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Was Kinder brauchen Script zum Vortrag © Peter Schipek

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Was Kinder brauchen

Script zum Vortrag

© Peter Schipek

Inhalt

Expedition ins GehirnWas jeder über das Gehirn wissen sollteKleines ABC der NeuronenGanz schön schlau - Gehirnentwicklung bei BabysWo geht's hier zum HippocampusAmygdala - und die Angst lernt mitDopamin - was uns Freude machtMädchen & Jungen - wie verschieden sind sie?Wegen Umbaus vorübergehend geschlossen - Gehirnentwicklung in der Pubertät

Kindheiten heuteWenn Eltern zu viel fordern und erwartenWas Kinder wollen und was sie brauchen

Was Kinder brauchenWas Eltern über Entwicklungsschritte von Kindern wissen solltenKinder brauchen Zeit & RuheLiebevolle und beständige Bindungen & BeziehungenBindung & OrientierungDie wesentlichen Säulen für eine gesunde Entwicklung

Dem Lerngenie der Kinder auf der SpurWie Kinder lernenDie Zauberkraft des Spiels

Einfach zum NachdenkenWorauf Eltern achten solltenEinfach zum Nachdenken

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Was Kinder brauchen

Eine Einleitung, die Sie lesen sollten

Wenn Sie wissen möchten, wie sich Kinder entwickeln – was Kinder brauchen,kommen Sie ohne einen Blick in das Gehirn nicht aus.Darum beginnen wir mit einer kurzen Expedition ins Gehirn.

Gesund, glücklich und klug sollte ein Kind sein. Das wünschen sich alle Eltern.Dabei stellen sie sich viele Fragen: „Tun wir wirklich alles für unser Kind?“„Hat es das richtige Spielzeug?“ Fördern wir seine Entwicklung richtig?“„Haben wir den richtigen Kindergarten, bzw. die richtige Schule gewählt?“Das sind nur einige Fragen, die sich Eltern stellen.

Was brauchen denn Kinder wirklich?In einem Satz von Prof. Dr. Gerald Hüther ist das kurz erklärt:„Kinder brauchen Gemeinschaften, in denen sie sich geborgen fühlen,Aufgaben, an denen sie wachsen und Vorbilder, an denen sie sich orientieren können.“

Ich wünsche Ihnen eine spannende Lesestunde mit den folgenden Seiten.

Peter Schipek www.lernwelt.at

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Expedition ins Gehirn

Was jeder über das Gehirn wissen sollte

Das menschliche Gehirn setzt sich im wesentlichen aus 5 Teilen zusammen, wobei jeder Teil bestimmte Aufgaben wahrnimmt:

GroßhirnDas Großhirn ist der am höchsten entwickelte Teil des Gehirns. Zuständig unter anderem für die Funktionen Intelligenz und Sprache oder für die Verarbeitung visueller Reize.Es ist in die rechte und die linke Hirnhälfte geteilt, die mit dem Balken verbunden sind.

KleinhirnSteuert in erster Linie alle Bewegungsabläufe - also die Koordination der Muskelbewegungen.

ZwischenhirnDie Zentrale des Hormonsystems.Es ist unter anderem zuständig für sensorische Funktionen (z.B. schmecken).

Mittelhirnregelt unter anderem die Augenbewegung

Stammhirnder Teil des Gehirns, der zwischen Endhirn und Rückenmark liegt. Es unterteilt sich in Hypothalamus, Thalamus, Brücke und verlängertes Rückenmark -enthält viele für die Koordination von Bewegungen wichtige Schaltkerne.

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Expedition ins Gehirn

Was jeder über das Gehirn wissen sollte

Hippocampus & Amygdala

HippocampusDer Hippocampus zählt zu den evolutionär ältesten Strukturen des Gehirns und ist eine zentrale Schaltstelle des Limbischen Systems.In ihm fließen Informationen verschiedener sensorischer Systeme zusammen.Diese Informationen werden verarbeitet und zum Cortex - der Hirnrinde - zurückgesandt.Es ist die Region in unserem Gehirn, die über Erinnern und Vergessen entscheidet. Der Hippocampus ist eine Schlüsselstelle für das Lernen.

AmygdalaEine zentrale Schaltstelle im Gehirn sind die Mandelkerne (Amygdala). Hier wird in Millisekunden-Geschwindigkeit entschieden, ob ein Reiz für den Organismus schädlich oder von Vorteil ist. Registrieren die Sinnesorgane Gefahr, schüttet die Amygdala verstärkt Neurotransmitter aus. Diese Signale werden an die vegetativen Zentren im Stammhirn weitergeleitet.Von dort aus werden alle Organe der Alarmsituation angepasst.

Wenn das Lernen durch Angst begleitet wird, steht das Gehirn unter dem Einfluss der Amygdala. Ist die Amygdala aktiviert, begünstigt sie einen eingeengten kognitiven Stil, der nur darauf aus ist, den Quellen der Angst zu entkommen. Kreativität und freies Denken sind behindert. Mit dem unter Angst gelernten Inhalt prägt sich auch die Angst mit ein. Wir lernen sozusagen die Angst gleich mit.

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Expedition ins Gehirn

Was jeder über das Gehirn wissen sollte

Das Wesentlich auf einen Blick

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• Das Gehirn - ein Netzwerk aus mehr als 100 Milliarden Nervenzellen (Neuronen). Die Nervenzellen und zig Milliarden Gliazellen (Stützgewebe) stellen die Basis dar.

• Neuronen bilden untereinander Kontakte - die Synapsen. Jedes Neuron kann bis zu 10.000 Synapsen mit anderen Nervenzellen entwickeln.

• Das menschliche Gehirn setzt sich im wesentlichen aus 5 Teilen zusammenGroßhirn, Kleinhirn, Zwischenhirn, Mittelhirn und Stammhirn.

• Der Hippocampus - eine zentrale Schaltstelle des Limbischen Systems.Die Region in unserem Gehirn, die über Erinnern und Vergessen entscheidet. Er ist eine Schlüsselstelle für das Lernen.

• Amygdala (Mandelkern) - eine zentrale Schaltstelle im Gehirn.Für das Negative in unserem Leben - für Furcht und Angst ist hauptsächlich der Mandelkern (Amygdala) zuständig.Bei Gefahr schüttet die Amygdala verstärkt Neurotransmitter aus.

Wenn Lernen durch Angst begleitet wird, steht das Gehirn unter dem Einfluss der Amygdala. Damit prägt sich beim Lernen die Angst mit ein. Kreativität, Lernen und freies Denken sind behindert.

Expedition ins Gehirn

Kleines ABC der Neuronen

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Neuronen und SynapsenWer das Gehirn und Lernen verstehen möchte, kommt ohne einen Blick auf dessen Grundbausteine, die Nervenzellen (Neuronen) nicht aus.

