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Universität Mannheim Abteilung Rechtswissenschaft RA Dr. Georg Streit Vorlesung Insolvenz und Sanierung - Grundlagen Frühjahrssemester 2009 Beginn : 20. Februar 2009 Zeit: Freitags von 10:00 bis 13:15 Uhr (Doppelvorlesung mit Pause) Hörsaal: EW 242 Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel.: 089/540 31 227, mail: [email protected]

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Universität Mannheim Abteilung Rechtswissenschaft

RA Dr. Georg Streit

Vorlesung Insolvenz und Sanierung - Grundlagen

Frühjahrssemester 2009

Beginn: 20. Februar 2009Zeit: Freitags von 10:00 bis 13:15 Uhr (Doppelvorlesung mit Pause)Hörsaal: EW 242

Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Prinzregentenstr. 48, 80538 München,

Tel.: 089/540 31 227, mail: [email protected]

Gliederung

I. Einleitung und Grundlagen

Literatur zur Vorlesung

Ziele des Insolvenzrechts

Wirtschaftlicher Hintergrund

Überblick über die Verfahrensarten der InsO

Überblick über ein Regelinsolvenzverfahren

II. Die Verfahrensbeteiligten

Insolvenzschuldner

Insolvenzgericht

Insolvenzverwalter

Insolvenzgläubiger (Abgrenzung: Massegläubiger)

Gläubigerversammlung und Gläubigerausschuss

III. Insolvenzeröffnungsverfahren

Eröffnungsantrag

Sicherungsmaßnahmen des Insolvenzgerichts

„Starker“ und „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter

Insolvenzgründe

Deckung der Verfahrenskosten („Massearmut“)

Entscheidung des Insolvenzgerichts

IV. Auswirkungen der Verfahrens- eröffnung

Rechtsposition des Schuldners nach Verfahrenseröffnung

Beschlagnahme des Schuldnervermögens

Verfügungen des Schuldners nach Eröffnung/Verkehrsschutz

Vollstreckungsverbot und Rückschlagsperre

Unterbrechung schwebender Rechtsstreite

V. Das Wahlrecht des Insolvenz- verwalters/Insolvenzarbeitsrecht

Dogmatik des Wahlrechts

Ablehnung und Erfüllungsverlangen

Einschränkungen des Wahlrechts

(Vormerkung, Eigentumsvorbehalt, Leasing, Miete, Pacht)

Insolvenzarbeitsrecht

VI. Von der Ist-Masse zur Soll-Masse (I.)

Aussonderung

Absonderung

Aufrechnung

Forderungseinzug

Befriedigung der Massegläubiger

Sonderproblem: „Masseunzulänglichkeit“

VII. Von der Ist-Masse zur Soll-Masse (II.)

Insolvenzanfechtung, allgemeine Voraussetzungen

Anfechtungsgründe

Rechtsfolgen der Anfechtung

VIII. Forderungsfeststellung und Masse- verwertung

Forderungsanmeldung/-prüfung

Widerspruch gegen Forderungsfeststellung

Masseverwertung

insbesondere: Übertragende Sanierung

IX. Masseverteilung und Verfahrens- beendigung

Abschlagsverteilung

Schlussverteilung

Nachtragsverteilung

Verfahrensaufhebung

Verfahrenseinstellung

X. Insolvenzplan und Eigenverwaltung

Überblick/Zweck Insolvenzplan- verfahren

Inhalt eines Insolvenzplans

Wirksamkeitserfordernisse eines Insolvenzplans

Verfahren nach Bestätigung eines Insolvenzplans

Eigenverwaltung als besondere Verfahrens- art

XI. Restschuldbefreiung und besondere Vefahrensarten

Restschuldbefreiung: Ziele des Gesetz- gebers

Schritte bis zur Restschuldbefreiung

Verfahrenskostenstundung bei Restschuld- befreiung

Verbraucherinsolvenzverfahren (Ziele des Gesetzgebers, außergerichtliche und gerichtliche Einigungsversuche, vereinfachtes Insolvenzverfahren)

Nachlassinsolvenzverfahren

Insolvenzverfahren über Gesamtgut

XII. Internationales Insolvenzrecht

Gegenstand des internationalen Insolvenzrechts

EG InsO

EU Insolvenz VO

Hinweise: Die Vorlesung vermittelt die notwendigen Grundkenntnisse, die jeder Jurist im Insolvenzrecht besitzen sollte. Sie ist mit den Blockveranstaltungen der Insolvenzpraktiker zum selben Thema abgestimmt und deckt die Grundlagen im Wahlbereich Insolvenz und Sanierung.

Teilnehmer sollten zur Vorlesung den Text der Insolvenzordnung mitbringen.

Literaturempfehlung: Foerste, Insolvenzrecht, 4. Aufl. 2008, C.H. Beck

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Literatur zur Vorlesung

Lehrbücher:• Foerste, Insolvenzrecht, 4. Aufl. 2008

(Verlag: C.H. Beck, Grundrisse des Rechts, EUR 19,90, gut zu lesen, Beispielfälle, gelungener Umfang)

• Zimmermann, Grundrisse des Insolvenzrechts 7. Aufl. 2008 (Verlag C. F. Müller)

• Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, 4. Aufl. 2005 (Verlag: Mohr Siebeck)

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Literatur zur Vorlesung

Kommentare:• Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 2. Aufl. 2007 (ZAP,

handlich, gelungen und praxistauglich)• Braun, Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2007 (Beck, „Palandt-Format“,

ca. EUR 100)• Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 12. Aufl. 2003 (Vahlen, ca. EUR

150, „Klassiker“)• Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 5. Aufl. 2009• Insolvenzordnung (Heidelberger Kommentar zur Insolvenzord-

nung), 5. Aufl. 2009• Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung (Loseblattsammlung)• Hess/Weiss/Wienberg, InsO, 3. Aufl. 2006 (1. Bd. InsO, 2. Bd.

InsVV)• Kübler/Prütting, Insolvenzordnung (Loseblattsammlung, 3-bändig)• Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, Bd. 1, 2. Aufl. 2007,

Bd. 2 und 3, 2. Auflage 2008• Jaeger/Henkel/Gerhardt, InsO, (Großkommentar, Bd. 1, 1. Aufl.

2004, Bd. 2, 1. Aufl. 2007, Bd. 4, 1. Aufl. 2008 )• Blersch/Goetsch/Haas, Berliner Kommentar Insolvenzrecht,

(Loseblatt)• Smid, Insolvenzordnung, 2. Aufl. 2001

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Literatur zur Vorlesung

Zeitschriften:• ZIP (Zeitschrift für Wirtschaftsrecht; gute Abdeckung des

Insolvenzrechts)• ZInsO (Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht;

Spezialzeitschrift) • NZI (Neue Zeitschrift für Insolvenzrecht; Spezialzeitschrift)• KTS (Zeitschrift für Konkurs-, Treuhand- und

Schiedsgerichtswesen; Spezialzeitschrift)

Entscheidungssammlung: EWiR (Entscheidungen zum Wirtschaftrecht; Zeitschrift mit sehr prägnanten Zusammenfassungen aller wichtigen Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht, nie mehr als 2 Seiten, dabei ein Schwerpunkt auf InsO; empfehlenswert)

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Literatur zur Vorlesung

Für Detailfragen: Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl. 2000 (Sammlung von Aufsätzen, vielfach von Paktikern)

Handbuch: Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl 2007

Für Betriebswirte: Haarmeyer/Stoll, “Guter Rat bei Insolvenz”, Beck-Rechtsberater, 3. Aufl. 2008 (nicht vom Titel abschrecken lassen, gute Einführung mit Hintergrundberichten und Interviews, Mustern, Beispielen, Ablaufschemata)

Wichtig: Nicht in Details verlieren. Die Folien zur Vorlesung, die den relevanten Stoff enthalten, werden nach der Vorlesung jeweils per mail zur Verfügung gestellt. Sinnvoll ist es, die bewusst knappen Literatur- und Rechtsprechungszitate nachzulesen

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 I./1 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Universität MannheimFakultät für Rechtswissenschaft

Vorlesung Insolvenzrecht

I. Einführung und Überblick über die Verfahren der InsO

Frühjahrssemester 2009

Diese Arbeitsunterlage ist unvollständig ohne den begleitenden mündlichen Vortrag.

Vortrag und Arbeitsunterlage sind urheberrechtlich geschützt.

Rechtsanwalt Dr. Georg Streit, München

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 I./2 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Ziele des Insolvenzrechts (I)

• optimale Haftungsverwirklichung („Heranziehung aller Werte“ im Gegensatz zur Einzelzwangsvollstreckung: Pfändung bestimmter einzelner Vermögensgegenstände)

• optimale Gläubigerbefriedigung in Knappheitssituation (vgl. § 1 Satz 1 InsO, „Verwertung aller Werte“ E-ZV)

• gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger: Außerkraftset- zung des Prioritätsprinzips der Einzelzwangsvollstreckung(vgl. §§ 704 ff., 804 Abs. 3, 808 Abs. 1, 829 Abs. 3 ZPO E-ZV bildlich: „Jeder marschiert für sich, wer zuerst kommt, mahlt zuerst“)

Verhinderung des „Gläubigerwettlaufs („concursuscreditorum)“ (bildlich: „Einer marschiert für alle, nämlich der Insolvenzver-walter“)

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 I./3 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Ziele des Insolvenzrechts (II)

Gleiche Bedingungen für alle Gläubiger: par conditio creditorum

Bsp.: Die Schuldner-GmbH hat ein Vermögen von 50 TEURO und die 5 Gläubiger A – E, deren Forderungen jeweils 40 TEURO betragen. Die Forderungen werden nahezu gleichzeitig fällig.

Gläubiger A hat die besten Informationen über die Schuldner- GmbH und könnte sich durch schnelles Handeln mit Erkenntnis- und Zwangsvollstreckungsverfahren nach der ZPO volle Befriedigung sichern. Für den “zweitschnellsten” Gläubiger B stünden danach noch 10 TEURO als Haftungsmasse zur Verfügung. Die übrigen 3 Gläubiger würden ohne die Vorgaben des Insolvenzrechts leer ausgehen. Wie wirkt das Insolvenzrecht in diesem Beispielfall?

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 I./4 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Ziele des Insolvenzrechts (III)

• quotale (bestmögliche) Befriedigung der Gläubiger

Bsp. (vgl. oben): Schuldnervermögen 50 TEURO (Aktivmasse), Gläubigerforderungen 5 x 40 TEURO = 200 TEURO (Passivmasse), Quote 50/200 TEURO = ¼ = 25%. Gläubiger A mit Forderung 40 TEURO erhält 25% hiervon, also 10 TEURO (vereinfacht, in der Praxis würden Verfahrenskosten, § 54 InsO und weitere Masseverbindlichkeiten, vgl. § 55 InsO, die vorab aus der Aktivmasse zu befriedigen sind, vgl. § 53 InsO, die Quote noch schmälern)

Aktivmasse (abzgl. Verbindlichkeiten gem. §§ 54 f. InsO)Grundsätzlich gilt für alle: --------------------- = Quote

Passivmasse

Weitere Ziele:

• Restschuldbefreiung für den „redlichen Schuldner“ (§ 1 Satz 2 InsO §§ 286 ff. InsO)

• Ermöglichung einer Erhaltung wirtschaftlicher Werte (im Interesse der Insolvenzgläubiger!) durch Ermöglichung des Unternehmenserhalts im Insolvenzplanverfahren (vgl. § 1 Satz 1, 2. Alt. InsO §§ 217 ff. InsO)

Statistische Angaben zur Zahl der Insolvenzen

Insolvenzen in Deutschland 2008:

– rund 30.000 Unternehmensinsolvenzen, erster Anstieg (2,2%) seit 5 Jahren

– rund 127.000 Verbraucherinsolvenzen (Rückgang gegenüber 2007 um 6,4%)

• Gesamtinsolvenzzahl Westeuropa (2007): 240.000

• Inzwischen wird aufgrund der Entwicklung der makroökonomischen Situation eine „dramatische Insolvenzwelle“ erwartet (Euler Hermes, Insolvenzprognose 2009, 1.12.2008)

• Schätzung: Bis zu 35.000 Firmenpleiten in 2009. Auch bei den Verbraucherinsolvenzen wird mit einem deutlichen Anstieg gerechnet

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 I./5Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Der gesetzliche Rahmen (I)

• Insolvenzordnung (InsO), verkündet am 5. Oktober 1994 (BGBl. I, 2866), in Kraft seit 1.1.1999, zahlreiche Änderungen, z.B. mit Gesetz vom 26.10.2001 (BGBl. I, 2710), in Kraft seit 1.12.2001 (Änderungen Verbraucherinsolvenz, Insolvenzausfallgeld) und mit Gesetz vom 23.10.2008 (BGBl. I, 2026) in Kraft seit 01.11.2008 (MoMiG – Gesetz zur Modernisierung des GmbH- Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen)

• Als Nachfolgerin mehrerer Vorgängergesetze und nach langer Vorbereitungsphase

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Der gesetzliche Rahmen (II)

• Konkursordnung (KO “Perle” der “altehrwürdigen” Reichsjustizgesetze vom 10.02.1877, RGBl. I, 351): Abgelöst durch die Insolvenzordnung, weiterhin gültig für vor Inkrafttreten der InsO beantragte Konkursverfahren in den Altbundesländern (vgl. Art. 103 EGInsO Antrag vor 1.1.1999 = KO)

“Konkurs des Konkurses”, aufgrund der publizitätslosen Sicherheit (Sicherungsübereignung, Sicherungszession) und Auszehrung der Konkursmassen vor Konkurseröffnung war die Ablehnung der Konkurseröffnung mangels Masse der Regelfall geworden (75%, dazu 20% Einstellungen mangels Masse)

• Vergleichsordnung (VglO vom 26.02.1935, RGBl. I, 321): Vorläufer des Insolvenzplanverfahrens, kam in den letzten Jahrzehnten vor Inkrafttreten der InsO kaum noch zur Anwendung (Mindestquote von 35% gem. § 7 Abs. 1 VglO)

• Gesamtvollstreckungsordnung (GesO): Nach dem Einigungsvertrag in den fünf neuen Bundesländern bis zum Inkrafttreten der InsO und für vorher beantragte Verfahren (Art. 103 EG InsO) fortgeltendes Insolvenzrecht der DDR (Neufassung vom 23.05.1991 BGBl. I, 1185)

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 I./7 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Die Ziele der Insolvenzrechtsreform 2001 (I)

• Vereinheitlichung des Insolvenzrechts (KO, VglO, GesO InsO)• Mehr eröffnete Verfahren/weniger Abweisungen mangels Masse:

• Neuer Insolvenzgrund „drohende Zahlungsunfähigkeit“ (§ 18 InsO)

• Haftungsanspruch zur Absicherung des Verfahrenskostenvorschusses (§ 26 Abs. 3 InsO, Vorauss: Inso- Antrag pflichtwidrig zu spät gestellt § 15a InsO)

• Massestärkung durch Einbeziehung von Neuvermögen (§ 35 InsO)

• Kostenbeiträge der Sicherungsnehmer (§§ 170, 171 InsO)

• Verschärfung des Anfechtungsrechts (z. B. Fristanknüpfung an Insolvenzantrag und nicht an Verfahrenseröffnung, §§ 129 ff. InsO

• Beseitigung der Konkursvorrechte (z. B. Lohnrückstände, vgl. §§ 38, 39 InsO; aber Insolvenzgeld)

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 I./8 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Die Ziele der Insolvenzrechtsreform 2001 (II)

• Erleichterung der Unternehmenssanierung (Insolvenzplan, §§ 217 ff. InsO) und übertragende Sanierung (vgl. dazu Regelungen in §§ 160 ff. InsO)

• Größere Flexibilität (Eigenverwaltung, §§ 270 ff. InsO, Insolvenzplanverfahren, vgl. oben)

• Stärkung der Gläubigerautonomie (Insolvenzplanverfahren, §§ 217 ff. InsO)

• Lösung der „Schuldturmproblematik“ durch Restschuldbefreiung (§§ 286 ff. InsO)

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 I./9 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 I./10 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Die Ziele des Refomgesetzgebers (MoMiG 2008) in Bezug auf die InsO

• Rechtsformübergreifende, insolvenzrechtliche Anknüpfung der Insolvenzantragspflicht (§ 15a InsO)

• Insolvenzantragspflicht auch bei Führungslosigkeit (§ 15a Abs. 3 InsO)

• „Abschaffung“ des Eigenkapitalrechts

• Liberalisierung des Rechts der Eigenkapitalaufbringung und Erhaltung

Überblick über die Verfahrensarten der InsO

• Arten des Insolvenzverfahrens:

1. Reguläres Verfahren

Regelverfahren: Masseverwertung nach gesetzlichen Regelvorschriften, §§ 35 ff. InsO

Insolvenzplanverfahren: §§ 217 ff. InsO, Masseverwertung/Verteilung entsprechend einer vom Gericht bestätigen „Einigung“ zwischen den Gläubigern untereinander und – mit Einschränkungen, vgl. § 247 InsO – dem Schuldner

2. SonderverfahrenVerbraucher/Kleinverfahren, §§ 304 ff. InsO:Schuldner natürliche Person, keine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit bzw. überschaubare Vermögensverhältnisse trotz früherer Selbständigkeitaußergerichtlicher Schuldenbereinigungsversuch, gerichtlich moderierter Schuldenbereinigungsversuch, bei Scheitern: Vereinfachtes Insolvenzverfahren

3. Insolvenzverfahren über Sondervermögen: Nachlassinsolvenz, §§ 315 ff. InsO, Insolvenzverfahren über Gesamtgut, §§ 332 ff. InsO

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 I./11 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Überblick über ein Regelinsolvenzverfahren (I)

• Insolvenzantrag, § 13 InsO durch Schuldner oder Gläubiger (keine Einleitung von Amts wegen)

• Zulässigkeitsprüfung durch Insolvenzgericht bei Gläubigeranträgen, § 14 InsO (Insolvenzfähigkeit des Schuldners, Glaubhaftmachung des Insolvenzgrunds)

• Zustellung eines zulässigen Gläubigerantrags an den Schuldner, Anhörung des Schuldners, § 14 Abs. 2 InsO

• Begründetheitsprüfung: Tatsächliches Vorliegen eines Insolvenzgrundes (§§ 16 ff. InsO), verfahrenskostendeckende Masse (§ 26)?

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 I./12 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Überblick über ein Regelinsolvenzverfahren (II)

• Sicherungsmaßnahmen des Insolvenzgerichts während der Schwebezeit (z. B. vorläufiger Insolvenzverwalter, allgemeines Verfügungsverbot gegen den Schuldner, vgl. §§ 21 ff. InsO)

• Insolvenzeröffnungsbeschluss, § 27 InsO, bei Begründetheit des Insolvenzantrags, Veröffentlichung (§ 30 InsO),

– Bestellung des Insolvenzverwalters (§§ 27, 56 InsO), – Fristbestimmung für Forderungsanmeldung (§ 28 InsO)-> max. 3

Mo., – Berichtstermin (§§ 29 Abs. 1 Nr. 1, 157 InsO)-> max. 3 Mo., – Prüfungstermin (§§ 29 Abs. 1 Nr. 2, 176 InsO)-> max. 3+2 Mo.

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 I./13 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Überblick über ein Regelinsolvenzverfahren (III)

• Beschlagnahme des Schuldnervermögens mit Insolvenzeröffnung, Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis bzgl. Der Insolvenzmasse auf Insolvenzverwalter, § 80 InsO („Amtstheorie“)

• Insolvenzverfahren werden nicht „über Unternehmen“, sondern über das Vermögen eines Rechtsträgers eröffnet.

• Insolvenzschuldner ist die juristische Peron/Personengesellschaft. Diese bleibt auch nach der Eröffnung bestehen. Die Gesellschaftsanteile bestehen zunächst fort. Die Gesellschaftsanteile fallen nicht in die Insolvenzmasse. Die Geschäftsorgane bestehen neben dem Insolvenzverwalter weiter.

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 I./14 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Überblick über ein Regelinsolvenzverfahren (IV)

• Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Insolvenzverwalter und Gesellschaftsorganen durch Einteilung in drei Zonen:

1. Verdrängungsbereich: Insolvenzrecht, Alleinzuständigkeit des Verwalters bei Vermögensbezug (Verwertung des Gesellschaftsvermögens, auch im Fall des § 179a AkzG und in „Holzmüller-Fällen“, daher kein Hauptversammlungsbeschluss erforderlich)

2. Schuldnerbereich: Gesellschaftsrecht, Alleinzuständigkeit der Gesellschaftsorgane bei gänzlich fehlender Masserelevanz

3. Überschneidungsbereich: Feststellung der Zuständigkeit im Einzelfall, Abgrenzugskriterium ist die Masserelevanz.

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 I./15 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Überblick über ein Regelinsolvenzverfahren (V)

• Besitzergreifung durch den Insolvenzverwalter (§ 148 InsO), Inventarisierung der Masse (§ 151 InsO)

• Von der „Ist-Masse“ zur „Soll-Masse“: Aussonderung massefremder Gegenstände (§ 47 InsO), Herausgabe unpfändbarer Gegenstände an den Schuldner (§ 36 InsO §§ 811 ff., 850 ff. ZPO)

• Möglichkeit der Freigabe von Massegegenständen, deren Verwertung nicht sinnvoll oder nicht möglich erscheint. Freigabemöglichkeit auch bei Gewerbebetrieben von Selbständigen (§ 35 Abs. 3 InsO)

• Forderungseinziehung durch den Insolvenzverwalter, ggf. Rückholung von Vermögenswerten durch Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO)

• Von der „Soll-Masse“ zur „Teilungs-Masse“ durch Verwertung (§ 159 InsO) der vorhandenen Vermögenswerte („Soll-Masse“ = „Aktiv-Masse“)

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 I./16 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Überblick über ein Regelinsolvenzverfahren (VI)

• Feststellung der Insolvenzforderungen (§ 178 InsO) in ihrer Gesamtheit: „Passivmasse“

• Erstellung des Verteilungsverzeichnisses, § 188 InsO, ggf. Abschlagsverteilungen, § 187 Abs. 2 InsO, Schlussverteilung, § 196 InsO

• Schlusstermin, § 197 InsO und Aufhebung des Insolvenzverfahrens, § 200 InsO

• Anschließend: Freies Nachforderungsrecht der Insolvenzgläubiger hinsichtlich ihrer nicht befriedigten Forderungen, § 201 InsO, ggf. jedoch Restschuldbefreiung, §§ 286 ff. InsO, Ankündigung durch das Insolvenzgericht im Schlusstermin, §§ 289, 291 InsO, ggf. Erteilung der Restschuldbefreiung nach 6-jähriger Wohlverhaltensperiode, § 300 InsO

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 I./17 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Fälle (Vorbereitung Vorlesung II):

• In der XY OHG gibt es zwei Gesellschafter (X und Y). X möchte einen Insolvenzantrag stellen, Y widerspricht. Kann X den Antrag stellen, wenn ja, mit welcher Begründung?

• Wie wäre es, wenn es sich um die XY GmbH & Co. KG handeln würde und X und Y mit ihren unterschiedlichen Auffassungen alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer der Komplementär GmbH wären: Gibt es in diesem Fall eine Antragspflicht, wenn ja, unter welchen Voraussetzungen?

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 I./18 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 II. Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Universität MannheimFakultät für Rechtswissenschaft

Vorlesung Insolvenzrecht

II. Die Verfahrensbeteiligten

Frühjahrssemester 2009

Diese Arbeitsunterlage ist unvollständig ohne den begleitenden mündlichen Vortrag.

Vortrag und Arbeitsunterlage sind urheberrechtlich geschützt.

Rechtsanwalt Dr. Georg Streit, München

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 II./2 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Übersicht:

„Schafft“ Verfahrensrahmen für die Vermögensverwertung, Aufsicht

über Insolvenzverwalter Insolvenzgericht

„Zentralfigur“, Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse, Forderungs-

feststellung, Erlösverteilung

§§ 2 ff. InsO

Insolvenzverwalter §§ 56 ff. InsO

Gläubiger Schuldner

§§ 38 ff. InsO §§ 11, 12 InsO

Gläubigerversammlung Gläubigerausschuss

§§ 74 ff. InsO §§ 67 ff. InsO

Grds. kontradiktorisches Verfahren (§ 4 InsO ZPO), aber Einschränkungen (insbes. § 5 InsO Ermittlung v.A.w.)

(nach Eidenmüller)

RA Dr. Georg Streit HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 II./3 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Insolvenzschuldner• Insolvenzfähigkeit (Fähigkeit, am Insolvenzverfahren als Schuldner beteiligt

zu sein), § 11 InsO: - natürliche Personen - juristische Personen des Privatrechts (AG, GmbH, Genossenschaft,rechtsfähiger Verein, KGaA) Insolvenzeröffnung ist rgm. Auflösungsgrund, beseitigt aber -noch- nicht dieRechtsfähigkeit, Vertretung im Insolvenzverfahren durch ihre Organe

- nicht rechtsfähige Vereine (§ 11 Abs. 1 S. 2 InsO)- Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit (OHG, KG auch GmbH & Co.

KG, PartG, GbR, Partenreederei (§ 489 HGB), EWIV) str., ob Schuldner imInsolvenzverfahren diese Gesellschaften sind oder deren Gesellschafter (mitBeschränkung des Insolvenzverfahrens (nicht unbedingt der Haftung!) aufdas Gesellschaftsvermögen, sog. „Sonderinsolvenzverfahren“; für ersteresspricht die weitgehende Annäherung der Personengesellschaften anjuristische Personen (§§ 124 Abs. 1, 161 Abs. 2 HGB bzw. die Rechtsfähigkeit der GbR nach der BGH-Rechtsprechung (BGH NJW 2001, 1056)

- Vorgesellschaften und Gesellschaften in Liquidation sind ebenfallsinsolvenzfähig

- Auch Auslandsgesellschaften, insbesondere die UK Ltd. mit Verwaltungssitz inDeutschland, vgl. zur Insolvenzverschleppungshaftung eines Directors gem. §§ 64 Abs.1 GmbHG (heute: § 15a Abs. 1 InsO) i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB LG Kiel, BB 2006, 1468 ff., siehe auch Schumann, ZIP 2007, 1189 ff.; dies gilt erst recht, seit die Insolvenzantragspflicht rechtsformübergreifend in § 15a InsO geregelt ist (vor dem MoMiG: § 64 Abs. 2 GmbHG, § 92 Abs. 2 AktG)

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Insolvenzschuldner / Sonderinsolvenzverfahren

• Nicht insolvenzfähig sind die GbR in Form der reinen Innengesellschaft und die stille Gesellschaft (Grund: rein schuldrechtliche Beziehung der Gesellschafter untereinander ohne für den Haftungszugriff der Gläubiger abgrenzbaren Haftungsverband)

• Sonderinsolvenzverfahren über einen Nachlass (§§ 315 ff. InsO) und das Gesamtgut bei Gütergemeinschaft (vgl. § 332 ff. InsO, § 11 Abs. 2 Nr. 2 InsO)

Ausnahmen vom Prinzip der Universalinsolvenz: Schuldner und Verfahrensbeteiligte sind Erbe bzw. Ehegatten, das Verfahren beschränkt sich aber auf das ererbte Vermögen bzw. das Gesamtgut

• Einschränkungen bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts, § 12 InsO: - insolvenzunfähig sind der Bund und die Länder - andere juristische Personen des öffentlichen Rechts sind

insolvenzunfähig, wenn das Landesrecht dies bestimmt (dies gilt insgesamt für Gemeinden und Gemeindeverbände, Grund: Daseinsvorsorge)

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• Den Insolvenzschuldner (bzw. dessen Organe) treffen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten (§ 97 InsO)

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Insolvenzgericht• Sachliche Zuständigkeit: Amtsgerichte, in deren Bezirk ein Landgericht

seinen Sitz hat für diesen LG-Bezirk, § 2 Abs. 1 InsO (ausschließliche Zuständigkeit, keine Prorogation vgl. § 4 InsO i.V.m. § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO), wobei § 2 Abs. 2 InsO abweichende Landesregelungen ermöglicht.

• Örtliche Zuständigkeit: Gemäß § 3 Abs. 1 InsO ist ausschließlich das Insolvenzgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand (vgl. §§ 12-17 ZPO), bzw. bei Abweichung vom allgemeinen Gerichtsstand vorrangig gegebenenfalls den Mittelpunkt seiner selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit hat (Verwaltungssitz, nicht Produktion)

Problematik der „des „forum shopping“/ der „professionellen GmbH Bestattung“; instruktiv der Sachverhalt von OLG Schleswig, DB 2004, 753.

Forum Shopping auch im internationalen Bereich, vgl. Vorlesung XII („Fall Schefenacker“)

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Insolvenzgericht

• Funktionelle Zuständigkeit:

– Richter am Amtsgericht als Insolvenzrichter bis einschließlich zum Insolvenzeröffnungsbeschluss (Verwalterauswahl!)

– daneben Kompetenz des Richters gemäß § 18 Abs. 2 RPflG

– im Übrigen ist grundsätzlich der Rechtspfleger zuständig (§ 3 Nr. 2 lit. e RPflG).

Daher entscheidet der Rechtspfleger grundsätzlich überAufhebung und Einstellung des Insolvenzverfahrens und führtdie Rechtsaufsicht über den Insolvenzverwalter. Er entscheidetüber den Insolvenzplan und die Anordnung derEigenverwaltung sowie über die Festsetzung derVerwaltervergütung

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 II./7 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Verfahrensgrundsätze des Insolvenzgerichts

• Im Insolvenzverfahren sind gemäß § 4 InsO die Vorschriften der ZPO entsprechend anzuwenden, falls nichts abweichendes geregelt ist (Insolvenzrecht als Gesamtvollstreckung)

• Im Gegensatz zur ZPO (Verhandlungsmaxime) gilt im Insolvenzverfahren allerdings gem. § 5 InsO der Grundsatz der Amtsermittlung (erst ab Begründetheitsprüfung nach zulässigem Eröffnungsantrag: BGH NJW 2003, 1187)

• Hinweis: Der Amtsermittlungsgrundsatz schließt keinesfalls aus, dass Beteiligte, insbes. Gläubiger und Schuldner, von sich aus Hinweise zum Sachverhalt gegenüber dem Insolvenzgericht erteilen. Praxis: Sachaufklärung des Insolvenzgerichts hauptsächlich über den (vorläufigen) Insolvenzverwalter

• Das Insolvenzverfahren ist “gläubigeröffentlich”, mündliche Verhandlungen sind gem. § 5 Abs. 2 InsO freigestellt, Akteneinsicht steht den Verfahrensbeteiligten zu (vgl. §§ 154, 175 Abs. 1 S. 2, 188 S. 2 InsO); zu Spezialfällen und im Übrigen § 4 InsO i.V.m. § 299 ZPO. Zu Zustellungen und öffentlichen Bekanntmachungen vgl. §§ 8, 9 InsO

Rechtsschutz

• Rechtsschutz: Sofortige Beschwerde in den durch die InsO selbst zugelassenen Fällen, § 6 Abs. 1 InsO (gleich ob Entscheidungen des Richters oder Rechtspflegers angefochten werden, vgl. § 11 Abs. 1 RPflG). Frist: 2 Wochen (§§ 4 InsO, 569 Abs. 1 ZPO, Notfrist!), Abhilfemöglichkeit (§§ 4 InsO, 572 Abs. 1 S. 1 ZPO)

• Soweit keine sofortige Beschwerde durch die InsO vorgesehen ist, können Entscheidungen des Rechtspflegers mit der Rechtspfleger-Erinnerung (§ 11 Abs. 2 RPflG) angefochten werden

• Soweit das Landgericht als Beschwerdegericht über die sofortige Beschwerde gegen Entscheidungen des Rechtspflegers oder Insolvenzrichters entschieden hat, ist bei grundsätzlicher Bedeutung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Rechtsbeschwerde statthaft (§§ 7 InsO, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), die innerhalb eines Monats zum Bundesgerichtshof einzulegen ist (§§ 4 InsO, 575 Abs. 1 S. 1 ZPO, 133 GVG)

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Staatshaftung

• Bei Amtspflichtverletzungen des Insolvenzgerichts (sowohl des Richters wie auch des Rechtspflegers) haftet das jeweilige Bundesland als Anstellungskörperschaft ggf. gem. Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB. Das Spruchrichterprivileg gem. § 839 Abs. 2 BGB gilt für Fehler des Insolvenzgerichts regelmäßig nicht (keine „Urteile“ im Sinne des § 839 Abs. 2 BGB). Denkbare Amtspflichtverletzungen sind Fehler bei der Reaktion auf den Insolvenzantrag (Verzögerung bzw. voreilige Eröffnung; Außerachtlassung von Sicherungsmaßnahmen im vorläufigen Insolvenzverfahren etc.)

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Insolvenzverwalter (I)

• Zu unterscheiden ist der Insolvenzverwalter im eröffneten Insolvenzverfahren von einem eventuell durch das Insolvenzgericht im Insolvenzeröffnungsverfahren eingesetzten vorläufigen Insolvenzverwalter (vgl. § 21 Abs. 2 Nr. 1, § 22 InsO). Für den vorläufigen Insolvenzverwalter (ähnlich früher unter der KO: Sequester) gelten allerdings die meisten Regelungen zum Insolvenzverwalter entsprechend

• Der Insolvenzverwalter ist die „Zentralfigur“ des Insolvenzverfahrens. Schwächere Positionen haben der Sachwalter bei einem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung (vgl. §§ 270 Abs. 1, 274 InsO) und der Treuhänder beim Verbraucherinsolvenzverfahren (vgl. §§ 304, 311, 313 InsO)

• Die grundsätzlich starke Stellung resultiert aus der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse, die mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter übergeht: § 80 Abs. 1 InsO

• Bestellung durch das Insolvenzgericht (Insolvenzrichter) mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Beschluss gemäß § 27 InsO (bzw. als vorläufiger Insolvenzverwalter gem. §§ 21 ff. InsO)

• Annahme (auch konkludent durch Aufnahme der Tätigkeit) erforderlich. Bestellungsurkunde (vgl. § 56 Abs. 2 InsO) nur deklaratorisch

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Insolvenzverwalter (II)

• Persönliches „Amt“ (keine Bestellung einer Sozietät). Auswahlkriterien: Eignung im Einzelfall, Geschäftskundigkeit, Unabhängigkeit gegenüber Gläubigern und Schuldnern, natürliche Person. Juristische Qualifikation (Examina) nicht erforderlich, wohl jedoch Kenntnisse des Insolvenzrechts und (bei Unternehmensinsolvenz) Kenntnisse im Arbeits-, Steuer- und Gesellschaftsrecht, daneben Rechnungslegungskenntnisse. Zumeist RA, häufiger werden auch WP und StB bestellt

• Auswahlprozess problematisch („bekannt und bewährt“, „Listenproblematik“), Art. 12 GG, vgl. BVerfG, ZInsO 2006, 869; OLG Düsseldorf ZInsO 2008, 1083. Tendenz in der Praxis: Wachsende Bedeutung der Gläubigerinteressen)

• Möglichkeit konstruktiver Abwahl des Insolvenzverwalters durch die Gläubigerversammlung gemäß § 57 InsO mit Summen- und Kopfmehrheit in der ersten Gläubigerversammlung (Berichtstermin, § 156 InsO)

• Aufsicht des Insolvenzgerichts gemäß § 58 InsO (Rechtspfleger) mit Auskunftsrecht und Berichtspflicht (Durchsetzung: Zwangsgeld)

• Ggf. Überwachung durch den Gläubigerausschuss (§§ 67 ff. InsO, vgl. unten)

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Insolvenzverwalter (III)

• Ende des Amtes durch: Entlassung aus wichtigem Grund durch das Insolvenzgericht (Insolvenzrichter, AG Göttingen ZIP 2003, 590) gemäß § 59 Abs. 1 InsO, konstruktive Abwahl (§ 57 InsO), Aufhebung des Insolvenzverfahrens (vgl. § 200 InsO) bzw. Einstellung des Verfahrens, §§ 207 ff. InsO

• Vergütungsanspruch gem. §§ 63 ff. InsO. Festsetzung durch das Insolvenzgericht (rgm. Rechtspfleger). Maßgeblich: Wert der Aktivmasse bei Verfahrensbeendigung, Schwierigkeitsgrad des Verfahrens, Vergütungs- verordnung gem. § 65 InsO (InsVV). Masseschuld gem. §§ 53, 54 Nr. 2 InsO. Fälligkeit mit Verfahrensbeendigung, bei längeren Verfahren jedoch regelmäßig Vorschüsse (Stellungnahme durch Gläubigerausschuss)

Großes Praxisproblem: Keine Kostendeckung durch Mindestvergütunga) des Insolvenzverwalter von EUR 1.000,00 gem. § 2 Abs. 2 InsVV in

massearmen Verfahren undb) des Treuhänders von EUR 600,00 gem. § 13 Abs. 1 S. 3 InsVV in

Verbraucherinsolvenzen gem. §§ 304 ff. InsO („Flut“ wegen neuem § 4a InsO).

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Insolvenzverwalterhaftung

• Schuldhafte Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten gem. § 60 Abs. 1 InsO führt zur Haftung gegenüber den Verfahrensbeteiligten (bei sog. Gesamtschäden beachte § 92 S. 2 InsO, siehe auch §§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 261 Abs. 1 S. 2, 274 Abs. 1, 313 Abs. 1 S. 3 InsO). Haftung für Erfüllungsgehilfen gem. § 278 BGB, Einschränkung jedoch für Personal des Schuldners gem. § 60 Abs. 2 InsO

Beispiele: Anerkennung unberechtigter Forderungen; Versäumnis, erreichbare Vermögenswerte zur Masse zu ziehen; Zulassen der Verjährung von aussichtsreichen Forderungen des Schuldners; Nichtbeachtung von Aus- und Absonderungsrechten usw.

