werden von einigen Ökonomen alsfalsch bezeichnet (Murdoch 1999, 2000; Schmidt/Winkler 2000; Emran et al. 2006).Jonathan Murdoch z. B. stellt fest, dass nicht mehr als 1% der NGO-Mikrofinanz-programme nachhaltig ist und vielleicht nicht mehr als weitere 5% von NGO-Pro-grammen diese Hürde jemals überschreiten können. Die anderen 95% werden ent-weder aufgelöst oder sind weiterhin auf Subventionen angewiesen. Dies ist daraufzurückzuführen, dass entweder die Operationskosten zu hoch sind oder die Mikrofi-nanzinstitute gezwungen sind, die Zinsraten niedrig zu halten.19 Auch wenn dassogenannte Erfolgsmodell der Grameen Bank näher betrachtet wird, zeigt sich, dassdie Bank einen nominalen Zinssatz von 32% verlangen müsste (derzeit 20%), umfinanziell nachhaltig zu operieren (Morduch 1999: 1586). Murdoch schlussfolgertdaraus, dass nicht die empirischen Befunde die Debatte über die finanzielle Nachhal-tigkeit prägen, sondern, dass »rhetoric privileges financial sustainability« (Morduch1999: 1588). »The Win-win rhetoric promising poverty alleviation with profits hasmoved far ahead of the evidence, and even the most fundamental claims remainunsubstantiated« (Morduch 1999: 1609).20

Wenn somit das Erfolgsszenario der Mikrofinanzierung nicht überzeugend ausden ökonomischen Nachhaltigkeitsargumenten der Win-win-Fraktion erklärt werdenkann, bleibt ein Erklärungsbedarf für die Popularität dieser Programme bestehen.Gleiches gilt für den eingangs erwähnten kapitalismuskritischen Ansatz. So über-

18 Diese Ansicht vertritt eine(r) der anonymen GutachterInnen.19 Auch eine kürzlich veröffentlichte Studie kommt zu einer ähnlichen Schlussfolgerung,

dass eine langfristige und nachhaltige Entwicklung in der Mikrofinanzierung sich durch»missing labour markets« nicht entwickeln kann. Solange Frauen aus den ärmerenSchichten keinen geregelten Zugang zum formalen Arbeitsmarkt haben, sind sie ver-pflichtet, die hohen Zinsraten zu akzeptieren und können nicht aufsteigen von ihren»small scale home-based microfinance activities to small and medium scale enterprise«(Emran et al. 2006: 2).

20 Zu einem ähnlichen Resultat kommt auch die kürzlich veröffentlichte Studie des Com-monwealth Secretariat, das dazu schreibt: »Success stories are touted at every conferenceor seminar on microfinance, whether global or local, and incredibly attractive statistics arereeled off, but certain critical questions remain.« (Commonwealth Secretariat 2007: 2).

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zeugend die These auch sein mag, dass der Neoliberalismus einen disziplinierendenDruck auf sozial Schwache ausübe, so kann er nicht erklären, warum gerade Mikro-finanzprogramme und insbesondere arme Frauen in Entwicklungsländern diesenProgrammen äußerst positiv gegenüber stehen.21

3.1. »Ideas matter«

Dass Ideen das Verhalten von Akteuren sowie deren politische Entscheidungenbeeinflussen, hat durch die konstruktivistische Wende in den Internationalen Bezie-hungen (Checkel 1999; Wendt 1999; Ruggie 1998; Wiener 2003) in der Zwischen-zeit auch Eingang in die Internationale Politische Ökonomie (IPÖ) gefunden (Gold-stein und Keohane 1993; Goldstein 1993; Hall 1989; Campbell 1998; Katzenstein1998). Die Rolle von Ideen und deren Einfluss auf Strategien der Armutsbekämp-fung ist auch deshalb ein hoch brisanter Faktor, da derzeit in der Entwicklungsfor-schung keine Einigkeit darüber besteht, ob die existierenden Ansätze der Weltbankdazu beitragen können, eine nachhaltige und menschliche Entwicklung zu ermögli-chen (Weaver/Park 2007).22 Im Vergleich zu strukturalistischen Annahmen in dertraditionellen IPÖ, die von einer materiellen und interessengeleiteten Dimension derrealen Welt und einer messbaren Objektivität und Kausalität ausgeht, konzentrierensich konstruktivistische Ansätze vielmehr auf die Frage, wie Ideen und Normen inPolitikprozessen entstehen, sich durchsetzen gegenüber anderen Ideen, und wie siesich wandeln. Ziel konstruktivistischer Ansätze ist zu erklären, wie und im Rahmenwelcher Prozesse die Konstruktion über die Beschaffenheit der Welt erklärt werdenkann (Ulbert 2005).

Craig Parsons (2002: 48) definiert Ideen als »subjective claims about descriptionsof the world, causal relationships, or the normative legitimacy of certain actions«.Nicht objektive Interessen determinieren den politischen Prozess, sondern der Fokusrichtet sich vielmehr auf den Kontext, in dem Akteure handeln, der selbst durch diekontinuierlichen Prozesse sozialer Konstruktion immer wieder (re)konstruiert wird.Checkel (1999) sieht daher eine Verbindung zwischen der sozialen Konstruktion derexternen Umwelt und den Interessen, die Akteure erwerben oder annehmen. Somitvollzieht sich die Entstehung von Interessen, wie dies im (Neo)Realismus der Fallist, nicht außerhalb (exogen) der agierenden Subjekte. Interessen bilden sich durchintersubjektive Interaktion, und diese intersubjektiven Strukturen beeinflussen wie-derum die Bildung von Interessen. Diese intersubjektive Struktur, die zur Entste-

21 Gleichwohl muss auch darauf hingewiesen werden, dass dreißig Jahre nach der Einfüh-rung von Mikrokreditprogrammen noch immer empirische Studien fehlen, die untersu-chen, ob Frauen einen geregelten Zugang zu Ressourcen und Finanzen haben und ob sieKontrolle über diese Ressourcen ausüben. Beide Aspekte sind aber kritisch für dasempowerment von Frauen sowie auch für die nachhaltige Armutsbekämpfung (Com-monwealth Secretariat 2007: 2).

22 Im Oktober 2007 haben mehr als 140 Journale weltweit mit Schwerpunktheften dazu bei-getragen, das Bewusstsein und die Forschung zum Thema globale Armut und menschli-che Entwicklung zu vertiefen (Weaver/ Park 2007: 461).

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hung von normenstiftendem Verhalten beiträgt, kennzeichnet aber gleichzeitig dieGrenzen der Handlungsmöglichkeiten von Akteuren. Dies bedeutet, dass Ideen undNormen eine Rationalisierungsorientierung vorgeben, der sich Akteure dementspre-chend anpassen müssen (Wendt 1999: 106).

Diesem ideenbasierten Vorgehen wird wiederum von einigen Autoren entgegen-gehalten, dass man Ideen nur begrenzt als Ursachen isolieren kann. Auch wenn The-oretiker überzeugend Ideen als nicht unwesentlichen Faktor in politischen Prozessennachweisen können, so besteht doch das Problem »how much ideas matter« (Parsons2002: 48).23 VertreterInnen der interest politics-Schule kritisieren vor allem, dassIdeen nichts Weiteres sind als zusätzliche Faktoren, sie können aber nie der einzigeKausalfaktor sein. Trotz dieser teilweise durchaus berechtigten theoretischen Kritik,bietet der ideenbasierte Ansatz jedoch den Vorteil erklären zu können, wie Akteureunabhängig von ihrer objektiven Position Interessen durch Ideen interpretieren, undwie sich die Interessenartikulation der Akteure dadurch verändert.

3.2. Ideen und der Institutionalismus in der IPÖ

John Campbell (1998) hat einen theoretischen Rahmen entwickelt, mit dem manunterschiedliche Typen von Ideen (Programme, Paradigmen, frames,24 öffentlicheGesinnungen) differenzieren kann, die, im Zusammenspiel mit der kognitiven undder normativen Ebene, politischen Entscheidungsträgern von Nutzen sein können,ihre politikökonomischen Ideen durchzusetzen. Zwar bezieht sich der Ansatz aufden historischen Institutionalismus,25 gleichzeitig aber kritisiert Campbell dieAnnahmen dieser Schule, da trotz der Betonung, dass sowohl Ideen als auch Interes-sen politische Entscheidungen beeinflussen, diese Autoren in Institutionen deneigentlichen Akteur teilweise als Vermittler, insbesondere aber als Hemmnis für dieDurchsetzung von Ideen sehen. Zwar sind Judith Goldstein und Robert Keohane(1993) einige Schritte weiter gegangen und haben die normativen Grundlagen undWerte einer Gesellschaft mit in die Analyse einbezogen und Ideen als fundamentaleÜberzeugungen definiert, die von Individuen vertreten werden und demnach ausKernüberzeugungen, normativen Grundprinzipien und Annahmen über kausaleZusammenhänge bestehen. Campbell kritisiert aber dennoch, dass die historischenInstitutionalisten versäumen zu analysieren, wie politische Eliten ganz bewusstIdeen »verpacken« und sie symbolisch und diskursiv darstellen (framing), um Elitenmit konträren Ideen, sowie die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die neuen

23 Hervorhebung im Original. 24 Nach Frank Nullmeier wird der Begriff »frames« oder »Rahmen« als ein soziales Inter-

pretationsschema, das die Erfahrungen einer Situation grundlegend organisiert, definiert(Nullmeier 1993: 181).

25 Der Historische Institutionalismus definiert Institutionen »as the formal or informal pro-cedures, routines, norms and conventions embedded in the organizational structure of thepolity or political economy«. Siehe Hall/Taylor (1996: 6), die in diesem Aufsatz eineUnterscheidung zwischen historischem Institutionalismus, rational-choice-Institutiona-lismus und soziologischem Institutionalismus vornehmen.

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Ideen eine plausible und akzeptable Lösung für die existierende Problemlagedarstellen. Für Anhänger des historischen Institutionalismus fungieren Ideen alsStraßenkarten (roadmaps) oder Anleitungen für politisches Handeln der Akteure.Ideen sind demnach richtungweisende Prophezeiungen für zukünftige policy-Entscheidungen, wie z. B. Inflation zu reduzieren, Wachstum zu stimulieren oderHandelsungleichheiten auszubalancieren (Goldstein/Keohane 1993; Goldstein1993; Hall 1989).

Nach Campbell gelingt es den historischen Institutionalisten nicht zu erklären, wieIdeen durch Akteure und dessen diskursives Repertoire und framing Eingang inpolitische Entscheidungen finden. Dies bedürfe im Medienzeitalter zunehmend derexpliziten und bewussten Manipulation durch spin-doctors bzw. Medien- und Kom-munikationsspezialisten, die konkurrierende Konzepte so verpacken und framen,dass sie akzeptiert werden. Des Weiteren ignorieren historische Institutionalisten dieRolle der zugrunde liegenden gesellschaftlichen Normen und Werte, die die Sym-bole und andere entscheidende Praktiken liefern, die politische Akteure nutzen, umdie diskursive Manipulation der neuen Ideen an die bereits existierenden gesell-schaftlichen Normen anzupassen, wodurch sie demnach als teilweise »vertraute«Praktiken von der Öffentlichkeit wiedererkannt werden. Um die akteurszentrierteund kulturelle Perspektive in die Analyse zu integrieren und damit zu erklären, wieIdeen sich in policy-Debatten durchsetzen, schlägt Campbell vor, die Annahmen deshistorischen Institutionalismus mit dem soziologischen (oder organisatorischen)Institutionalismus zu verknüpfen.

Der soziologische Institutionalismus betont, dass institutionalisierte Routinen,Rituale, Skripte, Bräuche und Zeichen, also das kulturelle Repertoire einer Gesell-schaft, ein zentraler Bestandteil der kognitiven Grundlage politischer Akteure sind,ohne, dass diese sich dessen voll bewusst wären, da sie das kognitive Gerüstals selbstverständlichen Teil der Realität interpretieren (Hall/Taylor 1996: 14).Campbell unterscheidet somit in seinen theoretischen Überlegungen einerseits zwi-schen Ideen, die im Hintergrund als zugrunde liegende gesellschaftliche Normenfungieren und andererseits zwischen Ideen, die als Konzepte und Begriffe von poli-tischen Akteuren im Vordergrund bewusst eingesetzt werden, um die öffentlichenDebatten zu beeinflussen. In dieser Typologisierung zwischen Hintergrund undVordergrund spielen die vordergründig in Erscheinung tretenden Ideen eine primäreRolle, da sie im Vergleich zu den hintergründig existierenden Normen mit anderenIdeen in der policy-Arena konkurrieren und sich durchsetzen müssen. Dazu bedarfes aber noch einer zusätzlichen Unterscheidung, wie dies der Tabelle 2 zu entneh-men ist.

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Tabelle 2: Typen von Ideen und deren Einflüsse auf politische Entscheidungen

(Quelle: Campbell (1998: 385). Eigene Übersetzung der Autorin)

Ideen lassen sich sowohl auf der kognitiven als auch auf der normativen Ebeneunterscheiden. Während auf der kognitiven Ebene Ideen vor allem als Beschreibun-gen und Analysen für kausale Erklärungen fungieren, spielen sie auf der normativenEbene vor allem als Werte und Annahmen in der policy-Debatte eine Rolle. Die vonCampbell vorgenommene Typologie der Ideen hat somit eine analytische wie auchtaxonomische Funktion. So kann man anhand dieser Typologisierung erklären, wiesich die Idee der Mikrofinanzierung zur Armutsbekämpfung global in den 1990erJahren teilweise durch eine Kombination von sowohl kognitiven als auch normativhintergründigen Strukturmerkmalen wie Paradigmen und Öffentliche Gesinnungdurchgesetzt hat. Von besonderer Bedeutung sind hierbei jedoch die vordergründigakteurszentrierten Programme und frames, die neuen Ideen zur Akzeptanz verhel-fen.

Im nächsten Abschnitt soll dargestellt werden, wie sich auf der kognitiven undnormativen Ebene der policy-Debatte die Ideen über die Notwendigkeit der sozialenDimension für ökonomisches Wachstum vordergründig durch Programme und fra-ming geändert haben, und wie dadurch Mitte der 1990er Jahre arme Frauen alsAkteurinnen und Kundinnen in den Mittelpunkt der Entwicklungspolitik und Ent-wicklungsfinanzierung rückten.

4. Der Ideenwandel in der Entwicklungspolitik der Weltbank

Der Begriff »sozial« und die Rolle der »sozialen Dimension« in der Entwicklungs-politik haben sich seit den 1980er in der Weltbank fundamental geändert. WährendAnfang der 1980er Jahre die Devise der Weltbank noch lautete, Armutsbekämpfung

Konzepte und Theorien im Vorder-grund der policy- Debatte

Grundlegende Prämissen im Hintergrund der policy-Debatte

Kognitive Ebene

ProgrammeIdeen als elite-policy-Rezept, die dem politischen Akteur verhelfen, einen klaren und spezifischen Kurs zu verfolgen.

ParadigmenIdeen als Annahmen der Elite, die die kognitive Reichweite der möglichen Lösungsstrategien, die dem politischen Akteur zur Verfügung stehen, begrenzen.

Normative Ebene

Frames Ideen als Symbole und Konzepte, die die policy-Lösungsstrategien der po-litischen Akteure in der Öffentlich-keit zu legitimieren verhelfen.

Öffentliche Gesinnung Ideen als öffentliche Annahmen, die die normative Reichweite der legitimen Lösungsansätze, die dem politischen Ak-teur zur Verfügung stehen, begrenzen.

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sei nur durch rein ökonomisches Wachstum zu erreichen, wurde Anfang der 1990erJahre die soziale Entwicklung gemeinsam mit der ökonomischen als wichtiger Bau-stein für die Reduzierung von Armut akzentuiert. In der zweiten Hälfte des letztenJahrzehnts verschoben sich die Eckpfeiler noch einmal. So scheint sich nun dieAnnahme verfestigt zu haben, dass erst eine soziale Grundlage und die Reduzierungder Armut ökonomisches Wachstum generiert (Weltbank 2001). Damit hat die Welt-bank ihre vorherrschenden Ideen und Prämissen der Entwicklungspolitik grundle-gend revidiert und ein neues Entwicklungsparadigma vorgestellt, das nun davon aus-geht, dass soziale Investitionen und Investment in menschliches Kapital nichtausreichen, um Armut zu reduzieren. Dies bedarf vielmehr einer Reihe von politi-schen, ökonomischen, institutionellen, kulturellen und sozialen Faktoren, diegemeinhin die Voraussetzungen für ein nachhaltiges ökonomisches Wachstum bie-ten (Vetterlein 2007: 521). In anderen Worten, »ohne soziale Grundlage, kein öko-nomisches Wachstum«, insbesondere kein Wachstum, das sich nachhaltig auswirkt.

Dass innerhalb der Weltbank Armut nicht länger auf ein rein ökonomisches Pro-blem reduziert wird, zeigt der Weltentwicklungsbericht 2001, zumal hier erstmalsArmut als ein multidimensionales Problem definiert wird, dessen Beseitigung einedreifache Strategie der opportunities, empowerment, and security für die Armenbedarf. Eine Neudefinition von Armut und deren Bekämpfung definiert der Berichtfolgendermaßen:

»The report accepts the now established view of poverty as encompassing not only lowincome and consumption but also low achievement in education, health, nutrition, andother areas of human development. And based on what people say poverty means tothem, it expands this definition to include powerlessness and voicelessness, and vulnera-bility and fear« (Weltbank 2001: v).

Die Frage ist nun erstens, wie es zu diesem Wandel der sozialen Ideen in der Ent-wicklungspolitik kam und zweitens, ob die Akzentuierung der »sozialen Dimen-sion« auch gleichzeitig die Abkehr von staatszentrierten makroökonomischen Pro-zessen der Entwicklungshilfe hin zu privaten und mikroökonomischen Ansätzenerklären kann, indem gemeinhin Mikrofinanzprogramme zu einem wichtigen Eck-pfeiler der Armutsbekämpfung avancierten.

Wenn wir das theoretische Gerüst des ideellen Institutionalismus als Grundlagefür den Wandel der Ideen verwenden, so können wir daraus erkennen, dass eineKombination von vordergründigen und hintergründigen Konzepten, Theorien undPrämissen sich sowohl auf der kognitiven als auch auf der normativen Ebene geän-dert haben und so den Ideenwandel in der Entwicklungspolitik möglich machten.Auf der vordergründig kognitiven Ebene, wo Programme dazu dienen, einen klarenund spezifischen Kurs für politische Entscheidungsträger zu kreieren, hat der Ansatzdes Ökonomen und Nobelpreisträgers Amartya Sen, der Armut als »Mangel vonVerwirklichungschancen«26 interpretiert, das ausschlaggebende Programm gelie-fert. Die theoretische (Um)Deutung, Armut als einen Mangel an Verwirkli-chungschancen zu definieren, fand trotz der vorherrschenden Hegemonie der Neo-

26 Amartya Sen spricht von einer «capability deprivation« (Sen 1999: 112).

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klassik in der Weltbank (Rao/Woolcock 2007) Eingang in die theoretischeDiskussion des empowerment-Paradigmas. Sen geht von der Annahme aus, dassreale Armut gemessen als Einkommensarmut zu kurz greift, da Aspekte wie z. B.das Alter und Geschlecht einer Person, die soziale Schicht, der Wohnort oderKrankheiten einen Einfluss auf das Verhältnis von Einkommen und den damit ver-bundenen geringeren Verwirklichungschancen haben. Arme hätten über diese Fak-toren jedoch keine oder nur eine begrenzte Kontrolle. Im Hinblick auf Frauen hatSen immer wieder darauf hingewiesen, dass sich die Benachteiligung der Mädchen»leichter an den fehlenden Verwirklichungschancen ablesen lässt, an der höherenSterblichkeitsrate, an Krankheiten, Unterernährung, medizinischer Unterversorgungusw. als auf der Grundlage der Einkommensanalyse allein möglich ist« (Sen 1999:112).

Eine Theorie, die im Vordergrund als programmatisches Konzept neue Ideen indie policy-Diskussion einbringt, ist zwar entscheidend, genügt aber nicht, um denIdeenwandel in der Weltbank zu erklären. Dazu bedurfte es eines Prozesses von fra-ming durch Akteure, die diese Ideen als policy-Lösungsstrategien so »verpackten«,dass sie auf der kognitiven Ebene Eingang in den entwicklungspolitischen Diskursfanden. Diesbezüglich waren die internationalen Frauen- und Genderkonferenzenbeginnend mit der United Nations Decade for Women (1976-1985) von zentralerBedeutung, die das »Globalwerden internationaler Frauenbewegungspolitik« (Rup-pert 2001) einleiteten und frauenpolitische Themen und Zielsetzungen erst zu einerdezidiert globalen Politik machten. Kern dieses Globalwerdens von Frauenbewe-gungspolitik, das unter dem Dach der Vereinten Nationen Gestalt annahm, warenVeränderungen in ihren Organisationsformen sowie Verlagerungen ihrer Politikin-halte. Diese Frauenbewegungspolitik, wie Ruppert aufzeigt, ist aus einem diffusenMix von einerseits Gegenreaktionen gegen die vielfältigen Emanzipationshinder-nisse, Ungerechtigkeiten und Polarisierungen der Globalisierung und andererseitsaus der Nutzung von Teilaspekten der Globalisierung, wie z. B. der neuen Kommu-nikationstechnologien oder der politischen Gelegenheiten der durch die Weltkonfe-renzen generierten globalen Vernetzungsprozesse der 1990er Jahre, entstanden. DieEtablierung von globalen Normen, wie soziale Gerechtigkeit, Geschlechtergerech-tigkeit und »FrauenMenschenrechten«, hatte Auswirkungen auf die Entwicklungender ökonomischen Globalisierung, vor allem weil sie zur Bearbeitung globaler frau-enpolitischer Themen und Problemlagen verschiedenste Handlungsstrategien aufallen Ebenen von Politik anboten (Ruppert 2001: 205).

Ökonominnen innerhalb der Weltbank waren in diesem Prozess des Globalwer-dens von Frauenbewegungspolitik beteiligt und haben ganz entscheidend dazu bei-getragen, dass die Rolle der Frauen in der Entwicklungspolitik durch ein neues fra-ming umgedeutet wurde.27 Die Verbreitung und Akzeptanz des kulturellen framingvon sex zu gender in der Entwicklungspolitik wurde maßgeblich durch den gemein-samen Austausch von feministischen Entwicklungsforscherinnen, die teilweise in

27 Persönliches Interview mit Caroline Moser, Ökonomin und ehemalige Mitarbeiterin derWeltbank, Berlin 18.2.2002.

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Projekten der Weltbank und der UN tätig waren, sowie durch den Austausch mitfeministischen und entwicklungspolitischen NGO-Netzwerken auf gemeinsamenTagungen, Dritte Welt-Foren und den zahlreichen UN-Konferenzen möglich.28

Bis Ende der 1970er Jahre galt das Paradigma »Women in Development« (WID)in der Weltbank, das dann mit dem Begriff »Gender and Development« (GAD)umgedeutet wurde (Moser 2002). Während der Ansatz »Women in Development«Frauen nur als unausgeschöpfte Ressource für die Entwicklung ins Visier nahm,werden Frauen in GAD als besondere Zielgruppe in der Entwicklungspolitikbetrachtet. Diese Neuinterpretation hat vor allem mit einem theoretischen Wandel inder feministischen Forschung in den 1980er Jahren zu tun, der nicht mehr den biolo-gischen Unterschied zwischen Männern und Frauen thematisierte, sondern das gen-der-Verhältnis als soziales Konstrukt in den Vordergrund stellte. Das kulturelle undsymbolische framing von sex als biologische Kategorie hin zu gender als sozialeKategorie bedeutete, dass nicht die Situation der Frau im Mittelpunkt der Recherchestand, sondern dass Aspekte wie z. B. Ethnizität, Staatsangehörigkeit, Religion, undSchichten in die Analyse integriert wurden. Dieser Wandel machte es möglich, dassfortan Fragen der kulturellen Identität und Fragen der Macht, wie z. B. der Zugangzu Macht und ökonomischen Ressourcen, sowie der Zugang zu öffentlichen und pri-vaten internationalen Organisationen und Institutionen, analysiert werden konnten.

Ein älterer Diskurs aus den 1980er Jahren, der seine Wurzeln in der Bevölke-rungspolitik hat, war darüber hinaus dafür ausschlaggebend, dass Frauen zuneh-mend auch von BevölkerungsexpertInnen als Zielgruppe für eine Stabilisierung derBevölkerungszahl gesehen wurden. Es wurde meist als wissenschaftlich erwiesenunterstellt, dass formal weniger gebildete Menschen in der Regel mehr Kinderhaben. Dabei steht ein höherer Bildungsgrad der Mutter stärker in Zusammenhangmit geringerer Kinderzahl als ein höheres Bildungsniveau des Vaters (DeutscherBundestag 2002: 402). Die Fokussierung auf den Bildungsgrad der Mutter und daskünftige Bevölkerungswachstum führte dazu, dass die Weltbevölkerungsentwick-lung mit Chancengleichheit für Frauen verknüpft wurde.29 Die Forderung nach mehrBildung, adäquater Gesundheitsversorgung, Rechtsgleichheit und politischerSicherheit verschränkte sich gleichwohl unintendiert mit dem empowerment-Kon-zept der späteren internationalen Frauenbewegungspolitik.

28 Z. B. organisierten Wissenschaftlerinnen an der City University of New York im Jahr1998 eine Konferenz, an der Ökonominnen wie Caroline Moser von der Weltbank, dierenommierte Entwicklungsexpertin und Autorin von United Nations Development FundBerichten, Diane Elson, sowie Gayatri Chakravorty Spivak, Philosophin und Post-Kolo-nialexpertin, und Lourdes Benería, lateinamerikanische Entwicklungsexpertin, und vieleandere teilnahmen.

29 Der Diskurs der Bevölkerungspolitik war aber durchaus umstritten. Insbesondere Frauenaus den Entwicklungsländern haben die westlichen Normen der Familienplanung teilsheftig kritisiert.

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5. Die Rolle von gender-mainstreaming in der Umsetzung von Normen

Obgleich dieser Wandel in den Ideen zu einem gender-Ansatz wichtig für die wei-tere Entwicklung war, führte dies aber nicht automatisch zur Umsetzung in die Pra-xis. Zur Operationalisierung dieser Praxis war der seit der Vierten Weltfrauenkonfe-renz der UN in Peking 1995 akzeptierte Politikansatz von gender-mainstreamingvon zentraler Bedeutung. Gender-mainstreaming ist eine Querschnittsstrategie mitdem Ziel, die Geschlechterperspektive in alle Politikfelder zu integrieren, um einegleiche Teilhabe beider Geschlechter an politischen, wirtschaftlichen und gesell-schaftlichen Prozessen zu realisieren (Deutscher Bundestag 2002: 320).30 Trotz desMangels an konsistenter gender-mainstreaming-Politik in der Weltbank und derweiterhin vorherrschenden Logik der ökonomischen Effizienz in den Strategien derWeltbank (Moser 2002) haben sich die neuen Ideen durch die intersubjektive Inter-aktion der entwicklungspolitischen Akteurinnen durchgesetzt, ein Prozess der dannwiederum den Wandel der normenstiftenden Verhaltensweisen und Interessen in derWeltbank beeinflusste.

Die neue Akzentuierung, Armut als ein multidimensionales Problem zu definierenund damit die sozialen Dimensionen von powerlessness, voicelessness, vulnerabilityand fear in die Programme der Weltbank zu integrieren, zeigte sich alsbald durchdie in den 1990er Jahren veröffentlichen poverty-targeted community development-Programme, die einkommensgenerierende Elemente beinhalteten, um die Schutz-losigkeit der armen und ärmsten Haushalte zu verringern. Diese Strategien basiertensowohl auf Selbstbeschäftigungsmaßnahmen als auch Mikrofinanzkomponenten. Indiesen Programmen wurde die Rolle der Frauen als Mikrounternehmerinnen undihre Verantwortung für die Familie besonders hervorgehoben (Weber 2004: 359).Der Zugang von Frauen zu Mikrofinanzierung wurde als entscheidender Faktor inder Armutsbekämpfung betont, da Frauen dazu verholfen werde, ihren Status in derFamilie und in der Nachbarschaft zu stärken, sie auf diesem Wege größeres Selbst-bewusstsein erlangten, sich zudem der Konsum in den Familien erhöhe und Frauenmehr Entscheidungsbefugnisse in Familien einfordern könnten (Mayoux 2001).

Während bisher der Einfluss von Programmen und das symbolische und kultu-relle framing für den Ideenwandel in der Entwicklungspolitik hervorgehoben wurde,geht es im nächsten Abschnitt um hintergründige Prämissen und öffentliche Gesin-nungen in der policy-Debatte, die die staatszentrierte and makroökonomische Ent-wicklungsfinanzierung zunehmend in Frage stellte, dadurch aber die Akzeptanz fürmikroökonomische Strategien erhöhte.

30 Gender-mainstreaming wird aber auch in der Weltbank durch einen »bürokratischenWiderstand« innerhalb der Organisation und dem Mangel an konsistenter Politik insbe-sondere in der makroökonomischen Politik, wie z. B. in den Strategiedokumenten zurArmutsreduzierung, entweder ignoriert oder in eigenen Kapiteln marginalisiert, und ebennicht als Bestandteil des Mainstreams umgesetzt (Moser 2002).

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6. Von staatszentrierter Armutsfinanzierung hin zu mikroökonomischen Lösungsstrategien

Im Vergleich zu den vordergründigen Ideen, die als Programme und frames fungie-ren und damit den Diskurs der policy-Debatte beeinflussen – wie auch neueLösungsstrategien an bereits existierende gesellschaftliche Normen medial »anpas-sen«, sodass sie als »vertraute« Praktiken von der Öffentlichkeit erkannt und damitakzeptiert werden – begrenzen die hintergründigen Paradigmen und die öffentlicheGesinnung den Spielraum der policy-Debatte. Wenn wir dies auf die Entwicklungs-finanzierung übertragen, so zeigt sich, dass die Entwicklungsfinanzierung der1980er Jahre von einem öffentlichen Finanztransfer von Nord nach Süd – wie diesnoch im Bericht der Unabhängigen Kommission zu Internationalen Entwicklungs-fragen unter dem Vorsitz von Willi Brandt gefordert wurde – hin zur Privatfinanzie-rung für nachhaltige menschliche Entwicklung verlagert wurde. Der Bericht empfahldie Transferleistungen von Nord nach Süd als einen unabdingbaren Beitrag für dieinternationale Zusammenarbeit in einer interdependenten Welt (Kaul 2000). DerBericht schlussfolgerte, dass die ökonomische Entwicklung des Nordens von derEntwicklung im Süden abhängig sei und das südliche Wachstumspotenzial wie-derum ohne nördliche Investitionen nicht erreicht werden könne. Die Empfehlungendes Berichtes tragen, wie Inge Kaul (2000: 62) anmerkt, den Stempel der damaligenZeit, zumal die meisten Empfehlungen der Kommission sich auf den öffentlichenSektor im nationalen sowie im internationalen Bereich beziehen und die private Ent-wicklungsfinanzierung kaum Eingang in die Debatte fand.

Diese ehemals staatszentrierte Entwicklungsfinanzierung wurde mit dem Beginnder ökonomischen Liberalisierung und Privatisierung in den 1980er Jahren durchden Diskurs der Markteffizienz delegitimiert.31 Es ist den neoklassischen angebotso-rientierten Ökonomen gelungen, die staatlichen Finanztransfers als das Problem derArmutsbekämpfung und nicht als Lösung glaubhaft darzustellen (Campbell 1998).Dies hatte zur Folge, dass das Paradigma von ehemals staatszentrierter Entwick-lungsfinanzierung als mögliches Repertoire zur Lösung von Problemen für politi-sche Entscheidungsträger in den 1990er Jahren nicht zur Verfügung stand. Auch dieöffentliche Gesinnung in den Industrieländern, kolportiert durch die Medien undden wissenschaftlichen Diskurs hin zur Neoklassik,32 sprach sich zunehmend gegenstaatliche Interventionen und öffentliche Transferleistungen für Entwicklungsländeraus. Die Abkehr der öffentlichen Gesinnung von großen staatlichen Entwicklungs-

31 Die Veränderungen sind, wie Kaul anmerkt, nicht nur reduzierbar auf politische Verän-derungen, sondern wurden durch Faktoren wie z. B. technologische Fortschritte, dasweltweite Ansteigen von Einkommen und Wohlstand sowie auch durch die demographi-sche Entwicklungen hervorgerufen (Kaul 2000: 65).

32 Die Ideen der Neoklassik haben sich alsbald durch die Absolventen von Elite-Universitä-ten mit neoklassischer Ausrichtung, wie z. B. der Universität Chicago, und den Aus-tausch von Eliten in den Organisationen, wie z. B. der Weltbank, InternationalerWährungsfonds, Finanzministerien, Zentralbank, durchgesetzt (Colander/Klamer 1987;Chwieroth 2007; Rao/Woolcock 2007).

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projekten beruhte vor allem auf dem Verdacht, dass damit den Armen nicht zu mehrWohlstand verholfen würde, sondern dass dieses Geld von korrupten Eliten einkas-siert werde.

Die Ablösung des keynesianischen Paradigmas, von John Ruggie als embeddedliberalism bezeichnet, begann bereits Ende der 1970er Jahre und endete mit derDurchsetzung eines angebotsorientierten Wirtschaftsmodells sowie mit einer erheb-lichen Verschärfung des globalen Wettbewerbs und der Doktrin des Freihandels.Die allgemeine Skepsis gegenüber staatlicher Intervention sowie auch das rascheAnwachsen der Verschuldung in den Entwicklungsländern bereiteten den Nährbo-den, um den Staat nunmehr zum Problem zu deklarieren. Dieser Strategiewandelwurde aber erst durch das Staatsversagen und durch die Delegitimierung der existie-renden policies zur Entwicklungsfinanzierung möglich. Daraus eröffnete sich dann,wie Goldstein in ihrer Studie zur US-amerikanischen Handelspolitik nach demZweiten Weltkrieg zeigte, ein »policy-Fenster« für neue Ideen (Goldstein 1993: 13).Denn im Vergleich zu den korrupten und klientilistischen policies vieler Entwick-lungsländer betonten die Enthusiasten eines über den Markt vermittelten Finanzie-rungsprogrammes den Individualismus und die ökonomische Effizienz als eineGegenstrategie zum vermeintlichen Staatsversagen. Selbstinitiative und Eigenver-antwortung wurden zum Wegweiser für die Minimierung von globaler Armut beigleichzeitiger Stärkung von Frauenrechten.

Der soeben geschilderte Paradigmenwechsel von staatlicher Entwicklungsfinan-zierung hin zu den Prinzipien von Markteffizienz sowie die Nutzung marktgerechterPreismechanismen als Anreizinstrumente in der Entwicklungsfinanzierung ist heuteverbunden mit dem Konzept der »finanziellen Ermächtigung« (Kaul 2000: 75), d. h.die Integration aller wirtschaftlicher Akteure als TeilnehmerInnen an den Finanz-märkten. Diese Lösungsstrategie wurde insbesondere nach den negativen Auswir-kungen der Strukturanpassungsprogramme (SAP) der 1980er Jahre in Entwick-lungskreisen populär, da der IWF nur unter der strikten Auflage von Konditionenfinanzielle Unterstützung für die verschuldeten Länder bereitstellte (Weber 2002,2004; Scully 1997; Isserles 2003). Der Abbau der existierenden sozialen Infrastruk-tur führte zu einem zunehmenden Widerstand der Zivilbevölkerung in Entwick-lungsländern, worauf der IWF und die Weltbank mit SAP-adjustments with a humanface reagierten. Die neuen poverty-targeted community development programs(Weber 2002; 2004) betonten insbesondere den Aspekt der Mikrofinanzpro-gramme.33 Ein virtuoser Zyklus wird durch die Vergabe von kleinen Kreditsummenund deren Finanzierung von Kleingewerben antizipiert, der mehr Arbeitsplätze undhöhere Einkommen schafft und dadurch die Konsumtion stärkt. Normative Grund-prinzipien, wie z. B. Selbstinitiative, Selbstverantwortung, Privateigentum und Effi-zienz, werden als Ersatz für staatliche Abhängigkeit der Armen propagiert.

33 Gleichzeitig wurde auch eine Initiative mit dem Titel «20/20« gestartet, die überprüfensoll, ob Regierungen 20% ihrer Haushalte für grundlegende soziale Dienstleistungen aus-geben (Kaul 2000: 73).

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Aufsätze

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Diese neuen marktorientierten Prinzipien zur Bekämpfung der Armut finden sichin vielen multilateralen und internationalen Verträgen und Konventionen, wie z. B.in den Millennium-Entwicklungszielen, die die wichtige Rolle der Mikrofinanzie-rung zur Erfüllung der angestrebten Ziele hervorheben (UNCDF 2005). Gleicherma-ßen stellt das Ergebnisdokument der United Nations International Conference onFinancing for Development, die 2002 in Monterrey (Mexiko) stattfand, die Bedeu-tung von »microfinance and credit for micro-, small and medium enterprises […] aswell as national savings schemes […] for enhancing the social and economic impactof the financial sector« (Bakker 2007: 7; vgl. Vereinte Nationen 2002) als einen derwichtigsten Eckpfeiler für ein «sustainable human development« bei gleichzeitigemempowerment für und der »finanziellen Ermächtigung« von Frauen heraus. Darüberhinaus hatte Großbritannien 2003 den International Finance Facility (IFF) vorge-schlagen, der die existierende Finanzierungslücke zur Erfüllung der Millenniums-ziele 2015 beheben soll.34 Des Weiteren hatten die Vereinten Nationen mit derDeklaration, 2005 das Jahr der Mikrofinanzen auszurufen, auf die Tatsache hinge-wiesen, dass viele ärmere Menschen von der Partizipation im Finanzsektor ausge-schlossen sind (UNCDF 2005). Letztendlich wurden in der Paris Declaration onAid Effectiveness 2005 konkrete Indikatoren und Ziele für die finanzielle Integrationder unteren Bevölkerungsschichten entworfen. Dieser Wandel in der Entwicklungs-finanzierung signalisiert ein zunehmendes Bewusstsein der Gebergemeinschaft dar-über, dass ein sicherer und inklusiver Zugang zum Bankensystem eine Vorausset-zung und ein wichtiger institutioneller Baustein für wirtschaftliches Wachstum inEntwicklungsländern ist (Young 2008).

In dieser neuen Konstellation der Betonung von individueller Selbstinitiative inder Entwicklungspolitik und der Entwicklungsfinanzierung gelten weibliche Klein-unternehmerinnen als einer der wichtigsten Wirtschaftfaktoren. So hat die WeltbankGruppe 2006 einen Gender Action Plan für den Zeitraum von 2007 bis 2010 veröf-fentlicht, der den Titel »Gender Equality as Smart Economics« trägt (World Bank2006). Damit wird gezielt darauf hingewiesen, dass es sich um smart economicshandelt, Frauen als ökonomische Wirtschaftskraft zu fördern, wie dies auch dieTitelstory des vierteljährlichen Journals Finance and Development des Internationa-len Währungsfonds im Juni 200735 noch einmal betont. Darunter verbirgt sich nichtsweniger als das Versprechen, in Frauen den zukünftigen Motor für ökonomischesWachstum zu sehen. Bereits im April 2006 hatte das neoliberale Wirtschaftsmaga-zin The Economist heraufbeschworen, dass man China, Indien und das Internet ver-gessen solle: »growth is driven by women«.36 Entscheidend in dieser Prophezeiungder Entstehung eines kapitalistischen Feminismus ist der Zugang von armen Frauen

34 Www.hm-treasury.gov.uk/documents/international_issues/int_gnd_intfinance.cfm18.9.2007.

35 Www.imf.org/external/pubs/ft/fandd/20007/06/king.htm 13.12.2007.36 Der vollständige Satz lautet: «Forget China, India and the internet: economic growth is

driven by women.« (The Economist, 15.4.2006). Die Financial Times folgte dann imSeptember 2006 mit einem Artikel, «Women are the hidden engine of world growth«(28.9.2006: 11).

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Brigitte Young: Die Globale Politische Ökonomie der Mikrofinanzprogramme

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zu Mikrofinanzinstituten auf der lokalen Ebene, wie dies in der Zielsetzung des Uni-ted Nations Capital Development Fund für das Erreichen der Millennium Develop-ment Goals ausdrücklich betont wird (UNCDF 2005).

7. Fazit

Die Intention des vorliegenden Aufsatzes war es, anhand des ideellen Institutionalis-mus die Popularität der Mikrofinanzprogramme seit den 1990er Jahren zu erklären.Während sich die Fachliteratur in zwei stark polarisierende Lager teilt, die entwederaus der Perspektive des methodologischen Individualismus nur ein Win-win Szena-rio in diesen Programmen erkennt, oder eines kapitalismuskritischen Ansatzes, derwiederum dazu neigt, diese Programme im Kontext einer neoliberalen Rationalitätzu interpretieren, versucht der vorliegende Ansatz, die Popularität der Mikrofinanz-programme als einen gemeinsamen Wandel der Ideen in der Entwicklungspolitikund der Entwicklungsfinanzierung zu interpretieren. Ausgehend von den theoreti-schen Einsichten des ideellen Institutionalismus konnte gezeigt werden, dass sich diePopularität von Mikrofinanzprogrammen in den 1990er Jahren vor allem durch eineKonvergenz von drei ideellen Trends zu erklären ist. Erstens hat sich in der Welt-bank ein Wandel in den Grundüberzeugungen der Akteure und Akteurinnen über dieBehebung von Armut vollzogen. Einerseits wurde durch die theoretischen Einsich-ten von Amartya Sen erkannt, dass es einer sozialen Grundlage für die Armenbedarf, um die Bedingungen für ein nachhaltiges Wachstum zu generieren. Anderer-seits gelang es den Ökonominnen in der Weltbank, gestärkt durch das »Globalwer-den internationaler Frauenbewegungspolitik« der 1990er Jahre, durch ein gezieltesframing Frauen als eine entwicklungspolitische Zielgruppe zu definieren. Aber erstdurch das Konzept des gender-mainstreaming konnten sich diese programmatischenIdeen seit den 1990er Jahren vordergründig in die Praxis der Entwicklungspolitik derWeltbank durchsetzen.

Gleichzeitig zu diesen vordergründig akteurszentrierten Programmen und frames,die den politischen Entscheidungsträgern auf der kognitiven sowie normativenEbene dazu verhalfen, ihren Kurs zu definieren und zu operationalisieren, spieltehintergründig die Skepsis gegenüber den Vorteilen von öffentlichen Transferleistun-gen, die sich sowohl innerhalb der Eliten in Industrieländern als auch in der öffentli-chen Gesinnung auftat, eine zentrale Rolle. Die Entscheidungsträger sowie auch dieMedien und Wissenschaftler lehnten makropolitische Großprojekte ab und warenvor diesem Hintergrund für private und mikroökonomische Lösungsstrategien offen.Somit bereitete das vermeintliche Staatsversagen der subventionierten und öffentli-chen Transferleistungen sowie die Schuldenkrise der 1980er Jahre den Nährbodendafür, die Markteffizienz aus der Asche des staatlichen Phönix auferstehen zu las-sen. In diesem private initiative capitalism weisen Selbstinitiative und Eigenverant-wortung den Weg zur Minimierung von globaler Armut bei gleichzeitiger Stärkungder Frauenrechte. Frauen wurden nun erkannt als ein wirtschaftlicher Faktor mitdem Ziel, ökonomischen Wohlstand zu generieren, wobei dies aber wiederum nur

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erzielt werden könne, wenn Akteurinnen einen geregelten Zugang zu Kapital undFinanzmärkten bekämen. Inbegriffen in dem Konzept der finanziellen Ermächti-gung ist die Annahme, dass sich Individuen, gefangen in der Spirale von Armut, nurdurch Selbstinitiative und Unternehmerschaft befreien können.

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209Zeitschrift für Internationale Beziehungen15. Jg. (2008) Heft 2, S. 209–235

Dawid Friedrich

Partizipatives Regieren in der EUDie EU zwischen Laissez-faire und geregelter Partizipation zivilgesellschaftlicher Akteure

Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, ob die EU – angesichts eines intensivenDiskurses über demokratisches Regieren durch zivilgesellschaftliche Partizipation –in ihren alltäglichen Politikgestaltungsprozessen ein demokratieförderndes Regimezivilgesellschaftlicher Partizipation implementiert. Um das demokratisierende Poten-zial zivilgesellschaftlicher Partizipation auszuschöpfen, bedarf es, so das Argument,eines auf Regeln basierenden Partizipationsregimes, um der normativen Unverbind-lichkeit funktionaler ad hoc-Partizipation entgegenzuwirken. Im Einzelnen werdenzwei Partizipationsmodelle vor dem Hintergrund pluralistischer und deliberativerDemokratietheorie für die empirische Analyse partizipativer Praxis fruchtbargemacht. Der empirische Schwerpunkt liegt auf dem derzeitigen Partizipationsregimein der europäischen Migrations- und Umweltpolitik. Die Untersuchung zeigt, dass diepartizipative Infrastruktur in der EU nicht mit der Intensität des partizipativen Diskur-ses Schritt hält, sondern sich ein System von Laissez-faire-Partizipation mit korporati-stischen Zügen herausgebildet hat.

1. Einleitung1

Partizipatives Regieren in der Europäischen Union (EU) wird im jüngeren europa-wissenschaftlichen wie -politischen Diskurs häufig mit hohen normativen Erwartun-gen verknüpft. Kristallisationspunkt ist nicht zuletzt das Governance-Weißbuch derEuropäischen Kommission (2001), welches unter dem Label good governancesowohl eine Erhöhung der Effizienz als auch die Demokratisierung politischer Ent-scheidungen durch Partizipation als Ziel europäischer Politik formulierte. DieseErwartungen verdeutlichen, dass partizipativem Regieren eine normative Doppelna-tur zugeschrieben wird, die zum einen funktional und zum anderen demokratischist.2

Als Akteurstyp im Fokus dieses Diskurses über partizipatives Regieren in der EUsteht insbesondere die organisierte Zivilgesellschaft (u. a. Knodt/Finke 2005; Ruzza

1 Für wertvolle Kommentare zu früheren Versionen des Beitrages danke ich denGutachterinnen und Gutachtern und der Redaktion, sowie Jens Steffek, Ralf Bendrath,Kerstin Blome, Kristina Hahn, Nadja Meisterhans, Christian Möllmann, Thomas Richter,Ingeborg Tömmel und Christian Völkel.