Bau einer Nervenzelle

Zellkörper - Informationsverarbeitung Dendriten - Informationsaufnahme Axon - Informationsweiterleitung Synapse - Informationsübertragung

Expedition ins Gehirn

Kleines ABC der Neuronen

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Das Gehirn besteht etwa aus 100 Milliarden Nervenzellen. Wichtig für die Funktion des Gehirns sind aber vor allem die Verbindungen zwischen den Nervenzellen (Axone, Dendriten usw.)

Neuronen sind darauf spezialisiert, Signale zu leiten und zu verarbeiten. „Eingangskabel“, die so genannten Dendriten, übertragen Eingangssignale auf den Zellkörper. Der erzeugt daraufhin Ausgangssignale, welche über ein oft weit verzweigtes „Ausgangskabel“, das so genannte Axon, weitergeleitet werden.

Die Anzahl der Verbindungen beträgt bei einem Neugeborenen etwa 50 Billionen. All das, was mit Lernen oder Gehirnentwicklung zu tun hat, beruht auf dem Wachstum bzw. den Veränderungen dieser Verbindungen zwischen den Nervenzellen.

Das menschliche Gehirn ist bis zum Lebensende plastisch, d.h. durch Erfahrungen und Lernen veränderbar. Allerdings ist die jeweilige Lerngeschwindigkeit dem Alter entsprechend verschieden. In der Kindheit ist die Lerngeschwindigkeit rasant.

Wie Neuronen funktionierenDie Arbeitsweise ist erstaunlich einfach: Immer wenn die Summe der Eingangssignale einen bestimmten Schwellenwert überschreitet, sendet die Zelle ein Ausgangssignal. Bleibt die Eingangserregung unter der Grenze, reagiert die Zelle nicht. Am Ende der axonalen Verzweigungen stellt eine besondere Struktur, die Synapse, den Kontakt zu anderen Neuronen her.

Die meisten Synapsen funktionieren so: Je stärker die Erregung im Axon, desto mehr Moleküle einer Überträgersubstanz schüttet die Synapse aus. Der Überträgerstoff (Neurotransmitter) wandert zur Zielzelle. Manche Neurotransmitter erhöhen die elektrische Erregung der "angefunkten" Zelle, andere hemmen sie.

Expedition ins Gehirn

Kleines ABC der Neuronen

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Die Netzwerke der ErinnerungDas Netzwerk der Neuronen in der Großhirnrinde (wegen ihrer Form auch „Pyramidenzellen“)ist im Gegensatz zu einem Computer nicht nach einem detaillierten Plan geknüpft, sondern weitgehend zufällig organisiert. Sind miteinander verbundene Zellen gemeinsam aktiv, verstärken sich die Synapsen.

Demnach aktiviert das Lernen immer wieder eine Anzahl miteinander verknüpfter Pyramidenzellen. Deren Verbindung verstärkt sich nach und nach, „neuronale Netzwerke“ entstehen. Je öfter sich der synaptische Lernprozess wiederholt, desto leichterlässt sich dieses „Netzwerk“ aktivieren.

Was bedeutet das für das Lernen?„Synaptisches Lernen“ in der Großhirnrinde ist langsam und lebt von der Wiederholung. Dabei kommt es nicht auf die absolute Zeitdauer an."Häufiger, aber kürzer üben" lautet der Rat, der sich mit etwas Vorsicht ableiten lässt.

Das bedeutet jedoch keineswegs, immer wieder die gleichen Inhalte zu wiederholen. Im Gegenteil -Stumpfsinn scheint der Hauptfeind des Lernens zu sein. Mehr Erfolg verspricht, das Gehirn auf stets etwas andere Weise anzuregen, ihm durch variierte Aufgaben und andere Herangehensweisen immer wieder neuen Anlass zur Auseinandersetzung mit dem Thema zu geben, je reicher und vielfältiger, desto besser.

Expedition ins Gehirn

Kleines ABC der Neuronen

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Das Wesentliche auf einen Blick

Der Bau einer Nervenzelle:Zellkörper - Informationsverarbeitung Dendriten - Informationsaufnahme Axon - Informationsweiterleitung Synapse – Informationsübertragung

Neuronen sind darauf spezialisiert, Signale zu leiten und zu verarbeiten. „Eingangskabel“ (Dendriten) übertragen Eingangssignale auf den Zellkörper. Der erzeugt Ausgangssignale, welche über ein „Ausgangskabel“ (Axon), weitergeleitet werden.

Die Netzwerke der ErinnerungDas Netzwerk der Neuronen in der Großhirnrinde ist weitgehend zufällig organisiert. Sind miteinander verbundene Zellen gemeinsam aktiv, verstärken sich die Synapsen.

Das Lernen aktiviert immer wieder eine Anzahl miteinander verknüpfter Pyramidenzellen. Deren Verbindung verstärkt sich und „neuronale Netzwerke“ entstehen.

Je öfter sich der synaptische Lernprozess wiederholt, desto leichterlässt sich dieses „Netzwerk“ aktivieren.

Expedition ins Gehirn

Ganz schön schlau

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Gehirnentwicklung bei Babys

Babys können über alles staunen.Über die Mutter, die beim Kuckuck-Spiel jedes Mal wieder hinter der Tür auftaucht. Oder über die Tatsache, dass der eckige Behälter nicht in den runden passt.

Babys wollen lernen. Mit unendlichem Eifer erkunden sie die Welt. Sie probieren Dinge so oft aus, bis sie verstanden haben, was dahinter steckt.

In den ersten Monaten lernen Babys mehr als jemals später in ihrem Leben. Sie erforschen die Welt und bewältigen mit ihren Sinnen eine Fülle von Reizen und Eindrücken.

Schon vor der Geburt sind im Gehirn Milliarden Nervenzellen angelegt. Vollständig entwickelt ist das Gehirn jedoch erst nach etwa zwanzig Jahren. Einen großen Sprung in seiner Entwicklung macht das Gehirn aber bereits nach der Geburt. Die entscheidenden Schritte passieren dabei schon ganz am Anfang. Kaum auf der Welt, beginnt ein dramatischer Sprung in der Hirnentwicklung. Die Sinnesorgane nehmen Signale aus der Umwelt auf.Alles, was das Baby sieht, hört, riecht oder spürt beeinflusst die weitere Entwicklung seines Gehirns.

Im ersten Jahr nehmen die Verknüpfungen im Gehirn sprunghaft zu. Danach, in etwa bis zum elften Lebensjahr, werden viele solcher Verbindungen zwischen den Nervenzellen wieder abgebaut.

Schon mit knapp einem Jahr können Kinder z.B. Ursache und Wirkung von Bewegung unterscheiden. Schon mit wenigen Jahren beherrschen Kinder ihre Muttersprache. Ihre Gehirne vollbringen dabei wahre Meisterleistungen.

. . . und das Wunderbarste an ihnen ist ihre unbegrenzte Fähigkeit, sich zu wundern.

Expedition ins Gehirn

Wo geht‘s hier zum Hippocampus?