• Haftung gegenüber Massegläubigern, Schadensersatzpflicht des Insolvenzverwalters, wenn Masseverbindlichkeiten aus der Insolvenzmasse nicht voll erfüllt werden können (Exkulpationsmöglichkeit gem. § 61 S. 2 InsO), vgl. zu dieser Situation der Masseunzulänglichkeit auch § 208 InsO

• Verjährung der Schadensersatzansprüche gegen den Insolvenzverwalter gem. § 62 InsO nach den Regelungen über die regelmäßige Verjährung nach dem BGB, spätestens innerhalb von drei Jahren ab Aufhebung/Einstellung des Insolvenzver- fahrens

• Daneben allgemeine deliktische Haftung, da den Verwalter (eigene) Verkehrssicherungspflichten treffen (str.), für Delikte des Verwalters haftet die Masse entsprechend § 31 BGB (Masseschuld gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da auf Handlungen des Insolvenzverwalters beruhend)

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanuierung FS 2009 II./14 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Qualifikation der Stellung des Insolvenzverwalters (I)

Im Hinblick auf die rechtliche Einordnung der Stellung des Insolvenzverwalters werden (wurden) folgende Theorien vertreten:

• Vertretungstheorien

a) Insolvenzverwalter als Vertreter der Insolvenzgläubiger (abzulehnen, der Insolvenzverwalter vertritt in gewissem Umfang auch die Interessen desSchuldners, Auffassung wird heute auch nicht mehr vertreten)

b) Insolvenzverwalter als Vertreter des Schuldners, wird zwar nochvertreten, ist aber eher abzulehnen, da die Vertretung der Gläubigerinteressen unddie weitestgehende Beschränkung der Wirkungen des Verwalterhandelnsauf die Insolvenzmasse von dieser Theorie nicht hinreichend erklärt wird

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Qualifikation der Stellung des Insolvenzverwalters (II)

• Organtheorie (Insolvenzverwalter als Organ der Insolvenzmasse): Diese Theorie erklärt die auf die Masse beschränkten Wirkungen des Insolvenzverwalterhandelns. Sie ist indes problematisch in Bezug auf Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen

• Amtstheorie (hL, BGH): Der Insolvenzverwalter handelt im eigenen Namen als Partei kraft Amtes. Das Insolvenzverwalterhandeln erfolgt unabhängig vom Willen des Schuldners aufgrund eigener Rechte. Im Prozess klagt “Dr. XY als Insolvenzverwalter über das Vermögen der S-GmbH”. Letztlich überzeugt die Amtstheorie wegen der geringsten dogmatischen Widersprüchlichkeiten

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 II./16 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Insolvenzgläubiger (I)

Insolvenzgläubiger sind Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben („persönlichen Anspruch“, vgl. Legaldefinition des § 38 InsO)

Nicht Insolvenzgläubiger sind folglich:

• Dinglich Berechtigte (Eigentümer Aussonderung, GrundschuldgläubigerAbsonderung; evtl. aber Insolvenzgläubiger „für den Ausfall“)

• Neugläubiger (Entstehung des Anspruchs gegen den Schuldner nachVerfahrenseröffnung)

• Massegläubiger gem. § 53 InsO (Ansprüche gegen die Masse selbst aus der Zeit nachVerfahrenseröffnung, § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO bzw. aufgrund von Handlungen eines sog.„starken“ oder mit Sezialermächtigungen versehenen vorläufigen Insolvenzverwalters,

§ 55 Abs. 2 InsO und evtl. bei Dauerschuldverhältnissen)

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Insolvenzgläubiger (II)

• Aussonderungsberechtigte gem. § 47 InsO sind nicht Insolvenzgläubiger; dagegen sind Absonderungsberechtigte mit einem abgesicherten Anspruch gegen den Schuldner, vgl. § 49 InsO, Insolvenzgläubiger, die jedoch vorrangig (abgesondert) aus dem Erlös bestimmter Gegenstände befriedigt werden

• Da die Insolvenzgläubiger gemeinschaftlich und gleichmäßig durch Zahlung von Geld nach der Verwertung der Insolvenzmasse (quotal) befriedigt werden sollen, müssen die Insolvenzgläubiger ihre Forderungen in Geld beziffert anmelden. Nicht auf Geld gerichtete Forderungen sind folglich in einen Geldbetrag umzurechnen (§ 45 InsO)

• Nur durch den Schuldner erfüllbare Ansprüche (Unterlassung oder unvertretbare Handlungen, z. B. Erteilung eines Zeugnisses) können nicht umgerechnet werden und sind folglich keine Insolvenzforderungen. Sie sind außerhalb des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner geltend zu machen

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 II./18 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Insolvenzgläubiger (III)

Abgrenzung Insolvenz- und Neu-Gläubiger:

Für die Stellung als Insolvenzgläubiger ist erforderlich und auch ausreichend, dass der Rechtsgrund der Forderung bei Verfahrenseröffnung gelegt war

Fehlt noch der Eintritt von Bedingungen bzw. ist der Tatbestand zur Entstehung der Insolvenzforderung noch nicht verwirklicht, deren Entstehung jedoch angelegt, so handelt es sich gleichwohl um Insolvenzforderungen

Beispiel:

Der Insolvenzverwalter lehnt die Erfüllung eines beiderseits noch nicht vollständig erfüllten Vertrages gem. § 103 Abs. 2 S. 1 InsO ab. Erst mit der Ablehnung, also nach Verfahrenseröffnung, entsteht der entsprechende Schadensersatzanspruch, der Rechtsgrund für die Erstehung ist jedoch bereits mit Insolvenzeröffnung angelegt, der Schadensersatzanspruch ist als Insolvenzforderung anzumelden

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 II./19 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Insolvenzgläubiger (IV)

Einige Spezialregelungen zur Reichweite des Insolvenzgläubigerbegriffs finden sich in §§ 41 ff. InsO:

• Nicht fällige Forderungen gelten als fällig, aber Abzinsung (Zahlungsforderung i.H.v. EUR 100,00 nach Vertrag fällig am 31.12.2009, wg. Insolvenzeröffnung am 1.1.2009 aber vorher

fällig bei Zinssatz 10% p.a. Abzinsung um rd. 10%, Anmeldung zur Tabelle rd. EUR 90)

• Auflösend bedingte Forderungen werden bis zum Bedingungseintritt wie unbedingte Forderungen berücksichtigt, § 42 InsO

Zu aufschiebend bedingten Forderungen vgl. § 191 InsO: Anmeldung, Berücksichtigung bei Schlussverteilung nur, soweit Bedingungseintritt nicht „fernliegt“

In der Praxis wichtig ist § 43 InsO: Bei Haftung mehrerer für dieselbe Leistung auf das Ganze (Gesamtschuld) kann in jedem Insolvenzverfahren vom Gläubiger der volle Betrag bis zu seiner vollen Befriedigung angemeldet werden. Wichtig z. B. bei Konzerninsolvenz oder bei gleichzeitiger Insolvenz von Hauptschuldner und Bürgen

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 II./20 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Nachrangige InsolvenzgläubigerDie Insolvenzordnung hat die Konkursvorrechte abgeschafft (vgl. aber Bauer, ZInsO 2008, 119). Grundsätzlich sind alle Insolvenzforderungen gleichrangig quotal zu befriedigen Allerdings gibt es einige Ausnahmen, in denen bestimmte Insolvenzforderungen nachrangig sind, vgl. § 39 InsO:• Zinsen seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf die Insolvenzforderung • Kosten für die Teilnahme der Insolvenzgläubiger am Verfahren (nach

Verfahrenseröffnung) • Geldstrafen, Geldbußen etc.• Forderungen auf unentgeltliche Leistungen des Schuldners• In der Praxis wichtig: Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschaftsdarlehen und gleichgestellten Forderungen, für die zwischen Gläubiger und Schuldner der Nachrang im Insolvenzverfahren vereinbart worden ist, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO (im Rang nach den nachrangigen Insolvenzgläubigern, § 39 Abs. 2 InsO

In der Praxis erhalten die nachrangigen Gläubiger in der Regel keinerlei Zahlungen da vorher erst die „nichtnachrangigen“ Insolvenzforderungen vollständig (Quote 100%) befriedigt werden müssten. Daher sind nachrangige Insolvenzforderungen auch erst nach gesonderter Aufforderung des Insolvenzgerichts zur Insolvenztabelle anzumelden (§ 174 Abs. 3 InsO)

Eigenkapital nach Fremdkapital: Liquidationsüberschüsse werden gem. § 199 InsO erst an den Schuldner bzw. dessen Gesellschafter ausgeschüttet (Einlagenrückgewähransprüche), wennalle (auch nachrangige) Insolvenzforderungen voll befriedigt sind

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Organe der Insolvenzgläubiger

Die Insolvenzordnung hat die Gläubigerautonomie gestärkt. Insoweit ist insbes. das Insolvenzplanverfahren zu nennen, mit dem die Gläubiger eine von den gesetzlichen Regelungen abweichende Bestimmung für die Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse und die Haftung des Schuldners treffen können, vgl. § 217 ff. InsO

Neben dem Insolvenzgericht und dem Insolvenzverwalter sieht die Insolvenzordnung zwei weitere Organe im Rahmen des Insolvenzverfahrens vor, die den Insolvenzgläubigern eine gewisse Einflussnahme (im Gesamtinteresse der Gläubigergemeinschaft) ermöglichen sollen:

• Gläubigerversammlung, §§ 74 ff. InsO

• Gläubigerausschuss, §§ 67 ff. InsO

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Gläubigerversammlung, §§ 74 ff. InsO

• Kompetenzen

• Konstruktive Verwalterabwahl (§ 57 InsO)• Auskunfts- und Berichtsrecht (§ 79 InsO)• Einsetzung/Beibehaltung Gläubigerausschuss (§ 68 InsO)• Zustimmungsbefugnisse in Sondersituationen, z.B. übertragende

Sanierung (§§ 160 ff. InsO)

• Beschlüsse erfordern absolute „Summenmehrheit“ der Abstimmenden, § 76 Abs. 2 InsO (vgl. aber § 57 S. 2 InsO), zur Feststellung des Stimmrechts vgl. § 77 InsO

• Einberufung und Leitung der Gläubigerversammlung durch das Insolvenzgericht (Rechtspfleger), Anträge auf Einberufung durch Insolvenzverwalter, Gläubigerausschuss oder Insolvenzgläubigerquorum (vgl. §§ 74 ff. InsO), zu unter bestimmten Voraussetzungen möglichen Aufhebung von Beschlüssen vgl. § 78 InsO

Gläubigerausschuss, §§ 67 ff. InsO

Beaufsichtigendes und unterstützendes Gremium der Insolvenzgläubiger, Bündelung von Fachkompetenz, repräsentative Zusammensetzung. Gläubigerausschuss- mitgliedschaft setzt nicht Gläubigerstellung voraus, vgl. § 67 Abs. 3 InsO. Auch juristische Personen können Mitglieder sein (Vertreterkontinuität wichtig)

• Einsetzung durch das Gericht vor der ersten Gläubigerversammlung möglich, § 67 Abs. 1 InsO

• Gläubigerversammlung beschließt anschließend gem. § 68 InsO über die Einsetzung und die Zusammensetzung des Gläubigerausschusses

• Beschlussfassung erfolgt mit absoluter Kopfstimmenmehrheit der Abstimmenden

• Die Mitglieder des Gläubigerausschusses erhalten eine Vergütung und haften bei Pflichtverletzungen (vgl. § 71 ff. InsO)

Str. ist, ob bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren ein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt werden kann. In Großverfahren ist dies die Praxis vgl. LG Duisburg, NZI 2004, 95), dagegen spricht der Wortlaut des § 67 InsO (vgl. Uhlenbruck, § 67 Rz. 5 ff.)

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Wichtige Kompetenzen des Gläubigerausschusses

• Informations- und Prüfungsrechte, § 69 InsO, bei Nichtwahrnehmung droht Haftung (Kassenprüfung!)

• Zustimmung bei Unternehmensstilllegung vor dem Berichtstermin, § 158 Abs. 1 InsO

• Zustimmungsrecht bei Geschäften von besonderer Bedeutung, § 160 InsO; bei Masseverteilungen und bei Festlegung der Quote für Abschlagsverteilungen, § 187 Abs. 3 S. 2 InsO und § 195 Abs. 1 S. 1 InsO

• Mitwirkung bei der Aufstellung eines Insolvenzplans, §§ 218 Abs. 3, 232 Abs. 1 Nr. 1, 233 S. 2 InsO

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 II./25 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Lösung Fälle 1 (I)

A: OHG

• Insolvenzfähigkeit § 11 Abs. 2 Nr. 1 OHG kann Schuldner im Insolvenzverfahren sein

• Antragsberechtigung § 13 Abs. 1 S. 2 InsO Schuldnerin (OHG) kann Antrag selbst stellen

• Interne Antragsberechtigung § 15 Abs. 1 S. 1 letzte Alt. InsO X = persönlich haftender Gesellschafter

• Sondersituation: Antrag nicht von allen pHG Glaubhaftmachung durch X, Anhörung des Y, vgl. § 15 Abs. 2 InsO

Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227 17

RA Dr. Georg Streit ,HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 II./26 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Lösung Fälle 1 (II)

B: GmbH & Co. KG

• Unterscheide KG (mit GmbH als Komplementärin) und GmbH

(1) KG: - Antragspflicht auch bei KG, § 15a Abs. 1 S. 2 InsO (Strafdrohung: § 15a Abs. 4, Abs. 5 InsO)

- Antragspflicht greift bei Zahlungsunfähigkeit, § 17 InsO undauch bei Überschuldung, § 19 InsO (vgl. dort Abs. 3!)

- wegen der Uneinigkeit von X und Y gilt wieder § 15 Abs. 2InsO, vgl. § 15 Abs. 3 InsO

(2) GmbH: - Antragspflicht gem. § 15a Abs. 1 InsO (Strafdrohung: § 15a Abs. 4, Abs. 5 InsO), Insolvenzgründe: §§ 17, 19 InsO;wegen §§ 128, 161 HGB liegen Insolvenzgründe regelmäßigauch bei der Komplementärin vor, wenn sie bei der KGeingreifen

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Universität MannheimFakultät für Rechtswissenschaft

Vorlesung Insolvenzrecht

III. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

Frühjahrssemester 2009

Diese Arbeitsunterlage ist unvollständig ohne den begleitenden mündlichen Vortrag.

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Rechtsanwalt Dr. Georg Streit, München

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Insolvenzantrag (I)Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens setzt einen Insolvenzantrag, das Vorliegen eines Insolvenzgrundes und eine die Kosten des Verfahrens deckende Insolvenzmasse voraus. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, wird das Verfahren durch Beschluss des Insolvenzgerichts eröffnet. Im Einzelnen:

• Insolvenzantrag, § 13 Abs. 1 S. 2 InsO: Antragsberechtigt sind Gläubiger und Schuldner

• Stellt ein Gläubiger den Antrag (Fremdantrag), muss er gemäß § 14 InsO sein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (fehlt bei vollständiger Absicherung der Forderung z. B. durch eine Grundschuld), seine Forderung und den Eröffnungsgrund glaubhaft machen. Glaubhaftmachung erfolgt durch präsente Beweismittel (Urkunden, eidesstattliche Versicherungen, vgl. § 4 InsO in Verbindung mit § 294 ZPO)

• Beim Insolvenzantrag durch den Schuldner selbst (Eigenantrag) ist ein Schuldnerschutz durch das Erfordernis der Glaubhaftmachung von Forderung, Insolvenzgrund und rechtlichem Interesse grundsätzlich nicht notwendig. Anders ist dies bei juristischen Personen und Gesellschaften, bei denen der Eröffnungsgrund glaubhaft zu machen ist, falls nicht alle Mitglieder des Vertretungsorgans den Antrag stellen, vgl. § 15 Abs. 2 S. 1 InsO. Die übrigen Mitglieder des Vertretungsorgans sind zu hören (§ 15 Abs. 2 S. 3 InsO)

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Insolvenzantrag (II)

• Bei einer juristischen Person ist im Fall der Führungslosigkeit auch jeder Gesellschafter, bei einer Aktiengesellschaft oder einer Genossenschaft zudem auch jedes Mitglied des Aufsichtsrats zur Antragstellung berechtigt (§ 15 Abs. 1 S. 2 InsO). Zusätzlich zum Eröffnungsgrund ist die Führungslosigkeit glaubhaft zu machen (§ 15a Abs. 2 S. 2 InsO). Die übrigen Gesellschafter oder Mitglieder des Aufsichtsrats sind zu hören (§ 15 Abs. 2 S. 3 InsO)

• Bei Kapitalgesellschaften und Gesellschaften, für deren Schulden keine natürliche Person persönlich haftet, besteht eine Insolvenzantragspflicht der Vertretungsorgane bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes (Frist hierfür max. 3 Wochen nach Eintritt des Insolvenzgrundes: § 15a Abs. 1 InsO; Spezialvorschrift für den Verein in § 42 Abs. 2 BGB)

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Insolvenzantrag (III)

• Verstöße gegen die Insolvenzantragspflicht können gem. § 15a Abs. 4 InsO, im Fall von Fahrlässigkeit gem. § 15a Abs. 5 InsO strafrechtliche Folgen und zivilrechtliche Haftung gegenüber den geschädigten Gläubigern nach sich ziehen, da die zur Antragstellung verpflichtenden Normen und die damit korrespondierenden Strafvorschriften als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB gelten

• Hinsichtlich der Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern bei Verstoß gegen die Insolvenzantragspflicht wird zwischen dem so genannten „Quotenschaden“ (Altgläubiger) und dem so genannten „Individualschaden“ (Neugläubiger, negatives Interesse) unterschieden

• Zur in der Praxis sehr scharfen Geschäftsführerhaftung vgl. z.B. Streit/Bürk, DB 2008, 742 ff.; Beck, ZInsO 2007, 1233 ff.

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Haftung von Geschäftsführern und Vorständen (I)

• Daneben wird an die Antragspflicht eine Haftung der Geschäftsführer gegenüber der Gesellschaft („Innenhaftung“, nach Insolvenzverfahrenseröffnung also gegenüber der Insolvenzmasse) angeknüpft (§ 64 GmbHG, §§ 92, 93 AktG, §§ 130a, 177a HGB, § 42 Abs. 2 BGB, 99 GenG)

• Zahlungsverbot ab Insolvenz: Die GF sind der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die die Gesellschaft ab Insolvenzreife leistet (§ 64 S. 1 GmbHG). Zahlungsverbot besteht auch innerhalb der 3-Wochen-Frist zur Insolvenzantragstellung (3-Wochen-Frist ist keine „Gnadenfrist“). Das Zahlungsverbot ist sehr weitreichend. Erfasst werden neben alten Rechnungen beispielsweise auch Einzugsermächtigungen und Zahlungen von Kunden auf Bankkonten der Gesellschaft im „Soll“, ferner die Lieferungen von Waren und Gütern, Übertragung von Rechten

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Haftung von Geschäftsführern und Vorständen (II)

• Keine Haftung für Zahlungen, die auch nach Insolvenzreife mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns vereinbar sind (§ 64 S. 2 GmbHG). Diese Ausnahme ist sehr eng. Entgegen dem Wortlaut des Gesetzes ist Maßstab nicht der ordentliche Kaufmann, sondern erlaubt sind nur Zahlungen, die auch ein vorläufiger Insolvenzverwalter leisten würde. Ein vorläufiger Insolvenzverwalter würde die meisten Forderungen von Gläubigern nicht bezahlen. Er würde nur das bezahlen, was zwingend bezahlt werden muss, um weitere Schäden vom Unternehmen abzuwenden oder ggf. auch, um das Unternehmen weiter betreiben zu können.

Beispiel: Stromrechnungen, um den Verderb von Gütern zu verhindern und um den Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten.

Gegenbeispiel: alte Stromrechnungen

• Zahlungspflicht trotz § 64 S. 1 GmbHG bei Lohn- und Umsatzsteuer (§§ 34, 69 AO) und Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung (§ 266a StGB), hierzu Streit/Bürk, DB 2008, 742 ff.

• Haftung für Zahlungen an Gesellschafter, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen müssten (§ 64 S. 3 GmbHG, § 92 Abs. 2 S. 2 AktG)

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Insolvenzstrafrecht (I)

• Ergänzende Straftatbestände neben der Insolvenzverschleppung der §§ 15a Abs. 4, Abs. 5 InsO enthält das StGB in §§ 283 ff.: § 283 StGB Bankrott (v.a. Beiseiteschaffung von Vermögen und zu späte Aufstellung der Bilanz (sehr leicht nachweisbar)), § 283b StGB Verletzung der Buchführungspflicht (im „Chaos“ wird die Aufstellung der Bilanz „vergessen“), § 283c StGB Gläubigerbegünstigung (Schuldner zahlt „auf sanften Druck“ Anfechtung), wichtig auch § 266a StGB Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (nur AN-Beiträge, Tilgungsbestimmung bei Teilzahlung) § 823 Abs. 2 BGB

• Damit die Gesellschaft auf eine Krise der Gesellschaft reagieren und eine Insolvenz durch geeignete Restrukturierungsmaßnahmen verhindern zu können, besteht eine strafbewehrte Pflicht der Geschäftsführer, den Gesellschaftern einen Verlust in Höhe der Hälfte des Stammkapitals anzuzeigen (§ 84 GmbHG; für AG: §§ 92 Abs. 1, 401 AktG). Verlust in Höhe der Hälfte des Stammkapitals: Gesellschaftsvermögen nach Abzug der Schulden/Rückstellungen deckt nur noch die Hälfte des Nennkapitals, maßgeblich: HGB-Bilanz, grds. keine Aufdeckung stiller Reserven

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Insolvenzstrafrecht (II)

• Wer wegen vorsätzlich begangener Insolvenzverschleppung (§ 15a Abs. 4, 5 InsO) oder Insolvenzstraftaten (§§ 283 bis 283 d StGB) rechtskräftig verurteilt wurde, kann für die Dauer von fünf Jahren seit Rechtskraft nicht mehr Geschäftsführer werden (§ 6 Abs. 2 GmbHG, auch zu weiteren Fällen).

• Haftung der Gesellschafter für Schäden, die eine Person verursacht, die nicht Geschäftsführer sein kann, wenn die Gesellschafter dieser Person vorsätzlich oder grob fahrlässig die Führung der Geschäfte überlassen (§ 6 Abs. 5 GmbHG) ( faktische Geschäftsführer)

• Hinweis: In der Praxis stehen nach realistischen Schätzungen bei über 80% der Unternehmens-insolvenzen Straftatbestände im Raum. Für Berater ist Vorsicht geboten (Beihilfe ist gegeben, wenn ein Rat gegeben wird, der für den Berater erkennbar bei der Begehung von Insolvenzstraftaten genutzt werden soll)

• MiZi (Mitteilungen in Zivilsachen): Jede Eröffnung / Abweisung mangels Masse wird der StA vom Insolvenzgericht gemeldet Kenntnis der StA; Vorermittlungen in 90 % der Fälle (StA Stuttgart)

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Weitere Zulässigkeitsanforderungen, § 4 InsO i.V.m. ZPO:

• Schriftlicher bzw. zu Protokoll der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts gestellter Antrag (§§ 4 InsO, 496 ZPO)

• Parteifähigkeit des Antragstellers (§§ 4 InsO, 50 ZPO)

• Prozessfähigkeit (§§ 4 InsO, 51 ff. ZPO)

• Bedingungsfeindlichkeit

• Insolvenzfähigkeit des Schuldners (§§ 11 f. InsO)

• ggf. Glaubhaftmachung von Forderung, Eröffnungsgrund und Führungslosigkeit

• rechtliches Interesse (§ 14 Abs. 1 InsO bzw. § 15 Abs. 2 u. 3 InsO)

• Zuständigkeit des Insolvenzgerichts (§§ 2 f. InsO)

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Rücknahme des Insolvenzantrages

• Bis zur Entscheidung über den Antrag ist dessen Rücknahme zulässig (§ 13 Abs. 2 InsO). Wegen Kostenfolge (§ 4 InsO in Verbindung mit § 269 Abs. 3 Satz 2 und 3 ZPO) ist bei Befriedigung nach Antragstellung aus Gläubigersicht allerdings Erledigungserklärung sinnvoll (vgl. § 4 InsO i.V.m. §§ 91, 91a ZPO, zur Zulässigkeit vgl. BGH ZIP 2002, 87)

• Problem: Rücknahme durch andere Organpersonen, ggf. nach Abberufung der antragstellenden Organperson, wohl h.M.: Rücknahme unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 InsO möglich, wenn sich dies nicht als rechtsmissbräuchlich darstellt (BGH NJW-RR 2008, 1439), Gläubigerschutz durch Antragspflichten mit Strafbewehrung ausreichend

• Problem: Rücknahme nach Eigenantrag und Sicherungsmaßnahmen (werden wirkungslos, Beschluss zur Klarstellung auf Antrag)

• Folgen der Rücknahme bzgl. Anfechtungsrecht, §§ 129 ff. InsO und Rückschlagsperre, § 88 InsO. Daher in der Praxis trotz Anträgen anderer Beteiligter (Rücknahmerisiko nach „bevorzugter Befriedigung“ durch den Schuldner) evtl. für Gläubiger eigener Antrag bis zum Eröffnungsbeschluss sinnvoll

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Sicherungsmaßnahmen des Insolvenzgerichts (I)

Das Insolvenzgericht hat gemäß § 21 InsO zur Sicherung gegen nachteilige Veränderungen der Vermögenslage des Schuldners in der Zeit bis zur Entscheidung über den Insolvenzantrag alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich erscheinen:

• Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO (sehr wichtig bei der Unternehmensinsolvenz)

• Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbots gegen den Schuldner („starker vorläufiger Verwalter“) oder Zustimmungsvorbehalt zu Gunsten eines vorläufigen Insolvenzverwalters (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO §§ 24 Abs. 1, 81, 82 InsO)

• Einstellung der (eingeleiteten) Zwangsvollstreckung in das Mobiliarvermögen (nicht Immobiliarvermögen!) Folge: Verhinderung bereits eingeleiteter Zwangsvollstreckung über § 775 Nr. 2 ZPO möglich, Rangwahrung, bei Eröffnung Rückschlagsperre: § 88 InsO) bzw., hierüber hinausgehend, Untersagung der (künftigen) Mobiliar- vollstreckung (Folge: Vorwegnahme des Vollstreckungsverbots gemäß § 89 InsO)

• Zur Abgrenzung: Einstellung der Immobiliarzwangsvollstreckung gemäß § 30d Abs. 4 ZVG erfordert einen Antrag des vorläufigen Insolvenzverwalters. Unternehmensinsolvenz: Sicherung Betriebsgrundstücke wg. Fortführung/Sanierung

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Sicherungsmaßnahmen des Insolvenzgerichts (II)• Anordnung einer vorläufigen Postsperre, § 21 Abs. 2 Nr. 4 InsO (Folge: Der (vorl.)

Insolvenzverwalter liest die Post des Schuldners vor diesem; führt zum Teil zur überraschenden Auffindung von später in die Masse fallendem Vermögen)

• Verwertungs- und Einziehungsstopp gegen nach Eröffnung Aussonderungs- und Absonderungsberechtigte, Einziehung durch Schuldner/vorläufigen Verwalter mit Kostenbeiträgen entsprechend §§ 170, 171 InsO möglich

• Die vorstehend genannten Maßnahmen gemäß § 21 Abs. 2 InsO sind nicht abschließend („insbesondere“), das Insolvenzgericht kann alle Maßnahmen treffen, die geeignet und erforderlich erscheinen. Als „ultima ratio“ ist gem. § 21 Abs. 3 InsO sogar die Haft des Schuldners (bei juristischen Personen: Organpersonen) möglich

• Die Maßnahmen des Insolvenzgerichts haben von Amts wegen zu erfolgen. Bei Nichtergreifung naheliegender Maßnahmen und entsprechenden Schäden kommt eine Amtshaftung gem. Art. 34 GG in Verbindung mit § 839 BGB in Betracht. In der Praxis bespricht sich der Insolvenzrichter häufig mit dem künftigen vorläufigen Insolvenzverwalter

• Die Entscheidungen erfolgen durch Beschluss, vgl. § 23 InsO, der bei Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters und Ausspruch von Verfügungsbeschränkungen öffentlich bekannt zu machen und dem Registergericht (§ 23 Abs. 2 InsO) und dem Grundbuchamt (§ 23 Abs. 3 InsO) für entsprechende Eintragungen zu übermitteln ist (wichtig wg. § 24 InsO i.V.m.§§ 81 Abs. 1 S. 2, 82 InsO, Gutglaubensschutz!)

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Vorläufiger Insolvenzverwalter

Für den vom Insolvenzgericht im vorläufigen Insolvenzverfahren eingesetzten vorläufigen Insolvenzverwalter gelten die auf den Insolvenzverwalter anwendbaren Regelungen weitgehend entsprechend (§ 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO). Im übrigen ist zu unterscheiden:

Bei allgemeinem Verfügungsverbot (nicht bei bloßem Zustimmungsvorbehalt!) gegen den Schuldner gem. § 21 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alt. InsO geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Schuldnervermögens auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über

Folge: §§ 24 Abs. 1, 81, 82 InsO = Absolutes Verfügungsverbot

„starker vorläufiger Insolvenzverwalter“ansonsten: Schuldner verfügungsbefugt, „schwacher" vorläufiger

Verwalter (evtl. aber § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO: Einziehungsbefugnis durch Anordnung möglich)

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Starker vorläufiger Insolvenzverwalter (I)

Die Rechtsposition des starken vorläufigen Insolvenzverwalters ist derjenigen des Insolvenzverwalters im eröffneten Insolvenzverfahren weitgehend angenähert:

• Umfassende Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, § 22 Abs. 1 S. 1 InsO (nicht: Verwertungsbefugnis)

• Recht/Pflicht zur Massesicherung und Erhaltung (§ 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 InsO)

• Pflicht zur Unternehmensfortführung bis zur Insolvenzeröffnung (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO), Betriebseinstellung mit Zustimmung des Insolvenzgerichts möglich

• Prüfungspflicht hinsichtlich verfahrenskostendeckender Masse und regelmäßig zusätzlich Auftrag zur Überprüfung des Eröffnungsgrundes (§ 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 InsO)

• Recht zur Aufnahme von Prozessen gem. § 24 Abs. 2 InsO i.V.m. §§ 85 Abs. 1 S. 1 und 86 InsO

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Starker vorläufiger Insolvenzverwalter (II)

Gem. § 55 Abs. 2 InsO sind von einem starken vorläufigen Insolvenzverwalter begründete Verbindlichkeiten und Ansprüche aus Dauerschuldverhältnissen, deren Gegenleistung der starke vorläufige Insolvenzverwalter in Anspruch genommen hat, Masseschulden. Sinn: Erst aufgrund dieser Regelungen hat der starke vorläufige Insolvenzverwalter die Möglichkeit, weiterhin Verträge zu schließen und Leistungen in Anspruch zu nehmen, um den Geschäftsbetrieb des Schuldners fortzuführen und so die Entscheidungsfreiheit der Gläubigerversammlung (§ 157 S. 1 InsO Unternehmensfortführung?) zu erhalten

Problem: Es kommt, etwa mangels „verfahrenskostendeckender“ Masse, nicht zur Insolvenzeröffnung. Schutz der Vertragspartner des starken vorläufigen Insolvenzverwalters dann über § 25 Abs. 2 InsO (vorrangige Befriedigung aus dem vorläufig verwalteten Vermögen vor Aufhebung der Bestellung)

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Insolvenzgeld/Exkurs: Vorfinanzierung von Insolvenzgeld (I)Eine wichtige Ausnahme von § 55 Abs. 2 S. 2 InsOmit dem Masseschuldcharakter von Forderungen aus der Inanspruchnahme von Leistungen aus Dauerschuld- verhältnissen durch den starken vorläufigen Insolvenzverwalter regelt § 55 Abs. 3 InsO: Bei Zahlung von Insolvenzausfallgeld (Lohn und Gehaltsrückstände aus den letzten 3 Monaten vor Insolvenzeröffnung, §§ 183, 185 SGB III) durch die Bundesagentur für Arbeit gehen die entsprechenden Forderungen der Arbeitnehmer gem. § 187 S. 1 SGB III auf die BA über. Die BA kann diese Forderungen nach der mit Gesetz vom 26.10.2001 (Bundesgesetzblatt I, 2710, 2711) eingefügten Regelung jedoch nur als Insolvenzgläubigerin geltend machen. Erst durch diese “Nachbesserung” machen Insolvenzgerichte verstärkt von der Einsetzung starker vorläufiger Insolvenzverwalter Gebrauch

Exkurs:

Das Problem: Das Insolvenzgeld wird für Lohnrückstände aus den letzten drei Monaten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. Ablehnung der Eröffnung mangels Masse von der BA gezahlt. Die Zahlung erfolgt jedoch erst nach dem Eröffnungsbeschluss bzw. dem Beschluss, der die Eröffnung mangels Masse ablehnt. Wenn zu diesem Zeitpunkt die Löhne mehrerer Monate nicht gezahlt worden sind, haben jedenfalls die besten Mitarbeiter das schuldnerische Unternehmen bereits verlassen. Dies wiederum kann Sanierungsbemühungen zunichte machen

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Exkurs: Vorfinanzierung von Insolvenzgeld (II)Lösung (vgl. Streit, DPL 2003, 138 ff.):

Um Löhne und Gehälter zu zahlen, wird das Insolvenzgeld daher in der Unternehmensinsolvenz regelmäßig über eine Bank vorfinanziert. Die Lohnforderungen, auf die später das Insolvenzgeld bezahlt wird, werden dabei von den Arbeitnehmern an die finanzierende Bank (mit Zustimmung des Arbeitsamtes, § 188 Abs. 4 SGB III) verkauft und abgetreten

Mit dem Kaufpreis werden gleichsam die „Löhne der Arbeitnehmer gezahlt“. Diese sind nicht gezwungen, sich neue Arbeitsplätze zu suchen und arbeiten weiter. Das Unternehmen ist von den laufenden Lohnkosten entlastet. Hereinkommende Cash Flows verstärken die Liquidität und sichern häufig eine die Verfahrenskosten und Masseschulden deckende Aktivmasse, welche die Verfahrenseröffnung erst ermöglicht

Die Bank erhält nach Insolvenzeröffnung das Insolvenzgeld von der BA. Diese erwirbt zwar die Lohnforderungen (cessio legis, § 187 S. 1 SGB III), ist mit diesen jedoch nur Insolvenzgläubigerin. Vor Anfügung des § 55 Abs. 3 InsO war dies in Bezug auf einen starken vorläufigen Insolvenzverwalter anders

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Exkurs: Vorfinanzierung von Insolvenzgeld (III)

Findet ein vorläufiger Insolvenzverwalter ein Umsätze erzielendes Unternehmen mit Belegschaft vor, deren Lohnzahlungen bisher (vollständig) erfolgt sind, so wird er in Abstimmung mit dem Insolvenzgericht das vorläufige Insolvenzverfahren über drei Monate führen und die Lohnzahlungen mittels einer Vorfinanzierung von Insolvenzgeld sicherstellen. In dieser Zeit wird der vorläufige Insolvenzverwalter aufgrund der Entlastung des schuldnerischen Unternehmens von den Lohnzahlungen Aktivmasse sammeln. Die Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse ist in dieser Situation weniger wahrscheinlich als wenn der „Insolvenzgeldzeitraum“ bereits „verbraucht“ ist.

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„Schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter (I)

• Vorläufiger Insolvenzverwalter, auf den nicht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis aufgrund eines allgemeinen Verfügungsverbots gegen den Schuldner übergegangen ist (vgl. § 21 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, 2. Alt. InsO). Die Aufgaben und Befugnisse des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters bestimmt das Insolvenzgericht, vgl. § 22 Abs. 2 InsO. Insbes. kann ein Zustimmungsvorbehalt zu Gunsten des vorläufigen Insolvenzverwalters angeordnet werden (§§ 21 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt., 24 Abs. 1, 81, 82 InsO). Soweit der Umfang im Einzelnen festgelegt wird, kann das Insolvenzgericht auch Verfügungsbefugnisse auf einen „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter überleiten

• Der Praxis der Insolvenzgerichte, sog. „halbstarke“ Insolvenzverwalter mit weitestgehenden Befugnissen aber ohne allgemeines Verfügungsverbot (zur Vermeidung von Masseschulden gem. § 55 Abs. 2 InsO, insbes. vor Anfügung des § 55 Abs. 3 InsO) zu bestellen, hat der BGH eine Absage erteilt (BGH ZIP 2002, 1625 ff. m. Bespr. Prütting/Stickelbrock ZIP 2002, 1608)

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„Schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter (II)

• Hinweis: Handlungen des vorläufigen Insolvenzverwalters sind nach Verfahrenseröffnung möglicherweise anfechtbar gem. §§ 129 ff. InsO, da sie vor Insolvenzeröffnung (und durch den Schuldner) erfolgen und bei Erfüllung der Voraussetzungen vom Wortlaut der Anfechtungsregelungen erfasst werden (str., vgl. zur Problematik BGH ZIP 2003, 810 ff., 855 ff.: Anfechtung gem. § 132 InsO wegen unmittelbarer Benachteiligung der anderen Gläubiger, insbesondere sog. "Erpressungszahlungen", "Druckzahlungen")

• Dies gilt allerdings nicht für den „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter, der gem. § 55 Abs. 2 InsO Masseschulden begründet (dem Zweck dieser Regelung, dem starken vorläufigen Insolvenzverwalter den Abschluss von Verträgen zu ermöglichen, würde entgegengewirkt, wären diese Verträge hinterher möglicherweise anfechtbar)

Auch bei Aufhebung der vorläufigen Insolvenzverwaltung bleiben Rechtshandlungen des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam. Insoweit gilt die Regelung für die Aufhebung des eröffneten Insolvenzverfahrens gem. § 34 Abs. 3 S. 3 InsO entsprechend

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Insolvenzgründe: Zahlungsunfähigkeit, § 17 InsO (I)Die Insolvenzordnung sieht drei Insolvenzgründe vor:

• Zahlungsunfähigkeit, § 17 InsO: Allgemeiner Insolvenzeröffnungsgrund (gilt bei natürlichen und juristischen Personen sowie Gesellschaften im Falle von Gläubigerantrag und Eigenantrag)

• Liegt vor, wenn die fälligen Zahlungspflichten nicht erfüllt werden können (Abgrenzung: Drohende Zahlungsunfähigkeit)

• Fälligkeit ergibt sich aus der zugrundeliegenden vertraglichen Vereinbarung; hilfsweise aus den Umständen; im Zweifel ist eine Forderung sofort fällig (§ 271 BGB)

• Maßgeblicher Zeitpunkt: Entscheidung des Gerichts. Bei Beschwerde: Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung

• Gestundete/betagte Verbindlichkeiten bleiben außer Betracht („Zeitpunktilliquidität“, nur was im Moment fällig ist, ist relevant). Andererseits sind auch nur flüssige Mittel (nicht Sachwerte) in die Betrachtung der Zahlungsfähigkeit einzustellen (vgl. aber unten: „Zahlungsstockung“).

• Ebenfalls außer Betracht bleiben Forderungen, die nicht ernstlich eingefordert werden (BGH ZinsO 2007, 939). Der Begriff des „Nicht ernstlich Einforderns“, ist dabei eng auszulegen. Erzwungene „Stundungen“ stehen der Berücksichtigung der Forderungen nicht entgegen (BGH NJW-RR 2008, 870)

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Insolvenzgründe: Zahlungsunfähigkeit, § 17 InsO (II)

• Ernsthaft streitige Verbindlichkeiten bleiben ebenfalls außer Betracht (vgl. BGH NJW-RR 2006, 1641). Das Insolvenzverfahren dient nicht dazu, den Bestand rechtlich zweifelhafter Forderungen zu klären (BGH ZIP 1992, 947 ff.). Daher keine Zahlungseinstellung, wenn der Schuldner die Zahlungen verweigert hat, weil die Forderungen selbst für unbegründet hält.

• Vermutungsregelung für Zahlungsunfähigkeit bei Zahlungseinstellung (§ 17 Abs. 2 S. 2 InsO)

• Grundsatzentscheidung des BGH vom 24.5.2005: Zahlungsunfähigkeit regelmäßig dann, wenn 10% oder mehr der fälligen Verbindlichkeiten über mehr als 3 Wochen nicht beglichen werden können (BGH, ZInsO 2005, 807, bitte lesen; Bork, ZIP 2008, 1749)

Kurzfristige Zahlungsstockungen (bis drei Wochen) werden nicht als Zahlungsunfähigkeit angesehen, deswegen auch "begrenzte Zeitraumilliquidität"

Geringfügige Liquiditätslücken (bis 10% Liquiditätsunterdeckung) bleiben außer Betracht

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Insolvenzgründe: Drohende Zahlungsunfähigkeit, § 18 InsO

• Insolvenzgrund nur im Fall des Eigenantrags (nicht bei Fremdanträgen von Gläubigern), gilt bei natürlichen und juristischen Personen sowie Gesellschaften. Es kommt auf bereits bestehende (nicht: künftige) Zahlungspflichten an, deren Begleichung im Fälligkeitszeitpunkt voraussichtlich nicht möglich sein wird

• Ziel des Gesetzgebers mit dieser in der KO noch nicht vorhandenen Regelung ist es, eine frühzeitige Stellung von Eigeninsolvenzanträgen zu ermöglichen und so die Sanierungschancen zu fördern. Soweit ersichtlich, ist in der Praxis hiervon bisher nur selten Gebrauch gemacht worden

• Voraussetzung: Prognose über Zeitraum von rund einem Jahr (str.)