2 Politische Anstrengungen, dieser Doppelnatur gerecht zu werden, kristallisieren sich bis-lang insbesondere an neuen Formen von Governance, wie der Offenen Methode derKoordinierung heraus, welche die hochgesteckten Erwartungen an seine »Offenheit«jedoch bislang nicht erfüllen (Büchs 2008; De la Porte/Nanz 2004; De la Porte/Pochet2005; Friedrich 2006).

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Aufsätze

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2004; Smismans 2006).3 Die Grundidee ist, dass eine verstärkte Einbindung zivilge-sellschaftlicher Organisationen sowohl funktional die Qualität als auch normativden demokratischen Gehalt europäischen Regierens erhöht (Steffek/Kissling 2007).Vorherrschend ist ein deskriptiver Zugriff auf organisierte zivilgesellschaftlicheAkteure, wie ihn auch die Europäische Union vornimmt.4 Ausgangspunkt diesesweiten Verständnisses von organisierter Zivilgesellschaft ist ein handlungstheoreti-scher Zugriff auf zivilgesellschaftliche Akteure, welche durch »Friedlichkeit,Selbstorganisation und das Handeln im öffentlichen Raum gekennzeichnet« (Finke/Knodt 2005: 13) sein sollen.5

Vor diesem Hintergrund konzentrieren sich die folgenden Betrachtungen in empi-rischer Absicht auf die demokratische Dimension partizipativen Regierens in derEU.6 Es wird der Frage nachgegangen, inwieweit die EU tatsächlich versucht,demokratisierende Formen zivilgesellschaftlicher Partizipation zu implementieren,oder ob partizipatives Regieren in der EU besser als »rather oversized constitutionalcloaking for the thin frame of improving transnational consultation processes«(Armstrong 2002, zit. in Cram 2006: 245) verstanden werden sollte. Um das demo-kratisierende Potenzial zivilgesellschaftlicher Partizipation auszuschöpfen, bedarf es– so wird im Folgenden argumentiert – eines auf Regeln basierenden Partizipations-regimes, welches der Willküranfälligkeit und der inhärenten Asymmetrie funktiona-ler ad hoc-Partizipation entgegen zu wirken versucht. Eine Laissez-faire-Herange-hensweise stünde zwar der funktionalen Bedeutung partizipativen Regierens nichtim Wege, brächte aber keine ausgeprägten demokratisierenden Effekte mit sich.

Gerade eine empirisch ausgerichtete Studie über die Frage nach dem demokrati-schen Charakter des europäischen partizipativen Regierens bedarf zunächst einernormativen Ausleuchtung des Partizipationskonzepts, um sich nicht dem Vorwurf

3 Zivilgesellschaft wird meist umschrieben als der Raum zwischen Staat und Individuum,«where the individual combines with others, joins associations, forms notions of a com-mon good transcending his particularistic interests« (Abromeit 1998: 87).

4 »Civil society includes the following: trade unions and employers’ organisations (»socialpartners«); nongovernmental organisations; professional associations; charities; grass-roots organisations; organisations that involve citizens in local and municipal life with aparticular contribution from churches and religious communities« (Europäische Kom-mission 2001a: 14). Diese Beschreibung organisierter Zivilgesellschaft basiert auf derMitteilung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (WSA) über »The roleand contribution of civil society organisations in the building of Europe« (Office Journalof the European Communties (C 329), 17.11.1999: 30).

5 Da es keine überzeugenden demokratietheoretischen Gründe gibt, bestimmte Interessen-lagen auszuschließen, folgt auch dieser Beitrag dieser weiten, auch wirtschaftliche Inter-essen beinhaltenden Definition, soweit es sich nicht um profitorientierte Unternehmen,sondern um Unternehmensverbände handelt. Ich gehe davon aus, dass ökonomische Pro-sperität auch im Interesse der (meisten) Menschen ist, sodass diejenigen Akteure, dienicht selber profitorientiert arbeiten, aber wirtschaftliche Standpunkte vertreten, genausolegitim sind wie z. B. Vertreter von Umweltfragen. Zudem teile ich die in der non-governmental organization-Literatur oft implizit vorhandene Unterteilung zwischen»guter« (Umwelt, Menschenrechte) und »böser« (Wirtschaft) Zivilgesellschaft nicht(Chambers/Kopstein 2001).

6 Für eine Übersicht über die funktionale Dimension von Governance siehe insbesondereTömmel (2008).

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Dawid Friedrich: Partizipatives Regieren in der EU

211ZIB 2/2008

des Transportierens normativer »shadow theories« (Dahl 1989: 33) auszusetzen.Demzufolge widmet sich Abschnitt 2 mit Blick auf die Partizipation zivilgesell-schaftlicher Organisationen der demokratischen Dimension des Partizipationskon-zepts. Es wird gezeigt, dass sich das Partizipationskonzept in eine demokratieinhä-rente und eine demokratiefördernde Dimension aufgliedern lässt. Diese lassen sichwiederum zwei unterschiedlichen Modellen demokratischer Willensbildung zuord-nen: einem instrumentell-aggregativen und einem deliberativen Modell. Vor diesemHintergrund werden vier minimale Ermöglichungsbedingungen für demokratischePartizipation zivilgesellschaftlicher Organisationen eingeführt, um die empirischeUntersuchung anzuleiten. Anhand dieser vier Ermöglichungsbedingungen werden inAbschnitt 3 zunächst die formellen, politikfeldübergreifenden Regelungen der EUfür zivilgesellschaftliche Partizipation herausgearbeitet. Anschließend wird in denAbschnitten 4 und 5 an zwei empirischen Beispielen aus der europäischen Migrati-ons- und der Umweltpolitik die partizipative Praxis des derzeitigen europäischenPartizipationsregimes aufgezeigt. Abschließend werden die empirischen Ergebnissemiteinander verglichen und im Lichte der normativ notwendigen Bedingungen fürein demokratisches Regime partizipativen Regierens betrachtet (Abschnitt 6).

2. Zivilgesellschaftliche Partizipation und Demokratie

2.1. Zwei demokratietheoretische Dimensionen von Partizipation

Dem Partizipationskonzept lässt sich, wie in der Demokratietheorie betont, sowohleine demokratieinhärente als auch eine demokratiefördernde Dimension zuordnen(z. B. Scharpf 1970; Schultze 2002). So kann Partizipation zum einen funktional alsein Mittel »for gaining power in order to increase the probability of realising privatebenefits« (Scaff 1975: 449) konzeptualisiert werden, und zum anderen als Wert ansich mit genuin demokratiefördernder Wirkung.7

Die demokratieinhärente Dimension des Partizipationskonzepts korrespondiertmit dem aggregativen Modell demokratischer Willensbildung (Young 2000: 18f),welches Demokratie als eine Methode zur Erreichung bestimmter Zwecke versteht,die zum Funktionieren bestehender demokratischer Prozesse beiträgt. Das aggrega-tive Modell demokratischer Willensbildung basiert auf den Prinzipien von Gleicheitund Autonomie (Cohen 1996) und besagt, dass »an ideally democratic proceduregives equal weight to the interests of each in arriving at binding collective decisi-ons« (Cohen 1991: 221). Politik wird als ein Wettbewerb zwischen den (vorpoli-tisch) gegebenen Präferenzen Einzelner verstanden, welche im Politikprozess aggre-giert werden (Nanz/Steffek 2005; Sørensen/Torfing 2004).

7 Scaff (1975: 455) unterscheidet zwischen »participation as interaction« (mit einemintrinsischen normativen Wert) und »participation as instrumental action« (mit instru-mentellem Wert außerhalb der partizipativen Aktivität).

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Insbesondere der klassische amerikanische Pluralismus (z. B. Dahl 1956)8 bieteteinen Denkansatz, der dieses Modell mit der Partizipation nicht-staatlicher kollekti-ver Akteure, hier Interessengruppen genannt, verknüpft (Young 2000: 19, Fn. 5). Indiesem Ansatz ist die Existenz einer Pluralität von Interessengruppen in Politikpro-zessen ein demokratischer Wert, da sie die Funktion übernehmen, individuelle Prä-ferenzen zu bündeln, insbesondere Minderheiten eine Stimme zu verleihen und vompolitischen System Responsivität einzufordern.9 Die Erfüllung dieser Funktionensetzt voraus, dass alle Stimmen gleichen Zugang und gleiches Gewicht im politi-schen Prozess eingeräumt bekommen (vgl. insb. Dahl 1971: 2f, 1985: Kap. 2).

Die demokratiefördernde Partizipationsdimension hingegen ist mit dem delibera-tiven Ansatz verknüpft, da in beiden Perspektiven Demokratie als ein eigenständigerZweck an sich verstanden wird. Dieses Modell demokratischer Willensbildungbasiert auf dem Prinzip der gegenseitigen Begründung der je eigenen Position mit-tels rationaler Argumente (Cohen 1996: 99). Politische Prozesse sind dann demo-kratisch, wenn sie »in principle open to appropriate public processes of deliberationby free and equal citizens« (Benhabib 1996b: 69) sind. Deliberative Demokratiebetont die epistemische Natur kommunikativer Prozesse, wodurch demokratischeProzesse ein Stück weit depersonalisiert werden. Um nicht »Deliberation ohneDemokratie« (Niesen 2008) zu erhalten, bedürfen deliberative Prozesse der Partizi-pation gleicher und autonomer Akteure als Träger der argumentativen Rationalität.Hierzu müssen die Prozesse transparent und zugänglich gestaltet sowie aktiv auf dieInklusion aller Betroffenen geachtet werden. Die Interaktionen der beteiligtenAkteure müssten diesem Modell gemäß auf gegenseitiger Rechtfertigung der Positi-onen basieren und zu einer vernunftorientierten, weil gut begründeten, Responsivitätführen.

Jüngere policy-orientierte Forschung greift dieses partizipative Moment delibera-tiver Demokratie auf. Dort wird argumentiert, dass die breite Inklusion zivilgesell-schaftlicher Akteure einen demokratisierenden Effekt auf Politikprozesse jenseitsdes Nationalstaates haben kann, da diese als Transmissionsriemen zwischen Indivi-duen und institutioneller Ebene dienen können (insb. Nanz/Steffek 2004; Steffek/Kissling 2007). Zivilgesellschaftliche Organisationen bieten demnach eine Akteurs-basis an, um die Verbindung von der schwachen, nicht-institutionalisierten politi-schen Öffentlichkeit in die starke Öffentlichkeit der politischen Institutionen herzu-stellen (Fraser 1992, 2007) – zumindest unter gewissen normativ fundiertenErmöglichungsbedingungen.

In den Augen beider Modelle sind Politikprozesse dann demokratisch, wenn eineVerbindung zwischen dem Ort der Entscheidung und den von der EntscheidungBetroffenen existiert. Die Partizipation kollektiver Akteure ist hierbei ein zentraler

8 Heutzutage wird der Begriff Pluralismus demokratietheoretisch mehrdeutig verwendet(Reutter 1991). Während im amerikanischen Pluralismus Politik als ein Ausgleichspro-zess verschiedener Gruppeninteressen verstanden wird, wird Pluralismus heute zumeistals Ausdruck fundamentaler Diversität und Differenz problematisiert (vgl. Benhabib1996a).

9 Eine klassische Kritik am amerikanischen Pluralismus bietet u. a. Connolly (1969).

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Dawid Friedrich: Partizipatives Regieren in der EU

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Mechanismus, der diese Verbindung herstellt und damit das Individuum als traditio-nellen Träger partizipativer Demokratie ablöst (kritisch hierzu Greven 2007). Die-sen Überlegungen folgend kann somit individuelle Partizipation durch kollektivePartizipation ergänzt werden. Beide Ansätze erscheinen folglich als fruchtbar füreine Anwendung auf supranationale Politikprozesse, welche sich als sperrig gegen-über individueller Partizipation erwiesen haben. Deutlich ist jedoch, dass die ange-nommene Verbindung fragiler Natur ist, sodass es bereits auf konzeptioneller Ebeneratsam erscheint, keine zu hohen Erwartungen an den tatsächlichen Beitrag partizi-pativer Praktiken für die Demokratisierung europäischen Regierens zu stellen.Nichtsdestotrotz eröffnen beide Ansätze die Möglichkeit, über demokratischeMechanismen in der EU jenseits parlamentarischer Lösungen nachzudenken.

2.2. Ermöglichungsbedingungen an demokratische zivilgesellschaftliche Partizipation

Eine empirische Anwendung normativ geprägter Konzepte ist eine sensible Angele-genheit, da es gilt, sowohl normative Belanglosigkeit als auch empirische Überfor-derung zu vermeiden (vgl. Fraser 2007: 226). Notwendig hierfür ist eine pragmati-sche Hinwendung an institutionell vermittelbare Ermöglichungsbedingungen imSpannungsfeld von Empirie und Theorie. In einem solchen pragmatischen Lichteerscheinen beide demokratietheoretischen Modelle durchaus in der Lage, sich trotzerheblicher normativer Unterschiede auf vier gemeinsame, minimale Ermögli-chungsbedingungen einigen zu können, die erfüllt sein sollten, um von demokrati-scher Partizipation zu sprechen.

Vor dem Hintergrund obiger Charakterisierungen des pluralistisch-aggregativenund des deliberativen Zugangs zu Partizipation lassen sich die politikfeldübergrei-fend beobachtbaren Bedingungen der informationellen Transparenz, des Zugangszu Politikprozessen, der gleichberechtigten Teilhabe, sowie die nur in tatsächlichenPolitikprozessen beobachtbare Bedingung der Responsivität artikulieren.10

Informationelle Transparenz, verstanden als Zugang zu notwendigen Informatio-nen über die Gesetzesagenda und die zentralen Dokumente des Politikprozesses,sowie der Zugang zu den Prozessen selber, insbesondere in den Phasen des agendasetting und der Politikformulierung, sind hiernach zentrale Vorbedingungen für jeg-liche demokratietheoretisch relevanten Formen von Partizipation. Darüber hinausbetonen beide demokratietheoretischen Modelle die normativ und institutionellanspruchsvolleren Bedingungen gleichberechtigter Teilhabe und Responsivität. Ers-tere besagt, dass alle von politischen Entscheidungen Betroffenen im Politikprozess

10 Diese Bedingungen basieren auf der Kriterienliste, welche von Nanz and Steffek (2005)aus deliberativer Perspektive vorgeschlagen wurde. Werden jedoch die von Dahl – alsVertreter aggregativer Demokratie – vorgeschlagenen Indikatoren (Dahl 1971, 1985) undseine positive Reaktion auf Kritik aus deliberativer Perspektive (Cohen 1991; Dahl 1991)hinzugenommen, erscheint es insbesondere in pragmatisch-empirischer Hinsicht legitim,gemeinsame Ermöglichungsbedingungen zu formulieren.

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eingebunden sein sollten.11 Dieses kontrafaktische Argument wird hier pragmatischübersetzt als das aktive Bemühen der Institutionen um möglichst breite Inklusionund aktive Unterstützung weniger sichtbarer, schwach organisierter Stimmen.

Bezüglich der Responsivitätsbedingung besteht eine stärkere Unterscheidung zwi-schen den beiden Modellen. Aus aggregativer Perspektive wird Partizipation einefunktionale Rolle zur Interessendurchsetzung zugeschrieben. Daher ist das Durch-bringen partikularer Interessen im finalen Gesetzestext ein wichtiger Hinweis aufResponsivität, d. h. hier ist die Outputresponsivität zentral. Aus deliberativer Per-spektive ist Responsivität eine pragmatische Übersetzung für das Moment derBegründung von Argumenten. Die vorliegenden empirischen Daten erlauben jedochkeine Studie zur deliberativen Qualität politischer Diskussionen (hierzu Steenbergenet al. 2003), da es nahezu unmöglich ist, unmittelbaren Zugang zu Wortprotokollen(falls diese existieren) und internen Positionspapieren außerhalb von Parlamenten zuerhalten. Insofern wird Responsivität dann als proxy für Begründungen gesehen,wenn es möglich ist, im Zeitverlauf eines Politikprozesses, also in Gesetzestextent-würfen, Spuren von Argumenten von zivilgesellschaftlichen Organisationen (ZGOs)zu finden, die im Enddokument nicht notwendigerweise enthalten sein müssen. EinAuftauchen und möglicherweise Verschwinden von zivilgesellschaftlichen Argu-mentationslinien in einem Politikprozess lässt, so der deliberative Ansatz, auf eineaktive, begründungsbasierte Auseinandersetzung mit diesen Argumenten schließen.Nicht der finale Einfluss (welcher dem Lobbying-Erfolgskriterium gleicht), sonderneine inhaltlich vermittelte Prozessbedingung ist hiernach entscheidend.

Vor dem Hintergrund dieser vier Ermöglichungsbedingungen lassen sich die Par-tizipationsmodelle näher spezifizieren (vgl. Abb. 1).12 Die Modelle unterscheidensich hinsichtlich des Formalisierungsgrades und sind zu kennzeichnen anhand vonZugang, Transparenz und Inklusion, als auch Responsivität. Aggregative Partizipa-tion – als das normativ bescheidenere Modell – ist durch ein Laissez-faire-Regimeseitens der politischen Institutionen charakterisiert, welche sich die Expertise derPartizipanten nach eigenem Gutdünken nutzbar machen können. Ziel partizipativerBemühungen ist hiernach ein möglichst strategisches Vorgehen, um möglichst vieleInhalte zu platzieren. Insofern besitzt dieses Modell eine Willküranfälligkeit, diebestehende Asymmetrien zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen potenzi-ell erhöht. Dahingegen verlangt deliberative Partizipation nach einer Verregelung,welche darauf abzielt, Inklusion und Gleichheit unter den Partizipanten herzustellenund alle beteiligten Akteure, also auch die Institutionen, zu ermutigen, ihre Positionim Kontext der anderen zu begründen.

11 Kritisch zu diesem Theorem äußert sich Agné (2006).12 In ihrer Untersuchung über die Einbindung der EU und zivilgesellschaftlicher Akteure

in WTO-Prozesse unterscheidet Michèle Knodt (2005: 115f) vier Idealtypen von Par-tizipation in der EU als analytische Kategorien. Ihr selektives sowie ihr prozeduralesKommunikationsmodell ist anschlussfähig an das aggregative sowie das deliberativePartizipationsmodell. Auch diese Graphik beschreibt Idealtypen und nicht zu messendeRealtypen. Empirische Forschung innerhalb eines normativ-analytischen Forschungspro-gramms unterscheidet sich insofern grundlegend von jener innerhalb eines erklärend-analytischen.

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Dawid Friedrich: Partizipatives Regieren in der EU

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Zudem ist aggregative Partizipation weniger anspruchsvoll bezüglich einer prakti-schen Umsetzung. Das politische System müsste lediglich basale Freiheiten wieVersammlungs- und Meinungsfreiheit garantieren, damit sich dann Gruppen organi-sieren und in einen Wettbewerb um Einfluss treten können. Diese basalen Freiheitenkönnen unstreitig in der EU als gegeben angenommen werden. Deliberative Partizi-pation ist hingegen für ein politisches System auch auf der Handlungsebeneanspruchsvoller, verlangt sie doch nach einer stärkeren Berücksichtigung vonGleichheit aller Partizipanten und Inklusion aller Betroffenen (z. B. Young 2000).Zudem fordert sie, dass auch die politischen Institutionen als Empfänger der partizi-pativen Aktivitäten ihre Positionen und Ergebnisse im Lichte der eingebrachtenArgumente begründen. Dieses anspruchsvolle Partizipationsmodell kann nicht aufpluralistischem Laissez-faire basieren, sondern bedarf vielmehr eines stärker verre-gelten Rahmens.

Abbildung 1: Modelle partizipativen Regierens

2.3. Das empirische Vorgehen

Mit Blick auf das Partizipationsregime der EU wird in den folgenden Abschnitten an-hand der Darstellung einiger exemplarischer empirischer Ergebnisse untersucht, wiesich der Partizipationsdiskurs praktisch auf europäischer Ebene niederschlägt, obüberhaupt von einer demokratisch gehaltvollen Partizipationspraxis in der europäi-schen Politik gesprochen werden kann und ob diese Praxis den demokratischen Ge-halt der Politikprozesse erhöht.13 Es geht im Folgenden nicht um ein klassisches Mes-sen (oder Erklären) der Partizipationsintensität, vielmehr werden die empirischenBefunde im Lichte der explizierten normativen Erwartungshaltung rekonstruiert.14

Abschnitt 3 analysiert zunächst – anhand der Bedingungen der informationellenTransparenz, des Zugangs und der gleichberechtigten Teilhabe – politikfeldübergrei-fend die Verregelungsintensität des partizipativen Regierens in der EU.

Aggregative Partizipation Deliberative Partizipation

Foermalisierungsgrad (Transparenz, Zugang, Inklusion)

Geringe Notwendigkeit – Laissez-faire

Höhere Notwendigkeit – Rights-based approach

Responsivität Outputorientiert Prozessbasiert

13 Die empirische Untersuchung basiert auf einer Dokumentenanalyse sowie auf 16 Inter-views mit Vertretern von Nichtregierungsorganisationen (NROs), der EU-Kommission,dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat, welche im Juni und Juli 2005durchgeführt worden sind. Die Responsivität wurde mithilfe einer computergestütztenqualitativen Inhaltsanalyse untersucht. Die Empirie ist eine überarbeitete und erweiterteVersion von Friedrich (2007).

14 Zur Problematik politikwissenschaftlicher Forschung an der Schnittstelle von Normativi-tät und Empirie siehe besonders Deitelhoff (2006).

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In den Abschnitten 4 und 5 wird die inhaltliche Responsivitätsbedingung anhandzweier Fallbeispiele untersucht. Der eine Prozess ist in der Umweltpolitik angesie-delt und widmet sich der Chemikalienverordnung Registration, Evaluation, Authori-sation and Restriction of Chemicals (REACH),15 der zweite bezieht sich auf dieRichtlinie zur Familienzusammenführung im Bereich der Migration.16 Die Politik-felder unterscheiden sich in ihren Integrationsgeschichten, ihren politikfeldspezifi-schen Eigenheiten, Akteurskonstellationen, Entscheidungsverfahren und politischenSensitivitäten. Diese Vielfalt soll die Aussagekraft über die Politikfelder hinwegstärken. Gleichzeitig sind es Bereiche, in denen es breites zivilgesellschaftlichesEngagement auf nationalstaatlicher Ebene gibt, sodass signifikante Partizipations-bemühungen nicht von vornherein unwahrscheinlich wären. Die Entscheidungs-prozesse wurden aufgrund einer most-likely-Strategie gewählt, da sie als zentraleGesetzesvorhaben in dem jeweiligen Politikfeld wahrscheinliches Ziel von Partizi-pationsbemühungen sein dürften. Sollte es selbst in diesen Fällen keine bedeutsa-men Partizipationsstrukturen geben, so wäre es schwierig, an einem europäischenPartizipationsmodell festzuhalten, womit der Partizipationsdiskurs als von der poli-tischen Praxis abgelöst entlarvt wäre.

Ziel dieses Beitrages ist, die beiden Politikprozesse auf ihre Responsivität hin zuuntersuchen, nicht auf ihren Inhalt.17 Zu diesem Zweck wurden die Entscheidungs-prozesse in vier Phasen unterteilt und sodann die verfügbaren zivilgesellschaftlichenDokumente zum jeweiligen Thema gesammelt und den Phasen zugeordnet. Es wur-den 48 Dokumente zur Familienzusammenführung und 121 Dokumente zu REACHberücksichtigt.18

3. Die Verregelung partizipativen Regierens in der Europäischen Union

Die Existenz von Rechten zur Ermöglichung von Partizipation ist unerlässliche Vor-bedingung für demokratische Partizipation sowohl aus pluralistischer als auch ausdeliberativer Perspektive. Dieser Abschnitt zeigt, dass die EU durchaus einigen For-schritt auf dem Wege hin zu partizipationsfördernden Arrangements vorzuweisenhat, insbesondere im Bereich der informationellen Transparenz, dass es jedoch ineiner Gesamtschau insbesondere an Verfahren mangelt, bestehende Asymmetrienzwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen abzufedern.

15 Siehe die Verordnung 1907/2006/EC im Official Journal of the European Communties(L 396), 30.1.2006.

16 Siehe die Richtlinie 2003/86/EC im Official Journal of the European Communties(L 251), 3.10.2003

17 Unter dem Blickpunkt Menschenrechte analysiert Van der Velde (2003) die Verordnungzur Familienzusammenführung detailliert und exzellent (siehe auch Peers 2003a, 2003b).Für erste Überblicke über REACH siehe Pesendorfer (2006) und Hey et al. (2006).

18 Nicht berücksichtigt wurden die 6.300 Stellungnahmen der Online-Konsultation zuREACH, da die meisten Beiträge von einzelnen Firmen geschrieben wurden und damit nichtzur organisierten Zivilgesellschaft gehören. Hinzu kommt, dass die Positionen sich – diesergab eine Stichprobe von mir – im Wesentlichen nicht von denen ihres jeweiligen Dachver-bandes unterschieden und daher auf diesem Weg Eingang in die Analyse gefunden haben.

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Dawid Friedrich: Partizipatives Regieren in der EU

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3.1. Informationelle Transparenz

Ein transparenter Umgang mit Informationen seitens der europäischen Institutionenist unerlässliche Vorbedingung für eine politische Öffentlichkeit und für Partizipa-tion, denn Transparenz »allows for scrutiny of public decisionmaking but leavesinfluence to existing political and legal mechanisms« (Bignami 2003: 15). DasGrünbuch Europäische Transparenzinitiative (Europäische Kommission 2006), mitseiner zweifachen Stoßrichtung, sowohl die Entscheidungsverfahren der europäi-schen Institutionen als auch die Praxis der Interessenvermittlung transparenter unddamit nachvollziehbarer zu machen, deutet auf ein entsprechendes Problembewusst-sein der Europäischen Kommission hin.

Die ersten vorsichtigen Schritte zur informationellen Transparenz waren zunächstnoch mit erheblichen Einschränkungen behaftet.19 Die Aufnahme einer Transpa-renzklausel in den Amsterdamer Vertrag (Art. 255) sowie in die Grundrechtecharta(Art. 42) mündeten schließlich in der Verordnung 1049/2001 EC, welche interes-sierten Bürgern und kollektiven Akteuren Transparenzrechte bezüglich des Zugangszu Informationen einräumt. Diese Verordnung ist jedoch lückenhaft, da die Komito-logieverfahren nicht einbezogen und gerade der Zugang zu Dokumenten von laufen-den Gesetzgebungsverfahren erheblich eingeschränkt wurde. Für die politischeÖffentlichkeit bedeutet dies eine erhebliche Schwächung ihrer Partizipations-rechte.20 Darüber hinaus hat der European Citizen Action Service (ECAS) bereits ineiner ersten Untersuchung über die Wirksamkeit der Verordnung eine Steigerungder Ablehnungsrate festgestellt und schließt, dass »at the very most, the Institutionsfulfilled the minimal requirements« (Ferguson 2003: 1).

Nichtsdestotrotz äußern zivilgesellschaftliche Vertreter grundsätzliche Zufrieden-heit über den Zugang zu Informationen, insbesondere mit Blick auf die Verbesse-rungen seit Einführung des Internets. Kritisch angemerkt, sowohl aus funktionalerals auch normativer Perspektive, wird hingegen insbesondere die mangelnde Trans-parenz der Verfahren und Prozesse im Rat.21 Um wirksam partizipieren zu können,sei Informiertheit unerlässlich, und intransparente Verfahren könnten keinenAnspruch auf gesteigerte Legitimität erheben. Zusätzlich wurde hervorgehoben,

19 Alle Institutionen haben Verhaltensregeln für den Zugang zu ihren Dokumenten verab-schiedet – siehe Ratsentscheidung 93/73/EC (20.12.1993); Kommissionsentscheidung94/90/ECSC (8.2.1994); Entscheidung des EP 97/632/EC (10.7.1997).

20 Art. 4.3. der Verordnung besagt: »Access to a document, drawn up by an institution forinternal use or received by an institution, which relates to a matter where the decision hasnot been taken by the institution, shall be refused if disclosure of the document wouldseriously undermine the institution’s decision-making process, unless there is an overri-ding public interest in disclosure.« Mit diesen Bestimmungen lassen sich seitens der EU-Organe beinahe sämtliche Anfragen zu aktuellen Gesetzgebungsverfahren ablehnen.

21 Dieses Thema ist mittlerweile auch vom Rat aufgegriffen worden. In einer Entscheidungvom 21. Dezember 2005 hat der Rat in Aussicht gestellt, alle seine Treffen, die unterdem Mitentscheidungsverfahren zustande kommen, öffentlich zu machen. Der Europäi-sche Ombudsmann bezeichnete jedoch diese Ankündigung als ungenügend und appel-lierte an den Rat, ausnahmslos alle Treffen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, indenen konkrete politische Maßnahmen besprochen werden. (Pressemitteilung Nr. 2,2006).

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dass ebenso wichtig wie ein Zugang zu Dokumenten ein Zugang zu den Agendender Institutionen wäre, um bereits frühzeitig über anstehende Entscheidungsprozesseinformiert zu sein. Dies sei nötig, um interne Positionsbestimmungen der ZGOs, oft-mals über mehrere vertikale Ebenen hinweg, inklusiv gestalten zu können.

Das Scheitern des Verfassungsvertrages, welcher Transparenzbestimmungen kon-stitutionalisiert hätte, schwächt die Fortschreibung der Transparenzinitiative, dieallein kaum die von Art. I-49 des Verfassungsvertrags zur partizipativen Demokra-tie zu erwartende Wirkung erzielen kann (Bignami 2003: 11f).

Im Großen und Ganzen hat sich in der EU der vergangenen 15 Jahre ein geregel-tes Transparenzregime zu entwickeln begonnen, das effektiver und demokratischerPartizipation zuträglich ist. Die letztliche Wirksamkeit dieser Entwicklung istjedoch abhängig vom politischen Willen der Mitgliedstaaten und der EU-Organe,durch ausreichende personelle wie finanzielle Ressourcen für eine gelungene Imple-mentierung der Vorgaben zu sorgen. Darüber hinaus ist diese Entwicklung überpro-portional auf die Verwaltung (der Kommission) konzentriert, sodass insbesonderedie vergemeinschafteten Bereiche aus der ersten Säule in das entstehende Systemintegriert wurden.

3.2. Zugang zu politischen Prozessen

Die Gewährleistung von Zugangsrechten für die organisierte Zivilgesellschaft istzentral für die Bestimmung des europäischen Partizipationsmodus. Je geregelter derZugang, desto weniger können diese Akteure von den europäischen Institutionen füreigene Zwecke instrumentalisiert werden. Generell sträubt sich die EU gegen einformalisiertes Akkreditierungsschema, da sie »wants to maintain a dialogue which isas open as possible«.22 Die Kommission weist einen »over-legalistic approach«zurück, welcher »would be incompatible with the need for timely delivery of policy«(Europäische Kommission 2002: 10). Somit wird das Thema Zugang für die Zivilge-sellschaft von Effizienzgesichtspunkten dominiert.

Trotz dieses Befundes gab es in den zurückliegenden Jahren eine Stärkung vonZugangsrechten nicht-staatlicher Akteure, beginnend bereits in den 1970er Jahrenmit einem Recht auf Anhörung in Fragen des Wettbewerbs für private Akteure,meist Firmen, die unmittelbar von Entscheidungen betroffen waren.23 Die Rolle vonzivilgesellschaftlichen Organisationen hat allerdings erst nach der Integrationskriseim Zuge des ablehnenden dänischen Referendums über den Maastrichter Vertraggrößere Aufmerksamkeit gewonnen (vgl. Bignami 2003: Abschnitte II-IV).

Insbesondere im Kontext des Governance-Weißbuches (2001) hat die Prodi-Kom-mission verstärkte Anstrengungen unternommen, partizipative Governance voran-zutreiben. So wurde 2000 das Diskussionspapier »The Commission and Non-

22 Siehe http://ec.europa.eu/comm/civil_society/;12.5.2006.23 Das »right to a fair hearing was combined with the Commission’s ability to impose a

›penalty‹ or ›adverse effect‹ on an individual or a discrete set of individuals« (Biganmi2003: 7).

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Dawid Friedrich: Partizipatives Regieren in der EU

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Governmental Organisations: Building a stronger Partnership«24 veröffentlicht, wel-ches nach einer intensiven Konsultationsphase (ECAS 2004) in der Mitteilung»Towards a reinforced culture of consultation and dialogue – General principles andminimum standards for consultation of interested parties by the Commission«(Europäische Kommission 2002) mündete. Die Wirksamkeit dieser Initiativen fürdie partizipative Praxis ist jedoch – so die Botschaft der Interviews25 – begrenzt. Esscheint, dass: »the only tangible results from these initiatives were a Commissionwebsite with a registration system, and the use of internet portals as cyber or virtualconsultations« (Cullen 2005: 6). Damit sind die Online-Datenbank Consultation, theEuropean Commission and Civil Society (CONECCS) und der Online-Konsultati-onsmechanismus Interactive Policy-Making (IPM)26 auf der Internet-Plattform IhreStimme in Europa27 gemeint.

CONECCS war eine freiwillige, mittlerweile wieder geschlossene Datenbank, inwelche sich ZGOs nach Themen geordnet eintragen lassen konnten, um ihre Sicht-barkeit vor allem gegenüber der Kommission und potenziellen Kooperationspart-nern zu erhöhen. Die praktische Bedeutung für die organisierte Zivilgesellschaft warjedoch gering. So verwundert die Schließung der Datenbank im Februar dieses Jah-res, welche im Rahmen der Europäischen Transparenzinitiative durch ein verbesser-tes, auch freiwilliges Lobbyismusregister ersetzt wurde, nicht.28 Bemerkenswert beiCONECCS war allerdings die Bedingung, dass die ZGOs der Kommission »input«bereit zu stellen hatten. Dies weist auf die Gefahr einer exklusiven Verteilung vonZugangsrechten unter opportunistischen und funktionalen Gesichtspunkten hin.Dies geht zu Lasten von Organisationen, die »lediglich« auf Missstände hinweisenmöchten, ohne selbst jedoch hohe Problemlösungskapazität zu besitzen.

Das IPM besteht aus zwei Instrumenten: zum einen einem Feedback-Mechanis-mus, bei dem jeder Bürger sich zu spezifischen Themen äußern kann. Die Kommis-sion ist derzeit mit dem Aufbau einer »Feedback-Datenbank« beschäftigt, um dieseÄußerungen für die Politikgestaltung zu verwenden. Für den Kontext dieses Beitra-ges zentraler ist das zweite Instrument: der Mechanismus für Online-Kon-sultationen. Hier stellt die Kommission einige Gesetzes- oder auch politische Initia-tiven (wie Weiß- und Grünbücher) für einen gewissen Zeitraum zur öffentlichenDiskussion, oft auf Basis eines vorgefertigten Fragebogens. Einige der Konsultati-onsverfahren sind jedoch nur für von der Kommission eingeladene Akteure zugäng-lich. Obwohl die Zahl der Online-Konsultationen zunimmt, wurde in den Interviewsdeutlich, dass beide E-Governance-Instrumente – CONECCS und IPM – sowohlunter EU-Angestellten als auch ZGO-Vertretern noch relativ unbekannt waren. Auf-fälligerweise gibt es innerhalb der Kommission keine strukturierte policy, dieseInstrumente intern bekannt zu machen, sodass sich auch innerinstitutionell eine

24 Europäische Kommission (2000).25 Hier waren sich sowohl Verterter der ZGOs als auch der EU-Organe einig.26 Seit April 2001; siehe die Mitteilung der Kommission über interaktive Politikgestaltung

KOM(2001) 1014, in: http://europa.eu.int/yourvoice/ipm/index_de.htm; 12.5.2006.27 »Your Voice in Europe« http://europa.eu.int/yourvoice/index_de.htm; 15.7.2008.28 Https://webgate.ec.europa.eu/transparency/regrin/welcome.do?locale=en#en; 15.7.2008.

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gewisse Teilung zwischen den »normalen« Aktivitäten der Kommission und demGovernance- und Partizipationsdiskurs zeigt.29

Die anderen europäischen Institutionen pflegen einen (noch) weniger strukturier-ten Kontakt zur organisierten Zivilgesellschaft. Das Europäische Parlament (EP)besitzt sehr intensive und gut funktionierende informelle Kontakte zu ZGOs und »isseen as very receptive to demands of the NGO sector« (Smismans 2002: 18). In jün-gerer Zeit wurde der Zugang zum EP jedoch aus Sicherheitsgründen erschwert. DerRat ist – wenig überraschend – die Organisation mit den wenigsten direkten und for-mellen Kontakten zu ZGOs, welche folgerichtig keinen formellen Konsultationssta-tus besitzen; es gibt keinen Rahmen, der das Verhältnis zwischen Rat und ZGOsregelt.

3.3. Gleichberechtigte Teilhabe

Die Expertise der Akteure ist, unter funktionalen Gesichtspunkten, ausreichend unddie gleichberechtigte Teilhabe organisierter Zivilgesellschaft am politischen Prozessnicht notwendig. Soll partizipative Governance jedoch auch normative Qualitätbesitzen, ist Letztere unerlässlich bzw. muss es institutionelle Anstrengungen geben,sie zumindest anzustreben. Insbesondere finanzielle Unterstützungsleistungen fürunterprivilegierte Gruppen sind nötig. Ob dies der Fall ist, lässt sich nur anhand ein-zelner Politikfeldern genauer untersuchen, denn es gibt ein komplexes, auch von derKommission kaum durchschautes System von Budgetlinien, aus denen ZGOs schöp-fen können: Geschätzte eine Milliarde Euro (Europäische Kommission 2000) wer-den jährlich an ZGOs verteilt. Obwohl finanzielle Abhängigkeit ZGOs der Gefahrder Kooptation aussetzen kann (Steffek/Kissling 2007), betonen deren Vertreter,dass diese finanzielle Unterstützung vor allem Planungssicherheit und somit auchUnabhängigkeit von den Eigeninteressen anderer potenzieller Geldgeber, wie Wirt-schaftsunternehmen, gibt. Problematisch ist jedoch die indirekte Kooptation durchKonditionalisierung, wenn ZGOs sich an den vorgegebenen Inhalten der Budgetli-nien orientieren müssen. Der momentane Fokus auf Antidiskriminierung beispiels-weise benachteiligt Organisationen, die sich mit klassischer Armutspolitik oderObdachlosigkeit beschäftigen (vgl. ähnlich Cullen 2005).

Die Europäische Kommission unternimmt gewisse Anstrengungen, um zivilge-sellschaftliche Aktivitäten auf europäischer Ebene zu stimulieren und unterstützt zueinem gewissen Teil auch benachteiligte, schwer organisierbare Themen. Allerdingssind diese Anstrengungen nicht transparent und haben eine Tendenz, bekannte undetablierte Organisationen zu unterstützen, um – so einige Interviews – nicht nurMeinungen und unrealistische Wünsche, sondern auch kompetente Hilfe und techni-sche Expertise zu erlangen. Vor diesem Hintergrund erscheint weniger das norma-

29 So ist beispielsweise lediglich eine sehr kleine IPM-Abteilung innerhalb der Generaldi-rektion Binnenmarkt für die Informationsverbreitung über IPM zuständig.

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tive Ziel gleichberechtigter Teilhabe, als vielmehr der pluralistische Modus die Leit-idee für die Unterstützungsleistungen zu sein.

Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass es trotz des lebhaften Diskursesüber Partizipation und der genannten Initiativen der Kommission innerhalb der EUnoch keinen Konsens über den zu wählenden Partizipationsmodus und nur eineschwache Verregelungsintensität gibt, die als unzureichend erscheint, politischeGleichheit zwischen den eingebundenen Akteuren als zentrale demokratischeBedingung herzustellen.30

4. Partizipationsstrukturen in der europäischen Migrationspolitik

Die folgende Analyse der Partizipationsstrukturen der europäischen Migrationspoli-tik, wie sie am Beispiel der Responsivitätsbedingung im Fall der Familienzusam-menführungsrichtlinie aufgezeigt werden, veranschaulicht, dass die Praxis partizipa-tiven Regierens in der EU stark von der politikfeldeigenen Akteurs- undProzessstruktur geprägt ist. Der partizipative Metadiskurs und die formellen Partizi-pationsregelungen treten in den Hintergrund.

4. 1. Migration und Familienzusammenführung in der Europäischen Union

Die Familienzusammenführungsrichtlinie 2003/86/EC »Das Recht zur Familienzu-sammenführung für Drittstaatsangehörige« stellt das »Flaggschiff« der Entscheidun-gen im Feld legaler Migration dar (Boeles 2001: 61). Kurz nach der Ratssitzung inTampere31 und nach informellen Konsultationen mit ZGOs veröffentlichte die Kom-mission den ersten Gesetzesvorschlag für eine Familienzusammenführungsrichtlinie(KOM (1999) 638endg.). Aufgrund mangelnden Fortschritts im Rat präsentierte siebereits im Oktober 2000 eine überarbeitete Fassung (KOM (2000) 624endg.), wel-che vor allem Anmerkungen des EP berücksichtigte (Boeles 2001). Dessen ungeach-tet blieben die Verhandlungen im Rat zäh,32 woraufhin der Gipfel des EuropäischenRats in Laeken (Dezember 2001) die Kommission beauftragte, den Vorschlag erneutzu überarbeiten. Mit der neuen Fassung vom Mai 2002 (KOM(2002) 225endg.)gelang es, den Stillstand im Rat zu durchbrechen und im Februar 2003 schließlich zueiner Einigung zu kommen (Peers 2002a, 2002b, 2003a). In ihrer endgültigen Fas-sung wurde die Richtlinie im September 2003 angenommen, wenn auch unter poli-tisch problematischen Umständen, da die politische Einigung des Rates stattfand,

30 Greenwood interpretiert ähnliche Befunde anders: »Dialogue between the EU politicalinstitutions and civil society is heavily institutionalised as a result of system design«(2007: 183).

31 Sondergipfel des Rats zu Justiz und Inneres (Tampere, Oktober 1999), der die Integrationder Migrationspolitik beschleunigte, indem das Ziel eines europäischen Raumes derFreiheit, der Sicherheit und des Rechts formuliert wurde.

32 Insbesondere der innerdeutsche Streit über ein neues Zuwanderungsgesetz hat jedenFortschritt auf europäischer Ebene blockiert.

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Aufsätze

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bevor das EP seine Stellungnahme ausfertigte und darin substanzielle Bedenkengegenüber einigen geplanten Regelungen äußern konnte (April 2003).

Die Richtlinie sollte im Oktober 2005 in Kraft treten, doch wurde ihr endgültigesSchicksal erst vor Gericht geklärt. Im Dezember 2004 erhob das EP vor dem Euro-päischen Gerichtshof Klage gegen den Rat (Fall C-540/03)33 mit dem Ziel, einzelneRegelungen als ungültig erklären zu lassen. Insbesondere solche, die minderjährigeKinder betreffen, verstoßen nach Auffassung des EP gegen die Europäische Men-schenrechtskonvention. Dieser letztlich erfolglose Schritt wurde von vielen ZGOsbegrüßt und weist auf erhebliche Unstimmigkeiten zwischen den politischen Akteu-ren hin. Dies ist ein erstes Zeichen für eine geringe Responsivität – insbesondere desRates – gegenüber den Belangen der Zivilgesellschaft. Zugleich kann die Klagejedoch als Erfolg für ZGOs gewertet werden, da viele von ihnen nach der Verab-schiedung der Richtlinie an das Parlament für einen solchen Schritt appellierten.

4.2. Zivilgesellschaftliche Organisationen in der europäischen Migrationspolitik und im Fall der Familienzusammenführung

Es gibt relativ wenige, allerdings sehr aktive, ZGOs in Brüssel, die sich vorwiegendmit legaler Migration beschäftigen (Migration Policy Group 2002). Zu nennen sindinsbesondere kirchliche Organisation wie die Kommission der Kirchen für Migran-ten in Europa oder Caritas Europa, aber auch das Europäische Netzwerk GegenRassismus und der Europäische Flüchtlingsrat sind sehr aktiv. Von einiger Bedeu-tung für die Kooperation und Koordination zivilgesellschaftlicher Aktivitäten aufEU-Ebene ist die Initiative der Brüsseler Vertretung des UN-Flüchtlingskommissari-ats (UNHCR) für eine sich regelmäßig treffende, aber nur schwach organisierteGruppe von ZGOs im Asyl- und Migrationsbereich, welche mittlerweile eine Unter-gruppe Migration gebildet hat, die zur Zeit von der Migration Policy Group organi-siert wird. Weiterhin beschäftigen sich einige ZGOs dann mit Migrationsfragen,wenn ihre eigentlichen Themen betroffen sind; die Diversität der Akteure zeigt sichz. B. an der EU-Sektion des Verbandes Internationaler Lesben und Schwulen und anSave the Children. Hinzu kommen Expertenorganisationen wie die Immigration LawPractitioners’ Association oder Statewatch’s European Monitoring and Documenta-tion Centre, welche Expertise anbieten, Analysen verbreiten und die politischen Ent-wicklungen auch auf europäischer Ebene kritisch kommentieren.

Festzuhalten ist, dass Migranten selbst nicht direkt auf europäischer Ebene vertre-ten sind, obwohl die Europäische Kommission in den 1980er Jahren Migrantenver-bände zur besseren Vernetzung auf europäischer Ebene finanziell unterstützt hat(Kastoryano 1998: 8f). Zu Beginn der 1990er Jahre hat sich, ebenfalls unterstütztvon der Kommission, ein Europäisches Forum von Migranten etabliert, sind »with amandate to deal with the position of third-country nationals within the European

33 Siehe Official Journal of the European Communities (C 47/35), 21.2.2004: 21, sowieOfficial Journal of the European Communities (C 190), 12.8.2006: 1.

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Dawid Friedrich: Partizipatives Regieren in der EU

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Union« (Niessen 2002: 81). Dieses Forum hat sich um die Nationalitätenzugehörig-keit organisiert und sich für die Gleichbehandlung von Migranten zu EU-Bürgernbezüglich politischer und legaler Rechte eingesetzt. Jedoch gab es erhebliche interneOrganisationsschwierigkeiten und finanzielle Unregelmäßigkeiten, sodass die Kom-mission die Unterstützung des Forums unterbrochen hat, was letztlich zu seiner Auf-lösung führte. Das Forum hatte vergeblich gegen die Entscheidung der Kommission,die finanzielle Unterstützung zu stoppen (Juli 2001), vor dem Europäischen Gerichtin erster Instanz geklagt.34 Zurzeit sieht es nicht nach einer Neugründung aus,obwohl es darüber anhaltende Gespräche gibt (Geddes 2000).35 So erscheint es zwarbemerkenswert, dass die EU die europäische Staatsbürgerschaft nicht als Aus-schlusskriterium für die Partizipation von Drittstaatsangehörigen benutzt: weiterge-hende Erwartungen, das europäische Migrationsregime möge sich als Quelle einerpostnationalen polity erweisen (Kastoryano 1998, 2003), scheinen jedoch – zumin-dest empirisch – verfrüht.