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Der Hippocampus ist ein Teil des limbischen Systems

Das "Limbische System" ist eine Sammelbezeichnung für eine Funktionseinheit aus Teilen des Großhirns sowie Teilen des Zwischenhirns. Zum limbischen System gehören u.a. Hippocampus und Amygdala (Mandelkern).

Es spielt die entscheidende Rolle bei der Übertragung von Informationen ins Langzeitgedächtnis. - liefert die emotionale Bewertung aufgenommener Informationen und bewertet diese für die Übertragung ins Langzeitgedächtnis.

Es bewertet alles nach "gut" und "schlecht" und steuert damit unser Verhalten. Durch die emotionale Bewertung spielt es eine entscheidende Rolle bei Lernvorgängen und beim Abrufen von neuen (Lern-) Informationen aus der Hirnrinde.

Expedition ins Gehirn

Wo geht‘s hier zum Hippocampus?

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Die Schlüsselstelle für das Lernen - der Hippocampus

Stellen sie sich den Hippocampus wie einen Pförtner vor. Er lässt Informationen durch - oder auch nicht. Je nachdem, ob er Lust dazu hat. Das ist nämlich nicht garantiert, denn der Hippocampus langweilt sich sehr schnell.

Wenn da ständig dieselbe trockene Information kommt, hat er keinen Spaß und schließt die Tür. Welche Tricks halten den Hippocampus bei Laune? Abwechslung und Spaß.

Wenn ich z.B. den Satz „Der grüne Hut liegt auf dem großen Tisch“ins Englische übersetze und fünfmal wiederhole, um mir die einzelnen Vokabeln einzuprägen dann schaltet der Hippocampus einfach ab. (Bei Männern übrigens früher als bei Frauen).

Wenn ich den Satz aber verändere, funktioniert der Hippocampus wieder. Zum Beispiel: „Auf dem großen Tisch liegt der grüne Hut.“ -oder: „Der große Hut liegt auf dem grünen Tisch“ usw. - dann überliste ich das Gehirn.Es hilft übrigens auch, wenn man die Stimmlage verändert: Mal den Satz im Tenor, dann im Sopran sprechen - und schon hat der Hippocampus wieder Spaß am Lernen.

Die Großhirnrinde und der Hippocampus scheinen während des Schlafs rege miteinander zu kommunizieren.

Die Frage, wie das Gehirn Erinnerungen speichert oder verwirft, ist nach wie vor nur in Ansätzen geklärt.

Viele Hirnforscher halten die Konsolidierungstheorie für den bislang besten Erklärungsansatz. Diese besagt, dass frische Eindrücke zuerst im Hippocampus abgelegt werden. Sie sollen dann innerhalb von Stunden oder Tagen - vornehmlich während des Tiefschlafs -in die Großhirnrinde und dort ins Langzeitgedächtnis übergehen.

Expedition ins Gehirn

Amygdala

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Kaum einer weiß, dass er sie hat. Ohne sie wäre unser Leben monoton und gefährlich. Sie ist wie eine gute Freundin und verdient daher mehr Aufmerksamkeit.

Sie ist etwa so groß wie eine Mandel und ebenso geformt.Daher trägt sie den gelehrten griechischen Namen: Amygdala - Mandelkern. Die Amygdala liegt etwa in der Mitte unseres Kopfes - und ist mit zwei Exemplaren vertreten.

Alles, was unsere Augen, Ohren und die anderen Sinne aufnehmen wird an die Wahrnehmungsareale des Gehirns weitergeleitet. Von diesen Arealen geht alles zur Amygdala und wird von ihr streng geprüft.Nähert sich Unheil oder eine Gefahr, wird sofort die Abwehr mobilisiert.

So ist die Amygdala eine sehr empfindlichen „Alarmanlage“. Bei Gefahr geraten wir in Erregung, springen zurück oder schlagen blitzschnell zu.

Expedition ins Gehirn

Amygdala - und die Angst lernt mit

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Angst ist ein normaler und notwendiger Teil unseres Lebens.Viele Situationen, in denen wir Angst verspüren, werden im Laufe unseres Lebens erlernt. . . . . . aber Angst kann auch von Nachteil sein.

Heute wissen wir aus der Hirnforschung, dass Angst Kreativität ausschließt. Und beim Lernen „unter Angst“ lernen wir die Angst gleich mit.

Neueste Untersuchungen zeigen, dass unbewusste Erinnerungenauch direkt in der Amygdala gespeichert werden können.Werden also unbewusste Erinnerungen wachgerufen so stellt die Amygdaladen Körperzustand wieder her wie er beim Speichern des ursprünglichen Erlebnissesgeherrscht hat. (Herzklopfen, schwitzende Hände, schneller Atem usw.)

Was bedeutet das nun für das Lernen?Beim Lernen muss eines stimmen: die emotionale Atmosphäre.Denn negative Emotionen aktivieren den Mandelkern und blockieren den Lernprozess.

Wir wissen damit nicht nur, dass Lernen in guter Stimmung und mit Freude am besten funktioniert - wir wissen jetzt auch, warum Lernen in dieser Atmosphäreerfolgen soll. Nur so kann nämlich das Gelernte auch später überhauptzum Problemlösen verwendet werden.

Angst hat beim Lernen also nichts zu suchen - schon gar nicht in der Schule.

Expedition ins Gehirn

Dopamin - was uns Freude macht

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Ob wir Freude haben - glücklich oder unglücklich sind, hängt von vier Botenstoffen ab.Vor allem Dopamin spielt bei Freude und beim Glücksgefühl eine zentrale Rolle.

Dopamin wird im Gehirn in einem Bereich des Mittelhirns gebildet.Wenn diese Region besonders angesprochen wird, schütten die Nervenzellendort den Botenstoff aus.

Ohne Dopamin (und andere Botenstoffe) kann unser Gehirn keine Informationen verarbeiten. Es macht die Zellen besonders sensibel für das Empfangen neuer Informationen.Dopamin führt auch dazu, dass Informationen besonders fest im Gedächtnis verankert werden und auch besonders gut wieder abgerufen werden können.

Hirnforscher nennen Dopamin deshalb auch einen „Modulator“ für das Lernen.Denn er wirkt beim Lernen wie ein Verstärker.

Auf einen bisher unbekannten und interessanten Zusammenhang des Dopaminssind Forscher in Magdeburg und London gestoßen.Sie haben Versuchspersonen beim Lernen von Vokabeln Bilder von unbekanntenStädten und Landschaften gezeigt.

Nachdem diese Versuchspersonen die Bilder angesehen hatten,waren sie aufmerksamer und lernten besser.Die Erklärung der Forscher: In neutralen Bildern sucht das Gehirnnach Belohnung und ist offener für Neues.Die unbekannten Bilder aktivieren das „Belohnungssystem“ - Dopamin wird ausgeschüttet.