• Denkbar: Eigenantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit, gleichzeitige Vorlage eines Insolvenzplans mit dem Antrag auf Eigenverwaltung (§§ 18, 218 Abs.1 S. 2, 270 ff. InsO)

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Insolvenzgründe: Überschuldung, § 19 InsO (I)

Insolvenzgrund bei Eigen- und Fremdantrag, jedoch nur für juristische Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit ohne natürliche Person als persönlich haftenden Gesellschafter (insbes. GmbH & Co. KG, AG & Co. KG)

• Grund: beschränkte Haftung der juristischen Personen bedeutet tendenziell höheres Risiko für Gläubiger (Exit-Option des Unternehmers), beschränkte Haftung beruht auf Zurverfügungstellung eines „Haftungsfonds“ (Eigenkapital), ist dieser aufgezehrt (Verbindlichkeiten > Vermögen), soll der Rechtsverkehr geschützt werden

• Überschuldungsfeststellung: Gegenüberstellung von Aktiva und Passiva (Überschuldungsbilanz, besser: Überschuldungsstatus), bei Passiva alle bestehenden Verbindlichkeiten, auch Gesellschafterdarlehen (bis 01.11.2008: Nichtberücksichtigung nur bei „qualifizierten Rangrücktritten“, seit 01.11.2008: Änderung durch das MoMiG): Rangrücktritt zur Nichtberücksichtigung nach wie vor erforderlich (§ 19 Abs. 2 S. 2 InsO), Rangrücktritt muss nicht mehr „qualifiziert“ sein, Rangrücktritt hinter die nachrangigen Insolvenzgläubiger erforderlich (§§ 19 Abs. 2 S. 2, 39 Abs. 2 InsO), bei den Aktiva alle werthaltigen Vermögensbestandteile. Im Gegensatz zur HGB-Bilanz/Steuerbilanz sind alle stillen Reserven zu „heben“

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Insolvenzgründe: Überschuldung, § 19 InsO (II)

• Vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung wurde bei positiver Fortführungsprognose die Überschuldung eines Unternehmens von h.M. und der Rspr. verneint, „zweistufiger“ Überschuldungsbegriff: Dieser zweistufige Überschuldungsbegriff gilt gem. dem am 18.10.2008 in Kraft getretenen Finanzmarktstabilisierungsgesetz (FMStG) vorübergehend wieder bis zum 31.12.2010. Grund für das FMStG: Finanzkrise. Wegen Wertverlust von Aktien drohte vielen Unternehmen die bilanzielle Überschuldung. Ökonomisch ist es aber unbefriedigend, dass auch Unternehmen, bei denen die überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie weiter erfolgreich am Markt operieren können, zwingend ein Insolvenzverfahren zu durchlaufen haben.

1. Pos. Fortführungsprognose? Wenn ja: Keine relevante Überschuldung2. Wenn nicht: Überschuldung bei Ansatz von Liquidationswerten?

• Dieser Auffassung ist der Gesetzgeber der Insolvenzordnung in der bis zum 17.10.2008 und ab dem 01.01.2011 geltenden Fassung ausdrücklich nicht gefolgt. Er hat eine dreistufige Überschuldungsprüfung im Auge:

1. Überschuldung bei Ansatz von Liquidationswerten (§ 19 Abs. 2 S. 1 InsO a.F./k.F.)?2. Wenn ja: Positive Fortführungsprognose (§ 19 Abs. 2 S. 2 InsO a.F. /k.F.)? 3. Wenn Fortführungsprognose positiv: Überschuldung bei Ansatz von

Fortführungswerten (§ 19 Abs. 2 S. 2 InsO a.F./k.F.)?

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Insolvenzgründe: Überschuldung, § 19 InsO (III)

• Dennoch ist auch unter der Geltung der Insolvenzordnung in der bis zum 17.10.2008 und ab dem 01.01.2011 geltende Fassung eine zweistufige Überschuldungsprüfung möglich und sinnvoll: Im 1. Schritt erfolgt die Fortführungsprognose, abhängig von deren Ausgang erfolgt im 2. Schritt die Prüfung der Überschuldung mit Fortführungswerten (wenn Fortführungsprognose positiv) bzw. Zerschlagungswerten (wenn Fortführungsprognose negativ)

• Bei positiver Fortführungsprognose (Fortführung „nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich“, Voraussetzung: Fortführungswille, (Finanz-)Planung, keine mittelfristig drohende Zahlungsunfähigkeit = laufendes u. nächstes GJ), können in der bis zum 17.10.2008 und ab dem 01.01.2011 geltenden Fassung der InsO Fortführungswerte bei den Aktiva im rahmen des Überschuldungsstatus angesetzt werden. Fortführungswerte sind regelmäßig höher als die Liquidationswerte (Werte, die bei Liquidation des Unternehmens und einzelnen Abverkauf der Wirtschaftsgüter erzielbar sind.) Bei Liquidation sind fertige Erzeugnisse z.B. nur mit großen Abschlägen mangels zukünftiger Weiterbelieferung und Gewährleistung verkäuflich

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Auswirkungen einer Unternehmenskrise auf Handelsbilanz und Überschuldungsprüfung anhand der M-GmbH

Malerbetrieb

Rechtsform: GmbH

Gezeichnetes Kapital (Stammkapital) gemäß Satzung 25.000 Euro

Vermögen:o Betriebsgrundstück mit Lagerschuppen (GuB) 25.000 Euroo Lieferwagen (neu), Kaufpreis bei Anschaffung (BGA) 20.000 Euroo Zubehör, z.B. Leitern, Gerüst, etc. (BGA) 5.000 Euroo Vorräte, z.B. Farben, Lacke etc. (RHB) 4.000 Euroo Barkasse 1.000 Euro

Schulden:o Bankkredit in Höhe von 30.000 Euro

_______________________________________________________________GuB = Grund und Boden; BGA = Betriebs- und Geschäftsausstattung; RHB = Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe

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Handelsbilanz (§ 266 HGB) bei fortschreitender Krise am Bsp. der M-GmbH, hier: Rücklagen aufgezehrt

Bilanz zum 31.12.2005

Aktiva (Vermögen) Passiva (Schulden und EK)

Anlagevermögen Eigenkapital (EK)- Grund und Boden 25.000 Euro - Gezeichnetes Kapital 25.000 Euro- BGA - Kapitalrücklage (Agio) 0 Euro

- Fuhrpark 20.000 Euro - Gewinnrücklage 0 Euro - Zubehör 5.000 Euro - Andere Rücklagen 0 Euro

___________ __________50.000 Euro 25.000 Euro

Umlaufvermögen Rückstellungen 0 Euro- RHB (Vorräte) 4.000 Euro - Kasse 1.000 Euro Verbindlichkeiten 30.000 Euro

__________ ___________ 5.000 Euro 30.000 Euro

Summe Aktiva 55.000 Euro Summe Passiva 55.000 Euro(Gesamtvermögen) (Schulden und EK)

Bilanzsumme: 55.000 Euro

EK in Höhe der Differenz von Vermögen und Schulden

Wegen EK als Residualgröße ("Differenz wird aufgefüllt"), ist Bilanz immer ausgeglichen

Gezeichnetes Kapital (Stammkapital bei GmbH; Grundkapital bei AG) noch vorhanden; keine Rücklagen mehr

Vereinfacht, gesetzliches Bilanzgliederungsschema in § 266 HGB

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Handelsbilanz (§ 266 HGB) bei fortschreitender Krise am Bsp. der M-GmbH, hier: Unterbilanz

Bilanz zum 31.12.2006

Aktiva (Vermögen) Passiva (Schulden und EK)

Anlagevermögen Eigenkapital (EK)- Grund und Boden 25.000 Euro - Gezeichnetes Kapital 25.000 Euro- BGA - Kapitalrücklage (Agio) 0 Euro

- Fuhrpark 20.000 Euro - Gewinnrücklage 0 Euro - Zubehör 5.000 Euro - Andere Rücklagen 0 Euro

___________ - Bilanzverlust/ Verlustvortrag (-) 20.000 Euro50.000 Euro __________

Umlaufvermögen 5.000 Euro- RHB (Vorräte) 4.000 Euro- Kasse 1.000 Euro Rückstellungen 0 Euro

__________5.000 Euro Verbindlichkeiten 50.000 Euro

_________50.000 Euro

Summe Aktiva 55.000 Euro Summe Passiva 55.000 Euro(Gesamtvermögen) (Schulden und EK)

Gezeichnetes Kapital von 25.000 Euro steht in der Bilanz

Gezeichnetes Kapital ist aber durch Verlustvortrag/ Bilanzverlust in Höhe von 20.000 Euro bis auf 5.000 Euro aufgezehrt

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Handelsbilanz (§ 266 HGB) bei fortschreitender Krise am Bsp. der M-GmbH, hier: „nicht durch EK gedeckter Fehlbetrag":

Bilanz zum 31.12.2007

Aktiva (Vermögen) Passiva (Schulden und EK)

Anlagevermögen Eigenkapital (EK)- Grund und Boden 25.000 Euro - Gezeichnetes Kapital 25.000 Euro- BGA - Kapitalrücklage (Agio) 0 Euro

- Fuhrpark 20.000 Euro - Gewinnrücklage 0 Euro - Zubehör 5.000 Euro - Andere Rücklagen 0 Euro

__________ - Bilanzverlust/ Verlustvortrag (-) 25.000 Euro50.000 Euro __________

Umlaufvermögen 0 Euro- RHB (Vorräte) 4.000 Euro- Kasse 1.000 Euro Rückstellungen 0 Euro

__________5.000 Euro

Nicht durch EK gedeckter Verbindlichkeiten 70.000 EuroFehlbetrag "Unterdeckung" 15.000 Euro

Summe Aktiva 70.000 Euro Summe Passiva 70.000 Euro(Aktiva und Fehlbetrag) (Schulden und EK)

Bilanzverlust ist so groß, dass das gezeichnete Kapital vollständig aufgezehrt ist. Die Verbindlichkeiten übersteigen das Vermögen.

Die Differenz von Vermögen und Schulden ist daher negativ, sog. "nicht durch EK gedeckter Fehlbetrag", § 268 Abs. 3 HGB. Dieser ist auf

der Aktivseite auszuweisen.

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HGB-Bilanz und Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne, § 19 InsO

• Vorliegen eines nicht durch EK gedeckten Fehlbetrages in der Handelsbilanz hat Indizwirkung hinsichtlich insolvenzrechtlicher Überschuldung

• Handelsbilanz ist von insolvenzrechtlicher Überschuldungsbilanz (besser: Überschuldungsstatus, „Ü-Status“) strikt zu unterscheiden

• Vorsichtsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) gilt nur für Handelsbilanz• Maßgeblich im Rahmen des Ü-Status ist der Ansatz von "wahren Werten"• Insbesondere gilt im Ü-Status:

– stille Reserven (z.B. infolge von Abschreibungen) sind aufzudecken– verdeckte Verbindlichkeiten sind anzusetzen (z.B. keine

ausreichenden Pensionsrückstellungen bislang in der Handelsbilanz angesetzt, Art 28 EGHGB

– Gesellschafterdarlehen sind wegen der §§ 19 Abs. 1 S. 2, 39 Abs. 2 InsO bis zur Erklärung eines Rangrücktrittes zu passivieren

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Überschuldungsprüfung (modifizierter 2-stufiger-Ansatz)

1. Rechnerische Überschuldung bei Ansatz von Liquidationswerten ?

+ -_________

2. Erstellen einer Fortführungsprognose(Ist Finanzierung für laufendes und nächstes Geschäftsjahr gesichert ?)

+ -________

3. Überschuldung auch bei Ansatz von Fortführungswerten ?(Berücksichtigung des "Goodwill")

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Überschuldungsstatus der M-GmbH Schritt 1: Ansatz von Liquidationswerten

Überschuldungsstatus am 8.3.2008

Aktiva (Vermögen) Passiva (Schulden)

Anlagevermögen Rückstellungen 0 Euro

- Grund und Boden 30.000 Euro- BGA Verbindlichkeiten 70.000 Euro

- Fuhrpark 5.000 Euro- Zubehör 2.000 Euro

__________37.000 Euro

Umlaufvermögen- RHB (Vorräte) 2.000 Euro- Kasse 1.000 Euro

__________3.000 Euro

Summe Aktiva 40.000 Euro Summe Passiva 70.000 Euro(Gesamtvermögen) (Schulden)

Aktivierbar sind im Grundsatz alle Gegenstände des Anlage- und des Umlaufvermögens.

Von den Sachwerten der Aktiva sind bei Ansatz von Liquidationswerten etwaige Veräußerungskosten abzuziehen.

Bei Halbfertigprodukten sind im Zweifel der Schrottwert bzw. die Entsorgungskosten anzusetzen.

Eigenkapital ist nicht passivierbar.

Ergebnis: Überschuldung um EUR 30.000

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Überschuldungsstatus der M-GmbH Schritt 2 + 3: Ansatz von Fortführungswerten bei positiver Fortführungsprognose

Überschuldungsstatus am 8.3.2008

Aktiva (Vermögen) Passiva (Schulden)

Anlagevermögen Rückstellungen 0 Euro

- Grund und Boden 35.000 Euro- BGA Verbindlichkeiten 70.000 Euro

- Fuhrpark 25.000 Euro- Zubehör 5.000 Euro

__________65.000 Euro

Umlaufvermögen- RHB (Vorräte) 2.500 Euro- Kasse 1.500 Euro

__________4.000 Euro

Summe Aktiva 69.000 Euro Summe Passiva 70.000 Euro(Gesamtvermögen) (Schulden)

Unterstellt, unter den 70.000 Euro Verbindlichkeiten befindet sich ein Gesellschafterdarlehen in Höhe von 5.000 Euro, liegt es somit in der

Hand des Gesellschafters, bezüglich dieses Darlehens einen Rangrücktritt zu erklären und damit die Überschuldung zu

beseitigen. Bei vollständiger Subordinierung des Darlehens ergibt sich dann eine Überdeckung im Ü-Status von 4.000 Euro.

Ergebnis: Überschuldung um EUR 1.000, diese kann beseitigt werden

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Deckung der Verfahrenskosten (I)

Reicht das Vermögen voraussichtlich nicht aus („Massearmut“), um die Kosten des Insolvenzverfahrens zu decken (Gerichtskosten, Vergütung und Auslagen des vorläufigen Insolvenzverwalters und des Insolvenzverwalters sowie des Gläubigerausschusses, § 54 InsO), so stellt dies ein Insolvenzverfahrenshindernis dar, vgl. § 26 Abs. 1 S. 1 InsO

• Das Insolvenzgericht lässt die Verfahrenskostendeckung regelmäßig durch den vorläufigen Insolvenzverwalter (§ 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 InsO) bzw. ein Sachverständigengutachten prüfen

• Massearmut lässt sich durch Zahlung eines Verfahrenskostenvorschusses überwinden, § 26 Abs. 1 S. 2 InsO. Hierzu werden Insolvenzgläubiger möglicherweise dann bereit sein, wenn das Insolvenzverfahren Chancen bietet, bisher unbekanntes Vermögen des Schuldners aufzudecken

• Ein Verfahrenskostenvorschuss ist als Masseschuld nach Eröffnung des Verfahrens vor Befriedigung der Insolvenzgläubiger aus der Masse zurückzuzahlen. Soweit der Insolvenzantrag bei juristischen Personen (und GmbH & Co. KG etc.) pflichtwidrig und schuldhaft nicht bzw. verspätet gestellt wurde, haben die entsprechenden Personen (mit Exkulpationsmöglichkeit) dem Vorschussleistenden Ersatz zu leisten, § 26 Abs. 3 InsO

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Deckung der Verfahrenskosten (II)

• Stundungsmöglichkeit: In Bezug auf die Verfahrenskosten bei Insolvenzanträgen natürlicher Personen mit Antrag auf Restschuldbefreiung möglich, vgl. §§ 4 a ff. InsO Eröffnung trotz (derzeit) fehlender Verfahrenskostendeckung gem. § 26 Abs. 1 S. 2, 2. Alt. InsO.

Bei Antragsabweisung mangels Masse ergeben sich folgende Rechtsfolgen:

• Der Schuldner behält seine Verfügungsbefugnis (bzw. diese fällt an ihn zurück), Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen der Gläubiger bleiben (werden wieder) zulässig und eventuell auch sinnvoll, soweit eine gewisse, wenn auch nicht verfahrenskostendeckende Masse vorhanden ist. Arbeitnehmer haben gegebenenfalls Anspruch auf Insolvenzgeld (§§ 183, 185 SGB III)

• Eintrag des Schuldners in das Schuldnerverzeichnis (Verkehrsschutz), § 26 Abs. 2 InsO, §§ 915 ff. ZPO

• Aufhebung von Sicherungsmaßnahmen, § 25 InsO (starker vorläufiger Insolvenzverwalter berichtigt die Kosten und erfüllt von ihm begründete Verbindlichkeiten, seine Rechtshandlungen bleiben entspr. § 34 Abs. 3 S. 3 InsO wirksam)

• Bei Kapitalgesellschaften: Auflösung der Gesellschaft (vgl. § 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG, § 262 Abs. 1 Nr. 4 AktG). Diese Gesellschaften treten in die Liquidation ein und werden nach Verteilung ihres Vermögens an die Gläubiger im Handelsregister gelöscht, § 141a Abs. 1 FGG. Das Registergericht erhält gem. § 31 Nr. 2 InsO von der Abweisung des Eröffnungsantrages mangels Masse durch das Insolvenzgericht Kenntnis (Fortführungsbeschluss unzulässig)

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Entscheidung über den EröffnungsantragDer Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist abzuweisen, wenn er unzulässig oder unbegründet ist:

• Zulässigkeit: Antragsberechtigung, Zuständigkeit, Insolvenzfähigkeit, Rechtsschutzinteresse, Glaubhaftmachung eines Insolvenzgrundes und der Forderung?

• Begründetheit: Eröffnungsgrund zur Überzeugung des Gerichts festgestellt, verfahrenskostendeckende Masse vorhanden?

Amtsermittlung (ab Zulässigkeit), § 5 Abs. 1 S. 1 InsO, soweit das Gericht den Eröffnungsantrag abweist, ist dies mit sofortiger Beschwerde anfechtbar, §§ 34 Abs. 1, 6 Abs. 1, 4 InsO i.V.m. §§ 567 ff. ZPO. Bei Abweisung mangels Masse kann auch der Schuldner sofortige Beschwerde erheben (wegen Eintragung in das Schuldnerverzeichnis)

• Bei Zulässigkeit und Begründetheit des Insolvenzantrages ergeht der Insolvenzeröffnungsbeschluss durch den Richter gem. § 27 InsO:

• Wirksamkeit mit Verlautbarung (Herausgabe durch die Geschäftsstelle) • Sofortige öffentliche Bekanntmachung, § 30 Abs. 1 InsO

(anders: der Antrag; bekannt gemacht wird der Sicherungsbeschluss)Praxishinweis: Veröffentlichung auch unter www.insolvenzbekanntmachungen.de

• Zustellung an Gläubiger und Schuldner, § 30 Abs. 2 InsO• Eintragung ins Grundbuch, § 32 InsO (Verhinderung redlichen Erwerbs!)• Anfechtungsmöglichkeit nur für den Schuldner, §§ 34 Abs. 2, 6 Abs. 1, 4 InsO i.V.m. §§

567 ff. ZPO: Sofortige Beschwerde, maßgeblich für Begründetheit ist Zeitpunkt der Eröffnung (BGH, ZInsO 2006, 1051, kritisch Noll, ZInsO 2007, 249)

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Inhalt des Eröffnungsbeschlusses

• Bezeichnung und Anschrift des Schuldners (§ 27 Abs. 2 Nr. 1 InsO)

• Name und Anschrift des Insolvenzverwalters (§ 27 Abs. 2 Nr. 2 InsO)

• Aufforderung an die Insolvenzgläubiger zur Forderungsanmeldung (mit Begründung und Beifügung von Unterlagen) innerhalb einer festzusetzenden Anmeldefrist (zwei Wochen bis zu drei Monaten), § 28 Abs. 1 InsO

• Aufforderung zur Mitteilung von Mobiliarsicherheiten, vgl. § 28 Abs. 2 InsO

• Aufforderung an Drittschuldner, nicht mehr an den Schuldner, sondern nur noch an den Verwalter zu leisten (§ 28 Abs. 3 InsO)

• Bestimmung des Berichtstermins (sechs Wochen bis drei Monate nach Verfahrenseröffnung), §§ 29 Abs. 1 Nr. 1, 156 InsO

• Bestimmung des Prüfungstermins (eine Woche bis zwei Monate nach Ablauf der Anmeldefrist, eventuell gemeinsam mit Berichtstermin, §§ 29 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 176 InsO)

• Angabe des genauen Beschlusszeitpunkts (Uhrzeit, wichtig wegen der Beschlagnahmewirkungen), § 27 Abs. 2 Nr. 3 InsO

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK , Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 III./39Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Fälle

a) Die Klein GmbH erwirtschaftet seit März 2008 stark rückläufige Umsätze. Löhne, Steuern und Sozialabgaben sind jedoch bis Mai 2008 bezahlt. Die Zahlungen für den Juni sind indes nicht mehr sichergestellt.

Muss bzw. kann die Geschäftsführung Ende Mai Insolvenzantrag stellen?

b) Wie a), Anfang Juni meldet die Buchhaltung der Geschäftsführung, dass von einem monatlich eingehenden Rechnungsvolumen i.H.v. EUR 300.000 (netto) EUR 50.000 (netto) seit einem Monat fällig sind und nicht bezahlt wurden (davon sind aber bisher nur EUR 10.000 angemahnt).

Muss im Juni Insolvenzantrag gestellt werden?

c) Geschäftsführer X stellt nunmehr Insolvenzantrag. Geschäftsführer Y will den Antrag zurücknehmen, X widerspricht.

Kann Y zurücknehmen, nachdem die Gesellschafterversammlung X abberufen hat (beide GF sind alleinvertretungsberechtigt)?

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK , Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 III./40Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Fälle

d) Die Groß Bau AG ist aufgrund einer bestehenden, nicht voll ausgeschöpften Kreditlinie liquide. Allerdings ist ihr bilanzielles Eigenkapital (EK) vollständig aufgebraucht (Bilanzsumme EUR 30 Mio.). Kurz vor vollständigem Verbrauch des EK gab Vorstand und Alleinaktionär Z ein Darlehen von EUR 2 Mio. Dann stellte sich heraus, dass ein neues verkauftes Wohnhochhaus auf einem Altlastengrundstück gebaut wurde (berechtigte Haftungsansprüche: EUR 5 Mio.).

Auf der Aktivseite steht ein abgeschriebener Fuhrpark (Erinnerungswert EUR 1), der tatsächlich noch einen Teilwert von EUR 3 Mio. hat, bei Zerschlagung der Bau AG aber nur für EUR 1 Mio. an Konkurrenzunternehmen verkauft werden kann.

Welche Maßnahmen muss/kann Z ergreifen?

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Fälle: Lösungen

a) Insolvenzantragspflicht Klein GmbH im Mai? Nein, weder Zahlungsunfähigkeit (Zeitpunktilliquidität) gem. § 17 InsO noch Überschuldung gem. § 19 InsO nach Sachverhalt gegeben, jedoch Antrag möglich gem. § 18 InsO, da Zahlungsunfähigkeit droht.

b) Zahlungsunfähigkeit? Von 300 Teuro können „nur“ 50 Teuro nicht bezahlt werden, dies sind jedoch mehr als 10%, die noch als toleriert angesehen werden können. Auf Mahnung kommt es nicht an (entscheidend: Fälligkeit, Verzug für § 17 InsO nicht erforderlich).

c) Antragsrücknahme durch Y möglich? Rücknahme in § 13 Abs. 2 InsO vorgesehen. Bei GmbH ist GF für Stellung und damit auch für Rücknahme zuständig. Alleiniger GF ist nach Abberufung des X der Y. Er darf daher zurücknehmen (BGH NJW-RR 2008, 1439), wenn sich dies nicht als rechtsmissbräuchlich darstellt.

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK , Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 III./42Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Fälle: Lösungend) Insolvenzantragspflicht des Z?

(i) Keine Zahlungsunfähigkeit gem. § 17 InsO, da Kreditlinie noch offen, zudem EUR 2 Mio. aus Darlehen vorhanden.

(ii) Überschuldung gem. § 19 InsO?

Bei positiver Fortführungsprognose: keine Insolvenzantragspflicht gem. § 19 Abs. 2 InsO in der vom 18.10.2008 bis 31.12.2010 geltenden Fassung, ab 01.01.2011 gilt wieder:

Bilanz nach HGB nur Ausgangspunkt, hier EK nach HGB zunächst Null Euro, zu passivieren dann EUR 5 Mio. (Rückstellung für zu erwartende Haftungsansprüche), bilanzielle Überschuldung nach HGB damit EUR 5 Mio.

Überschuldung im Überschuldungsstatus nach § 19 InsO zu korrigieren, da stille Reserve zu heben. Diese beträgt EUR 3 Mio. im Fortführungsfall/ EUR 1 Mio. im Zerschlagungsfall und liegt im Fuhrpark. Bei positiver Fortführungsprognose Überschuldung „nur“ EUR 2 Mio., sonst EUR 4 Mio. nach altem/künftigen Recht; jedenfalls Antragspflicht wegen insolvenzrechtlicher Überschuldung. Nach aktuellem Recht keine Antragspflicht bei positiver Fortführungsprognose.

(iii) Sanierungsmaßnahme: Darlehensrückzahlungsanspruch des Z ist in der HGB-Bilanz und grundsätzlich auch im relevanten Überschuldungsstatus zu passivieren, vgl. BGH NZI 2001, 196 = WM 2001, 317). Möglich ist jedoch ein Rangrücktritt, der im Überschuldungsstatus die Passivierungspflicht beseitigt (vgl. § 19 Abs. 2 S. 2 InsO). Dann fallen die EUR 2 Mio. Darlehensverbindlichkeit weg, keine Überschuldung mehr gegeben, soweit Fortführungsprognose positiv.

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 IV./1Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Universität MannheimFakultät für Rechtswissenschaft

Vorlesung Insolvenzrecht

IV. Auswirkungen der Verfahrenseröffnung

Frühjahrssemester 2009

Diese Arbeitsunterlage ist unvollständig ohne den begleitenden mündlichen Vortrag.

Vortrag und Arbeitsunterlage sind urheberrechtlich geschützt.

Rechtsanwalt Dr. Georg Streit, München

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Rechtsposition des Schuldners nach Verfahrenseröffnung

I. Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis

• Der Schuldner verliert mit Insolvenzeröffnung die Befugnis, sein zur Insolvenzmasse gehörendes Vermögen zu verwalten und über dieses zu verfügen, § 80 Abs. 1 InsO

Ausnahme: Eigenverwaltung nach § 270 Abs. 1 InsO

• Der „Insolvenzbeschlag“ (Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter) erfasst die „Insolvenzmasse“. Dies ist das gesamte Vermögen des Schuldners (Universalinsolvenz)

Ausnahme: Insolvenzverfahren über Sondermassen (Nachlassinsolvenz, Insolvenzverfahren über Gesamtgut)

• Geringe Teile des schuldnerischen Vermögens gehören nicht zur Insolvenzmasse, der Schuldner bleibt insoweit verwaltungs- und verfügungsbefugt (§ 36 Abs. 1 S. 1 InsO: Unpfändbare Gegenstände, §§ 811 ff. ZPO, Unpfändbare Forderungen, §§ 850 ff. ZPO)

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II. Sonstige Auswirkungen der Insolvenzeröffnung auf den Schuldner

• Auskunftspflicht über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse, § 97 Abs. 1 InsO (flankiert durch Pflicht, ggf. eidesstattliche Versicherung abzugeben, § 98 Abs. 1 InsO)

• Mitwirkungspflicht, Unterstützung des Insolvenzverwalters, § 97 Abs. 2 und 3 InsO (z.B. Herausgabe von Schlüsseln, Informationen über Aktenführung und Geschäftsvorgänge)

• Bei Verweigerungshaltung: Vorführung und Haftanordnung, § 98 Abs. 2 und 3 InsO

• Zu Überwachungszwecken (Aufdeckung von verheimlichtem Vermögen): Postsperre, § 99 InsO

Sind juristische Personen Schuldner, treffen die genannten Schuldnerpflichten Geschäftsführer (GmbH), Vorstände/Aufsichtsräte (AG) bzw. bei Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit die vertretungsberechtigten persönlich haftenden Gesellschafter, vgl. § 101 Abs. 1 InsO

• Keine Erstreckung der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten auf Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft, Ausnahme: bei Führungslosigkeit Auskunftspflicht von Personen, die an dem Schuldner „beteiligt sind“, § 101 Abs. 1 S. 2 Halbsatz 2. Pflichten der Gesellschafter ggf. als faktische Geschäftsführer

• Bei Verweigerungshaltung von Organpersonen/Gesellschaftern neben Vorführung und Haftanordnung auch Auferlegung von Verfahrenskosten möglich bei Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse, vgl. § 101 Abs. 3 InsO

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III. Auswirkung der Insolvenzeröffnung auf Gesellschaften

• Insolvenzeröffnung ist Auflösungsgrund (§§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG, 131 Abs. 1 Nr. 3, 161 Abs. 2 HGB, 728 Abs. 1 S. 1 BGB)

• Auflösung (Handelsregistereintragung, § 31 InsO), Fortbestand der Gesellschaft, jedoch Liquidation. Str., ob neben dem Insolvenzverfahren noch ein gesondertes Liquidationsverfahren stattfindet. Beantwortung der Frage hängt davon ab, ob ein Freigaberecht des Insolvenzverwalters in diesen Fällen angenommen wird (wird Vermögen vom Insolvenzverwalter freigegeben, ist dieses in einem gesonderten Verfahren zu liquidieren)

• Für Freigabemöglichkeit (BGH, ZInsO 2005, 594) werden von der h.M. §§ 32 Abs. 3, 85 Abs. 2 InsO angeführt (verwalterfreundliche Auffassung, wichtig bei Altlastengrundstücken, Problem: Fortdauernde Polizeipflicht?)

• Gegen die Freigabemöglichkeit und ein sich nach dem Insolvenzverfahren anschließendes gesondertes Liquidationsverfahren sprechen Passagen der amtlichen Begründung der InsO: „Insolvenzverwalter als obligatorischer Liquidator“. Nach Verteilung sämtlichen Vermögens Amtslöschung gem. § 141a Abs. 1 FGG aus dem Handelsregister (K. Schmidt, ZIP 2000, 1913 ff.)

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Beschlagnahme des Schuldnervermögens (I)

Mit Ausnahme unpfändbarer und freigegebener Vermögensgegenstände umfasst der Insolvenzbeschlag des gesamte Schuldnervermögen:

• Dingliche Rechte

• Immaterialgüterrechte (bei Urheberrechten Besonderheiten, §§ 31, 113 ff. UrhG)

• Forderungen (Ausnahmen im Umfang der Unpfändbarkeit)

• Das Unternehmen als Ganzes (Geschäftswert und Kundenstamm als denkbare eigene vermögenswerte Positionen, vgl. §§ 160 Abs. 2, 162 InsO, auch Firma/“Handelsname“, str. bei Personenfirma, ja bei Sach- und Phantasiefirma; wenn die Firma Namen des Schuldners enthält: Zustimmung des Schuldners erforderlich

• Gesellschaftsrechte (Aktien, GmbH-Geschäftsanteile, Anteile an Personengesellschaften) Nicht: Die Gesellschaftsrechte an der insolventen Gesellschaft selbst. Aktien der insolventen AG gehören nicht in die Masse (wichtig z.B. im Zusammenhang mit Pflichten aufgrund einer Börsenzulassung, vgl. Streit/Schiermeyer, EWiR 2004, 67 f. zu VG Frankfurt; Lau, die börsennotierte Aktiengesellschaft in der Insolvenz, 2008)

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Beschlagnahme des Schuldnervermögens (II)

Auch nach Insolvenzeröffnung erworbenes „Neuvermögen“ fällt in die Insolvenzmasse, vgl. § 35 InsO (anders noch die KO)

Hinsichtlich der Insolvenzmasse gilt das Prinzip der dinglichen Surrogation: Vermögenswerte, die an die Stelle aus der Insolvenzmasse ausscheidender Vermögenswerte treten, fallen in die Insolvenzmasse

Dies ergibt sich mittelbar aus § 35 InsO (das Surrogationsprinzip ist z.B. geregelt in § 2041 BGB für den Nachlass)

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Wirkungen des Insolvenzbeschlags (I)

• Gemäß § 80 Abs. 1 InsO geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich der Insolvenzmasse auf den Insolvenzverwalter überSchuldner bleibt Eigentümer/Forderungsinhaber (ohne Verfügungsbefugnis)

etc., er bleibt auch Eigenbesitzer, der Insolvenzverwalter ist Fremdbesitzer, § 148 Abs. 1 InsO

• Es handelt sich bei § 81 InsO um ein absolutes Verfügungsverbot gegenüber dem Schuldner. Verfügungen des Schuldners nach Insolvenzeröffnung über Massegegenstände sind absolut unwirksam

Beispiel: Schuldner tritt nach Insolvenzeröffnung eine ihm im Eröffnungszeitpunkt zustehende Forderung gegen Drittschuldner D an Zessionar Z ab. Z fordert Zahlung von D. Obwohl D und Z nicht am Insolvenzverfahren beteiligt sind, kann sich D gegenüber Z wegen der absoluten Wirkung des Verfügungsverbots auf die Unwirksamkeit der Abtretung berufen. Zahlung von D kann nur der Insolvenz- verwalter fordern, nur der Insolvenzverwalter kann die Forderung erlassen oder abtreten

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Wirkungen des Insolvenzbeschlags (II)

• § 82 InsO regelt, dass Zahlungen auf Forderungen des Schuldners an diesen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur dann befreiend wirken, wenn der Leistende bei Vornahme der Leistung die Verfahrenseröffnung nicht kannte. Soweit die Leistung vor der öffentlichen Bekanntmachung der Eröffnung erfolgt, trägt der Insolvenzverwalter die Beweislast für Bösgläubigkeit, danach muss der Leistende Gutgläubigkeit darlegen und ggf. beweisen (vgl. § 82 S. 2 InsO)

Dem Schuldner fehlt die Empfangszuständigkeit, Forderungseinzug ist auch eine Art von Verfügung über Massegegenstände und vom Verfügungsverbot erfasst

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Verfügungen nach Eröffnung/Verkehrsschutz (I)

• Verfügungen des Schuldners nach Insolvenzeröffnung sind unwirksam, § 81 Abs. 1 S.1 InsO. Unwirksam sind also:

• Belastungen, Übertragungen, Aufhebungen und inhaltliche Änderungen des Schuldners über Schuldnerrechte (Vermögen)Folge: Verfügt der Schuldner über einen zur Insolvenzmasse gehörigen Gegenstand nach Verfahrenseröffnung, so kann der Insolvenzverwalter eine weggegebene bewegliche Sache gem. § 985 BGB herausverlangen bzw. eine vom Schuldner (unwirksam) abgetretene Forderung weiterhin gegen den Drittschuldner geltend machen

• Schutz des Vertragspartners des nichtberechtigten Schuldners: § 81 Abs. 1 S. 3 InsO, Herausgabeanspruch soweit die Masse bereichert ist

• Verfügungen am Tag der Insolvenzeröffnung: Beachte § 81 Abs. 3 InsO (Vermutung der Unwirksamkeit)

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Verfügungen nach Eröffnung/Verkehrsschutz (II)

• Kein Gutglaubensschutz bei beweglichen Sachen (Verweis in § 81 Abs. 1 S. 2 InsO nur auf § 892 f. BGB, nicht auf § 932 BGB). Anwendbarkeit von § 932 BGB jedoch evtl. bei Weiterveräußerung (evtl. kein Abhandenkommen)

• Kein gutgläubiger Erwerb von zur Insolvenzmasse gehörenden Forderungen (schon nach allgemeinen Grundsätzen des BGB)

• Der gute Glaube an die Richtigkeit des Grundbuchs wird geschützt, vgl. § 81 Abs. 1 S. 2 InsO, §§ 892, 893 BGB

• Ausschluss des Gutglaubensschutzes: Insolvenzvermerk im Grundbuch, vgl. dazu § 32 InsO (vorl. Verwaltung: § 23 Abs. 3 InsO)

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Fallbeispiele zum Verkehrsschutz:

1. Insolvenzverfahrenseröffnung über das Vermögen des S am 01.06., an- schließend verkauft und übergibt S noch sein Geschäftsfahrzeug mit Kfz-Brief an den gutgläubigen D am Folgetag gegen Barzahlung von EUR 5.000,00 (Wert des Fahrzeuges EUR 7.000,00). Dieser veräußert das be-reits auf ihn umgeschriebene Fahrzeug im Rahmen seines Gebraucht-wagenhandels noch am gleichen Tag an E. Der Insolvenzverwalter nimmt die Masse am 03.06. in Besitz.

2. Schuldner S tritt kurz nach Insolvenzeröffnung eine Briefhypothek formgültig an D ab, der von der Insolvenzeröffnung noch nichts weiß.

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Lösungen zu den Beispielsfällen:

1. S verfügte an D zwar als Eigentümer, jedoch ohne Verfügungsberechtigung, da gem. § 80 Abs. 1 InsO die Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter übergegangen war. Die Verfügung des S an D ist gem. § 81 Abs. 1 S. 1 InsO absolut unwirksam. Ein Gutglaubensschutz des D kommt nicht in Betracht (bewegliche Sache, § 81 Abs. 1 S. 2 InsO). Somit blieben Eigentum und Verfügungsberechtigung bei S bzw. dem Insolvenzverwalter. Die Verfügung von D an E könnte dagegen gem. §§ 929, 932 BGB wirksam sein, da §§ 80, 81 Abs. 1 S. 1 InsO insoweit nicht eingreifen (keine Verfügung des Schuldners). Da die Verfügung S-D noch vor Besitzergreifung des Insolvenzverwalters (vgl. § 148 Abs. 1 InsO) erfolgte, liegt kein Abhandenkommen gem. § 935 BGB vor. Dann wirksamer Eigentumserwerb des E und kein Herausgabeanspruch des Insolvenzverwalters gem. § 985 BGB.

2. Der Erwerb des D hängt davon ab, ob im Zeitpunkt des Rechtserwerbs ein Insolvenzvermerk im Grundbuch bereits eingetragen war (vgl. §§ 32, 23 Abs. 3 InsO). Soweit dies nicht der Fall ist, erwirbt er die Briefhypothek gutgläubig gem. § 81 Abs. 1 S. 2 InsO i.V.m. § 892 BGB.