Im Fall der Familienzusammenführung gab es intensive informelle Kontakte zwi-schen ZGOs und der Kommission sowie dem EP. Der Rat wurde, falls überhaupt,über die nationalen Mitglieder der ZGOs kontaktiert. Die Abteilung Legale Migra-tion der Generaldirektion Justiz und Inneres (heute: GD Freiheit, Sicherheit undRecht) hat von Beginn des Prozesses an informelle Diskussionspapiere zu wesentli-chen Punkten der geplanten Richtlinie unter ZGOs verteilt, um ein frühes konsultati-ves Treffen am 8. Oktober 1999, also nicht nur vor Veröffentlichung des erstenGesetzesentwurfs, sondern noch vor dem Gipfel in Tampere, vorzubereiten (vgl.Niessen 2001). Derart frühe Konsultationen mit ZGOs sind relativ üblich und fürLetztere auch relativ effektiv, wie die folgende Analyse zur Responsivität zeigenwird. Jedoch wurde die Partizipation nicht transparent geregelt, ebenso wie von denentstehenden E-Governance-Instrumenten keine Verwendung gemacht wurde. DieInterviews haben zudem keine Hinweise darauf gegeben, dass sich der Diskurs zurpartizipativen Governance im alltäglichen politischen Geschehen auszuwirkenbegonnen hätte, weder für Mitarbeiter im Rat oder in der Kommission noch fürZGOs.

4.3. Responsivität im Fall der Familienzusammenführung

Die folgenden Themen waren für ZGOs im Fall der Familienzusammenführung vonbesonderer Bedeutung und dienten als Basis für das Kodierungsschema:– der rechtliche Status des Sponsors, d. i. der/die Migrant/in, der/die bereits inner-

halb der EU lebt und mit seiner/ihrer Familie vereint werden möchte;– die materiellen Bedingungen, die der Sponsor zu erfüllen hat, z. B. Beweis genü-

gender Ressourcen, fester Wohnsitz, Krankenversicherung etc.;

34 Fall T-217/01, Entscheidung 2003/C 146/70, 9.4.2003.35 E-Mail-Kontakt mit der CCME, 7.7.2005.

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Aufsätze

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– welche Familienmitglieder Anrecht auf Zusammenführung haben, z. B. nur dieNukleusfamilie oder auch die Mitglieder der erweiterten Familie;

– Ausstattung mit einklagbaren und sozioökonomischen Rechten für die immigrie-renden Familienmitglieder, z. B. Zugangsrechte zum Arbeitsmarkt, unabhängi-ger Aufenthaltsstatus etc.;

– die Auswirkung der Richtlinie auf existierende nationale Bestimmungen, alsoder Grad der Harmonisierung, eine Flexibilitätsklausel etc.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich der lange und zähe Entscheidungs-prozess nicht zugunsten des zivilgesellschaftlichen Inputs ausgewirkt hat. ImGegenteil, die Analyse über Zeit zeigt eine zunehmende Exklusion von Themen, dieZGOs in den Prozess einzuspeisen versuchten. Zu Beginn des Prozesses hat dieKommission einen umfassenden Richtlinienentwurf präsentiert, der viele von ZGOsformulierte Elemente enthielt, z. B. die Einbeziehung von Drittstaatsangehörigenmit langer Aufenthaltsgeschichte (ohne permanentes Aufenthaltsrecht), von Flücht-lingen im Sinne der Genfer Konvention, Flüchtlingen mit subsidiären Aufenthalts-genehmigungen und EU-Bürgern mit Familienangehörigen aus nicht-EU-Staaten.Auch wurde ein weiter Familienbegriff aufgenommen, der nicht zwischen verheira-teten, unverheirateten oder gleichgeschlechtlichen Partnern unterscheidet und diesenvergleichbare sozioökonomische Rechte zubilligt wie EU-Bürgern.

Da die Kommission sich als so offen und responsiv gegenüber den Belangen derZGOs zeigte, fielen deren Kommentare entsprechend positiv aus. Die zweite Über-arbeitung der Richtlinie 2002 stand jedoch unter anderem Vorzeichen. Der Ratdominierte nun das Verfahren, und die endgültige Fassung der Richtlinie fiel inallen genannten Bereichen deutlich zurückhaltender aus. So sind Flüchtlinge mitsubsidiärem Status und EU-Bürger mit Drittstaatsangehörigen nun von der Richtli-nie ausgeschlossen, verheiratete und unverheiratete Partner werden unterschiedlichbehandelt: Letztere haben kein Recht mehr auf Zuzug, sondern unterliegen nun mit-gliedstaatlichem Ermessen. Da die wichtigsten Belange für die ZGOs über Zeit ausden Gesetzesvorschlägen verschwanden, waren sie in ihrer Ablehnung der endgülti-gen Fassung geeint.

Zumindest ein für ZGOs wichtiges Thema wurde jedoch nicht herausgestrichen.Bereits nach der ersten, noch begrüßten Überarbeitung des Gesetzesvorschlagsdurch die Kommission antizipierten die ZGOs, dass die Richtlinie schlussendlichnur Mindeststandards erfüllen würde. Daher setzten sie sich stark für eine Flexibili-tätsklausel ein, die Mitgliedstaaten erlauben würde, höhere Standards einzuführenbzw. beizubehalten. Hinzukommen sollte eine Stillstandsklausel, die den Mitglied-staaten ein Abweichen nach unten, also ein race to the bottom, untersagen würde.Anfangs sträubte sich die Kommission aus Harmonisierungsgründen gegen solcheFormulierungen, musste aber nach der zweiten Überarbeitung (2002) einsehen, dasseine weitgehende Harmonisierung nicht zu erreichen wäre, ohne den Geist des Vor-habens aufzugeben. So wurden die Flexibilisierungsmaßnahmen aufgenommen,allerdings mit der Verpflichtung an die Mitgliedstaaten, zwei Jahre nach Inkrafttre-ten eine Überprüfung dieser Maßnahmen zu unternehmen.

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Dawid Friedrich: Partizipatives Regieren in der EU

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5. Partizipationsstrukturen in der europäischen Umweltpolitik

Auch der Fall der Chemikalienverordnung REACH veranschaulicht, dass die derzeiti-gen Partizipationsstrukturen der Europäischen Union von politikfeldeigenen Charak-teristika mehr geprägt sind als von – alle Bereiche überspannenden – formellen Parti-zipationsregeln. Insbesondere die Existenz zweier sich gegenüberstehender Gruppenzivilgesellschaftlicher Organisationen, Wirtschafts- bzw. Umweltbelange betonend,in Verbindung mit einer stärkeren Rolle des Europäischen Parlaments im Mitent-scheidungsverfahren, ziehen eine größere Responsivität des Prozesses nach sich.

5.1. Chemikalienpolitik in der Europäischen Union

No data – no market: Wer sich mit Chemikalienpolitik nicht auskennt, würdewahrscheinlich denken, dass dieses Prinzip selbstverständlich dem Umgang mitChemikalien zugrunde liegt. Dies ist jedoch nicht der Fall. Das bis REACH gültigeEU-Recht basierte auf der Implementation der sechsten Fassung einer Chemikalien-Verordnung (67/548/EEC) von 1981. Diese Verordnung schrieb lediglich vor, dassneue Chemikalien vor der Vermarktung getestet sowie eine Gefährdungsüberprü-fung und Registrierung durchgeführt werden müssen. Seit 1981 wurden allerdingsnur 2.500 Chemikalien neu auf den Markt gebracht, während ca. 30.000 ältere öko-nomische Signifikanz besitzen. Die große Mehrheit der im Gebrauch befindlichenSubstanzen hat keine umfassende Gefährdungsüberprüfung und Registrierungdurchlaufen.36 Sogar die chemische Industrie äußerte Interesse an einem umfassen-den, harmonisierten und einheitlichen Europäischen Chemikalienregime.

Mit REACH, der im Dezember 2006 beschlossenen Verordnung zur Regulierung,Evaluation und Autorisation von Chemikalien sollte ein kohärentes, integriertesSystem für europäische Chemikalien geschaffen werden, das Chemikalienpolitiknicht nur unter ökonomischen, sondern vor auch unter Umwelt- und Verbraucher-schutzinteressen betrachtet (Lenschow 2005: 307) und die umweltpolitischenGrundprinzipien der Nachhaltigkeit und der Vorsorge angemessen berücksichtigt.Im Juni 1999 hat der Umweltrat der Europäischen Kommission einen entsprechen-den Auftrag erteilt. Die Kommission hatte bereits im Februar 1999 einen Stake-holder Workshop On the Development of a Future Chemicals Strategy for theEuropean Union organisiert und stellte auf dessen Basis im Februar 2001 ein Weiß-buch über die Zukunft der Chemikalienpolitik vor (KOM(2001b) 88endg.). Dortsind folgende Ziele für das zukünftige europäische Chemikaliensystem formuliert:

36 »Existing substances amount to more than 99% of the total volume of all substances onthe market, and are not subject to the same testing requirements« – so die Kommission(2003: Präambel) – wie neu in den Markt eingeführte Substanzen. Die genauen Zahlendifferieren jedoch in den verschiedenen Dokumenten, was die ungenügende Datenlagenoch einmal unterstreicht.

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Aufsätze

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– Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt;– Erhalt und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Chemie-

industrie;– Verhinderung einer weiteren Fragmentierung des Binnenmarktes;– erhöhte Transparenz für Verbraucher und Industrie;– verstärkter Verzicht auf Tierversuche;– Einhaltung der internationalen Verpflichtungen im WTO-Regime.

Ziel war, alle (neuen und existierenden) Chemikalien einer Registrierung zu unter-werfen, sie zu evaluieren und ein Autorisierungssystem für besonders gefährlicheChemikalien, wie z. B. karzinogene, mutagene oder bioakkumulative Substanzen zuetablieren, welche ihre Verwendung einschränkt und so zur Substitution anregen soll.

Im Oktober 2003 legte die Kommission infolge umfassender Konsultationen,u. a. einer achtwöchigen Online-Konsultation im Sommer 2003, mehreren Kon-ferenzen, öffentlichen Anhörungen und impact assessments, den ersten Entwurf(KOM(2003)644endg.) vor, der im Rahmen des Mitentscheidungsverfahrens an dasEP weitergeleitet wurde. Nach erheblichen prozeduralen und inhaltlichen Verzöge-rungsstrategien und Einwänden, verabschiedete das EP im November 2005 eineerheblich veränderte Version in erster Lesung (Europäisches Parlament 2005). Nureinen Monat später konnte der Rat sich politisch auf einen REACH-Entwurf einigen(Rat 2005). Die zweite Lesung im EP fand im Oktober 2006 statt.

5.2. Zivilgesellschaftliche Organisationen in der europäischen Umweltpolitik und in REACH37

Parallel zur Stärkung der europäischen Umweltpolitik in den 1980er Jahren habensich in Brüssel auch zunehmend umweltpolitische zivilgesellschaftliche etabliert.Auf Seiten der Umwelt-ZGOs haben sich »Die großen Vier«, das »EuropäischeUmweltbüro« (EEB), Greenpeace, der World Wildlife Fund und Friends of theEarth zu zentralen Akteuren entwickelt, während sich bei den ökonomischen Inter-essen der europäische Wirtschaftsverband BusinessEurope,38 der European Chemi-cal Industry Council (CEFIC) und die European Association of Chemical Distribu-tors schon in frühen Stadien der europäischen Integration auf der europäischenBühne eingerichtet haben. Die Datenbank CONECCS führte im Frühjahr 2006 137

37 Neben der Partizipation im konkreten Politikprozess hat die Europäische Kommission imDezember 2004 auch die Kooperation zwischen den Sozialpartnern im Chemiebereich,European Mine, Chemical and Energy Workers’ Federation (EMCEF) und EuropeanChemical Employers' Group (ECEG), als sektoralen Sozialen Dialog anerkannt. REACHund dessen Folgen sind natürlich von erheblicher Bedeutung für diese Akteure. Einegemeinsame Deklaration zu REACH wurde erarbeitet und in der dritten Plenarsitzungdes Sozialen Dialogs angenommen; Hauptziel ist es, die neuen Mitgliedstaaten überREACH zu informieren (siehe die Informationen in: http://ec.europa.eu/employment_social/social_dialogue/sectoral_en.htm; 23.9.2008).

38 BusinessEurope ist noch besser unter seinem vorigen Namen (bis 2007) Union des Indu-stries de la Communauté européenne (UNICE), bekannt.

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Dawid Friedrich: Partizipatives Regieren in der EU

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Organisationen im Umweltbereich auf, von denen sich jedoch lediglich 12 haupt-sächlich mit Umweltthemen beschäftigen, während die anderen vorwiegend ökono-mische Bedürfnisse artikulieren. Die umweltpolitischen ZGOs haben sich durch ihreenge Zusammenarbeit als die sogenannten Green 10 gestärkt. So wurden auch imREACH-Prozess viele gemeinsame Stellungnahmen und Positionspapiere erstelltund Aktionen koordiniert, so auch in der Online-Konsultation.

Obwohl die oben aufgezeigten Spielregeln und Maßnahmen für Migrations- wie fürUmweltpolitik gleichermaßen gelten, könnten Entwicklungen auf UN-Ebene die europä-ische Umweltpolitik als einen Vorreiter für partizipative Governance etablieren. Bereitsim Jahre 1998 wurde von der »Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Natio-nen« (UNECE) die Århus-Konvention verabschiedet, welche Zugang zu Informationen,Partizipation in Entscheidungsprozessen und Zugang zur Gerichtsbarkeit für ZGOs inUmweltfragen vorsieht. Nach längerem Zögern hat die EU am 17. Februar 2005 eine ver-wässerte Version der Konvention ratifiziert. Der Zugang zu bestimmten sensiblen Doku-menten wurde erschwert und ein Verbandsklagerecht für ZGOs nicht eingerichtet.39

Tabelle 1 zeigt, dass während des REACH-Gesetzgebungsprozesses ein intensiverKontakt zwischen den europäischen Institutionen und Stakeholdern bestand. Zusätz-lich hat die Kommission so genannte REACH Implementation Projects und – aufVorschlag von CEFIC – das Programm Strategic Partnerships on REACH Testing(SPORT) zwischen Industrie, Gewerkschaften und Mitgliedstaaten initiiert.

Tabelle 1: Überblick über zentrale offiziell organisierte partizipative Aktivitäten während des REACH-Prozesses

39 Einige Vorhaben sind nicht zuletzt auf die Århus-Konvention zurückzuführen (Rat2003a; 2003b); siehe auch http://ec.europa.eu/environment/aarhus/. Eine frühe Analyseder Beziehung der Århus-Konvention und der EU Politik unternimmt Rodenhoff (2002).

Datum Aktivität

1999 Die Europäische Kommission organisiert eine Konferenz mit 150 Stake-holdern.

2. April 2001 Die Europäische Kommission organisiert eine zweite Stakeholder Kon-ferenz, diesmal über das Weißbuch.

7. Mai – 10. Juli 2003

Die Kommission veröffentlicht ein detailliertes Dokument als Referenz für die Internet-Konsultation.

16. Oktober 2003 Die Kommission organisiert ein Stakeholder Briefing bezüglich ihrer Einflussstudie (Impact Assessment).

19. Januar 2005 Gemeinsame öffentliche Anhörung über «Die neue REACH Gesetzge-bung«, organisiert von den Ausschüssen für Umwelt, öffentliche Ge-sundheit und Lebensmittelsicherheit, für Industrie, Forschung und Energie, und für Binnenmarkt und Verbraucherschutz des EP.*

* Die drei Ausschüsse konnten sich nicht auf ein gemeinsames Programm für die Anhörung einigen, sodass am Ende jedes Komitee seine eigene Veranstaltung mit eigenen Panels und entsprechenden Experten organisierte und ein Dialog zwischen den verschiedenen Stake-holdern und Positionen an dieser Stelle vermieden wurde.

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Neben diesen Aktivitäten haben ZGOs wie das EEB oder der EuropäischeGewerkschaftsbund mehrere größere Konferenzen und unzählige kleine Empfänge,lunch meetings, Informationsveranstaltungen u. ä. organisiert, um einen dauerhaf-ten, intensiven Dialog zwischen den Stakeholdern zu gewährleisten. Darüber hinaushaben Umweltgruppen versucht, mit internationalen Kampagnen wie der DETOX-Kampagne des WWF die Öffentlichkeit für das Thema Chemie zu sensibilisieren.Insgesamt waren sowohl die informellen als auch die offiziellen Anstrengungen, vorallem seitens der Kommission, für einen partizipativen Prozess zu sorgen, erheblich.Die Internet-Konsultation auf der IPM-Plattform erreichte mehr als 6.300 Beiträge,zumeist von einzelnen Firmen, und hatte nach Aussage der Interviewten auch einenfür die wirtschaftlichen Interessen günstigen Einfluss auf die Gesetzgebung. Kritikgibt es an der technischen Ausrichtung des vorgefertigten Fragebogens, der aufdiese Weise die technischen Interessen der Wirtschaft zu Ungunsten einer Debatteüber die Ausgestaltung der Grundprinzipien und Ziele von REACH bediente, wiedie Art der Ausgestaltung des Vorsorgeprinzips.

Am REACH-Prozess zeigt sich, dass eine Mischung aus formellen, aber zumeistauf technische Aspekte zielenden Konsultationen und informellen Partizipati-onspraktiken in einem asymmetrischen Zugang zum politischen Prozess resultiert,zu Ungunsten der zahlenmäßig unterlegenen Umweltstimmen. Es bedarf erheblicherpersoneller, finanzieller und inhaltlicher Ressourcen, um einen engen Kontakt zuden europäischen Institutionen herzustellen und auf Dauer zu erhalten – ein Auf-wand, den nur wenige nicht-ökonomische Interessensgruppen von allein leistenkönnen. Aus diesem Grunde tendieren diese Akteure dazu, ihre Aktivitäten auf ihrenatürlichen Verbündeten von der GD-Umwelt und dem Umweltausschuss des EP zukonzentrieren. Allerdings kann sich auf diese Weise die Asymmetrie verstärken,denn zumindest in der Kommission ist ein Machtgefälle zwischen der Berücksichti-gung von Umwelt- und Industriefragen zu Gunsten Letzterer deutlich. Angesichtsdessen unterscheiden sich die Strategien der verschiedenen Typen von ZGOs: Öko-nomische ZGOs versuchen, ihre Interessen eher im Verborgenen zu artikulieren,während Umwelt- und Verbraucherschutz-ZGOs ihre Position zu stärken versuchen,indem sie ihre öffentliche Sichtbarkeit erhöhen und öffentliche Diskurse anzustoßenversuchen. Hinzu kommt – wie auch die Untersuchung zur Responsivität zeigt –,dass derzeit Umweltfragen auf erheblich weniger Echo im politischen Prozess sto-ßen als Wettbewerbsfragen.

5.3. Responsivität bei REACH

Tabelle 1 zeigt eine erhebliche Bereitschaft der Kommission, den StakeholdernGelegenheit zur Artikulation ihrer Interessen zu geben, und in der Tat waren vieleZGOs mit dem Weißbuch recht zufrieden – die ökonomischen ZGOs allerdingsweniger, da sie ein Ungleichgewicht zugunsten von Umweltaspekten zu entdeckenglaubten. Im weiteren Verlauf des Prozesses gerieten Umwelt- und Verbraucher-schutzfragen immer mehr in die Defensive. Deren Vertreter scheinen zunehmend auf

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Dawid Friedrich: Partizipatives Regieren in der EU

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viele ihrer wichtigen Punkte zu verzichten, so z. B. die Einbeziehung niedriger Ton-nage zur Registrierung (nicht erst ab 10t) oder eine frühzeitige Gefahrenabschätzungfür besonders gefährliche Stoffe.

Stattdessen konzentrierten sich die Stellungnahmen zunehmend auf wenige Kern-punkte – u. a. darauf, dass die Registrierung von einer gewissen überprüfbaren Qua-lität zu sein habe und die Autorisierung von besonders gefährlichen Stoffen einensukzessiven Verzicht auf die Verwendung dieser Substanzen vorschreiben müsse,womit das Substitutionsprinzip gestärkt würde. Auf diese Weise würden Innovationund Forschung gefestigt, und nur so könne dem Vorsorgeprinzip genüge getan wer-den. Ansonsten wäre REACH kaum fortschrittlicher als das existierende Regelwerk.Allerdings obsiegten ökonomische Interessen und verhinderten somit eine substan-zielle Anwendung des Vorsorgeprinzips. Der gestufte risikobasierte Ansatz setztesich durch, und Substitution wurde nicht verpflichtend, sondern lediglich optionaleingeführt.

Eine detaillierte Analyse der Dokumente offenbarte eine im Laufe der Zeit immerpolarisiertere Diskussion. Gleiche Argumente wurden immer wieder neu vorge-bracht, und wenig deutet darauf hin, dass sich die Akteure mit den Argumenten deranderen auseinandersetzten. Besonders bemerkenswert ist die Beratungsresistenzökonomischer Interessen gegen die zahlreichen impact assessments, die sie teilweiseselbst in Auftrag gegeben hatten. Vor allem Umwelt-ZGOs versuchten, sich aktivmit den Argumenten anderer Akteure auseinanderzusetzen und ihre Positionen gutzu begründen.

Die industrienahen Akteure verfolgten ihrerseits einen Strategiemix: Sie engagier-ten sich weniger öffentlich in Diskussionen und vertrauten stärker auf ihre zahl-reichen informellen Kontakte in die Institutionen und ihre Lobbying-Fähigkeiten.Darüber hinaus haben sie, in Kooperation mit konservativ-liberalen Europaparla-mentariern, erfolgreiche Verzögerungstaktiken im Gesetzgebungsprozess initiiert.Aufgrund dieser Taktik hat sich erst das derzeitige EP mit REACH beschäftigt. Dieshat nicht nur eine Verzögerung von anderthalb Jahren gegenüber dem ursprüngli-chen Zeitplan mit sich gebracht, sondern zu einer weiteren Abschwächung der Vor-schläge geführt, da das derzeitige Parlament konservativer und industriefreundlicherist als das vorherige. Man kann nur mutmaßen, dass diese prozeduralen Veränderun-gen und Taktiken größeren Einfluss auf den Ausgang des Prozesses hatten als derargumentative Input der ZGOs.

6. Schlussbetrachtungen

Abschließend sollen die empirischen Ergebnisse vergleichend betrachtet werden und– vor dem Hintergrund der demokratietheoretischen Diskussion zu Beginn des Auf-satzes – die empirischen Ergebnisse in die Diskussion um die demokratische Quali-tät europäischen Regierens eingeordnet werden.

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6.1. Vergleichende Betrachtung der Politikfelder

Obwohl die formalen Regeln bezüglich der unterschiedenen Merkmale partizipativerGovernance politikfeldunspezifisch formuliert sind (vgl. Abschnitt 3), unterscheidetsich die Praxis der Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteure, je länger ein Pro-zess voranschreitet. In den frühen Stadien eines Entscheidungsprozesses versucht dieEuropäische Kommission aktiv, eine Vielzahl zivilgesellschaftlicher Stimmen zuhören und zu berücksichtigen. Sobald jedoch das formelle Gesetzgebungsverfahrenbeginnt, unterscheiden sich die Fälle. Der durch das Einstimmigkeitsprinzip im Falleder legalen Migration zentrale Rat zeigt keinerlei Anzeichen, zivilgesellschaftlichenInput zu achten. Im Gegenteil, sobald der Rat die Bühne betritt, dominiert er denpolitischen Prozess und drängt die ZGOs an die äußerste Peripherie. Im Falle vonREACH ist zwar ebenfalls eine Dominanz des Rates zu beobachten, doch kann eraufgrund des Mitentscheidungsverfahrens andere Akteure und die Stakeholder weni-ger weit verdrängen. Trotzdem wird deutlich, dass die jeweiligen Interessen derMitgliedstaaten erheblich mehr Bedeutung für das Politikergebnis haben als dieArgumente der ZGOs.

Neben Prozesseigenschaften sind auch Politikfeldeigenschaften wichtig, um dieUnterschiede zivilgesellschaftlicher Partizipation zu verstehen. Im Fall legaler Mig-ration haben seit dem 11. September 2001 Sicherheitsaspekte an Dominanz gewon-nen, zulasten solcher Aspekte wie Menschenrechte oder ökonomische Migrations-gründe. Auch die europäische Umweltpolitik findet in einem Kontext sichwandelnder Schwerpunkte statt. Ökonomische Gesichtspunkte dominieren eindeutigauch umweltpolitische Vorhaben. Dies fördert die wenig überraschende Dominanzökonomischer Stimmen – zu Ungunsten von Umwelt- oder Verbraucherschutzorga-nisationen. Insgesamt sind die ZGOs im Umweltbereich zahlreicher, stärker undbesser in der Lage, auch die nationale Ebene in ihre Aktivitäten mit einzubeziehen,als Migrations-ZGOs. Somit haben ZGOs bei REACH mehr Zugangspunkte als inder legalen Migration, nicht zuletzt auch aufgrund des enorm technischen Charak-ters der Materie, der die Mitglieder der Kommission – und vor allem des EP – vonexterner Expertise abhängig macht.

Als tentativ politikfeldübergreifendes Ergebnis ist festzuhalten, dass partizipativeGovernance in der EU bisher nicht den intergouvernementalen Kern (Steffek/Kiss-ling 2007: 213) europäischen Regierens durchdrungen hat. Der kooperative Modusvon Governance konnte also den hierarchischen Modus nicht signifikant zurück-drängen bzw. einhegen. Der Diskurs über Partizipation hat ganz offenbar nicht diepolitische Unterstützung gewonnen, die nötig wäre, um die widerstreitenden ZieleEffizienz und demokratische Legitimität von Partizipation zu versöhnen. Um diesenintergouvernementalen Kern zu knacken und Asymmetrien zwischen den ZGOs ent-gegenzuwirken, bedürfte es eines auf Regeln basierten Partizipationsregimes, umdie Beliebigkeit und Exklusivität informeller Konsultationen einzudämmen. Nichts-destotrotz darf die Zunahme an Aktivitäten, insbesondere im E-Governance-Bereich, aber auch im Bemühen, den Zugang zu Dokumenten und Informationen zuerhöhen, nicht unterschätzt bzw. nur als Rhetorik bezeichnet werden. Auch die

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Dawid Friedrich: Partizipatives Regieren in der EU

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Transparenzinitiative der jetzigen Kommission sollte in diesem Kontext als Engage-ment zugunsten der Gestaltung partizipativer Governance interpretiert werden. Eszeigt sich allerdings, dass sich diese Aktivitäten vorwiegend auf die Kommissionbeschränken, während sich die anderen Institutionen kaum beteiligen. Ein partizipa-tiv-kooperativer Modus von Governance ist somit innerhalb der EU-Institutionenungleich ausgeprägt.

6.2. Beitrag für die Diskussion um die demokratische Qualität der EU

Im Mittelpunkt dieses Beitrags stand die Frage, inwieweit sich die partizipative Rhe-torik der letzen Dekade innerhalb der Europäischen Union in alltäglichen Politikge-staltungsprozessen niedergeschlagen hat, ob sich also ein Regime geregelter partizi-pativer Governance herausgebildet hat, das demokratiefördernd ist. Zunächstwurden hierfür zwei demokratietheoretische Ansätze daraufhin diskutiert, ob manvon der Partizipation kollektiver Akteure einen demokratisierenden Beitrag für Poli-tikprozesse jenseits des Staates erwarten kann. Dies wurde vorsichtig bejaht und dar-aufhin zwei verschiedene Partizipationsmodelle unterschieden. Der Sprung von nor-mativer Reflektion zu empirischer Forschung wurde durch die Erarbeitung von vier,theoretisch abgeleiteten Ermöglichungsbedingungen geleistet, die anschließendanhand zweier Politikprozesse in unterschiedlichen Politikfeldern plausibilisiertwurden. Es galt, die Partizipationspraxis europäischer Politikgestaltung herauszuar-beiten.

Vor dem Hintergrund der Ergebnisse kann man m. E. nicht wie Justin Greenwood(2007) argumentieren, dass die bestehende Praxis partizipativer Governance einstarkes System von Regeln anbietet, welches die Nachteile insbesondere nicht-öko-nomischer ZGOs ausgleicht. Zurzeit kommen die bestehenden Strukturen partizipa-tiver Governance vor allem gut organisierten, starken ZGOs zugute. Dadurch ver-schärft sich der Trend zur Bildung von Super-NROs, d. h. einer Korporatisierungzivilgesellschaftlichen Engagements, was aus der funktionalen Perspektive europäi-scher Institutionen zunächst attraktiv erscheinen mag. Es bildet sich somit ein Sys-tem von Laissez-faire-Partizipation mit korporatistischen Zügen heraus, in dem dieeuropäischen Institutionen alle pluralen Stimmen unreglementiert zulassen und dieStrukturierung von Teilhabemöglichkeiten vorwiegend den ad hoc-Einschätzungenund Bedürfnissen der Beamtenschaft anvertrauen, Kooperationen sich aber auf etab-lierte, große ZGOs mit hoher Expertise konzentrieren.

Damit jedoch hat die partizipative Infrastruktur nicht mit der Intensität des partizi-pativen Diskurses Schritt halten können. Nicht einmal die Europäische Kommissionscheint letztlich ein echtes Interesse an kohärenter, geregelter Partizipation zuhaben, nicht zu sprechen vom Europäischen Parlament und dem Rat. So erscheintdie funktionale Dimension partizipativer Governance durchaus als gewünscht undunterstützt, während ihr normativer Gehalt sich auf die legitimierende Kraft des par-tizipativen Diskurses an sich beschränkt. Wenn zivilgesellschaftliche Partizipationsowohl funktional effektiv wie normativ gehaltvoll sein soll, dann müssen die Insti-

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tutionen dafür Sorge tragen, dass die verschiedenen Interessen gleiche Teilhabe-und Einflusschancen haben. Zwar hat sich die Art und Weise zivilgesellschaftlicherPartizipation im Laufe der Zeit weiterentwickelt, vor dem Hintergrund der theoreti-schen Betrachtungen ist sie jedoch weiterhin normativ ungenügend: Entgegen derBehauptung von Greenwood sind die Partizipationschancen der Akteure ungleichverteilt. Gleichzeitig wäre es aber falsch, zivilgesellschaftliche Partizipation alsbloße Rhetorik abzutun.

Wenn an den Chancen partizipativer Demokratie als Ergänzung der repräsentati-ven Strukturen festgehalten werden soll, ist eine weitergehende Verrechtlichung vonPartizipationsstrukturen vonnöten, um Opportunitätsstrukturen für zivilgesellschaft-liche Organisationen zu schaffen, welche eine Stärkung politischer Gleichheit undTeilhabe zum Ziel hätten. Dieser Weg wird im Umweltbereich mit der Århus-Kon-vention bereits beschritten. Eine Ratifikation des Verfassungsvertrags und damit dasInkrafttreten des Artikels I-47 zur partizipativen Demokratie hätte einen weiterensignifikanten Beitrag zu einem auch normativ gehaltvollen politikfeldübergreifen-den Modus zivilgesellschaftlicher Partizipation in der Europäischen Union leistenkönnen.

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237Zeitschrift für Internationale Beziehungen15. Jg. (2008) Heft 2, S. 237–271

Jochen Hils

Der »demokratische Krieg« als Folge verfälschter Präferenzbildung?Eine systematische Formulierung des Manipulationsverdachts der liberalen Theorie der Internationalen Beziehungen

Die (rationalistische) liberale IB-Theorie geht davon aus, dass Demokratiedefizitenotwendige Voraussetzungen für die Kriegsfähigkeit einer Demokratie sind. Dazuwerden auch mediale Manipulationen gezählt. Dagegen hegt die (konstruktivistische)neuere deutsche Forschung zum demokratischen Krieg lediglich einen begrenztenManipulationsverdacht. Sie geht hier von demokratiespezifischen Kriegsgründen bzw.Legitimationsmustern aus, die zumindest bei den Bürgerinnen bestimmter (militanter)Demokratien aufgrund einer spezifischen nationalen Mehrheitsinterpretation libera-ler Werte und Normen im Rahmen einer bestimmten außenpolitischen Kultur aufResonanz stoßen. Im Zentrum der bislang nicht explizit geführten Debatte steht alsodie Frage nach der Existenz des authentischen demokratischen Krieges. Der Beitragrekapituliert beide Positionen, kritisiert ihre rudimentären Manipulationsbegriffe undentwickelt einen eigenen, der die konkreten informationellen Rahmenbedingungen inden Vordergrund rückt, unter denen sich eine Präferenzänderung der Bürger voll-zieht. Die Befunde eines ersten empirischen Tests anhand der Kosovopolitik der USA(1998-1999), die anschließend umrissen werden, um das Potenzial des Ansatzes zuveranschaulichen, legen nahe, dass beide Positionen problematisch sind.

1. Der »demokratische Krieg«: Eine medial bedingte Anomalie?1

Im Zusammenhang mit der militärischen Interventionspolitik demokratischer Staa-ten wird immer wieder angenommen, dass demokratische Öffentlichkeiten2 entwe-der von ihren Regierungen mit Hilfe der Massenmedien oder aber von den Massen-medien selbst manipuliert werden (können). Der Präventivkrieg der USA gegen denIrak, die sogenannte Operation Iraqi Freedom, ist nur das jüngste Beispiel.3 In derTat lässt sich eine Reihe von Anhaltspunkten dafür finden, dass auch bzw. geradedemokratische Regierungen im Zusammenhang mit Militäreinsätzen bemüht sind,ihre nationalen Öffentlichkeiten via Massenmedien zu mobilisieren und insofern

1 Für zahlreiche hilfreiche Kommentare und Anregungen danke ich Sebastian Harnisch(der eine frühere Fassung des Artikels kommentiert hat), Katja Leikert, Sebastian Werle,Jürgen Wilzewski sowie der Redaktion und den anonymen Gutachterinnen und Gutach-tern der ZIB.

2 Der Begriff »Öffentlichkeit« wird hier und im Folgenden als Synonym für die überrepräsentative Meinungsumfragen erhobene kollektive (nationale) Bevölkerungsmei-nung, die öffentliche Meinung, verwendet.

3 Vgl. dazu u. a. Western (2005: Kap. 6); Kaufmann (2004); Pfiffner (2004); Massing(2004); Kull et al. (2003/2004); Foyle (2004); Hils (2007: 13-20).

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Aufsätze

238

zumindest zu beeinflussen.4 Sichtbarster Ausdruck eines solchen Unterfangens istdie vorübergehende oder auch dauerhafte Gründung von (PR-)Institutionen, die demunmittelbaren Zweck dienen, das militärische Engagement nach innen zu »vermark-ten«. Insbesondere die USA als die Demokratie, die in den vergangenen sechs Jahr-zehnten am häufigsten in mit Waffengewalt ausgetragene Konflikte Dritter militä-risch interveniert hat (Chojnacki 2006: 21, 2004: 82) und – nach Israel – amzweithäufigsten in sogenannte militarized interstate disputes verwickelt war (Müller2004a: 495, Figure 1), können hier auf eine lange Tradition verweisen.5

Problematisch wird diese Perspektive dann, wenn offenkundige Beeinflussungs-versuche bereits als stichhaltige Indizien für eine tatsächliche mediale Beeinflus-sung oder gar Manipulation einer demokratischen Öffentlichkeit angesehen werden– als wären solche Versuche vor dem Scheitern gefeit. In der Tat hat politischeÖffentlichkeitsarbeit zunächst prinzipiell zwei hohe Hürden zu bewältigen, bevorsie als erfolgreich bezeichnet werden kann (ähnlich die Kritik bei Weller 2002: 30):Erstens, muss die mediale Agenda und der Inhalt einer Medienberichterstattungpositiv zum jeweils eigenen politischen Nutzen beeinflusst werden. Zweitens, mussder Medieninhalt von der Bevölkerung hinreichend rezipiert werden und dann diegewünschte Wirkung nach sich ziehen. Selbst unter diesen Umständen wäre esjedoch voreilig, hier grundsätzlich von einer medialen Manipulation auszugehen.Denn wie plausibel wäre ein Manipulationsbefund etwa, wenn eine demokratischeÖffentlichkeit sich zwar in erheblichem Maße von der über die Massenmedien kom-

4 Eine mediale Manipulation kann und sollte von einer »bloßen« (nicht-manipulativen)medialen Beeinflussung unterschieden werden (siehe Abschnitt 3.2.2).

5 In der Tat lässt sich argumentieren, dass Kriege, parallel zum (institutionellen) Aufstiegder Präsidentschaft im 20. Jahrhundert, als Katalysatoren der Öffentlichkeitsarbeit derExekutive fungierten (Casey 2005: 691f; Hils 2002: 75f): Vom sogenannten Committeeon Public Information im Ersten Weltkrieg (vgl. Ponder 1998: Kap. 7) – von seiner Füh-rung ohne Umschweife als Amerikas erstes Propagandaministerium bezeichnet (Jackall/Hirota 1995: 158) –, über das weniger aggressiv agierende Office of War Information imZweiten Weltkrieg (vgl. exemplarisch Winfield 1990: 155-169) bis hin zum White HouseOffice of Communications, das auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges von PräsidentRichard M. Nixon ins Leben gerufen und über seine Amtszeit hinaus zu einem festenorganisatorischen Bestandteil des Präsidentenamtes wurde (vgl. Maltese 1994: 1-12, 48;Casey 2005: 705; Hils 2007: 136-147; Joynt Kumar 2004: 378-380). Im Fall der Opera-tion Iraqi Freedom war es eine mit strategischer Kommunikation betraute task force derbeim Stabschef des White House Office angesiedelten White House Iraq Group, die vonAugust 2002 an die manifeste PR-Kampagne der Administration zur »Vermarktung« desIrakkrieges koordinierte (Gellman/Pincus 2003: A01; Hils 2007: 15f; Western 2005:201f). Auch im Kosovokrieg war es die US-Regierung, die – zusammen mit ihrem briti-schen Pendant – Mitte April 1999, nach der versehentlichen Bombardierung eineskosovo-albanischen Flüchtlingskonvois bei Djakovica (Kosovo) und dem damit verbun-denen Einbruch in der öffentlichen Unterstützung für den NATO-Luftkrieg gegen Ser-bien, auf eine Professionalisierung der politischen PR der Allianz drängte, die in Gestaltdes sogenannten Media Operations Centre (MOC) realisiert wurde (Angerer/Werth2001: 10; Gallup Organization, ohne Datum: 15; Stourton 1999; Hils 2007: 262-265).Die dauerhafte Institutionalisierung des MOC wurde von Jamie Shea (2000: 216), wäh-rend des Kosovokrieges Pressesprecher von NATO-Generalsekretär Javier Solana, alseine zentrale Lehre, die aus der Militärintervention zu ziehen sei, angemahnt. Vgl. zurnegativen Bilanz der Arbeit des MOC im Hinblick auf die Abendnachrichten des US-Fernsehens Hils (2007: 253-300).

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Jochen Hils: Der »demokratische Krieg« als Folge verfälschter Präferenzbildung?

239ZIB 2/2008

munizierten kriegsbefürwortenden Position ihrer Regierung beeinflussen ließe,diese Position im Mediendiskurs aber nicht absolut dominant und kriegsablehnende,regierungskritische Deutungen trotz (mäßigem) Erfolg der Regierungs-PR in etwagleichgewichtig präsent wären? Eine mediale Beeinflussung der öffentlichen Mei-nung läge hier zwar vor, über den manipulativen Charakter dieser Beeinflussungließe sich aber mit Recht streiten.

Bislang finden sich in den Theorien der Internationalen Beziehungen kaumbrauchbare Anhaltspunkte dafür, wann genau die Meinung(sbildung) einer demo-kratischen Öffentlichkeit als authentisch bzw. als manipuliert oder verfälscht ange-sehen werden muss.6 Im auffälligen Gegensatz dazu stehen regelmäßige Verweiseauf mediale Manipulationen, wie sie sich vor allem in konzeptionellen Arbeiten zur(rationalistischen) Liberalen Theorie (LT), gelegentlich aber auch in der (konstrukti-vistischen) neueren deutschen Forschung zum »demokratischen Krieg«7 (FDK) fin-den. Das ist insofern überraschend, als die FDK im Gegensatz zur LT hier ausdrück-lich nicht mehr von Demokratiedefiziten als einer notwendigen Bedingung derGewaltneigung ausgeht. Sie betont ganz im Gegenteil die Bedeutung demokratie-spezifischer,8 »liberaler« Kriegsgründe bzw. Legitimationsmuster, worunter in ers-ter Linie der Verweis auf Menschenrechtsverletzungen und die Verbreitung derdemokratischen Regierungsform gefasst werden.9 Diese Kriegsgründe bzw. Legiti-mationsmuster stoßen zumindest bei den Bürgerinnen bestimmter (»militanter«)Demokratien aufgrund einer spezifischen nationalen Mehrheitsinterpretation libera-ler Werte und Normen im Rahmen einer bestimmten außenpolitischen Kultur, Iden-tität oder Rollenkonzeption auf Resonanz.10 Insofern steht die FDK der Erklärungs-kraft einer medialen Manipulation für die »Kriegsfähigkeit« einer Demokratieskeptisch gegenüber. Es sind authentische liberale Werte und Normen auf Seiten derBürger bzw. deren »militante« Interpretation im Rahmen einer spezifischen außen-politischen Kultur, die den demokratischen Krieg ermöglichen. Die mit dem Rollen-bild verbundenen Angemessenheitsregeln werden dabei ebenso wenig als beliebigmanipulierbar angesehen wie die soziale Konstruktion des staatlichen Gegenübers(Geis et al. 2007c: 84; Brock 2007: 49; Müller/Wolff 2006: 61). Gleichwohl hältauch die FDK begrenzte Manipulation in diesem konzeptionellen Rahmen zumin-dest insofern weiterhin für möglich, als Regierungen bzw. (kollektive) Akteure, diean einem Militäreinsatz »interessiert« sind, »liberale« Kriegsgründe im Umgang mit

6 Ich bevorzuge den Begriff »verfälscht«, weil er nicht die Assoziation einer Absicht her-vorruft (siehe Fn. 26).

7 Vgl. zur Definition Geis et al. (2007c: 71-74); Brock et al. (2006a: 6-8); zur EmpirieChojnacki (2006, 2004); Müller (2004a: 494-497).

8 Geis et al. (2007b: 24, 29); Brock et al. (2006a: 6-8); Geis/Wagner (2006: 280-282).9 Vgl. u. a. Geis et al. (2007c: 82f); Geis/Wagner (2006: 282); Daase (2006a: 83f, 2004:

62f); Müller (2004b: 37-41).10 Geis et al. (2007c: 81-86); Müller (2007: 306f); Brock et al. (2006b: 201-204); Müller/

Wolff (2006: 58-67); Müller (2004a: 503-510); vgl. auch Daase (2006a: 82-86, 2004: 60-64).

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Aufsätze

240

Nichtdemokratien erfolgreich vortäuschen können (Müller/Wolff 2006: 62; Müller2004a: 496f).11

Sieht man von diesem Zugeständnis ab, das zumindest partiell zurück zur Positionder LT führt, steht in der bislang nicht explizit geführten Debatte zwischen der LTund der FDK nicht weniger als die Frage nach der Existenz des authentischen demo-kratischen Krieges im Mittelpunkt (Abschnitt 2). Die Bedeutung dieser Frage recht-fertigt es, den vor allem von der LT gehegten Manipulationsverdacht erstmals syste-matisch auszuformulieren, um ihn einer empirischen Überprüfung zugänglich zumachen (Abschnitt 3). Die Befunde eines ersten empirischen Tests anhand derKosovopolitik der USA (1998-1999), die anschließend skizziert werden, um dasPotenzial des Ansatzes zu veranschaulichen, deuten darauf hin, dass sowohl diePosition der LT als auch die der FDK problematisch ist und weitere Forschungennotwendig sind (Abschnitt 4). Der Schlussteil stellt Überlegungen zu einer For-schungsagenda an, mit der die Frage nach der Existenz des authentischen demokra-tischen Krieges beantwortet werden kann (Abschnitt 5).

2. Zentraler vor-demokratischer Störfaktor oder zweitrangiges Phänomen? Der Stellenwert einer medialen Manipulation in der LT und der FDK

2.1. Vor- und un-demokratischer Störfaktor: Manipulation in der Liberalen Theorie Czempiels und Moravcsiks

Für die LT Ernst-Otto Czempiels (1996a: 90, 1996b: 119f) ist eine mediale Manipu-lation der öffentlichen Meinung ein zentrales Argument, um die Kriegsneigungdemokratischer Staaten zu erklären bzw. grundsätzlich in Abrede zu stellen. MedialeManipulationen lassen sich damit in die Kategorie dessen einordnen, was Anna Geis,Harald Müller und Wolfgang Wagner im Zusammenhang mit den Erklärungsansät-zen des demokratischen Krieges als »un- oder vor-demokratisch[e] Störfaktoren«(Geis et al. 2007b: 24) bezeichnen. Sie dienen dazu, so der generelle Vorwurf ausder FDK an Czempiel (1996a), ein gewaltbereites Außenverhalten der Demokratiengegenüber Nichtdemokratien als Anomalie wegzudiskutieren (Daase 2004: 67; vgl.auch Geis et al. 2007b: 11). Als rigorosem Vertreter der monadischen Variante des»demokratischen Friedens«12 bleibt der demokratische Krieg für Czempiel einWiderspruch in sich selbst: Nur defizitäre Demokratien sind jenseits des Verteidi-gungsfalls, der aus der Friedfertigkeitsthese ausgeklammert wird (Czempiel 1996a:

11 Vgl. zur begrenzten Manipulierbarkeit kollektiver Identitäten auch Risse (2003: 121);zum instrumentellen Umgang mit »liberalen« Kriegsgründen auch Geis/Wagner (2006:281f); Daase (2006a: 80, 2004: 59).

12 Die monadische Variante des demokratischen Friedens, die trotz zunehmender Populari-tät nach wie vor nur von einer Minderheit von Forschern vertreten wird, behauptet imGegensatz zur dyadischen Variante, die weithin geteilt wird, dass Demokratien nicht nurkeine Kriege gegeneinander führen, sondern generell friedlich(er) seien (als Nichtdemo-kratien). Vgl. dazu exemplarisch Geis et al. (2007b: 15); Brock et al. (2006a: 3f);Chojnacki (2006: 32f); Müller/Wolff (2006: 43-46, 49-52).