Was bedeutet das nun für das Lernen?Die beste Lernsituation ist also die, in der man interessante Entdeckungen macht,klare Ziele erreichen kann - und Leistungen erzielt, auf die man stolz sein kann.Ist also eine Aufgabe richtig gelöst, belohnt uns unser Gehirn mit Dopamin.Dopamin wird also bei Erfolg ausgeschüttet. So macht richtiges Lernen nicht nur schlau, sondern auch glücklich.

Expedition ins Gehirn

Mädchen & Jungen – wie verschieden sind sie?

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In vielen Sachbüchern wird uns erklärt, warum Männer nicht nach dem Weg fragenund nicht über ihre Gefühle sprechen und warum Frauen weder logisch denkennoch einparken können. Das erklärt jedoch nichts.

Wie unterschiedlich sind denn die Gehirne von Mädchen und Jungen?Das männliche Gehirn ist im Durchschnitt etwas größer und hat weniger Furchen. Die Verbindung zwischen den beiden Hirnhälften, der Balken, ist dünnerund beide Hemisphären sind stärker lateralisiert, d. h. die beiden Hirnhälften sind stärkerfür bestimmte Aufgaben spezialisiert. So ein Hirn funktioniert dann auch anders.

Männer sind eigentlich das schwache Geschlecht.Denn männliche Babys sind schon im Mutterleib einem viel höheren Risiko ausgesetzt.Das „starke Geschlecht“ kommt schwächer auf die Welt und stolpert von Anbeginnüber Schwierigkeiten.Was macht uns denn schon so früh zum schwachen Geschlecht?Dass die Jungs das schwächere Geschlecht sind, hängt damit zusammen, dass ihnen einzweites X-Chromosom fehlt. Sie sterben häufiger schon vor der Geburt ab und sind alsBabies und Kleinkinder auch noch empfindlicher und anfälliger als Mädchen.Bewusst ist ihnen das freilich nicht. Aber sie suchen stärker nach etwas, was ihnen Haltbietet, was selbst stark und mächtig ist.

Wenn man als Mann sein Gehirn lange genug und mit viel Begeisterung für etwas benutzthat, was einer typischen Männerrolle entspricht, z. B. als Rennfahrer, als Tüftler, als Naturwissenschaftler, als Fußballfan oder Computerfreak, dann passen sichdie dabei benutzen Nervenzellverschaltungen immer besser an diese Art der Nutzung an.Dann hat man irgendwann ein Gehirn, mit dem man genau das immer besser, alles andereaber schlechter kann, z. B. Gespräche führen, zuhören, Wäsche bügeln etc.Männer neigen immer stärker dazu, solche spezifischen Rollen zu übernehmen und sichdie dazu erforderlichen Fähigkeiten ins Hirn zu bauen als Frauen, sie fangen als kleineJungen auch schon früher damit an, weil sie anfangs noch konstitutionell schwächer sindund stärker im Außen nach Halt suchen. Sie wollen immer irgendwie bedeutsam sein,mehr als die Mädchen, jedenfalls im Durchschnitt.

Expedition ins Gehirn

Wegen Umbaus vorübergehend geschlossen

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Gehirnentwicklung in der Pubertät

Sie denken, das Thema ist schnell abgehandelt - das kenne ich.Keine Lust mehr auf Schule, kein Zutritt mehr für die Alten in ihr Zimmer.Im Gehirn der Jugendlichen sind nur Handys, Games, Partys oder das andere Geschlecht drinnen - und die Hormone spielen verrückt.

Hormone spielen nur eine Nebenrolle. Neue Erkenntnisse über den Hirnumbau bei Jugendlichen liefern immer bessere Erklärungen für deren Verhalten.

Das Teenager-Gehirn ist kein Erwachsenengehirn im Hormonrausch. Die drastischen Änderungen im Verhalten der Jugendlichen beruhen auf einem systematischen Umbau ihrer Gehirnstruktur.

Neue Erkenntnisse der Gehirnforschung zeigen, dass unser Gehirn diese heikle Phaseunbedingt braucht, um zum selbständigen Denken fähig zu sein.Was passiert nun mit den pubertierenden Jugendlichen während der Wachstums-und Neuordnungsprozesse im Gehirn?

In den ersten Jahren des Lebens wächst das Gehirn in rasantem Tempo. Ständig bilden sich neue Nervenverbindungen. Vielmehr, als überhaupt benötigt werden. Aufgrund dieser "Überproduktion” sind Kinder so enorm lernfähig, können alles aufnehmen, problemlos verschiedene Sprachen und Musikinstrumente lernen.

In der Pubertät kommt es dann zu einer rigorosen Aufräumaktion, das Gehirn setzt Schwerpunkte. Nervenverknüpfungen, die häufig benutzt werden, bleiben bestehen, alles andere wird entrümpelt.

Trotzdem bleibt in dieser jugendlichen Abbauphase von Synapsen das Gesamtvolumen des Gehirns konstant. Wo kommt aber die neue Gehirnmasse her?In dem Maße, in dem graue Hirnmasse im Cortex schwindet, entsteht weiße Substanz.

Diese weiße Substanz besteht in erster Linie aus dicht gepackten Nervenkabeln,die durch eine spezielle Hülle (die Myelinscheide) elektrisch isoliert sind.Diese Isolierung beschleunigt die Übertragung neuronaler Impulse und macht sie zuverlässiger.

Expedition ins Gehirn

Wegen Umbaus vorübergehend geschlossen

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Gehirnentwicklung in der Pubertät

Die Leitungsgeschwindigkeit steigt auf etwa 360 Stundenkilometer.Im Zuge des Umbaus werden also überflüssige Verbindungen gekappt,die Verbleibenden arbeiten dafür umso schneller und zuverlässiger.

Die Umbauvorgänge in den verschiedenen Arealen laufen in einer festen Reihenfolge ab.Zunächst bilden sich die Bereiche aus, die für Sprache und räumliches Denken zuständig sind.Dann beginnt eine massive Umgestaltung des Belohnungssystems, das am Entstehen angenehmer Gefühle beteiligt ist.

Etwa 30 Prozent der Rezeptoren des Glücksbotenstoffes Dopamin gehen verloren.Das Leben wird jetzt zunehmend anstrengender. Viele kleine Freuden des Alltags verlieren auf einmal an Bedeutung und andere Dinge wie Sport, Musik und das andere Geschlecht werden interessant.

Gleichzeitig entwickelt sich das Urteilsvermögen weiter und die Fähigkeit zum abstrakten Denken wird verbessert.

Der letzte Bereich, der ausreift ist der präfrontale Cortex. Der präfrontale Cortex ist der Bereich, wo Vernunft, Impulshemmung und wo - wenn man so sagen will –„das Gewissen“ sitzt.

Ab dem 12. Lebensjahr verlieren Jugendliche zeitweise die Fähigkeit, die Gefühle anderer Menschen zu verstehen.