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Ausschluss sonstigen Rechtserwerbs gem. § 91 InsO

• §§ 80, 81 InsO (Unwirksamkeit von Verfügungen des Schuldners) werden durch § 91 InsO ergänzt, der einen Rechtserwerb an Gegenständen der Insolvenzmasse nach Verfahrenseröffnung auch für die durch § 81 InsO nicht erfassten Fälle ausschließt, in denen keine Verfügung des Schuldners (nach Verfahrenseröffnung) und keine Zwangsvollstreckung für Insolvenzgläubiger (§ 89 InsO) vorliegt

• Beispiele für § 91 InsO:• Mehraktige Erwerbstatbestände mit Verfügung des Schuldners vor

Verfahrenseröffnung kommen nach Verfahrenseröffnung zum Abschluss • Rechtserwerb kraft Gesetzes; Rechtserwerb von Neugläubigern durch

Vollstreckung in die Insolvenzmasse• Wichtige Ausnahmen vom Ausschluss sonstigen Rechtserwerbs regelt § 91

Abs. 2 InsO: §§ 878, 892, 893 BGB bleiben unberührt

• Beispiel: Schuldner S lässt vor Insolvenzeröffnung ein Betriebsgrundstück an D auf (§ 925 BGB) und bewilligt die Umschreibung des Eigentums im Grundbuch (§ 19 GBO). D stellt den Eintragungsantrag (§ 13 GBO) noch vor der am 08.06. erfolgenden Insolvenzeröffnung. Am 10.06. erfährt D anschließend von der Insolvenzeröffnung, die Umschreibung des Grundstücks im Grundbuch erfolgt am 20.06. Rechtslage?

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Lösung des Beispielfalles:

1. Eigentumserwerb des D?

§§ 873, 925 BGB (Auflassung und Eintragung) +

2. Unwirksamkeit gem. § 81 InsO?

Nein, S verfügte (Auflassung, Bewilligung) vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens

3. Unwirksamkeit gem. § 91 InsO?

Rechtserwerb nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegt vor (Eigentumsumschreibung und damit Rechtserwerb erst nach Insolvenzeröffnung)

4. Gutglaubensschutz gem. § 91 Abs. 2 InsO?

Ja: Gem. § 892 Abs. 2 BGB kommt es für die Gutgläubigkeit auf den Zeitpunkt des Eintragungsantrages an. Bösgläubigkeit des D im Zeitpunkt der Eintragung selbst schadet nicht, zudem Schutz über § 878 BGB, da Eintragungsantrag vor Wegfall der Verfügungsbefugnis gestellt war (Schutzzweck: Verzögerungen, etwa durch Überlastung des Grundbuchamtes, sollen nicht zu Lasten des Erwerbers gehen)

5. Ergebnis: Wirksamer Erwerb des D, Gegenleistung (Geld/Forderung) = Masse

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Sonderproblem: Grundbuchumschreibung nach Kenntnis des Grundbuchamts von Insolvenzverfahrenseröffnung

Es ist zu unterscheiden:

1. Fallgruppe: § 81 Abs. 1 S. 2 InsO i.V.m. § 892 BGB

a) Veräußerung (Eintragungsantrag) nach Insolvenzeröffnungb) an gutgläubigen (C), noch kein Insolvenzvermerk eingetragen aberc) Kenntnis des Grundbuchamtes von der Insolvenzeröffnung

Folge: h.M.: Keine Grundbucheintragung, dem Erwerber darf nicht zu einem materiell unberechtigten Erwerb verholfen werden („Grundbuchsperre“ mit Insolvenzeröffnung); a.A.: Reihenfolgeprinzip gem. § 17 GBO, Eintragungen zu Gunsten Dritter müssen erfolgen, wenn entsprechende Eintragungsanträge vor dem Antrag auf Eintragung des Insolvenzvermerks erfolgen (Haftung gem. Art. 34 GG, § 839 BGB bei Durchbrechung des Reihenfolgeprinzips). Zur Problematik vgl. Ott, in: MK-InsO § 81 Rz. 23

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2. Fallgruppe: § 91 Abs. 2 InsO i.V.m. § 878 BGB, Voraussetzung:

a) Eintragungsantrag vor Insolvenzeröffnungb) Bindung an die Einigung (§§ 873 Abs. 2, 875 Abs. 2, 877 BGB)

Folge: Unstreitig ist der vor Insolvenzeröffnung gestellte Eintragungsantrag vom Grundbuchamt abzuarbeiten (§ 81 InsO greift nicht ein, da der Schuldner vor Eröffnung noch als Berechtigter verfügt)

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Übersicht zum Rechtserwerb Dritter:

§ 81 InsO § 89 InsO § 91 InsO

Rechtserwerb Dritter nach Eröffnung durch Verfügung des Schuldners

Rechtserwerb Dritter nach Eröffnung durch Zwangsvoll- streckung

Rechtserwerb Dritter auf sonstige Weise.§ 91 InsO ist nicht anwendbar, wenn der Erwerbstatbestand zur Gänze vor Insolvenzeröffnung vollendet ist

(nach Zimmermann)

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Übersicht zum Gutglaubenserwerb bei Grundstücken:

§ 81 I 2 InsO mit § 892 BGB

§ 91 II InsO mit § 892 BGB

§ 91 II InsO mit § 878 BGB

Erwerb von Rechten durch gutgläubige Dritte durch Verfügung des S nach Eröffnung

Eintragungs- antrag und nicht bindende Einigung – oder bindende Einigung ohne Eintragungs- antrag liegen vor Eröffnung

Bindende Einigung und Eingang des Eintragungs- antrags vor Eröffnung

(nach Zimmermann)

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Vollstreckungsverbot (I)

Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO) können während des Insolvenz- verfahrens keine Einzelzwangsvollstreckung betreiben, § 89 Abs. 1 InsO.

• § 89 Abs. 1 InsO erfasst alle Maßnahmen nach § 803 ff. ZPO sowie Arrest und Einstweilige Verfügung, §§ 916 ff., 935 ff. ZPO

• Auch Neugläubiger (anders Massegläubiger!) können nicht (wirksam) in die Insolvenzmasse vollstrecken, vgl. § 91 Abs. 1 InsO

• Für künftige Lohnforderungen vgl. § 89 Abs. 2 S. 1 InsO (Sperre für Insolvenzgläubiger und Neugläubiger, da künftiges Arbeitseinkommen für die Restschuldbefreiung im Rahmen der „Wohlverhaltensperiode“ zur Verfügung stehen soll), siehe auch § 81 Abs. 2 InsO

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Vollstreckungsverbot (II)

• Zwangsvollstreckungen in Auslandsvermögen sind nach Sinn und Zweck des § 89 Abs. 1 InsO nach Insolvenzeröffnung unzulässig (BGHZ 88,147; a.A.: OLG Hamm, ZIP 1982, 1343, beide Entscheidungen noch zur KO)

• Faktische Vollstreckungsmöglichkeit im Ausland eventuell gegeben (IPR-Frage), solchermaßen erlangtes Vermögen ist jedenfalls gem. § 812 BGB (Eingriffskondiktion) an den inländischen Insolvenzverwalter herauszugeben (§ 826 BGB bei ungekürzter Tabellenanmeldung?)

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Vollstreckungsverbot (III)

Vollstreckungsanträge sind abzulehnen, soweit die Vollstreckungsverbote aus §§ 89, 91 InsO reichen. Dennoch eingeleitete Vollstreckungsmaßnahmen kann der Insolvenzverwalter mit der Erinnerung (§ 766 ZPO) vor dem Insolvenzgericht (vgl. § 89 Abs. 3 InsO) anfechten

Für Aussonderungsberechtigte gilt § 89 InsO in Bezug auf die Aussonderung nicht, Ansprüche aus §§ 985, 546 BGB können gegen die Masse geltend gemacht und erforderlichenfalls im Vollstreckungswege durchgesetzt werden

Unzulässige Zwangsvollstreckungsmaßnahmen begründen kein Pfändungspfandrecht, können aber zur Verstrickung und zu wirksamen Erwerb des Ersteigerers führen (gemischt privatrechtlich öffentlich-rechtliche Pfändungspfandrechtstheorie). Daher sollte der Insolvenzverwalter Zwangsvollstreckungsmaßnahmen anfechten

Soweit ein Pfändungspfandrecht vor Insolvenzverfahrenseröffnung entstanden ist, bleibt es wirksam und berechtigt den entsprechenden Gläubiger zur abgesonderten Befriedigung gem. § 50 Abs. 1 InsO (Ausn.: § 88 InsO bzw. §§ 129 ff. InsO greifen ein)

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Rückschlagsperre, § 88 InsO

• § 88 InsO sperrt Zwangsvollstreckungen mit Rückwirkung („§ 88 InsO schlägt zurück“)

• Zeitliche Reichweite: Ein Monat vor Insolvenzantrag (oder später)

• Sachliche Reichweite: Alle Sicherungen aufgrund von Vollstreckungen in Massegegenstände (z. B. Pfändungspfandrechte, Zwangshypotheken, Beschlagnahmen nach § 20 ff. ZVG)

• Auswirkung: Automatische Unwirksamkeit kraft Gesetzes

Die Rückschlagsperre ist im Ergebnis eine gesetzliche und automatische Insolvenzanfechtung. Ziel: Materielle Gerechtigkeit, zeitliche Vorverlagerung der „par conditio creditorum“, besondere Bedeutung in Verfahren ohne Insolvenzverwalter (Eigenverwaltung, Verbraucherinsolvenz, dort auf Antrag des Schuldners gem. § 312 Abs. 1 S. 3 InsO zeitliche Reichweite von sogar 3 Monaten)

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Vollstreckungsbeschränkungen nach Insolvenzeröffnung

Vollstreckungsgegenstände

Masse „sonstiges Vermögen“

Lohn- und Gehaltsansprüche ab Verfahrensbeendigung

Insolvenz- gläubiger

unzulässig (§ 89 I);vorinsolvenzlich auch Rückschlagsperre (§ 88) und Anfechtung (§§ 129 ff.)

unzulässig(§§ 811 ff., 850 ff. ZPO; i.ü. § 89 I)

unzulässig(§ 89 II 1)

Neu- gläubiger

unzulässig (§ 91 I) weithin unzulässig(§§ 811ff., 850 ff. ZPO; s. aber § 850d ZPO)

unzulässig(§ 89 II 1)

(nach Foerste)

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Unterbrechung laufender Rechtsstreitigkeiten

Gemäß § 240 ZPO werden anhängige Prozesse unterbrochen, soweit sie die Insolvenzmasse betreffen. Prozessführungsbefugt ist mit Verfahrenseröffnung gem. § 80 Abs. 1 InsO nicht mehr der Schuldner sondern der Insolvenzverwalter. Die Unterbrechung endet mit Wiederaufnahme des Prozesses (bzw. Beendigung des Insolvenzverfahrens). Im Einzelnen:

• Bei vorläufiger Insolvenzverwaltung erfolgt eine Prozessunterbrechung nur, wenn ein starker Insolvenzverwalter bestellt wird (§ 240 S. 2 ZPO)

• Im selbständigen Beweisverfahren erfolgt keine Unterbrechung (str.), Grund: Zweck der schnellen Beweissicherung, BGH ZIP 2004, 186 f.

• Prozesse ohne Beziehung zur Insolvenzmasse laufen auch nach Verfahrenseröffnung weiter (Bsp.: Scheidungsverfahren des Schuldners, Strafverfahren gegen den Schuldner)

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Wiederaufnahme unterbrochener Prozesse (I)

Aktivprozesse (Schuldner ist Kläger):

• Aufnahmemöglichkeit des Insolvenzverwalters, § 85 Abs. 1 S. 1 InsO, § 250 ZPO (Erträge fließen der Masse zu, Kostenerstattungsanspruch des Gegners bei Unterliegen des Insolvenzverwalters ist Masseschuld gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) Rechtskraftwirkung auch über das Insolvenzverfahren hinaus

• Lehnt der Insolvenzverwalter die Aufnahme des unterbrochenen Aktivprozesses ab (z.B. wegen geringer Erfolgsaussichten), wirkt dies als Freigabe. Schuldner und Gegner können dann das Verfahren aufnehmen, § 85 Abs. 2 InsO

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Wiederaufnahme unterbrochener Prozesse (II)

Passivprozesse (Schuldner ist Beklagter):

• Aufnahmemöglichkeit ausnahmsweise (Grundsatz: Unterbrechung dauert an, da Feststellung/ Durchsetzung von Insolvenzforderungen der Gläubiger im Insolvenzverfahren, vgl. sogleich) für beide Seiten gem. § 86 Abs. 1 InsO bei Aussonderungsberechtigten, Absonderungsbe- rechtigten wegen der abgesonderten Befriedigung (soweit diese nicht Insolvenzgläubiger sind) und Massegläubigern

• Möglichkeit sofortigen Anerkenntnisses durch Insolvenzverwalter gem. § 86 Abs. 2 InsO mit ähnlichen Folgen wie § 93 ZPO (Kostenerstattungsanspruch = Insolvenzforderung)

• Erkennt der Verwalter nicht an, ist der Kostenerstattungsanspruch des Gegners nach dessen Obsiegen Masseschuld, § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO

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Wiederaufnahme unterbrochener Prozesse (III)

Passivprozesse (Forts.):• Prozesse von Insolvenzgläubigern bleiben gem. § 87 InsO unterbrochen

• Zu den Insolvenzgläubigern zählen auch solche Gläubiger, die eine Insolvenzforderung haben, die durch Sicherungsgut abgesichert ist, dessen Gewährung zur abgesonderten Befriedigung berechtigt. Der oben genannte Ausnahmefall (§ 86 Abs. 1 Nr. 2 InsO) betrifft nur zur abgesonderten Befriedigung Berechtigte, die nicht Insolvenzgläubiger sind (Sicherungsgut aus der Masse zur Absicherung der Schuld eines Dritten, der nicht der Insolvenzschuldner ist)

• Die Insolvenzgläubiger, deren Prozesse unterbrochen bleiben, müssen ihre eingeklagten Forderungen/Ansprüche im Rahmen des Insolvenzverfahrens durch Anmeldung zur Insolvenztabelle geltend machen, §§ 87, 174 ff. InsO

• Zur Aufnahme des Prozesses kann es nur dann kommen, wenn die Forderung im Prüfungstermin bestritten wird (vgl. §§ 180 Abs. 2, 184 S. 2 InsO)

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Übungsfragen (I):

Schuldner S und Gläubiger G einigen sich vor Insolvenzeröffnung über folgende Abtretungen:

1. Eine künftige Forderung, die erst nach Insolvenzeröffnung entsteht

2. Eine aufschiebend bedingte Forderung, wobei Bedingungseintritt nach Insolvenzeröffnung erfolgt

3. Lohnforderungen des Schuldners, die erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens fällig werden

Frage: Sind diese Abtretungen gegen den Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung wirksam?

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Übungsfragen (II):

4. D kauft von S vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des S eine Maschine unter Eigentumsvorbehalt. Bei Verfahrenseröffnung steht die Zahlung der letzten Rate durch D an S noch aus.

Wie ist die Rechtslage nach Verfahrenseröffnung?

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Lösungen zu den Übungsfragen:

1. Rechtshandlung ist die Vorausabtretung, diese erfolgt vor Verfahrenseröffnung. Daher keine Verfügung gem. § 81 Abs. 1 S. 1 InsO. Es greift aber § 91 Abs. 1 InsO ein, da der Rechtserwerb erst mit Entstehung der Forderung und somit nach Insolvenzverfahrenseröffnung eintritt (Breuer, in MK-InsO § 91 Rz. 26).

2. Keine Verfügung nach Insolvenzeröffnung gem. § 81 Abs. 1 S. 1 InsO, da Vorausabtretung. Anders als bei 1. wegen der Rückwirkung des Bedingungseintritts bzw. aufgrund des entsprechend anwendbaren § 161 Abs. 1 BGB auch kein Fall des § 91 Abs. 1 InsO. Ergebnis: Wirksamer Rechtserwerb (Breuer, a.a.O. Rz. 23).

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Lösungen zu den Übungsfragen:

3. Mangels Verfügung nach Verfahrenseröffnung greift § 81 Abs. 2 InsO nicht ein. Aus § 287 Abs. 3 InsO geht auch hervor, dass die Vorausabtretung vor Verfahrenseröffnung trotz der Bedeutung künftiger Bezüge für die Restschuldbefreiung möglich ist. § 114 InsO beschränkt die Vorausabtretung aber auf einen Zeitraum von rund 2 Jahren ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

4. § 81 Abs. 1 S. 1 InsO steht einem Rechtserwerb des D nicht entgegen, die Verfügung des S erfolgte vor Verfahrenseröffnung. § 91 Abs. 1 InsO greift wegen der Verfügung unter aufschiebender Bedingung nicht ein (vgl. Frage 2.). Problematisch wäre grundsätzlich das Wahlrecht des Insolvenzverwalters gem. § 103 InsO. § 107 Abs. 1 InsO steht der Nichterfüllungswahl jedoch als lex specialis entgegen und schützt das Anwartschaftsrecht des Vorbehaltskäufers D.

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Universität MannheimFakultät für Rechtswissenschaft

V. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters/Insolvenzarbeitsrecht

Vorlesung InsolvenzrechtFrühjahrssemester 2009

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Rechtsanwalt Dr. Georg Streit, München

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Wahlrecht, §§ 103 ff. InsO, Grundsätze (I)

• Sind bei Insolvenzeröffnung gegenseitige Verträge (§ 320 BGB, Synallagma) von beiden Vertragspartnern nicht/nicht vollständig erfüllt, gelten bezüglich der Abwicklung die §§ 103 ff. InsO

• § 103 InsO ist Generalnorm: Wahlrecht des Insolvenzverwalters (keine analoge Anwendung auf vorläufigen Insolvenzverwalter)

• §§ 104 ff. InsO enthalten Spezialvorschriften für Sonderfälle (Ausnahmen)

• Nicht erfasst sind Verträge ohne Synallagma (einseitig verpflichtende Verträge, z.B. Schenkung, unentgeltliche Bürgschaft, unverzinsliches Darlehen) und unvollkommen zweiseitige Schuldverhältnisse (Leihe)

• §§ 103 ff. InsO sind unanwendbar auf synallagmatische Verträge, die von einer Seite schon vollständig erfüllt worden sind

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Wahlrecht, §§ 103 ff. InsO, Grundsätze (II)Beispiele:

1. V verkauft der S GmbH eine Maschine, die nach Anzahlung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der S GmbH geliefert und übereignet, jedoch nicht mehr vollständig bezahlt wurde.

Zwar liegt ein synallagmatischer und von der S GmbH bei Insolvenzeröffnung noch nicht vollständig erfüllter Vertrag vor. Jedoch hat V voll erfüllt, so dass § 103 InsO nicht eingreift und V den Restkaufpreisanspruch nur zur Insolvenztabelle anmelden kann, während die Maschine in die Masse fällt (vgl. § 105 S. 2 InsO).

2. Wie Beispiel 1, jedoch hat die S GmbH die Maschine vor Insolvenzeröffnung vollständig bezahlt, die von V noch nicht geliefert wurde.

Auch hier greift kein Wahlrecht des Insolvenzverwalters. V kann (soweit keine Anfechtbarkeit gem. §§ 129 ff. InsO gegeben ist) das Geld behalten, die Insolvenzmasse hat jedoch einen Anspruch auf Lieferung der Maschine, den der Insolvenzverwalter geltend machen bzw. „verkaufen“ wird.

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Dogmatik und Zweck des Wahlrechts gem. § 103 InsO (I)

Ist ein gegenseitiger Vertrag von beiden Parteien noch nicht vollständig erfüllt, wäre vor dem Hintergrund der bloß quotalen Befriedigung der Insolvenzgläubiger die Leistungspflicht der Vertragspartner des Schuldners unbillig

• Bei isolierter Betrachtung der Ansprüche aus synallagmatischen Verträgen könnte der Insolvenzverwalter Erfüllung zur Masse fordern, während der Vertragspartner seinen Anspruch zur Insolvenztabelle (quotale Befriedigung) anmelden müsste

• Ähnlich wie im Bereicherungsrecht („Saldotheorie“) setzt sich die Verknüpfung gegenseitiger Ansprüche durch das Synallagma auch im Insolvenzrecht zumindest teilweise durch und vermeidet Ungerechtigkeiten

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Dogmatik und Zweck des Wahlrechts gem. § 103 InsO (II)

Die rechtstechnische Funktionsweise des § 103 InsO wird nicht einheitlich beurteilt:

• Erste Ansicht: Insolvenzeröffnung lässt Erfüllungsansprüche unberührt, Erfüllungsablehnung wandelt Vertrag um und führt zu einseitigem Anspruch des Vertragspartners auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung (Teile Lit.)

• Zweite Ansicht: Insolvenzeröffnung führt zum Fortfall der gegenseitigen Erfüllungsansprüche, Erfüllungsablehnung hat deklaratorische und Erfüllungswahl rechtsgestaltende Bedeutung (frühere Rspr.)

• BGH (NJW 2002, 2783): „Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bewirkt kein Erlöschen der Erfüllungsansprüche aus gegenseitigen Verträgen ... (diese) verlieren vielmehr ihre Durchsetzbarkeit ... wählt der Verwalter Erfüllung, so erhalten die zunächst nicht durchsetzbaren Ansprüche die Rechtsqualität von originären Forderungen der und gegen die Masse“

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Die Ausübung des Wahlrechts

• Wahlrechtsausübung erfolgt durch formfreie einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber dem Vertrags- partner, Wirksamkeit mit Zugang (§130 BGB)

• Unwiderruflichkeit, allerdings ggf. Anfechtung gem. § 119 Abs. 1 BGB, Bedingungsfeindlichkeit

• Wahlrechtsausübung auch konkludent möglich (z.B. Inanspruch- nahme von Leistungen nach Verfahrenseröffnung)

• Schutz des Vertragsgegners: Aufforderung zur Erfüllungswahl, § 103 Abs. 2 S. 2 InsO Unverzügliche bindende Wahlrechtsausübung, sonst Ablehnungsfiktion (§ 103 Abs. 2 S. 3 InsO). Keine feste Frist, Fallumstände maßgeblich

• Ohne Wahlrechtsausübung/Fiktion nach Aufforderung ergibt sich ein Schwebezustand, der Vertragspartner bleibt Insolvenzgläubiger, muss seinerseits jedoch auch nicht erfüllen

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Rechtswirkungen der Wahlrechtsausübung

• Verlangt der Insolvenzverwalter Erfüllung, so wird die Forderung des Vertragspartners zur Masseschuld, § 55 Abs. 1 Nr. 2 1. Alt. InsO

• Lehnt der Insolvenzverwalter die Erfüllung ab bzw. tritt die Fiktions- wirkung des § 103 Abs. 2 S. 3 InsO ein, so bleibt der beiderseitig nicht voll erfüllte synallagmatische Vertrag zwar bestehen, der Anspruch der Masse auf Erfüllung kommt jedoch in Fortfall und der Anspruch des Vertragspartners ist nunmehr (einseitig) auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung gerichtet, § 103 Abs. 2 S. 1 InsO

• § 103 Abs. 2 S. 1 InsO ist Rechtsgrundverweisung (str.). Der Anspruch folgt aus den BGB-Vorschriften, ersatzfähig (als Insolvenzforderung, Anmeldung zur Tabelle!) ist das Erfüllungsinteresse gem. §§ 249 ff. BGB (auch entgangener Gewinn)

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Reichweite des Wahlrechts (I)

Die BGH-Rechtsprechung zur Reichweite des Wahlrechts ist verwalterfreundlich. Die Ausübung des Wahlrechts soll nur Ansprüche des Vertragspartners auf Entgelt für ausstehende Leistungen erfassen

• Erfüllungswahl: Ein dem Vertragspartner zustehender Anspruch, der bereits vor Verfahrenseröffnung durch Leistung des Vertragspartners „werthaltig“ wurde, bleibt trotz Erfüllungswahl Insolvenzforderung

Vorleistungen vor Verfahrenseröffnung erfolgten „auf eigenes Risiko“des Leistenden

• Erfüllungsablehnung: Die Erfüllung soll nicht gänzlich ausgeschlossen sein; der Masse soll anteiliges Entgelt für Vorleistungen des Insolvenzschuldners zustehen (BGHZ 129, 336, 340). Vorleistungen des Vertragspartners begründen insoweit eine zur Tabelle anzumeldende Insolvenzforderung (nicht mit dem Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung zu verwechseln, der ggf. neben diesen Entgeltanspruch tritt und auch zur Insolvenztabelle anzumelden ist)

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Reichweite des Wahlrechts (II)

Beispielsfall zur Wahlrechtsausübung:Die S GmbH vereinbart Renovierungsarbeiten mit Hauseigentümer A zum Festpreis von EUR 60.000, die von ihr bei Insolvenzeröffnung zur Hälfte durchgeführt und von A abgenommen, diesem aber noch nicht in Rechnung gestellt sind. Der Insolvenzverwalter der S GmbH lehnt die weitere Vertragsdurchführung ab und verlangt EUR 30.000,00 für die erbrachte Teilleistung.

Für A wird der Wechsel zu einem anderen Bauunternehmen nach Beginn der Arbeiten teuer (Mehrkosten EUR 20.000,00).

Frage: Wie ist die Rechtslage und was sollte A tun?

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Reichweite des Wahlrechts (III)

Lösung:Der Werklohnanspruch und der Anspruch auf Werkerstellung (Renovierung) sind (je nach dogmatischer Auffassung) entweder mit Insolvenzverfahrens- eröffnung in Fortfall gekommen bzw. undurchsetzbar geworden oder aber spätestens aufgrund der Erfüllungsablehnung hinfällig (§ 103 Abs. 1 und 2 S. 1 InsO).

Nach der BGH Dogmatik soll der Masse wegen ihrer teilweisen Vorleistung das anteilige Entgelt (trotz Erfüllungsablehnung) zustehen (BGHZ 129, 336, 340 = NJW 1995, 1966, 1967).

A steht aufgrund der Erfüllungsablehnung ein Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung zu, dessen Herleitung („zivilrechtlich“, Rechtsgrund- verweisung in § 103 InsO bzw. „insolvenzrechtlich“, Rechtsfolgenverweisung) strittig ist. Unabhängig von dem Theorienstreit sind die Mehrkosten aufgrund der Nichterfüllungswahl als Nichterfüllungsschaden ersatzfähig.

A kann mit seinem Schadensersatzanspruch gem. § 94 InsO aufrechnen (str., a.A. = § 95 Abs. 1 S. 3 InsO, vertretbar), vgl. MK InsO § 103 Rz. 35. Grund: Forderung resultiert aus vor Insolvenzeröffnung geschlossenem Vertrag, BGH ZIP 1991, 945 ff. Ergebnis: A schuldet der Masse (nur) EUR 10.000,00.

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Schutz des Wahlrechts, § 103 InsO durch § 119 InsO

Im Gegensatz zur KO regelt die InsO in § 119 InsO ausdrücklich, dass Vereinbarungen im Vorfeld der Insolvenz, die einen Ausschluss des Wahlrechts des Insolvenzverwalters vorsehen, unwirksam sind.

Die Wirksamkeit vertraglicher Lösungsklauseln (kein ausdrücklicher Ausschluss des Wahlrechts) vor dem Hintergrund des § 119 InsO ist in der Praxis sehr umstritten. Beispiele häufig verwendeter und umstrittener Klauseln sind:

• Auflösende Bedingungen Im Fall von Insolvenzgrund,• Rücktrittsrechte Insolvenzantrag oder• Kündigungsrechte Insolvenzverfahrenseröffnung

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Übersicht zum Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach BGH-Rechtsprechung (I)

Gegenseitiger Vertrag

Wahlrecht Rechtslage bzw. Folgen der Ablehnung

Folgen der Erfüllungswahl

Vom Partner (P) voll erfüllt

Nein Für P Insolvenzanspruch auf Gegenleistung

Vom Schuldner (S) voll erfüllt

Nein Für Verwalter Anspruch auf Gegenleistung (einklagbar!)

Von niemandem voll erfüllt

Ja Für P Insolvenzanspruch auf Schadensersatz

Erfüllungsansprüche für Verwalter und P (Masseanspruch); einklagbar, Zug-um- Zug

(nach Foerste)

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Übersicht zum Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach BGH-Rechtsprechung (II)

Gegenseitiger Vertrag

Wahlrecht Rechtslage bzw. Folgen der Ablehnung

Folgen der Erfüllungswahl

Nur von P zu 1/3 erfüllt

Nur für restl. 2/3 Für P Insolvenzanspruch auf Gegenleistung i.H.v. 1/3, im Übrigen auf Schadensersatz

Für P Insolvenzanspruch auf Gegenleistung i.H.v. 1/3, Masseanspruch auf restliche 2/3

Nur von S zu 1/3 erfüllt

Nur für restl. 2/3 Für Verwalter Anspruch auf Gegenleistung i.H. v. 1/3 (einklagbar!);Für P Insolvenzanspruch auf Schadensersatz

Für Verwalter Anspruch auf volle Gegenleistung, für P Masseanspruch auf restl. Leistung

Von P wie von S zu 1/3 erfüllt

Nur für restl. 2/3 Für P Insolvenzanspruch auf Schadensersatz für übrige 2/3

Erfüllungsansprüche auf restl. 2/3 für Verwalter wie für P (Masseanspruch); einklagbar, Zug-um-Zug

(nach Foerste)

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Einschränkungen des Wahlrechts/Besonderheiten

Einschränkungen und Besonderheiten in Bezug auf das Wahlrecht gelten bei folgenden Sachverhalten:

• Kauf unter Eigentumsvorbehalt• Fixgeschäfte und Finanztermingeschäfte• Vormerkungsgesicherte Ansprüche• Miet- und Pachtverträge (Immobilien)• sowie insbesondere in Bezug auf Dienst- und Arbeitsverhältnisse

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Kauf unter Eigentumsvorbehalt, § 107 InsO

• Insolvenz des Vorbehaltskäufers: Es bleibt beim Wahlrecht des Verwalters, § 107 Abs. 2 InsO:

• Nichterfüllungswahl lässt Besitzrecht entfallen, Aussonderungsrecht des Verkäufers (§§ 985 BGB, 47 InsO)

• Erfüllungswahl macht Kaufpreisanspruch des Verkäufers zur Masseschuld, soweit die Masse nicht erfüllt, Rücktrittsrecht des Verkäufers mit Aussonderungsrecht

• Insolvenz des Vorbehaltsverkäufers: Der Käufer (Anwartschaftsrecht!) wird dadurch geschützt, dass dem Verwalter kein Wahlrecht zusteht, § 107 Abs. 1 InsO. Das Anwartschaftsrecht ist folglich insolvenzfest und erstarkt zum Eigentum des Vorbehaltskäufers bei Erfüllung des (restlichen) Kaufpreisanspruchs der Masse. Bei Nichtzahlung des Vorbehaltskäufers gelten die allgemeinen Regelungen: Rücktritt, Herausgabeverlangen des Verwalters

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Fixgeschäfte und Finanztermingeschäfte, § 104 InsO

• Fixgeschäfte über Lieferung von Waren mit Markt- oder Börsenpreis müssen zu einem genau bestimmten Termin erfüllt werden, ein Wahlrecht (mit entsprechenden Verzögerungen) ist hier unangemessen und vom Gesetzgeber ausgeschlossen, vgl. § 104 Abs. 1 InsO

Preisunterschied ggf. Insolvenzforderung des Geschäftsgegners

• Finanztermingeschäfte: Auch hier gibt es kein Verwalterwahlrecht, vgl. § 104 Abs. 2 InsO. Devisen und Indextermingeschäfte, Termingeschäfte mit Wertpapieren und Gold sowie Optionen werden mit Insolvenzeröffnung als beendet angesehen und saldiert. Folglich kann der Insolvenzverwalter nicht durch (verzögerte) Ausübung bzw. Nichtausübung seines Wahlrechts auf Kosten des Vertragspartners spekulieren

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Vormerkung, § 106 InsO

• Vormerkungsgesicherte Ansprüche müssen aus der Masse erfüllt werden, § 106 Abs. 1 S. 1 InsO, es besteht kein Wahlrecht (Grund: „Die Vormerkung“ muss insolvenzfest sein, um dieses Rechtsinstitut, das gerade für den Krisenfall geschaffen ist, funktionsfähig zu machen)

• Sonderfall: Neben dem vormerkungsgesicherten Anspruch (regelmäßig Übereignung) bestehen weitere Leistungspflichten des insolventen Schuldners. § 106 Abs. 1 S. 2 InsO klärt das Verhältnis zu § 103 InsO zu Gunsten der Vormerkung, die trotz des Wahlrechts des Insolvenzverwalters bezüglich der übrigen Leistungen „insolvenzfest“ ist:

Beispiel: Bauträgervertrag, Errichtung eines Wohnhauses auf vom insolventen Bauträgerunternehmen zu übereignendem Grundstück unter Finanzierung durch den Käufer (Teilzahlungen nach Baufortschritt vor Eigentumsumschreibung) mit Absicherung durch Vormerkung. Insolvenzeröffnung vor Baufertigstellung und Eigentumsumschreibung. Rechtslage?

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Lösung des Beispielfalls (Insolvenz des Bauträgers):

Der durch die Vormerkung gesicherte Anspruch auf Übereignung des Grundstücks ist insolvenzfest (§ 106 Abs. 1 S. 1 InsO). Dass neben der Übereignung auch die Errichtung und Fertigstellung des Bauwerks geschuldet wurde, ändert hieran nichts, § 106 Abs. 1 S. 2 InsO.

Der Vormerkungsschutz bezieht sich jedoch nur auf das Grundstücksrecht. Das werkvertragliche Element (Bauwerks- errichtung) wird nicht geschützt, dieser „Teil des Anspruchs“ des K ist nicht insolvenzfest.

Der Insolvenzverwalter kann Erfüllung wählen oder die Erfüllung ablehnen, § 103 InsO (betrifft nur die Bauleistung, im Einzelnen ist vieles streitig, grundlegend: BGHZ 79, 103)

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Miet- und Pachtverträge, §§ 108 ff. InsO (I)

Mobilien (bewegliche Sachen):

• Insoweit besteht grundsätzlich das Insolvenzverwalterwahlrecht gem. § 103 InsO, das Kündigungsrecht des Vermieters aufgrund Verzugs mit Mietzinszahlungen vor Insolvenzeröffnungsantrag und wegen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse ist gem. § 112 InsO eingeschränkt: nach Insolvenzantrag kann bei Insolvenz des Mieters nicht gekündigt werden (strittig: Kündigungssperre wegen Zahlungsverzug mit Mietzinsraten nach Insolvenzeröffnungsantrag? Richtig wohl: Insoweit keine Kündigungssperre, BGH NJW 2002, 3326, 3330 f.; HK-InsO § 112, Rz. 8)

• Ausnahme vom Verwalterwahlrecht bei beweglichen Sachen in der Vermieterinsolvenz: refinanzierte Vermietungen/Verpachtungen (Leasing!), vgl. § 108 Abs. 1 S. 2 (Änderung der InsO vor Inkrafttreten, da Leasing im Gesetzgebungsverfahren schlicht „vergessen“ wurde, vgl. Schmid-Burgk/Ditz, ZIP 1996, 1123)

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Miet- und Pachtverträge, §§ 108 ff. InsO (II)

Immobilien:

Miet- und Pachtverhältnisse über Immobilien bestehen fort, § 108 Abs. 1 S. 1 InsO, insoweit besteht kein Insolvenzverwalterwahlrecht.

Besonderheiten:

• Vermieterinsolvenz: Vertragsfortbestand, Mietzinsansprüche fallen in die Masse (großenteils auch im Fall von Abtretung, Verpfändung oder Pfändung, § 110 Abs. 1 und 2 InsO, Aufrechnungseinschränkung, § 110 Abs. 3 InsO)

• Mieterinsolvenz: Vor Übergabe der Immobilie Rücktrittsrecht beider Teile, § 109 Abs. 2 InsO; nach Übergabe Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters innerhalb gesetzlicher Frist auch im Fall von Festlaufzeiten, § 109 Abs. 1 S. 1 InsO (nach Vertragsende Aussonderung des Vermieters, soweit er Eigentümer ist, § 47 InsO)

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Aufträge und Geschäftsbesorgungsverträge

• Aufträge und Geschäftsbesorgungsverträge, die der Schuldner erteilt bzw. geschlossen hat, erlöschen mit der Insolvenzeröffnung, §§ 115 Abs. 1, 116 InsO

Beispiele: Verträge mit Rechtsanwälten, Architekten, Spediteuren, Vermögensverwaltern

• Bei Notgeschäftsführung (§ 672 BGB) und bei Unkenntnis des Geschäftsbesorgers/Beauftragten vom Insolvenzverfahren gilt das Auftragsverhältnis als fortbestehend, § 115 Abs. 2, 3 InsO

• Noch offene Vergütungsansprüche sind regelmäßig Insolvenzforderungen. Wie stets gilt: Die Honorarvorlage (§ 9 RVG, auch für „voraussichtlich entstehende“ Honorarforderungen!) ist der Eigentumsvorbehalt des Anwalts!

Vom Schuldner erteilte Vollmachten, die sich auf die Insolvenzmasse beziehen, erlöschen (vgl. § 117 Abs. 1 InsO, § 168 S. 1 BGB). Sonderregelung zum Schutz „gutgläubiger“ Vertreter: § 117 Abs. 3 InsO (Keine Haftung gem. § 179 BGB)

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Insolvenzarbeitsrecht, §§ 113 ff. InsO (I)

Grundnorm: § 108 Abs. 1 S. 1 InsO: Dienstverhältnisse (Arbeitsverhältnisse) bestehen nach Insolvenzeröffnung fort, ein Wahlrecht des Insolvenzverwalters gem. § 103 InsO ist nicht gegeben.

• § 113 Abs. 1 S. 1, 2 InsO gewährt jedoch Arbeitnehmern wie Arbeitgebern ein besonderes Kündigungsrecht (zur Verfassungsmäßigkeit der Verkürzung tarifvertraglicher Kündigungsfristen, vgl. LAG B-W ZIP 1998, 2013).

• Lohn- und Gehaltsansprüche:

• Ansprüche aus der Zeit vor Insolvenzeröffnung: Insolvenzforderungen, § 108 Abs. 3 InsO, jedoch Insolvenzgeld durch Bundesagentur für Arbeit für die letzten drei Monate vor Insolvenzeröffnung (§§ 183 ff. SGB III, cessio legis, regelmäßig: Vorfinanzierungslösung)

• Ansprüche für die Zeit nach Insolvenzeröffnung bei Weiterbeschäftigung und Freistellung bis Kündigungswirksamkeit: Masseverbindlichkeiten, § 55 Abs. 1 Nr. 2, 2 Alt. InsO, auch wenn wegen Freistellung Arbeitslosengeld gezahlt wird (cessio legis Arbeitsamt, daneben Anspruch auf Aufstockungslohn), HK-InsO § 55 Rz. 22 f.