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80, 82, 90), willens und in der Lage, militärische Gewalt einzusetzen. Zwischen derQualität der Demokratie im Innern und der Neigung bzw. Fähigkeit zur militärischenGewaltanwendung nach außen besteht aus dieser Perspektive also ein umgekehrtproportionaler Zusammenhang (Czempiel 1996a: 97). Der demokratische Krieg istfür Czempiel deshalb (unter anderem) die Folge verfälschter Präferenzbildung,13 dieden Kern der Demokratie, die Mitsprache der Bürgerinnen, grundsätzlich in Mitlei-denschaft zieht und deshalb als schwer wiegendes demokratisches Defizit angesehenwerden muss. Tatsächlich betrachtet Czempiel dieses Defizit (ebenso wie die ande-ren von ihm genannten) als so schwer wiegend, dass er einem Staat, dessen Öffent-lichkeit in einem konkreten Einzelfall medial manipuliert bzw. nicht »durch die Par-teien, die Exekutive und die Medien adäquat informiert« (Czempiel 1996a: 89) wird,den Status als Demokratie gänzlich aberkennt (Czempiel 1996a: 82f, 86). Mit dieserwenig differenzierenden Sichtweise setzt sich das Manipulationsargument Czem-piels in der Tat dem Verdacht aus, Bestandteil einer Strategie zu sein, mit der dieThese einer generellen Friedfertigkeit der Demokratien immunisiert werden soll(Geis et al. 2007b: 11; Hils 2007: 70-74).

Auch bei Andrew Moravcsik als dem zentralen Vertreter der LT (vgl. Schieder2006: 178f; Harnisch 2003: 325-327) finden sich immer wieder mal mehr, malweniger direkt formulierte Manipulationsargumente.14 Dabei wird auch der Sach-verhalt einer medialen Manipulation der öffentlichen Meinung durch die Regierungim Kontext von Militäreinsätzen thematisiert und nachdrücklich der LT zugeordnet(Legro/Moravcsik 1999: 33).15 Allerdings spielen mediale Manipulationen hier aufden ersten Blick keine so ausschlaggebende Rolle wie bei Czempiel, da Moravcsikeine weniger anspruchsvolle Akteurskonzeption vertritt, die konzeptionellen Spiel-raum für den authentischen demokratischen Krieg zu schaffen scheint: Seine Indivi-duen und gesellschaftliche Gruppen sind, anders als Czempiels (1996a: 80) Besitz-bürger, nicht per se kriegsabgeneigt, sondern lediglich risikoavers (Moravcsik 1997:

13 Die fünf un- oder vor-demokratischen Störfaktoren, die Czempiel (1996a: 89-93)anführt, sind: ausgeprägte soziale Ungleichheit, mediale Manipulationen, defizitäredemokratische Institutionen, die die Anforderungen der Bürger unzureichend umsetzen,Interessengruppen, die diese Anforderungen verzerren, und die ungleiche Verteilung deraus einer Gewaltpolitik resultierenden Belastungen unter den Mitgliedern der Gesell-schaft.

14 Vgl. für den internationalen Kontext Moravcsik (2003: 164, Fn. 7, 1997: 519), für dennationalen Kontext Moravcsik (2003: 163, Fn. 6, 1997: 518, 1992: 20, 22-25) sowieLegro/Moravcsik (1999: 11, 33).

15 Im nationalen Kontext ist nicht immer klar ersichtlich, ob die durchweg exkursorischenArgumente (nur) auf gesellschaftliche Gruppen außerhalb des politischen Systems oder(auch) auf die Regierung als Urheber der Manipulation abzielen. Das liegt daran, dasspolitisch-institutionelle Akteure in Moravcsiks Konzeption eine Doppelrolle einnehmen:Nach der zweiten Grundannahme verhalten sie sich zwar aus machtpolitischem Eigenin-teresse vorrangig gegenüber einer bestimmten Teilmenge gesellschaftlicher Präferenzenresponsiv. Gleichzeitig bleiben sie als Teil der nationalen Gesellschaft nach der erstenGrundannahme aber inhaltlich eigeninteressiert (vgl. Moravcsik 2003: 161-164, 1997:516-520, 1992: 6-10). Manipulation erscheint so als eine top-down-Strategie, mit derResponsivitätszwänge aufgehoben werden können. Für Moravcsiks Stufenmodell, daseiner rigiden »›bottom-up‹ view of politics« (Moravcsik 2003: 161, 1997: 517) folgt,wirft dieser Sachverhalt logische Probleme auf (Hils 2007: 37-69).

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517).16 Kriege, die kaum mit Risiken behaftet bzw. mit Nettonutzen für die demo-kratische Gesellschaft verbunden sind, sind in dieser Konzeption also durchaus vor-gesehen. Insoweit bleibt die demokratische Aggression – scheinbar auch ohne medi-ale Manipulation – möglich (Moravcsik 1997: 532, 1992: 19). Allerdings darf hiernicht vergessen werden, dass zweckrationale Kosten-Nutzen-Kalküle demokrati-scher Öffentlichkeiten auch auf (medialen) Informationen basieren,17 weshalb einManipulationsverdacht auch hier nicht a priori von der Hand gewiesen werden kann– zumal Moravcsik seine zentralen Akteure explizit als »boundedly rational indivi-duals« (Moravcsik 1997: 517; vgl. auch Schieder 2006: 181) konzipiert, womit aus-drücklich eine informationsbedingte Präferenzbildung unterstellt wird (Bienen et al.1999: 5; Hils 2007: 39f), die allerdings nicht notwendigerweise verfälscht seinmuss. Die Theorie ist an diesem Punkt unterspezifiziert: Trotz häufiger exkurs-orischer Verweise auf (mediale) Manipulationen und deren vehementer Verein-nahmung für die LT findet sich in Moravcsiks konzeptionellen Arbeiten keinAnhaltspunkt dafür, wann genau die Meinung(sbildung) einer demokratischenÖffentlichkeit als authentisch oder als verfälscht angesehen werden muss. AuchCzempiels Ansatz schneidet hier kaum besser ab (siehe Abschnitt 2.3).

2.2. Zweitrangiges Phänomen: Manipulation in der Forschung zum demokratischen Krieg

Eine ähnliche Sachlage wie bei Moravcsik ergibt sich im Hinblick auf eine ver-wandte Argumentation aus der quantitativen Kriegsursachenforschung. Demnachbleibt eine mediale Manipulation der öffentlichen Meinung durch die Regierung nurim Falle eines schnellen militärischen Sieges mit wenigen menschlichen Verlustenauf allen Seiten wirksam (Chojnacki 2006: 27, 2004: 90). Zweckrationale Kosten-Nutzen-Kalküle der Bürgerinnen im Hinblick auf die materiellen und menschlichenKosten eines Militäreinsatzes sowie Mitgefühl für die vom Krieg betroffenen Men-schen im Allgemeinen stehen hier im Vordergrund.18 Mediale Manipulationen

16 Zudem werden die Akteure als nur im Durchschnitt rational und risikoavers konzipiert.Damit verhält sich die Risikoneigung eines Staates umgekehrt proportional zur Band-breite der Repräsentation, was auf die Czempielsche Position hinausläuft: Je weniger(authentische) Mitsprache im Innern, desto höher die Gewaltneigung nach außen(Moravcsik 2003: 174, 1997: 517, 531, 1992: 18-20).

17 Müller (2004a: 499) betont, dass die Wahrscheinlichkeit eines symmetrischen Krieges (alssolche) für Demokratien seit dem Ende des Ost-West-Konflikts deutlich gesunken ist. DieserSachverhalt wird vom neoklassischen Realismus für das Wiederaufleben einer gewaltsamenDemokratieförderungspolitik der USA (mit)verantwortlich gemacht (Monten 2005: 116).Die Empirie zeigt, dass Demokratien generell militärisch asymmetrische und begrenzte Krie-ge bevorzugen, weil sie nach innen leichter durchsetzbar und legitimierbar sind (Chojnacki2006: 23, 27, 2004: 84f, 90; vgl. auch Geis et al. 2007c: 76; Minkwitz 2005: 312f).

18 Vgl. auch Schörnig (2007a: 96f); Minkwitz (2005: 313); Müller (2004a: 499-501, 503-507, 2004b: 41-43). Niklas Schörnig weist im Hinblick auf die Opfersensibilität vonDemokratien allerdings auf eine »Art Normenhierarchie« (Schörnig 2007a: 97, vgl. auch2007b: 10) hin: Die höchste Bedeutung komme eigenen Zivilisten und Soldaten zu, erstdann folgten die Zivilisten und Soldaten des Gegners.

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erscheinen allenfalls als zweitrangiges Phänomen. Für diese Kosten-Nutzen-Kalküleund den Faktor Empathie – den Moravcsik allenfalls insofern erfasst, als er nichtallen Akteuren eine (zweck)rationale und risikoaverse Grundhaltung unterstellt(siehe Fn. 16) – gilt jedoch ebenfalls, dass sie auch auf (medialen) Informationenbasieren, wobei das Entstehen ausgeprägter kollektiver Empathie ohne (visuelle)Medieninformation kaum vorstellbar ist. Wie die extrem unterschiedliche Einschät-zung des Ausmaßes gefallener US-Soldaten im Irak durch Demokratische und Repu-blikanische Parteianhänger verdeutlicht,19 ist Information als externer Faktor derMeinungsbildung aber nicht allein ausschlaggebend. Auch interne Faktoren derInformationsverarbeitung müssen berücksichtigt werden.20 Das legt bereits das Kon-zept der bounded rationality nahe (Bienen et al. 1999: 5).

Hier knüpft die konstruktivistische FDK insofern an, als sie eine (nationale)außenpolitische Kultur als Informationsfilter begreift (Müller 2007: 306), als einenvergleichsweise stabilen Resonanzboden, der einer erfolgreichen Informationsmani-pulation deutliche Grenzen setzt. Wie eingangs erläutert, wird Manipulation deshalbnur insoweit für möglich gehalten, als demokratische Regierungen bzw. (kollektive)Akteure, die an einem Militäreinsatz »interessiert« sind, »liberale« Kriegsgründe imUmgang mit Nichtdemokratien erfolgreich vortäuschen und so die in der außenpoli-tischen Kultur eingelassenen liberalen Werte und Normen bzw. deren spezifischenationale (militante) Mehrheitsinterpretation »aktivieren« können.

2.3. Mangelnde Differenzierung und Ausblendung des konkreten medialen Kontextes: Eine Kritik der Manipulationsbegriffe der LT und der FDK

Man muss der FDK zugute halten, dass sie trotz ihrer Ausgangsüberlegung, wonachder demokratische Krieg ein demokratiespezifisches Phänomen ist, einen Manipula-tionsbegriff entwickelt. Das gilt umso mehr, als die LT, in der (mediale) Manipulati-

19 In einer Panelstudie unter Studierenden der University of Illinois interpretierten breiteMehrheiten von strong Democrats die Gefallenenzahl, die sie für korrekt hielten, fastdurchgängig als (sehr) groß und wählten damit eine Auslegung, die mit ihrer ablehnen-den Haltung gegenüber dem Militäreinsatz kompatibel war. Dagegen neigten strongRepublicans trotz der Wahrnehmung immer höherer Gefallenenzahlen über Zeit dazu,diese weiterhin als moderat oder (sehr) gering einzuschätzen (Gaines et al. 2007: 963).

20 Für Brian Gaines und seine Kollegen (2007: 960) erfolgt Informationsverarbeitung indrei Schritten: Bei einer vollständigen Aktualisierung verändern sich mit der Realität erstdie faktischen Überzeugungen, dann die Interpretationen und schließlich wandelt sichauf dieser Basis die Meinung. Allerdings kann an jeder Station eine mentale Verweige-rungshaltung auftreten (vgl. dazu die Übersicht zu politisch-psychologischen Ansätzenbei Krell 2004: Kap. 12), die den nachfolgenden Aktualisierungsprozess blockiert (factavoidance, meaning avoidance und opinion disconnect). Die Bedeutung der Informati-onsverarbeitung wird auch durch eine Studie unterstrichen, die zu dem Schluss kommt,dass die Bereitschaft, Präsident George W. Bush wiederwählen zu wollen, zwischenJanuar und September 2003 der beste Indikator für die Vorhersage von Fehlwahrneh-mungen auf Seiten der befragten US-Bürgerinnen hinsichtlich des Irakkrieges war. Diegenutzte Hauptinformationsquelle rangierte dagegen »nur« auf Platz zwei (Kull et al.2003/2004: 588-590).

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onen als wichtiges Demokratiedefizit eine zentrale Rolle bei der »Erklärung« bzw.»Widerlegung« des demokratischen Krieges einnehmen, nicht einmal über einenrudimentären Manipulationsbegriff verfügt. Für Moravcsiks Konzeption, die in die-ser Hinsicht praktisch ohne jede Erläuterung auskommt, trifft das ohne Einschrän-kung zu (Hils 2007: 37-69). Aber auch Czempiels (1996a: 90, 1996b: 119, vgl. auch1998: 187f) Manipulationsbeispiele lassen kaum erkennen, wo für ihn das informati-onelle Grundproblem liegt: Die Überinterpretation des Tonking-Golf-Zwischenfallsdurch Präsident Lyndon B. Johnson und eine nicht näher erläuterte Überzeugungs-kunst des Fernsehsenders CNN hätten im Fall des Vietnamkrieges und der(zunächst) »humanitären« Militärintervention in Somalia zu Beginn der 1990erJahre temporär verzerrte und manipulierte Präferenzen auf Seiten der US-Öffentlich-keit erzeugt. Mitunter erscheint es gar so, als ob Czempiel Fernsehberichterstattungals solche für manipulativ hält, da sie seiner Meinung nach offenbar die ausschließli-che Ursache für pro-interventionistische Emotionalisierungen auf Seiten des ansons-ten eben rationalen Bürgers ist, weshalb solche Emotionalisierungen anscheinendvon vornherein als verfälscht angesehen werden. So betont er:

»Es ist richtig, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt, dass er sich von Ideen gefan-gen nehmen, von Solidarisierungen leiten lässt. Genau so richtig ist, dass er, als Kollek-tiv, zu solchen Emotionalisierungen erst durch eine mehr oder minder kunstvolleManipulation seines Bewusstseins gebracht werden muss. Welche reale Beziehungbesteht denn zwischen einer in Denver, Colo., die CNN-Nachrichten aus Somaliaanschauenden amerikanischen Familie und dem GI, der nach Mogadischu geschicktwird? Die fehlenden Verbindungsglieder darf eine rationale Analyse doch nicht ausblen-den« (Czempiel 1996b: 119).21

Im Vergleich zu dieser kaum differenzierenden Sichtweise erscheint der Manipulati-onsbegriff der FDK zwar deutlich brauchbarer, dennoch ist auch er nicht unproble-matisch.

Erstens, sind die »wahren« Motive oder Absichten von Akteuren, wie Müller(2004c: 417) in einem anderen Kontext selbst einräumt, schwer zu ermitteln (ähn-lich Schörnig 2007b: 23f). Dass die FDK hinsichtlich der an einem Militäreinsatz»interessierten« (kollektiven) Akteure selbst gar nicht primär an der Ermittlung von»wahren« Motiven interessiert ist, sondern den Akzent auf die gesamtgesellschaftli-che Akzeptanz (womöglich vorgetäuschter) »liberaler« Kriegsgründe legt, zeigtbereits, dass die Manipulationsfrage hier zwar durchaus zurückgestellt werden kann,aber auch in diesem konzeptionellen Rahmen alles andere als belanglos ist. So argu-mentieren Müller und Jonas Wolff:

»The need to legitimize war with regard to basic liberal goals does not imply that indivi-duals, interest groups or entire governments in democracies may not have other reasonsfor propagating military action abroad. However, we can abstain here from investigatingthe implications of such (non-liberal) motivations: if the recourse to liberalism isrequired in order to persuade the citizens to decide in favour of military action, then it isthese liberal norms that are the public motivation for the state and thus decisive for the

21 Wie andere vor ihm (vgl. Mermin 1997: 385), scheint auch Czempiel hier davon auszu-gehen, dass Fernsehbilder von hungernden Menschen die US-Bürger mobilisierten bzw.(in seiner Lesart) manipulierten (vgl. dazu insgesamt Western 2005: Kap. 5; Baum2004).

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democracy to resort to force – as opposed to the private motivations of the war entrepre-neurs« (Müller/Wolff 2006: 62, Hervorh. dort).22

Zweitens, und das ist der bei weitem gewichtigere Einwand, blendet die ausschließli-che Konzentration auf die »wahren« Motive der an einem Militäreinsatz »interes-sierten« (kollektiven) Akteure den konkreten informationellen bzw. medialen Kon-text einer gesamtgesellschaftlichen Präferenzbildung völlig aus. An einemExtremfall veranschaulicht: Wenn nur in einer von 100 Äußerungen eines Medien-diskurses vorgetäuschte »liberale« Kriegsgründe angeführt, in den verbleibenden 99aber kriegsablehnende Positionen vertreten werden, die Öffentlichkeit aber dennochauf die eine kriegsbefürwortende Äußerung reagiert, ist es dann noch sinnvoll, davonauszugehen, dass die Bürgerinnen manipuliert wurden? Verschärft wird dieses Pro-blem dadurch, dass kriegsbefürwortende Mehrheitspräferenzen der Bürger bei blo-ßem Vorhandensein (authentischer) kriegsbefürwortender »liberaler« Legitimations-muster anscheinend ohne weiteres, d. h. ohne Berücksichtigung des konkreteninformationellen bzw. medialen Kontextes als kulturell authentisch gesetzt/interpre-tiert werden.23 Damit droht die Gefahr, dass eine mögliche informationelle Manipu-lation dieser Präferenzen von vornherein aus dem Blick genommen wird. Das wärevon der Grundstruktur des Arguments her dann nicht mehr weit von Czempielsinhaltlich natürlich nahezu völlig entgegengesetzter Annahme entfernt, wonachunter der Prämisse der kriegsabgeneigten Besitzbürgerin jede Zustimmung zu einemMilitäreinsatz a priori als die Folge einer medialen Manipulation (oder eines ande-ren Demokratiedefizits24) angesehen werden muss (vgl. Czempiel 1996a: 80). Zuge-spitzt formuliert: An die Stelle des (prinzipiell) kriegsabgeneigten, anderenfalls abervon vornherein als manipuliert betrachteten Besitzbürgers der LT Czempiels trätedamit der a priori als latent militant angesehene, allenfalls durch das Vortäuschenvon Motiven manipulativ aktivierbare »Missionar« der FDK (der allerdings nur inbestimmten Demokratien zu bestimmten Zeiten in der Mehrheit ist25).

Ob diese Gefahr real ist, werden die konkreten Forschungsdesigns bzw. -ergeb-nisse der FDK zeigen müssen. In ihren grundlegenden konzeptionellen Arbeiten fin-den sich zwar normative Maßstäbe wie »a vibrant, pluralistic (self-)critical publicsphere«, in der »the contestation of hegemonic discourses« (Geis 2006: 166) mög-lich ist. An anderer Stelle ist von faktischen »Konkurrenzdiskursen« (Müller 2007:

22 Vgl. auch Müller (2004a: 496f); ähnlich argumentiert Schörnig (2007b: 23f).23 So verweisen Müller/Wolff (2006: 66) nur darauf, dass ihr Ansatz falsifiziert sei, sobald

eine demokratische Regierung einen von ihr initiierten Krieg gegen eine Autokratie nichtdurch ein »liberales« Ziel öffentlich legitimiere.

24 Czempiel (1996a: 92f) scheint sich die Möglichkeit einer authentischen kriegsbefürwor-tenden öffentlichen Meinung konzeptionell zwar insofern offen zu halten, als ausge-prägte soziale Ungleichheit und die ungleiche Verteilung der Belastungen einerGewaltpolitik unter den Mitgliedern einer Gesellschaft deren Kosten-Nutzen-Kalkülehinsichtlich eines Militäreinsatzes verändern können. Beide Faktoren werden jedoch alsDemokratiedefizite verstanden (siehe Fn. 13), weshalb Czempiel die öffentliche Mei-nung wohl auch hier als nicht authentisch charakterisieren würde.

25 Die »militante« Demokratie wird als Idealtyp begriffen, der sich nicht in Reinform mani-festieren muss. Zudem können sich die kulturellen Ausprägungen über Zeit wandeln(Geis et al. 2007c: 84f; Müller/Wolff 2006: 62-65; Müller 2004a: 507f).

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309) die Rede. Zudem mangelt es gerade bei der Skizzierung der weiteren For-schungsagenda nicht an Verweisen auf die Bedeutung öffentlicher Debatten undDiskurse (Geis et al. 2007c: 89-91; Müller/Wolff 2006: 68), die die Präferenzen derBürgerinnen weitgehend prägen oder verändern könnten (Brock et al. 2006b: 202).Wie genau dann aber das latente Spannungsverhältnis zwischen vergleichsweise sta-biler außenpolitischer Kultur und der daraus resultierenden begrenzten Möglichkeitzur informationellen Einflussnahme von außen aufgelöst und ob ein Manipulations-verdacht dabei auch auf den konkreten informationellen bzw. medialen Kontext aus-geweitet und einer empirischen Überprüfung zugänglich gemacht werden wird, istaber noch nicht absehbar.

Im Folgenden wird ein nicht-intentionaler26 Manipulationsbegriff als Teil eineserweiterten demokratischen Standards entwickelt, der beide gegen den bisherigenManipulationsbegriff der FDK erhobenen Einwände vermeidet: Erstens, kommt erohne Rekurs auf die »wahren« Motive der an einem Militäreinsatz »interessierten«(kollektiven) Akteure aus, da er, zweitens, die konkreten informationellen bzw.medialen Rahmenbedingungen in den Vordergrund rückt, unter denen sich eine Prä-ferenzänderung der Öffentlichkeit vollzieht. Auf dieser Basis kann auch, perspekti-visch, die Plausibilität der Prämisse des kriegsabgeneigten Besitzbürgers und dermilitanten »Missionarin« empirisch überprüft werden (siehe Abschnitt 3.2.5).

3. Authentische Responsivität: Ein erweiterter demokratischer Qualitätsmaßstab

3.1. Die demokratische Qualität: Responsivitätstypen

Aus der Perspektive der FDK besteht zwischen gesamtgesellschaftlichen Präferen-zen und dem demokratischen Krieg deshalb ein direkter Zusammenhang, weil demo-kratischen Institutionen kein Eigenleben zugeschrieben wird, sondern sie lediglichals »transmission belts« (Brock et al. 2006b: 204) angesehen werden.27 Das ent-spricht bis in die Wortwahl hinein den konzeptionellen Vorstellungen der LT,28

wobei hier auch betont wird, dass in defizitären Demokratien politische Institutionendie Präferenzen des Demos unzureichend umsetzen können (vgl. Czempiel 1996a:

26 Nicht-intentional insofern, als Manipulationsabsichten keine notwendige bzw. hinrei-chende Bedingung für manipulative Informationsbedingungen (geschweige denn einefaktische Manipulation der Bürgerinnen) sind. Diese können auch ohne Manipulations-absichten entstehen. Manipulationsabsichten wiederum müssen nicht in manipulativeInformationsbedingungen münden.

27 Deshalb wird die (nationale) außenpolitische Kultur im Vergleich zum politisch-institu-tionellen Gefüge bei der Erklärung des demokratischen Krieges auch konzeptionell privi-legiert (Geis et al. 2007c: 77; Brock et al. 2006b: 201-204). Vgl. zur These einerzweischneidigen, d. h. sowohl (gegenüber Demokratien) kriegshemmenden als auch(gegenüber Nichtdemokratien) kriegsfördernden Wirkung demokratischer Institutionenim Allgemeinen auch Müller/Wolff (2006: 61) und Daase (2006a: 76-82, 2004: 55-61).

28 Das gilt zumindest für Moravcsik (2003: 163, 1997: 518, 1992: 10, 17).

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Jochen Hils: Der »demokratische Krieg« als Folge verfälschter Präferenzbildung?

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89).29 Auch die FDK geht zumindest davon aus, dass die erhebliche Varianz in derinstitutionellen Architektur von Demokratien »unterschiedliche Gelegenheitsstruk-turen für sektorale Interessen oder andere ›Kriegsunternehmer‹« (Geis et al. 2007c:77) beinhaltet (vgl. auch Brock et al. 2006b: 202).

Im Hinblick auf die Frage nach der Existenz des authentischen demokratischenKrieges lässt sich daraus schlussfolgern, dass vier idealtypische Responsivitätskon-stellationen denkbar sind (siehe Abb. 1): eine authentische Responsivität (authenti-sche Mehrheitspräferenzen der Bürgerinnen, die vom politischen System umgesetztwerden), eine blockierte Responsivität (authentische Mehrheitspräferenzen, dienicht umgesetzt werden), eine verfälschte Responsivität (verfälschte Mehrheitsprä-ferenzen, die umgesetzt werden) und eine entkoppelte Responsivität (verfälschteMehrheitspräferenzen, die nicht umgesetzt werden).30

Abbildung 1: Responsivitätstypen und ihre Qualität

29 Wie an seinen Überlegungen zum Republikanischen Liberalismus deutlich wird(Moravcsik 2003: 173-176, 1997: 530-533, 1992: 17-21), spielt dieser Sachverhalt inMoravcsiks Konzeption insofern keine Rolle, als Demokratie und breite (faktische)Repräsentation praktisch synonym verwandt werden.

30 Der Begriff »entkoppelte Responsivität« wurde gewählt, weil die Regierung der wahr-scheinlichste Ausgangspunkt einer verfälschten öffentlichen Meinung ist: HegemonialeDiskurse (siehe Abschnitt 3.2.1), die nicht von ihr bestritten werden bzw. in denen siekeine tragende Rolle spielt, sind kaum vorstellbar. Deshalb wäre es zumindest in parla-mentarischen Demokratien, wo die Oppositionsfraktionen kaum eine direkte institutio-nelle Chance haben, das Regierungshandeln zu blockieren, sehr überraschend, wenn daspolitische System einer verfälschten öffentlichen Meinung nicht »folgen« würde: Mani-pulation und Regierungshandeln hätten dann nichts miteinander zu tun, sie wären »ent-koppelt«. Eine entkoppelte Responsivität tritt in einer parlamentarischen Demokratiedeshalb wohl vor allem dann auf, wenn zwischen der Regierung und den sie tragendenFraktionen ein grundsätzlicher Dissens besteht, der auch durch den Druck der (verfälsch-ten) öffentlichen Meinung nicht beigelegt wird, oder es der Opposition gelingt, überdritte Verfassungsorgane (zweite Kammern oder Verfassungsgerichte) das Regierungs-handeln zu blockieren.

Responsivität

öffentliche Meinung

Responsivitätdes politischen Systems

gering hoch

gering

Authentizitätsgradder öffentlichen Meinung

hoch

entkoppelte Responsivität

(2)

verfälschte Responsivität

(3)

blockierte Responsivität

(3)

authentische Responsivität

(1)

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Die Wertigkeiten in Abbildung 1 verweisen auf die relative (normative) Qualitätder einzelnen Responsivitätstypen, wobei die authentische Responsivität einemerweiterten demokratischen Ideal oder Standard entspricht, der nicht nur das gän-gige Responsivitätskriterium, sondern auch den Authentizitätsgrad der Präferenzenin den Vordergrund rückt, auf denen Responsivität basiert.31 Bei der blockiertenResponsivität sind zwar authentische Präferenzen des Demos vorhanden. Sie über-setzen sich aber nicht in eine entsprechende Politik. Bei der verfälschten Responsivi-tät reagiert das politische System (als Ganzes) auf eine verfälschte öffentliche Mei-nung, die es (bzw. ein Teil von ihm) womöglich selbst über die Massenmedienhergestellt hat. Rein formal verkörpert die entkoppelte Responsivität zwar dasGegenteil des erweiterten demokratischen Ideals einer authentischen Responsivität,weil sie beide nicht wünschenswerte Eigenschaften in sich vereinigt. Dennoch isteine solche Konstellation, in der sich das politische System (bzw. ein relevanter Teilvon ihm) weigert, verfälschten Präferenzen der Bürger zu folgen, zweifellos einerSituation vorzuziehen, in der solche Präferenzen umgesetzt werden (verfälschteResponsivität).32 Wie die Wertigkeiten deutlich machen, ist eine entkoppelteResponsivität aus einer normativen Perspektive aber nicht nur hochwertiger als eineverfälschte Responsivität, sondern auch einer blockierten Responsivität vorzuzie-hen,33 der die gleiche Qualitätsnote wie der verfälschten Responsivität zugewiesenwurde: Da die beiden Dimensionen des erweiterten demokratischen Standards nichtgegeneinander abgewogen werden können, wurden grundlegende Defizite in einemder beiden Merkmale jeweils als gleich große Beeinträchtigung gewertet.

31 In der Nachfolge einer Bestimmung von Robert Dahl (1971: 1) – »I assume that a keycharacteristic of a democracy is the continuing responsiveness of the government to thepreferences of its citizens, considered as political equals« – ist in der Demokratietheorienahezu ein Konsens entstanden, der Responsivität zum zentralen (prozessualen) demo-kratischen Qualitätskriterium erhebt (Fuchs 1998: 162; vgl. auch Hils 2004: 9-13). DieterFuchs, der die Präferenzen, auf denen Responsivität fußt, selbst problematisiert (Fuchs1998: 167-175), geht mit Dahl (1989: 220) davon aus, dass ein hohes Maß an inklusiverPartizipation und öffentlichem Wettbewerb im Hinblick auf Wahlen das zentrale struktu-relle Merkmal einer Demokratie ist. Das Erreichen einer bestimmten Schwelle für beideDimensionen des Kernmerkmals vorausgesetzt, kann mit dem Responsivitätskriteriumauf der Prozessebene ein Mehr oder ein Weniger an Demokratie bestimmt werden(Fuchs 1998: 159-166). Das (prozessuale) Responsivitätskriterium muss nicht auf dieminimale Definition Dahls rekurrieren, sondern könnte auch mit einem differenzierteren(strukturellen) Demokratiebegriff (vgl. exemplarisch Lauth 2006: 85-87; Merkel et al.2003: 48-56) kombiniert werden. Vgl. zur Debatte um die Qualität der Demokratieexemplarisch Lauth (2006: 77-79).

32 Parlamentarische Kontrolle, um ein nahe liegendes Szenario zu wählen, soll unter ande-rem sicherstellen, dass die (authentischen) Präferenzen der Bürger auch über den Wahl-tag hinaus Eingang in das Regierungshandeln finden, dass die Exekutive sich nichtverselbstständigt (Merkel et al. 2003: 88). Folglich läge es auch in der Verantwortungdes Parlaments zu verhindern, dass durch eine Manipulation der Präferenzen der Bürge-rinnen eine Politik Wirklichkeit wird, die bei einer authentischen Meinungsbildung keineMehrheit gefunden hätte.

33 Auch das sollte unmittelbar einsichtig sein, da bei einer blockierten Responsivitätauthentische Präferenzen des Demos nicht umgesetzt werden (was wünschenswert wäre),während bei einer entkoppelten Responsivität verfälschte Präferenzen (deren Umsetzungnicht wünschenswert ist) blockiert werden.

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Jochen Hils: Der »demokratische Krieg« als Folge verfälschter Präferenzbildung?

249ZIB 2/2008

3.1.1. Der demokratische Krieg in der Liberalen Theorie Czempiels: Verfälschte oder blockierte Responsivität

Die LT Czempiels mit ihrer Ausgangsüberlegung, dass Demokratiedefizite eine not-wendige Bedingung der Gewaltneigung nach außen sind, geht im Hinblick auf dendemokratischen Krieg offensichtlich von einer verfälschten oder einer blockiertenResponsivität aus: Entweder werden die Präferenzen der Bürgerinnen infolge einermedialen Manipulation (oder durch ausgeprägte soziale Ungleichheit bzw. eineungleiche Verteilung der aus einer Gewaltpolitik resultierenden Belastungen unterden Mitgliedern der Gesellschaft) verzerrt und setzen in der Folge die parlamentari-sche Kontrolle außer Kraft und/oder die Regierung unter Druck. Oder die Präferen-zen sind zwar authentisch (d. h. gewaltabgeneigt), werden aber infolge defizitärerdemokratischer Institutionen, die die Anforderungen des Demos nicht oder nurunzureichend aufnehmen, und/oder eines dominanten Einflusses von (gewaltberei-ten) Interessengruppen im politischen System nicht in eine entsprechende Politikumgesetzt (siehe Fn. 13, 24).

Auch die entkoppelte Responsivität ist mit der LT Czempiels vereinbar: Es ist imRahmen dieser Konzeption durchaus vorstellbar, dass sich eine nicht authentische(d. h. kriegsbefürwortende) öffentliche Meinung etwa infolge einer vergleichsweisevolksfernen (d. h. defizitären) parlamentarischen Kontrolle und/oder einer gegen-über dem Volkswillen relativ gleichgültigen Regierung nicht in eine entsprechendePolitik übersetzt. Eine authentische Responsivität wird im Zusammenhang mit demdemokratischen Krieg dagegen kategorisch ausgeschlossen.

3.1.2. Die Forschung zum demokratischen Krieg: Authentische Responsivität

Wovon die FDK ausgeht, ist schwieriger zu bestimmen. Hier macht sich die latentelogische Inkonsistenz zwischen ihrer Ausgangsüberlegung (der demokratische Kriegals demokratiespezifisches Phänomen) und dem begrenzten Manipulationsverdacht(mit dem zumindest die Möglichkeit eines Demokratiedefizits eingeräumt wird)sowie das Ausblenden des konkreten informationellen bzw. medialen Kontextes indiesem Zusammenhang bemerkbar (was einer theoretischen Unterspezifierunggleichkommt).

Berücksichtigt man nur die Ausgangsüberlegung ist man natürlich geneigt, denUmkehrschluss zur LT zu ziehen, d. h. die authentische Responsivität klar zu privi-legieren und die verfälschte und die blockierte Responsivität kategorisch aus-zuschließen. Durch den bisherigen Manipulationsverdacht der FDK würde dieseÜberlegung zunächst ein wenig relativiert: Die »Aktivierung« der gesamtgesell-schaftlichen Präferenzen, die einer authentischen Responsivität zugrunde liegen,kann (auch) das Resultat vorgetäuschter »liberaler« Kriegsgründe sein und insoferneine verfälschende Dimension beinhalten. Wenn es aber zutrifft, dass zumindest dieBürger »militanter« Demokratien für kriegsbefürwortende »liberale« Legitimations-muster mehrheitlich »besonders empfänglich« (Geis/Wagner 2006: 281) sind, müss-

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Aufsätze

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ten hegemoniale Diskurskonstellationen, die eine Manipulation des Demos begüns-tigen (siehe Abschnitt 3.2.1-3.2.4), hier eigentlich nicht notwendig sein, um einekriegsbefürwortende Präferenzänderung der Bürgerinnen zu bewirken bzw. ihre la-tente Kriegsneigung zu »aktivieren«.34 Deshalb macht es im Hinblick auf einen Ma-nipulationsbegriff, der die konkreten informationellen bzw. medialen Rahmenbedin-gungen in den Vordergrund rückt, unter denen sich eine Präferenzänderung desDemos vollzieht, und insofern die theoretische Unterspezifizierung der FDK an die-ser Stelle ausfüllt, Sinn, hier von einer authentischen Responsivität auszugehen. DerSachverhalt einer theoretischen Unterspezifizierung hält hier zwar prinzipiell auchdie Möglichkeit einer verfälschten Responsivität offen. Daraus entstünde jedoch einmanifester Widerspruch zur Ausgangsüberlegung der FDK, wonach der demokrati-sche Krieg als ein demokratiespezifisches Phänomen anzusehen ist.

Die blockierte und die entkoppelte Responsivität scheiden dagegen von vornher-ein aus, da beide auf eine grundlegende Differenz zwischen den Präferenzen derBürger und denen der politisch-institutionellen Akteure abheben (bei beiden Typenist die Responsivität grundlegend beeinträchtigt), die mit der Ausgangsüberlegungder FDK nicht mehr vereinbar erscheint, wonach latent gewaltbereite Präferenzender Bürgerinnen bzw. deren »Aktivierung« den demokratischen Krieg ermöglichen.

3.2. Der mediale Kontext: Qualitätsstandards

Der nun zu entwickelnde Manipulationsbegriff, mit dem dann auch die Frage nachdem Authentizitätsgrad der öffentlichen Meinung beantwortet werden kann, basiertauf einem Argument, das sich als roter Faden durch die normative Demokratietheo-rie Robert Dahls zieht: Wenn jeder Bürger unter der Voraussetzung vollständigerInformation selbst am besten weiß, was in seinem Interesse liegt, weil er dann politi-sche Alternativen gegeneinander abwägen und sich so eine eigenständige, mithinauch authentische Meinung bilden kann,35 die Annahme vollständiger Informationhier aber nicht übernommen werden soll, weil Medieninformation notwendigerweiseimmer selektiv und insofern auch immer unvollständig ist, dann müssen Informati-onstypen bestimmt werden, die dem Ideal vollständiger Information in der Realitätam nächsten kommen bzw. es eindeutig verfehlen. Dabei ist es sinnvoll, zwischenwertendem medialen Kommentar (der nicht von Journalisten stammen muss) und

34 Hegemonialen Diskursen wird von der Medienforschung ein hohes Einflusspotenzialzugeschrieben. Friedhelm Neidhardt umreißt einen zentralen Publikumseffekt öffentli-cher Kommunikation so: »Der Einfluss medial vermittelter Beiträge von Öffentlichkeits-akteuren steigt in dem Maße, in dem sie konsonant sind und das Publikum sozusagen vonallen Seiten in dieselbe Richtung stimulieren« (Neidhardt 1994: 28).

35 Vgl. zur »Presumption of Personal Autonomy« Dahl (1989: 100f, ferner 57-59, 70, 99,105, 108, 180-182) sowie Fuchs (1998: 172). Hier stellt sich dann auch die Informations-problematik: »A person’s interest or good is whatever that person would choose with ful-lest attainable understanding of the experience resulting from that choice and its mostrelevant alternatives« (Dahl 1989: 180, vgl. auch 111f). Wie Fuchs feststellt, geht Dahldamit »von der Vorstellung einer vollständigen Information als Voraussetzung einerrationalen Wahl aus« (Fuchs 1998: 172).

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Jochen Hils: Der »demokratische Krieg« als Folge verfälschter Präferenzbildung?

251ZIB 2/2008

berichtender medialer Nachricht (die von Journalisten stammt) zu unterscheiden. ImFolgenden wird hier der Einfachheit halber von der Diskurs- und der Informations-ebene die Rede sein.

3.2.1. Die wertende Medieninformation: Diskurstypen

Zunächst liegt es im Hinblick auf die Diskursebene nahe, davon auszugehen, dassdie Chancen einer inhaltlichen Pluralisierung und damit auch die Chancen für eineAnnäherung an das Ideal vollständiger Information steigen, je weniger dominant derkollektive Akteur ist, der am präsentesten ist (dabei handelt es sich in der Regel umdie Regierung). Allerdings ist das noch keine Garantie für eine inhaltliche Pluralisie-rung: Ein hegemonialer Diskurs, der alternative politische Positionen oder Deutun-gen marginalisiert und einer eigenständigen Meinungsbildung der Bürgerin deshalbnicht zuträglich ist, muss nicht notwendigerweise nur von einem einzelnen kollekti-ven Akteur (der Regierung) bestritten werden. Er kann auch von einer »Koalition«von (kollektiven) Akteuren getragen werden. Folglich muss die Akteursdimensionund die inhaltliche Dimension von Diskursen getrennt betrachtet werden. Auf dieseWeise ergeben sich vier Typen (siehe Abb. 2).

Abbildung 2: Diskurstypen und ihre Qualität

Während die inhaltlich voll ausgeprägten nicht-hegemonialen Diskurstypen demIdeal vollständiger Information am nächsten kommen, verfehlen es die inhaltlichvoll ausgeprägten hegemonialen Diskurstypen eindeutig. »Inhaltlich voll ausge-

Akteursdimensioninhaltliche Dimension

Dominanz des präsentesten kollektiven Akteurs

gering* hoch**

nicht-hegemoniale Diskurstypen

gering*

Dominanz der präsentesten Position oder Deutung

hoch**

pluralistischer Diskurs

(1)

oligarchischer Diskurs

(2)

hegemoniale Diskurstypen

elitärer Diskurs

(3)

monopolistischer Diskurs

(4)

* unterhalb einer 50%-Schwelle (Anteil bei 100 Kommentaren: 49 bis 1)** oberhalb einer 50%-Schwelle (Anteil bei 100 Kommentaren: 51 bis 100)

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Aufsätze

252

prägt« bedeutet für die nicht-hegemonialen Diskurstypen, dass bei 100 Kommenta-ren 100 verschiedene Positionen oder Deutungen vertreten werden, hinsichtlich derhegemonialen Diskurstypen bedeutet es, dass in allen 100 Kommentaren nur eineeinzige Position oder Deutung eingenommen wird.

Volle Ausprägung eines Diskurstyps: »Voll ausgeprägt« ist ein Diskurstyp immerdann, wenn die beiden Ausprägungen in der Akteursdimension und in der inhaltli-chen Dimension (»gering« oder »hoch«), die ihn konstituieren, ihre jeweilsextremste Form annehmen.

Extremste Form von »gering«: Die extremste Form einer Dominanz, die »gering«ausfällt, ist keinerlei Dominanz, d. h. bei einem Diskurs, der sich aus 100 Kommen-taren zusammensetzt, würden in diesem Extremfall 100 verschiedene (kollektive)Akteure jeweils einmal zu Wort (Akteursdimension) bzw. 100 verschiedene Positio-nen oder Deutungen jeweils einmal zur Sprache (inhaltliche Dimension) kommen.

Extremste Form von »hoch«: Die extremste Form einer Dominanz, die »hoch«ausfällt, ist eine vollständige Dominanz, d. h. bei einem Diskurs, der sich aus100 Kommentaren zusammensetzt, würde in diesem Extremfall nur ein einziger kol-lektiver Akteur 100 mal zu Wort (Akteursdimension) bzw. nur eine einzige Positionoder Deutung 100 mal zur Sprache (inhaltliche Dimension) kommen.

Tabelle 1 visualisiert die Zusammensetzung der voll ausgeprägten Diskurstypenbei 100 Kommentaren.

Tabelle 1: Zusammensetzung voll ausgeprägter Diskurstypen bei 100 Kommen-taren

Abstufung der Qualitätsnoten (4 und 3) zwischen den beiden hegemonialen Dis-kurstypen: Hier liegt die Überlegung zugrunde, dass sich die Wahrscheinlichkeiteiner Nuancierung einer im Wesentlichen identischen politischen Position oder

Achsenmerkmale

Diskurstypen

Anzahl präsenter(kollektiver) Akteure

Anzahl präsenter Positionen oder

Deutungen

nicht-hegemoniale Diskurstypen

pluralistischer Diskurs(1)

100 100

oligarchischer Diskurs(2)

1 100

hegemoniale Diskurstypen

elitärer Diskurs(3)

100 1

monopolistischer Diskurs(4)

1 1

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Jochen Hils: Der »demokratische Krieg« als Folge verfälschter Präferenzbildung?

253ZIB 2/2008

Deutung umgekehrt proportional zum Ausmaß der Dominanz des kollektivenAkteurs verhält, der am präsentesten ist: In voll ausgeprägten monopolistischen Dis-kursen, in denen ein einziger kollektiver Akteur mit einer einheitlichen Positionoder Deutung alle Äußerungen auf sich vereinigen kann, ist eine solche Nuancie-rung weitaus weniger wahrscheinlich als in voll ausgeprägten elitären Diskursen, indenen zwar auch nur eine Position oder Deutung vertreten wird, aber bei 100 Kom-mentaren alle Äußerungen auf 100 verschiedene (kollektive) Akteure zurückgehen.

Abstufung der Qualitätsnoten (1 und 2) zwischen den beiden nicht-hegemonialenDiskurstypen: Das Gleiche gilt unter umgekehrten Vorzeichen für die beiden nicht-hegemonialen Diskurstypen: In voll ausgeprägten pluralistischen Diskursen, indenen 100 verschiedene Positionen oder Deutungen von 100 verschiedenen (kollek-tiven) Akteuren vertreten werden, fällt die Gegensätzlichkeit der artikulierten Stand-punkte sicher höher aus als in voll ausgeprägten oligarchischen Diskursen, da derkollektive Akteur, der hier am präsentesten ist, sich zwar vollständig zerstrittenzeigt, aber auch alle Äußerungen auf sich vereinigen kann.

3.2.2. Die öffentliche Reaktion: Präferenzänderungen

(1) Der Authentizitätsgrad gesamtgesellschaftlicher Präferenzen kann nicht aus-schließlich über die Qualität medialer Diskurse (und Informationen) bestimmt wer-den. Sonst müsste unsinnigerweise selbst eine öffentliche Meinung, die auf einenhegemonialen Diskurs kaum »positiv«, gar nicht oder sogar mit einer entgegen-gesetzten Präferenzänderung reagiert (siehe den nordwestlichen Bereich in Abb. 3),als manipuliert angesehen werden. Das Ausmaß der gleichgerichteten Präferenzän-derung muss hier also berücksichtigt werden (siehe den südwestlichen Bereich inAbb. 3). Dabei ist der Manipulationsbefund umso plausibler, je näher die in elitärenbzw. monopolistischen Diskursen vorherrschende Position oder Deutung einerDominanz von 100% kommt und je deutlicher die nachfolgende gleichgerichtetePräferenzänderung ausfällt. Hinsichtlich einer Signifikanzschwelle liegt es hiernahe, einen Wert von fünf Prozentpunkten zu wählen, mit dem die statistische Feh-lerquote repräsentativer Meinungsumfragen einigermaßen zuverlässig umgangenwerden soll.

(2) Nach oligarchischen bzw. pluralistischen Diskursen, die dem Ideal vollständi-ger Information am nächsten kommen, muss dagegen buchstäblich jede Präfe-renz(änderung) als authentisch angesehen werden (siehe den östlichen Bereich inAbb. 3). Dabei ist der Befund einer authentischen Präferenz(änderung) umso plau-sibler, je inhaltlich ausgeprägter der vorausgegangene oligarchische bzw. pluralisti-sche Diskurs war. Hier haben wir es also allenfalls noch mit »bloßen« (nicht-mani-pulativen) medialen Beeinflussungen, aber nicht mehr mit medialen Manipulationenzu tun. Wäre die von Czempiel angeführte Überinterpretation des Tonking-Golf-Zwischenfalls durch Lyndon B. Johnson (siehe Abschnitt 2.3) in einen nicht-hege-monialen Diskurs eingebettet gewesen – ein zugegebenermaßen nicht sehr wahr-scheinliches Szenario –, könnte eine signifikante Präferenzänderung zugunsten des

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Aufsätze

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Präsidenten jetzt also nicht mehr als mediale Manipulation gewertet werden. DieBürger hätten vielmehr zumindest zwei gleich präsente politische Standpunkte undeinen marginal vertretenen dritten gegeneinander abwägen und sich so eine eigen-ständige und deshalb auch authentische Meinung bilden können, die dann auchzugunsten des Präsidenten hätte ausfallen »dürfen«. Denn in der schwächsten inhalt-lichen Ausprägung eines nicht-hegemonialen Diskurses sind zwei Positionen oderDeutungen direkt unterhalb der 50%-Schwelle präsent (bei 100 Kommentaren:jeweils 49), während ein dritter Standpunkt die jeweils verbleibenden Abstände zur50%-Schwelle auf sich vereinigt (bei 100 Kommentaren: 2) (siehe Abb. 2).