Geben Sie Jugendlichen zwischen 10 und 18 Jahren Bilder mit unterschiedlichen emotionalen Gesichtern. Fragen Sie, was die Kinder oder Jugendliche sehen.10 jährige sind ziemlich gut darin, die Gefühle anderer Menschen aus dem Gesicht zu lesen11 jährige sind nicht mehr so gut und mit 12 bricht die Kurve ganz ein.Es dauert weitere 6 Jahre bis sie wieder auf dem Wert von 10 jährigen sind.

Wenn sie also zeitweise von Jugendlichen hören „ich versteh’ dich nicht“, so ist das nicht immer eine Ausrede.

Kindheiten heute

Wenn Eltern zu viel fordern und erwarten

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Viele Eltern sind heute überfordert. Fernsehen, Zeitschriften, Bücher – alle diese Medienerinnern sie täglich daran, wie ihre Kinder sein sollen, um im Leben bestehen zu können.Kinder müssen neugierig, wissensdurstig, leistungsbereit, sportlich, englisch sprechend,computerbegeistert – und natürlich erfolgreich sein. Jedes Bild vermittelt den Elterneinen Idealzustand. Dass Kinder „es“ nicht schaffen könnten, ist in unserer heutigen Zeit nicht vorgesehen.Es gibt doch Verhaltenstherapien, Nachhilfeunterricht und Förderkurse.

So wird das Kinderleben – das Kindererleben – immer stärker eingeschränkt.Es wird für Kinder gedacht und für sie geplant. Viele Eltern beginnen schonin frühen Jahren ihren Kindern eine eigenständige Kindheit vorzuenthalten.

Es fängt mit frühkindlichen Förderprogrammen an – es folgen ungezählte Kurse und Trainings.Flöten- Klavierunterricht, Tennis, frühes Lesenlernen Fremdsprachenunterricht usw..Die ganze Woche ist verplant. Viele Kinder haben ein Tagesprogramm, das von der Zeitstruktur her dem eines Managers ähnlich ist. Spiele haben für Kinder längst ausgedient.

Wir haben eine „förderwütige“ Frühpädagogik. Kindheit wird zunehmend organisiertUnd dann haben wir es mit gehetzten Kindern zu tun.

Kindheiten heute

Was Kinder wollen und was sie brauchen

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Wie können wir nun Kinder fördern und wo beginnt die Überforderung der Kinder?Eine Überforderung der Kinder beginnt dort, wo ihnen die Kindheit geraubt wird und die Kinder den Eindruck gewinnen, dass ihre seelischen Grundbedürfnisse nur noch von einem guten Leistungsverhalten oder lobenswerten Ergebnissen abhängen.

Was können Eltern tun, um ihre Kinder zu fördern?Zunächst einmal sollten Eltern sich nicht auf eine Pädagogik einlassen, die aus einem -wie auch immer gearteten - Lehrbuch stammt. Vielmehr sollten sie auf ihre eigene Biografieschauen und sich fragen, durch was sie selbst eine glückliche Kindheit erlebt haben, An welche Ereignisse, Erfahrungen und Eindrücke sie selbst gerne zurück denken und was genau ihr Leben so reichhaltig gemacht hat

• Eltern müssen sich von der Vorstellung verabschieden, Kinder seien schonin den ersten sechs Lebensjahren zu perfektionieren.

• Eltern müssen die ersten Lebensjahre von Kindern als einen eigenen Entwicklungszeitraum – nämlich der „Kindheit“ begreifen.

• Kinder brauchen wenige didaktische Vielfalt.Sie brauchen mitfühlende, in sich ruhende, lebensfrohe und zuverlässige Menschenum sich herum und keine gehetzten, erwartungsbesessene Eltern, die sich selbstüber besondere Leistungen ihrer Kinder definieren wollen.

Kindheiten heute

Was Kinder wollen und was sie brauchen

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Das „Verschwinden der Kindheit“ ist die eine Seite der Medaille –die gleichzeitige materielle Verwöhnung der Kinder die andere.

Die täglichen Süßigkeiten beim Einkauf oder andere Mitbringsel gehörenzur festen Tagesordnung. Viele Kinderzimmer gleichen einem überfüllten Warenlagereines Spielzeuggeschäftes. Natürlich hat diese Konsumorientierung ihren Preis,ihren Hintergrund und ihre Folgen.

Häufig sind es eher stark belastete Eltern, die ihre Kinder stark verwöhnen,um nicht zusätzlichen Konflikten ausgesetzt zu sein.

Doch wenn Eltern an die Stelle von Kinderwünschen die Frage stellen, was KinderWirklich brauchen, damit sich eine entsprechende Persönlichkeit entwickelt,kämen sie zu der großen Bedeutung von persönlichkeitsbildenden Werten,die Kinder brauchen und die die elterliche Pädagogik prägen sollte.

Was Kinder brauchen

Was Eltern über Entwicklungsschritte von Kindern wissen sollten

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Für Eltern – einfach zum Nachdenken:

• Wer Kinder verändern möchte, muss sich zunächst selbst verändernWer Kindern bei ihrer Entwicklung helfen will, muss zunächst die eigene Entwicklungins Augenmerk nehmen

• Wer Vertrauen von Kindern erfahren möchte, muss zunächst sich selbst Vertrauen schenken.

Die Entwicklungsschritte von Kindern:

• Jedes Kind entwickelt sich individuell –auch im Hinblick auf seine Entwicklungsgeschwindigkeit.Eine idealtypische Entwicklung eines „Durchschnittskindes“ gibt es nicht.

• Jedes Entwicklungsmerkmal eines Kindes ist im Vergleich mit einem anderen Kindim gleichen Alter unterschiedlich ausgeprägt.Diese Erkenntnis hat dazu geführt, dass es keine starren „Entwicklungstabellen“ mehr gibt.

Was Kinder brauchen

Kinder brauchen Zeit & Ruhe

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Kinder wollen die Welt um sich herum entdecken.Es scheint für Kinder nichts zu geben, was uninteressant sein könnte:Der krabbelnde Käfer an der Hauswand, die glitzernden Steine auf dem Weg,der Bagger auf der Baustelle, die Vielfalt im Kaufhaus, die Katze auf der Wiese,die unterschiedlichen Menschen im Bus, usw.

Um diese Vielfalt an Wahrnehmungen aufzunehmen brauchen Kinder Zeit – viel Zeit.

Leider haben Kinder häufig den Eindruck, dass sie sich auf einer Schnellstraße befinden.Da heißt es: „Komm endlich weiter“, „wie lange willst du denn noch hier stehen?“,„Trödel nicht so rum“, . . .

Erwachsene haben meistens andere Ziele als ihre Kinder.Es stellt sich die Frage, warum viele Eltern ihren Kindern so wenig Zeit für Erlebnisse lassen.Vielleicht ist es der Verlust von Fähigkeiten, sich über „kleine Dinge“ zu freuen.

Auch Ruhe ist in vielen Familien ein aussterbender Begriff.Selbst wenn Kinder in ihren Kinderzimmern ganz in Ruhe spielen, scheint das für viele Elternein Impuls zu sein, zu schauen, ob alles noch in Ordnung ist.