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Insolvenzarbeitsrecht, §§ 113 ff. InsO (II)• Kündigung: Die Arbeitsverhältnisse bestehen fort, vgl. oben, die

Insolvenzeröffnung stellt keinen wichtigen Grund für a.o. Kündigungen dar. Ordentliche (betriebsbedingte) Kündigungen sind möglich. Fristgemäße Kündigungen sind auch bei vereinbarter Unkündbarkeit/Festvertragszeiten mit Frist von drei Monaten zum Monatsende möglich, § 113 Abs. 1 S. 2 InsO, vertragliche kürzere Fristen gehen vor

Jedenfalls innerhalb von drei Monaten kann der Insolvenzverwalter die Arbeitnehmer „freisetzen“. Die Kündigungsbestimmungen gelten grundsätzlich (Beteiligung des Betriebsrats, Kündigungsschutzgesetz, Mutterschutzgesetz; Kündigungsschutzklage innerhalb von Drei-Wochen-Frist, § 4 S. 1 KSchG bzgl. aller Kündigungsgründe mit Ausnahme der Geltendmachung der Nichtigkeit einer Kündigung wegen mangelnder Schriftform (§ 623 BGB)

Kündigungsrecht bzgl. belastender Betriebsvereinbarungen, § 120 InsO (3 Mo. nach vorheriger Beratung über Herabsetzung), auch betriebliche Altersvorsorge, BAG ZIP 2000, 322; vgl. HK-InsO § 120 Rz. 2

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Insolvenzarbeitsrecht, §§ 113 ff. InsO (III)

• Kündigungserleichterungen zu Gunsten des Insolvenzverwalters gem. § 125 InsO bei geplanter Betriebsänderung unter Interessenausgleich mit Namensliste (= Betriebsvereinbarung, § 111 BetrVG):

• Vermutung dringender betrieblicher Erfordernisse bei Kündigung• Eingeschränkte Sozialauswahl, eingeschränkte Überprüfung (Vorsicht:

Anhörung BR gem. § 102 Abs. 1 BetrVG bleibt erforderlich!)

Erleichtertes Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz gem. § 126 InsObei nicht Zustandekommen eines Interessenausgleichs innerhalb von drei Wochen nach Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen

Sozialplan (= Betriebsvereinbarung) bei Betriebsstilllegung oder Betriebsänderung gem. §§ 111 ff. BetrVG mit Ergänzung durch § 123 InsO als Spezialnorm: 2,5 Monatslöhne aller zu entlassender Arbeitnehmer sowie 33 % der Aktivmasse als Obergrenze

Widerrufsrecht gem. § 124 InsO für in den letzten drei Monaten vorVerfahrenseröffnung vereinbarte Sozialpläne (offene Forderungen aus nochälteren Sozialplänen sind Insolvenzforderungen, § 38 InsO)

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Insolvenzarbeitsrecht, §§ 113 ff. InsO (IV)

• Vorsicht: Ohne Versuch des Interessenausgleichs gem. §§ 111 BetrVG wird bei Kündigung aufgrund Betriebsänderung Nachteilsausgleich gem. § 113 Abs. 3 BetrVG fällig

• Nachteilsausgleich begründet Masseschuld, Schutz der Gläubiger durch Verwalterhaftung gem. § 60 Abs. 1 InsO. Dies gilt auch bei nur geringer Masse. Diese bleibt bei der Bemessung des Nachteilsausgleichs außer Betracht

• BAG hält Erleichterungen der InsO für abschließend (EWiR 2004, 239 f.): Abschließend ist daher Recht des Verwalters gem. § 122 InsO, bei Nichtzustandekommen eine I-Ausgleichs die Zustimmung des ArbG zur Betriebsänderung einzuholen (Ersatz für Schutz des Verwalters bei Kündigung nach I-Ausgleich mit Namensliste gem. § 125 InsO ist dann § 126 InsO). Wegen unterschiedlicher Zielsetzungen von I-Ausgleich (Regeln fürBetriebsänderung) und Sozialplan (Ausgleich von Nachteilen ausBetriebsänderung) ist ersterer auch erforderlich, wenn Mittel für Sozialplan fehlen

• Vorsicht: Auch bei I-Ausgleich mit Namensliste ist Anhörung des Betriebsrats vor den Kündigungen notwendig (§ 102 BetrVG), wenn diese fehlt drohen trotz § 125 InsO erfolgreiche Kündigungsschutzklagen. Allerdings dürf en Informationsanforderungen dabei nicht überspannt werden, wenn BR wg. Verhandlungen über I-Ausgleich schon notwendige Kenntnisse hat

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 V./26Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Betriebsrenten, BetrAVG

Betriebsrenten (Ansprüche, unverfallbare Anwartschaften für Versorgungsfall Alter/Tod/Invalidität) sind im Fall der Arbeitgeberinsolvenz regelmäßig durch das Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung von 1974 (BetrAVG) geschützt. Bei Insolvenzverfahrenseröffnung bzw. Antragsabweisung mangels Masse (§ 7 ff. BetrVG) besteht ein Anspruch gegen den Pensionssicherungsverein (PSV), dem alle Arbeitgeber beitragspflichtig angehören, die eine betriebliche Altersversorgung gewähren (§ 10 BetrVG). Pflichtmitgliedschaft, „Beliehener“

Akzessorischer Anspruch gg. PSV gem. § 7 Abs. 1 BetrAVG (Empfänger) bzw. Abs. 2 (Anwartschaftsberechtigte) führt gem. § 9 BetrAVG zu einer cessio legis, PSV meldet als Insolvenzgläubiger übergegangene Forderungen/Anwartschaften an (diese werden gem. § 45 InsO wie fällige Ansprüche behandelt, ggf. unter Abzinsung, so BAG, teilw. a.A. BGH, jedoch § 9 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG) und zahlt Betriebsrenten weiter (Empfänger) bzw. ab dem Versorgungsfall (Anwartschaften)

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Betriebsübergang, § 613a BGB

• Besonders im Fall der übertragenden Sanierung ist bedeutsam, dass § 613a BGB auch im Insolvenzverfahren gilt. Die Arbeitsverhältnisse gehen daher bei einer Veräußerung der wesentlichen Betriebsgrundlagen („Asset Deal“) auf den Erwerber über, § 613a Abs. 1 BGB. Wichtig ist auch die Kündigungsschutzbestimmung des § 613a Abs. 4 BGB

• Dies sind Sanierungshindernisse, die durch die Haftungsbeschränkung des Erwerbers (keine Haftung für Lohnrückstände aus der Zeit vor dem Betriebsübergang, BAG, NJW 1993, 2259) nicht ausreichend kompensiert werden

• Die Praxis behilft sich mit Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften (BQG nach dem Modell des „Dörries-Scharmann-Urteils“ (BAG in ZIP 1999, 320 ff. m. Anm. Hanau; zu Transfergesellschaften in der Insolvenzpraxis vgl. Praß/Sämisch, ZInsO 2004, 1284 ff.; a.A. LAG Bremen, BB 2005, S.665 ff., Stichwort: wegen Umgehung § 613a BGB Nichtigkeit so genannter dreiseitiger Verträge, aufgehoben durch das BAG, BB 2007, 1054 ff.)

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Universität MannheimFakultät für Rechtswissenschaft

VI. Von der Ist-Masse zur Soll-Masse (I)

Vorlesung InsolvenzrechtFrühjahrssemester 2009

Diese Arbeitsunterlage ist unvollständig ohne den begleitenden mündlichen Vortrag.

Vortrag und Arbeitsunterlage sind urheberrechtlich geschützt.

Rechtsanwalt Dr. Georg Streit, München

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Aussonderung, § 47 InsO

• Aussonderungsberechtigt ist, wer aufgrund eines dinglichen oder persönlichen Rechts geltend machen kann, dass ein Gegenstand nicht zur Insolvenzmasse gehört, § 47 S. 1 InsO

• Dem Aussonderungsrecht gem. § 47 S. 1 InsO entspricht § 771 Abs. 1 ZPO (Drittwiderspruchsklage) in der Einzelzwangsvollstreckung

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Geltendmachung des Aussonderungsrechts (I)

Das Aussonderungsrecht wird gem. § 47 S. 2 InsO unabhängig vomInsolvenzverfahren geltend gemacht. Aussonderungsrechte werden nichtzur Tabelle angemeldet

• Der Insolvenzverwalter hat fremde Sachen, die sich in der Masse befinden, jedoch nicht zu dieser gehören, an die Berechtigten herauszugeben (ergibt sich mittelbar aus § 148 Abs. 1 InsO)

• Der Aussonderungsberechtigte kann seinen Anspruch erforderlichenfalls gerichtlich geltend machen (Gerichts- stand: § 19 a ZPO, massebezogene Passivprozesse), ggf. kann auch gegen die Masse vollstreckt werden

• Das Vollstreckungsverbot gem. § 89 InsO gilt nicht, weil der Aussonderungsberechtigte (zumindest mit dem Aussonderungs- anspruch) kein Insolvenzgläubiger gem. § 38 InsO ist

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Geltendmachung des Aussonderungsrechts (II)

• Wurde vom Aussonderungsberechtigten bereits gegen den Schuldner auf Herausgabe geklagt, kann der gem. § 240 ZPO unterbrochene Prozess ggf. wieder aufgenommen werden (§§ 85, 86 InsO). Titelumschreibung vom Schuldner auf Insolvenzverwalter/ Insolvenzmasse gem. § 727 Abs. 1 ZPO ist möglich

• Auch Forderungen können dem Aussonderungsrecht unterliegen. Der Aussonderungsberechtigte macht dann geltend, Forderungsinhaber zu sein. Berühmt sich der Insolvenzverwalter einer Forderungsinhaberschaft der Masse, ist Feststellungsklage möglich (Prätendentenstreit, § 75 ZPO)

• Im Insolvenzeröffnungsverfahren ist eine Einschränkung des Aussonderungsrechts durch Sicherungsanordnung möglich (§ 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO)

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Ersatzaussonderung, § 48 InsO (I)

Ist der auszusondernde Gegenstand vom Schuldner oder vom Insolvenzverwalter veräußert worden, ist häufig eine Ersatzaussonderung gem. § 48 InsO möglich:

• Entweder der Schuldner veräußert vor Insolvenzeröffnung (nach Insolvenzeröffnung fehlt Verfügungsbefugnis, absolute Unwirksamkeit, § 81 Abs. 1 S. 1 InsO)

• oder der Insolvenzverwalter veräußert nach Insolvenzeröffnung

• Weitere Voraussetzung: Entgeltlichkeit („Gegenleistung“), noch vorhandener Anspruch auf die Gegenleistung (dann Abtretung) bzw. noch unterscheidbar in der Insolvenzmasse vorhandene Gegenleistung

• Str., ob Wirksamkeit erforderlich ist (Rspr. verneint dies, BGH NJW 1977, 901, zur Problematik vgl. HK-InsO § 48 Rz. 6)

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Ersatzaussonderung (II)

Rechtsfolge:

Abtretung des Anspruchs auf Gegenleistung bzw. Aussonderung der Gegenleistung, soweit noch unterscheidbar vorhanden (immer bei Sachleistung, bei Überweisung dann, wenn durch Buchungsbelege nachweisbar; soweit im Kontokorrent verrechnet wurde, ist zudem Habensaldo in Höhe der Gegenleistung erforderlich, BGH NJW 1999, 1709)

Beispiel:

Schuldner S bezieht eine Maschine XYZ von Gläubiger G unter verlängertem Eigentumsvorbehalt und veräußert diese an Drittschuldner D. Anschließend wird das Insolvenzverfahren eröffnet. Insolvenzverwalter I findet die Rechnung des S an D, fordert D zur Zahlung auf und erhält dessen Überweisung auf sein Insolvenzverwalteranderkonto mit Betreff „Zahlung auf Rechnung vom ..... für Maschine XYZ“.

Frage: Wie ist die Rechtslage?

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Lösung Fallbeispiel zum Ersatzaussonderungsrecht (I)

I. Aussonderungsrecht des G gem. § 47 InsO?

1. Verl. EV ist Eigentumsvorbehalt mit Vorauszession. Forderungserwerb gegeben, da Abtretung vor Insolvenzeröffnung, § 81 Abs. 1 S. 1 InsO greift nicht ein. Forderung kann grundsätzlich gem. § 47 InsO ausgesondert werden, ggf. Feststellungsklage gegen Insolvenzverwalter, der Inhaberschaft des Dritten an der Forderung bestreitet

2. Inhaberschaft des G an der Forderung ist gegeben; Vorauszession i.V.m. verlängertem Eigentumsvorbehalt vor Insolvenzeröffnung, §§ 81, 91 InsO greifen nicht ein

3. Forderung jedoch durch Erfüllung des D gegenüber der Insolvenzmasse des Zedenten S erloschen, vgl. §§ 407, 362 BGB

Kein Anspruch gem. § 47 InsO

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Lösung Fallbeispiel zum Ersatzaussonderungsrecht (II)

II. Ersatzaussonderung, § 48 InsO ?

1. „Veräußerung“ gegeben (Einzug fremder Forderung fällt unter §§ 47, 48 InsO), Entgeltlichkeit ebenfalls gegeben (Zahlung an die Insolvenzmasse)

2. Problem: „Recht auf Gegenleistung“ der Insolvenzmasse gegen D besteht nicht (mehr)

3. Jedoch Gegenleistung noch unterscheidbar in der Masse vorhanden (Einzahlung auf Insolvenzverwalteranderkonto, zudem Kontoauszug mit Einzelbuchung Unterscheidbarkeit gegeben, zur Problematik vgl. OLG Köln, ZIP 2002, 947; EWiR 2002, 633 f.)

Ergebnis: Der Insolvenzverwalter muss den eingegangenen Überweisungsbetrag an den Ersatzaussonderungsberechtigten G herausgeben

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Aussonderungsberechtigte (I)

• Eigentum berechtigt zur Aussonderung (eventuell jedoch Anfechtung des Eigentumserwerbs, §§ 129 ff. InsO)

• Forderungen (auch Rechte, die dem Schuldner nicht bzw. nicht mehr zustehen) können ausgesondert werden (vgl. Beispielsfall, Ersatzaussonderung); „Aussonderung“ ggf. durch Feststellungsklage gegen den Insolvenzverwalter (Feststellung, wer Forderungsinhaber ist)

• Vorbehaltseigentum (auch bei vertragswidrigem EV): Der Vorbehaltsverkäufer bleibt bis zur vollständigen Kaufpreiszahlung (Eintritt einer aufschiebenden Bedingung) Eigentümer, vgl. § 449 Abs. 1 BGB. Die Aussonderung ist jedoch erst dann möglich, wenn der Insolvenzverwalter sein Wahlrecht (ggf. auch durch Untätigkeit) zu Gunsten der Nichterfüllung ausgeübt hat, §§ 107 Abs. 2, 103 InsO (Bedenkzeit bis zum Berichtstermin)

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Aussonderungsberechtigte (II)

• Sicherungseigentum: Es ist zu unterscheiden:

• Insolvenzverfahren des Gläubigers (Sicherungsnehmers): Nach Erfüllung der gesicherten Forderung kann der Schuldner aussondern (Sicherungszweck erfüllt, Sicherungsbedürfnis fortgefallen)

• Insolvenzverfahren des Schuldners (Sicherungsgebers): Der Gläubiger ist als Sicherungseigentümer (Sicherungsnehmer) zwar grundsätzlich vollwertiger Eigentümer (daher in der Einzelzwangsvollstreckung § 771 Abs. 1 ZPO zu Gunsten des Sicherungsnehmers bei Vollstreckung in die zur Sicherheit übereignete Sache, str., a.A.: Nur Klage auf vorzugsweise Befriedigung, § 805 Abs. 1 ZPO), im Insolvenzverfahren greift jedoch nur ein Absonderungsrecht ein, § 51 Nr. 1 InsO (Grund: dem Sicherungsnehmer gebührt nicht die Sache sondern nur deren Wert bis zur Höhe seiner gesicherten Forderung. Parallele zum Pfandrecht. Zur Verwertung vgl. § 166 Abs. 1 InsO, Kostenbeiträge)

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Aussonderungsberechtigte (III)

Vorausabtretung beim Factoring: Beim Factoring werden dem Factor Kundenforderungen im Voraus global aufgrund eines Rahmenvertrages gem. § 398 BGB gegen Zahlung des Nennwerts abzgl. Provision abgetreten. Zu unterscheiden sind:

• Echtes Factoring (Factor trägt Delcredere-Risiko (Bonitätsrisiko = Risiko der Uneinbringlichkeit)) Forderungskauf nach Rechtsprechungsauffassung; daher Aussonderungsrecht gegeben

• Unechtes Factoring (Factor trägt Uneinbringlichkeitsrisiko nicht). Die Rechtsprechung geht insoweit von einem Darlehen mit Zession der Forderungen zur Sicherung aus. Folge: Kein Aussonderungsrecht, nur abgesonderte Befriedigung, § 51 Nr. 1 InsO

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Aussonderungsberechtigte (IV)

• Leasing: Beim Leasing ist das Finanzierungsleasing vom Operating Leasing (reiner Mietvertrag) zu unterscheiden. Liegt rechtlich ein Mietvertrag vor (Operating Leasing), kann der Leasinggeber als Vermieter aussondern, soweit der Vertrag nicht aufgrund entsprechender Ausübung des Wahlrechts fortbesteht (§§ 108 ff. InsO greifen hier regelmäßig nicht ein (diese betreffen Immobilien bzw. das refinanzierte Leasing in der Leasinggeberinsolvenz)). Beim Finanzierungsleasing ist nach h.M. ebenfalls ein Aussonderungsrecht gegeben

• Uneigennützige Treuhand (Bsp. Strohmann hält GmbH-Anteil): Bei Insolvenz des Treuhänders kann der Treugeber übertragene Gegenstände und Rechte aussondern (diese stehen nur formell im „Eigentum“ des insolventen Schuldners, materiell gehören sie dem Treugeber und nicht der Insolvenzmasse). Im Insolvenzverfahren des Treugebers ist das Treugut zur Insolvenzmasse zu ziehen (Treuhandverhältnis erlischt mit Verfahrenseröffnung, §§ 115, 116 InsO)

• Eigennützige Treuhand wird behandelt wie Sicherungseigentum. In der Insolvenz des Treuhänders=Sicherungsgebers hat der Treuhänder= Sicherungsnehmer nur ein Absonderungsrecht

Ähnlich ist es bei Anderkonten (z.B. von Rechtsanwälten). Das Guthaben ist Treugut und fällt nicht in die Insolvenzmasse des Kontoinhabers. Die von einem Rechtsanwalt etwa zu Gunsten seiner Mandanten eingezogenen Gelder können daher von diesen in der Anwaltsinsolvenz ausgesondert werden

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Aussonderungsberechtigte (V)

• Mietkaution: Auch Mietkautionen, die gem. § 551 Abs. 3 S. 3 BGB vom Vermögen des Vermieters getrennt anzulegen sind, unterfallen dem Aussonderungsrecht des Mieters in der Vermieterinsolvenz (nach Beendigung des Mietverhältnisses)

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Aussonderungsrecht:

Abgrenzung persönliches Recht/Verschaffungsansprüche

• Aussonderungsrechte können auf dingliche und auf persönliche Rechte gestützt werden (vgl. § 47 S. 1 InsO)

• Aussonderungsberechtigt sind daher Vermieter und Verleiher unabhängig davon, ob ihnen die vermietete bzw. verliehene Sache auch als Eigentum gehört (auch Untervermieter/Unterverleiher: Persönliche Berechtigung)

• Verschaffungsansprüche: Ein Anspruch auf Leistung oder Verschaffung einer Sache genügt nicht, um hierauf ein Aussonderungsrecht zu stützen

• Der Übereignungsanspruch aus Kaufvertrag (§ 433 Abs. 1 BGB) begründet keinen Anspruch auf Aussonderung der Sache (derartige Verträge unterfallen ggf. dem Insolvenzverwalterwahlrecht gem. § 103 InsO)

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Aussonderungsrecht:

Gläubigerpool zur Lösung von Beweisproblemen (I)

Ist klar, dass bestimmte Gegenstände nicht in die Masse gehören und gleichzeitig die Zuordnung von Aussonderungsrechten zu einer bestimmten Gläubigergruppe, nicht jedoch zu deren einzelnen Mitgliedern eindeutig und beweisbar ist, so bietet sich die Bildung eines Gläubigerpools an:

• Der Gläubigerpool ist eine GbR (Zweck: Gemeinsa me Rechtsverfolgung/Geltendmachung von Aussonderungsrechten)

• Die Mitglieder des Gläubigerpools würden in jeweils einzelnen Prozessen gegen die Masse mangels Beweisbarkeit ihres jeweiligen Aussonderungsrechts unterliegen

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Aussonderungsrecht:

Gläubigerpool zur Lösung von Beweisproblemen (II)

• Haben alle fraglichen Aussonderungsberechtigten ihre jeweiligen (möglichen) Rechte in den Pool eingebracht und geht dieser gegen die Insolvenzmasse vor, obsiegt der Pool (irgendein Poolmitglied war Inhaber des zur Aussonderung berechtigenden Rechts und hat dieses in den Pool eingebracht der Pool ist definitiv Inhaber eines zur Aussonderung berechtigenden Rechts). Zur Zulässigkeit und Wirksamkeit von Gläubigerpools vgl. Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2003, 142 ff.

Beispiel für einen Gläubigerpool:

Zusammenschluss der betrogenen Leasinggesellschaften im Fall FlowTex. Bei mehreren tausend Leasingverträgen waren rund 250 der vermieteten Bohrmaschinen tatsächlich vorhanden. Die eigentumsrechtliche Zuordnung ließ sich nicht mehr nachvollziehen. Ohne „Poolung“ der einzelnen Leasinggesellschaften hätte keine von ihnen gegenüber dem Insolvenzverwalter ihr jeweiliges Eigentum an einer konkret bestimmten Bohrmaschine nachweisen können. Durch die Einbringung aller Rechte an den Maschinen in den Pool stand diesem das Eigentumsrecht an den vorhandenen Bohrmaschinen zu. Einige Millionen Euro konnten auf diese Weise durch Verwertung ausgesonderter Bohrmaschinen vereinnahmt und (ohne Beteiligung der anderen Insolvenzgläubiger) abseits der Insolvenzmasse an die Leasinggesellschaften ausgeschüttet werden.

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Absonderung, §§ 49 ff. InsO

• Absonderung bezieht sich auf Gegenstände, die zur Insolvenzmasse gehören (Gegensatz: Aussonderung von Gegenständen, die nicht zur Masse gehören)

• Parallele zum Absonderungsrecht im Insolvenzverfahren ist die Klage auf vorzugsweise Befriedigung in der Einzelzwangsvollstreckung (§ 805 Abs. 1 ZPO)

• Der Anspruch auf vorzugsweise Befriedigung muss schon vor der Insolvenzeröffnung erworben worden sein (Ausnahmen: Erwerb nach Insolvenzeröffnung mit Zustimmung des Insolvenzverwalters bzw. Gutgläubigkeit oder durch Zwangsvollstreckung von Massegläubigern in Massegegenstände)

Absonderungsberechtigt ist, wer einen zur Zeit der Insolvenzeröffnung begründeten Anspruch auf vorzugsweise Befriedigung aus einem bestimmten Massegegenstand hat, vgl. §§ 49 bis 52 InsO

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Ausübung des Absonderungsrechts (I)

• Die Verwertung von Gegenständen, die dem Absonderungsrecht unterliegen, erfolgt im Insolvenzverfahren wie auch sonst üblich: Zwangsversteigerung, Pfandverkauf. Dabei besteht ein weitgehendes Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters, vgl. §§ 166, 173 InsO

• Ein Verwertungsrecht ist auch gegeben bei nur im mittelbaren Besitz des Insolvenzverwalters stehenden beweglichen Sachen soweit nicht der Absonderungsberechtigte unmittelbaren Besitz hat (BGH ZInsO 2006, 433, zur Problematik vgl. HK-InsO § 166 Rn. 5), bei zur Sicherung verpfändeten Forderungen und Gesellschaftsanteilen sowie bei zur Sicherheit abgetretenen Gesellschaftsanteilen (zum Streitstand HK-InsO § 166 Rz. 11, 17, 19)

• Besonders wichtig sind die Kostenbeiträge der Absonderungsberechtigten (Anreicherung der Insolvenzmasse), vgl. §§ 165-173 InsO (§ 171 InsO: 4% + 5% für Feststellung und Verwertung + 19% USt.)

• Bei Forderungseinzug durch den vorläufigen Insolvenzverwalter sind Kostenbeiträge auch im Eröffnungsverfahren möglich (§ 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO)

• Keine Kostenbeiträge zur Feststellung und keine Pauschalkostenbeiträge für Verwertung von Sicherungsgut dagegen bei Eigenverwaltung, § 282 InsO)

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Ausübung des Absonderungsrechts (II)

• Abweichende Regelungen zum Umgang mit Sicherungs- rechten/Absonderungsrechten sind im Rahmen eines Insolvenzplans möglich, vgl. § 217 InsO

• Im Rahmen der Anmeldung von Forderungen zur Tabelle sind Sicherungsrechte/Absonderungsrechte an beweglichen Sachen oder Rechten des Schuldners dem Insolvenzverwalter mitzuteilen, vgl. § 28 Abs. 2 InsO

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Geltendmachung des Absonderungsrechts (I)

Ein förmliches Feststellungsverfahren für Absonderungsrechte gibt es nicht. Widerspricht der Insolvenzverwalter einem Absonderungsrecht, kann auf Feststellung geklagt werden

• Absonderungsberechtigte sind danach zu unterscheiden, ob sie zugleich Insolvenzgläubiger sind (§ 52 S. 1 InsO, Bsp: Darlehensgeber erhält zur Sicherung seiner Darlehensrückzahlungsforderung Sicherungseigentum an einem Gegenstand des Schuldners) oder ob ihnen nur der Anspruch aus einer Sicherungsabrede zusteht (der spätere Insolvenzschuldner I übereignet seinen PKW dem Gläubiger G als Sicherheit für dessen Darlehen gegenüber seinem Bruder X)

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Geltendmachung des Absonderungsrechts (II)

• Der absonderungsberechtigte Insolvenzgläubiger meldet seine Forderung „für den Ausfall“ in voller Höhe an (§ 175 InsO). Die Insolvenzquote erhält er auf den Betrag, mit dem er bei der abgesonderten Befriedigung ausgefallen ist (§ 52 S. 2 InsO, Nachweispflicht gem. § 190 Abs. 1 InsO)

• Der Absonderungsberechtigte, der nicht Insolvenzgläubiger ist, macht nur sein Absonderungsrecht geltend

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Ersatzabsonderung

Ähnlich wie bei der Ersatzaussonderung der Aussonderungsberechtigte geschützt wird, kann auch der Absonderungsberechtigte auf eine in der Insolvenzmasse noch unterscheidbar vorhandene Gegenleistung zugreifen, soweit der Schuldner oder der Insolvenzverwalter das Absonderungsrecht durch Verfügung über den ihm unterliegenden Gegenstand vereiteln (§ 48 InsO analog)

Beispiel: Veräußerung von Sicherungseigentum durch den Insolvenzverwalter

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Die einzelnen Absonderungsberechtigten (I)

• Absonderungsrecht an Grundstücken, § 49 InsO: Vor allem Grundpfandgläubiger (Grundschuld, Hypothek), § 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG, persönliche Gläubiger, die eine Beschlagnahme des Grundstücks erwirkt haben (§ 20 ZVG), unwirksam allerdings, soweit nicht früher als einen Monat vor Eingang des Eröffnungsantrages bewirkt (Rückschlagsperre, § 88 InsO). Rangfolge: §§ 10 ZVG, 879-881 BGB. Beachte § 30d ZVG: Einstellungsmöglichkeit vor Berichtstermin bzw. bei Betriebsnotwendigkeit, Zinsen und Wertersatz gem. § 30e ZVG zu ersetzen

• Pfandgläubiger, § 50 InsO: Vertragspfandgläubiger (§§ 1204 ff., 1273 ff., 1279 ff. BGB); gesetzliche Pfandgläubiger (Vermieter § 562 BGB, Verpächter, § 592 BGB, Werkunternehmer, § 647 BGB, Frachtführer, § 441 HGB, Spediteur, § 464 HGB, Gastwirt, § 704 BGB). Wichtig: Entstehung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sonst unwirksam gem. § 91 Abs. 1 InsO

• Beschränkung bei gesetzlichen Pfandrechten: § 50 Abs. 2 InsO, § 562 BGB (Miet- und Pachtzinsforderungen sind für max. 12 Monate vor Eröffnung gesichert)

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Die einzelnen Absonderungsberechtigten (II)

• Pfändungspfandgläubiger (vgl. § 808 ZPO, §§ 828, 829, 846, 857 ZPO). Rückschlagsperre beachten: Pfändungspfandrechte die jünger sind, als einen Monat vor dem Eröffnungsantrag, sind unwirksam, § 88 InsO

• Sicherungseigentümer, § 51 Nr. 1 InsO: Grundsätzlich liegt zivilrechtlich vollwertiges Eigentum vor. Dennoch hat der Sicherungseigentümer kein Aussonderungsrecht gem. § 47 InsO, sondern nur einen Anspruch auf abgesonderte Befriedigung (anders in der Einzelzwangsvollstreckung, dort Drittwiderspruchsklage gem. § 771 ZPO). Grund: Sicherungseigentum als Form des „besitzlosen“ Pfandrechts

• Sicherungsabtretungen bei Insolvenz des Sicherungsgebers, § 51 Nr. 1 InsO (gilt auch für die zur Sicherung im Wege eines verlängerten Eigentumsvorbehalts abgetretene Forderung des insolventen Schuldners gegen einen Drittschuldner)

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Die einzelnen Absonderungsberechtigten (III)

• Zurückbehaltungsrechte wegen Verwendungen, § 51 Nr. 2 InsO (notwendige und nützliche Verwendungen im Rahmen eines EBV, §§ 994, 996, 1000 ff. BGB: Absonderungsrecht an den zurückbehaltenen beweglichen Gegenständen). Keine insolvenzrechtliche Wirkung haben dagegen Zurückbehaltungsrechte nach § 273 BGB oder vertragliche Zurückbehaltungsrechte (MK-InsO § 51 Rz. 242)

• Handelsrechtliche Zurückbehaltungsrechte, § 51 Nr. 3 InsO (vgl. dazu §§ 369 ff. HGB: Forderungen eines Kaufmanns gegen einen anderen Kaufmann aus beiderseitigen Handelsgeschäften werden durch im Besitz des Gläubigers befindliche bewegliche Sachen des anderen gesichert)

• Bruchteilsgemeinschaft/Gesellschaften ohne Rechts- persönlichkeit, § 84 Abs. 1 S. 2 InsO: Anteile haften den Gemeinschaftsgenossen/Gesellschaftern für Ansprüche aus den entsprechenden Rechtsverhältnissen

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Universität MannheimFakultät für Rechtswissenschaft

VII. Von der Ist-Masse zur Soll-Masse (II)

Vorlesung Insolvenzrecht

Frühjahrssemester 2009

Diese Arbeitsunterlage ist unvollständig ohne den begleitenden mündlichen Vortrag.

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Rechtsanwalt Dr. Georg Streit, München

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Aufrechnung, § 94 InsO, Grundsatz

Das Recht zur Aufrechnung wird durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich nicht berührt

Folge:• Zur Aufrechnung befugte Insolvenzgläubiger müssen nicht ihre

Forderungen im Insolvenzverfahren anmelden (Quote) und Forderungen der Masse (voll) erfüllen. Vielmehr können sie aufrechnen. § 94 InsO regelt die Insolvenzfestigkeit der Aufrechnungslage

• Aufrechnungsberechtigte haben daher eine ähnliche Situation wie Absonderungsberechtigte (sie befriedigen sich durch die Aufrechnung abgesondert an der Forderung der Masse, mit der eine Aufrechnungslage besteht. Kein Kostenbeitrag gem. §§ 170, 171 InsO)

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Voraussetzungen der Aufrechnung in der Insolvenz, § 94 InsO

• Notwendig ist eine Aufrechnungslage. Diese kann gem. § 94 InsO kraft Gesetzes oder aufgrund Vereinbarung bestehen (zu Verrechnungsklauseln und deren fehlender Insolvenzfestigkeit vgl. BGH, ZIP 2004, 1764 ff.; 2006, 1740 ff.)

• Aufrechnung kraft Gesetzes, § 94 1. Alt InsO: §§ 387 ff. BGB (Gegenseitigkeit, Gleichartigkeit, Vollwirksamkeit und Fälligkeit, Erfüllbarkeit der Hauptforderung). Aufrechnungsausschlüsse kraft Gesetzes oder Vereinbarung gelten allerdings auch im Insolvenzverfahren (vgl. §§ 390, 393, 394 BGB: Einrede, vorsätzl. unerlaubte Handlungen, Unpfändbarkeit)

• Aufrechnung kraft Vereinbarung, § 94 2. Alt. InsO (Verrechnungsvereinbarungen im Bankverkehr)

-----------------------------------------------------------------------------------------Sonderfall auflösend bedingte Forderung: Diese können nach vorstehenden Grundsätzen uneingeschränkt aufgerechnet werden (sie werden bis zum Bedingungseintritt auch nach §§ 387 ff. BGB wie unbedingte Forderungen behandelt, MK-InsO § 95 Rz. 29)

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Nachträglich eintretende Aufrechnungslagen, § 95 InsO (I)

§ 94 InsO betrifft Aufrechnungslagen, die bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehen

• § 95 InsO erstreckt den Schutz (Insolvenzfestigkeit der Aufrechnungslagen) grundsätzlich auch auf nach Verfahrenseröffnung eintretende Aufrechnungslagen:

• Aufschiebend bedingte Forderungen des Insolvenzgläubigers können nach Bedingungseintritt aufgerechnet werden, § 95 Abs. 1 S. 1 InsO

• Voraussetzung ist aber, dass die Gläubigerforderung vor der Forderung der Masse durch Bedingungseintritt fällig wird (§ 95 Abs. 1 S. 3 InsO)

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Nachträglich eintretende Aufrechnungslagen, § 95 InsO (II)

• Voraussetzung: Fälligkeit der Gläubigerforderung vor Fälligkeit der Forderung des Schuldners (der Masse), § 95 Abs. 1 S. 3 InsO (beachte: § 95 Abs. 1 S. 2 InsO mit Ausschluss des § 41 InsO, also keine Herbeiführung der Aufrechnungslage mit Fälligkeitsfiktion der Gläubigerforderungen mit Abzinsung gem. § 41 InsO)

• Bei Ungleichartigkeit (Gleichartigkeit ist Aufrechnungsvoraussetzung gem. §§ 387 ff. BGB) tritt keine Gleichartigkeit durch Umrechnung auf den Schätzwert (§ 45 InsO) ein, da § 95 Abs. 1 S. 2 InsO neben § 41 InsO auch die Anwendung des § 45 InsO ausschließt Aufrechnung erst nach eventuellem rechtzeitigen Eintritt der Gleichartigkeit „auf natürlichem Weg“

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Unzulässigkeit der Aufrechnung, § 96 InsO

In der Praxis besonders wichtig sind die Regelungen zum Ausschluss der Aufrechnung (Schutz der par conditio creditorum):

• Insolvenzgläubiger wird erst nach Eröffnung etwas zur Insolvenzmasse schuldig, § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO: Lieferant L ist Insolvenzgläubiger. Nach Verfahrenseröffnung kauft er vom Insolvenzverwalter I Waren aus der Masse. Als I Zahlung fordert, rechnet L auf Aufrechnung unwirksam, L muss zahlen und seine Forderung zur Tabelle anmelden

• Insolvenzgläubiger erwirbt seine Forderung erst nach Verfahrenseröffnung von einem anderen Gläubiger, § 96 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Bsp.: K schuldet der Insolvenzmasse EUR 5.000 gem. § 433 Abs. 2 BGB. Insolvenzgläubiger G hat eine Forderung in gleicher Höhe gegen die Masse. Erwartete Quote: 10 %. K kauft Forderung des G für EUR 1.000 und erklärt die Aufrechnung Unwirksam, K muss EUR 5.000 zahlen und kann die gekaufte Forderung nur zur Tabelle anmelden

• Erlangung der Aufrechnungsmöglichkeit durch anfechtbare Rechtshandlung, § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO (Nr. 4 ist in der Praxis kaum relevant)

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Massebereinigung und Forderungseinzug

Massebereinigung: • Aussonderung, § 47 InsO• Absonderung, §§ 49 ff. InsO• „Faktische Absonderung“ durch Aufrechnung, §§ 94 ff. InsO

Masseanreicherung, Durchsetzung von Ansprüchen und Rechten des Schuldners, insbesondere Forderungseinzug:

• Forderungen des Schuldners zieht der Insolvenzverwalter mittels seiner Verwaltungsbefugnis ein, § 80 Abs. 1 InsO

• Forderungen der Insolvenzgläubiger werden ausnahmsweise auch durch den Insolvenzverwalter eingezogen, vgl. §§ 92, 93 InsOFallbeispiel: Die XY GmbH & Co. KG befindet sich im Insolvenzverfahren. Es besteht Vermögen von rund EUR 100.000 und eine "Überschuldung" i.H.v. EUR 100.000 (10 Gläubiger mit Insolvenzforderungen von jeweils EUR 20.000). Komplementär X verfügt über ein Vermögen von EUR 25.000. Abwandlung: Die (einzige) Komplementärin ist eine GmbH, sie verfügt noch über ein Reinvermögen von EUR 20.000. Wie ist jeweils die insolvenzrechtliche Situation? Was gilt bzgl. der Kommanditisten?

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Gesamtschadensliquidation und Gesellschafterhaftung (I)

• Forderungen der Insolvenzgläubiger zieht der Insolvenzverwalter ausnahmsweise im Wege der Gesamtschadensliquidation gem. § 92 S. 1 InsO ein (Bsp.: Quotenschäden bei verspätetem Insolvenzantrag, §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 GmbHG, BGHZ 126, 181, 190 ff.; ähnlich: Verwalterhaftung, § 60 InsO, der Einzug erfolgt in diesem Fall durch einen Sonderverwalter, § 92 S. 2 InsO)

• Persönliche Haftung der Gesellschafter, § 93 InsO:Anwendungsbereich: Gster-Haftung bei der OHG, Komplementärhaftung

bei der KG und KGaA, nach neuer Rspr. des BGH zur GbR auch Haftung der GbR-Gster

Reichweite: Nur die „akzessorische Gesellschafterhaftung“, Paradebeispiel § 128 HGB, keine Analogien z.B. für Haftung gem. §§ 191, 69, 34 AO, vgl. BGH NJW 2002, 2718, BFH EWiR 2002, 217; a.A. OLG Schleswig EWiR2002, 25)

Vergleichbare Regelung: Für die (beschränkte und daher nicht von § 93 InsO erfasste) Kommanditistenhaftung gem. § 171 Abs. 2 HGB bei Insolvenz der KG

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Gesamtschadensliquidation und Gesellschafterhaftung (II)

• Funktionsweise der §§ 92, 93 InsO: Sperr- und Ermächtigungsfunktion: Gesetzliche Prozeßstandschaft, der Insolvenzverwalter macht gleichsam treuhänderisch für „seine“ Gläubiger die Ansprüche gegen den Dritten geltend, die Geltendmachung durch diese selbst ist während der Dauer des Verfahrens gesperrt. Aber keine cessio legis, vgl. Uhlenbruck InsO, § 93 Rz. 3

• Zweck der §§ 92, 93 InsO: Vermeidung des Gläubigerwettlaufs in einer sich abzeichnenden Insolvenz eines Dritten (Ausdehnung des Grundsatzes der gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger), Prozessökonomie, Vermeidung widersprechender Urteile

• Detailfragen: Inanspruchnahme von ausgeschiedenen Gstern (Haftung nur für Altschulden mit Fälligkeit innerhalb 5 Jahren gem. § 160 HGB; Nachhaftung bei Dauerschuldverhältnissen auch für später als zum erstmöglichen Kündigungstermin fällig werdende Verbindlichkeiten („begründet“); Sondermasse für die berechtigten Altgläubiger); Umfang der Geltendmachung der Forderungen gegenüber dem Gster durch den Insolvenzverwalter bei Doppelinsolvenz („Ausfallprinzip“, volle Anmeldung/Quote nur auf den Ausfall oder "Grundsatz der Doppelberücksichtigung", volle Anmeldung/Quote in beiden Verfahren?)