Abbildung 3: Qualität medialer Diskurse und Präferenzänderung

Die Wertigkeiten in Abbildung 3 reflektieren den Gedanken, dass eine gesamtge-sellschaftliche Präferenzbildung zu bevorzugen ist, die auf möglichst breiter Infor-mationsgrundlage fußt. Das ist im rechten Feld gewährleistet. Ist die Informations-grundlage dagegen einseitig, dann ist eine weitgehende Resistenz gegenüber derhegemonialen Position oder Deutung einer deutlich gleichgerichteten Präferenz-änderung vorzuziehen. Denn infolge der geringen relativen Präsenz alternativerStandpunkte, durch die ein Abwägungsprozess und damit auch eine eigenständigebzw. authentische Meinungsbildung erst möglich werden, besteht hier die Gefahr,dass der Demos Präferenzen ausbildet, die seinen Grundinteressen (LT) bzw. grund-legenden Werten und Normen (FDK) zuwiderlaufen.

MediendiskursePräferenzänderung

Qualität von Mediendiskursen

gering*** hoch****

gering*

Ausmaß der gleichgerichteten Präferenzänderung

hoch**

authentische öffentliche Meinung

(2)authentische

öffentliche Meinung(1)

verfälschte öffentliche Meinung

(3)

* unterhalb einer 5%-Schwelle (einschließlich »negativer«, d. h. nicht gleichgerichteter Ausprägungen)

** oberhalb einer 5%-Schwelle (signifikant)*** monopolistischer oder elitärer Diskurs (hegemonial)**** oligarchischer oder pluralistischer Diskurs (nicht-hegemonial)

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Jochen Hils: Der »demokratische Krieg« als Folge verfälschter Präferenzbildung?

255ZIB 2/2008

3.2.3. Die berichtende Medieninformation: Informationstypen

Im Hinblick auf die (verbale und visuelle) Informationsebene wird zwischen einerbreiten und einer einseitigen Information unterschieden.– Breite Information wird als niedriges Ausmaß an (berichtender) journalistischer

Aufmerksamkeit gegenüber einem einzelnen politischen Ereignis definiert, waseine relative Ereignisvielfalt in der Berichterstattung nahe legt.

– Einseitige Information wird als hohes Ausmaß an (berichtender) journalistischerAufmerksamkeit gegenüber einem einzelnen politischen Ereignis definiert, waseine relative Ereignisarmut in der Berichterstattung nahe legt.

Damit werden politische Prozesse im Sinne eines empirisch anwendbaren Mini-malstandards als medial unschwer darstellbare Einzelereignisse begriffen.

Hinsichtlich einer konkreten Operationalisierung liegt auch hier der Gedankeeiner 50%-Schwelle nahe (siehe Abb. 4). In ihrer schwächsten, rudimentären Aus-prägung bildet breite Information damit zwei Ereignisse ab, die direkt unterhalb der50%-Schwelle präsent sind, sowie ein drittes, das die jeweils verbleibendenAbstände zur 50%-Schwelle auf sich vereinigt.

Abbildung 4: Informationstypen und ihre Qualität

Begreift man voll ausgeprägte breite Information analog dem Vorgehen bei denDiskurstypen als den Informationstyp, der dem Ideal vollständiger Information amnächsten kommt, weil er der Bürgerin das am weitesten gefächerte mögliche Bildvermittelt, während die voll ausgeprägte einseitige Information, die lediglich ein poli-tisches Ereignis abbildet, das Ideal klar verfehlt, dann lassen sich die idealtypischenPole des Authentizitäts- bzw. Manipulationsspektrums – unter Auslassung dazwi-schen liegender Mischformen – jetzt zusammenfassend wie folgt skizzieren (sieheAbb. 5).

Dominanz des präsentesten politischen Ereignissesgering* hoch**

breite Information

(1)

einseitige Information

(2)

* unterhalb einer 50%-Schwelle** oberhalb einer 50%-Schwelle

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Aufsätze

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3.2.4. Der plausible Manipulationsbefund: Authentizitäts- und Manipulationspol

Die Frage, wann von einer medialen Manipulation des Demos begründet die Redesein kann, lässt sich jetzt entlang eines Kontinuums beantworten.36 Dabei verliert einManipulationsbefund umso mehr an Plausibilität, je mehr die im »Manipulations-pol« aufgeführten Ausprägungen (M. 1) bzw. Bedingungen (M. 2) verfehlt werden.

(M. 1) Liegt auf der Ebene des konkreten informationellen bzw. medialen Kon-textes ceteris paribus »lediglich« ein voll ausgeprägter elitärer Diskurs (statt einesvoll ausgeprägten monopolistischen Diskurses) vor, ist das nur eine marginaleAbweichung, da damit allenfalls eine stärkere Nuancierung in der einzigen vorhan-denen Position oder Deutung erfolgt (siehe dazu die Ausführungen zu Tab. 1).Erheblich stärker ist die Abweichung, wenn die voll ausgeprägte einseitige Informa-tion die im Diskurs vorherrschende Position oder Deutung nicht verstärkt. Nahezugleichgewichtig ist der Fall, dass stattdessen eine zumindest rudimentär ausge-prägte breite Information (siehe Abschnitt 3.2.3) den hegemonialen Diskurs beglei-tet. Seine Plausibilität verliert der Manipulationsbefund von da an umso stärker, jeausgeprägter die breite Information ausfällt und je mehr sich auf der Diskursebeneeine Nähe zur inhaltlichen 50%-Schwelle einstellt, jenseits derer die nicht-hegemo-nialen Diskurstypen beginnen: Vereinigt die hegemoniale Position oder Deutung bei100 Kommentaren schließlich nur noch 51 Äußerungen auf sich, während in49 Äußerungen ein konträrer Standpunkt vertreten wird, tendiert die Plausibilitätgegen Null.

(M. 2) Selbst wenn auf der Ebene des konkreten informationellen bzw. medialenKontextes keinerlei Abweichung vom »Manipulationspol« vorliegt, verliert einManipulationsbefund umso mehr an Plausibilität, je weniger sich im Anschluss andie Berichterstattung auf der Ebene der öffentlichen Meinung eine signifikantegleichgerichtete Präferenzänderung einstellt. Bleibt sie aus, kann von einer Manipu-lation von vornherein keine Rede sein.

(M. 3) Liegt keine verfälschte öffentliche Meinung vor, spielen natürlich auch diedarauf basierenden Responsivitätstypen keine Rolle, sondern die des »Authentizi-tätspols«.

36 Sämtliche Mischformen zwischen den beiden Polen systematisch zu erfassen und einzu-ordnen, macht hier keinen Sinn, da angesichts des »fließenden« Charakters der Diskurs-und Informationstypen (sowie der öffentlichen Meinung) dann jeweils »starre« Unterty-pen mit weiteren Schwellen gebildet werden müssten (siehe zu Ansätzen dafür Abschnitt3.2.5), die eine entsprechende Vielzahl an Kombinationsmöglichkeiten nach sich ziehenwürden, deren systematische Darstellung und Bewertung wohl mehr zur Verwirrung alszur Übersichtlichkeit beigetragen hätte.

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Abbildung 5: A

uthentizitäts- und Manipulationspol

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Aufsätze

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3.2.5. Die empirische Überprüfbarkeit der Akteursprämissen: Manipulation versus politische Kultur

Auch die Prämissen des kriegsabgeneigten Besitzbürgers der LT Czempiels und des (la-tent) militanten »Missionars« der FDK sind jetzt perspektivisch empirisch überprüfbar.

(1) Sollten sich häufig kriegsbefürwortende Präferenzänderungen des Demos fest-stellen lassen, die weit jenseits der Signifikanzschwelle von fünf Prozentpunkten(siehe Abb. 3) liegen und sich nach inhaltlich deutlich ausgeprägten nicht-hegemo-nialen Diskursen mit eindeutig breiter Information einstellen, würde die Prämisseder kriegsabgeneigten Besitzbürgerin erheblich an Plausibilität einbüßen – von ma-nipulierten Präferenzen, die einer authentischen Umsetzung des Grundinteresses derKriegsabneigung im Wege stehen, könnte dann jedenfalls keine Rede mehr sein.37

»Inhaltlich deutlich ausgeprägt« kann durch eine Halbierung der inhaltlichen 50%-Schwelle konkretisiert werden, die die nicht-hegemonialen von den hegemonialen Dis-kurstypen abgrenzt (siehe Abb. 2): Wenn die Position oder Deutung, die am präsentes-ten ist, eine 25%-Schwelle nicht erreicht, also zu mehr als 75% andere Standpunkte ver-treten werden (von denen wiederum jeder unterhalb der 25%-Schwelle verbleibt), ist dernicht-hegemoniale Diskurs »inhaltlich deutlich ausgeprägt«. Bei 100 Kommentarenhieße das, dass zumindest fünf Positionen oder Deutungen präsent wären: Auf vierStandpunkte würden jeweils höchstens 24 Äußerungen entfallen, der fünfte könnte dieverbleibenden Abstände zur 25%-Schwelle auf sich vereinigen (insgesamt 4 Äußerun-gen). Hinsichtlich einer »eindeutig« breiten Information lässt sich entsprechend argu-mentieren, dass das politische Ereignis, das am präsentesten ist, im Hinblick auf seineSichtbarkeit ebenfalls unter einer 25%-Schwelle verbleiben muss.

(2a) Umgekehrt würde der Befund, dass sich kriegsbefürwortende Präferenzände-rungen, die weit jenseits der 5%-Schwelle liegen, in der Regel erst nach inhaltlichdeutlich ausgeprägten (kriegsbefürwortenden) hegemonialen Diskursen mit einersie verstärkenden, eindeutig einseitigen Information einstellen, belegen, dass esmanipulativer Informationsbedingungen bedarf, um den Demos zum Krieg zu moti-vieren. Das würde nicht nur die Prämisse des kriegsabgeneigten Besitzbürgersuntermauern, sondern gleichzeitig auch die Prämisse der aufgrund liberaler Werteund Normen von sich aus (latent) militanten »Missionarin« grundsätzlich in Fragestellen.

Hier würde »inhaltlich deutlich ausgeprägt« und »eindeutig einseitig« – analog denÜberlegungen, die unter (1) angestellt wurden – bedeuten, dass die in hegemonialenDiskursen vorherrschende Position oder Deutung und das politische Ereignis, das ineiner einseitigen Information am präsentesten ist, im Hinblick auf ihre Sichtbarkeiteine 75%-Schwelle überschreiten.

(2b) Zumindest tendenziell bestätigt würde die Prämisse des militanten »Missio-nars«, wenn kriegsbefürwortende hegemoniale Diskurse mit dominanter »liberaler«

37 Allerdings könnte immer noch argumentiert werden, dass eine ausgeprägte sozialeUngleichheit und/oder die ungleiche Verteilung der aus einer Gewaltpolitik resultieren-den Belastungen unter den Mitgliedern einer Gesellschaft hier zu verzerrten Mehrheits-präferenzen geführt hätte (siehe dazu Fn. 24).

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Jochen Hils: Der »demokratische Krieg« als Folge verfälschter Präferenzbildung?

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Position oder Deutung und sie verstärkender einseitiger Information die Bürgerin-nen (einer »militanten« Demokratie) ceteris paribus deutlich stärker manipulierenwürden als hegemoniale Diskurse, in denen beides nicht dominant ist.

(2c) Eindeutig untermauert würde die Prämisse der militanten »Missionarin«,wenn sich erhebliche kriegsbefürwortende Präferenzänderungen bereits nach inhalt-lich deutlich ausgeprägten nicht-hegemonialen Diskursen mit eindeutig breiterInformation einstellten, in denen kriegsbefürwortende »liberale« Legitimationsmus-ter und medial wiedergegebene politische Ereignisse, die sie verstärken, allenfalls –wie unter (1) ausgeführt – direkt unterhalb einer 25%-Schwelle präsent sind. Aller-dings müsste in diesen Fällen schlüssig nachgewiesen werden, dass die erheblichekriegsbefürwortende Präferenzänderung tatsächlich auf die »liberalen« Elemente inder inhaltlich stark pluralisierten Berichterstattung zurückzuführen ist.

3.2.6. Die empirische Anwendung der Qualitätsstandards: Fernsehnachrichten

Die Kriterien zur Bestimmung der Qualität medialer Diskurse und Informationenmüssen auf Medien(formate) angewandt werden, die als Hauptinformationsquelleder Bürger im Hinblick auf das Ausland und die Außenpolitik ihres Landes angese-hen werden können. Je mehr das der Fall ist, desto mehr lassen sich der Zusammen-hang zwischen Medienberichterstattung und öffentlicher Meinung und damit auchManipulationsargumente plausibilisieren (bzw. entkräften). Der Einwand, dass in ei-ner Demokratie per definitionem immer genügend alternative Informationen zurVerfügung stehen, die sich die Bürgerin jederzeit beschaffen kann, geht hier auszwei Gründen fehl: Erstens, führt er zwingend zurück zu strukturellen Demokratie-kategorien, d. h. zur Meinungs-, Rede-, Presse- und Informationsfreiheit,38 und ne-giert damit die Möglichkeit einer prozessualen Herangehensweise (siehe Fn. 31) alssolche. Zweitens, kann argumentiert werden, dass Fernsehberichterstattung die be-quemste und deshalb am häufigsten, wenn nicht gar ausschließlich genutzte Art derInformationsbeschaffung ist, hinter der aufwändigere weit zurückstehen – zumin-dest, was die breite Masse der Bürger angeht (vgl. dazu Helms 2008: 50). Im folgen-den Abschnitt, in dem Befunde einer ersten empirischen Anwendung der Kriterienanhand der Kosovopolitik der USA (1998-1999) umrissen werden, um das Potenzialdes Ansatzes zu veranschaulichen, konzentrierte ich mich deshalb auf die Abend-nachrichten der drei großen US-Fernsehsender ABC, CBS und NBC,39 die trotz ei-ner beträchtlichen nationalen Publikumsfragmentierung das oben genannte Kriteri-um in den 1990er Jahren (noch) am besten erfüllten (vgl. Hils 2007: 159, 101; Cook1994: 106).

38 Diese Freiheiten sind integrale Bestandteile der (liberalen) Demokratie, vgl. u. a. Lauth(2006: 86f); Merkel et al. (2003: 42, 51f, 81-85); Dahl (1989: 221); Hils (2007: 72); zurliberalen Demokratie Fuchs (1998: 158f).

39 Die entsprechenden Transkriptionen sind über die Internetseite des Vanderbilt TelevisionNews Archive aufrufbar (http://tvnews.vanderbilt.edu). Vgl. zu den Details der Datener-fassung Hils (2007: 187-189, 267).

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Aufsätze

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4. Verfälschte oder authentische Responsivität? Die Kosovopolitik der USA (1998-1999)

4.1. Liberal begründeter Krieg ohne VN-Mandat und Verteidigungscharakter: Die Fallauswahl

Die Kosovopolitik der USA (1998-1999) ist deshalb besonders gut geeignet, denDisput um den authentischen demokratischen Krieg mit der Empirie zu konfrontie-ren, weil zum einen die Vereinigten Staaten von der FDK als »the prototype of amilitant democracy« (Müller 2004a: 508) angesehen werden. Zum anderen wird derKosovokrieg von ihr insofern als möglicher »archetype of a democratic war« (Brocket al. 2006b: 206) gehandelt, als hier »liberale« Legitimationsmuster angeführt wur-den, um einen Militäreinsatz ohne Mandat des VN-Sicherheitsrats zu begründen,und die intervenierenden demokratischen Regierungen der Auffassung waren, dasssolche Rechtfertigungen aus innenpolitischen Gründen notwendig seien.40

Hinsichtlich der LT ist die Auswahl des Untersuchungsgegenstands dagegen nichtbesonders zu begründen, da sie, zumindest in ihrer Czempielschen Variante, von ei-ner generell kriegsabgeneigten Besitzbürgerin ausgeht. Zudem wählt Czempiel selbstdas Beispiel der USA, die »das Paradigma einer klassisch bürgerlich geordneten Ge-sellschaft« (Czempiel 1996a: 90, Fn. 6) seien, wo sich der Zusammenhang zwischenDemokratie und Gewaltabneigung nach außen besonders deutlich bemerkbar machenmüsste. Hinsichtlich der Fallauswahl wäre hier nur der Verteidigungskrieg auszu-schließen, als der die sogenannte Operation Allied Force, der NATO-Luftkrieg ge-gen Serbien vom 24.3.-9.6.1999, nicht einmal in Ansätzen angesehen werden kann.

40 Zudem sollte der auszuwählende Militäreinsatz vergleichsweise umfangreich bzw. mitrelativ hohen (potenziellen) Kosten verbunden gewesen sein, weil damit ein Mindestmaßan Aufmerksamkeit und Interesse auf Seiten der US-Medien und -Öffentlichkeit erwartetwerden kann (vgl. zum umgekehrt proportionalen Zusammenhang zwischen den Kosteneines Krieges und der Möglichkeit, ihn nach innen durchzusetzen, Chojnacki 2006: 27,2004: 89). Damit verbleiben für die Zeit nach dem Ende des Ost-West-Konflikts (vgl. füreinen Überblick zu den Konjunkturen, die Demokratieförderung und Menschenrechts-schutz in der Zeit davor in der US-Außenpolitik durchlaufen haben, Daase 2006b undHils 2006: 26, Fn. 9) vor allem vier Fälle: der zweite Golfkrieg (1991), der Kosovokrieg(1999), der Afghanistankrieg (2001) und der Irakkrieg (2003). Ersterer ist auszuschlie-ßen, weil er vom VN-Sicherheitsrat legitimiert war und insofern nicht unter die Defini-tion eines genuin demokratischen Krieges fällt (vgl. Brock et al. 2006a: 7f). DerAfghanistankrieg kann als – vom VN-Sicherheitsrat anerkannter – Verteidigungskrieggesehen werden (Müller/Wolff 2006: 47), was im Hinblick auf die LT problematisch ist.Das bedeutet auch, dass der Afghanistankrieg vermutlich vor allem mit genuin sicher-heitspolitischen (Bekämpfung des transnationalen Terrorismus) und weniger mit »libera-len« Kriegsgründen (Demokratieförderung und Menschenrechtsschutz) legitimiertwurde (vgl. aber Western 2005: 273, Fn. 69), wenngleich sich beide Argumentationsli-nien – zumal in der Rhetorik der Bush-Regierung (vgl. Hils/Wilzewski 2006b: 1f) –natürlich wechselseitig ergänzen können. Eine ähnliche Problematik ergibt sich für denIrakkrieg: Hier stand zunächst eindeutig die Existenz von Massenvernichtungswaffen (inden Händen eines nichtdemokratischen »Schurkenstaats«) als Rechtfertigung im Vorder-grund, Demokratieförderung als explizite (Ex-Post-)Legitimation folgte erst spät (Rus-sett 2005: 396; Daase 2006a: 84; vgl. auch Hils 2006: 64).

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Jochen Hils: Der »demokratische Krieg« als Folge verfälschter Präferenzbildung?

261ZIB 2/2008

4.2. Pragmatismus und Desinteresse: Die öffentliche Meinung

Für die FDK beginnen die Probleme insofern bereits bei der Charakterisierung der Ver-einigten Staaten als Prototyp einer »militanten« Demokratie, als einschlägige Studienbelegen, dass die öffentliche Meinung in den USA zumindest im Hinblick auf die Ver-breitung der demokratischen Regierungsform einen »fairly pragmatic approach«41

bevorzugt, was sich auch darin äußert, dass das Thema auf der Liste außenpolitischerPrioritäten seit dreieinhalb Jahrzehnten durchgängig weit hinten rangiert (Holsti 2000:159, Tab. 2-1; Hils 2006: 52, Tab. 1). Im Gegensatz zu friedlichen bzw. von Zwangfreien (und damit weniger kostenintensiven) Methoden der Demokratieförderung wer-den Militärinterventionen und ihre Androhung in diesem Kontext folglich mehrheitlichabgelehnt (CCFR/PIPA/KN 2005: 8-10, 3f).42 Insoweit kann hier von mehrheitlich(latent) militanten »Missionaren« keine Rede sein. Hinsichtlich der Förderung undVerteidigung der Menschenrechte gibt es zwar ein erheblich größeres Reservoir anöffentlicher Zustimmung (CCFR/PIPA/KN 2005: 11), das sich auch in einer durch-gängig deutlich höheren Priorität bemerkbar macht (Holsti 2000: 159, Tab. 2-1;Hils 2006: 52, Tab. 1). Allerdings stoßen rein »humanitäre« Interventionen spätestensdann an Grenzen der Zustimmung, sobald sie, wie etwa im Fall Somalia zu Beginnder 1990er Jahre, mit dem Ziel eines internen politischen Wandels wie nation buildingbzw. der Verbreitung der demokratischen Regierungsform verbunden werden(Jentleson/Britton 1998: 401f). So kommen Jentleson und Britton auch im Hinblickauf den Bosnienkrieg zu dem Befund: »The combination of the lessons of Somalia andthe evidence from Bosnia itself that the humanitarian problems could not be separatedfrom the internal political conflict lowered support levels« (Jentleson/Britton 1998:405).

So überrascht es kaum, dass auch die öffentliche Zustimmung zu einer Militärinter-vention im Kosovo zwischen dem endgültigen gewaltsamen Ausbruch des Konfliktsim Zuge der ersten serbischen Großoffensive gegen die kosovo-albanische »Befrei-ungsarmee« UÇK am 28.2.1998 und dem Ende der NATO-Luftangriffe am 9.6.1999in Gallup-Umfragen nie die am 13.-14.4.1999 erreichte Höchstmarke von 61% (Luft-angriffe) bzw. 52% (Entsendung von Bodentruppen) überschritt und sich somit maxi-mal am unteren Ende einer politisch relevanten »consensus opinion« (60%-69%)(Graham 1994: 195-197) bewegte. Im Vorfeld der Militärintervention stagnierte dieZustimmung zu Luftangriffen sogar nur zwischen 42% (9.-12.10.1998) und 46%(19.-21.3.1999) (Gallup Organization, ohne Datum: 15). Ähnliches gilt für die Auf-

41 Chicago Council on Foreign Relations (CCFR)/Program on International Policy Attitu-des (PIPA)/Knowledge Networks (KN) (2005: 7).

42 Auch Bruce Jentleson und Rebecca Britton (1998: 416) sprechen von einem »pragma-tism« und belegen anhand von Umfragen überzeugend, dass interner politischer Wandel(wie der Umsturz einer Regierung) als zentrales Ziel einer Militärintervention in denUSA grundsätzlich auf deutlich weniger öffentliche Zustimmung stößt als Fälle, in denendas vorrangige Ziel ist, einen Gegner in die Schranken zu verweisen, der aggressive Aktegegen die Vereinigten Staaten, ihre Bürger oder Interessen begangen hat, sowie rein»humanitäre« Interventionen (worunter das Bereitstellen von Hilfsgütern durch militäri-sche und andere Mittel verstanden wird) (Jentleson/Britton 1998: 397, 399f).

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Aufsätze

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merksamkeit gegenüber dem Kosovokonflikt, die als Indikator für die Intensität derPräferenzen der US-Bürger in dieser Frage herangezogen werden kann (Hils 2007:90; Hils/Wilzewski 2006c: 24f): Bis zum Beginn des NATO-Luftkrieges am24.3.1999 gaben breite Mehrheiten von 58% (9.-12.10.1998), 70% (8.-9.2.1999 und19.-21.2.1999) sowie 64% (19.-21.3.1999) der Befragten an, die Situation im Kosovonicht sehr genau oder überhaupt nicht verfolgt bzw. hier keine Meinung zu haben.43

Eine sprunghafte und marginale Berichterstattung von ABC, CBS und NBC hat die-sen Trend zwar sicherlich verstärkt. Wie die fast vollständige Entkoppelung von Auf-merksamkeitswerten und Sendezeit während der Militärintervention aber zeigt, gabes davor offenbar durchaus ein genuines Desinteresse auf Seiten des Demos.44

4.3. Elitärer Diskurs und liberale Legitimationsmuster: Der mediale Kontext

Für das Vorfeld der Militärintervention lässt sich auf der Ebene der sound bites,45 die inden Abendnachrichten der drei Sender zum Kosovokonflikt ausgestrahlt wurden, einpro-interventionistischer elitärer Diskurs feststellen. Er begann erst unmittelbar vorKriegsbeginn infolge eines Einbruchs in der relativen Medienpräsenz kosovo-albani-scher Akteure und infolge der Republikanischen Opposition gegen die Luftangriffe bzw.den Einsatz von Friedenstruppen zu erodieren46 und hatte angesichts des mehrheitlichen

43 Gallup Organization (ohne Datum: 16); vgl. auch Hils (2007: 252, Tab. 16).44 Vgl. Hils (2007: 252, Tab. 15, 16, 222, 269, Schaubild 7, 8, 9); Hils/Wilzewski (2006c: 50-52).45 Sound bites sind Kurzkommentare, die in der Regel nicht von Journalisten stammen.

Man kann sie als im Fernsehen übertragene Entsprechungen eines Zitats definieren, diedem Sprecher die Möglichkeit bieten, sein Anliegen ohne zusätzliche Vermittlung aufSeiten des Reporters vorzubringen (Cook 1994: 112).

46 Von der ersten serbischen Großoffensive gegen die UÇK am 28.2.1998 bis zum sogenanntenRačak-Massaker am 15.1.1999 hatte die NATO (79) zusammen mit kosovo-albanischenAkteuren (44) mit 123 von 179 Äußerungen 68,7% aller Kurzkommentare auf sich vereinigenund angesichts im Kern einheitlicher Positionen und Deutungen so einen elitären Diskursbestreiten können. In dieser hegemonialen »Diskurskoalition« waren (latent) pro-interventio-nistische Positionen auch deshalb vorherrschend, weil in der zuerst genannten Akteursgruppeneben der US-Regierung – einschließlich der Militärs – (69) und der NATO-Führung in Brüs-sel (2) nur noch die britische Regierung – einschließlich der Militärs – (8) zu Wort kam. Zwi-schen dem Račak-Massaker – in dessen Gefolge die US-Regierung bzw. die NATO, begleitetvon zunehmend kritischen Tönen aus dem Kongress, mit dem Rambouillet-Ultimatum erst-mals ein nachhaltiges Engagement in der Kosovopolitik an den Tag legte (Hils 2007: 175-187, 197-203, 219-221, 225-229, 231-233) – und dem Beginn des Kosovokrieges brach dierelative Medienpräsenz der Akteure aus der Krisenregion (28 von 194 Kurzkommentaren) imVergleich zum vorherigen Intervall (53 von 179) um 15,2 Prozentpunkte ein. Kosovo-albani-sche Akteure kamen nun nur noch auf einen anteiligen Wert von 7,2% (14 von 194) und ver-loren damit 17,4 Prozentpunkte an relativer Medienpräsenz. Im Gegenzug gewannen vorallem Kongressmitglieder sowie amerikanische und britische Experten, die zuvor lediglich in14,0% der Fälle zu sehen und zu hören gewesen waren (5 bzw. 20 von 179), mit einemZuwachs von 12,3 Prozentpunkten deutlich an relativer Medienpräsenz (19 bzw. 32 von 194).Der anteilige Wert für die NATO blieb nach Račak mit 45,4% (88 von 194), die einem margi-nalen Zuwachs von 1,3 Prozentpunkten entsprechen, dagegen konstant. Allerdings wurde bisauf eine Ausnahme (ein ehemaliger Parlamentarier, der zweimal zu Wort kam) nur von(Republikanischen) Kongressmitgliedern kriegsablehnende Fundamentalkritik an der Koso-vopolitik der Clinton-Administration geäußert (Hils 2007: 208-215, 235-246).

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Jochen Hils: Der »demokratische Krieg« als Folge verfälschter Präferenzbildung?

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Desinteresses des Demos kaum eine Wirkung: Eine signifikante kriegsbefürwortendePräferenzänderung lässt sich bei einem Anstieg von vier Prozentpunkten im Lager derBefürworter von Luftangriffen (von 42% auf 46%) ebenso wenig feststellen wie einepolitisch relevante Geschlossenheit der öffentlichen Meinung, die für Thomas Graham(1994: 195-197) gesichert bei 60% beginnt (vgl. Hils 2007: 89f). Die politische Bedeu-tungslosigkeit wurde durch das mehrheitliche Desinteresse der Befragten natürlich wei-ter verstärkt.

Aus der Perspektive der FDK sind diese Zahlen umso bemerkenswerter, als »libe-rale« Kriegsgründe bzw. Legitimationsmuster in dem pro-interventionistischen eli-tären Diskurs der Vorkriegsphase eine wichtige, wenn auch keine ausschließlicheRolle spielten (Hils 2007: 208-215, 235-246): Neben humanitären Argumenten wur-den auch nationale Interessen im Hinblick auf die regionale Stabilität in Südost-europa sowie die Sorge um die Glaubwürdigkeit der NATO von der Clinton-Regie-rung angeführt. Alle drei Argumentationsmuster waren durchaus miteinanderkompatibel, ja komplementär (Hils 2007: 325; vgl. auch DiPrizio 2002: 139-144).

4.4. Policy-Dissens und Kultur der Unterordnung: Die parlamentarische Responsivität

Bemerkenswert ist auch, dass der Republikanisch kontrollierte 105. und 106. Kon-gress (1997-1998 und 1999-2000) seinen politischen Spielraum, der im Vorfeld desLuftkrieges in keiner Weise durch öffentlichen Druck eingeschränkt war, nichtnutzte, um den von der Mehrheit der Fraktionen wenig geliebten Kosovokrieg zuverhindern. Stattdessen beschränkte man sich darauf, allenfalls nicht bindende Reso-lutionen zu verabschieden (Hils 2007: 175-187, 197-203, 219-221, 225-229, 231-233). Angesichts des deutlichen policy-Konflikts zur Demokratischen Administra-tion in der Kosovofrage gewinnen hier Argumente an Plausibilität, die eine genuineinstitutionelle – bzw. parteipolitische (Hils/Wilzewski 2006c: 64-77) – »culture ofdeference« (Weissman 1995) auf Seiten des Kongresses in der militärischen Inter-ventionspolitik am Werke sehen.

4.5. Desinteresse und authentischer demokratischer Krieg: Der empirische Befund

Zwar lässt sich angesichts der durchweg gespaltenen öffentlichen Meinung keinerder in Abschnitt 3.1 entwickelten Responsivitätstypen hier zuordnen – in Gallup-Umfragen vom 9.-12.10.1998, 19.-21.2.1999 und 19.-21.3.1999 betrug der Abstandzwischen den Befürworterinnen (42%, 43% und 46%) und Gegnern (41%, 45% und43%) von Luftangriffen maximal drei Prozentpunkte.47 Es kann aber festgehaltenwerden, dass bis zum 23.3.1999 Demokratiedefizite in der US-Kosovopolitik weni-ger in einer medialen Manipulation des Demos begründet lagen als vielmehr in des-

47 The Gallup Organization (ohne Datum: 15); vgl. auch Hils (2007: 246, Tab. 12).

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sen Desinteresse, das von einer sprunghaften und marginalen Berichterstattung derdrei großen Sender offenbar allenfalls verstärkt wurde und insofern genuin, d. h.nicht (nur) von außen verursacht war. Dieser Fall wird in der LT Czempiels alsZusatzbedingung für das Wirken von »Kants Theorem« erwähnt: Es verlange »auch,dass der Bürger die Außenpolitik nicht am Ende seiner Aufmerksamkeitsskala ansie-delt« (Czempiel 1996a: 91). Konzeptionell gesehen ist damit wenig gewonnen, dahier eine Abkehr von der bisherigen Argumentationslinie erfolgt: Jetzt sind es nichtmehr widrige, d. h. defizitäre demokratische Umstände, sondern die Bürgerin selbst,die zum Problemfall wird. Dabei ließe sich aus einer normativen demokratietheoreti-schen Perspektive durchaus argumentieren, dass es ihr im Rahmen ihrer persönli-chen Selbstbestimmung auch vorbehalten bleibt, sich nicht zu informieren (Dahl1989: 115; siehe auch Fn. 35).

Betrachtet man das mehrheitliche Desinteresse des Demos im Vorfeld der Luftan-griffe vor diesem Hintergrund als authentisches Phänomen, dann ist auch dieKriegsentscheidung der Vereinigten Staaten im Fall Kosovo als authentisch zubewerten. Entgegen der Annahme der FDK stützt sich diese Authentizität aber nichtauf eine vorgebliche (latente) Militanz der Mehrheit der US-Bürger aus »liberalen«Motiven. Die stellte sich bezeichnenderweise erst in den ersten drei Kriegswochen,und zwar schleppend, auf vergleichsweise niedrigem Niveau und nur vorübergehendunter den Auswirkungen eines kriegsbefürwortenden elitären Diskurses – in demFundamentalkritik eine Randerscheinung war (Hils 2007: 295-297) – mit einer ihnverstärkenden (zumindest der Tendenz nach) einseitigen Information ein. Dabeischeinen vor allem Fernsehbilder von Flüchtlingen und serbischen Gewalttatengegen kosovo-albanische Zivilisten, die in der zweiten Kriegswoche fast 50% allervisuellen Szenenfolgen ausmachten, die ABC, CBS und NBC in ihrer Kosovobe-richterstattung ausstrahlten, eine langsam ansteigende Welle der Empathie ausgelöstzu haben (Hils 2007: 253-300). Dass die gleichgerichtete Präferenzänderung –zumindest was den Diskurs anbelangt – unter deutlich ausgeprägten manipulativenInformationsbedingungen zustande kam und nur vorübergehend ein erheblicherAnstieg in der öffentlichen Zustimmung zu Luftangriffen (von 46% auf 61% vom21.3.-14.4.1999) und der Entsendung von Bodentruppen (von 31% auf 52% vom25.3.-14.4.1999) ausgelöst wurde, scheint wiederum die LT zu bestätigen, die davonausgeht, dass solche kollektiven Emotionalisierungen nur manipulativ zustandekommen können.

In der Gesamtschau legen die hier umrissenen Befunde den vorläufigen Schlussnahe, dass der authentische demokratische Krieg zwar existiert: Anders als die LT(unter anderem) vermutet, ist er keine Folge verfälschter Präferenzbildung. Aller-dings liegt die Quelle der Authentizität, im Gegensatz zur Annahme der FDK, nichtin einer (latenten) Militanz der US-Bürgerinnen, sondern vielmehr in deren apathi-schem Desinteresse. Ein Argumentationsweg, der der LT hier aber immer nochoffen steht, ist die zu belegende Behauptung, dass dieses mehrheitliche Desinteresseeine unmittelbare Folge einer ausgeprägten sozialen Ungleichheit und/oder einerungleichen Verteilung der aus einer Gewaltpolitik resultierenden Belastungen ist(siehe Fn. 13, 24). Die defizitäre parlamentarische Kontrolle und ein möglicher

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Jochen Hils: Der »demokratische Krieg« als Folge verfälschter Präferenzbildung?

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(dominanter) Einfluss von Interessengruppen scheiden neben dem Manipulationsar-gument im Fall Kosovo insofern als Erklärungsfaktoren ebenfalls aus, als sie nurdann als kriegsentscheidende Demokratiedefizite hätten gewertet werden können,wenn durch sie die Übersetzung authentischer Mehrheitspräferenzen der Bürger ver-hindert worden wäre, also eine blockierte Responsivität vorgelegen hätte.

5. Die Frage nach der Existenz des authentischen demokratischen Krieges: Überlegungen zu einer Forschungsagenda

Die weitere Forschung, die demokratische Kriege in vergleichender Perspektive aufihren Authentizitätsgrad hin untersuchen sollte, muss sich auf drei Bereiche konzen-trieren: (1) den konkreten informationellen bzw. medialen Kontext, (2) die öffentlicheMeinung und (3) die Responsivität des politischen Systems.

(1) Im Hinblick auf den konkreten informationellen bzw. medialen Kontext ist dieFrage von herausragender Bedeutung, wann eine Berichterstattung zum »Authenti-zitätspol« und wann zum »Manipulationspol« (siehe Abschnitt 3.2.4) tendiert. Hiergibt es einige Hinweise darauf, dass das präsidentielle System der USA bzw. diejournalistischen Arbeitsroutinen, die sich darin historisch verfestigt haben, in Syner-gie mit einer Objektivitätsnorm, die im internationalen Vergleich eine besondereNeigung aufweist, die Aussagen »offizieller« Quellen nicht allzu weit zu hinterfra-gen und vor allem Kontroversen im politischen System abzubilden, mit einer beson-deren Anfälligkeit für manipulative Informationsbedingungen zugunsten der Exeku-tive einhergehen. Ein praktisch vollständig kommerzialisiertes Mediensystem, indem ein hoher Konkurrenzdruck herrscht, verstärkt diese Tendenz (Hils 2007: 159-173). Fällt die parlamentarische Opposition wie nach dem 11.9.2001 faktisch aus,stellen sich unter diesen Bedingungen, zumal bei patriotischer Stimmungslage desPublikums, automatisch hegemoniale Mediendiskurse ein (vgl. Massing 2004: 45).Experten scheinen die Lücke nicht füllen zu können, da sie offenbar selbst mit parla-mentarischer Rückendeckung weitaus weniger bereit sind, öffentlich Fundamental-kritik an (»humanitären«) Militäreinsätzen zu üben (siehe Fn. 46; Hils 2007: 167,318f). Die öffentliche Sphäre parlamentarischer Demokratien könnte sich hier inso-fern als resistenter erweisen, als die Logik des Regierungssystems es von journalisti-scher Seite nahe legt, parteipolitische Positionen in der vorhandenen Bandbreiteabzubilden (vgl. Cook 1994: 105f), die angesichts des kollektiven Wunschs einerOppositionspartei, selbst Regierung zu werden, möglicherweise auch im Hinblickauf Militäreinsätze kontroverser ausfallen als in einem Regierungssystem, das sichinfolge seiner Funktionslogik und einer populistischen politischen »Alltagskultur«durch schwache Partei(organisation)en und starke Individualisierung auszeichnet(Hils 2007: 102-136). Allerdings spielen hier auch der Kommerzialisierungsgraddes nationalen Mediensystems, die Norm(deutung)en und Arbeitsroutinen des Jour-nalismus sowie die außenpolitische Kultur eine wichtige Rolle: Besteht etwa auf-grund einer »militanten« politischen Mehrheitskultur für (bestimmte) Militärein-sätze ein großes Zustimmungspotenzial in der Öffentlichkeit, könnten

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Oppositionsparteien entweder selbst von dieser Mehrheitskultur geprägt sein oderauf kritische Äußerungen deshalb verzichten, weil sie anderenfalls befürchten könn-ten, ihre perspektivischen Wahlchancen zu schmälern. Läge ein hoher Kommerziali-sierungsgrad des nationalen Mediensystems vor, könnten auch Journalisten bzw.Redaktionen – trotz Objektivitätsnorm – zögern, kritische Positionen wiederzugebenoder einzunehmen, wenn dies, wie nach dem 11.9.2001 in den USA geschehen(Massing 2004: 45), eine Flutwelle empörter Zuschriften des Publikums nach sichziehen würde.

(2) Die Auseinandersetzung mit dem konkreten informationellen bzw. medialenKontext ist insofern wichtig, als manipulative Informationsbedingungen eine not-wendige Bedingung einer verfälschten Präferenzbildung sind. Allerdings sind sieinfolge der Bedeutung der Informationsverarbeitung keine hinreichende Bedingung.Hier lohnt es sich, den Pfad der FDK weiterzugehen, sich vom generell (zweck)rati-onalistischen Akteurskonzept der LT zu verabschieden und die Perspektive insoweitzu öffnen, als die Existenz verschiedener politischer Mehrheitskulturen in Betrachtgezogen werden muss – wobei hier auch vorrangig (zweck)rationale Einstellungs-muster als eine mögliche kulturelle Ausprägung konzeptionell nicht ausgeschlossenwerden dürfen.48 Im Fall der USA scheint diese kulturelle Ausprägung im Sinnepragmatischer Einstellungsmuster auf Seiten des Demos weitgehend vorzuliegen,weshalb hier zumindest im Hinblick auf die Verbreitung der demokratischen Regie-rungsform von einem »Volk ohne Mission« (Hils 2006: 41) die Rede sein kann.Allerdings gibt es im Bereich der Förderung und Verteidigung der Menschenrechtedeutliche »missionarische« Tendenzen, die sich jedoch offenbar nur dann in öffent-liche Zustimmung zu einem so begründeten Militäreinsatz ummünzen lassen, wenndieser lediglich darauf abzielt, unmittelbar menschliches Leid zu lindern oder zubeenden. So erklärt sich auch der kriegsbefürwortende Stimmungsumschwung inden ersten drei Wochen des NATO-Luftkrieges gegen Serbien, der unter dem Ein-druck einer ausgedehnten Berichterstattung über die Massenflucht bzw. -vertreibungder Kosovo-Albaner zustande kam. Hier scheint in der Tat das begrenzte militante»liberale« Potenzial (manipulativ) »aktiviert« worden zu sein (siehe Abschnitt 4.2,4.3, 4.5, Fn. 5). Insofern ist eine Zunahme von »liberalen« Legitimationsmusternjenseits der unmittelbaren Menschenrechtsdimension auch ein möglicher Hinweisauf eine zunehmende Entfremdung zwischen politischer Elite und öffentlicher Mei-nung in den USA. So gesehen könnte es sich in diesem Kontext zur Annahme derFDK genau umgekehrt verhalten: Womöglich sind die »liberalen« Legitimations-muster hier gar nicht die »öffentlichen« (hinter denen andere Motive stehen), son-dern die »privaten« Beweggründe (siehe Abschnitt 2.3), deren öffentliche Kommu-nikation sich auch an eine politische Teilkultur richtet, die die eigeneStammwählerschaft bildet.49 So würden sich auch Konjunkturen gewaltsamerDemokratieförderung bzw. einer entsprechenden Rhetorik in der US-Außenpolitik

48 Vgl. zur Subsumierung rationaler Handlungslogiken unter normative Kontexte in einemanderen Zusammenhang Müller (2004c: 411-414).

49 Ähnlich argumentiert Geis (2006: 149) im Hinblick auf die Rhetorik der Bush-Regie-rung.

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Jochen Hils: Der »demokratische Krieg« als Folge verfälschter Präferenzbildung?

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erschließen, die kulturelle Ansätze nicht erklären können (Daase 2006b: 238).Damit würde die FDK zwar insofern bestätigt, als dieser Befund mit ihrem fließen-den Konzept einer »militanten« Demokratie kompatibel wäre (siehe Fn. 25). Aller-dings würde der Sachverhalt einer selektiven Responsivität, die besonders dannwahrscheinlich ist, wenn das Interesse der Bürgerinnen (wie im Fall Kosovo) geringist (Hils 2007: 123), darauf hindeuten, dass breite demokratische Mitsprache einHindernis für gewaltsame Demokratieförderung darstellt. Das wiederum würde dieAusgangsüberlegung der FDK in Frage stellen, wonach es sich beim (»liberalen«)demokratischen Krieg um ein demokratiespezifisches Phänomen handelt. Das demo-kratische Spezifikum wären (nationale) »missionarische« Teilkulturen, im Sinnepartikularer Interessen, deren Durchsetzungsfähigkeit bei einem vorhandenenWiderspruch zu gesamtgesellschaftlichen Präferenzen eine blockierte Responsivitätund damit eine »Mission ohne Volk« (Hils 2006: 53) nahe legen würde.

(3) Diese Überlegungen verweisen darauf, dass eine Forschungsagenda auch denkonkreten Bedingungen besondere Aufmerksamkeit zollen muss, unter denen sichResponsivität auf die breite Masse des Volkes richtet. Ihre herausragende Bedeu-tung erlangt Responsivität dadurch, dass sie gesamtgesellschaftliche Präferenzenpolitisch bedeutsam macht – durch sie übersetzt sich der Volkswille in politisch-institutionelles Handeln. Da die USA aufgrund ihrer volksnahen politischen »All-tagskultur« als einzigartig responsive Demokratie gelten, müsste hier eigentlich eineauthentische oder eine verfälschte Responsivität vorherrschend sein. Allerdingswirkt die mehrheitsfeindliche Architektur des Regierungssystems, zumindest beinicht hinreichend intensiven oder ausbleibenden gesamtgesellschaftlichen Anforde-rungen, immer wieder in die Gegenrichtung einer »Minderheitstyrannei« (Hils2004: 22f). Insofern ist hier auch eine blockierte oder eine entkoppelte Responsivitätwahrscheinlich. Sollten andere Demokratien tatsächlich weniger responsiv sein,würden dort auch gesamtgesellschaftliche Präferenzen für politische Prozesse weni-ger bedeutsam sein, was im Sinne des Konzepts der Mediendemokratie (vgl. Hils2007: 33-37) erklären würde, warum die US-Regierung, auch und gerade im Zusam-menhang mit Militäreinsätzen, so viel Energie in politische Öffentlichkeitsarbeitinvestiert (siehe Fn. 5).

Ob eine zunehmende Demokratisierung im Sinne einer authentischen Responsivi-tät (3) eher mit einer verminderten oder einer verstärkten Neigung zur Anwendungmilitärischer Gewalt nach außen einhergeht, wird die vergleichende Forschung zuden konkreten informationellen bzw. medialen Rahmenbedingungen (1), unterdenen sich signifikante kriegsbefürwortende Präferenzänderungen demokratischerÖffentlichkeiten vollziehen (2), zeigen müssen (siehe Abschnitt 3.2.5). Die Frage,ob bzw. inwieweit solche Präferenzänderungen das Resultat einer informationellenManipulation oder einer kulturellen Gewaltneigung sind, die »liberal«, aber auchanderweitig bedingt sein könnte, ist noch nicht entschieden und muss systematischerforscht werden.