Ruhe beunruhigt . . .. . . und Zeit ist kostbar

Nehmen Sie sich Zeit für die Kinder.Nehmen Sie sich Zeit zum Spielen, zum Lesen. Nehmen Sie sich Zeit zum Träumen und zum Lachen.

Was Kinder brauchen

Liebevolle und beständige Bindungen & Beziehungen

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Oft haben wir den Kontakt, die Bindung und Beziehung zu Kindern oder Jugendlichen verloren. Wie können wir nun Jugendliche gewinnen, bzw. zurückgewinnen?

Wir müssen den Kindern und Jugendlichen eine echte Beziehung anbieten.Eine starke, fürsorgliche Beziehung zu einem Erwachsenen.Es geht darum die Bindungsinstinkte unserer Kinder und Jugendlichen zu aktivieren.Das wird für Eltern, Lehrer, Trainer etc. zur wichtigsten Interaktion in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.

Die Urform dieser Interaktion kennen wir sehr gut - bei Babys.Hier ist es auch sehr gut von Bindungsforschern untersucht.

Ich als Erwachsener muss aktiv werden. Bei einem Baby wissen wir instinktiv, dass wir nicht automatisch eine Beziehung haben. Wir wissen auch, wenn wir ohne funktionierende Beziehung an das Baby herangehen, bedeutet das starken Stress für das Baby. Wir müssen es also erst für uns gewinnen.Und genauso ist es auch beim Heranwachsenden, beim Jugendlichen in der Pubertät. Je unreifer der Jugendliche, umso wichtiger ist es.

Wie machen wir es denn bei einem Baby?Das erste ist der Augenkontakt. Manche Babys sind da sehr zurückhaltend -manche Jugendliche auch. Unsere Aufgabe ist es Augenkontakt herzustellen.

Beim Jugendlichen vergessen wir oft diese Regel und wir beginnen mit einer Interaktion. Wir vergessen, dass wir ohne Augenkontakt von einer funktionierendenBeziehung weit entfernt sind. Also sagen wir oft: „Schau’ mich an“, „pass auf“, „hör’ zu“. Wir versuchen die Aufmerksamkeit der Jugendlichen zu befehlen und damit erzeugen wir Widerstand. Wer als Lehrer sagt: „alle herschauen“, ohne dass er vorher die Jugendlichenzu sich hergeholt hat, erreicht damit eher Desinteresse und Widerstand.Die Jugendlichen sind nicht bei ihm. Sie schauen ihn zwar an - sind aber weit weg.

Was Kinder brauchen

Liebevolle und beständige Bindungen & Beziehungen

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Wie erreichen wir den Augenkontakt? Wir schauen, wo die Aufmerksamkeit des Kindes oder des Jugendlichen ist und knüpfen dort an. Das heißt: Sie reden ein paar Sätze darüber, womit der Jugendliche gerade beschäftigt ist und dann lenken Sie seine Aufmerksamkeit um.

Der nächste Schritt - wenn wir den Augenkontakt haben:Die Augen zum Lächeln bringen! Beim Baby weiß jeder, wie das geht.Wir machen alles mögliche, um ein Baby zum Lächeln zu bringen.. . . und wenn das Baby zurücklächelt wissen wir: jetzt darf ich näher ran.Warum versäumen wir das bei Jugendlichen?

Im nächsten Schritt versuchen wir ein Nicken zu kriegen.Denn wir wissen, wenn sie uns nicht zustimmen wie sollen wir dann weiterkommen?

Das alles wissen Sie auch bei Ihren Partnern. Stellen Sie sich vor, Ihr Partner oder Ihre Partnerin fängt plötzlich an, sich merkwürdigzu verhalten: Er oder sie schaut Ihnen nicht mehr in die Augen, wehr körperliche Nähe ab,ist einsilbig und gereizt und geht Ihnen aus dem Weg.Stellen Sie sich nun vor, dass Sie bei Ihren Freunden oder Freundinnen Rat suchen.Im Gespräch wäre Ihnen klar, dass es sich um ein Beziehungsproblem handelt.Warum sprechen wir denn bei Jugendlichen dann so oft über Verhaltensprobleme?Was uns bei Erwachsenen so klar ist, verwirrt uns, wenn es zwischen Erwachsenenund Jugendlichen auftritt.

Sie kriegen also beim Jugendlichen ein Nicken - dann können Sie weitergehen.Also noch einmal - was ist wichtig:Sie haben Augenkontakt – erhalten ein Lächeln und ein Nicken.So bereiten Sie den Kontakt mit einem Jugendlichen vor.

Aber! Wie und wann treten wir oft mit einem Jugendlichen in Kontakt?Wenn es Ärger gibt. Und was machen wir dann? Wir kommen sofort zur Sache.Wir sprechen das an, was uns ärgert oder stört. Aber so haben wir keinen Beziehungskontext, den wir brauchen, bevor wir zur Sache kommen können.

Was Kinder brauchen

Bindung & Orientierung

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Wir sehen uns gerne als Verstandeswesen. Und dennoch ist der denkende Teilunseres Gehirns nur eine „dünne Schicht“, wohingegen ein weitaus größerer Teil der Schaltkreise in unserem Gehirn für die psychologischen Dynamiken der Bindungund Beziehung zuständig ist.

Beziehungen, die ermöglicht werden sollen:

Die Beziehung mit sich selbstDie Beziehung zu den Eltern und zu der weiteren FamilieBeziehung zu Lehrern, Mentoren etc.Beziehung zwischen den Jugendlichen(in der Hierarchie der Fürsorglichkeit - ältere mit jüngeren)Nicht unbedingt nur mit Gleichaltrigen – das führt zu Konkurrenz.Ältere mit jüngeren führt zu Fürsorge etc.

Bindung und der Orientierung gehören eng zusammen.Wenn Kinder größer werden, dann wächst auch ihr Orientierungsbedürfnis.Sie müssen einen Sinn dafür entwickeln, wer sie sind, was real ist, was gut ist,warum Dinge geschehen und was sie bedeuten.Gelingt es uns nicht, uns zu orientieren, so leiden wir an Orientierungslosigkeit, an psychischer Verirrung - ein Zustand, den es um beinahe jeden Preis zu vermeiden gilt.

Kinder und Jugendliche sind unfähig, sich allein zu orientieren; sie benötigen HilfeDie Eltern und andere Erwachsene, beispielsweise Lehrer, sind für Jugendlicheam besten als Orientierungspunkte geeignet.

Was Kinder brauchen

Bindung & Orientierung – konkurrierende Bindungen

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Müssten Kinder und Jugendliche nicht Bindungen zu ihren Eltern und Lehrernsowie gleichzeitig zu ihren Altersgenossen haben können?Das ist nicht nur möglich, sondern auch wünschenswert - solange diese verschiedenenBindungen nicht miteinander konkurrieren. Denn wenn Primärbindungen konkurrieren,wird eine von ihnen das Nachsehen haben.