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Gesamtschadensliquidation und Gesellschafterhaftung (III)

Lösung Fallbeispiel: „Klassischer“ Fall des § 93 InsO, zur Verhinderung eines Gläubigerwettlaufs macht der Insolvenzverwalter der KG die Ansprüche gegen X geltend. Dies gilt auch bzgl. Abwandlung. Dort zwar sofort Insolvenzantragspflicht bei der Komplementärin gem. § 15a InsO, § 19 InsO und Schutz über § 88 InsO, § 93 InsO erfasst aber auch diesen Fall nach seinem Wortlaut eindeutig. Bzgl. Kommanditisten vgl. § 171 Abs. 2 HGB

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Klagen des Insolvenzverwalters

Bei gerichtlicher Durchsetzung von Forderungen der Masse bzw. Geltendmachung von Gesamtschäden bzw. persönlicher Gesellschafter- haftung klagt der Insolvenzverwalter als

Partei kraft Amtes (h.M.: Amtstheorie)

Im gerichtlichen Rubrum heißt es dann:

„Kläger: Rechtsanwalt XY als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Z-AG“

Unterliegt der Insolvenzverwalter, so ist der Kostenerstattungsanspruch des Gegners Masseschuld (§ 55 Abs. Abs. 1 Nr. 1 InsO)

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Befriedigung der Massegläubiger (I)

Masseverbindlichkeiten (Ansprüche der Massegläubiger) sind vor Verteilungen an die Insolvenzgläubiger aus der Masse vorweg und voll zu befriedigen, § 53 InsO. Zu denken ist insbesondere an folgende Masseverbindlichkeiten:

• Gerichtskosten für das Insolvenzverfahren, § 54 Nr. 1 InsO• Vergütung und Auslagen des (vorläufigen) Insolvenzverwalters und des

Gläubigerausschusses, § 54 Nr. 2 InsO• Verbindlichkeiten aufgrund von Handlungen des Insolvenzverwalters und

aufgrund von Erfüllungswahl (§ 103 InsO), § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 2 1. Alt. InsO• Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen aus der Zeit nach

Verfahrenseröffnung, § 55 Abs. 1 Nr. 2 2 Alt. InsO (z.B. fortbestehende Mietverträge)

• Ungerechtfertigte Bereicherung der Masse, § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO (Bsp.: Irrtümliche Überweisung von Geld auf ein Konto der Masse durch einen am Insolvenzverfahren nicht Beteiligten)

• Verbindlichkeiten aufgrund Handlungen eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters (§ 22 Abs. 1 S. 1 InsO), § 55 Abs. 2 S. 1 InsO

• Verbindlichkeiten aus nach Verfahrenseröffnung abgeschlossenen Sozialplänen, § 123 Abs. 2 S. 1 InsO (Grenzen: 2,5 Monatsverdienste der von einer Betriebs- änderung betroffenen AN, maximal 1/3 der Verteilungsmasse)

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Befriedigung der Massegläubiger (II)

• Bei ausreichender Insolvenzmasse werden alle Massegläubiger (vor den Insolvenzgläubigern) voll befriedigt, § 53 InsO

• Bei nicht ausreichender Masse ist zu unterscheiden:

• Massearmut (Masse reicht noch nicht einmal für Verfahrenskosten gem. § 54 InsO): Keine Eröffnung, § 26 InsO bzw. Einstellung, § 207 InsO; Masse wird für die (nicht vollständig gedeckten) Verfahrenskosten herangezogen

• Masseunzulänglichkeit (Masse reicht für Verfahrenskosten, nicht jedoch für sonstige Masseverbindlichkeiten gem. § 55 InsO): „Insolvenz im Rahmen des Insolvenzverfahrens“. Der Insolvenzverwalter zeigt die Masse- unzulänglichkeit dem Insolvenzgericht unverzüglich an, § 208 Abs. 1 S. 1 InsOVeröffentlichung der Anzeige der Masseunzulänglichkeit, Zustellung an die Massegläubiger, § 208 Abs. 2 InsO

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Rangordnung bei Masseunzulänglichkeit

Bei Masseunzulänglichkeit gem. § 208 InsO gilt folgendes:

• Bis zur Anzeige der Masseunzulänglichkeit sind alle Massegläubiger voll zu befriedigen (keine Rückzahlungspflicht erhaltener Leistungen)

• Nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit Befriedigung nach Rangordnung:

• Kosten des Insolvenzverfahrens (Gericht, Verwalter, Ausschuss, § 54 InsO)

• Neumassegläubiger (nach Masseunzulänglichkeitsanzeige, § 55 InsO)• Altmassegläubiger (§ 55 InsO)• Forderungen aus Sozialplänen (§ 123 InsO)

Zur Rangordnung bei Masseunzulänglichkeit vgl. § 209 InsO

Wegen der in dieser Situation im Raum stehenden Haftung des Insolvenzverwalters vgl. § 61 InsO (Verwalter muss sich exculpieren)

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Geltendmachung von Masseansprüchen

• Masseansprüche sind keine Insolvenzforderungen, daher keine Anmeldung zur Insolvenztabelle, sondern Erhebung der Ansprüche gegenüber dem Insolvenzverwalter

• Bei Nichterfüllung sind Klagen gegen den Insolvenzverwalter uneingeschränkt möglich, aus solchermaßen erlangten Titeln kann in die Insolvenzmasse vollstreckt werden

• Ausnahmen: 1. Sozialplangläubiger, § 123 Abs. 3 S. 2 InsO,2. Masseverbindlichkeiten, die nicht aus Handlungen des Insolvenzverwalters herrühren, sog. „oktroyierte Masseverbindlichkeiten“, § 55 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt. InsO), für diese gilt eine temporäre Vollstreckungssperre von 6 Monaten ab Eröffnung, § 90 Abs. 1 InsO 3. Altmasseansprüche bei Masseunzulänglichkeit (nur noch Feststellungsklage möglich)

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Insolvenzanfechtung, §§ 129 ff. InsO, Hintergrund und Ziel

Hintergrund des Anfechtungsrechts:

• Im Vorfeld der Insolvenzeröffnung erfolgen häufig Transaktionen (des Schuldners), welche zugunsten einzelner Gläubiger oder Dritter (oft nahestehender Personen) die Masse schmälern

• Hiergegen schützt das Insolvenzanfechtungsrecht für die Zeit bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 129 Abs. 1 InsO: „...vor der Eröffnung vorgenommen...“)

• Nach der Insolvenzeröffnung schützen dagegen die §§ 81, 82 InsO (Verfügungen des Schuldners), §§ 87, 89, 91 InsO (Maßnahmen von Insolvenzgläubigern), für Ausnahmefälle vgl. § 147 InsO

Zielrichtung des Anfechtungsrechts ist folglich die Gleichbehandlung aller Gläubiger („par conditio creditorum“) Vorsicht: Ins Visier von Insolvenzverwaltern und Rechtsprechung geraten zunehmend auch die Zahlungen an Sanierungsberater (BGH, ZInsO2008, 101 ff.: Kein Bargeschäft gem. § 142 bei Zahlung für Erstellung des Insolvenzantrags/Insolvenzplanes)

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Insolvenzanfechtung: Abgrenzung, Wirkungsweise, Dogmatik• Neben der Anfechtung im Insolvenzverfahren gibt es auch die Anfechtung

nach dem Anfechtungsgesetz. Diese schützt im Gegensatz zum Insolvenzanfechtungsrecht nicht die Gläubigergesamtheit („par conditio creditorum“) sondern den einzelnen Gläubiger, der die Einzelzwangsvollstreckung betreibt, vor vollstreckungshindernden Maßnahmen des Schuldners

• Die Insolvenzanfechtung ist auch abzugrenzen von der Anfechtung von Willenserklärungen nach §§ 119 ff. BGB, die auf die Beseitigung von Rechtsgeschäften gerichtet ist

• Anfechtungsnormen sind keine Verbotsgesetze, begründen per se keine Sittenwidrigkeit der erfassten Transaktionen und keine Deliktshaftung (Uhlenbruck, InsO § 129 Rz. 27 ff.)-------------------------------------------------------------------------------------------Wirkungsweise und Dogmatik des Anfechtungsrechts:

Die Insolvenzanfechtung sieht einen kraft Gesetzes bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen bestehenden Rückgewähranspruch der Masse vor, der durch den Insolvenzverwalter geltend zu machen ist (h.M., schuldrechtliche Theorie, vgl. § 143 InsO, a.A.: „Haftungsrechtliche Theorie“, „Dinglichkeitstheorie“, vgl. MK-InsO vor § 129 Rz. 13 ff.)

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Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung, § 129 InsO (I)

• Allgemeine Voraussetzungen jeder Anfechtbarkeit sind nach der Grundnorm des § 129 InsO (die selbst kein Anfechtungstatbestand ist) das Vorliegen von:

1. Einer Rechtshandlung und2. Deren Nachteilhaftigkeit für die Insolvenzgläubiger ----------------------------------------------------------------------------------------------

• 1. Rechtshandlung (weite Auslegung, WE, Gesch-ähnl.-Hdlg, Proz.-Hdlg) - jedes Handeln mit rechtlicher Wirkung, nicht nur Rechtsgeschäfte, z.B. auch Vollstreckungsmaßnahmen von Gläubigern, Gesellschafterbeschlüsse, Umwandlungen, Sozialpläne. Folgen müssen nicht stets gewollt sein. Bei Rechtsgeschäften ggf. getrennte Anfechtbarkeit von Kausal- und Erfüllungsgeschäft (Uhlenbruck, InsO § 129 Rz. 70)

- Vornahme der Handlung durch den Schuldner selbst ist nur ausnahmsweise erforderlich (§§ 132 Abs. 1, 2; 133 Abs. 1, 2; 134 Abs. 1 InsO = Unmittelbar nachteilige Rechtshandlungen, Vorsatzanfechtung, „Schenkungsanfechtung“)

- Vornahme der Rechtshandlung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens (ausnahmsweise Anfechtung von Handlungen nach Eröffnung gemäß § 147 InsO: z.B. Beseitigung gemäß §§ 892, 893 BGB nach Eröffnung wirksam werdender Handlungen). Vornahmezeitpunkt: Regelmäßig rechtliche Wirksamkeit entscheidend, § 140 Abs. 1 InsO

- Unterlassen steht gleich, § 129 Abs. 2 InsO, z.B. Unterlassung der Einlegung von Rechtsmitteln gegen gerichtliche Entscheidungen/Vollstreckungsmaßnahmen

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Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung, § 129 InsO (II)

• 2. Gläubigernachteil:

- Erforderlich ist ein objektiver Nachteil für die Insolvenzgläubiger in ihrer Gesamtheit (Verkürzung, Verminderung, Vereitelung, Erschwerung, Gefährdung oder Verzögerung der Befriedigung)

- Mindestens mittelbare Gläubigerbenachteiligung. Nachteilseintritt muss nicht direkt mit Rechtshandlung erfolgen, Vorliegen bei letzter mündlicher Verhandlung über Anfechtungsanspruch genügt

- Beispiel.: Ausreichend grundschuldbesicherte Darlehensgewährung an Insolvenzschuldner mit „Verflüchtigung“ der Valuta kurz vor Verfahrenseröffnung, zunächst Geld gegen besicherten Rückzahlungsanspruch kein unmittelbarer Nachteil für Gläubiger bei Vertragsschluss/Sicherheitengewährung gegen Valutierung, aber bei Eröffnung liegt Nachteil vor: Drohende Grundstücksversteigerung, Insolvenzforderung für den Ausfall, Valuta als Gegenwert für diese Belastung nicht mehr vorhanden

- Ausnahme: §§ 132, 133 Abs. 2 InsO, vgl. auch § 134 InsO: unmittelbarer Nachteil erforderlich (unmittelbar nachteilige Rechtshandlungen, unmittelbar nachteilige entgeltliche Verträge mit „Nahestehenden“, „Schenkungsanfechtung“)

- Beispiele: Verkauf von Gegenständen unter Marktwert, § 132 Abs. 1 InsO/§ 133 Abs. 2 InsO, Wegschenken von Vermögenswerten, § 134 InsO

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Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung, § 129 InsO (III)• 2. Gläubigernachteil (Forts.):

Zur Ermittlung, ob ein Nachteil vorliegt, ist stets zu fragen:

Hätte sich die Befriedigung der Insolvenzgläubiger günstiger gestaltet, wenn die (anfechtbare) Handlung unterblieben wäre?

Die Frage ist nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beantworten. Eine Vorteilsausgleichung soll indes nicht stattfinden (Uhlenbruck § 129 Rz. 91 ff.)

Keine Nachteiligkeit (Anfechtbarkeit) bei:

- Weggabe von wertlosen Gegenständen

- Quote von 100% auch für nachrangige Gläubiger (§ 39 InsO)

- Herausgabe von Treugut, Aussonderungsgut oder dessen Ablösung (anders nunmehr wegen §§ 170 f. InsO bei Absonderungsgut, vgl. Uhlenbruck § 129 Rz. 105 ff, 110 str., nach BGH ZInsO 2003, 1137 sind entgangene Kostenbeiträge kein Nachteil gem. §§ 129 ff. InsO)

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Bargeschäft gem. § 142 InsO (I)

• Hintergrund: Auch der direkte Austausch gleichwertiger Leistungen kann (bei getrennter Betrachtung von Kausal- und Erfüllungsgeschäft bzw. der Erfüllungsgeschäfte beider Seiten) grundsätzlich als nachteilige Rechtshandlung angesehen werden:

Bei jedem durchgeführten gegenseitigen Vertrag gibt der spätere Insolvenzschuldner („begriffsjuristisch“) etwas weg, was ohne die Transaktion in der Masse sein könnte

Käme man hier durch Trennung von Leistung und Gegenleistung mangels Vorteilsausgleichung zu einem Nachteil im Sinne des § 129 InsO und so zu einer Anfechtbarkeit, wäre der Schuldner in der Krise praktisch von allen Geschäften ausgeschlossen, was nicht gewollt und nicht vom Schutzzweck umfasst ist (§§ 129 ff. InsO sollen nicht zu einer Bereicherung der Masse führen, vgl. Uhlenbruck § 129 Rz. 91)

• Lösung des Gesetzes: § 142 InsO kodifiziert den schon früher geltenden Grundsatz, das Bargeschäfte keine Benachteiligung der Insolvenzgläubiger darstellen, Leistung und Gegenleistung bleiben für die Beurteilung der Nachteiligkeit verknüpft (bzw. insoweit greift eben doch Vorteilsausgleichung ein): „Benachteiligung durch die Leistung des Schuldners bleibt hier außer Betracht, da sie durch die Gegenleistung wieder ausgeglichen wird“ (Uhlenbruck § 142 Rz. 3: RGZ 100, 62, 64; BGH ZIP 1993, 1653)

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Bargeschäft gem. § 142 InsO (II)

Voraussetzung von Bargeschäften gem. § 142 InsO:

• Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung durch Parteivereinbarung (Wortlaut: „...für die ...“) Kein Bargeschäft bei abweichender Leistung ohne vorherige Änderung der Parteivereinbarung (BGH ZIP 1992, 778, 780)

• Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung („Klassiker: Ausgewogener Kaufvertrag, z.B. aber auch bei Sanierungs-Darlehen gegen angemessene Sicherheit (Uhlenbruck § 142 Rz. 9 f.), kein Bargeschäft dagegen bei deutlicher Übersicherung)

• Austausch gleichwertiger Leistungen Zug um Zug oder mit nur geringer zeitlicher Differenz ein bis zwei Wochen (BGH NJW 2001, 1650 zu Saldierungen im Kontokorrent: Bargeschäft, wenn die Bank den Kredit zurückführende Eingänge auf debitorischem Konto verrechnet und dabei im zeitlichen Zusammenhang Verfügungen, die die Valutierung wieder erhöhen, in gleichem Umfang zulässt

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Bargeschäft gem. § 142 InsO (III)

• Wichtig bei Sanierungsberatung: Honorar-Vorschussrechnung in Höhe der wertäquivalenten Vergütung für die nächsten (max.) 30 Tage, Bezahlung, (z.B. anwaltliche) Tätigkeit und Abrechnung über die Tätigkeit müssen innerhalb eines Zeitraums von (max.) 30 Tagen liegen (BGH ZinsO 2006, 712; BGH NJW 2008, 659)

• Einschränkung des Bargeschäftsprivilegs: § 142 InsO greift nicht bei Vorsatzanfechtungen. Bei diesen reicht mittelbare Benachteiligung aus, die auch nach Austausch gleichwertiger Leistungen noch eintreten kann („Verflüchtigung“), so dass keine Privilegierung eingreift wenn tatsächlich Vorsatz bzgl. Benachteiligung vorliegt (schwer nachweisbar bei gleichwertigen Leistungen, Uhlenbruck, § 142 Rz. 3, BGH ZIP 1997, 1551, 1553). Die h.M. will auch bei Inkongruenzanfechtungen § 142 InsO verneinen (Uhlenbruck § 142 Rz. 4), wohl zu Recht, da dann Abweichung von der Parteivereinbarung vorliegt

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 VII./24Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Insolvenzanfechtung bei Gläubigervollstreckung

• Rechtshandlungen von Gläubigern sind insbesondere auch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Das Vorliegen eines wirksamen Vollstreckungstitels steht der Anfechtbarkeit der Vollstreckungsmaßnahmen nicht entgegen, vgl. § 141 InsO

• Durch Vollstreckungsmaßnahmen erlangte Sicherungen (Pfändungspfandrecht) an zur Insolvenzmasse gehörendem Schuldnervermögen (bewegl. und unbewegl., auch, soweit im Ausland belegen) im letzten Monat vor Insolvenzantrag werden bereits durch § 88 InsO (Rückschlagsperre) erfasst

• Dies gilt auch, wenn sich der Gläubiger den Titel selbst schaffen kann (Verwaltungsvollstreckung bei Verwaltungsakt/Bescheid, insbesondere also Vollstreckung der Finanzämter, finanz- und sozialgerichtliche Vollstreckung) und auch für Vollstreckung im einstweiligen Rechtsschutz

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 VII./25Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Insolvenzanfechtung: Zeitpunkt der Rechtshandlung

Zeitpunkt der Rechtshandlung (wichtig für Berechnung der Anfechtungsfristen): Regelfall gem. § 140 Abs. 1 InsO ist Zeitpunkt des Eintritts der rechtlichen Wirkungen

Eintritt der rechtlichen Wirkung in Sonderfällen:

• Bei Grundstücken kommt es gemäß § 140 Abs. 2 InsO nicht auf die Eintragung an, soweit die Willenserklärung des Schuldners bindend geworden und der Antrag des Vertragspartners auf Grundbucheintragung gestellt worden ist (Neuerung durch InsO, früher a.A. BGH)

• Bedingungen und Befristungen bleiben außer Betracht (§ 140 Abs. 3 InsO) sofortiger Anlauf der Frist für die Anfechtbarkeit, auf den späteren Zeitpunkt des Bedingungseintritts/Fristablaufs kommt es nicht an

• Bei Anfechtung von Globalzessionen/Vorauszessionen kommt es auf den Abtretungszeitpunkt und nicht auf den Zeitpunkt der Entstehung der jeweiligen Forderung an (BGH ZinsO 2008, 91; a.A. MK-InsO § 140 Rz. 14: Evtl. trotz lange zurückliegender Globalabtretung noch anfechtbare Forderungsübergänge. Allerdings nur Anfechtung gem. § 130 InsO, rgm. keine Inkongruenz (BGH ZInsO 2008, 98, str.)

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 VII./26Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Berechnung von Anfechtungsfristen, § 139 InsOAlle nachfolgend zu behandelnden Anfechtungstatbestände sehen bestimmte materiellrechtliche Fristen (Ausschlussfristen, keine Verjährungsfristen) vor, innerhalb derer die Anfechtung geltend zu machen ist:

• Die Fristen werden anhand des Eingangs des ersten zulässigen Insolvenzeröffnungsantrags beim Insolvenzgericht berechnet (dies muss nicht der Antrag sein, auf den hin die Verfahrenseröffnung erfolgt, vgl. § 139 Abs. 2 InsO, mangels Masse abgewiesene Anträge bleiben ggf. relevant)

• Gem. § 13 Abs. 2 InsO zurückgenommene Anträge bleiben außer Betracht

• Es kommt für die Berechnung der Monats- und Jahresfristen auf den Tag an, dessen Zahl dem Eingangstag entspricht, vgl. § 139 Abs. 1 InsO

• Rückrechnung, insoweit Unterscheid zu § 222 Abs. 1 ZPO/BGB-Fristen, die über § 4 InsO auch im Insolvenzrecht gelten

Beispiel: Eingang des Insolvenzantrags am 08.08. Monatsfrist: 08.07., Dreimonatsfrist 08.05.

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Beweislast

• Grundsätzlich muss der Insolvenzverwalter darlegen und ggf. beweisen, dass die Tatbestandsvoraussetzungen einer Anfechtung tatsächlich vorliegen

• Anders ist die Beweislastverteilung bei nahestehenden Personen im Sinne des § 138 InsO (insb. Ehegatte, Lebenspartner, Verwandte in auf- und absteigender Linie, Personen in häuslicher Gemeinschaft; bei juristischen Personen/Gesellschaften: Organpersonen etc.)

• Bei nahestehenden Personen wird Kenntnis von der Benachteiligung anderer Insolvenzgläubiger bzw. der finanziellen Krise des Schuldners vermutet (vgl. §§ 130 Abs. 3, 131 Abs. 2 S. 2, 132 Abs. 3, 137 Abs. 2 S. 2 InsO, siehe auch § 133 Abs. 2 S. 2 a.E.)

• Soweit es auf die Kenntnis von Zahlungsunfähigkeit oder des Eröffnungsantrags bzw. einer Gläubigerbenachteiligung ankommt, genügt teilweise bereits die Kenntnis der zugrundeliegenden „zwingenden“ Umstände (vgl. §§ 130 Abs. 2, 131 Abs. 2, 132 Abs. 3, 137 Abs. 2 S. 2 InsO)

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 VII./28Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Deckungsanfechtung, §§ 130, 131 InsO §§ 130, 131 InsO (ebenso wie § 132 InsO) sind besondere (nicht auch für die E-ZV im AnfG enthaltene) Anfechtungstatbestände:

• Kongruente Deckung, § 130 Abs. 1 InsO

– Insolvenzgläubiger erhält Sicherung oder Befriedigung (= Deckung), die ihm in dieser Form und zu dieser Zeit gebührt (Anspruch auf genau dieses jetzt, ohne Auswahlrecht des Schuldners),

– Insolvenzgläubiger hat dabei Kenntnis von gleichzeitig bestehender Zahlungsunfähigkeit des Schuldners (Frist: maximal drei Monate vor Eröffnungsantrag, daneben auch nach dem Eröffnungsantrag, wenn dieser oder die Zahlungsunfähigkeit dem Gläubiger bekannt war)

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Deckungsanfechtung, §§ 130, 131 InsO • Inkongruente Deckung, § 131 InsO

– Insolvenzgläubiger erhält Sicherung oder Befriedigung, die er nicht, nicht in dieser Art oder nicht zu dieser Zeit beanspruchen konnte (Inkongruenz, solche Leistungen des Schuldners sind „per se verdächtig“)

– Frist: 1 Monat: Anfechtbar ohne weitere Voraussetzungen (Abs. 1 Nr. 1)

– Frist 2./3. Monat: Zusätzl. Voraussetzung entweder Schuldner zahlungsunfähig bei Leistung (Abs. 1 Nr. 2) oder Benachteiligungscharakter dem empfangenden Gläubiger bekannt (Abs. 1 Nr. 3)

Abgrenzung §§ 130/131 InsO: Schaffung von Kongruenz durch Vertrag kann inkongruent sein, Pfandrecht/Nachbesicherungsanspruch nach AGB-Banken immer inkongruent (kein Bezug auf bestimmte Sicherheiten, Auswahlrecht des Kreditnehmers) Praxisrelevant: BGH, ZInsO 2008, 91 ff. zu Globalzession und

Inkongruenzanfechtung (bankenfreundlich)

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Anfechtungstatbestand gem. § 132 InsO

• Unmittelbar nachteilige Rechtshandlungen, § 132 Abs. 1 InsO:

• Rechtsgeschäfte des Schuldners oder Aufgabe von Rechten (Abs. 2) +

- Auffangtatbestand (keine Deckungsanfechtung, Gegner kann Dritter sein)

- Frist: Letzte drei Monate vor Eröffnungsantrag bzw. danach; unmittelbare Benachteiligung der Insolvenzgläubiger (Bsp.: Verkauf unter Wert)

- Zahlungsunfähigkeit des Schuldners - Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon (bzw. von dem Eröffnungsantrag)

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Anfechtungstatbestand gem. §§ 133 InsO

• Vorsatzanfechtung, § 133 Abs. 1 InsO:

- Rechtshandlungen des Schuldners- Frist: Zehn Jahre vor Eröffnungsantrag- mittelbarer Nachteil für die Insolvenzgläubiger (§ 142 InsO nicht anwendbar)- hierauf bezogener Vorsatz des Schuldners, dolus eventualis ausreichend- Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon- Beweisbarkeit: Obj. Beweisanzeichen, insbes. Inkongruenz („Handelnde geben es

nie zu“, Strafbarkeit steht im Raum....)

• Verträge mit Nahestehenden, § 133 Abs. 2 InsO:

- Entgeltlicher unmittelbar nachteiliger Vertrag mit Nahestehenden,- Frist: zwei Jahre- Vorsatzerfordernis mit Beweislastumkehr für die Vorsatzkenntnis des

Anfechtungsgegners und die Frist („Rückdatierungen unter Verwandten“)

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Anfechtungstatbestand gem. § 134 InsO

• Schenkungsanfechtung, unentgeltliche Leistungen, § 134 InsO:

- Unentgeltliche Leistungen innerhalb einer Vier-Jahres-Frist vor Insolvenzantrag

(Beweislastumkehr bezüglich Fristwahrung)

- kein Vorsatzerfordernis (Grund: unentgeltlicher Erwerb ist nicht zu Lasten der

Insolvenzgläubiger schutzwürdig)

- erfasst sind auch gemischte Schenkungen

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Anfechtungstatbestand gem. § 135 InsO

• Gesellschafterdarlehen § 135 InsO:

Änderung von § 135 InsO durch das am 01.11.2008 in Kraft getretene MoMiG: insolvenzrechtliche Lösung für alle Gesellschafterdarlehen und wirtschaftlich entsprechende Forderungen.- Anfechtbarkeit aller Deckungen (Befriedigung/Sicherung) für Gesellschafterdarlehen und gleichgestellte Forderungen, für Gewährung von Befriedigung im letzten Jahr vor Insolvenzantragstellung (§ 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO)- § 135 Abs. 3 InsO: kein Aussonderungsrecht des Gläubigers während der Dauer des Insolvenzverfahrens, höchstens aber für die Zeit von einem Jahr ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, wenn betriebsnotwendig. Ausgleichsanspruch des Gesellschafters

• Rechtslage vor dem am 01.11.2008 in Kraft getretenen MoMiG:

- Eigenkapitalersatzrecht: Gewährung (auch Stehenlassen Umqulifizierung in faktisches EK) von Fremdmitteln (auch Gebrauchsüberlassung) durch Gesellschafter in der Krise, wenn „ordentliche Kaufleute“ EK zugeführt hätten Behandlung wie EK

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Anfechtungstatbestand gem. § 136 InsO

• Stille Gesellschaft, § 136 InsO:

- Anfechtung der vorzeitigen Einlagenrückgewähr (bzw. Sicherung) oder des

Erlasses der Verlustbeteiligung, Frist: ein Jahr vor Insolvenzeröffnungsantrag

- Voraussetzung jedoch, dass bei Vereinbarung über Einlagenrückgewähr bzw.

Erlass der Insolvenzeröffnungsgrund bereits vorlag, insoweit allerdings Beweislast

bei „dem Stillen“, vgl. § 136 Abs. 2 InsO

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Geltendmachung der Anfechtung (I)

• Insolvenzverwalter, § 129 InsO (h.M.: nicht übertragbar)

• Sachwalter, § 280 InsO bei Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO)

• Anfechtung durch Insolvenzgläubiger, § 313 Abs. 2 InsO im vereinfachten Insolvenzverfahren (Schuldner: natürliche Person mit geringfügiger oder keiner wirtschaftlichen Tätigkeit, vgl. § 304 Abs. 1 InsO)

• Kein Anfechtungsrecht des vorläufigen Insolvenzverwalters

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Geltendmachung der Anfechtung (II)

• Insolvenzverwalter verlangt die Rückgabe des aus dem Schuldnervermögen weggegebenen Gegenstands (erforderlichenfalls klageweise Geltendmachung), § 143 Abs. 1 InsO bzw. erhebt Einreden (wenn z.B. anfechtbar vom Schuldner veräußerter Gegenstand noch in der Masse vorhanden ist Verteidigung gegen Aussonderungsbegehren)

• Verjährungsfrist: Die Anfechtung richtet sich nach den Regelungen über die regelmäßige Verjährungsfrist nach dem BGB (§ 146 Abs. 1 InsO)

Anfechtung ist regelmäßig innerhalb von drei Jahren ab dem Schluss desjenigen Jahres geltend zu machen, indem das insolvenzverfahren eröffnet wurde. Späterer Verjährungsbeginn möglich bei späterer Kenntniserlangung des Insolvenzverwalters (vgl. § 199 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Soweit Anfechtung im Wege der Einrede erfolgt, gilt keine Verjährungsfrist, § 146 Abs. 2 InsO

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Rechtsfolgen der Anfechtung (I)

• Die Anfechtung hat (nur) schuldrechtliche Wirkung (Behandlung in der Insolvenz des Anfechtungsgegners aber str., nach h.M. und BGH dort Recht auf abgesonderte Befriedigung, Grund: Wert ist den Gläubigern des weggebenden Insolvenzschuldners und nicht denen des empfangenden Insolvenzschuldners wirtschaftlich zugewiesen)

• Der Anfechtungsgegner ist verpflichtet, dasjenige, was aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben wurde, zur Insolvenzmasse zurückzugewähren, § 143 Abs. 1 InsO (Anspruchsentstehung: mit Insolvenz- eröffnung)

• Grundsatz: Rückgewähr des anfechtbar aus der späteren Masse weggegebenen Gegenstands in Natur, bei Unmöglichkeit Geldersatz

• Grundsätzlich keine Vorteilsausgleichung (Anfechtungsanspruch ist kein Schadensersatzanspruch)

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Rechtsfolgen der Anfechtung (II)

• Die Rückgewährpflicht des Empfängers einer unentgeltlichen Leistung ist beschränkt auf die Bereicherung (vgl. § 143 Abs. 2 InsO)

• Forderung des Anfechtungsgegners lebt bei Rückgewähr des anfechtbar geleisteten Gegenstands wieder auf (vgl. § 144 Abs. 1 InsO)

• Gegenanspruch auf noch vorhandene Gegenleistung des Anfechtungsgegners gegen die Insolvenzmasse, soweit die Gegenleistung noch unterscheidbar in der Insolvenzmasse vorhanden oder zumindest noch um deren Wert bereichert ist (ansonsten nur Insolvenzforderung, keine Aufrechnungsmöglichkeit, vgl. § 144 Abs. 2 InsO)

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Universität MannheimFakultät für Rechtswissenschaft

Vorlesung Insolvenzrecht

VIII. Forderungsfeststellung und Masseverwertung

Frühjahrssemester 2009

Diese Arbeitsunterlage ist unvollständig ohne den begleitenden mündlichen Vortrag.

Vortrag und Arbeitsunterlage sind urheberrechtlich geschützt.

Rechtsanwalt Dr. Georg Streit, München

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Forderungsanmeldung (I)

Anzumelden sind Forderungen der Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO). Hieraus folgt:

• Persönliche Gläubiger, die einen zur Zeit der Insolvenzeröffnung begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben, müssen diesen zwecks Teilnahme am Verfahren anmelden

• Nicht anzumelden sind: • Masseansprüche (§§ 53 ff. InsO): Klagweise Geltendmachung

gegen Insolvenzverwalter

• Absonderungsansprüche (soweit nicht auch Insolvenzforderung gegen den Schuldner = gegen die Masse, insoweit Anmeldung und Berücksichtigung „für den Ausfall“)

• Neuforderungen (Begründung nach Insolvenzeröffnung gegen den Schuldner)

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Forderungsanmeldung (II)

Sonderfälle:

• Nachrangige Insolvenzforderungen (§ 39 InsO): Anmeldung nur nach Aufforderung des Gerichts, §§ 174 Abs. 3, 177 Abs. 2 InsO, Grund: Regelmäßig gibt es für diese Gläubiger keine Quote

• „Vergessene“ Insolvenzforderungen: Grundsätzlich kein Verlust der Forderung, jedoch nach Auflösung von Gesellschaften „Wegfall“ des Schuldners bzw. faktisches Erlöschen durch Restschuldbefreiung, § 301 Abs. 1 S. 2 InsO. Während des Verfahrens zudem Sperre für gerichtliche und vollstreckungsrechtliche Geltendmachung (vgl. §§ 87 ff. InsO)

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Forderungsanmeldung (III)

Anmeldungsformalitäten: • Anmeldung erfolgt schriftlich beim Insolvenzverwalter, § 174 Abs. 1 S. 1 InsO

• Urkunden (die Forderung belegende Unterlagen) sollen beigefügt werden (Rechnungen, Verträge, Wechsel etc.), § 174 Abs. 1 S. 2 InsO

• Anmeldung erfolgt beziffert unter Angabe des Grundes (z.B. Kaufvertrag) in Euro (§ 174 Abs. 2 InsO). Ggf. Umrechnung, Fälligkeitsfiktion und Abzinsung (vgl. §§ 41, 45, 46 InsO)

• Hinsichtlich Zinsen ist zu unterscheiden: Altzinsen sind zu berechnen und anzumelden. Neuzinsen (ab Verfahrenseröffnung) sind gem. § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO nachrangig und folglich gem. § 174 Abs. 3 InsO nur nach Aufforderung des Insolvenzgerichts anzumelden.