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273Zeitschrift für Internationale Beziehungen15. Jg. (2008) Heft 2, S. 273–302

Christian Büger/Frank Gadinger

Praktisch gedacht!Praxistheoretischer Konstruktivismus in den Internationalen Beziehungen

Praktisches Wissen und Alltagshandlungen finden in der Disziplin InternationaleBeziehungen (IB) nur selten Beachtung. Welche analytischen Vorteile es bietet, sichdiesen »praktischen« Dimensionen zuzuwenden, und welche unterschiedlichen Heran-gehensweisen es gibt, zeigen wir in diesem Beitrag. Deutlich wird, dass eine praxis-theoretische Ausrichtung das Potenzial hat, entscheidende konstruktivistischeLeerstellen zu füllen, kreative Wege zu gehen im Studium transnationaler Phänomenewie des Terrorismus, und auch die Produktion praxisrelevanten Wissens befördert.Um praxistheoretische Ansätze zu verorten, diskutieren wir zum einen ihre sozialtheo-retischen Grundlagen. Das praxistheoretische Programm interessiert sich für dieRekonstruktion von praktischem Wissen und unterscheidet sich somit deutlich vonrationalistischen oder normorientierten IB-Theorien, aber auch von kulturtheoreti-schen Ansätzen, die Wissensordnungen im menschlichen Geist oder in externen Text-strukturen verorten. Zum anderen diskutieren wir zentrale Herausforderungen, diesich aus der Beschäftigung mit Praktiken ergeben: Führen routinisierte Praktiken zudauerhaft stabilen Strukturen? Welche Rolle haben Dinge und Technologien? Wel-ches Wissenschaftsverständnis ergibt sich aus Praxistheorien? Welche neuen Wege inForschungsstrategie und Methodenwahl bieten diese?

1. Die Wiederkehr des Praktischen1

Seit ihrem Ursprung verfolgt die Disziplin Internationale Beziehungen (IB) denAnspruch, praktische Probleme der Weltpolitik zu adressieren. Dies zeigt sich zumeinen in den regelmäßig aufflammenden und teils bereits zum Ritus gewordenenDiskussionen, in denen die (Ir-)Relevanz disziplinären Wissens sowie die Positio-nierung des Forschers zu Politik und Gesellschaft in Frage gestellt wird.2 Anderer-seits sind »Praxis«, »Praktiken« und »praktisch« auch Konzepte, die sich inden meisten wissenschaftlichen Publikationen wiederfinden. Einführungskurse und -bücher werden als »Theorie und Praxis der Internationalen Beziehungen« betitelt,

1 Frühere Versionen dieses Papiers wurden auf der Tagung der Sektion InternationaleBeziehungen der DVPW in Mannheim 2005 vorgestellt, zudem in einer englischsprachi-gen Fassung im Rahmen des Workshops Thinking Practices in International Relationsand Security Studies in Florenz 2007 sowie im Rahmen des Forschungskolloquiums»Internationale Politik« in Frankfurt 2007. Wir danken allen Teilnehmerinnen und Teil-nehmern für ihre Anregungen. Unser Dank gilt weiter Anna Geis, Gunther Hellmann,Benjamin Herborth, Friedrich Kratochwil, Philip Liste, Johannes Marx, Hendrik Wagen-aar, Taylan Yildiz sowie dem ZIB-Redaktionsteam und den anonymen Gutachterinnenund Gutachtern der ZIB.

2 Siehe hierzu die Literatur-Überblicke in Erikson/Sundelius (2005); Büger/Gadinger(2007a) sowie Walt (2005).

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Literaturbericht

274

die Handlungen von politischen Akteuren werden als »Praxis« bezeichnet und insbe-sondere die Debatten in konstruktivistischen (und post-konstruktivistischen) IB-Camps sind geprägt von Konzepten wie »diskursive Praktiken« oder »repräsentativePraktiken«. Gerade die Proliferation des Praxis/Praktiken-Begriffs in konstruktivis-tisch orientierten Arbeiten mag wenig verwundern, ist doch die Entstehung dieserAnsätze eng verknüpft mit den Arbeiten von Sozialtheoretikern wie Anthony Gid-dens oder Ann Swidler – Theoretikern, die in der Sozialtheorie als Praxistheoretikerbezeichnet werden.

Trotz (oder gerade wegen) der zunehmenden Verwendung des Praktiken-Begriffsmehren sich jedoch in jüngster Zeit Stimmen, die den unreflektierten, vulgärenGebrauch des Begriffs kritisieren und argumentieren, dass den Begriffen Praxis undPraktiken ein zentraler theoretischer Stellenwert einzuräumen sei. Dies sind zumeinen Autoren wie Emanuel Adler (2005), Didier Bigo (2002) oder Iver Neumann(2002), die sich für eine stärkere Ausrichtung der IB an der Soziologie und Anthro-pologie aussprechen, und zum anderen Autoren wie Ernst B. Haas (Haas/Haas 2002),Gunther Hellmann (2002) oder Friedrich Kratochwil (2007), die sich für die Wieder-kehr der praktischen Philosophie und für eine Neubelebung der Tradition des ameri-kanischen Pragmatismus aussprechen. Mit diesen Argumenten steht die Disziplin IBkeineswegs allein, vielmehr folgt sie einem Trend, der sich bereits wesentlich deutli-cher in den sozialwissenschaftlichen Nachbardisziplinen etabliert hat. In Sozialtheo-rie und Historiographie ist bereits von einer »praxistheoretischen Wende« die Rede(Schatzki et al. 2001; Spiegel 2005a). Auch in der Politikfeldforschung zeichnet sicheine deutliche Wiederbelebung einer praxistheoretischen Tradition ab (Hajer/Wagenaar 2003; Yanow 1996), wie sie sich bereits in den Arbeiten einiger Urväterder Disziplin wie Harold Lasswell (1971), Charles Lindblom (Lindblom/Cohen1979) oder Donald A. Schön (1983) manifestiert. In unseren Augen handelt es sichhier um eine forschungspraktische Neuausrichtung, die mit der Bezeichnung »Pra-xistheorie« treffend beschrieben werden kann (Spiegel 2005b: 2; Reckwitz 2003a).

Welches sind die Grundlagen der praxistheoretischen Neuausrichtung? WelcheAnnahmen teilen die genannten Autoren, die wiederum auf sehr unterschiedliche the-oretische Referenzen zurückgreifen und divergierende Themenbereiche bearbeiten?

Unsere folgenden Ausführungen versuchen, die Grundlagen der Praxistheorie zuverdeutlichen und die Pluralität praxistheoretischer Ansätze einerseits zu sortieren,aber auch anderseits die Probleme und Divergenzen zwischen praxistheoretischenArgumenten herauszuarbeiten. Dies ist eine sinnvolle Strategie, um praxistheoreti-sche Überlegungen besser in die IB zu integrieren, auf die Konsequenzen für dieTheoriebildung zu verweisen, ohne jedoch die wertvolle Pluralität des praxistheore-tischen Projekts aus den Augen zu verlieren. Unsere Auseinandersetzung ist vorran-gig theoretisch angelegt. Wir werden sowohl auf sozialtheoretische als auch auf IB-Diskussionen eingehen und versuchen durchgängig, auf Anwendungsbeispiele ausden IB zu verweisen.

Zunächst arbeiten wir im zweiten Abschnitt die Gemeinsamkeiten der heteroge-nen praxistheoretischen Argumente und Perspektiven heraus. Aus sozialtheoreti-scher Perspektive identifizieren wir folgende zentrale Kernannahmen: Erstens, die

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Christian Büger/Frank Gadinger: Praktisch gedacht!

275ZIB 2/2008

Argumente für Praxis lassen sich in einem kulturtheoretischen Programm verortenund grenzen sich somit klar von akteursorientierten Modellen eines homo oeconomi-cus oder homo sociologicus ab. Zweitens, praxistheoretische Argumente folgenzwar den Kernannahmen des linguistic turn, indem sie die konstituierende Kraft vonSprache und Diskursen beachten, jedoch streben sie eine Rehabilitierung des ontolo-gischen Status von Akteursqualität (agency) und »Handlungen« an. Sie kritisierenoder ergänzen somit deterministische, funktionalistische und (post-)strukturalistischorientierte Analyserahmen. Sind damit die Gemeinsamkeiten der Praxistheoretikerauf einer (angesichts der vorhandenen Heterogenität notwendigerweise) abstraktenEbene gefasst, so diskutieren wir in den folgenden Abschnitten Fragen und Heraus-forderungen, die sich einem praxisorientierten Konstruktivismus stellen. Könnenwir hier nicht auf alle Feinheiten der jeweiligen praxistheoretischen Ansätze einge-hen, so versuchen wir zumindest einige Schlüsselansätze und Kernpunkte dieser zuveranschaulichen. Dazu greifen wir im dritten Abschnitt einige programmatischeArbeiten aus der IB-Diskussion heraus, stellen diese kurz vor und diskutieren,inwieweit diese neue Perspektiven für Problemstellungen der internationalen Bezie-hungen entwickeln. Im vierten Abschnitt erörtern wir, welche Fragen diese Arbeitenaufwerfen und inwieweit sich damit ein Satz neuer Herausforderungen für die IBergibt. Wir gehen auf vier zentrale »kritische Punkte« innerhalb des praxistheoreti-schen Programms ein. Diese kritischen Punkte zeigen einerseits den Dissens unterPraxistheoretikern auf, andererseits sind diese Punkte aber auch Herausforderungen,die im Rahmen weiterer praxistheoretischer Arbeiten zu bearbeiten sind. Diese Her-ausforderungen sind zunächst ontologischer Natur. Gibt es zwar einen Grundkon-sens unter Praxistheoretikern, dass soziale Ordnung der Effekt der Regelmäßigkeitvon Praktiken ist, so gibt es entscheidenden Dissens um die Frage der Kontinuitätvon Praktiken. Eine zweite ontologische Herausforderung kreist um die Frage, wel-chen Stellenwert materiellen Objekten, Artefakten und Körperlichkeit einzuräumenist. Materialität, verstanden als die Körperlichkeit von Praktiken und das Engage-ment mit Dingen und Technologien, wird von Praxistheoretikern betont. WelcheKonsequenzen aus der Annerkennung der sozialen Bedeutung von Dingen und Kör-pern zu ziehen ist, bleibt jedoch umstritten. Ein weiteres Set von Herausforderungenstellt sich aus epistemologischer Perspektive. Praxistheorie beinhaltet zunächsteinen stärker soziologisch ausgerichteten Blick auf Forschungspraxis und vermeidetsomit den Narzissmus, der wissenschaftsphilosophischen Argumenten oft unterstelltwird. Forschung ist somit zunächst eine soziale Praxis. Die Herausforderungen einer»sozialen Epistemologie« sehen wir einerseits in der Frage, welches Verhältnis derForscher zu seinem Forschungsgegenstand aufbauen sollte. Andererseits betrifftdies Fragen der Forschungsstrategie und Methodenwahl.

2. Zur sozialtheoretischen Verortung der Praxistheorie

Andreas Reckwitz hat in einer Reihe von Arbeiten (2000, 2002a, 2003a, 2006) einesystematische Verortung von Praxistheorien im sozialtheoretischen Feld geleistet.

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Literaturbericht

276

Diese Systematik stellt anschaulich Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Theo-rieströmungen, wie sie sich auch in den IB finden, dar. Reckwitz unterscheidetzunächst drei Idealtypen handlungsorientierter Sozialtheorien, den homo oeconomi-cus, den homo sociologicus und die Kulturtheorie. Zudem argumentiert er, dass sichdrei Varianten der Kulturtheorie etabliert haben, die Kultur an unterschiedlichenStellen verorten: erstens in mentalen Ereignissen und Kognitionen, zweitens in Sym-bolsystemen und Diskursen und drittens in Praktiken. Diese Idealtypen betrachtenwir im Folgenden etwas ausführlicher.

2.1. Drei Idealtypen der Sozialtheorie

Reckwitz (2003a, 2004: 318) schlägt vor, von drei Idealtypen auszugehen (Tab. 1):Dies ist erstens die zweckrationale Handlungstheorie, die einen methodologischenIndividualismus voraussetzt und sich auf die Handlungsakte von interessengeleitetenund mit einer subjektiven Rationalität ausgestatteten Akteure konzentriert. Aus die-ser Perspektive ergibt sich »die Ebene des Sozialen gewissermaßen als ›Produkt‹ derindividuellen Akte« (Reckwitz 2003a: 287). Zweitens handelt es sich um die normo-rientierte Handlungstheorie eines homo sociologicus. Hier wird das Soziale nicht alsein Produkt individueller Akte verstanden, »sondern auf der Ebene ›sozialer Regeln‹verortet, die vorgeben, welches ›individuelle‹ Handeln überhaupt möglich ist«(Reckwitz 2003a: 287). Die Möglichkeit intersubjektiver Koordination potenzielleinander widersprechender Handlungen verschiedener Akteure wird hier in der Eta-blierung normativer sozialer Erwartungen und Rollen gesehen, die eine unendlicheKonfrontation disparater Interessen durch einen Konsens von Sollens-Regeln ver-hindern. Normorientierte Handlungstheorien kommen einem kulturtheoretischenbzw. sozialkonstruktivistischen Verständnis sehr nahe, da das Soziale auf einer über-individuellen Ebene von sozialen Regeln und Normen verortet wird. Gleichwohlgibt es einen bedeutenden Unterschied: Der dritte Idealtyp, die Kulturtheorie, löstsich von Problemen reiner Handlungskoordination. Anstatt soziale Ordnung als einHandlungskoordinationsproblem zu sehen, interessieren sich kulturtheoretischeAnsätze dafür, was die Akteure überhaupt dazu bringt, die Welt als geordnet anzu-nehmen und somit handlungsfähig zu werden. Diese

»basale Ordnungsleistung setzt eine Ebene – häufig unbewusster oder vorbewusster –symbolisch-sinnhafter Regeln, von ›Kultur‹ voraus, die die Zuschreibung von Bedeutun-gen gegenüber Gegenständen in der Welt und ihr ›Verstehen‹ regulieren und deren para-digmatischer Fall die Semantik der Sprache ist« (Reckwitz 2003a: 288).

Die Stärke kulturtheoretischer Ansätze liegt darin, dass sie Fragen zulassen, die inden anderen Idealtypen ausgeblendet werden: zweckrationale Handlungstheorienmüssen sich der Kritik stellen, soziale Ordnung auf einen individuellen Verteilungs-kampf zu reduzieren und damit kollektive Handlungsmuster auszublenden. Norm-orientierte Ansätze hingegen können zwar für sich reklamieren, kollektive Handlun-gen und damit auch Wandel durch den Rückgriff auf Normen – in Formsanktionierter sozialer Erwartungen oder internalisierter Normorientierungen – bes-

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ser erklären zu können, lassen aber unklar wie die Entstehung von Normen zu erklä-ren ist. Kulturtheorien setzen handelnde Subjekte und ihre Leitung durch Normennicht einfach voraus, sondern studieren die vorgelagerte Ordnungsleistung. DieseStrukturierung der Handlungswelt ergibt sich aus kulturtheoretischer Sicht durchkollektiv geteilte Wissensordnungen, Symbolsysteme, kulturelle Codes und Sinnho-rizonte, die als Handlungsregeln wirken. Kurz zusammengefasst unterscheiden sichKulturtheorien von den beiden ersten sozialtheoretischen Idealtypen durch ihren ver-änderten Ansatzpunkt, inwieweit die Bedingungen menschlichen Handelns zu sozia-ler Ordnung führen.

Tabelle 1: Drei Idealtypen der modernen Sozialtheorie

Nutzt man Reckwitz’ Kategorien, um die gegenwärtige Theorielandschaft in denIB zu sortieren, so erscheinen die Idealtypen zunächst vertraut, ist doch die Disziplinseit den 1990er Jahren von einer Kontroverse zwischen zweckrationalen und normo-rientierten Argumenten geprägt (u. a. Fearon/Wendt 2002). Eine unmittelbare Über-tragung ist aber durchaus problematisch, verlässt man Reckwitz’ Welt der abstrak-ten Idealtypen: Einerseits sind Begriffe wie Kultur und Sozialkonstruktivismus inden IB anders eingeführt worden. So ist Kultur in den IB vorrangig als Handlungs-restriktion und als intervenierende Variable verstanden worden.3 Das disziplinäreLabel des Sozialkonstruktivismus bezeichnet oft nicht mehr als eine ablehnendeHaltung gegenüber allzu rigiden zweckrationalen Annahmen (Guzzini 2000). Zu-dem wird in den IB das, was Reckwitz mit Kulturtheorie beschreibt, eher mit demEtikett der kritischen Theorie beschrieben. So kommt Richard K. Ashley dem Ver-ständnis von Reckwitz sehr nahe, wenn er argumentiert, dass

»approaches meriting the label ‚critical’ stress the community-shared background under-standings, skills, and practical predispositions without which it would be impossible tointerpret action, assign meaning, legitimate practices, empower agents, and constitute adifferentiated, highly structured social reality« (Ashley 1987: 403).

Andererseits finden sich in der Realwelt der IB jedoch auch Hybride, Mittel-wege und via medias, die zwischen den Idealtypen Brücken schlagen oder Elemen-te miteinander kombinieren, beispielsweise wenn konstruktivistische Kategorienwie Kultur oder Ideen in positivistische Untersuchungsdesigns übersetzt wer-

Zentrale Bedeutungselemente Verhalten als Erklärungsproblem

Homo oeconomicus Zwecke/Interessen und Überzeugungen

Individuelle Handlungsakte

Homo sociologicus Normative Ordnung Intersubjektive Handlungskoordination

Kulturtheorien Kollektive Wissensordnungen: kognitiv-symbolische Ordnung

repetitive Handlungsmuster

3 Vgl. Jetschke/Liese (1998) als Überblick.

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Literaturbericht

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den.4 Es ist somit etwas Behutsamkeit angebracht, überträgt man das ReckwitzscheVokabular in die IB.

Kehren wir zurück in die Welt der Idealtypen und betrachten den Kern eines pra-xistheoretischen Projekts. Praxistheorie ist zunächst Kulturtheorie. Die Identität derPraxistheorie lässt sich erfassen, indem man sie mit anderen kulturtheoretischenStrömungen kontrastiert, die unterschiedliche Auffassungen über den Ort von Wis-sensordnungen vertreten. Wo ist das Gravitationszentrum, in dem Sinn undBedeutung – das Soziale – entsteht, zu finden? Diese Frage wird von mentalisti-schen, textualistischen und praxistheoretischen Ansätzen je unterschiedlich beant-wortet.

2.2. Kulturtheorien: Ideen, Diskurse, Praktiken

Mentalistische Ansätze lokalisieren kollektive Wissensordnungen im menschlichenGeist und in kognitiven Ausprägungen. Kultur wird als geistiges, ideelles Phänomenverstanden. Ort der Kultur ist somit der menschliche Geist, die mentale Struktur.Folglich wird die kleinste Einheit des Sozialen in kognitiv-geistigen Schemata gese-hen und diese werden zum Kern der Analyse (Reckwitz 2003a: 288). KlassischeReferenzen des Mentalismus sind Max Webers »Weltbilder« oder auch die Phäno-menologie von Alfred Schütz und Edmund Husserl sowie der französische Struktu-ralismus.

In den IB lässt sich eine mentalistische Tradition deutlich ausmachen in der frü-hen kognitionspsychologischen Außenpolitikforschung sowie partiell in der jünge-ren konstruktivistischen Ideen-Forschung. Sind die vorgelegten Forschungsarbeitenzwar zumeist hybrid, da sie versuchen, positivistische Epistemologien zu Grunde zulegen – oder zumindest zu proklamieren – (Laffey/Weldes 1997), so folgen Arbei-ten, die beispielsweise Überzeugungssysteme, operational codes oder Ideen vonaußenpolitischen Eliten und Führungskräften als ausschlaggebend für die Gestal-tung von Weltpolitik untersuchen, einer mentalistischen Ausrichtung. Zum Schlüs-selproblem wird, dass Forscher letztendlich interpretieren müssen, was sich in denKöpfen der Akteure abspielt (Keohane/Goldstein 1993: 27).

Im Gegensatz zu mentalistischen Ansätzen verorten textualistische Ansätze Wis-sensordnungen nicht im Innern des menschlichen Geistes, sondern im »Außen«: inSymbolen, Diskursen, Kommunikation oder in Text. Geläufige Referenzen sind hierder Poststrukturalismus, die radikale Hermeneutik, oder die Semiotik, verbundenmit Autoren wie Clifford Geertz, Michel Foucault oder Jacques Derrida. Trotzerheblicher Differenzen vereint diese Ansätze ihre Konzentration auf extrasubjek-tive Bedeutungsstrukturen. Textualistische Forschung tendiert zur Diskursanalyse,zur Entschlüsselung kultureller Codes und Formationsregeln. Beispielhaft sind For-

4 Vgl. die Kritik von Guzzini (2000), Patrick Jackson (2008) und Kratochwil/Ruggie(1986).

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schungsarbeiten wie Foucaults (1990) »Archäologie des Wissens« oder der radikal-hermeneutische Ansatz von Geertz (1983), in dem »Kultur als Text« verstandenwird.

Textualistische Ansätze haben sich insbesondere in der europäischen IB-For-schung seit den 1990er Jahren etabliert. Zahlreiche Autoren haben unter Rückgriffauf obige Theoretiker Entwürfe vorgelegt, wie sich Phänomene internationaler Poli-tik als symbolische und diskursive Strukturen begreifen lassen. Gerade im Umfeldder Dritten oder Vierten Debatte, der Entstehung der New European Security Theoryund der Weiterentwicklung der theoretischen Europaforschung sind Werke entstan-den, die sich mit der Bedeutung von textuellen Strukturen für regionale Kooperationoder bei der Identifikation von Bedrohungen auseinandersetzen. Was diese Ansätzegemeinsam haben, ist ihr Verständnis von Diskursen, wonach kein analytischerRaum außerhalb der Sprache möglich ist, wie Lene Hansen (2006: 213) dies pro-grammatisch auf den Punkt bringt.5

Im Kontrast zu mentalistischen und textualistischen Kulturtheorien lokalisierenPraxistheorien Wissensordnungen weder allein im menschlichen Geist, noch aus-schließlich in extra-subjektiven Diskursen oder Symbolen, sondern in Praktiken.Damit liegt der Ort des Sozialen teilweise im menschlichen Geist, da IndividuenTräger von Praktiken sind, aber auch in den Strukturen, die sich aus Praktiken kon-stituieren. Praxistheoretische Ansätze sollten daher nicht als Gegensatz zu mentalis-tischen oder textualistischen Ansätzen gesehen werden, sondern als Versuch, beideStränge zu verbinden und sie um eine handlungsorientierte Komponente zu ergän-zen.

In einer ersten Annäherung können Praktiken als routinisierte Handlungsmustereines entsprechenden Kollektivs verstanden werden. Entscheidend sind damit weni-ger die kognitiven Schemata oder die kulturellen Codes innerhalb von Diskursen,sondern »ein praktisches Wissen, ein Können, ein Know How, ein Konglomerat vonAlltagstechniken, ein praktisches Verstehen im Sinne eines ›Sich auf etwas verste-hen‹« (Reckwitz 2003a: 289). Hintergrundwissen wird somit vorrangig als hand-lungsorientiertes, praktisches und alltägliches Wissen verstanden. Als Schlüsselbei-spiel dient in den IB die Diplomatie (Neumann 2002, 2005; Pouliot 2007, 2008).Unterstrichen wird, dass Diplomatie eine Tätigkeit ist, deren Regeln sich nicht durchdas Erlernen theoretischer Wissensbestände erfassen lassen, sondern nur in derenAusübung.

Praxistheoretiker kritisieren damit generell einen gewissen konzeptionellen»Über-Intellektualismus« in mentalistischen und textualistischen Ansätzen. In Folgeder Betonung von Diskursen oder kognitiven Mustern wird das soziale Leben »intel-lektualisiert« und entfernt sich von der Analyse alltäglichen Handelns und einempraktischen Verständnis, das weniger exakten Kalkulationen folgt, sondern alltägli-chen, praktischen, menschlichen Kompetenzen und Bewertungen. Kommen wir nunin den folgenden zwei Kapiteln zu den Feinheiten des praxistheoretischen Projekts.

5 Diese ausschließliche Textorientierung wird jedoch auch unter Diskurstheoretikernzunehmend flexibler gehandhabt. Vgl. dazu u. a. Liste (2008).

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3. Praxistheorie in den IB

Überlegungen, Alltagshandlungen und praktisches Wissen in die Theoriebildung derIB zu integrieren, sind nicht grundsätzlich neu. Dieser Grundgedanke findet sich bei-spielsweise in Karl Deutschs Konzept der Sicherheitsgemeinschaft (Deutsch et al.1957), in den Arbeiten der Englischen Schule6 oder Graham Allisons (1971) Modellder bureaucratic politics. In den jüngeren (konstruktivistischen) Theoriedebatten istder theoretisch reichhaltige Praktikenbegriff primär in der Akteur-Struktur-Debatteeingeführt worden – gerade durch den Bezug auf Anthony Giddens’ Strukturierungs-ansatz (z. B. Wendt 1999). Praktiken stehen hier als vermittelndes Element in derwechselseitigen Konstitution zwischen Akteur und Struktur. Wie Roxanne LynnDoty (1997: 376) jedoch deutlich gemacht hat, ist in diesen Debatten die Gelegen-heit, Praktiken einen größeren analytischen Stellenwert einzuräumen, weitgehendverpasst worden. Ist das praxistheoretische Potenzial von Giddens in den IB weitge-hend ungenutzt geblieben, so sind es andere sozialtheoretische Referenzen, die diePraxistheorie in den IB inspiriert haben. Betrachten wir nun drei unterschiedlichepraxistheoretische Herangehensweisen aus den IB, die als Schlüsselbeiträge die Ideeeiner praxistheoretischen Wende einflussreich eingebracht haben. Jedoch sei ange-merkt, dass das praxistheoretische Projekt in den IB damit kaum vollständig abgebil-det ist.

3.1. Bourdieus Einzug in die Theorie der internationalen Politik

Praxistheoretisches Gedankengut hat insbesondere durch die Beschäftigung mit demWerk Pierre Bourdieus Einzug in die IB gehalten. Bourdieus Arbeiten gelten zuRecht als Schlüsselwerke der Praxistheorie (insbes. Bourdieu 1976). Verwiesenbereits Autoren wie Ashley (1987) auf die potenzielle Bedeutung von BourdieusFeldtheorie, so wird das Bourdieusche Vokabular in den IB heute vermehrt genutzt,um transnationale Räume zu studieren. In der New European Security Theory habenBigo (2002), Jef Huysmans (2006) und Trine Villumsen (2008) den europäischenSicherheitsraum als Feld von Sicherheitsexperten konzeptionalisiert. Anna Leander(2005) und Michael Williams (2007) nutzen den Feldbegriff, um die Emergenz vonprivaten Militärorganisationen zu beschreiben. Nicolas Guilholt (2005) hat angeregt,die Ausbreitung von Demokratisierungspolitiken als Entstehung eines »transnationalfield of democracy promotion« zu verstehen. Vincent Pouliot (2008) regt vergleich-bar an, die transatlantische Sicherheitsgemeinschaft als ein Feld zu verstehen, dasdurch einen gemeinsamen Habitus der diplomatischen, friedlichen Konfliktbewälti-gung geprägt ist.

Diesen Arbeiten ist gemeinsam, dass sie untersuchen, wie das den jeweiligen Poli-tiken zugrunde liegende Wissen entsteht und welche gemeinsamen Annahmen dieuntersuchten Akteure teilen. Ein Feld wird als ein gemeinsamer Wissensraum ver-

6 Vgl. dazu Auth (2005) und Navari (2008).

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standen, in dem bestimmte Praktiken legitim oder illegitim sind und neue Akteuresozialisiert werden. Es ist ein »gemeinsamer Spielraum«, in dem gewisse Spielre-geln gelten und Akteure versuchen, sich zu positionieren und ihre sozialen Ressour-cen zu maximieren. Bourdieus Feldbegriff ist reizvoll, da er recht flexibel ist undsich Grenzziehungsprobleme (Mitgliedschaft) weniger stellen als beispielsweise inGemeinschaftskonzepten. Diese interpretative Funktion ist gerade für die Beschrei-bung von transnationalen Räumen hilfreich. Autoren wie Bigo (2002) oder PeterJackson (2008) sehen daher eine Kernanwendung in der Beschreibung der Verschie-bung von innen- und außenpolitischen Grenzen oder deren Auflösung. Da der Feld-begriff von Bourdieu nur unzureichend definiert wurde, stellt sich jedoch das Pro-blem, wann geteilte Praktiken ein Feld konstituieren, ob es eine Hierarchie vonFeldern gibt und wie sich diese überlappen (Jackson, Peter 2008).

Habitus, der zweite zentrale Begriff, wird von anderen Autoren in den Vorder-grund gerückt (Hopf 2002; Pouliot 2008; Schlichte 1998). Der Begriff des Habitusbeschreibt das in Individuen eingeschriebene praktische Wissen, welches ein Sys-tem beständiger Dispositionen formt. Für Bourdieu (1976: 169) integriert der Habi-tus alle vergangenen Erfahrungen und funktioniert wie »eine Handlungs-, Wahrneh-mungs- und Denkmatrix«, wobei durch die Übertragung von Schemata Problemegleicher Form gelöst, jedoch auch durch Korrekturen neue Aufgaben erfüllt werdenkönnen. Pouliot (2008: 273f) fasst die vier zentralen Eigenschaften des Habitus-Begriffs eloquent zusammen, wenn er argumentiert, Habitus sei, erstens, historischzu verstehen und durch individuelle und kollektive Erfahrungen geprägt; zweitens,die Einschreibung von praktischem Wissen, das durch Tätigkeit in unmittelbarerErfahrung in und mit der Welt erlernt wird; drittens, ein relationaler Begriff, da diekonstitutiven Dispositionen durch intersubjektive Erfahrungen erworben werden;und viertens, dispositional in dem Sinne, dass Habitus keine Handlungsweisenmechanistisch determiniert, sondern eher Akteure zu bestimmten Handlungen ver-anlasst. Im Gegensatz zum Feldbegriff, der versucht objektivierte Geschichte zugreifen, thematisiert der Habitusbegriff damit verkörperlichte Geschichte. Habitusist demnach die Konzeptionalisierung praktischen Sinns, eines Sinns, der jedochnicht außerhalb von Sozialität liegt. Folgt man Bourdieu, so lassen sich sowohlHabitus als auch Feld nur über das Studium von Praktiken identifizieren.

Wie sich in der Verwendung von Bourdieus Vokabular in den IB zeigt, sind dieBegriffe Feld und Habitus attraktiv, um einen relativ strukturalistischen Theorierah-men durch eine Akteursebene und ein intermediäres dynamisches Element (Habitus)zu ergänzen. Der Vorteil des Feldbegriffs liegt darin, dass Akteure nicht isoliertbetrachtet werden, sondern vielmehr die Beziehungen der Akteure zueinander imFokus stehen. Felder ermöglichen Akteuren einen bestimmten Handlungsspielraum.Diese Begriffsverwendung ist in den Beispielen Bourdieus (Kunst, Religion, Poli-tik) recht klar einzugrenzen, wenn er beispielsweise von der politischen Klasse inFrankreich spricht, jedoch bleibt theoretisch unscharf, welche Charakteristika einFeld ausmachen und inwiefern eine generelle Übertragung des Begriffs auf andereUntersuchungsgegenstände möglich ist. Zudem ist Bourdieus Ansatz häufig vorge-worfen worden zu deterministisch zu sein, da sozialer Wandel nur schwer erklärt

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werden könne (siehe Abschnitt 4.1). Zwar gibt es ungleiche Machtstrukturen undständig stattfindende Kämpfe in den Feldern sowie eine zugestandene Variations-breite im Habitus, jedoch scheinen sich sowohl der Habitus der Akteure als auch dieFelder stets zu reproduzieren und zu stabilisieren und wenig zu verändern (Joas/Knöbl 2004: 548f). Die Größe des Handlungsspielraums der Akteure innerhalb derdurch den Habitus gesetzten Grenzen bleibt als offene Frage bestehen (Joas/Knöbl2004: 544).

3.2. Neumanns Brückenschlag zwischen Diskursen und Praktiken

Neumann (2002) hat eine Variante der Praxistheorie vorgelegt, die die Funktion vonNarrativen als vermittelndes Element zwischen Diskursen und Praktiken in den Mit-telpunkt stellt. Neumann sieht sein zentrales Anliegen darin, poststrukturalistische,diskurstheoretische Arbeiten um eine praxistheoretische Komponente zu ergänzen.Für Neumann konzentrieren sich diese zu sehr auf Handlungsvoraussetzungen undverlieren soziale Handlungen an sich aus dem Blickfeld. Er stützt sich zunächst aufdie Definition der Relation von Diskurs und Praktiken von Theodore R. Schatzki(2002: 85). Danach sind Diskurse prekäre Beständigkeiten, die von Praktiken verur-sacht werden, von denen jedoch auch neue Praktiken ausgehen können. Praktikenund Diskurse stehen demnach in einem dynamischen Wechselverhältnis. Die Ganz-heit von Praktiken und Diskursen greift Neumann mit dem Begriff »Kultur«. Ausge-hend von diesem Modell des Wechselverhältnisses führt Neumann (2002) Narrativeoder »Stories« ein, dem praxistheoretischen Ansatz Michel de Certeaus (1984) fol-gend. Diese bilden ein moderierendes Element und lassen sich nach zwei Typenunterscheiden: Kreative, konzeptuelle Narrative, die neue Praktiken hervorbringen,und Narrative der »Gouvernementalität«, die einen bestehenden Diskurs befestigenund bestätigen. Auf der Grundlage dieser Begriffselemente gelangt Neumann zueinem Modell, das in seinen Augen kurzfristigen Wandel deutlich besser abbildenkann. Neumann nutzt dieses Modell, um die Kultur der Diplomatie zu analysieren.Er zeigt, wie sich in den 1980er und 1990er Jahren in der Region der Barentssee auf-grund veränderter Narrative und sich darauf entwickelnder Praktiken ein kleinerkonzeptueller Wandel vollzieht.

In weiteren Studien setzt Neumann (2005, 2007) seinen Ansatz in konkrete Feld-forschung um, indem er die Praktiken und Strategien von Diplomaten und Beschäf-tigten des norwegischen Außenministeriums als teilnehmender Beobachter unter-sucht. Er zeigt, wie Diplomaten auf unterschiedliche »Skripte« oder Narrativezurückgreifen müssen, um ihren Alltag zu bewältigen. Diese Skripte stehen durch-aus in Konflikt zueinander, weshalb Neumann (2005: 72) deutlich macht, dass derDiplomat wie ein Jongleur versuchen muss, diese in Zirkulation zu halten, beispiels-weise in seiner Rolle als Bürokrat »at home« und als weltläufiger Diplomat in Ver-handlungen »abroad«. Eine andere Anwendungsmöglichkeit des Modells demonst-rieren Neumann und Henrikka Heikka (2005). Da gerade Arbeiten zusicherheitspolitischen Strategien und strategischer Kultur (strategic culture) unter

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einem verarmten Kulturbegriff leiden, lässt sich das praxistheoretische Kulturmodellfruchtbar machen. Grand strategy verstehen sie als Diskurs und militärpolitischeAktivitäten wie Beschaffungspolitik, Doktrinentwicklung und zivil-militärische Be-ziehungen als relevante Praktiken. Damit wird die dynamische Wechselwirkungzwischen den größeren, langfristigen strategischen Diskurswelten und den eher all-täglichen praktischen Interaktionen deutlich. Mikkel Vedby Rasmussen (2003,2005) greift dieses Konzept auf und zeigt, dass auch Praktiken der Kriegsführungund deren Einfluss auf strategisches Denken mit diesem erfasst werden können.

Deutlich wird in diesen Anwendungen, dass Neumanns praxistheoretischesModell gerade durch seine simple Eleganz besticht, aber auch durch die Integrati-onsleistung zwischen bestehenden diskurstheoretischen Ergebnissen und eherpolitikorientierten Arbeiten attraktiv wird. Diese Eleganz beinhaltet jedoch auch dasRisiko der Verkürzung, etwa wenn, wie dies in den Arbeiten Rasmussens deutlichwird, das Handeln politischer Akteure auf diskursive Sprachspiele reduziert und dasHandeln militärischer Akteure allein als Praktik verstanden wird. Die von Neumannangeregte Zweiteilung birgt das Risiko, dass in der empirischen Anwendung dieGrenze zwischen Diskursen und Praktiken nicht als fließend, sondern als klar zubestimmend angesehen wird. Dennoch handelt es sich hier um einen besondersfruchtbaren Ansatz, da er sowohl die regulierende als auch die innovative, kreative,situationsbedingte Seite von Praktiken berücksichtigt (siehe Abschnitt 4.1).

3.3. Adlers Revision des Gemeinschaftsbegriffs der IB

Eine andere Variante der Praxistheorie hat Adler (2005) angeregt. Adler stützt sichauf den von Etienne Wenger (1998) entwickelten Begriff der Praxisgemeinschaft.Wengers Begriff der Praxisgemeinschaft ist als eine pragmatische Weiterentwick-lung des symbolisch-interaktionistischen Begriffs der »Sozialen Welt« zu verstehen.Kernannahme dieses Gemeinschaftsbegriffs ist, dass sich Gemeinschaften wenigerüber Organisationsstrukturen definieren als vielmehr über geteilte Handlungsfor-men.

Adler regt zunächst an, die in den IB identifizierten Gemeinschaften wie epistemiccommunities, security communities, interpretative communities oder transnationaladvocacy networks als Ausprägungen von Praxisgemeinschaften zu sehen. DenVorteil dieser Neuinterpretation sieht er im möglichen Dialog zwischen normativenund analytischen kommunitaristischen Ansätzen. Adler (2005: 14f) sieht im Kon-zept der Praxisgemeinschaft das Potenzial, einen kommunitaristischen Ansatz fürdie IB anzubieten, der sich nicht in einer soziologischen Kritik an Rational Choice-Ansätzen erschöpft. Vielmehr stehen Praxisgemeinschaften für ein dynamischesKonzept, das sowohl die Akteur- als auch die Strukturseite adäquat abbildet. Sointerpretiert Adler (2005: 16f) das Konzept der Sicherheitsgemeinschaft als Praxis-gemeinschaft: die Mitglieder einer Sicherheitsgemeinschaft erlernen und internali-sieren Frieden als Praktik, wodurch Gewaltanwendung sukzessive unvorstellbar undfriedlicher Wandel »praktiziert« wird. Lernen spielt im Konzept der Praxisgemein-

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schaft eine Schlüsselrolle und wird als praktisches Erlernen und als Sozialisation indie legitimen Handlungsformen einer Gemeinschaft verstanden. Jegliche Praxisge-meinschaften, ob konstituiert durch diplomatische Praktiken, Praktiken der Kriegs-führung, Praktiken globaler Finanzmärkte oder transnationale Menschenrechtsprak-tiken sind nicht vom Lernprozess zu trennen, der diese erst produziert. Adlerversteht Lernen nicht als individuelles Lernen von neuem Wissen, sondern als prak-tischen, kollektiven Lernprozess, der durch kognitive Evolution bestimmt ist. Pra-xisgemeinschaften helfen, Wissen zu entwickeln, zu selektieren und zu institutiona-lisieren.

Das praxistheoretische Konzept von Adler kann als progressive Fortführung sei-ner bisherigen konstruktivistischen Forschung gesehen werden. Das volle Potenzialdieses Ansatzes scheint damit jedoch noch nicht ausgeschöpft. Die Stärke eines Pra-xisgemeinschafts-Ansatzes liegt darin, dass dieser sich zwar auf praktisches Erler-nen konzentriert, Lernen aber in einer Dialektik des Lernens und Vergessens ver-steht. Praktiken und Gegenstände werden in Praxisgemeinschaften naturalisiert underscheinen selbstverständlich. Naturalisierung bedeutet, dass die Fremdartigkeit unddie Kontroversen, die mit der Einführung neuer Praktiken und Objekte verknüpftsind, von den Mitgliedern sukzessive vergessen oder verlernt werden. Das Studiumvon Praxisgemeinschaften, wie es u. a. Wenger anregt, ist daher zentral auch eineDekonstruktion des Vergessens.

Wengers Arbeiten betonen zudem den Sozialisierungsprozess in eine Gemein-schaft. Dieser wird als »legitimate peripheral participation« (Lave/Wenger 1991)verstanden, ein Terminus, der auf die progressive Beteiligung von Neuankömmlin-gen in Praktiken verweist, wodurch diese eine praktische Kompetenz gewinnen undMitglied der Gemeinschaft werden. Der Begriff betont, dass neue Mitglieder einebestimmte als legitim erachtete Route des Erlernens von Kompetenz zurücklegenmüssen, um Gemeinschaftsmitglieder zu werden. Damit interessiert sich Wenger füreinen Aspekt, der in den Anwendungen Bourdieus und in Neumanns Modell nur amRande diskutiert wird: die Integration von Individuen in Praxiskontexte. Im weltpo-litischen Kontext erscheint der Ansatz damit prädestiniert dafür, Erweiterungspro-zesse (wie die NATO- oder EU-Erweiterungen), aber auch die Verbreitung vonPraktiken wie demokratische Praktiken zu verstehen, wie Adler (2008) jüngst inempirischer Forschung demonstriert hat.

Eine weitere Stärke des Praxisgemeinschafts-Ansatzes liegt darin, dass er die Ver-bindungen unterschiedlicher Kollektive problematisiert. In den bisherigen IB-Arbei-ten sind Kooperation, Konflikte und Spannungen zwischen konkurrierendenGemeinschaften nur am Rande thematisiert worden, da meist nur einzelne Gemein-schaften im Vordergrund stehen. Wenger betont die besondere Funktion von Grenz-objekten, durch die unterschiedliche Gemeinschaften in Verbindung treten, einegemeinsame Arena schaffen und Kooperationsmöglichkeiten verhandeln (vgl.Büger 2008). Ein einschlägiges Beispiel von Wenger (1998: 107) ist der Wald, derals ein Grenzobjekt Gemeinschaften wie Freizeitsportler, Umweltschützer, Landei-gentümer und Forstwirte in Interaktion treten lässt. Ein Vorteil des von Adler einge-führten Konzeptes ist die unmittelbare Anschlussfähigkeit an bestehende konstrukti-

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vistische IB-Konzepte. Hierin liegt jedoch auch die unmittelbare Gefahr, dass derKern der praxistheoretischen Idee, dass sich Kollektive über geteilte Praktiken for-men und eben nicht über geteilte Ideen (beliefs), verloren geht.

Diese drei unterschiedlichen Ansätze machen zunächst das Potenzial der Berück-sichtigung von Praktiken deutlich, jedoch keineswegs, indem sie IB-Konstruktivis-men neu erfinden, sondern umdeuten oder ergänzen. All dies sind Versuche, Struk-tur und Handlung über den Begriff der Praktiken neu auszubalancieren. Dies kannals integrative Erweiterung des konstruktivistischen Programms um die Dimensionder Praktiken verstanden werden und zielt auf vier zentrale Kategorien ab: einedynamische bzw. prozessuale Ontologie, eine Rückbesinnung auf agency jenseitsindividualistischer Handlungstheorien, die Rückbesinnung auf den praktischen Sinneines Know-how sowie die Materialität und Körperlichkeit menschlichen Handelnsin Praktiken.

4. Divergenzen und Herausforderungen eines praxistheoretischen Konstruktivismus

Wie gestaltet eine praxistheoretische Orientierung das konstruktivistische Programmum und welchen Herausforderungen stellen sich dem praxistheoretischen Forscher?Auf diese Fragen wollen wir nun näher eingehen. Vier »kritische Punkte« im praxis-theoretischen Projekt lassen sich identifizieren. Dies ist erstens die Möglichkeit, glo-bale, transnationale und internationale Strukturen neu zu konzeptualisieren. Praxis-theorien bieten neue Strukturmetaphern an wie Text, Feld, Akteur-Netzwerk oderAssemblage, die versuchen, Kontingenz und Wandel abzubilden. Jedoch liegt unterPraxistheorien eine hohe Divergenz vor, inwieweit Praktiken hohe Stabilität undRoutinecharakter haben oder durchweg kontingent sind und stetigem Wandel unter-liegen. Zweitens bietet das praxistheoretische Projekt die Möglichkeit, eine Brückezwischen idealistischen und materialistischen Annahmen zu schlagen. Die Einsicht,dass eine zu starke Ausrichtung auf entweder materielle oder ideelle Faktoren unzu-reichend für das Verständnis internationaler Politik ist, setzt sich zunehmend in denIB durch. Praxistheorien versuchen, beide Dimensionen zu betonen: Praktiken sindkörperlich und beinhalten ein Engagement mit Dingen, materiellen Technologienund Artefakten. Wie weit man jedoch gehen möchte, Dingen auch Akteursqualitätenzuzuschreiben oder ihnen eine Stabilisierungsfunktion zu unterstellen, bleibt umstrit-ten. Sind diese ersten zwei Punkte politisch-ontologischer Natur, so betreffen diezwei weiteren Punkte philosophisch-ontologische Fragen (Jackson, Patrick 2008).Praxistheorien regen Revisionen des Wissenschaftsverständnisses an. Die Stärkeeines praxistheoretischen Projekts liegt zunächst darin, dass sie die Annahmen, diefür Forschungsobjekte unterstellt werden, auch auf die wissenschaftliche Wissens-produktion zurückspiegeln und somit eine Symmetrie zwischen Forschenden undBeforschten erreicht wird. Damit stellen sich andere Fragen für den Wissen-schaftsalltag als die Wahl der Mittel für Wahrheitsfindung. Der dritte »kritischePunkt« betrifft daher den Umgang mit der Interaktion zwischen Forscherin undBeforschten/m und der performativen Wirkung von wissenschaftlichen Aussagen.

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Als vierter Punkt stellt sich die Frage, über welche Forschungsstrategien und Metho-den Praktiken erforscht werden können.

Mit der Diskussion dieser »kritischen Punkte« wollen wir verdeutlichen, dass Pra-xistheorien innovative Antworten auf klassische Probleme der IB anbieten können.Diese Antworten sind jedoch keineswegs als Lösungen zu verstehen, da auch unterPraxistheoretikern einige Uneinigkeit besteht. Unsere Diskussion zeigt daher, dasssich in einem praxistheoretischen Projekt neue Herausforderungen für die gegen-wärtige Theoriediskussion ergeben.