Von den konkurrierenden Bindungen, welche die Autorität der Eltern und Lehrer untergraben,ist die zunehmende Fokussierung unserer Jugendlichen auf Gleichaltrige am stärksten.Zu starke oder gar ausschließliche Bindung zu Gleichaltrigen ist jedoch schädlich.

Jugendliche können sich nicht gleichzeitig an Erwachsenen und an anderen Jugendlichenorientieren. Man kann nicht gleichzeitig zwei sich widersprechenden Wegbeschreibungen folgen. Das Gehirn des Jugendlichen ist gezwungen, sich zwischen der Werten derErwachsenen und denen Gleichaltriger zu entscheiden.

Sollen denn Jugendliche keine gleichaltrigen Freunde haben?Ganz im Gegenteil - solche Verbindungen sind natürlich und erfüllen einen gesunden Zweck.Aber in unserer Gesellschaft ersetzen Bindungen zwischen Gleichaltrigen sehr oft die Beziehungen zu Erwachsenen als primäre Orientierungsquellen.

Unnatürlich ist nicht der Kontakt zwischen Gleichaltrigen an sich, sondern die Situation,dass mittlerweile der größte Einfluss auf die Entwicklung der Jugendlichen von anderenJugendlichen ausgeht.

Die Gleichaltrigenorientierung ist heutzutage so allgegenwärtig, dass sie sich zur Normentwickelt hat. Viele Psychologen und Pädagogen betrachten sie inzwischen als natürlich.Aber was normal ist - im Sinne einer Norm entsprechend - ist nicht unbedingtnatürlich oder gesund.

„Aber ist es nicht so, dass wir loslassen müssen?“, fragen viele Eltern und auch Lehrer.„Ist es nicht so, dass unsere Kinder von uns unabhängig werden müssen?“Ganz gewiss - allerdings erst, wenn unsere Aufgabe erfüllt ist.

Was Kinder brauchen

Die wesentlichen Säulen für eine gesunde Entwicklung

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Was Kinder brauchen

Liebeerfahren

Vertrauenerleben

Sicherheitspüren

Respekterleben

Achtungerleben

verstandenwerden

Optimismuserfahren

Gefühleerleben

Gewaltfreiheiterfahren

Mitsprachehaben

Neugierdeerleben

Zeit & Ruheerfahren

Was Kinder brauchen

Die wesentlichen Säulen für eine gesunde Entwicklung

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Kinder, deren seelische Grundbedürfnisse weitgehend befriedigt wurden,erlangen eine Einstellung zu sich und ihrer Welt, die dadurch gekennzeichnet sind:

• Ich bin (wer)• Ich kann (was)• Ich habe (etwas Bedeutsames)

Ich bin jemand, der sich von anderen Menschen und der Welt angenommen,Respektiert und geliebt fühlt und deshalb auch mit anderen Menschen,Tieren und der Natur respektvoll umgehen kann.

Ich kann mein Verhalten auch in schwierigen Situationen weitgehend kontrollieren und steuern.Ich kann meine unterschiedlichen Gefühle zulassen.Ich kann stolz auf meine eigenen Leistungen sein

Ich habe die Sicherheit in mir, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.Ich habe die Neugierde in mir, mein Leben lang dazulernen zu wollen.Ich habe die Stärke und den Mut, immer wieder dort neue Wege zu gehen, wo es nötig scheint.

Was Kinder brauchen

Die wesentlichen Säulen für eine gesunde Entwicklung

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Kinder brauchen Liebe, Mitgefühl, Einfühlungsvermögen, Zuwendung, Respekt –jeder von Ihnen könnte die Liste noch weiter fortsetzen.

Keine andere Spezies kommt mit einem derart offenen, lernfähigen und durch eigeneErfahrungen in seiner weiteren Entwicklung und strukturellen Ausreifung formbarenGehirn zur Welt wie der Mensch. Nirgendwo im Tierreich sind die Nachkommen beimErlernen dessen, was für ihr Überleben wichtig ist, so sehr und über einen vergleichbar langenZeitraum auf Fürsorge und Schutz, Unterstützung und Lenkung durch die Erwachsenen angewiesen, und bei keiner anderen Art ist die Hirnentwicklung in solch hohem Ausmaßvon der emotionalen, sozialen und intellektuellen Kompetenz dieser erwachsenen Bezugspersonen abhängig wie beim Menschen.

Nie wieder im späteren Leben ist ein Mensch so offen für neue Erfahrungen, So neugierig, so begeisterungsfähig und so lerneifrig und kreativ wie während der Phaseder frühen Kindheit. Aber dieser Schatz verkümmert allzu leicht und allzu vielenKindern geht ihr Entdeckergeist und ihre Lernfreunde bereits verloren, bevor sie indie Schule kommen. Die Ursache dieses allzu häufig zu beobachtenden Phänomenssind nicht die Kinder und auch nicht die Gehirne dieser Kinder.

Jedes Kind ist einzigartig und verfügt über einzigartige Potentiale zur Ausbildungeines komplexen, vielfach vernetzten und zeitlebens lernfähigen Gehirns. Ob und wiees ihm gelingt, diese Anlagen zu entfalten, hängt ganz wesentlich von denEntwicklungsbedingungen ab, die es vorfindet, und von den Erfahrungen, die eswährend der Phase seiner Hirnreifung machen kann. Jedes Kind braucht einmöglichst breites Spektrum unterschiedlichster Herausforderungen, um die in seinemGehirn angelegten Verschaltungen auszubauen, weiterzuentwickeln und zu festigen,und jedes Kind braucht das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, um neueSituationen und Erlebnisse nicht als Bedrohung, sondern als Herausforderungbewerten zu können. Beides gibt es nur in der intensiven Beziehung zu anderenMenschen, und es sind die frühen, in diesen Beziehungen gemachten und imkindlichen Hirn verankerten psychosozialen Erfahrungen, die seine weitereEntwicklung bestimmen und sein Fühlen, Denken und Handeln fortan lenken.

Was Kinder brauchen

Die wesentlichen Säulen für eine gesunde Entwicklung

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Die eigenen Eltern sind normalerweise diejenigen Personen, denen Kinder, wenn sie auf die Welt kommen, zunächst vorbehaltlos vertrauen. Wenn sich das Baby von ihnen verstanden fühlt und seine Bedürfnisse nach Nahrung, Wärme, Zärtlichkeit und Anregungen erfüllt werden, fühlt es sich in ihrer Gegenwart geschützt und geborgen.Diese Sicherheit-bietende Bindungsbeziehung ist die Voraussetzung dafür, dass einKind bereits im ersten Lebensjahr so viel Neues aufnehmen, Neues ausprobieren,und die dabei gemachten Erfahrungen in seinem Hirn fest verankern kann.