• Auf Nachrangigkeit (soweit überhaupt Anmeldung erfolgt) und auf Forderungsbegründung aus unerlaubter Handlung ist gesondert hinzuweisen (vgl. § 174 Abs. 2 und 174 Abs. 3 S. 2 InsO), Grund: grundsätzlicher Ausschluss von Quotenausschüttung bzw. Ausnahme bei Restschuldbefreiung, § 302 InsO

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Forderungsanmeldung (IV)

Anmeldungsfrist:

• Die Anmeldefrist wird durch das Insolvenzgericht im Eröffnungsbeschluss bestimmt, § 28 Abs. 1 InsO (zwei Wochen bis drei Monate nach Eröffnung)

• Verspätet gemeldete Forderungen werden im Prüfungstermin dennoch geprüft, vgl. § 177 Abs. 1 S. 1 InsO (gesonderter Prüfungstermin bei Widerspruch mit Kostenlast für Zusatztermin, § 177 Abs. 1 S. 2 InsO)

• Anmeldung nach Prüfungstermin: Gesonderter Prüfungstermin, Kostenfolge, keine Berücksichtigung bei Abschlagsverteilungen (vorrangige Berücksichtigung bei Verteilung noch vorhandener Restmasse, §§ 189, 192 InsO, Masseschulden gehen aber vor und bereits berücksichtigte Gläubiger müssen bezogene Abschlagszahlungen nicht zwecks Gleichbehandlung zurückzahlen, vgl. BGH, ZIP 1984, 980)

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Folgen der Anmeldung

• Verjährungshemmung, § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB (wichtig z.B. bei Aufhebung oder Einstellung des Insolvenzverfahrens)

• Tabelleneintragung durch den Insolvenzverwalter, § 175 Abs. 1 S. 1 InsO (unabhängig von einem eventuellen Widerspruch anderer Insolvenzgläubiger oder des Schuldners)

• Teilnahmeberechtigung des anmeldenden Gläubigers an Gläubigerversammlungen (einschließlich Recht auf Einsicht in die Gerichtsakte, fraglich bei unberechtigten Anmeldungen)

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Forderungsprüfung (I)

• Die Prüfung der angemeldeten Forderungen erfolgt im Prüfungstermin (regelmäßig ist dies die zweite Gläubigerversammlung maximal 5 Monate nach Eröffnung, nämlich 3 Monate maximale Anmeldefrist plus 2 Monate maximale Frist zwischen Ende Anmeldefrist und Prüfungstermin), § 176 InsO

• Terminsbestimmung durch das Insolvenzgericht im Eröffnungsbeschluss, § 29 Abs. 1 Nr. 2 InsO (öffentl. Bekanntmachung = Gerichtsblatt, daneben auch Bundesanzeiger sowie im Internet unter www.insolvenzbekanntmachungen.de sowie Zustellung an Gläubiger, § 30 Abs. 2 InsO durch Gericht bzw. –Praxis- Verwalter)

• Leitung dieser Gläubigerversammlung durch den Rechtspfleger, Tabelleneintragungen durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle. Anwesenheitspflicht des Insolvenzverwalters, Anwesenheitsrecht des Schuldners und der Insolvenzgläubiger (keine Öffentlichkeit)

• Prüfung aller angemeldeten Forderungen (bei Anmeldung nach Ablauf der Anmeldefrist auf Widerspruch gesonderter Prüfungstermin, vgl. § 177 Abs. 1 InsO)

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Forderungsprüfung (II)

• Im Einzelnen erörtert werden Forderungen, denen Schuldner, Insolvenzverwalter oder anwesende Insolvenzgläubiger (Vertretungsmöglichkeit, insb. durch Anwälte) widersprechen, § 176 S. 2 InsO. Erörterung bestrittener Forderungen nach Grund und Höhe

• Problem: „Vorläufiges“ Bestreiten („vorläufiger Widerspruch“) durch den Insolvenzverwalter: Von InsO nicht vorgesehen, in der Praxis verbreitet. (Ziel: Zeitgewinn des Verwalters, Widerspruchsrücknahme jederzeit möglich, Beseitigung der Feststellungswirkungen dagegen nicht) Feststellungsklage möglich, jedoch Gefahr des sofortigen Anerkenntnisses durch Verwalter mit Kostenfolge gem. §§ 4 InsO, 93 ZPO zu Lasten des Gläubigers (vgl. MK-InsO § 176 Rz. 31)

• Protokoll über die Forderungserörterung, Erstellung einer Tabelle mit Hinweis auf ein eventuelles Bestreiten

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Forderungsprüfung (III)

• Wird im Prüfungstermin oder einem (bei Verspätung der Anmeldung) angeordneten schriftlichen Verfahren kein Widerspruch vom Insolvenzverwalter oder einem Insolvenzgläubiger gegen die Forderung erhoben, gilt die Forderung als festgestellt, § 178 Abs. 1 S. 1 InsO

• Folge der Forderungsfeststellung: Wirkung wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber Insolvenzgläubigern/Insolvenzverwalter, vgl. § 178 Abs. 3 InsO

Ausschüttung Insolvenzquote

• Rechtskraftwirkung, Rechtsmittel gegen festgestellte Forderung/Titel folglich nur:

– Vollstreckungsabwehrklage, § 767 ZPO– Restitutionsklage, § 580 ZPO– Durchbrechung der Rechtskraft mittels Leistungsklage aufgrund § 826 BGB– Eintragungsberichtigung analog §§ 319, 320 ZPO (versehentlich falscher

Tabelleneintrag)

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Schuldnerwiderspruch gegen Forderungsanmeldung (I)

• Widerspricht nur der Schuldner der Feststellung einer angemeldeten Forderung, so wird diese dennoch festgestellt, vgl. § 178 Abs. 1 S. 2 InsO (anders bei Eigenverwaltung, vgl. § 283 InsO)

• Der Schuldnerwiderspruch steht der Forderungsfeststellung nicht entgegen, vgl. § 178 Abs. 1 S. 2 InsO, er hat (nur) Wirkung nach Beendigung des Insolvenzverfahrens:

• Grundsätzlich kann nach Verfahrensbeendigung die Restforderung gegen den Schuldner geltend gemacht werden, § 201 Abs. 1 InsO (Ausnahme: Restschuldbefreiung, § 201 Abs. 3 InsO bzw. abweichender Insolvenzplan, § 217 InsO). Titulierung ist nicht mehr notwendig (und auch nicht zulässig), da Tabelleneintrag wie rechtskräftiges Urteil wirkt, vgl. § 201 Abs. 2 i.V.m. § 178 Abs. 3 InsO

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Schuldnerwiderspruch gegen Forderungsanmeldung (II)

• Die vorgenannte Titulierungswirkung der Tabelleneintragung tritt nicht ein, soweit der Schuldner der Anmeldung der Forderung widersprochen hat, vgl. § 201 Abs. 2 InsO

• Titelnutzung nach Verfahrensende: Beantragung vollstreckbarer Ausfertigung aus der Tabelle beim Insolvenzgericht, §§ 4 InsO, 724 Abs. 2 ZPO (jedoch eventuell Restschuldbefreiung, § 201 Abs. 3 InsO, § 301 InsO)

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Forderungsfeststellung nach Bestreiten durch Insolvenzverwalter/Gläubiger (I)

• Während das Bestreiten nur durch den Schuldner keine Auswirkung während des Insolvenzverfahrens hat, wirkt sich ein Bestreiten durch den Insolvenzverwalter bzw. Insolvenzgläubiger bereits während des Verfahrens aus:

• Wird eine nicht titulierte Forderung im Prüfungstermin bestritten, wird dies in der Tabelle vermerkt. Der anmeldende Gläubiger muss dann grundsätzlich gegen den bzw. die Bestreitenden Feststellungsklage (§ 256 ZPO) erheben, vgl. § 179 Abs. 1 InsO (Ausschlussfrist 2 Wochen, § 189 InsO, jedoch nachträgliche Berücksichtigung gem. § 192 InsO). Gerichtszuständigkeit nach allgemeinen Vorschriften, örtliche Zuständigkeit jedoch AG/LG am Sitz des Insolvenzgerichts (nicht: Insolvenzgericht), Streitwert nicht gem. gemeldeter Forderung sondern gem. zu erwartender Insolvenzquote, vgl. § 182 InsO. Zur Rechtskraft vgl. § 183 InsO (Erstreckung auf alle Beteiligten des InsO-Verfahrens)

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Forderungsfeststellung nach Bestreiten durch Insolvenzverwalter/Gläubiger (II)

• Urteilswirkung: § 183 Abs. 1 InsO, bei Obsiegen des anmeldenden Gläubigers Berichtigung der Insolvenztabelle (Beseitigung des Widerspruchs), vgl. § 183 Abs. 2 InsO

• Ein bei Insolvenzeröffnung bereits laufender Prozess hinsichtlich der angemeldeten Forderung kann nach zunächst erfolgter Unterbrechung gem. § 240 ZPO gem. § 180 Abs. 2 InsO aufgenommen werden (Antragsänderung auf Feststellung, Parteiwechsel, der Bestreitende tritt in Parteirolle des Schuldners ein)

• Ausnahmefall Klaginitiativlast des Bestreitenden: Ist die angemeldete und bestrittene Forderung bereits tituliert, nimmt die Forderung trotz des Bestreitens am Verfahren teil, der Bestreitende muss seinerseits „den Widerspruch verfolgen“, vgl. § 179 Abs. 2 InsO. Da diese Norm keinen zusätzlichen Rechtsbehelf gegen den Titel gibt, kann der Bestreitende nur ggf. noch offenstehende Rechtsbehelfe nutzen (z.B. Berufungseinlegung, soweit der insolvente Schuldner noch Berufung hätte einlegen können)

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Übersicht Prüfungsverfahren

Niemand bestreitet eine Forderung

Nur der Schuldner bestreitet eine Forderung

Nichttitulierte Forderung wird vom Verwalter/ Gl. bestritten

Titulierte Forderung wird vom Verwalter/ Gl. bestritten

Forderung gilt als festgestellt, § 178 I

Forderung gilt als festgestellt, § 178 I

Feststellungsklage des anmeldenden Gl., § 179 I

Neg. Feststellungs- klage, § 179 II, gegen den Titel

Gl. erhält Quote Gl. erhält Quote Klageerfolg: Quote, anderenfalls: Nichts

Quote, Ausn. Klagerfolg des Bestreitenden

Nach Verfahrens- abschluss: Vollstr. wg. Rest aus Tabellenauszug, § 201 II

Nach Verfahrens- abschluss: Vollstr. wg. Rest nicht aus Tabellenauszug, Klage gg. Sch. notwendig

Nach Verfahrens- abschluss: Vollstr. wg. Rest aus Tabellenauszug, bei Bestreiten Sch. Klage nötig

Nach Verfahrens- abschluss: Vollstr. wg. Rest aus Tabellenauszug, bei Bestreiten S. aus dem Titel

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Masseverwertung (I)

Neben dem Verwaltungsrecht (§ 80 Abs. 1 InsO), z.B. der Anlage und Verwaltung von Geldmitteln und Wertpapieren, ist die Verwertung der Masse (Liquidation des vorhandenen Massevermögens) eine der wichtigsten Aufgaben des Insolvenzverwalters:

• Die Verwertungsart bestimmt der Verwalter nach pflichtgemäßem Ermessen, möglich sind freihändiger Verkauf, vgl. z.B. § 166 Abs. 1 InsO, z.B. über Verwertungsgesellschaften oder im Wege eines Asset-Deals; Problem: nach h.M. kein Verwertungsrecht bei nicht verkörperten Rechten, an denen ein Absonderungsrecht besteht (Ausnahme: Forderungen, § 166 Abs. 2 InsO), Sicherungsrechte müssen daher abgelöst werden, Versteigerungen (regelmäßig unter Einschaltung professioneller Auktionatoren), regelmäßig werden bei wertvollen Vermögensgegenständen Wertgutachten eingeholt

• § 159 InsO beschränkt den Insolvenzverwalter nur insoweit, als Beschlüsse der Gläubigerversammlung bei der Verwertung zu beachten sind

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Masseverwertung (II)

Einschränkungen der Freiheit des Insolvenzverwalters bezüglich der Verwertung gelten wie folgt:

• Beschluss der Gläubigerversammlung (erst!) im Berichtstermin über Unternehmensstilllegung oder Fortführung, § 157 S. 1 InsO

übertragende Sanierung vor Berichtstermin auch nur mit Zustimmung des vorläufigen Gläubigerausschusses möglich (vgl. § 158 InsO)

• Verwertung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens „unverzüglich nach Berichtstermin“, § 159 InsO

• Zustimmungserfordernis bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen, § 160 InsO

• Zuständig für Zustimmung: Gläubigerausschuss, (nur) falls keiner bestellt ist: Gläubigerversammlung

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Masseverwertung (III)

• § 160 InsO, besonders bedeutsame RechtshandlungenVerkauf des ganzen Unternehmens/ Betriebswarenlagers, Immobilien aus freier Hand, Beteiligungen, Recht zum Bezug wiederkehrender Einkünfte (Nießbrauch, Rente), Darlehensaufnahme, bedeutende Prozesse Zustimmung notwendig (vor Zustimmung Schuldner zu unterrichten, auf dessen Antrag evtl. Versagungsmöglichkeit durch Gericht). Zustimmungsfiktion bei Fernbleiben derGläubiger von der Gläubigerversammlung (§ 160 Abs. 1 S. 3 InsO)

• § 162 InsO, Betriebsveräußerung an besonders Interessierte (Erwerber = nahestehende Personen, § 138 InsO, „große“ absonderungsberechtigte Gläubiger/Insolvenzgläubiger bzw. derartige Person zu 25% an Erwerber beteiligt)

• Betriebsveräußerung unter Wert, § 163 InsO: Anordnung der Zustimmungspflichtigkeit (Gl-Versammlung) durch Gericht auf Antrag, wenn bessere Verwertungsmöglichkeit glaubhaft gemacht

• Zustimmungserfordernisse wirken nur im Innenverhältnis, § 164 InsO, Unwirksamkeit aber evtl. über „Insolvenzzweckwidrigkeit“ entsprechend der Grundsätze zum Missbrauch der Vertretungsmacht, daneben evtl. Verwalterhaftung gem. § 60 InsO

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Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters bei Absonderungsrechten, §§ 165 ff. InsO (I)

Immobilien:• § 165 InsO, Verwertung nach ZVG (Zwangsversteigerung, Zwangsverwaltung, als

Ergänzung für die Fälle der Belastung mit Grundpfandrechten zu der allgemeinen Norm des § 159 InsO)

Der Insolvenzverwalter kann –mit Zustimmung Gl-Ausschuss, § 160 Abs. 2 Nr. 1 InsO- Antrag auf Zwangsversteigerung des belasteten (Betriebs-) Grundstücks stellen (es gilt dann das ZVG, wie bei vom Gl. eingeleiteter Versteigerung)

Die gesicherten Gläubiger sind daneben aus § 49 InsO berechtigt, die Zwangsversteigerung (oder –verwaltung, in der Praxis z.T. auch sog. „kalte Zwangsverwaltung“) zu betreiben. Umschreibung der Vollstreckungsklausel auf Insolvenzverwalter notwendig (Vorlage begl. Abschrift Eröffnungsbeschluss)

Beachte: § 171 Abs. 1 InsO (Feststellungskostenbeitrag 4% wg. Zubehör), Einstellung in das geringste Gebot, § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG. Kein Kostenbeitrag bei freihändiger Verwertung (aber in der Praxis regelmäßig Vereinbarungen mit den Gläubigern) Beachte: §§ 30 d ff. ZVG, der Insolvenzverwalter kann Gläubigervollstreckung einstweilig einstellen lassen, Interessenabwägung, wenn Grundstück „betriebsnotwendig“, dann jedoch Auflage der Zahlung laufender schuldrechtl. Zinsen ab Berichtstermin und Ersatz des Wertverlusts des Grundstücks

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Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters bei Absonderungsrechten, §§ 165 ff. InsO (II)

• Mobilien: Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters bei (unmittelbarem, str.) Besitz des Verwalters, bei unmittelbarem Gläubigerbesitz Verwertungsrecht des Gläubigers, § 173 InsO

• Besonders wichtig in der Praxis: Erlösverteilung und Kostenbeiträge, §§ 170, 171 InsO. Feststellungs- und Verwertungskosten sind bei Mobilien und Forderungen aus dem Erlös vorab zu entnehmen, gleiches gilt für die Umsatzsteuer. Der Verwalter erhält pauschal 4% (Feststellung) und 5% (Verwertung) sowie ggf. die Umsatzsteuer, die er an das Finanzamt abführen muss. Zweck: Masseanreicherung, Zurückdrängung der Abweisung mangels Masse, Auswirkung auf die Sicherheitenkalkulation insb. bei den Banken

• Diese Regelung gilt durch eine Ergänzung des Sicherungs- massnahmen gem. § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO bei Anordnung der Einziehungsbefugnis des vorläufigen Verwalters auch im Eröffnungsverfahren

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Wirkung des Absonderungsrechts

• Nach Verwertung einer dem Absonderungsrecht eines Gläubigers unterliegenden Sache (SÜ; §§ 1204 ff. BGB; gesetzliche Pfandrechte, z.B. des Werkunternehmers, Vermieters und Gastwirts; Pfändungspfandrecht, § 804 ZPO): Der Absonderungsberechtigte ist aus dem Erlös abgesondert zu befriedigen (dingliche Surrogation, Absonderungsrecht setzt sich am Erlös fort)

• Wird der Erlös mit Massegeldern so vermischt, dass eine Unterscheidung nicht mehr möglich ist, ergibt sich eine entsprechende Masseverbindlichkeit auf wertmäßige Erlösherausgabe gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 3 InsO (Problem bei Masseunzulänglichkeit gem. § 209 InsO, dann ggf. Verwalterhaftung gem. § 60 InsO)

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Verwertung von Unternehmen und Betrieben

Es bestehen zwei Möglichkeiten:

• Sanierung des Unternehmersträgers selbst (des Schuldners). Vorbild: Verfahren nach Chapter 11 US Bankruptcy Code („Reorganization“ genannt). Die insolvente AG, GmbH etc. wird durch einen Insolvenzplan gem. §§ 217 ff. InsO saniert (unvollkommener Vorläufer: Vergleichsverfahren nach der VglO)

• Häufiger ist die Übertragende Sanierung: Asset Deal, die betriebsnotwendigen Vermögensgegenstände werden als Gesamtheit (notwendig: sachenrechtliche Bestimmtheit) veräußert. Regelmäßig höherer Erlös durch „Fortführungswerte“ im Gegensatz zu „Zerschlagungswerten“ bei Einzelveräußerung (vgl. zur Übertragenden Sanierung Vallender, GmbHR 2004, 543 ff. (Fortsetzungsaufsatz))

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Übertragende Sanierung (I)

• Insolvenzverwalter löst alle vorhandenen betriebsnotwendigen Vermögenswerte vom insolventen Rechtsträger (Asset Deal), die Schulden „kleben“ an dem insolventen Rechtsträger, die betriebsnotwendigen Vermögensgegenstände werden von einem Erwerber übernommen Entschuldung des Unternehmens

• Das vom Erwerber im Wege des Asset Deals (Kaufvertrag gem. § 433 BGB über die einzelnen Vermögensgegenstände die in ihrer Gesamtheit den Betrieb bilden) gezahlte Geld fließt an Stelle der Vermögenswerte in die Masse und wird an die Gläubiger verteilt

• Wichtig ist der Zeitpunkt: § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 157 InsO: Zunächst Fortführung, Beschluss der Gläubigerversammlung im Berichtstermin, bei vorheriger Stilllegung oder Veräußerung Gläubigerausschusszustimmung, Schuldnerunterrichtung, Untersagungsmöglichkeit des Insolvenzgerichts, vgl. § 158 InsO

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Übertragende Sanierung (II)

• Zustimmung von Gläubigerausschuss/Gläubigerversammlung, § 160 InsO (beachte aber § 164 InsO, ggf. Verwalterhaftung § 60 InsO, evtl. Insolvenzzweckwidrigkeit)

• Besondere Zustimmungserfordernisse (Gläubigerversammlung) bei Betriebsveräußerung an besonderes Interessierte bzw. unter Wert, §§ 162, 163 InsO

• Übergang der Arbeitsverhältnisse auf den Betriebserwerber, da § 613 a BGB auch im Insolvenzverfahren nach Rechtsprechung des BAG anwendbar ist Sanierungshindernis!

• Vom BAG „genehmigte Umgehung“ der Wirkung des § 613 a BGB über Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften (BQG), „Dörries Scharmann-Urteil“, vgl. dazu Streit, DPL 2004, 104 ff.; BAG BB 2007, 1054 ff.

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Übertragende Sanierung (III)

• Einschränkung der Rechtswirkungen des § 613 a BGB auf die Übernahme von Schulden nach Insolvenzeröffnung (BAG NJW 1980, 1124, 1125 f.)

• Keine Haftung des Erwerbers eines Unternehmens aus der Insolvenzmasse bei Firmenfortführung gem. § 25 HGB. Grund: Gläubigerschutzfunktion des § 25 HGB würde bei Anwendbarkeit ins Gegenteil verkehrt, da übertragende Sanierung mit Quotensteigerung zugunsten der Gläubiger bei Übernahme der Schulden ausgeschlossen würde, vgl. BGHZ 104, 151, 154 f. (zweifelhaft, da Fortführung der Firma nicht zwingend ist)

• Keine Haftung für Steuerschulden des insolventen Unternehmensträgers bei Erwerb des Unternehmens im Wege des Asset Deals aus der Insolvenzmasse (§ 75 Abs. 2 AO)

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Übertragende Sanierung (IV)

• Die vorgenannten Punkte (Vorteile des Erwerbs aus der Insolvenzmasse hinsichtlich der Schuldenhaftung) verdeutlichen, warum der Erwerb vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens seltener erfolgt: Die Risiken vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund der Schuldenhaftung und daneben auch aufgrund späterer Anfechtungsmöglichkeiten bei „günstigen“ Erwerbspreisen (insbes. §§ 132, 133 InsO) sind viel höher

• Die Sanierung des Rechtsträgers selbst im Wege des Insolvenzplans wird in einer gesonderten Vorlesung behandelt. Zu erwähnen ist bereits hier, dass Insolvenzplanverfahren in der Praxis schwerfällig sind (Zustimmungserfordernisse). Die übertragende Sanierung bleibt der von der Praxis hauptsächlich verfolgte Weg zur Steigerung der Insolvenzquoten, Erhaltung der Unternehmen und „Rettung“ möglichst vieler Arbeitsplätze

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Vorlesung Insolvenzrecht

IX. Masseverteilung und Verfahrensbeendigung

Frühjahrssemester 2009

Diese Arbeitsunterlage ist unvollständig ohne den begleitenden mündlichen Vortrag.

Vortrag und Arbeitsunterlage sind urheberrechtlich geschützt.

Rechtsanwalt Dr. Georg Streit, München

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Masseverteilung, §§ 187 ff. InsO

• Nach dem Prüfungstermin kann mit der Befriedigung der Insolvenzgläubiger durch Verteilung der Aktivmasse begonnen werden

• Verteilungen an die Insolvenzgläubiger setzen voraus, dass „hinreichende Barmittel“ in der Insolvenzmasse vorhanden sind

• Voraussetzung für Verteilungen an die Insolvenzgläubiger ist folglich die Deckung der Verfahrenskosten (§ 54 InsO) und der Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO) sowie die Sicherstellung der Bedienung der Absonderungsrechte und ggf. abgeschlossener Sozialpläne (vgl. § 123 Abs. 2 S. 1)

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Formen der Verteilung der Masse an die Gläubiger

• Abschlagsverteilung, § 187 Abs. 2 InsO

• Schlussverteilung, § 196 InsO

• Nachtragsverteilung, § 203 InsO

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Abschlagsverteilungen, § 187 Abs. 2 InsO

• Die Vornahme von Abschlagsverteilungen liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Insolvenzverwalters. Einen klagbaren Anspruch auf Durchführung einer Abschlagsverteilung besitzen Insolvenzgläubiger nicht (allenfalls Anregung an das Insolvenzgericht, den Insolvenzverwalter zu einer Abschlagsverteilung anzuhalten, § 58 InsO)

• Berücksichtigung von Insolvenzforderungen Absonderungsberechtigter (Anmeldung für den Ausfall), wenn Ausfall glaubhaft gemacht ist (Einbehalt des entsprechenden Anteils, § 190 InsO)

• Berücksichtigung bestrittener Forderungen, wenn Erhebung der Feststellungsklage nachgewiesen ist (Einbehalt, § 189 Abs. 1, 2 InsO)

• Aufschiebend bedingte Forderungen werden berücksichtigt (Einbehalt, § 191 InsO)

• Verteilungsverzeichnis, § 194 InsO; Bruchteilsfestsetzung gem. § 195 InsO durch Gläubigerausschuss (Vorschlag Insolvenzverwalter) bzw. Insolvenzverwalter

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Schlussverteilung, § 196 InsO

Die Schlussverteilung hat so rasch als möglich zu erfolgen und umfasst die Ausschüttung der gesamten restlichen Teilungsmasse, die nach endgültiger Verwertung der Insolvenzmasse und eventuellen Abschlags- verteilungen noch verbleibt:

• Schlussverteilung, sobald Insolvenzmasse mit Ausnahme eines laufenden Einkommens verwertet ist, § 196 Abs. 1 InsO

• Zustimmung des Insolvenzgerichts erforderlich, § 196 Abs. 2 InsO

• Antrag des Insolvenzverwalters auf Schlussverteilung an Insolvenzgericht, ggf. Zustimmung des Gläubigerausschusses gem. § 187 Abs. 3 S. 2 InsO

• Schlusstermin, § 197 InsO

• Schlussverzeichnis mit allen geprüften und festgestellten Forderungen, Schlussverteilungsbericht (vgl. § 197 InsO)

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Nachtragsverteilung, § 203 InsO

Nachtragsverteilungen können von Amts wegen oder auf Antrag (Insolvenzverwalter, Insolvenzgläubiger) vom Insolvenzgericht gem. § 203 Abs. 1 InsO in folgenden Fällen angeordnet werden:

• Zurückbehaltene Beträge werden für die Verteilung frei

• Rückfluss von Mitteln an die Insolvenzmasse

• Ermittlung „neuer“ Massegegenstände

Auch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens sind Nachtragsverteilungen möglich, § 203 Abs. 2 InsO

• Sofortige Beschwerde bei Ablehnung von Nachtragsverteilungen für den Antragsteller, § 204 InsO

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Sonderproblem: Zu kurz gekommener Insolvenzgläubiger

Umstritten sind die Folgen, soweit ein Insolvenzgläubiger mangels Eintrag in die Insolvenztabelle/das Schlussverzeichnis zu kurz gekommen ist:

• Die anderen Insolvenzgläubiger haben bei Nichtberücksichtigung eines Insolvenzgläubigers aufgrund einer geringeren Passivmasse „zuviel“ an Quotenzahlungen erhalten. Vertretbar ist ein Bereicherungsanspruch gegen die durch die Nichtberücksichtigung begünstigten Gläubiger

• Der BGH lehnt Bereicherungsansprüche jedoch ab (Rechtsfrieden durch Schlussverzeichnis, vgl. BGH NJW 1984, 2154). Anders soll es sein, wenn der betreffende Gläubiger trotz Berücksichtigung im Schluss- verzeichnis keine Zahlung erhalten hat

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Beendigung des Insolvenzverfahrens, §§ 200 ff. InsO

Das Insolvenzgericht beendet das Insolvenzverfahren durch Beschluss. Dabei gibt es folgende Beendigungsarten:

• Aufhebung des Insolvenzverfahrens• Einstellung des Insolvenzverfahrens

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Aufhebung des Insolvenzverfahrens

• Aufhebung des Insolvenzverfahrens; Voraussetzung: Zweckerreichung

• Nach Vollzug der Schlussverteilung, § 200 Abs. 1 InsO• Nach rechtskräftiger Bestätigung eines Insolvenzplans, § 258 Abs.

1 InsO

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Einstellung des Insolvenzverfahrens

• Verfahrenseinstellung; Voraussetzung: Vorzeitige Beendigung erforderlich:

• Keine kostendeckende Masse (Massearmut) mehr vorhanden, §§ 207, 209 InsO

• Sonstige Masseunzulänglichkeit, §§ 208, 211 InsO• Wegfall des Eröffnungsgrunds und entsprechender Schuldnerantrag,

§ 212 InsO• Auf Antrag des Schuldners mit Zustimmung aller Gläubiger, § 213

InsO

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Auswirkungen der Verfahrensbeendigung

• Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis fallen an den Schuldner zurück, vgl. § 215 Abs. 2 S. 1 InsO

• Ende der Unterbrechung von Prozessen, § 240 ZPO

• Parteiwechsel in für die Masse geführten Prozessen des Insolvenzverwalters: Schuldner wird Partei

• Mangels Verfügungsbefugnis vorher unwirksame Rechtshandlungen des Schuldners werden wirksam, § 185 Abs. 2 BGB

• Keine Änderungen aufgrund der Verfahrensbeendigung dagegen hinsichtlich der im Insolvenzverfahren eingetretenen rechtsgestaltenden Wirkungen gem. §§ 41 ff. InsO (Inhaltsänderungen von Forderungen) und §§ 103 ff. InsO (Einwirkung auf Rechtsverhältnisse)

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Rechtsposition des Schuldners nach Verfahrensbeendigung

• Soweit der Schuldner nicht durch Insolvenzeröffnung aufgelöst und mit Verfahrensabschluss liquidiert ist (vgl. § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG, § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG; §§ 131 Abs. 1 Nr. 3, 161 Abs. 2 HGB, Löschung im HReg: § 141a Abs. 1 S. 2 FGG: Löschung v.A.w.) und keine Restschuldbefreiung eingreift (in Aussicht gestellt wurde, vgl. §§ 291 Abs. 1, 201 Abs. 3 InsO, 301 InsO), greift die Nachhaftung gem. § 201 Abs. 1 InsO ein

• Abweichendes kann jedoch in einem Insolvenzplan vereinbart werden, vgl. § 217 InsO Erhalt des Rechtsträgers mit Schuldenbefreiung möglich (z.B. um günstige Mietverträge einer insolventen GmbH oder die Börsenzulassung einer AG zu erhalten). Hierzu siehe Vorlesung X.

• Für nicht selbstständig tätige Personen bzw. nur geringfügig selbständig Tätige kann das Schuldenbereinigungsverfahren (§§ 305 ff. InsO) bzw. ein vereinfachtes Insolvenzverfahren mit Restschuldbefreiung (§ 311 ff. InsO) eingreifen

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Rechtsposition des Schuldners nach Verfahrensbeendigung / Fallbeispiel zum Insolvenzplan

Die XY Teppich GmbH („GmbH“) verkauft Teppiche und Bodenbeläge an Handwerker und Endverbraucher. Sie hat 50 Filialen. Davon sind 20 sehr profitabel, 30 indes sehr defizitär. Die Ergebnisse der Filialen hängen direkt mit deren Standorten und Mietkonditionen zusammen.

Aufgrund der 30 verlustbringenden Filialen ist die GmbH zahlungsunfähig und überschuldet, das Insolvenzverfahren wurde eröffnet.

Erwerbsinteressent Z möchte die 20 „guten“ Filialen übernehmen. Die Vermieter dieser Filialen wollen drastisch die Mieten erhöhen, da sie den Erfolg dieser Filialen sehen, der auch auf den günstigen Mietzinsen beruht.

Die Insolvenzgläubiger A und B wollen möglichst hohe Quoten auf ihre Forderungen (je EUR 0,5 Mio.). Die Quote bei Zerschlagung würde 10% betragen. Z würde für den gesamten Geschäftsbetrieb der insolventen GmbH EUR 0,5 Mio. bezahlen, wenn er die Mietverträge der 20 „guten“ Filialen zur Fortführung des Unternehmens übernehmen kann.

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Rechtsposition des Schuldners nach Verfahrensbeendigung / Fallbeispiel zum Insolvenzplan, Lösungsskizze:

Bei einem Regelinsolvenzverfahren kann sich der Insolvenzverwalter zwar gem. § 109 Abs. 1 S. 1 InsO auch von lang laufenden Mietverträgen der schlechten Filialen lösen. Die Mietverträge der guten Filialen erlöschen jedoch nach Liquidation der GmbH im Insolvenzverfahren und ihrer Löschung im HReg (Untergang der GmbH als Mietvertragspartei).

Ziel muss es daher sein, die GmbH als Mietvertragspartei der aus ihrer Sicht günstigen Filialen zu erhalten (während die „schlechten“ Mietverträge auch bei Festlaufzeiten vom Insolvenzverwalter gekündigt werden).

Dieses Ziel kann mit einem Sanierungsinsolvenzplan erreicht werden. Die GmbH „einigt“ sich mit ihren Gläubigern A und B über eine Reduzierungder Forderungen (Beseitigung der Überschuldung, ggf. Stundung zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit). Im Gegenzug erhalten A und B Anteile an der GmbH (Sachkapitalerhöhung, Einbringung der Forderungen zum tatsächlichen Wert, also je EUR 50.000, ggf. vorher Kapitalherabsetzung), die sie dann an Z verkaufen können. Problem: Zustimmung der Gesellschafter. Wenn diese keine Anteile abgeben bzw. der Einbringung nicht zustimmen, kann ein Sanierungsinsolvenzplan auch ohne gesellschaftsrechtliche Beteiligung der Insolvenzgläubiger durchgeführt werden. Diese haben dann aber am Sanierungserfolg (der durch ihre Verzichte geschaffen wird) nicht in gleichem Maße teil. Zudem weniger Kontrolle. Höherer Erlös für Gläubiger muss durch laufende Erträge erst erwirtschaftet werden (Zeitverzögerung).

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Universität MannheimFakultät für Rechtswissenschaft

Vorlesung Insolvenzrecht

X. Insolvenzplan und Eigenverwaltung

Frühjahrssemester 2009

Diese Arbeitsunterlage ist unvollständig ohne den begleitenden mündlichen Vortrag.

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Rechtsanwalt Dr. Georg Streit, München

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 X./2 Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

Insolvenzplanverfahren, §§ 217 ff. InsOZiele des Insolvenzverfahrens (Vorläufer: Vergleichsverfahren nach der VglO) sind:

• Stärkung der Gläubigerautonomie• Zusätzliche Option der Beteiligten durch Abweichung vom Regelverfahren

(vgl. § 217 InsO):

• Abweichende Verwertung der Insolvenzmasse• Abweichende Verteilung der Insolvenzmasse • Abweichende Haftungsregelungen für den Schuldner

Erhaltung des Rechtsträgers bei juristischen Personen möglich; falls „Standardverfahren“ der übertragenden Sanierung im Wege eines Asset-Deals nicht gangbar ist, z.B. wegen nicht übertragbarer Gestattungen, Lizenzen etc.Zunehmende Bedeutung bei Freiberuflern (Ärzte, bei Anwälten/Notaren problematisch, vgl. dazu BVerfG, NJW 2005, 3057; BGH, NJW 2007, 1287 ff.)

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Statthaftigkeit des Insolvenzplanverfahrens

• Gemäß §§ 312 Abs. 2, 304 InsO ist das Insolvenzplanverfahren bei natürlichen Personen, die keine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit ausüben oder ausgeübt haben bzw. bei „Kleinselbständigen“ (weniger als 20 Gläubiger, § 304 Abs. 2 InsO) nicht anwendbar

• Statthaftigkeit des Insolvenzplanverfahrens ist daher wie folgt gegeben:

• Juristische Personen• Personengesellschaften• Natürliche Personen mit selbstständiger

wirtschaftlicher Tätigkeit und mehr als 19 Gläubigern

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Planinitiativrecht, § 218 InsO

• Vorlageberechtigt sind der Schuldner (nicht dessen Gesellschafter) und der Insolvenzverwalter sowie bei Eigenverwaltung auch der Sachwalter, § 284 InsO

Der Schuldner kann die Vorlage eines Insolvenzplans mit seinem Insolvenzeigenantrag verbinden. Dies ermöglicht ihm die Initiative in der Krisensituation, die er mit einem Antrag auf Eigenverwaltung(§§ 270 ff. InsO) ggf. noch steigern kann

• Die Gläubigerversammlung kann den Insolvenzverwalter beauftragen, einen Insolvenzplan auszuarbeiten, § 218 Abs. 2 InsO

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Plangestaltung, §§ 219 ff. InsO (I)

Der Insolvenzplan gliedert sich in einen darstellenden und einen gestaltenden Teil sowie Anlagen:

Darstellender Teil, § 220 InsO: Information der Gläubiger und des Insolvenzgerichts über Planziel und Planverlauf (Beschreibung aller Handlungen, die Grundlage der geplanten Gestaltung der Rechte der Beteiligten sind und durchgeführt wurden bzw. angestrebt werden):

• Bestandsaufnahme bezüglich Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage• Maßnahmen (Betriebsänderungen, Teilstilllegungen, Entlassungen etc.)• Begründete und noch zu begründende Masseverbindlichkeiten• Art der Verwertung und deren Sicherung (Abweichung von gesetzlichen

Bestimmungen? Liquidation, Übertragung, Sanierung des Rechtsträgers)• Vergleichsrechnung (Gegenüberstellung Insolvenzquoten

Regelverfahren/Plan)

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Plangestaltung, §§ 219 ff. InsO (II)

Der gestaltende Teil (§§ 221 ff. InsO) enthält die Änderungen der Rechtsstellung der Beteiligten durch den Insolvenzplan, wobei die Gestaltungsfreiheit durch §§ 222 ff. InsO eingeschränkt ist:

• Die Rechtsstellung der absonderungsberechtigten Gläubiger sowie der Insolvenzgläubiger kann geändert werden

• Die Festlegung der Rechte der Beteiligten erfolgt in Gruppen (Berücksichtigung gleichgelagerter Interessen)

• Möglichkeit dinglicher Regelungen, § 228 InsO: Aufnahme der erforderlichen Willenserklärungen in den gestaltenden Teil (auch: Übertragung von Grundstücken, GmbH-Anteilen etc.; Bestimmtheitsgrundsatz!); Rechtskräftige Planbestätigung ist aufschiebende Bedingung für Wirksamkeit, neben Willenserklärungen erforderliche weitere Akte zur Rechtsänderung (Registerumschreibung bzw. Übergabe gem. § 929 S. 1 BGB) werden nicht ersetzt

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Bildung von Gläubigergruppen, § 222 InsO (I)

Zwingend ist die Bildung folgender Gläubigergruppen:

• Absonderungsberechtigte Gläubiger (soweit der Plan Eingriffe in ihre Rechte vorsieht)

• Nicht nachrangige Insolvenzgläubiger

• Nachrangige Insolvenzgläubiger, soweit deren Forderungen nicht nach § 225 InsO als erlassen gelten (Erlass ist Regelfall, falls Plan nichts abweichendes vorsieht)

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Bildung von Gläubigergruppen, § 222 InsO (II)

Daneben ist die Bildung weiterer Gläubigergruppen mit gleichartigen wirtschaftlichen Interessen möglich (sachgerechte Abgrenzung erforderlich)

• Arbeitnehmer sollen eine Gruppe bilden, soweit sie in nicht unerheblichem Umfang Insolvenzgläubiger sind

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Grundsatz der Gleichbehandlung, § 226 InsO

Innerhalb einer Gruppe gilt gem. § 226 Abs. 1 InsO der Grundsatz der Gleichbehandlung:

• Abweichung vom Grundsatz der Gleichbehandlung nur bei Zustimmung der Beteiligten

• Unzulässigkeit von Sonderabkommen mit Vorteilsgewährung, vgl. § 226 Abs. 3 InsO

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Weitere Anforderungen an den Planinhalt

• Mindestquoten für die Gläubiger sind nicht vorgeschrieben (anders noch die VglO)

• Kein Gleichbehandlungserfordernis zwischen den einzelnen Gruppen

• Grundsätzlich keine Regelungen zu folgenden Beteiligten:

• Massegläubiger (diese sind voll zu befriedigen, vgl. §§ 26, 258 Abs. 2 InsO)

• Aussonderungsberechtigte (diese „holen“ ihre Vermögensgegenstände aus der Masse, § 47 InsO)

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Ergänzende Regelungen und Plananlagen

• Je nach Einzelfall sind ggf. ergänzende Regelungen im Insolvenzplan vorzusehen:

• Kapitalmaßnahmen• Finanzierungssachverhalte• Investitionen

• Wesentlich für die Informationen des Gerichts und der Insolvenzgläubiger sind die Plananlagen:

• Allgemeiner Teil (Jahresabschlüsse, Unternehmensinformationen)• Vermögensübersicht, Ergebnis- und Finanzplan (§ 229 InsO) mit

Listen von Vermögensgegenständen, Verbindlichkeiten, Plan-GuV (jeweils für die Zeit der geplanten Durchführung, Liquiditätsplan)

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Vorprüfung des Insolvenzplans durch das Insolvenzgericht, §§ 231 ff. InsO

Das Insolvenzgericht prüft folgendes:

• Planinitiativrecht, § 218 InsO

• Gliederung und Inhalt des Plans, §§ 219 ff. InsO

• Bei Schuldner-Plan: Erfolgsaussichten (Befriedigung der Ansprüche aufgrund des gestaltenden Teils? § 231 Abs. 1 Nr. 2 InsO)

• Bei Zurückweisung: Sofortige Beschwerde des Vorlegenden möglich, § 231 Abs. 3 InsO

• Bei Nichtzurückweisung: Stellungnahme des Gläubigerausschusses und des Schuldners bzw. Insolvenzverwalters gem. § 232 Abs. 2 InsO, ggf. Aussetzung von Verwertung und Verteilung gem. § 233 InsO (Ziel: Sicherung der Planungsgrundlagen bis zur Entscheidung über dessen Annahme) auf Antrag von Schuldner oder Insolvenzverwalter

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Annahme und Bestätigung des Insolvenzplans, §§ 235 ff. InsO

• In einer besonderen Gläubigerversammlung (Erörterungs- und Abstimmungstermin) wird innerhalb eines Monats über den Plan abgestimmt, § 235 Abs. 1 InsO

• Öffentliche Bekanntmachung des Termins, Ladung der Gläubiger etc., § 235 Abs. 2, 3 InsO

• Möglichkeit der Verbindung des Erörterungs- und Abstimmungstermins mit dem Prüfungstermin (Sinn: Einsparung eines Termins, Abhängigkeit des Stimmrechts von der Forderungsprüfung), § 236 InsO, ggf. gesonderter Abstimmungstermin, § 241 InsO

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Stimmrecht und Abstimmung

• §§ 237, 277 InsO: Stimmrecht von Gläubigern mit angemeldeten und nicht bestrittenen Forderungen, kein Stimmrecht nachrangiger Gläubiger, Stimmrecht Absonderungsberechtigter, soweit sie auch Insolvenzgläubiger sind (nur für den Ausfall), daneben Stimmrecht Absonderungsberechtigter bei Eingriff in ihre Rechtsstellung, § 238 InsO

• Abstimmung in den einzelnen Gläubigergruppen gem. § 243 InsO, dabei Kopf- und Summenmehrheit erforderlich, vgl. § 244 InsO

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Mehrheiten und Zustimmung

• Notwendigkeit der Zustimmung mit beiden Mehrheiten (Kopf- und Summenmehrheit) in allen gem. § 222 Abs. 1 InsO gebildeten Gruppen, Ausnahme: Zustimmungsersetzung durch § 245 InsO (Obstruktionsverbot) wenn die Mehrheit der Gruppen zugestimmt hat und eine nicht zustimmende Gruppe wirtschaftlich durch den Plan nicht schlechter als im Regelverfahren steht

• Stimmrechtskauf (Geld für Vollmacht oder für bestimmtes Abstimmungs- verhalten) unzulässig, jedenfalls bei verdeckter Vornahme, Versagung Planbestätigung gem. § 250 Nr. 2 InsO, wegen unlauterer Herbeiführung der Annahme des Plans

• Zulässig dagegen offener Forderungskauf („debt trading“). Zweifelhaft bei verdecktem Forderungskauf. Gibt sich der neue Gläubiger nicht zu erkennen, wohnt dem evtl. ein Täuschungsmoment ggü. den übrigen abstimmenden Gläubigern inne (str., vgl. insgesamt BGH, ZInsO 2005, 487 ff.; MK-InsO, § 250 Rz. 25)

• Zur Zustimmung des Schuldners vgl. § 247 InsO (Fiktion, Widerspruch unbeachtlich, wenn keine Schlechterstellung durch Plan / keine Quoten > 100%)

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Gerichtliche Planbestätigung, § 248 InsO (I)

Nach der Annahme des Insolvenzplans durch die Gläubiger gem. §§ 244 ff. InsO und der Zustimmung des Schuldners bedarf der Plan der Zustimmung durch das Insolvenzgericht, § 248 Abs. 1 InsO

• Die gerichtliche Bestätigung ist zu versagen, wenn im Plan vorgesehene Bedingungen nicht erfüllt sind oder wesentliche Verfahrensvorschriften nicht beachtet wurden, §§ 249, 250 InsO

• Daneben Bestätigungsversagung gem. § 251 InsO (Minderheitenschutz, Zusammenstellung der Rechtsprechung hierzu bei Paul, ZInsO 2006, 532 ff.). Voraussetzungen:

• Widerspruch des antragstellenden Gläubigers im Abstimmungstermin • Voraussichtliche Schlechterstellung dieses Gläubigers durch den Plan

„Salvatorische Entschädigungsklausel“ im Plan mit Möglichkeit zusätzlicher Leistungen an solche Beteiligte, die dem Plan widersprechen und nachweisen, dass sie durch diesen schlechter gestellt werden

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Gerichtliche Planbestätigung, § 248 InsO (II)

• Planbestätigung erfolgt durch Beschluss des Insolvenzgerichts, § 252 InsO

• Vorherige Anhörung von Insolvenzverwalter, Schuldner und ggf. Gläubigerausschuss

• Sofortige Beschwerde für Schuldner und Insolvenzgläubiger gegen die Bestätigung bzw. Versagung der Bestätigung, § 253 InsO

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Wirkung der Planbestätigung (I)

• Ist ein Insolvenzplan rechtskräftig bestätigt, so treten die im gestaltenden Teil festgelegten Wirkungen (Rechtsänderungen) für und gegen alle Beteiligten ein

Exkurs: Gesellschafter sind nicht Beteiligte, daher kann ein Insolvenzplan in deren Rechte nicht ohne Zustimmung eingreifen (kritisch dazu Sassenrath, ZIP 2003, 1517 ff.), daher kein „debt equity swap“ (Tausch von Forderungen gegen Eigenkapital zur Beteiligung an den Sanierungsfrüchten und Schutz des durch Verzichte geschaffenen Mehrwertes) ohne Zustimmung der Gesellschafter

• Willenserklärungen im Plan gelten als abgegeben (ggf. jedoch noch Registerumschreibungen erforderlich!), § 254 Abs. 1 InsO

• Die Planwirkungen erfassen auch Insolvenzgläubiger, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben und solche Beteiligte, die dem Plan widersprochen haben, vgl. § 254 Abs. 1 S. 3 InsO

• Die Haftung von Mitschuldnern und Bürgen wird durch den Insolvenzplan nicht geändert bzw. beseitigt, § 254 Abs. 2 InsO

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Wirkung der Planbestätigung (II)

• Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach Planbestätigung, § 258 InsO

• Zunächst hat der Insolvenzverwalter unstreitige Masseansprüche zu berichtigen (Sicherheitsleistung bei streitigen Masseansprüchen), anschließend wird das Insolvenzverfahren gem. § 258 Abs. 1 InsO nach Rechtskraft der Planbestätigung aufgehoben

• Mit der Aufhebung enden die Ämter des Insolvenzverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses, das Verwaltungs- und Verfügungsrecht fällt an den Schuldner zurück, vgl. § 259 Abs. 1 InsO

• Aus dem rechtskräftig bestätigten Insolvenzplan kann in Verbindung mit der Eintragung in die Tabelle von den Insolvenzgläubigern die Zwangsvollstreckung betrieben werden

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Planüberwachung

• Der Insolvenzplan kann vorsehen, dass die Planerfüllung überwacht wird, § 260 Abs. 1 InsO. Dies ist Aufgabe des Insolvenzverwalters, dessen Amt neben dem des Gläubigerausschusses zu diesem Zweck fortbesteht, § 261 InsO

• Bei Verstößen gegen die Planerfüllung Anzeigepflicht des überwachenden Insolvenzverwalters gem. § 262 InsO (dann ggf. neuer Insolvenzantrag)

• Aufhebung der Überwachung, soweit alle Ansprüche erfüllt sind bzw. seit Aufhebung des Insolvenzverfahrens 3 Jahre verstrichen sind, ohne dass ein neuer Insolvenzantrag gestellt wurde, § 268 InsO

• Zu den Überwachungskosten vgl. § 269 InsO (Kostentragung durch den Schuldner)

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Eigenverwaltung, §§ 270 ff. InsO (I)

• Vorbild: „debtor in possesion“, Chapter 11 US Bankruptcy Code

• Zum Schutz der Insolvenzmasse und der Insolvenzgläubiger verliert der Schuldner mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens regelmäßig seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis an den Insolvenzverwalter, § 80 InsO (zur Sicherung bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren vgl. §§ 21, 22 InsO: Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ggf. auf den „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter)

• Ausnahmsweise ist Eigenverwaltung gem. §§ 270 ff. InsO unter folgenden Voraussetzungen möglich:

• Keine Verfahrensverzögerung, keine Nachteile für die Gläubiger, § 270 Abs. 2 Nr. 3 InsO

• Antrag des Schuldners und bei Fremdinsolvenzantrag Zustimmung des antragstellenden Gläubigers zum Schuldnerantrag auf Eigenverwaltung, § 270 Abs. 2 Nr. 1 und 2 InsO

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Eigenverwaltung §§ 270 ff. InsO (II)

Vorteile:• Vermeidung von Kostenbeiträgen bei der Feststellung von Sicherungsgut

(§ 282 InsO); nur tatsächliche Verwertungskosten• Kostenvorteil auch aufgrund gegenüber Insolvenzverwaltervergütung

geringerer Vergütung des Sachwalters• Nutzung von Unternehmens- und Branchenkenntnis des Schuldners

Risiken:• Risiken: „Verschiebung“ von Massegegenständen, Gläubigerbegünstigungen.