4.1. Struktur, Reproduktion und Wandel

Praxistheorien unterstreichen die Notwendigkeit, statische, a priori gegebene Entitä-ten zu hinterfragen. Praxistheoretisches Denken ist somit prozessorientiertes Den-ken. Wie Xavier Guillaume (2007: 742) unterstreicht, liegt der Kern prozessorien-tierter Ansätze in »the prioritisation of process over substance, relation overseparateness, and activity over passivity.« Prozessorientiertes Denken stellt sichgegen die disziplinäre Tendenz, Analysekategorien zu isolieren und zu kontrollieren– quasi in Zement zu gießen. Dies trifft auf klassische (realistische) Kategorien wieden westfälischen Territorialstaat (Kratochwil 1986; Jackson/Nexon 1999) ebensozu wie auf jüngere konstruktivistische Kategorien, wie Identität (Guillaume 2007),oder Normen (Sandholtz 2008). Wie Doty (1997) und Villumsen (2008) deutlichgemacht haben, ist auch die klassische, unproblematisierte Verwendung des Prakti-kenbegriffs zu statisch. So hebt Doty (1997: 376) hervor, dass der Praktikenbegriff,wie er in der Akteur-Struktur-Debatte, insbesondere im Beitrag von Wendt (1987),verwendet wurde, problematisch ist, da versucht wird, Praktiken statisch und essen-tialistisch zu erfassen. Wie Praxistheoretiker ausführen, sind Praktiken jedoch alsdynamisch und prozessual zu verstehen.

Betont man Prozessualität, Dynamik und Wandel, wirft dies die Frage auf, wiedas Soziale dennoch in eine sinnhafte, stabilisierte Ordnung eingebettet ist. Diesstellt Praxistheoretiker vor ein grundsätzliches Problem: Wie können einerseitsPraktiken stets kontingent sein und anderseits Struktureffekte haben und Stabilitäterlangen? Diese Frage wird zunächst mit dem Reproduktionscharakter von Prakti-ken beantwortet. Praktiken werden zu Routinen und werden in Routinen reprodu-ziert. Praktiken werden somit zu einer »Infrastruktur sich wiederholender Interakti-onsmuster« (Swidler 2001: 85). Besteht zunächst Einigkeit darüber, dass Ordnungder Effekt von routinisierten Praktiken ist, so ist die Frage nach der Signifikanz vonRoutine eine Quelle des Dissens (Reckwitz 2002a: 255f). Stellt eine Fraktion Rou-tine in den Vordergrund und betont deren Transzendentalität, so betont die andereFraktion radikale Kontingenz und die Gebundenheit von Praktiken in Zeit undRaum. Erstere Positionen lassen sich primär mit praxistheoretisch orientierten Post-strukturalismen und den kritischen Soziologien von Bourdieu oder Foucault assozi-ieren. Diese sehen Wandel und Umbrüche als Ausnahmefälle und assoziieren siemit Großereignissen. Letztere Positionen finden sich in erster Linie in Abwandlun-

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gen des amerikanischen Pragmatismus und den pragmatischen Soziologien vonCharles Taylor oder Bruno Latour. Diese sehen Wandel als konstitutiv für Prakti-ken, da keine Situation dieselbe ist und somit jede Praktik eine Interpretations- undAnpassungsleistung erfordert.

Am besten veranschaulichen lassen sich diese Differenzen in den konkurrierendenOrdnungsmetaphern, die diese propagieren. Neben dem allumfassenden Kulturbe-griff sind dies Verständnisse wie Ordnung als Text oder Diskurs, als Feld und Habi-tus, als (Akteur-)Netzwerk oder als Assemblage. Gemeinsam ist diesen praxistheo-retischen Begrifflichkeiten, dass sie versuchen, eine Vorstellung von sozialemRaum, konstituiert durch Grenzen, zu überwinden und stattdessen die Gemeinsam-keiten und Differenzen über Praktiken in den Vordergrund stellen. In den IB sinddiese Ordnungsmetaphern als Alternative zum westfälischen Denken zu verstehenund nützlich zum Studium transnationaler oder globaler Phänomene. Wenngleichsich eine gewisse Ambivalenz in der Verwendung dieser Begrifflichkeiten abzeich-net, so priorisieren diese doch unterschiedlich Stabilität oder Kontingenz von Ord-nung (dem Reproduktionscharakter von Praktiken).

Der Text- oder Diskursbegriff stellt linguistische Praktiken in den Vordergrundund tendiert zur Betonung von Struktur. Autoren wie Doty (1997), Ole Wæver(1995) oder Karin Fierke (2000), die von einem reinen textualistischen Verständnisder Kulturtheorie Abstand nehmen, argumentieren, dass Praktiken Texte wandelnund zur Restrukturierung von Texten beitragen. Der Wandel von Strukturen wirdjedoch im Rahmen dieser Arbeiten eher als Ausnahmefall gewertet und zumeist mitexternen Großereignissen assoziiert. Damit ist der Textbegriff strukturalistisch ori-entiert.

Die Bourdieuschen Termini Feld und Habitus heben ebenso wie der Textbegriffden Routinecharakter von Praktiken hervor. Der Begriff des Habitus unterstreicht,dass Subjekte die (weitestgehend objektiv gegebenen) Strukturen der externen Weltinternalisieren. Das Wissen des Habitus ist »tief« internalisiert und weitgehendunbewusst. Bourdieu ist damit zu Recht ein »schwerer struktureller Determinismus«(Ortner 2006: 109) unterstellt worden. Ähnliches gilt für den Feldbegriff. Ein Feld –der soziale Raum, in dem Akteure spielen – wird weniger als sich wandelnder,emergenter Raum beschrieben denn als objektiv gegebener Raum mit vorgegebenenSpielregeln und legitimen Praktiken. Deutlich wird diese Statik dann auch in denIB-Anwendungen des Bourdieuschen Vokabulars (siehe Abschnitt 3.1). In diesenwird historische Kontinuität betont, beispielsweise wenn Klaus Schlichte (1998) diedauerhafte Bindung Frankreichs an die ehemaligen Kolonialstaaten in Afrika trotzhoher politischer und ökonomischer Kosten und vergleichsweise geringem Ertragmit dem postkolonialen Habitus der französischen Klasse erklärt.

Diese Arbeiten lassen sich programmatisch denjenigen gegenüberstellen, die mitBegriffen wie Situation, Aktivitätssystem, Akteur-Netzwerk oder Assemblagearbeiten. Diesen Ordnungsvorstellungen ist gemein, dass sie sich mehr für die hand-lungsermöglichende als für die handlungsbeschränkende Seite von Ordnung interes-sieren. Im Mittelpunkt stehen damit Akteure und deren Handlungsvermögen(agency). Betont wird, dass Akteur und Ordnung eine Ganzheit bilden, innerhalb

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derer die Möglichkeit zum Handeln erst entsteht. Die kontinuierliche Kontingenzvon Praktiken wird betont, da diese in Zeit und Raum eingebettet sind. Ordnungs-metaphern wie Assemblage oder Akteur-Netzwerk gehen hinsichtlich unterstellterKontingenz sicherlich am weitesten. So betonen George Marcus und Erkan Saka(2006: 102) die Flexibilität und Stärke des Assemblagebegriffs:

»[It] seems structural, an object with the materiality and stability of the classic metaphorsof structure, but the intent in its aesthetic uses is precisely to undermine such ideas ofstructure. It generates enduring puzzles about ›process‹ and ›relationship‹ […] Whoeveremploys it does so with a certain tension, balancing, and tentativeness where the contra-dictions between the ephemeral and the structural, and between the structural and theunstably heterogeneous create almost a nervous condition for analytic reason.«

Wie Saskia Sassen (2006), die den Begriff eher pragmatisch verwendet, verdeutlichthat, liegt eine Stärke der Assemblagemetapher darin, dass sie nicht notwendiger-weise transnationalen oder globalen Aspekten den Vorzug gibt. Eher betont dieserBegriff die Gleichzeitigkeit von internationalen, transnationalen und globalen Pro-zessen. Der Assemblagebegriff ist somit einerseits der umfassendste und anderer-seits auch der kontingenteste.

Praxistheorien lassen sich damit entlang einer Achse sortieren, auf der sie entwe-der Reproduktion und Stabilität betonen oder Kontingenz und Wandel. Die Fragenach dem Routine- und Reproduktionscharakter von Praktiken bleibt sicherlichlangfristig ein zentraler Streitpunkt im praxistheoretischen Konstruktivismus. Wich-tig scheint zunächst, dass Ansätze, die zum Strukturalismus tendieren, nicht verges-sen, historischen Wandel (auch kurzfristigen) in Augenschein zu nehmen, und nichtin einen kruden, ahistorischen Strukturalismus zurückfallen – ein Risiko, das imRahmen des Bourdieuschen Vokabulars besteht – und damit eine der zentralen pra-xistheoretischen Stärken verlieren. Insgesamt lässt sich die Reproduktions-Fragejedoch kaum abstrakt-theoretisch beantworten und gewinnt eher Bedeutung in derAuseinandersetzung mit konkreten Forschungsgegenständen.

Die Stärke der kontingenteren, aktivitätsbezogenen Ordnungsmetaphern liegt inerster Linie darin, dass diese in der Lage sind, Phänomene zu erfassen, die sichbesonders hartnäckig den gängigen (westfälischen) Kategoriensystemen der IB ver-sperren. Ein Beispiel ist der (transnationale) Terrorismus, der lange Zeit einen blin-den Fleck der IB-Forschung darstellte (Risse 2004: 115f). Wie z. B. Gilles Kepel(2006: 13f) feststellt, liegt eine Ursache für diese disziplinäre Blindheit im Problem,Entitäten wie Al-Qaida ontologisch zu fassen. So ist es unklar, ob es sich hier umeine »Organisation« handelt. Kepel macht deutlich, dass aufgrund dieser Unsicher-heit einerseits kosmische Metaphern bemüht werden, beispielsweise »terroristischerNebel«. Andererseits wird auch der Weg der Vereinfachung gewählt, indem Al-Qaida westliche Strategien, Rationalitäten und Organisationsform unterstellt wer-den, um so der Unfähigkeit zu entgehen, ein nicht identifizierbares Objekt zu fassen.Karin Knorr Cetina (2005) argumentiert, dass globaler Terrorismus in der Gestaltvon Al-Qaida ein paradigmatischer Fall für neuartige globale Strukturen nebenanderen ist. Vergleichbar zur Organisationsform des Terrorismus ist für sie insbe-sondere der dynamische, unorganisierte Charakter von globalen Finanzmärkten.Beide charakterisiert Knorr Cetina (2005: 214) als »komplexe globale Mikrostruktu-

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ren«, die durch Formen der Verbindung und Koordination ausgezeichnet sind unddie globale Reichweite mit Mikromechanismen wie selbstorganisierenden Prinzi-pien und Verhaltensmustern auf lokaler bzw. internationaler Ebene verknüpfen. Derüberraschende und dauerhafte Erfolg von Al-Qaida gründet sich für Knorr Cetina(2005: 215) primär darauf, dass durch die globale mikrostrukturelle Konfigurationeine komplexe institutionelle Struktur explizit vermieden wird. Der Schlüssel liegtin der Vielfalt der asymmetrischen, unvorhersehbaren und dynamischen Praktiken,die diese globale Mikrostruktur verbindet. Knorr Cetina zeigt damit den explizitenNutzen, den die IB aus den kontingenteren praxistheoretischen Ordnungsmetaphernwie Akteur-Netzwerk oder Assemblage gewinnen kann.

4.2. Jenseits von Materialismus und Idealismus

Praxistheoretiker betonen die Bedeutung von materiellen Aspekten. Materialitätbedeutet einerseits, dass Praktiken Körperlichkeit voraussetzen (auch ein Sprechaktsetzt Materialität wie Hören und Sprechen voraus). Andererseits sind die meistenPraktiken eingebettet in einen materiellen Kontext und setzen einen Bezug zu Din-gen voraus. Eine Praktik wie »Kochen« setzt beispielsweise die Beschäftigung mitKochtöpfen, Tellern, Heizgeräten oder Rezeptbüchern voraus und die Handhabungdieser Dinge trägt wesentlich zum Gelingen der Praktik bei. Ist der Herd defekt undhält die Temperatur nicht ein oder weiß der Koch nicht um die Handhabung seinerGeräte, so wird die Praktik des Kochens scheitern oder nur geringen Erfolg aufwei-sen. Damit lässt sich die Praktik des Kochens nicht ohne eine Berücksichtigung derbenutzten Gegenstände verstehen.

Praxistheoretiker verweisen auf eine grundsätzliche »Hybridität« des Sozialen.Die Praktik Kochen ist materiell und ideell, sie bedarf des Koches, eines gastroso-phischen und praktischen Hintergrundwissens als auch Technologien wie etwaKochgeräten. Handlungen (auch Sprechhandlungen) sind stets körperlich und damitzugleich ideell und materiell. Unser Koch kann sein Gericht nicht allein erdenken.Zudem ist Kultur in der Spätmoderne durchwandert von Technologien und Artefak-ten, die Bedeutung tragen und Handlungsspielräume verändern. Ohne die Erfindungdes Mixers wird unser Koch langwierig den Teig kneten müssen, jedoch bedarf ereines Wissens um die Handhabung des Mixers. Artefakte und Technologien sindsomit nicht rein materiell, sondern bedeutungsgeladen und haben Effekte für Hand-lungen. Hybridität stellt demnach die Vorstellung, eine Erklärung des Sozialenkönnte sich entweder auf symbolisch-ideelle Faktoren oder auf materielle Faktorenkonzentrieren, in Frage.

Praxistheorie bietet einerseits eine Alternative zu den materialistisch orientiertenSträngen der IB, die Handlungsspektren als materialistisch determiniert interpretie-ren (Marxismus und Realismus), und andererseits zu idealistisch orientierten Ansät-zen, die Handlungen allein durch ideelle Konstrukte (Normen, Regeln, Fakten, Wis-sen) eingeschränkt oder ermöglicht sehen. Zu Recht ist in den vergangenen Jahrenangemerkt worden, dass die Theorie der IB Raum für ideelle und materielle Fakto-

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ren bereithalten sollte (z. B. Sørensen 2008). Wie Praxistheoretiker hervorheben, isteine solche Debatte unzureichend, wenn sie materielle und ideelle Aspekte vonHandlungen gegeneinander stellt, als Opposition betrachtet und Hybridität negiert.

Die Welten, die Praxistheoretiker beschreiben, sind daher von allerlei Dingenbevölkert. In der Beschreibung diplomatischer und bürokratischer Praktiken sinddies beispielsweise Dokumente, Formulare, Telefone und Computer (Neumann2002, 2005; Walters 2002) oder im Falle sicherheitspolitischer und militärischerPraktiken Waffensysteme (Rasmussen 2003, 2005), aber auch Überwachungs- oderstatistische Technologien (Huysmans 2006).

Anschaulich hat William Walters (2002) für den Fall der europäischen Politikgezeigt, wie Europa durch den alltäglichen Umgang mit Dingen konstruiert wird.Dinge des Regierungsalltags sind beispielsweise bürokratische Artefakte wie For-mulare und Pässe, Technologien wie Faxmaschinen und Datenbanken oder architek-tonische Gegebenheiten. Diese »Dinge« haben keineswegs nur symbolischen Cha-rakter, sondern formen als »eingeschriebenes«, verfestigtes, praktisches WissenHandeln durch den täglichen und unhinterfragten, naturalisierten Gebrauch. Damitverschiebt sich im Laufe des Gebrauchs deren Stellenwert, da Individuen von diesenObjekten selbst im Denken und Handeln geformt werden. Objekte sind damit nichtnur passives, lebloses Material, das je nach Bedarf genutzt werden kann. Stattdessenbesitzen sie das Potenzial, Effekte auf das tägliche Handeln auszulösen.

Dies bedeutet nicht zwangsläufig, dass »Dingen« kausale Wirkung unterstelltwird. Jedoch sind diese zentraler Bestandteil in der Anwendung praktischen Wis-sens. Wenn Individuen handeln, sind sie eingebettet in materielle Situationen, diesie zum Bestandteil ihrer Handlungen machen müssen, indem sie sich dem Kontextanpassen und die jeweiligen Objekte qua ihrer Verwendungsform nutzen. Objekteschreiben bestimmte Verwendungsformen vor. Können diese zwar verfremdet wer-den (beispielsweise ein Telefon als Waffe eingesetzt werden), so ist für eine sinn-hafte Praktik jedoch eine bestimmte Nutzungsform Voraussetzung. IndividuelleHandlungen verbinden sich demnach mit materiellen Objekten und werden damit zueiner körperlichen, routinisierten Praktik. Diese Analyseperspektive, die auf MartinHeidegger zurückgeführt werden kann, unterstellt, dass im Studium von Praktikeneine Unterscheidung von handelndem Subjekt und passivem, genutztem Objektnicht sinnhaft oder zumindest nicht notwendig ist.

Sieht man von den Arbeiten von Walters und Huysmans ab, so haben praxistheo-retische Arbeiten in den IB die Bedeutung von Dingen, von materiellen Objektenund wie sie die Welt der internationalen Politik bevölkern allenfalls angedeutet.Dies mag zunächst daran liegen, dass in den IB in erster Linie diejenigen Arbeitenrezipiert wurden, für die materielle Aspekte nicht allzu zentral sind, wie die Arbei-ten Bourdieus und Giddens’. Materialität ist daher ein klarer Ansatzpunkt für dieWeiterentwicklung praxistheoretischer Arbeiten in den IB, der einen eindeutigenMehrwert verdeutlicht, denn Technologien, wie nukleare, chemische oder Präzisi-ons-Waffensysteme oder Telekommunikationssysteme haben ohne Zweifel interna-tionale Politik nachhaltig verändert, lassen internationale Akteure anders handelnund verändern ihre Akteursqualität. So hat die Entwicklung der Nuklearwaffe bei-

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spielsweise den Umgang von Staaten nachhaltig verändert und neue Praktiken, wiedas nukleare Tabu, etabliert. Eine Projektion jedoch, die sich allein auf materielleHandlungseinschränkungen konzentriert (marxistische und realistische Perspekti-ven) oder allein den symbolischen, diskursiven Aspekt erfasst, greift zu kurz.

Ist die Welt der meisten Praxistheorien von Objekten bevölkert, so ist der radi-kalste Entwurf, den Status von Objekten zu überdenken, sicherlich von Vertreternder »Soziologie der Übersetzung« oder Akteur-Netzwerk Theorie (u. a. Callon1986; Latour 1996, 2002) vorgelegt worden. Diese Arbeiten, die in ihrer provokati-ven Art die Debatte über Materialität zunächst in der Wissenschaftsforschung unddarauf in der weiteren Sozialtheorie entfacht haben, können auch für die IB einenEintrittspunkt bilden.

Hier wird Menschen und Nicht-Menschen gleichwertige Akteursqualität (agency)verliehen. Menschliche und nicht-menschliche Entitäten formen zusammen einhandlungsermöglichendes Netzwerk – daher der Begriff Akteur-Netzwerk –, durchdas kollektive Identitäten geformt werden und Praktiken bedeutsam oder gar erstermöglicht werden. Bei diesem Ansatz handelt es sich erstens um den Versuch, einsymmetrisches, ontologisches Vokabular zu erstellen, das menschliche und nicht-menschliche Entitäten gleichwertig (symmetrisch) behandelt. Diese Symmetrievor-stellung speist sich aus den Ergebnissen des Studiums von Laborpraktiken, in denensich einerseits die Bedeutung von Einschreibe-Technologien (wie Mikroskopen),aber auch von Partikeln oder Bakterien für die Produktion von Faktizität erwies(Latour/Woolgar 1979; Knorr-Cetina 1995). Andererseits wurde aber auch deutlich,dass viele der gemeinhin als nicht-menschlich angesehenen Entitäten de facto Hyb-ride sind. Zweitens verweist Latour (2007) darauf, dass menschliche Interaktion inihrer Reichweite beschränkt ist und damit kaum die Reproduktion und Stabilität desSozialen allein bewerkstelligen kann. Damit Menschen an unterschiedlichen Ortenund in Räumen gleichartig routinisiert handeln, bedarf es der Vermittlung. Prakti-ken, Handlungsweisen und das zugrunde liegende Wissen müssen von einem Raumzum anderen getragen werden. Diese Funktion schreibt Latour nun nicht-menschli-chen Entitäten wie Dingen, Gegenständen und Artefakten zu. Ordnung ist damitabhängig vom »Einverständnis« der nicht-menschlichen Entitäten. Sperrt sich dieEntität, in einem anderen Raum gleichwertig zu funktionieren, lässt sich die Praktiknicht reproduzieren.

Will man nicht so weit gehen wie Latour und Nicht-Menschlichem Akteursquali-tät verleihen – eine Annahme, die in empirischer Forschung kaum umzusetzen ist(Barnes 2001) –, kann zumindest anerkannt werden, dass eine Vielzahl von Objek-ten nicht eindeutig als sozial oder materiell zu definieren ist.7 Praxistheoretiker wieLatour treffen einen wunden Punkt. Dinge, Objekte, Artefakte haben Einfluss dar-

7 Andrew Pickering (2007: 26) sieht als Angelpunkt des Akteur-Netzwerk-Ansatzes dieFrage des Unterschieds zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Handlungsträ-gern. Entscheidender Unterschied ist für ihn die Intentionalität. Menschen unterscheidensich von nicht-menschlichen Entitäten dadurch, dass hinter den Handlungen Absichtenstehen, während dies bei den Performanzen von Quarks, Mikroben oder Maschinen nichtder Fall ist.

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auf, wie wir handeln, und können nicht als gegeben oder passiv hingenommen wer-den. Der Raum, den wir internationale Beziehungen nennen, verändert sich dadurch.Demnach kann der Fokus weder allein auf Text und Interpretation noch auf materi-ellen Ressourcen liegen, sondern richtet sich auf die hybriden Grauzonen dazwi-schen.

4.3. Der Forschungsprozess als Praxis und die Verantwortung des Forschers

Praxistheoretiker verweisen auf ein Wissenschaftsverständnis, das die Bedeutungpraxistheoretischer Grundannahmen auch für den Wissenschaftsalltag betont. DieVorstellung, Wissenschaft als soziale Praxis bzw. als eine wissensgenerierende kul-turelle Formation neben anderen zu verstehen, birgt dabei wissenschaftspolitischenSprengstoff: Ein solches Wissenschaftsverständnis stellt die epistemologische Über-legenheit von Wissenschaft in Frage. Wenn Wissenschaft keine Aussagen mehr dar-über treffen kann, ob eine Repräsentation wahr oder falsch ist, leidet zwangsläufigihr Universalitätsanspruch, der den Forschenden ein beträchtliches Maß an Legitimi-tät verlieh. Im Gegensatz zu den wissenschaftspolitischen Kontroversen, wie sie inden IB in der dritten (oder vierten) Debatte und im Rahmen der US-amerikanischenPerestroika-Bewegung (vgl. Renwick Monroe 2005) geführt wurden, engagierensich Praxistheoretiker aber weniger in Wissenschaftskriegen. Viel eher werben siefür moderate, reflexive Positionen, die auf die soziale Relevanz von Wissenschaftdurch deren Praxisorientierung – nicht deren Wahrheitsanspruch – verweisen. DiesePositionen speisen sich zum einen aus einer pragmatistischen Epistemologie undzum anderen aus der Erforschung der Wissenschaft und ihrer sozialen Effekte.

Wissenschaftsforscher argumentieren, dass es, statt ein Wahrheitsfindungsidealvorauszusetzen, spannender ist, die kreativen Leistungen und die tatsächliche Kom-plexität des Wissenschaftsbetriebs in ihrer Ganzheit zu erforschen (Büger/Gadinger2007a, b). Ziel ist es herauszuarbeiten, durch welche Praktiken Wissenschaftlerneue Erkenntnisse erzielen, dabei Fehlstellungen zu identifizieren und zu beheben,die sich aufgrund von Routinen und Machtkonstellationen im Wissenschaftsbetriebergeben. Anstatt Fragen nach guter Forschung philosophisch zu lösen, geht man hierden Weg des empirischen sozialwissenschaftlichen Studiums. Wissenschaftsfor-schung ist damit kein Selbstzweck. Praxistheoretiker wie Bourdieu (2004) gehendabei so weit zu argumentieren, dass sich über kontinuierliche Wissenschaftsfor-schung wissenschaftliche Objektivität nahezu herstellen lässt. Diese Position bleibtaber umstritten und die Mehrheit der Praxistheoretiker argumentiert moderater undsieht den Nutzen der Wissenschaftsforschung neben Selbstaufklärung in Fragen dersozialen Konsequenzen von wissenschaftlichen Praktiken (Law 2004; Rouse 1996).

Praxistheoretiker argumentieren, dass klare Trennungen zwischen wissendemSubjekt (dem Forscher) und studiertem Objekt (dem Forschungsgegenstand) nichtgezogen werden können – wie Giddens (1987) es in der Formulierung der »doppel-ten Hermeneutik« verdeutlicht. Der Forschungsgegenstand ist kein passives, son-dern ein hermeneutisches Objekt, das sich bereits selbst interpretiert und damit

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einen aktiven, »lebendigen« Teil der Forschungspraxis darstellt. WissenschaftlichePraxis hat dadurch unweigerlich eine performative Funktion: Sie ist niemals wert-neutral oder abgekoppelt, sondern Teil eines Feldes von Praktiken und damit immerteilnehmende Beobachtung (Büger/Gadinger 2007b). An diesem Punkt treffen sichPraxistheoretiker mit Kritischen Theoretikern der IB, die auf die Rolle der IB alsTeil von Machtbeziehungen verweisen. Steve Smith (2004) hat diese Argumentati-onslinie wohl am radikalsten vertreten: Ihm zufolge führte die Dominanz von Voka-bularen und Kategorisierungen, die primär die Probleme einer kleinen, weißen,westlichen Elite bearbeiten, aber die Probleme eines Großteils der Weltpopulationignoriert, zu eben jener weltpolitischen Konstellation, die die Ereignisse des11. September motiviert hat. In der New European Security Theory sind Problemeder Wirkung von Forschung besonders deutlich herausgearbeitet worden. So zeigtHuysmans (2002), dass akademische Praktiken zu Prozessen der Versicherheitli-chung beitragen, Sicherheitsforscher sich diesem Problem nicht entziehen könnenund Entsicherheitlichungsstrategien durchaus gegenläufige Tendenzen entwickeln.Ein prägnantes Beispiel für die Wirkung, die IB-Forschung entfalten kann, ist dieForschung zum Demokratischen Frieden und die Nutzung des Theorems in derLegitimation von Militäreinsätzen. Prozesse der Interaktion zwischen Forschungund Politik lassen sich aus einer praxistheoretischen Perspektive deutlich besserbeschreiben (Büger/Villumsen 2007). Statt den Wirkungen wissenschaftlicher Pra-xis quasi hilflos gegenüber zu stehen, wie sich dies aus Huysmans’ Analyse ergibt,lassen sich so Strategien des Umgangs mit diesen entwickeln.

Praxistheoretiker wie John Law (2004: Kap. 3) charakterisieren die politisch-praktischen Effekte wissenschaftlicher Arbeit nicht als Problem, sondern machendeutlich, dass Forscher vor Fragen »ontologischer Politik« stehen. Dieser Begriffverweist darauf, dass die Forscherin vor einem normativen Problem steht: Wennihre Interpretation auch niemals die Fakten in einem empiristischen Verständnisrepräsentiert, bringt sie doch Welten hervor und muss sich der normativen Fragestellen, welche Welten sie hervorbringen möchte (Law 2004: 39).

Der Wissenschaftler befindet sich damit nicht in einem epistemologischen, son-dern einem normativen Nexus (Reckwitz 2003b: 97). Er ist daher gefordert, seineInterpretationsarbeit einer Selbstkontrolle zu unterziehen und die normative Verant-wortung seiner Definitionsmacht anzuerkennen, da die kulturwissenschaftlicheInterpretation die gesellschaftliche Fremd- und Selbstdeutung der fraglichenLebensformen entscheidend tangieren kann. Diese sensibilisierte Selbstprüfung derInterpretation sollte auch die möglichen Effekte für die »Beforschten« antizipieren,um den »fröhlichen Positivismus« nicht kurzerhand durch einen »fröhlichen Kon-struktivismus« zu ersetzen (Reckwitz 2003b: 97).

Vor diesem Hintergrund bildet die Wiederbelebung des Pragmatismus (Hellmann2002; Kratochwil 2007; Owen 2002) eine veränderte epistemologische Grundlage.Hier wird das positivistische Ideal der Wahrheitsfindung durch das Leitbild derBewältigung praktisch-politischer Probleme ersetzt. Für Kratochwil (2007) verur-sacht das Scheitern des »epistemologischen Projekts« in den IB zwar immer nocheine hypertrophische Besorgnis, jedoch muss die Abwesenheit universell und trans-

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historisch gültiger Erkenntniskategorien keineswegs zwangsläufig zu Nihilismusund Scharlatanerie führen. Vielmehr ist eine pragmatische Neujustierung imUmgang mit dem Wissensbegriff angebracht, für die der Pragmatismus eine guteAusgangslage liefere. Einen zentralen Vorteil sieht Kratochwil (2007: 11) darin,dass der Pragmatismus nicht mit »Dingen« oder »Begründungen« beginnt, sondernmit »acting«. Dadurch verändert sich unweigerlich die Bedeutung des Wissensbe-griffs, da nicht mehr universell gültiges Wissen, sondern »praktisches Wissen« imVordergrund steht. Praxistheorien sind daher als ein Versuch zu werten, einen verei-nigten Ansatz für Wissen und Handeln zu entwickeln. Wissen, dessen Anwendungund Generierung lassen sich nicht von Handeln trennen.

Wie sich aus einer pragmatistischen Tradition ein verändertes Leitbild entwickelnlässt, zeigt Reckwitz (2003b: 98f): Der von Richard Rorty (1992) entwickelten Ideeder »liberalen Ironikerin« folgend, identifiziert Reckwitz (2003b: 98) das »reflexiveKontingenzbewusstsein« als Charaktereigenschaft der Sozialwissenschaftlerin, diesich zwar der Kontingenz der eigenen Interpretation bewusst ist, jedoch gerade des-halb auch als Expertin für Vokabulare und argumentative Spielzüge in gesellschaft-lichen Diskursen interveniert und dort auf Kontingenzen aufmerksam macht. Diesist jedoch für Reckwitz (2003b: 98) nur mit einem gewissen Trick möglich, in demsich die Sozialwissenschaften »auf das Spiel der ›realistischen‹ Beschreibungen ein-lassen und ihre chronisch fragilen, perspektivischen Interpretationen strategisch als›realistisch‹ präsentieren.«

4.4. Forschungsstrategie und Methodik

Während Fragen der Reflexivität wissenschaftlicher Praxis letztendlich auf eine nor-mative Dimension hinauslaufen, steht die praxistheoretische Forschung vor einerweiteren Herausforderung: Wie lassen sich Praktiken studieren? Steht das Studiumund die Produktion von praktischem Wissen im Vordergrund, wirft dies die Frageauf, wie sich dieses rekonstruieren bzw. produzieren lässt. Praxistheoretiker habendazu unterschiedliche Vorschläge ausgearbeitet.

Forschungsstrategisch gibt es wiederum erhebliche Unterschiede zwischen struk-turalistisch und pragmatistisch orientierten Praxistheoretikern. So konzentrieren sichan Bourdieu angelehnte Arbeiten auf die Kartographie einzelner Felder, indem bei-spielsweise versucht wird, Vollerhebungen mit Interviews durchzuführen. Für prag-matistisch orientierte Arbeiten steht die Analyse einzelner Situationen und Hand-lungskontexte im Vordergrund. Als produktiv hat sich das Studium vonKrisensituationen und Kontroversen erwiesen. In Krisensituationen werden gängigeHandlungsroutinen aufgebrochen, da handelnde Subjekte mit einer Form von Unsi-cherheit konfrontiert sind, die nicht mit einem rationalen Entscheidungskalkül lös-bar wäre. Zwar dienen bewährte Handlungsroutinen (Praktiken) als Erfahrungs-schatz, dennoch handelt das Individuum in solchen Situationen relativ autonombzw. kreativ. Sobald sich spontane Problemlösungen als pragmatisch bewährthaben, werden diese wiederum Teil etablierter Handlungsroutinen, womit sich der

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Christian Büger/Frank Gadinger: Praktisch gedacht!

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Kreis im Wandel von Praktiken schließt (Herborth 2004: 79f; Hellmann 2002).Kontroversen können ebenfalls als Krisenmomente gewertet werden, in denen sichdie Bedeutung und Bewertung der Situation als strittig erweist und unter den Akteu-ren neu verhandelt werden muss (Boltanski/Thévenot 2007). Welches Hintergrund-wissen wie in Anschlag gebracht wird und welches neue Wissen entsteht, wird folg-lich zum Fokus der Analyse.

Drei methodische Überlegungen sind zentral für praxistheoretische Arbeiten. Diesist erstens das Primat der Sparsamkeit, indem versucht wird, mit möglichst wenigenVorannahmen über den Untersuchungsgegenstand auszukommen. Zweitens sinddies die Ablehnung eines methodischen Königswegs und die Entscheidung für einensituationsangemessenen Methodenmix. Drittens ist der Versuch zu nennen, expliziteNähe zum Forschungsgegenstand zu suchen und die Konsequenzen kleinteiligerMikrophänomene zu studieren.

Das Primat der Sparsamkeit speist sich aus Vorgehensweisen, wie sie im Rahmender Grounded Theory und der Akteur-Netzwerk-Theorie entwickelt wurden (Law2004; Latour 2007). Latour (2007), bekannt für das Leitprinzip follow the actorsthemselves, unterstreicht die Bedeutung mit so wenig Vorannahmen und Kategorienwie möglich auszukommen, um offen dafür zu sein, wie Akteure in Kontroversen»wilde Innovationen« hervorbringen und damit soziale Verbindungen mühsam bil-den. Er rechtfertigt diese »Drosselung der Geschwindigkeit« (Latour 2007: 43f)beim Setzen von Vorannahmen damit, dass viele gängige Begriffe wie Gesellschaft,sozialer Faktor, soziale Erklärung, Macht oder Struktur in einer Gewohnheit ver-wendet werden, ohne die gewaltigen Kräfte zu berücksichtigen, die diese hervor-bringen. Die Aufgabe, soziale Ordnung zu definieren, sollte deshalb den Akteurenselbst überlassen bleiben und nicht vom Analytiker vorweggenommen werden.Latour (2007: 45) sieht die beste Lösung darin, »Verbindungen zwischen den Kon-troversen zu ziehen, anstatt zu versuchen zu entscheiden, wie eine bestehende Kon-troverse zu klären wäre. Die Suche nach Ordnung, Strenge und Struktur wird damitkeineswegs aufgegeben. Sie wird nur einen Schritt weiter in die Abstraktion verla-gert, sodass den Akteuren gestattet wird, ihren eigenen differenten Kosmos zu ent-falten, ganz gleich wie kontraintuitiv sie erscheinen mögen.« Latours (2007: 54)Vorschlag, anstatt bereits vorgefertigter Kategorien nicht mehr als eine Infrasprachezu verwenden, die sich strikt dem Forschungsprozess unterordnet, hat deutliche Par-allelen zur Methodik der Grounded Theory, die auch für die IB-Forschung vorge-schlagen wurde (Müller 2004; Friedrichs/Kratochwil 2007). Während sich die klas-sische Akteur-Netzwerk Theorie mit der Kritik auseinandersetzen muss, welchenAkteuren sie methodisch folgen will und unklar bleibt, bis zu welchem Grad esmöglich ist, Vorannahmen zu vermeiden, bietet der pragmatistische Ansatzpunkt(Kontroversen, Krisensituationen) einen ansprechenden Eintrittspunkt in die Unter-suchung.

Einig sind sich Praxistheoretiker darin, dass die Wahl der Methoden vom konkre-ten Forschungskontext abhängig ist. Dies kann eine Kombination aus ethnographi-schen mit statistischen Methoden sein (Boltanski/Thévenot 2007) oder eine Diskur-sanalyse gepaart mit teilnehmender Beobachtung, die Methodenwahl ist kreativ und

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nicht dogmatisch und ergibt sich aus der Forschungsfrage und praktischen Erwägun-gen. Zentral ist aber eine Öffnung zu ethnographischen Methoden, da diese erlau-ben, näher an die Untersuchungsobjekte heranzurücken. Grundlage vieler praxisthe-oretischer Arbeiten ist es, mit den untersuchten Akteuren Alltagskontextemitzuerleben, beispielsweise wenn Neumann seine Zeit als Berater im Außenminis-terium nutzt, um die Kultur der Diplomatie zu studieren.

Ein herausragendes Beispiel für eine kreative praxistheoretische Methodenwahl,die zeigt, dass sich auch Untersuchungsobjekte studieren lassen, welche sichzunächst der Ethnographie zu verweigern scheinen, sind die Arbeiten von ThomasHauschild (2003, 2005, 2008). Während er zunächst in langjähriger Feldforschungdie religiösen Praktiken in der süditalienischen Provinz studiert hat (Hauschild2003), wendet er seine Mikroanalyse lokaler ritueller Praktiken nun auch auf die»Kultur« von Al-Qaida oder die sizilianische Mafia an (Hauschild 2008). Hau-schilds (2005) »Ethnographie des Terrors« beispielsweise zeigt anschaulich, dasseine alleinige Offenlegung von Kommandostrukturen und Finanzströmen wenignützt, um das Handeln von Terroristen zu verstehen. Der Ansatzpunkt liegt für Hau-schild (2005: 50) dort, »wo auch der Ansatzpunkt der ethnographischen Forschungliegt, bei den beteiligten Menschen.« Er wertet deshalb Videos, Interviews, Kom-muniques und intime Texte der Terroristen, wie die »Geistliche Anleitung derAttentäter des 11. September« (Kippenberg/Seidensticker 2004), aus, aber auchQuellen zur Geschichte von Selbstmordattentätern sowie philosophische Texte, undversucht sich somit an einer sozialen Mikroskopie von Al-Qaida, um das Innenlebendieser Bewegung zu ergründen. Dies beinhaltet die Analyse von Gesprächen ausöffentlich gewordenen Videos oder Videobotschaften, um daraus folgend hybrideFiguren der Rhetorik und interne Kommunikationsstrukturen zu verstehen. In der»geistlichen Anleitung«, die als arabischer handschriftlicher Text von mehrerenAttentätern des 11. September hinterlassen worden ist, wird nach Hauschild (2005:44) deutlich, dass Textpassagen wie »Reinige dein Herz und säubere es von Makelnund vergiss oder ignoriere etwas, dessen Name Welt ist« (Kippenberg/Seidensticker2004: 18) nicht als grobe »als ob«-Kategorien zu deuten sind, sondern nur in ihremKontext verstehbar werden, in dem »jede ideelle Äußerung einen weitergehendenpraktischen Bezug hat.« Praktische Handlungen werden religiös aufgeladen und ver-binden sich dann in dem als Ritual vorgezeichneten Attentat. Jeder Handlungsschrittder Attentäter – von der Wohnungstür zum Taxi, zum Flughafengebäude, ins Flug-zeug, zum Cockpit bis zum mörderischen Nahkampf – wird durch Gebetsrezitatio-nen, spirituelle Techniken und vorgegebene Handlungen strukturiert und ergebennur in ihrer Kombination als körperliche Praktik für den Attentäter Sinn. Es machtdeshalb für Hauschild (2005: 49) »keinen Sinn, die islamischen Terroristen heutetextfixiert als Ergebnis wahabitisch und salafistisch inspirierter Lehren allein zubegreifen«, vielmehr müssen wir auch auf die »Taten im Kleinen sehen, die Techni-ken, die Praktiken, auf elementare Handlungen und daran geknüpfte anthropologi-sche Diskurse der Sinnsuche junger Menschen.«

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Christian Büger/Frank Gadinger: Praktisch gedacht!

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5. Fazit

In diesem Beitrag haben wir die Bedeutung von Praxistheorien für IB-Konstruktivis-men herausgearbeitet. Zunächst haben wir die programmatischen Gemeinsamkeitender durchaus heterogenen praxistheoretischen Argumente in den IB aufgezeigt. Pra-xistheoretisches Denken grenzt sich erstens deutlich von individualistischen, akteur-sorientierten Modellen eines homo oeconomicus oder homo sociologicus ab. Zwei-tens folgen praxistheoretische Argumente zwar den Kernannahmen des linguisticturn, indem sie die konstituierende Kraft von Sprache und Diskursen beachten, stre-ben diese jedoch eine Rehabilitierung des ontologischen Status von »Handlungen«an und kritisieren oder ergänzen somit poststrukturalistisch orientierte Analyserah-men. Drittens ist für praxistheoretische Arbeiten praktisches Wissen, verstanden alsimplizites, alltägliches Gebrauchswissen, mit dem Akteure ihren Alltag meistern,das zentrale Untersuchungsobjekt. Wissen wird verstanden als eingebettet in Hand-lungen und als sozial organisiert. In der Diskussion dreier IB-Herangehensweisenwurde deutlich, dass Praxistheorie durchaus unterschiedliche Wege geht und diesemit Stärken und Schwächen leben müssen. Die diskutierten vier kritischen Punktebzw. Herausforderungen unterstrichen einerseits den disziplinären Mehrwert derPraxistheorie, jedoch auch die Divergenzen unterschiedlicher Perspektiven.

Gibt es zwar einen Grundkonsens unter Praxistheoretikern, dass soziale Ordnungder Effekt der Regelmäßigkeit von Praktiken ist, so herrscht Dissens über die Frageder Kontinuität von Praktiken. Praxistheorie lässt sich damit in strukturalistischeund kontingenzorientierte Ansätze sortieren. Eine ähnliche ontologische Auseinan-dersetzung wird um den Stellenwert materieller Objekte, Artefakte und Körperlich-keit geführt. Strittig bleibt, welche Konsequenzen aus der Annerkennung der sozia-len Bedeutung von Dingen und Körpern zu ziehen sind. Aus epistemologischerPerspektive beinhaltet Praxistheorie zunächst einen stärker soziologisch ausgerich-teten Blick auf Forschungspraxis und vermeidet somit den Narzissmus, der wissen-schaftsphilosophischen Argumenten oft unterstellt wird. Forschungspraxis ist somitzunächst eine soziale Praxis. Herausforderungen ergeben sich aus den Fragen, wel-ches Verhältnis die Forscherin zu ihrem Forschungsgegenstand aufbauen sollte undwie sich Praktiken studieren lassen.

Trotz dieser Divergenzen und Herausforderungen, die deutlich machen, dass Pra-xistheorien sicherlich nicht alle offenen Probleme der IB lösen, dürfte erkennbarsein, dass ein praxistheoretischer Konstruktivismus Fragen innovativ bearbeitet unddie bereits vorliegenden Forschungsergebnisse einen relevanten Mehrwert für dieTheorie der internationalen Politik belegen. Unstrittig ist damit zunächst, dass pra-xistheoretische Arbeiten das Spektrum der IB bereichern und ergänzen. Praxistheo-rien stellen den IB demnach einen neuen Forschungsweg zur Seite, der praxeologi-sche Leerstellen auffüllt. Wie sich in unserer Diskussion der Herausforderungeneines praxistheoretischen Projektes zeigt, kann Praxistheorie aber auch den Raum zumehr interdisziplinärem Austausch öffnen und damit helfen, auch Vorschläge inBetracht zu ziehen, die eine radikalere Umgestaltung des sozialwissenschaftlichenProjekts des Studiums inter-, transnationaler als auch globaler Phänomene anregen.

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Mögen einige der hier diskutierten theoretischen Wege zwar jenseits dessen liegen,was deutsche IB-Theoretiker als »angemessene« disziplinäre Forschung der IBbetrachten, so sollten diese zumindest als Provokation oder als Inspiration nicht aus-geschlossen werden. Zu denken ist hier an die Neuausrichtung des IB-Projekts alsein anthropologisches, ethnomethodologisches und pragmatisches Projekt, das sichallein für praktische, Zeit und Raum gebundene Probleme interessiert. Aber auch dieprovokativen Umdeutungen des Akteursbegriffs, wie er von Vertretern der Akteur-Netzwerk Theorie angeregt worden ist, verdient in weiteren theoretischen Diskussi-onen Beachtung.

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Don’t Mention the War or the World CupA Report on a British-German IR Conference

1. British, German or American IR?1

In the past, German IR has been compared to a Mercedes: »The technical standard ishigh, the results are solid, its arguments are smooth, and what would be loud hysteri-cal debates in other parts of the world are reduced to softly growling grumbles«(Goetze 2005: 4f). And, members of that community are content Mercedes driverswho speed along the autobahn without taking notice of what is going on aroundthem. Although some of that criticism does have a point, the car metaphor holdsbadly if we apply it to the British IR community. British IR would then have to becompared to a Rover, one of the last British car manufacturers and one that has areputation for producing fairly average cars and which in fact went bankrupt in 2005.Maybe sport provides a better metaphor for the state of the individual disciplines.From a British perspective German IR is a bit like German football: it used to berather dull and uninspiring, then it started to innovate and to perform in a moreappealing way. There is now more cutting-edge theory behind it, but one cannotescape the feeling that the theory is in danger of restricting and compromising theattractiveness of the game. From a German perspective British IR would have to becricket, as nobody other than those involved actually knows what is going on andwhat the rules are.

On a more serious note, when we compare different IR communities around theworld we tend to always draw a comparison to the United States and one is left withthe question of whether there are distinctive national perspectives on InternationalRelations or whether IR is (still) an American social science? A number of authorshave discussed these questions, most famously Stanley Hoffmann (1977) whoargues that International Relations was born and raised in the United States. In 1986Kalevi Holsti supported some of Hoffmann’s assumptions by demonstrating thedominance of American scholarship in the discipline. While some reject the idea ofnational perspectives on IR (Porter 2001), others such as Ole Weaver (1998) con-clude that the American discipline is simultaneously national and global. As ChrisBrown, one of the organisers of the conference, has pointed out:

»IR is an American discipline in the sense in which Coca-Cola is an American drink andMcDonald’s hamburgers are American beef patties; although lots of people in the rest of

1 We would like to thank Mathias Albert and Chris Brown for organising the conference aswell as the participants of the event for giving us a copy of the presented papers for thisreport. We also thank Columba Peoples for proof-reading our manuscript and for hiscomments and suggestions.

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the world ›do‹ IR, it is American IR that, for the most part, they are doing, just as McDo-nald’s are American burgers, even when ingredients, cooks, and consumers are all drawnfrom another continent. As with McDonald’s franchise, the relevant standards are set inthe United States in accordance with prevailing American notions of what constitutesscholarly work in the field. Put more precisely, the field itself is largely delimited by theAmerican understanding of IR« (Brown 2001: 203).2

Without doubt the American understanding of what social science in general and IRin particular is has great influence on the discipline as a whole (Krippendorf 1987). Itis generally accepted that IR constitutes »a North Atlantic, disproportionatelyAnglo-American, preoccupation« (Crawford 2001a: 1). While not rejecting thenotion of US domination, a number of scholars have pointed out that there are a vari-ety of different national perspectives on International Relations different to main-stream American IR (Gareau 1981; Zürn 1994; Jørgensen 2000; Wolf/Hellmann2003; Friedrichs 2004).