Vertrauen ist das Fundament, auf dem alle unsere Entwicklungsprozesse aufgebaut werden. Dieses Vertrauen muss während der Kindheit auf drei Ebenen entwickelt werden:

1) als Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten, Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Bewältigungen von Problemen

2) als Vertrauen in die Lösbarkeit schwieriger Situationen gemeinsam mit anderen Menschen

3) als Vertrauen in die Sinnhaftigkeit der Welt und ihr Geborgen- und Gehaltensein in der Welt.

Eltern, die selbst verunsichert sind oder ständig verunsichert werden, bieten dieschlechtesten Voraussetzungen dafür, dass dieses Vertrauen wachsen kann. Was Kinder also entweder stark oder schwach macht, hängt von den Stärkenund Schwächen der Erwachsenen ab, unter deren Obhut sie aufwachsen.

Dem Lerngenie der Kinder auf der Spur

Wie Kinder lernen

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Kleine Kinder kennen keine Lernschwierigkeiten.Sie leiden weder an schlechtem Gedächtnis, noch haben sie Probleme, Neues zu verarbeiten.Innerhalb kurzer Zeit lernen sie die Muttersprache .Sie besitzen die Fähigkeit, Laute zu hören und zu imitieren - sie speichern die Lauteund erkennen auch die grammatikalische Struktur.Welche Leistung dahinter steckt, wird deutlich, wenn Sie ein Grammatikbuch aufschlagen.

Das, was darin steht, lernt ein Kind mühelos.Am besten lernen Kinder, wenn Lernen mit Spielen verbunden ist.Denn alles, was Kinder sehen, hören und fühlen wird schnell zum Spiel.Das Bauen eines Turms aus Bauklötzen, das Werfen eines Steins oder das Kletternauf einen Baum - sofort entsteht ein Spiel. Kinder üben unermüdlich, wenn sie etwas lernen wollen.

Das Spiel hat im Leben eines Kindes nichts mit Freizeitgestaltung zu tun.Das Spiel ist der „Hauptberuf“ eines Kindes.

Das Ziel der ersten Lebensjahre ist, das kindliche Gehirn zu vernetzen.Je umfassender das Gehirn dabei angesprochen wird, desto besser erfolgt das Lernen.Dieses Lernen wird spätestens mit Beginn der Schule durch ein systematisches Lernen ergänzt oder ersetzt, das an vorgegebene Lerninhalte gebunden ist.

Nicht immer gelingt es in der Schule, die hohe Lernmotivation der Schulanfänger aufrechtzuerhalten und auf das Lernen in der Schule zu übertragen.

Nur im Stillsitzen kann man richtig lernen. Konzentration auf einen „Gegenstand„ -Vokabeln auswendig lernen. - vielen solchen Vorurteilen begegnen Kinder, wenn sie in die Schule kommen.

Kinder lernen jedoch auf unterschiedliche Weise und die Kunst des Unterrichts besteht darin, den Kindern verschiedene Zugänge zu den Lerninhalten zu ermöglichen. Das heißt, dass Kinder die Möglichkeit haben sollen, mit allen Sinnen zu lernen. Geschichten, Bilder und eigene Erfahrungen schaffen daher einen geeigneteren Zugang zu einem Thema als eine reine sach- und faktenorientierte Darstellung.

Dem Lerngenie der Kinder auf der Spur

Wie Kinder lernen

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Was bedeutet das für das Lernen mit Kindern?

Spielen ist LernenKinder brauchen keine neuen „Lernprogramme" - und schon gar nicht am Computer.Denn spielend gelernt wird nicht am Computer oder auf irgendwelchen Tischen,sondern dort, wo das Leben pulsiert:In Höhlen, auf Bäumen, in selbstgebauten Hütten, beim Sägen und Hämmern,beim Schätze entdecken, bei geheimnisvollen Erkundungen und in spannenden Projekten.Denn dort spielt sich das wirkliche Leben ab.

Und Kinder müssen ohne Angst lernen.Denn Angst macht krank, unkonzentriert, anpassungsbereit und schweigsam.

Dem Lerngenie der Kinder auf der Spur

Die Zauberkraft des Spiels

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Kinder müssen fast alles, worauf es in ihrem späteren Leben ankommt,durch eigene Erfahrung lernen. Fördern lässt sich dieser Prozess nur dadurch,dass man Räume und Gelegenheiten schafft, wo Kinder sich selbst erproben können.Am besten gelingt das im Spiel.

Zu den Erkenntnissen der Hirnforschung gehört die Entdeckung eines gehirneigenenBelohnungssystems. Kindliche Neugier, Entdeckerfreude und die damit verbundenenGlückserlebnisse führen zur Aktivierung dieses Belohnungssystems.

Wird dem Spiel eine hohe Bedeutung beigemessen, dann werden nicht nur Fähigkeitenwie Konzentration, Fantasie und Ausdauer neuronal gebahnt, sondern es wird auchgleichzeitig die im Spiel erfahrene Freude und Begeisterung mit diesen Fähigkeiten gekoppelt.Damit werden die grundlegenden Bahnungsprozesse im kindlichen Gehirn angelegt,Die später darüber entscheiden, ob sich ein Kind gerne neuen Aufgaben zuwendetund konzentriert lernen kann.

Allerdings scheint die Fähigkeit zu spielen sowohl bei vielen Kindern als auch bei Elternin beunruhigendem Maße verloren zu gehen.Viele Eltern spielen ungern. Die Folge ist, dass viele Kinder nicht mehr über ausreichendpositive Erfahrungen ihrer Selbstwirksamkeit verfügen.Das Haupterfahrungsfeld für Babys und Kinder ist jedoch das Spiel.

Einfach zum Nachdenken

Worauf Eltern achten sollten

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Nehmen Sie sich – auch am Ende eines anstrengenden Tages – Zeit, sich folgende Fragen zu stellen:

• Wie haben meine Kinder den heutigen Tag mit mir erlebt.Waren sie glücklich oder unglücklich, heiter oder bedrückt, optimistisch oder pessimistisch?Was habe ich als Elternteil dazu beigetragen, dass die Situation so ist, wie sie ist?

• Habe ich meine Kinder verstanden und ihre Entwicklungsmöglichkeiten unterstützt?

• Habe ich meine Kinder ernst genommen und konnte ich ihre Anliegen spüren und erkennen?

• Ist es mir gelungen, das Selbstwertgefühl meiner Kinder zu stärkenoder habe ich Verhaltensweisen gezeigt, die das Selbstwertgefühl herabgesetzt haben?

• Konnten meine Kinder wirklich zeigen, welche Fähigkeiten in ihnen stecken?

• War ich meinen Kindern gegenüber gerecht?

Einfach zum Nachdenken

. . . Einfach zum Nachdenken

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„Kinder brauchen Gemeinschaften,in denen sie sich geborgen fühlen,Aufgaben, an denen sie wachsen und Vorbilder, an denen sie sich orientieren können.“Prof. Dr. Gerald Hüther