In the case of Germany, members of that IR community in the mid to late eightiesargued that the subject was in a poor state and that it was dominated by and depen-dent on other countries, and especially the US IR community, for its innovation(Czempiel 1986; Albrecht 1987; Rittberger/Hummel 1990). While some at the timeaccepted this plight and argued for almost a total submission to the American way ofdoing IR (Hellmann 1994), others have been more sceptical of idealising the Ameri-can approach and have called for a more independent German style of IR scholar-ship which adapts the strengths without emulating the weaknesses of mainstream IRin the United States (Zürn 1994). And, in fact, since the mid 1990s IR in Germanyhas started to evolve (Weaver 1998) and represents something which could be con-sidered a distinctly German kind of IR (Wolf/Hellmann 2003). In the case of Britain,and going by practical British foreign policy, many outside of the discipline of IRwould probably assume that British IR generally follows the lead of the UnitedStates, and without doubt there are similarities, for example the use of the same (orat least similar) language (Lyons 1986). However, »British IR is not simply ›littleAmerica‹« (Jørgensen/Knudsen 2006: 149) and according to some there are vastdifferences between British and American International Relations (Smith 2000;Crawford 2001b).

It is these national perspectives on IR that the first »British-German InternationalRelations Conference« wanted to probe into.3 However, this was to be achieved notby making this theme the central reference point of each paper, but by drawing outsimilarities and differences in the panel discussions and in the informal individualdiscussions and chats during lunch or over a beer at the end of the day. Above all,the conference sought to strengthen the communication between the IR communities

2 However, we are unsure whether »food« is really the best metaphor for the discipline ofIR especially considering the stereotypical understanding of British food in Germany toconsist predominantly of fish and chips, mint sauce and the occasional deep-fried MarsBar. We hasten to add that German IR would fare little better on this score: the stereotypeof German food in Britain and elsewhere would certainly include such Bavarian delica-tessen as sausage, sauerkraut and cold beer in enormous quantities.

3 The conference was held on the 16-18 of May 2008 at the Evangelische AkademieArnoldshain.

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in Great Britain and Germany and give an insight into what is going on on the otherside of the foggy channel.

So, as there was no substantive overarching theme to the conference other thanresearch being conducted in Germany and Britain, it is hard to come up with athread to follow in the conference report. We therefore will focus on some of thesimilarities and differences between IR in the UK and Germany which struck us asnoteworthy. As there is not enough space to adequately discuss all or even most ofthe roughly forty different papers of the conference we have decided to pick outexamples which highlight certain aspects of what we take to be representative ofBritish or German IR.4 The first part of the report will examine some of the differenttheoretical and epistemological assumptions which dominate the IR landscape inboth countries, while the second will briefly sketch a »typical« German and »typi-cal« British explanation/interpretation of why there are such differences between thetwo IR communities

2. Theory and Epistemology in British and German IR

A recurrent theme of the conference which was set by Nicholas Rengger’s plenarylecture dealt with the approaches of British and German IR to international relationstheory and to related issues of epistemology. Put pointedly, that theme revolvedaround why it is that German IR never yielded a distinct »German school« compa-rable to the »English school« of International Relations. Whereas the latter is a well-established brand name in current IR which is nourished in numerous conferencepanels and edited volumes, the German IR community has not engaged in similarefforts at developing a unique theoretical profile of its own. Characteristically, theone tradition of German IR which would have offered itself as a vantage point forsuch an endeavour, i. e. the classic realist works of German-language scholars likeHans Morgenthau, John Herz or Reinhold Niebuhr, is widely discredited or ignoredin the German debate (Hellmann 1994: 76-81).

These different trajectories of British and German IR reflect different strategies ofself-assertion at the academic »(semi-)peripheries« (Friedrichs 2004: 7) of an Ame-rican-dominated discipline. Whereas the British approach to international relationstheory is marked by its dissociation from the American mainstream, the Germanapproach is more attuned to tying in with American scholarship.

The sense in which British IR theory promotes itself as an alternative to AmericanIR theory is first and foremost epistemological. British IR has never subscribed to anexclusively positivist or strictly »scientific« model of theorising international rela-tions (Crawford 2001b: 224-226). It has not followed the turn of American positivistIR to rational choice theory but has in response moved in the opposite directiontowards post- or anti-positivist theorising. Thus, British IR scholars have largely dis-

4 This does not mean that we consider the papers which do not get an explicit mention inany way inferior to those included.

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pensed with explanatory theory and have instead focused their efforts at developinginterpretative IR theory (Brown 2001: 215-218). With regards to methodology, itfollows that British IR has little room for rigorous hypothesis testing and quantita-tive methods but places an emphasis on historical understanding and contextualisa-tion. Leading post-positivist IR journals based in Britain like the Review of Interna-tional Studies or Millennium both reflect and reinforce these predispositions ofBritish theorising on international relations.

Corresponding to its epistemological orientation, British IR theory has beenhighly receptive to poststructuralist thinking. As Gerard Holden points out in hiscontribution to the conference, it is largely for this reason, for example, that the aes-thetic turn in IR has resonated strongly among British scholars but hardly at all inthe German IR community. Along these lines, Columba Peoples’ paper on the con-nection between Critical Security Studies and the Critical Theory of the »Frankfurtschool« also speaks to the epistemological leaning of British IR towards post-positi-vist theories. What is more, the paper points to one of the rare cases in which origi-nally German-based theorising has been taken up by scholarship in Britain.

A second and related sense in which the profile of British IR theory is distinctfrom American IR is its proclivity to straddle disciplinary boundaries. British IRscholarship tends to discount the notion of IR theory as an academic field that isautonomous from neighbouring disciplines. It is one of the hallmarks of the »Eng-lish school«, after all, that it takes on board insights of political philosophy, diplo-matic history and international law (Friedrichs 2004: 89-104). The interdisciplina-rity of British theorising on international relations has its equivalent in the efforts ofGerman IR scholars at introducing the works of German sociologists like JürgenHabermas’ theory of communicative action (see Risse 2000; Deitelhoff/Müller2005) or Niklas Luhmann’s systems theory (see Albert 1999) to IR theory.

It is probably no exaggeration to say that the emphasis of British IR on its distinc-tively post-positivist and interdisciplinary approach to theory has succeeded in car-ving out a niche in global IR for British scholarship as a prominent and well-reputedcentre of interpretative theory (Brown 2006: 685). Given the status of English as thelingua franca of worldwide IR as well as the far bigger size of the British IR com-munity compared to the »small world« (Holden 2004: 452) that is German IR,however, the strategy of deliberate dissociation from the American mainstreamwould have been far less promising in the German than in the British case.

Rather than following the British example, German scholars with some successsought to make their voices heard in global IR by linking up to the leading segmentsof American scholarship. They took up and advanced research programs that weresalient in American IR and took care to ensure the compatibility of their work withthe American discourse (Rosenau/Czempiel 1992; Hasenclever et al. 1997; Haften-dorn et al. 1999). As a matter of course, these efforts had to be conducted in Englishif they were to stand a chance of being recognised in the global IR community andthus did nothing to raise the international profile of German-language scholarship(Albert 2004: 283). With respect to both theory and epistemology, in turn, the majo-rity of high-profile German IR displays a strong tendency of staying clear of the

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extremes of spectrum and holding the middle ground. It is the building of bridgesbetween different theoretical and epistemological perspectives for which German IRis best known (Risse 2004: 290).

The predominant theoretical orientation of German IR scholarship can bedescribed as broadly neo-institutionalist, with a shade of moderate social construc-tionism. To name but two, the conference papers of Frank Schimmelfennig on thenormative dynamics behind the democratisation of the EU and of Matthias Hoffer-berth on the influence of norms on multinational corporations make for excellentexamples for innovative research that should broadly fit this general categorisation.Epistemologically, the theoretical orientation of German IR generally goes with anundogmatic and soft positivist outlook that avoids both the unbridled positivism insome quarters of American IR and the stark anti-positivism of poststructuralist andpost-modern scholarship (Zürn 2003: 24f). Quite in contrast to British IR, this ratherpragmatic approach to epistemology, however, appears indicative above all of thelack of interest among German scholars in debating the epistemological foundationsof their work (Mayer 2003: 89f).

As with all generalisations, this sketch of the dominant patterns in German IR the-ory cannot do justice to the entire breadth of German scholarship but is rather meantto highlight some notable differences between the approaches to theorising inter-national relations favoured in Germany and Britain. The poststructuralist paper ofDirk Nabers on European identity, for example, is but one reminder of the existenceof German scholarship beyond the neo-institutionalist and softly positivist middleground. What is more, the conference program is also evidence for the fuzziness ofthe dividing line between German and British IR in a second sense: a substantialnumber of German-language contributors to the conference are actually based inBritain, and the research presented by them tended to be at least as representative ofthe British as of the German approach to IR theory. Among the prime examples inthis regard are Beate Jahn’s construction of a Lockean ideal type of liberal inter-nationalism and Holger Stritzel’s interdisciplinary and post-positivist take on inter-national threat dynamics.

Beyond the idiosyncrasies of British and German approaches to IR theory, theconference debates have confirmed a trend of convergence between the two IR com-munities with respect to the overall status of theory and theoretically guidedresearch. Both for British and German IR that trend is towards a higher standingof theorising international relations within the discipline. Whereas the rise oftheory and theorists has been diagnosed as a long-term development which can betraced over the last 30 years in the case of British IR (Brown 2006: 677f), Germanscholarship has only rather recently caught up on this score. While inventories of thestate-of-the-art in German IR regularly deplored the lack of the field’s theoreticalfoundations until the mid-1990s, it is today praised as one of the most theoreticallyinformed disciplines of political science in Germany (Zürn 1994, 2003). Theory-guided research has certainly become the largely undisputed norm for leading IRGerman scholarship (for a critique though see Hacke 2003). One might even arguethat its focus on »applied theory« has become the most important aspect in current

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German IR as it has so far generally avoided the detachment of highly specialisedtheorists from the rest of the discipline for which British IR has been criticised(Brown 2006). Be that as it may, the shared interest of German and British scholarsin theoretical issues as well as their rather different perspectives on theory should beseen as a promising opportunity for debates and cross-fertilisations between the twoIR communities. The British-German IR conference in Arnoldshain was one of therare venues for such exchanges.

3. Why is there an English but no German School of IR?

So here we are left with one of what the German IR community likes to refer to as»puzzles« and what the British would probably simply call an »interesting ques-tion«: Why is there an English – but no German School of IR? Or more generally,why are there such theoretical differences between German and British IR? This wasalso the central theme of the conference round table with Christopher Daase,Mathias Albert, Chris Brown, Alexej Behnisch, Colin Wight and Antje Wiener.Reflecting on this debate, we want to briefly sketch how the theoretical understan-dings prevalent in the German and the British IR communities could influence theway in which such a »puzzle-question« is explained or interpreted (Brown 2006).5

A typical German institutionalist »explanation« (Zürn 2003: 24) of the state ofGerman and British IR would likely focus on the structure and organisation of thetwo communities. Here one could begin with noting the different institutional size ofthese communities (Rittberger/Hummel 1990: 38). Size clearly does matter and hasan influence on the range of theoretical perspectives which can flourish in a commu-nity of scholars. Since British IR is much larger than German IR, it can be expectedto be more diverse and to accommodate a greater variety of approaches to theorisinginternational relations (Jørgensen/Knudsen 2006: 149). Also, an institutionalistaccount could point to the way IR departments and ultimately universities as awhole are run in Germany and Britain. It has been suggested that the hierarchicalstructure of the German university system in which a small number of mainly home-grown professors set the agenda and decide about who gets the small number offixed term positions has an influence on the way IR is conducted. The argumentbeing that a lack of alternative permanent vacancies in academia other than profes-sorships limits the field of research and restricts diversity (Goetze 2005). Britishacademia, in contrast, offers its scholars a far greater number of career opportunitiesbeyond professorships including a variety of lecturer and research posts.

Another closely linked institutional »variable« which could be partly heldresponsible for the differences between German and British IR is their relationshipto political science as a whole. While most universities in Germany only offerdegrees in Political Science, it is possible in Britain to only study International Rela-

5 We are aware that the following account is strictly illustrative and rather speculative.Others have dealt in far greater detail with the question of if, how and why there arenational perspectives on International Relations (c.f. Weaver 1998; Holden 2001, 2002).

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tions. Whereas one does not come across IR departments in Germany, they are acommon feature of university life in the UK. Connected to this, one also has to con-sider the institutional setup of the respective professional associations (Weaver1998; Smith 2000). While the British International Studies Association (BISA) isfairly independent of the Political Studies Association (PSA) and holds large annualconferences, the IR association in Germany is »only« a section of the general politi-cal science association DVPW albeit the largest and most active. German IR in con-trast to British IR thus displays close institutional links to Political Science and is inmany ways subsidiary to the latter.

Finally, an institutional account of the current state of affairs in German IR couldexplore the role of the Zeitschrift für Internationale Beziehungen (ZIB), still theonly theory-oriented IR journal in Germany. On the one hand, the ZIB has contri-buted to a more professional approach to IR in Germany, above all by introducingthe practice of double blind peer reviews (Zürn 2003). It has established a »cultureof international standards« (Albert 2004) and has thereby made Germany IR scho-lars more competitive on the world stage (Risse 2004). Importantly, it has givenGerman IR a kind of profile and »Corporate Identity« (Müller/Hellmann 2004: 280).Compared to the vast number of IR journals in the UK, on the other hand, it couldalso be argued that the quasi-monopoly of the ZIB in Germany has narrowed downthe diversity of German scholarship. The ZIB managed to create a German IR iden-tity but had to sacrifice plurality in pursuit of it. While it clearly has socialised Ger-man IR, it is unclear whether it has also disciplined it (Müller/Hellmann 2004: 280).In any case, the fact that intra-community communication among German scholarsis for the most part restricted to one major journal without doubt has an importantimpact on the way of doing IR in Germany.

From a British perspective an »interpretation« of the different trajectories of Ger-man and British IR would probably examine the historical context in which the twocommunities have evolved and in which they exist today. Although we have beenwarned in Fawlty Towers not to do so, we cannot avoid mentioning the War.6 Surelythe historical experiences of Nazism and defeat in the Second World War had andstill have an effect on the discipline of IR in Germany. The loss of influence of Ger-many in world politics after the War and the thoroughly discredited notion of anactive role for German foreign policy may have led to a certain disregard for IR the-ory as a means of explaining and predicting international politics in German acade-mia. Certainly, the policy relevance of German IR scholarship for German foreignpolicy was something not worth worrying about at the time. In this regard, however,the fall of the Berlin Wall in 1989 can be said to have re-enhanced the self-esteemboth of German IR and of German foreign policy. The confident optimism in Ger-man IR and its increasing sense of policy relevance reflects and is to a certain extentconstituted by the more pro-active and assertive stance of the new »Berlin Repub-lic« on the international stage (Wolf/Hellmann 2003: 578). Most obviously, thereappears to be some link between the multilateral style of German foreign policy,

6 Fawlty Towers, Series 1, Episode 6, »The Germans», 1975.

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which excels at exerting its influence by working within and through internationalorganisations, and the dominance of institutional theory in German IR.

Along these lines, a historical contextualisation of the state of British IR couldpoint to the loss of the British Empire and Britain’s declining role in world politics.As Chris Brown has pointed out it seems

»very plausible that the decline in status of Britain as a world power has had an impact onthe way we study IR. To put the matter bluntly, in the 1950s and 60s, policy-orientated,applied theory, produced by theorists who were capable of talking to policymakers,reflected the fact that British policymakers occupied positions of genuine, though decli-ning power and influencing their thinking could actually have an effect on the world«(Brown 2006: 683f).

As for today, it has been argued that the policy relevance of British IR scholarshiphas become a far less important concern and maybe is now seen more critically as »adistraction that can threaten the intellectual freedom necessary to the development ofan academic field« (Crawford 2001b: 238). Similar to the central role of institutionsin German IR and for German foreign policy, the British idea of »muddling-through« (Lindblom 1959) in international politics may be reflected in the diversetheoretical perspectives which manifest themselves on the Island.

4. Results of Bridging the Foggy Channel

To return to the car metaphor mentioned at the beginning of this report, we believethat the first British-German IR Conference was far more successful than the BMW-Rover merger. It was an occasion for reflecting on our differences and more impor-tantly on our similarities in doing IR and begs for repetition and institutionalisation.Given the leaning of German IR towards building bridges we are tempted to see theconference as a way of bridging the small stretch of water which divides German andBritish scholarship. But maybe we should update our metaphors and view the confe-rence as a first attempt at building an IR-Channel Tunnel to avoid storms on the opensea and facilitate calm and reasoned communication, thereby reducing stereotypesand permitting the debate of IR in a friendly atmosphere. And we promise no onewill mention the War or the World Cup, and even if anybody did hopefully nobodywould mind.

Conference Papers

Albert, Mathias/Stetter, Stephan/Diez, Thomas (University of Bielefeld/University of Birming-ham): Cycles of Intervention: The European Union and Conflicts in World Politics.

Berenskoetter, Felix (London School of Economics and Political Science): Who is Afraid ofthe Hard Core? On the Purpose of Theorizing »World Politics«.

Berger, Lars (Salford University, Greater Manchester): From Tornado to Whiff – US Demo-cracy Promotion in the Middle East and the War in Iraq.

Boehmelt, Tobias (University of Essex): The Effectiveness of Tracks of Diplomacy Strategiesin Third-Party Interventions.

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Kai Oppermann/Alexander Spencer: Don’t Mention the War or the World Cup

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Brabandt, Heike (University of Bremen): Gender Mainstreaming and Asylum Laws and Poli-cies in the UK and Germany: Examples of Successful Policy Diffusion?

Brühl, Tanja/Rosert, Elvira (Johann Wolfgang Goethe University, Frankfurt): Testing GlobalGovernance: New Governance Modes in the UN System.

Freyburg, Tina/Richter, Solveig (Swiss Federal Institute of Technology, Zurich/German Insti-tute for International and Security Affairs, Berlin): National Identity Matters: TheLimited Impact of EU Political Conditionality in the Western Balkans.

Hasibovic, Sanin (University of Vienna): Media Assistance in Bosnia-Hercegovina – TwelveYears of Failure?

Herborth, Benjamin (Johann Wolfgang Goethe University, Frankfurt): Being Really Critical?Critical Theory and the Problem of Technocracy.

Hofferberth, Matthias (Johann Wolfgang Goethe University, Frankfurt): Norms and Multinati-onal Corporations – Ideational Motivation for CSR Initiatives?

Holden, Gerard (Johann Wolfgang Goethe University, Frankfurt): Different in DifferentPlaces: On the Intellectual History of Aesthetic IR.

Jahn, Beate (University of Sussex): John Locke, Liberalism, and International Relations.Kessler, Oliver (University of Bielefeld): The Paradoxical Bases of Constructivist Thought: or

– Is Logic of any Relevance for Understanding Politics?Kleinschmidt, Jochen (Ludwig Maximilians University, Munich): Social Theory, Spatial

Structures and Violence in World Politics.Koivisto, Marjo (London School of Economics and Political Science): IR as a Social Science:

Assessing the Challenge of the New »Relational-Pragmatist« and »Critical Realist«Approaches.

Liese, Andrea (Humboldt University, Berlin): Liberal Democracies, Wars against Terrorism,and the Contested Meaning of the Prohibition of Torture and Ill-Treatment.

Munoz, Katja (Berghof Research Center for Constructive Conflict Management): The Inter-play of Violent and Nonviolent Means While Striving for National Liberation.

Nabers, Dirk (University of Stuttgart): Poststructuralism, Identity and the European Union.Nölke, Andreas/Taylor, Heather (Johann Wolfgang Goethe University, Frankfurt): The Theo-

retical Implications of the Rise of Multinationals from Non-Triad Economies: A Varie-ties of Capitalism Perspective on Indian Multinationals.

Oppermann, Kai (University of Cologne): Media Coverage, Issue Salience and the DomesticConstraints of Foreign Policy.

Peoples, Columba (Swansea University): After Emancipation? Critical Theory, Violence andResistance.

Pilster, Ulrich/Boehmelt, Tobias (University of Essex): When Do Groups Underprovide PublicGoods? A Quantitative Analysis of International Environmental Regimes.

Puetter, Uwe/Wiener, Antje (Central European University, Budapest/University of Bath): Con-tested Norms in International Relations: A Framework for Applied Research.

Rengger, Nicholas (St. Andrews University): Plenary Lecture: On German Realism and BritishIdealism – and Vice Versa.

Rosenberg, Justin (University of Sussex): Anarchy in the Mirror of »Uneven and CombinedDevelopment«: An Open Letter to Kenneth Waltz.

Ruggeri, Andrea/Schlipphak, Bernd (University of Essex/University of Freiburg): RegionalGovernance.

Schimmelfennig, Frank (Swiss Federal Institute of Technology, Zurich): The Normative Ori-gins of Democracy in the European Union: »Democratization« Beyond the Nation-State.

Schlag, Gabi/Herborth, Benjamin/Hellmann, Gunther (Johann Wolfgang Goethe University,Frankfurt): Secur(itiz)ing the West: The Transformation of Western Order.

Schmitt, Daniella Christova (University of Tübingen): Do Transnational Administrations Fail?A Comparative Study of the Kosovo and East Timor Experiences.

Schwellnus, Guido (Swiss Federal Institute of Technology, Zurich): The Domestic Contesta-tion of International Norms: The Development of Minority Rights in Poland.

Stamnes, Eli (Norwegian Institute of International Affairs): Peacebuilding and Emancipation.

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Stritzel, Holger (London School of Economics and Political Science): International ThreatDynamics as Translation: On the Politics of Circulating Organised Crime.

Venzke, Ingo (Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law, Hei-delberg): Discourse in the Legal Tongue: The Discourse on »Enemy Combatants« as anIllustration of Hegemonic Contestation.

von Franqué, Friederike (Global Media Research Institute, Frankfurt): Media Intervention byState Actors – Influencing Foreign Communication Space.

von Staden, Andreas (Princeton University): Assessing and Explaining the Execution of theJudgments of the European Court of Human Rights.

Warkotsch, Alexander (King’s College, London): Non-Compliance and Instrumental Variationin EU Democracy Promotion.

Wastl, Florian (London School of Economics and Political Science): The End of the Cold Waras a Moment of Complexity.

Zelli, Fariborz (University of East Anglia): Regime Conflicts in Global Environmental Gover-nance: A Framework for Analysis.

Zimmermann, Hubert (Cornell University): Controlling the Locusts: Germany and the GlobalGovernance of New Financial Markets.

References

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Goetze, Catherine 2005: The German Mercedes of IR, in: BISA News 86, 4-5.Hacke, Christian 2003: Zuviel Theorie? Zuwenig Geschichte? Eine kritische Zwischenbilanz

der Disziplin der Internationalen Beziehungen in Deutschland (Studien zur Internationa-len Politik 2/2003), Hamburg.

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Kai Oppermann/Alexander Spencer: Don’t Mention the War or the World Cup

313ZIB 2/2008

Haftendorn, Helga/Keohane, Robert O./Wallander, Celeste A. 1999 (eds.): Imperfect Unions.Security Institutions over Time and Space, Oxford.

Hasenclever, Andreas/Mayer, Peter/Rittberger, Volker 1997: Theories of InternationalRegimes, Cambridge.

Hellmann, Gunther 1994: Für eine problemorientierte Grundlagenforschung. Kritik und Per-spektiven der Disziplin »Internationale Beziehungen« in Deutschland, in: Zeitschrift fürInternationale Beziehungen 1: 1, 65-90.

Hoffmann, Stanley 1977: International Relations: An American Social Science, in: Daedalus106: 3, 41-59.

Holden, Gerard 2001: The Politer Kingdoms of the Globe: Context and Comparison in theIntellectual History of IR, in: Global Society 15: 1, 27-51.

Holden, Gerard 2002: Who Contextualizes the Contextualizers? Disciplinary History and theDiscourse about IR Discourse, in: Review of International Studies 28: 2, 253-270.

Holden, Gerard 2004: The State of The Art in German IR, in: Review of International Studies30: 3, 451-458.

Holsti, Kalevi 1986: The Dividing Discipline: Hegemony and Diversity in International The-ory, London.

Jørgensen, Knud Erik 2000: Continental IR Theory: The Best Kept Secret, in: European Jour-nal of International Relations 6: 1, 9-42.

Jørgensen, Knud Erik/Knudsen, Tonny Brems 2006 (eds.): International Relations in Europe:Traditions, Perspectives and Destinations, London.

Krippendorf, Ekkehart 1987: The Dominance of American Approaches to International Relati-ons, in: Millennium 16: 2, 207-214.

Lindblom, Charles E. 1959: The Science of »Muddling Through«, in: Public AdministrationReview 19: 2, 79-88.

Lyons, Gene M. 1986: The Study on International Relations in Great Britain: Further Connec-tions, in: World Politics 38: 4, 626-645.

Mayer, Peter 2003: Die Epistemologie der Internationalen Beziehungen. Anmerkungen zumStand der »Dritten Debatte«, in: Hellmann, Gunther/Wolf, Klaus Dieter/Zürn, Michael(Hrsg.): Die neuen Internationalen Beziehungen. Forschungsstand und Perspektiven inDeutschland, Baden-Baden, 47-97.

Porter, Tony 2001: Can There Be National Perspectives on Inter(national) Relations?, in:Crawford, Robert/Jarvis, Darryl (eds.): International Relations – Still an American SocialScience?, New York, NY, 131-147.

Risse, Thomas 2000: Let's Argue! Communicative Action in World Politics, in: InternationalOrganization 54: 1, 1-40.

Risse, Thomas 2004: We Did Much Better! Warum es (auch) »auf amerikanisch« sein musste,in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 11: 2, 287-292.

Rittberger, Volker/Hummel, Hartwig 1990: Die Disziplin »Internationale Beziehungen« imdeutschsprachigen Raum auf der Suche nach ihrer Identität. Entwicklung und Perspek-tive, in: Rittberger, Volker (Hrsg.): Theorien der Internationalen Beziehungen. Bestands-aufnahme und Forschungsperspektive, Opladen, 17-47.

Rosenau, James N./Czempiel, Ernst-Otto 1992 (eds.): Governance Without Government:Order and Change in World Politics, Cambridge.

Smith, Steve 2000: The Discipline of International Relations: Still an American Social Sci-ence?, in: British Journal of Politics and International Relations 2: 3, 374-402.

Weaver, Ole 1998: The Sociology of a Not So International Discipline: American and Euro-pean Developments in International Relations, in: International Organization 52: 4, 687-727.

Wolf, Klaus Dieter/Hellmann, Gunther 2003: Die Zukunft der Internationalen Beziehungen inDeutschland, in: Hellmann, Gunther/Wolf, Klaus Dieter/Zürn, Michael (Hrsg.): Dieneuen Internationalen Beziehungen. Forschungsstand und Perspektiven in Deutschland,Baden-Baden, 577-603.

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Tagungsbericht

314

Zürn, Michael 1994: We Can Do Much Better! Aber muß es auf amerikanisch sein? Zum Ver-gleich der Disziplin »Internationale Beziehungen« in den USA und in Deutschland, in:Zeitschrift für Internationale Beziehungen 1: 1, 91-114.

Zürn, Michael 2003: Die Entwicklung der Internationalen Beziehungen im deutschsprachigenRaum nach 1989, in: Hellmann, Gunther/Wolf, Klaus Dieter/Zürn, Michael (Hrsg.): Dieneuen Internationalen Beziehungen. Forschungsstand und Perspektiven in Deutschland,Baden-Baden, 21-46.

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315Zeitschrift für Internationale Beziehungen15. Jg. (2008) Heft 2, S. 315-317

Neuerscheinungen

Die Redaktion der Zeitschrift für Internationale Beziehungen bittet vor Erscheineneines jeden Heftes die Mitglieder des Review-Panels der ZIB, einige wenige, ausihrer Sicht besonders wichtige und interessante Neuerscheinungen aus ihren jeweili-gen Fachgebieten zu empfehlen. Aus diesen Literaturempfehlungen ergibt sich fol-gende Liste (Redaktionsschluss: 22.9.2008):

1. Theorien der Internationalen Beziehungen/Allgemeine Publikationen

Benyekhlef, Karim: Une possible histoire de la norme. Les normativités émergentes de la mon-dialisation, Montreal: Thémis 2008.

Deudney, Daniel H.: Bounding Power: Republican Security Theory from the Polis to the Glo-bal Village, Princeton, NJ: Princeton University Press 2007.

Katzenstein, Peter J./Sil, Rudra: The Contributions of Eclectic Theorizing to the Study andPractice of International Relations, in: Reus-Smit, Christian/Snidal, Duncan (Hrsg.): TheOxford Handbook of International Relations, Oxford: Oxford University Press 2008,109-130.

Kurki, Milja: Causation in International Relations: Reclaiming Causal Analysis, Cambridge:Cambridge University Press 2008.

Reus-Smit, Christian/Snidal, Duncan (Hrsg.): The Oxford Handbook of International Relati-ons, Oxford: Oxford University Press 2008.

Sassen, Saskia: Das Paradoxon des Nationalen. Territorium, Autorität und Recht im globalenZeitalter, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2008.

2. Außenpolitikanalyse/Deutsche Außenpolitik

Lappenküper, Ulrich: Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 1990, Mün-chen: Oldenbourg 2008.

Smith, Steve/Hadfield, Amelia/Dunne, Tim (Hrsg.): Foreign Policy: Theories, Actors, Cases,Oxford: Oxford University Press 2008.

3. Internationale Institutionen

Benvenisti, Eyal: Reclaiming Democracy: The Strategic Uses of Foreign and International Lawby National Courts, in: American Journal of International Law 102 (2008): 2, 241-274.

Dingwerth, Klaus: The New Transnationalism: Transnational Governance and DemocraticLegitimacy, Basingstoke: Palgrave 2007.

Koch, Martin: Verselbständigungsprozesse Internationaler Organisationen, Wiesbaden: VSVerlag 2008.

Normand, Roger/Zaidi, Sarah: Human Rights at the UN: The Political History of UniversalJustice, Bloomington, IN: Indiana University Press 2008.

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Neuerscheinungen

316

Weiss, Thomas G. (Hrsg.): The Oxford Handbook on the United Nations, Oxford: Oxford Uni-versity Press 2007.

4. Europäische Integration

Balme, Richard/Chabanet, Didier (Hrsg.): European Governance and Democracy: Power andProtest in the EU, Lanham, MD: Rowman & Littlefield 2008.

Demoissier, Marion (Hrsg.): European Puzzle: The Political Structuring of Cultural Identitiesat a Time of Transition, Oxford: Berghahn 2007.

Gabriel, Oscar W./Kropp, Sabine (Hrsg.): Die EU-Staaten im Vergleich. Strukturen, Prozesse,Politikinhalte, Wiesbaden: VS Verlag 2008.

Hix, Simon: What's Wrong with the European Union and How to Fix It, Cambridge: PolityPress 2008.

Müller-Graff, Peter Christian (Hrsg.): Deutschlands Rolle in der Europäischen Union, Baden-Baden: Nomos 2008.

Wessels, Wolfgang: Das politische System der Europäischen Union, Wiesbaden: VS Verlag2008.

5. Sicherheit und Frieden

Adler, Emanuel: The Spread of Security Communities: Communities of Practice, Self-Restraint, and NATO's Post-Cold War Transformation, in: European Journal of Internati-onal Relations 14 (2008): 2, 195-230.

Andreas, Peter: Blue Helmets and Black Markets: The Business of Survival in the Siege ofSarajevo, Ithaca, NY: Cornell University Press 2008.

Braml, Josef/Kaiser, Karl/ Maull, Hanns W./Sandschneider, Eberhard/Schatz, Klaus-Werner(Hrsg.): Weltverträgliche Energiesicherheitspolitik. Jahrbuch Internationale Politik2005/2006, München: Oldenbourg 2008.

Fierke, Karin M.: Critical Approaches to International Security, Cambridge: Polity Press 2007.Levi, Michael: On Nuclear Terrorism, Cambridge, MA: Harvard University Press 2007.Pouliot, Vincent: The Logic of Practicality: A Theory of Practice of Security Communities, in:

International Organization 62 (2008): 2, 257-288.Rumelili, Bahar: Constructing Regional Community and Order in Europe and Southeast Asia,

Basingstoke: Palgrave 2007.Richmond, Oliver: Peace in International Relations: A New Agenda, London: Routledge 2007.Sageman, Marc: Leaderless Jihad: Terror Networks in the Twenty-First Century, Philadelphia,

PA: University of Pennsylvania Press 2008.Sheenan, James: Kontinent der Gewalt. Europas langer Weg zum Frieden, München: C.H.

Beck 2008.

6. Internationale Politische Ökonomie

Cohen, Stephen D.: Multinational Corporations and Foreign Direct Investment: Avoiding Sim-plicity, Embracing Complexity, Oxford: Oxford University Press 2007.

Drahokoupil, Jan: Globalization and the State in Central and Eastern Europe: The Politics ofForeign Direct Investment, London: Routledge 2008.

Bhagwati, Jagdish: Termites in the Trading System: How Preferential Agreements UndermineFree Trade, New York, NY: Oxford University Press 2008.

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Neuerscheinungen

317ZIB 2/2008

Lawrence, Robert Z.: Blue-Collar Blues: Is Trade to Blame for Rising US Income Inequality?Washington, DC: Peterson Institute for International Economics 2008.

Panagariya, Arvind: India: The Emerging Giant, New York, NY: Oxford University Press2008.

7. Internationales Problemfeld: Umwelt

Chan, Sander/Pattberg, Philipp: Private Rule-Making and the Politics of Accountability:Analyzing Global Forest Governance, in: Global Environmental Politics, 8 (2008): 3,103-121.

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319Zeitschrift für Internationale Beziehungen15. Jg. (2008) Heft 2, S. 319-320

Mitteilungen der Sektion

1. Bericht über Tagungen im Frühjahr 2008

Vom 16.–18.05.2008 veranstaltete die Sektion Internationale Politik zusammen mitder British International Studies Association am »traditionellen« Sektions-Tagungs-ort an der Evangelischen Akademie Arnoldshain die erste »British-German Inter-national Relations Conference« mit ca. 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. DasProgramm der Tagung kann noch eingesehen werden unter http://www.uni-bielefeld.de/soz/powi/britgerir/.

Ebenfalls in Arnoldshain fand vom 25.–27.04.2008 die Nachwuchstagung derNachwuchsgruppe der Sektion statt. Bei dieser Gelegenheit wurden Julian Eckl(St. Gallen) und Melanie Zimmer (Frankfurt/M.) zum neuen Sprecher bzw. zurneuen Sprecherin der Nachwuchsgruppe gewählt. Nähere Informationen zur Nach-wuchsgruppe sowie zur Tagung sind abrufbar unter: http://www.iniis.uni-bre-men.de/ib-nachwuchs/.

2. DVPW-Kongress und Call for Papers

Im Rahmen des DVPW-Kongresses vom 21.–25.09.2009 in Kiel richtet die Sektioneine Veranstaltung zum Thema Ressourcenkonflikte aus. Vorschläge für Vorträge(Abstract von ca. 350 Wörtern Umfang) werden bis zum 31. Januar 2009 erbeten an:[email protected].

Zusätzlich richtet die Sektion während des Kongresses eine zweite Veranstaltungzusammen mit der Sektion »Politische Theorie« aus. Ein gesonderter Call for Papershierzu wird auf der Homepage der Sektion veröffentlicht.

Für Rückfragen stehen Sprecherin und Sprecher der Sektion unter folgendenAdressen zur Verfügung:

Prof. Dr. Frank SchimmelfennigCenter for Comparative and International StudiesETH Zürich SEICH-8092 ZürichE-Mail: [email protected]

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Mitteilungen der Sektion

320

Prof. Dr. Mathias AlbertFakultät für SoziologieUniversität BielefeldPostfach 100 13133501 BielefeldE-Mail: [email protected](Geschäftsführung bis 30.09.2008)

Dr. Nicole DeitelhoffTechnische Universität Darmstadt/Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK)Leimenrode 2960322 Frankfurt/M.E-Mail: [email protected](Geschäftsführung seit 01.10.2008)

Für die Nachwuchsgruppe:

Julian EcklInstitut für Politische WissenschaftUniversität St. Gallen Dufourstr. 45CH-9000 St. GallenEmail: [email protected]

Melanie ZimmerHessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Leimenrode 2960322 Frankfurt/M.Email: [email protected]

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321Zeitschrift für Internationale Beziehungen15. Jg. (2008) Heft 2, S. 321-323

Abstracts

Tine HanriederMoral Discourse in International RelationsWhy the »Power of the Better Argument« has only limited Explanatory PowerZIB, Vol. 15, No. 2, pp. 161-186

The introduction of the Habermasian »arguing theory« into German IR has caused alively discussion about the agency theory underlying research on internationalnorms. This essay addresses some problematic implications of this theory, whichhave so far been neglected in the debate. By blending moral philosophy and agencytheory in the »logic of arguing«, scholars not only distort their theoretical argumentand their empirical analysis, but also compromise the theory’s normative-criticalcontribution. Using the example of Nicole Deitelhoff’s »discourse theory of interna-tional governance«, the risk of a moralist fallacy will be demonstrated at two levels:At the theoretical level, it occurs when the »arguing theory« subsumes the compet-ing theory of »rhetorical action« on philosophical grounds. At the empirical level,the arguing approach has to rely on moral judgements when it comes to »observing«the power of the »better argument«. Paradoxically, the seemingly formal criterion ofuniversalization conceals such substantive judgements instead of opening up discur-sive space for normative contestation.

Brigitte YoungThe Global Political Economy of MicrofinanceIdeational Institutionalism and the Change of Norms in Development FinanceZIB, Vol. 15, No.2, pp. 187-208

On the basis of the ideational institutionalism, the paper explains the popularity ofthe microfinance programmes since the 1990s. The literature is divided into twopolarising camp: on one side is the Win-Win faction and on the other is the capital-ism critical faction. In contrast to these two strongly normative positions, this articleanalyses the changing ideas and norms in development policies and developmentfinance. Relying on the theoretical insights of the ideational institutionalism, thisarticle demonstrates that the popularity of the microfinance programmes can beexplained as a convergence of three ideational trends. First, there was a paradigmchange in the World Bank’s (re)definition of poverty. In addition, a change in normsoccurred as a result of Gender Mainstreaming in development policies, and finallythrough an ideational shift in the assumptions from state centred developmentfinance to private microfinance strategies.

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Abstracts

322

Dawid FriedrichParticipatory Governance in the EUThe EU between »Laissez-faire« and Regulated Participation of Organized Civil SocietyZIB, Vol. 15, No. 2, pp. 209-235

This contribution asks in how far the EU – given the intensive discourse on demo-cratic governance and civil society participation – has implemented a participatoryregime which is conducive to the democratic character of its policy-making proc-esses. A regulated regime of participation, it is argued here, is necessary in order tomake use of the democratic potential of civil society participation by countering thenormative deficiencies of functional ad hoc participation. Against the background ofpluralist and deliberative theories of democracy, two models of participation areoperationalized for the empirical analysis of participatory practices. The empiricalfocus lies on the current participation regime of European migration and environ-mental policies. The analysis demonstrates that the participatory infrastructure hasnot kept up with the intensity of the participatory discourse; instead, a system of lais-sez-faire participation with some corporatist features is emerging.

Jochen Hils»Democratic Wars«: Products of Forged Preferences?A Systematic Formulation of the Liberal Manipulation ThesisZIB, Vol. 15, No. 2, pp. 237-271

According to the (rationalist) liberal international relations theory, only deficientdemocracies can wage war. From this perspective, a public manipulated via or by themedia is among the things which make a democracy deficient. Recent (constructiv-ist) research on »democratic wars«, in contrast, claims that this factor plays only aminor role, if at all. This strand of research assumes that »liberal« legitimizations ofwar resonate with the (authentic) majority culture of some (»militant«) democracies.The debate between these schools of thought, although not explicitly laid out yet,revolves around the existence of authentic »democratic wars«. The article outlinesboth positions, criticizes the respective definition of manipulation and develops adefinition of its own, emphasizing the specific informational substance preceding achange in preferences. Findings of an empirical test regarding US policy in the Kos-ovo crisis (1998-1999), outlined to illustrate the potential of the approach, suggestthe need for further research.

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Abstracts

323ZIB 2/2008

Christian Büger/Frank GadingerThink Practical!Practice-theoretical Constructivism(s) in International RelationsZIB, Vol. 15, No. 2, pp. 273-302

Practice as an analytical category has received re-renewed attention in the disciplineof International Relations (IR). We discuss the shared assumptions and disagree-ments among theories of practice in IR and the challenges these pose. Practice theoryis identified as an expression of cultural theorizing, differing from rational-interestbased or norm-oriented theories of action. Yet, the locus of meaning is not seen ininternal mental stances, or in external textual structures, but in the inbetween of prac-tice. Four crucial challenges are discussed: first, the repetitive character of practice,and the degree of stability reached in social orders, second, materiality and the questof material agency, third, a moderate reflexive understanding of scientific practicehighlighting the social consequences of scientific reasoning, and, fourth, a recon-sideration of the spectrum of methods in IR. The contribution provides an analyticalsummary of the turn to practice in IR, and an identification of the key challengesassociated with it.

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325Zeitschrift für Internationale Beziehungen15. Jg. (2008) Heft 2, S. 325–326

Autorinnen und Autoren dieses Heftes

Christian Büger Dipl.-Pol., Ph. D. Researcher am Department of Political and Social Sciences, European University Institute Flo-rence, Via die Rocettini, 9, 50016 San Domenico di Fie-sole, Italien, E-Mail: [email protected]

Christopher Daase Dr., Professor für Internationale Politik am Geschwister-Scholl-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München, Oettingenstrasse 67, 80538 München, E-Mail: [email protected]

Dawid Friedrich M.Sc., Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Interkulturelle und Internationale Studien (InIIS), Universität Bremen, Linzer Str. 4, 28359 Bremen,E-Mail: [email protected]

Frank Gadinger Dipl.-Pol., Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Colonel-Kleinmann-Weg 2, 55099 Mainz,E-Mail: [email protected]

Tine Hanrieder M.A., Ph. D. Fellow an der Bremen International Graduate School of Social Sciences (BIGSSS), Postfach 330440, 28334 Bremen, E-Mail: [email protected]

Jochen Hils Dr., Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Politikwissenschaft II (Internationale Beziehungen/Außenpolitik) Technische Universität Kaiserslautern, Postfach 3049, 67653 Kaiserslautern, E-Mail: [email protected]

Kai Oppermann Dr., Akademischer Rat am Lehrstuhl für Internationale Politik und Außenpolitik der Universität zu Köln, Gott-fried-Keller-Str. 6, 50931 Köln, E-Mail: [email protected]

Alexander Spencer M.Sc., Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Geschwister-Scholl-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München, Oettingenstr. 67, 80538 München, E-Mail: [email protected]

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Autoren

326

Brigitte Young Ph. D., Professorin für Internationale/Vergleichende Internationale Politische Ökonomie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster sowie Senior Scientist und Vorstandsmitglied im EU-Network of Excellence GAR-NET, Westfälische Wilhelms-Universität, Institut für Politikwissenschaft, Scharnhorststr. 100, 48151 Münster, E-Mail: [email protected]

Autorinnen und Autoren

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327Zeitschrift für Internationale Beziehungen14. Jg. (2007) Heft 2, S. 327-328

Zeitschrift für Internationale Beziehungen(ZIB)

Herausgegeben im Auftrag der Sektion Internationale Politikder Deutschen Vereinigung Politische Wissenschaft (DVPW) von:

Christopher Daase (geschäftsf.), Gunther Hellmann, Reinhard Meyers,Harald Müller, Klaus Dieter Wolf, Michael Zürn

Redaktion: Maria Birnbaum, Stefan Engert, Anna E. Frazier, Rainer Hülsse, Dieter Kerwer, Steven M. Wakat

INHALTSVERZEICHNIS15. Jahrgang (2008)

Marianne Beisheim/Achim BrunnengräberDas Parlament im GlobalisierungsprozessEin Desiderat in der Parlamentarismus- und Global Goverance-Forschung.......... 73

Thorsten Bonacker/Sina SchüsslerEntgrenzungsfolgenNGOs und die Quellen politischer Macht in der Weltgesellschaft am Beispiel internationaler Sanktionen ...................................................................................... 43

Christian Büger/Frank GadingerPraktisch gedacht!Praxistheoretischer Konstruktivismus in den Internationalen Beziehungen ......... 273

Dawid FriedrichPartizipatives Regieren in der EUDie EU zwischen Laissez-faire und geregelter Partizipation zivilgesellschaftlicher Akteure .............................................................................. 209

Tine HanriederMoralische Argumente in den Internationalen BeziehungenGrenzen einer verständigungstheoretischen »Erklärung« moralischer Debatten.. 161

Jochen HilsDer »demokratische Krieg« als Folge verfälschter Präferenzbildung?Eine systematische Formulierung des Manipulationsverdachts der liberalen Theorie der Internationalen Beziehungen.............................................................. 237

Hanns W. MaullWissenschaftliche Außenpolitik-Evaluation: Ein Oxymoron?Eine Replik auf Peter Rudolf ................................................................................. 113

Kai Oppermann/Alexander SpencerDon’t Mention the War or the World Cup A Report on a British-German IR Conference ..................................................... 303

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Jahresregister 2007

328

Thomas WidmerEvaluation in der Außenpolitik: Gründe für eine EvaluationslückeEine Replik auf Peter Rudolf..................................................................................125

Reinhard WolfRespektEin unterschätzter Faktor in den Internationalen Beziehungen................................. 5

Brigitte YoungDie Globale Politische Ökonomie der MikrofinanzprogrammeIdeeller Institutionalismus als Erklärungsansatz für den Wandel der Normen in der Entwicklungsfinanzierung............................................................................187

Michael Zürn/Matthias Ecker-Ehrhardt/Martin BinderOrdnung wider WillenEine Antwort auf unsere Kritiker ...........................................................................101

Editorial(2/2008) ..................................................................................................................157

Aufsätze(1/2008) ..................................................................................................................... 5(2/2008) ..................................................................................................................161

Literaturbericht(1/2008) ....................................................................................................................73(2/2008) ..................................................................................................................273

Forum(1/2008) .................................................................................................................101

Tagungsbericht(2/2008) ..................................................................................................................303

Neuerscheinungen(1/2008) ..................................................................................................................139(2/2008) ..................................................................................................................315

Mitteilungen der Sektion(1/2008) ..................................................................................................................143(2/2008) ..................................................................................................................319

Abstracts(1/2008) ..................................................................................................................147(2/2008) ..................................................................................................................321

Autorinnen und Autoren(1/2008) ..................................................................................................................151(2/2008) ..................................................................................................................325