Sinnvoll ist Eigenverwaltung nur bei unzweifelhafter Vertrauenswürdigkeit des schuldnerischen Managements

Praxisfälle:• Kirch Media GmbH & co. KGaA (später geändert), Babcock Borsig AG (zu

diesem spektakulären Fall vgl. AG Duisburg, NZI 2002, 556 ff.), Agfa Photo GmbH, Ihr Platz GmbH + Co. KG

• Zur Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren gem. Art. 3 Abs. 3 EuInsVO vgl. AG Köln ZInsO 2004, 216

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Nachträgliche Anordnung und Aufhebung der Eigenverwaltung

• Hat das Insolvenzgericht einen Schuldnerantrag auf Eigen- verwaltung abgelehnt, so hat es auf Antrag der Gläubiger dennoch die Eigenverwaltung anzuordnen, § 271 S. 1 InsO (Schuldnerantrag vor Insolvenzeröffnung, Gläubigerantrag auf Eigenverwaltung in der ersten Gläubigerversammlung)

• Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung gem. § 272 InsO erfolgt bei:

• Antrag der Gläubigerversammlung • Antrag des Schuldners• Antrag eines Absonderungsberechtigten oder Insolvenzgläubigers

wenn mit Verfahrensverzögerung bzw. Nachteilen für die Gläubiger zu rechnen ist

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Anstelle des Insolvenzverwalters: Sachwalter, § 274 InsO

• Der Schuldner behält seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, soweit Eigenverwaltung angeordnet ist (§ 270 Abs. 1 S. 1 InsO). Daher z.B. keine Eintragung eines Insolvenzvermerks in das Grundbuch (§ 270 Abs. 3 S. 3 InsO), nach BGH, ZInsO 2007, 100, aber dennoch Verfahrensunterbrechung gem. § 240 ZPO

• Sicherung der Insolvenzmasse mittels Überwachung des Schuldners durch den Sachwalter (Prüfung der wirtschaftlichen Lage und der Geschäftsführung, § 274 Abs. 2 InsO)

• Rechtsstellung des Sachwalters: Bestellung und Aufsicht durch das Insolvenzgericht, Haftung und Vergütung ähnlich einem Insolvenzverwalter, vgl. § 274 Abs. 1 InsO

• Anzeigepflicht des Sachwalters gegenüber dem Insolvenzgericht und dem Gläubigerausschuss bzw. der Gläubigerversammlung bei Anhaltspunkten von Nachteilen für die Gläubiger aufgrund der Eigenverwaltung

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Kompetenzen von Sachwalter und Schuldner bei Eigenverwaltung (I)

• Der Schuldner verwaltet und verwertet die Insolvenzmasse (auch Sicherungsgut, § 282 InsO) selbst, § 270 Abs. 1 S. 1 InsO. Hieraus folgt:

• Aufstellung der Verzeichnisse (Masse-, Gläubiger-, Vermögen-) durch den Schuldner, § 281 Abs. 1 InsO

• Wahlrechtsausübung bei gegenseitigen Verträgen (§§ 103 – 128 InsO) durch den Schuldner

• Berichterstattung im Berichtstermin gegenüber den Gläubigern durch den Schuldner, § 281 Abs. 2 S. 1 InsO (Sachwalter nimmt Stellung, § 281 Abs. 2 S. 2 InsO)

• Widerspruchsrecht des Schuldners als Eigenverwalter im Forderungsprüfungstermin (Feststellungsverfahren, §§ 178 ff. InsO)

• Das Schuldnerhandeln ist am Zweck des Insolvenzverfahrens auszurichten (Gläubigerbefriedigung als Leitbild, zumeist Liquidation), gesellschaftsrechtliche Einschränkungen, z.B. Erfordernis von „Holzmüller- Beschlüssen“ gelten nicht (vgl. Noack, ZIP 2002, 1873 ff.)

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Kompetenzen von Sachwalter und Schuldnerbei Eigenverwaltung (II)

• Die Befugnisse des Sachwalters sind gegenüber denjenigen des Insolvenzverwalters deutlich eingeschränkt. Befugnisse sind insbesondere:

• Insolvenzanfechtung durch den Sachwalter, § 280 InsO• Geltendmachung der Haftung bei Gesamtschäden und der persönlichen

Gesellschafterhaftung, § 280 i.V.m. §§ 92, 93 InsO• Widerspruchsrecht im Prüfungstermin, § 283 Abs. 1 S. 1 InsO • Der Schuldner soll nur mit Zustimmung des Sachwalters Verbindlichkeiten

außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs eingehen, § 275 Abs. 1 S. 1 InsO (bei Verstoß evtl. Aufhebung der Eigenverwaltung)

• Bei Verbindlichkeiten im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs hat der Sachwalter ein Widerspruchsrecht, § 275 Abs. 1 S. 2 InsO

• Der Sachwalter kann verlangen, dass Gelder von ihm entgegenzunehmen und Zahlungen an ihn zu richten sind, § 275 Abs. 2 InsO

• § 276 InsO enthält das Zustimmungserfordernis des Gläubigerausschusses bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen des Schuldners

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Kompetenzen von Sachwalter und Schuldner bei Eigenverwaltung (III)

• Das Insolvenzgericht kann Zustimmungsvorbehalte zugunsten des Sachwalters auf Antrag der Gläubigerversammlung anordnen, vgl. § 277 InsO

• Der Sachwalter hat Prüfungs- und Betretungsrechte. Insbesondere hat er die Verteilungen von Insolvenzmasse an die Insolvenzgläubiger, die vom Schuldner vorzunehmen sind, zu prüfen, vgl. § 283 Abs. 2 InsO

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Universität MannheimFakultät für Rechtswissenschaft

Vorlesung Insolvenzrecht

XI. Restschuldbefreiung und besondere Verfahren

Frühjahrssemester 2009

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Nachforderungsrecht und Restschuldbefreiung

• Grundsatz: Freies Nachforderungsrecht der Insolvenzgläubiger nach Verfahrensaufhebung, § 201 InsO (Tabelleneintrag = VT)

• Ausnahme: Restschuldbefreiung, vgl. § 201 Abs. 3 InsO

• Umfangreiche Spezialregelungen zur Restschuldbefreiung für natürliche Personen in §§ 286 ff. InsO

• Geplante Änderung:Entwurf des Gesetz zur Entschuldung mitteloser Personen: Nach mehrjährigen Diskussionen über Vereinfachungen des Entschuldungsverfahrens natürlicher Personen liegt nunmehr ein Regierungsentwurf vor (Verabschiedung am 22.8.2007) Inhalt: Keine Verfahrenskostenstundung, keine Eröffnung bei Masselosigkeit, statt dessen direkter Eintritt in die Wohlverhaltensperiode

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Gründe für die gesetzliche Regelung der Restschuldbefreiung

Die Restschuldbefreiung soll die „soziale Komponente“ des neuen Insolvenzrechts sein, vgl. § 1 S. 2 InsO:

• Vorbild: „Discharge“ gem. US-Bankruptcy Code mit Ermöglichung eines „Fresh Start“ für Unternehmer und Verbraucher (Restschuldbefreiung ist nicht auf Verbraucherinsolvenzverfahren beschränkt)

• Ziel: Vermeidung des Abdriftens überschuldeter Personen in die Illegalität. Möglichkeit für redliche Schuldner, legal dem Leben an der Pfändbarkeitsgrenze zu entgehen, Minderung von Arbeitslosigkeit, Erhöhung von Sozialversicherungseinnahmen, Zurückdrängung von Schwarzarbeit, soziale Gerechtigkeit

• Beseitigung von Ungleichheiten: Freie Nachforderung bei juristischen Personen formell gegeben, praktisch Auflösung und Löschung (vgl. z.B. § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG, § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, § 141a Abs. 1 S. 2 FGG), demgegenüber ohne Restschuldbefreiung „lebenslange Schuldknechtschaft“ bei gescheiterten Unternehmungen von Personengesellschaften (Ausnahme „GmbH & Co. KG, AG & Co. KG etc.) und Einzelkaufleuten

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Restschuldbefreiung, Voraussetzungen (I)

• Eröffnung des Insolvenzverfahrens (keine Restschuldbefreiung bei Abweisung des Insolvenzeröffnungsantrags mangels Masse gem. § 26 InsO).

• Eröffnungsmöglichkeit auch bei Massearmut durch Kostenstundung gem. § 4 a InsO (auch zur Verhinderung von Massearmut nach Verfahrens- eröffnung), bei Masseunzulänglichkeit ist Restschuldbefreiung möglich, vgl. § 289 Abs. 3 InsO

• Persönliche Voraussetzung: Restschuldbefreiung steht nur natürlichen Personen offen, § 286 InsO

• Bei Gesellschaften/juristischen Personen: Haftungsbefreiung eventuell über Insolvenzplan, § 227 InsO

§ 227 Abs. 1 InsO: Ist nichts anderes im Plan bestimmt, so wird der Schuldner mit der im gestaltenden Teil des Plans vorgesehenen Befriedigung der Insolvenzgläubiger von den übrigen Verbindlichkeiten befreit, ebenso gem. Abs. 2 bei Personengesellschaften bzgl. der Haftung der Gesellschafter (§§ 128, 161 Abs. 2 HGB, akzessorische Gesellschafterhaftung bei der GbR)

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Restschuldbefreiung, Voraussetzungen (II)

• Fristgemäßer Schuldnerantrag auf Restschuldbefreiung (bei Eigenantrag frühestens mit Antragstellung, spätestens zwei Wochen nach Belehrung über Möglichkeit der Restschuldbefreiung, die mit Antragstellung erteilt werden soll, vgl. §§ 20 Abs. 2, 287 Abs. 1 S. 2 InsO)

• Dem Antrag beizufügende Abtretungserklärung bzgl. der pfändbaren Bezüge aus Dienstverhältnissen (bzw. Äquivalent bei Selbständigkeit), vgl. § 287 Abs. 2 S.1 InsO Abtretungsempfänger: Treuhänder

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Abtretung der pfändbaren Bezüge, § 287 Abs. 2 InsO (I)

Einzelheiten:• Laufzeit der Abtretungserklärung: 6 Jahre nach Eröffnung des

Insolvenzverfahrens, § 287 Abs. 2 InsO

• Abtretungsempfänger: Treuhänder, Vorschlagsrecht § 288 InsO (Schuldner und Gläubiger), Rechtsstellung: § 292 InsO (Aufgabe: informiert Drittschuldner = Arbeitgeber, sammelt Gelder ein und kehrt diese an die Insolvenzgläubiger aus, ggf. Überwachung der Erfüllung der Schuldnerobliegenheiten)

• Praxisproblem: geringer Mindestumfang der Treuhändervergütung im Verbraucherinsolvenzverfahren gem. §§ 304, 311 ff. InsO von EUR 600,00 (Hintergrund: „Flut“ solcher Fälle aufgrund § 4a InsO)

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Abtretung der pfändbaren Bezüge, § 287 Abs. 2 InsO (II)

• Hinweispflicht des Schuldners bzgl. Vorausabtretungen, § 287 Abs. 2 S. 2 InsO, Wirksamkeit von Vorausabtretungen nur max. 2 Jahre nach Ende des Monats der Verfahrenseröffnung, § 114 Abs. 1 InsO. Dies hat Auswirkungen auf die Vergabe von Verbraucherkrediten unter Sicherungs- abtretung der pfändbaren Bezüge aus Arbeitsverhältnissen

• Unwirksamkeit von Abtretungsverboten, § 287 Abs. 3 InsO

• Einschränkung des Aufrechnungsrechts des Arbeitgebers gem. §§ 294 Abs. 3, 114 Abs. 2 InsO (nur im Zeitraum des § 114 Abs. 1 InsO, also nur 2 Jahre)

• Vor Verfahrenseröffnung erfolgte Pfändungen der Bezüge sind nach Verfahrenseröffnung nur noch max. 1 ½ Monate wirksam, vgl. § 114 Abs. 3 InsO

Von den sechs Jahren der Laufzeit der Abtretung werden den Insolvenzgläubigern zumindest vier Jahre gesichert

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Entscheidung des Insolvenzgerichts, § 289 InsO (I)

• Das Insolvenzgericht hört die Insolvenzgläubiger und den Insolvenz- verwalter zu dem Antrag auf Restschuldbefreiung im Schlusstermin und entscheidet durch Beschluss, vgl. § 289 Abs. 1 InsO

• Ankündigung der Restschuldbefreiung durch Beschluss gem. § 291 InsO für den Fall ordnungsgemäßer Wohlverhaltensperiode mit Bestimmung des Treuhänders

• Rechtsmittel: Sofortige Beschwerde (ggf. Rechtsbeschwerde zum BGH, vgl. § 289 Abs. 2 InsO, §§ 6, 7 InsO, §§ 567 ff., 574 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO)

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Entscheidung des Insolvenzgerichts, § 289 InsO (II)

• Ausnahme: Versagung der Restschuldbefreiung, § 290 InsO unter anderem in folgenden Fällen:

• Verurteilung wegen Insolvenzstraftaten der §§ 283 bis 283d StGB (Rechtskraft); auch ohne Zusammenhang mit dem konkreten Insolvenzverfahren; nicht erfasst ist Insolvenzverschleppung gem. § 15a Abs. 4,5 InsO

• vorsätzliche/grob fahrlässige falsche schriftliche Angaben des Schuldners in den letzten drei Jahren zur Kredit-/Leistungserlangung

• Restschuldbefreiung erteilt/versagt innerhalb der letzten 10 Jahre

• Gläubigerschädigung, Mitwirkungspflichtverletzung, falsche Angaben in Verzeichnissen gem. § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO

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Wohlverhaltensperiode (I)

• Während der Wohlverhaltensperiode (sechs Jahre ab Verfahrensaufhebung und Ankündigung der Restschuldbefreiung, vgl. BGH, Beschl. v. 18.12.2008, Az. IX ZB 249/07) vereinnahmt der Treuhänder (geeignete Person, z.B. Rechtsanwalt, Steuerberater, Schuldnerberater etc.) die pfändbaren Bezüge (Arbeitseinkommen bzw. Äquivalent bei Selbstständigkeit) und darüber hinaus gehende Zahlungen des Schuldners (z.B. den hälftigen Wert von Erbschaften, vgl. § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO)

• Auskehrung von Geldern (nach Abzug der Kosten) durch den Treuhänder an die Insolvenzgläubiger aufgrund des Schlussverzeichnisses, § 292 Abs. 1 S. 2 InsO (Rückfluss von 10 % bzw. 15 % an den Schuldner als Anreiz, § 292 Abs. 1 S. 4 InsO). Gem. BGH, ZInsO 2005, 597, sind Masseschulden auch in der Wohlverhaltensperiode vorab zu befriedigen

• Überwachung der Obliegenheitserfüllung des Schuldners im Auftrag der Gläubigerversammlung bei entsprechender Vergütung, § 292 Abs. 2 InsO

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Wohlverhaltensperiode (II)

• Besonders wichtig sind die Obliegenheiten des Schuldners während der Wohlverhaltensperiode. Obliegenheitsverletzungen führen gem. § 296 Abs. 1 InsO zur Versagung der Restschuldbefreiung bei entsprechendem Gläubigerantrag, wenn die Befriedigung der Insolvenzgläubiger (schuldhaft, insoweit Vermutung) verletzt wurde. Obliegenheiten sind gem. § 295 InsO:

• Angemessene Erwerbstätigkeit bzw. entsprechende Bemühungen• Herausgabe von (vorweggenommenen) Erbschaften zur Hälfte ihres Wertes• Anzeigepflichten bzgl. Wohnsitzwechsel und Erbschaften etc., Auskunftspflicht• Leistung von Zahlungen nur an den Treuhänder

Schutz der Zahlungen aufgrund der Abtretungserklärung in der Wohlverhaltensperiode auch gem. § 294 Abs. 1 InsO: Keine Zwangs-vollstreckung für einzelne Insolvenzgläubiger während der Laufzeit der Abtretungserklärung

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Endgültige Entscheidung über die Restschuldbefreiung, § 300 InsO

• Das Gericht entscheidet über die zu Beginn der Wohlverhaltensperiode gem. § 291 InsO angekündigte Restschuldbefreiung gem. § 300 InsO durch Beschluss (Rechtsmittel: sofortige Beschwerde)

• Die Restschuldbefreiung wird erteilt, wenn die Wohlverhaltensperiode ohne vorzeitige Versagung oder sonstiges Verfahrensende verstrichen ist und keine Versagungsgründe vorliegen

• Versagungsgründe sind:

• Verstoß gegen Obliegenheiten, § 296 InsO (z.B. keine Ausübung/Bemühung um angemessene Erwerbstätigkeit)

• Insolvenzstraftaten, § 297 InsO• Mangelnde Deckung der Mindestvergütung des Treuhänders, § 298 Abs. 1

InsO (vgl. aber den dortigen Verweis auf § 4a InsO: Kostenstundung)

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Wirkung der Restschuldbefreiung, § 301 InsO

• Forderungen der Insolvenzgläubiger verlieren ihre Erfüllbarkeit, vgl. § 301 Abs. 1, 3 InsO (Naturalobligationen)

• Auch nicht angemeldete Insolvenzforderungen werden von der Restschuldbefreiung erfasst, vgl. § 301 Abs. 1 S. 2 InsO

• Auch Regressforderungen von Bürgen und Mitschuldnern etc. erlöschen, § 301 Abs. 2 S. 2 InsO, während Mitschuldner und Bürgen den Gläubigern weiterhin haften, § 301 Abs. 2 S. 1 InsO

• Gegen Vollstreckungsmaßnahmen von Insolvenzgläubigern (vollstreckbare Ausfertigungen der Insolvenztabelle, gem. § 201 Abs. 2 InsO) ist die Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO das richtige Rechtsmittel des Schuldners (Wirkung des § 301 InsO ist neue Einwendung gegen den titulierten Anspruch)

• Zu nicht erfassten Forderungen vgl. § 302 InsO, insbesondere Verbindlichkeiten aus vorsätzlichen unerlaubten Handlungen, sofern unter entsprechender Angabe gem. § 174 Abs. 2 InsO zur Tabelle angemeldet; Nachmeldung des Charakters aus vorsätzlich unerlaubter Handlungen möglich (BGH ZinsO 2008, 325)

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„Verbraucherinsolvenzverfahren“

§§ 304 ff. InsO sehen ein vereinfachtes Insolvenzverfahren (mit zwei Vorstufen) vor:

• Gesetzliche Bezeichnung Verbraucherinsolvenzverfahren ist missverständlich, vgl. § 304 Abs. 1 S. 2 InsO (vereinfachtes Verfahren auch bei selbstständiger wirtschaftlicher Tätigkeit wenn wirtschaftliche Verhältnisse überschaubar und keine Forderungen aus Arbeits- verhältnissen)

• §§ 304 ff. InsO sind zwingend anzuwenden, wenn die Voraussetzungen gem. § 304 vorliegen:

1. Natürliche Person und 2.a) Keine selbstständige wirtschaftliche TätigkeitOder (anstelle von 2.a) bei vorheriger selbständiger Tätigkeit:2.b) (1) Vermögensverhältnisse überschaubar (weniger als 20 Gläubiger) und

(2) keine Verbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen

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Ablauf des „Verbraucherinsolvenzverfahrens“ (I)Mit dem Insolvenzantrag hat der Schuldner gem. § 305 Abs. 1 InsO eine Bescheinigung über einen erfolglosen außergerichtlichen Einigungsversuch mitseinen Gläubigern und einen Plan für eine gerichtliche Schuldenbereinigung (ohnevereinfachtes Insolvenzverfahren) vorzulegen (Formulare für den Antrag gem. § 305 Abs. 5 InsO i.V.m. VbrInsVV). Daraus ergeben sich zwei Vorstufen des„Verbraucherinsolvenzverfahrens“, die dessen Notwendigkeit möglichst ver-meiden sollen:

1. Schuldenbereinigungsversuch (§§ 304, 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO, außer- gerichtlich und vor Schuldnerantrag, § 305 Abs. 1 InsO bzw. Gläubigerantrag, § 306 Abs. 3 InsO)

2. Gerichtliches Schuldenbereinigungsverfahren, § 305 Abs. 1 Nr. 4 InsO. Bis zur Entscheidung ruht das Verfahren über den Eröffnungsantrag gem. § 306 Abs. 1 InsO (Dauer: möglichst nicht über 3 Monate)

• § 307 InsO: Zustellung des Schuldenbereinigungsplans nebst Vermögensübersicht an die Gläubiger (Notfrist: 1 Monat für Stellungnahme)

• § 308 InsO: Annahmefiktion soweit keine Einwendungen erfolgen, Wirkung: wie Vergleich gem. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, Fiktion bzgl. Rücknahme des Eröffnungsantrags und Restschuldbefreiungsantrags

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Ablauf des „Verbraucherinsolvenzverfahrens“ (II)

Gerichtliches Schuldenbereinigungsverfahren (Fortsetzung):

• § 309 InsO: Zustimmungsersetzung auf Gläubiger- oder Schuldnerantrag bei gegebenen Einwendungen wenn Kopf- und Summenmehrheit zustimmender Gläubiger (keine Zustimmungs-ersetzung bei Schlechterstellung des widersprechenden Gläubigers gegenüber den übrigen Gläubigern oder gegenüber der Situation bei Durchführung des Insolvenzverfahrens mit Restschuldbefreiung

Gläubigerwiderspruch daher regelmäßig sinnvoll, wenn weniger als pfändungsfreies Einkommen für 6 Jahre verteilt wird)

• Zulässigkeit sogenannter Nullpläne

• Nicht durch Zustimmung ersetzte Einwendungen gegen den Schuldenbereinigungsplan führen gem. § 311 InsO zur Wiederaufnahme des Verfahrens über den Insolvenzeröffnungsantrag

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Vereinfachtes Insolvenzverfahren, §§ 311 ff. InsO

• Das vereinfachte Insolvenzverfahren folgt den Regelungen des „normalen“ Insolvenzverfahrens. Es gelten folgende Besonderheiten:

• Eventuell vorläufiger Treuhänder anstelle des vorläufigen Insolvenzverwalters (§§ 306 Abs. 2, 304 Abs. 1, 21 InsO)

• Kein Berichtstermin, nur Prüfungstermin, § 312 Abs. 1 InsO• Treuhänder, § 313 InsO anstelle des Insolvenzverwalters, Befugnisse

gem. §§ 56 ff. InsO neben § 292 InsO• Anfechtung durch die Insolvenzgläubiger, § 313 Abs. 2 InsO anstelle

des Insolvenzverwalters• Verwertung bei Absonderungsrechten durch die Gläubiger, § 313

Abs. 3 S. 2 InsO anstatt durch den Insolvenzverwalter (keine Kostenbeiträge!)

• Keine Insolvenzpläne, keine Eigenverwaltung, § 312 Abs. 2 InsO• In der Regel keine Masseverwertung, statt dessen Ablösungszahlung,

§ 314 Abs. 1 S. 2 InsO (mit Wirkung auf die Entscheidung über die Restschuldbefreiung, § 314 Abs. 3 InsO)

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Nachlassinsolvenzverfahren, §§ 315 ff. InsO (I)

Sonderinsolvenzverfahren (Partikularinsolvenzverfahren) über bestimmte Vermögensmasse:

• Ziel: Beschränkte Erbenhaftung, vgl. §§ 1975, 2013 BGB, Gleichbehandlung der Nachlassgläubiger

• Antragsfrist: Gem. § 319 InsO 2 Jahre (für Nachlassgläubiger)

• Insolvenzgrund: Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, § 320 S. 1 InsO (drohende Zahlungsunfähigkeit bei Insolvenzantrag des Erben, Nachlasspflegers etc.)

• Bei bloßer Zahlungsunfähigkeit ohne Überschuldung (reine Illiquidität trotz ausreichender Vermögenswerte) ist Nachlassverwaltung gem. § 1975 BGB möglich

• Antragsberechtigung gem. § 317 InsO: Erbe, Nachlassverwalter, Nachlasspfleger, Testamentsvollstrecker, Nachlassgläubiger

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Nachlassinsolvenzverfahren, §§ 315 ff. InsO (II)

• Erweiterung der Masseverbindlichkeiten gem. § 324 InsO auf die durch den Erbfall erforderlich gewordenen Aufwendungen (z.B. Kosten der Beerdigung werden voll aus der Nachlassinsolvenzmasse befriedigt, vgl. § 324 Abs. 1 Nr. 2 InsO)

• Insolvenzforderungen sind alle Nachlassverbindlichkeiten, vgl. § 325 InsO, zur Nachrangigkeit vgl. § 327 InsO (alle Forderungen die gegen den Erblasser selbst nicht eingeklagt werden können, z.B. Ansprüche aus Pflichtteilen, Vermächtnissen und Auflagen)

Letztlich führt das Nachlassinsolvenzverfahren zur Trennung von Nachlass(Insolvenzmasse) und Eigenvermögen des Erben einerseits sowie Nachlass-gläubigern und Eigengläubigern des Erben

Ansprüche des Erben gegen den Erblasser leben bei Insolvenz-eröffnung wieder auf, § 1976 BGB, vgl. § 326 InsO

• Zur Doppelinsolvenz des Erben und des Nachlasses vgl. § 331 InsO (Nachlassgläubiger, denen der Erbe auch unbeschränkt haftet, sind absonderungsberechtigt)

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Insolvenzverfahren über Gesamtgut, §§ 332 ff. InsO

• Bei fortgesetzter Gütergemeinschaft (§§ 1483 ff. BGB) kann der überlebende Gatte seine persönliche Haftung wegen Gesamtgutsverbindlichkeiten nach § 1489 Abs. 1 und 2 BGB auf das Gesamtgut beschränken. Es ergibt sich dann ein Insolvenzverfahren über eine Sondermasse (sog. Partikular- insolvenzverfahren). § 332 InsO verweist insoweit auf §§ 315 ff. InsO

• Bei Gütergemeinschaft hat das Gesamtgut beider Ehegatten (Gesamthandsgemeinschaft), das durch einen oder beide Gatten gemeinschaftlich verwaltet wird (§§ 1421 ff. BGB, 1450 ff. BGB) eine Sonderstellung:

• Es fällt nur in die Insolvenzmasse des Ehegatten, der das Gesamtgut allein verwaltet

• Verwalten beide Gatten das Gesamtgut, fällt es nicht in die Insolvenzmasse des jeweils insolventen Ehegatten

• Zum Ausgleich gibt es für die Gesamtgutsgläubiger im Sinne von §§ 1459 ff. BGB ein Partikularinsolvenzverfahren über das Gesamtgut als Sondermasse, vgl. § 333 f. InsO

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Universität MannheimFakultät für Rechtswissenschaft

Vorlesung Insolvenzrecht

XII. Internationales Insolvenzrecht

Frühjahrssemester 2009

Diese Arbeitsunterlage ist unvollständig ohne den begleitenden mündlichen Vortrag.

Vortrag und Arbeitsunterlage sind urheberrechtlich geschützt.

Rechtsanwalt Dr. Georg Streit, München

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Gegenstand des Internationalen Insolvenzrechts (I)

Das Internationale Insolvenzrecht trifft nationale und internationale Regelungen zu den Rechtswirkungen, die ein in einem Land eröffnetes Insolvenzverfahren in einem anderen Land auslöst.Dabei stellen sich u.a. folgende Fragen:

1. Anwendbares Recht?2. Formale Wirkungen (Folgen der Insolvenzeröffnung)

Beispielsfall: Insolvenzverfahren über das Vermögen des FlowTex Haupttäters Manfred Schmider (M.S.) in Deutschland (Insolvenzgericht Karlsruhe). Kurz vor Verhaftung und Stellung des Insolvenzantrages „verschenkt“ M.S. wertvolle Vermögensgegenstände in Spanien an einen Schweizer Treuhänder.

Welche Fragen stellen sich hier?

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Gegenstand des Internationalen Insolvenzrechts (II)

Beispielsfall:

• Materiellrechtlich stellt sich die Frage der Anfechtbarkeit der Transaktion

• IPR-Vorfrage: Nach welchem Recht ist die Frage der Anfechtbarkeit zu prüfen?

• Recht des Staates, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde: Insolvenzstatut

oder

• Recht des Staates, dem das anzufechtende Rechtsgeschäft unterliegt: Vertragsstatut

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Wichtige Fragen des InternationalenInsolvenzrechts (I)

Das Internationale Insolvenzrecht regelt insbesondere folgende wichtige Fragen:

• Entfaltet ein in einem Staat eröffnetes Insolvenzverfahren in einem anderen Staat Wirkungen?

• Insolvenzbeschlag/Zugriffsmöglichkeit des Insolvenzverwalters auf außerhalb des Anordnungsstaats belegene Vermögensgegenstände?

• Einzelzwangsvollstreckungsverbot für inländisches Vermögen bei ausländischem Insolvenzbeschlag?

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Wichtige Fragen des InternationalenInsolvenzrechts (II)

• Sperrung inländischer Insolvenzverfahrenseröffnung bei im Ausland eröffneten Verfahren?

• Materiellrechtliche Folgen eines Auslandsverfahrens im Inland (z.B. bzgl. Verjährung: Hemmung bzw. Unterbrechung durch Anmeldung zur Tabelle im Ausland?)

• Anerkennung bzw. Vollstreckung von Entscheidungen bzgl. Ansprüchen aus einem Insolvenzverfahren (z.B. ausländische Tabelleneintragungen als Vollstreckungstitel)

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Grundprinzipien des Internationalen Insolvenzrechts

Das Internationale Insolvenzrecht kennt zwei Grundprinzipien, die in den jeweiligen Staaten in unterschiedlichen Ausprägungen gelten:

• Territorialitätsprinzip: Wirkungen der Insolvenzeröffnung beziehen sich nur auf das Staatsgebiet des eröffnenden Insolvenzgerichts

• Universalitätsprinzip: Wirkungen der Insolvenzeröffnung beziehen sich auch auf das Ausland

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Rechtsgrundlagen des deutschen Internationalen Insolvenzrechts

Lange Zeit galt in Deutschland Richterrecht (BGHZ 88, 147; 95, 256: Universalitätsprinzip, Zwangsvollstreckung in Auslands- vermögen war unzulässig, § 89 InsO, § 14 KO, bei ausländischem Territorialitätsprinzip und Erfolg eines Gläubigerzugriffs im Ausland daher im Inland Herausgabepflicht gem. § 812 BGB) und anschließend die rudimentäre Regelung in Art. 102 EGInsO a.F.

Vor einiger Zeit sind jedoch wichtige normative Grundlagen geschaffen worden:

• Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 vom 29.05.2000 über Insolvenzverfahren EuInsVO

• Gesetz zur Neuregelung des internationalen Insolvenzrechts (in Kraft seit 20.03.2003) §§ 335 bis 358 InsO

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EuInsVO, Grundlagen (I)

Der Rat der Europäischen Union hat gestützt auf Art. 61 lit. c) und Art. 67 Abs. 1 EG am 29.05.2000 die Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren – EuInsVO – erlassen (ABl. EG Nr. L 160/1 ff.):

• Inkrafttreten: 31.05.2002• Unmittelbar geltendes Recht in den EU-Staaten (Ausnahme:

Dänemark)• Auslegung durch den EuGH (Art. 68 EG)• Vorläufer: Europäisches Insolvenzübereinkommen (EuIÜ), das zwar von

den EU-Staaten gezeichnet aber nicht ratifiziert wurde• Wichtige Abgrenzung: Die EuGVVO nimmt Insolvenzverfahren von

ihrem Anwendungsbereich aus (Art. 1 Abs. 2 lit b EuGVVO)• Die EuInsVO gilt vorrangig vor dem deutschen Ausführungsrecht gem.

Art. 102 EGInsO (vgl. BGH NZI 2008, 572)

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EuInsVO,Grundlagen (II)

• Die EuInsVO ersetzt bilaterale Abkommen zwischen den beteiligten EU- Staaten (Deutschland hatte ein solches Abkommen nur mit der Republik Österreich)

• In Bezug auf Staaten, die nicht der EU angehören, gilt das jeweilige IZPR bzw. IPR, soweit keine bilateralen Abkommen getroffen sind (derartige Abkommen gibt es z.B. zwischen verschiedenen Kantonen der Schweiz und einzelnen deutschen Bundesländern)

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EuInsVO, Anwendbarkeit

• Sachlicher Anwendungsbereich: Gesamtverfahren, die die Insolvenz des Schuldners voraussetzen (vollständiger oder teilweiser Vermögens- beschlag mit Verwalterbestellung).

Ausnahme: Versicherungsunternehmen, gewisse Wertpapier-unternehmen; vgl. Art. 1 i.V.m. Anhang A EuInsVO

• Zeitlicher Geltungsbereich: Nach dem 31.05.2002 eröffnete Insolvenzverfahren, vgl. Art. 43, 47 EuInsVO

• Räumlicher Anwendungsbereich: Verfahren, bei denen der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners innerhalb der Mitgliedsstaaten liegt (Ausnahme: Dänemark);

keine Anwendbarkeit im Verhältnis zu Drittstaaten

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EuInsVO, Eröffnungszuständigkeit und anwendbares Recht

• Internationale Zuständigkeit, Art. 3 EuInsVO: Zuständigkeit des Insolvenzgerichts, insb. bzgl. Eröffnung des Verfahrens; dies ist eine Frage des IZPR

Es ist das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat („Center of Main Interest“, kurz: „Comi“)

• Anwendbares Recht, Art. 4 EuInsVO; IPR: Es gilt grundsätzlich das Recht des Staates, in dem das Verfahren eröffnet wird („Staat der Verfahrenseröffnung“)

Also gilt die „lex fori concursus“

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EuInsVO, Universalitätsprinzip und Verwalterbefugnisse

• Wechselseitige Anerkennung von Verfahrenseröffnungen, Art. 16 EuInsVO (hierzu auch EuGH, NZG 2006, 633 „Eurofood“)

Universalitätsprinzip innerhalb der EU, wird in einem EU-Staat eröffnet, so wirkt dies auch in den anderen Mitgliedstaaten (Ausnahme: Dänemark)

• Befugnisse des in einem Hauptverfahren in einem Mitgliedsstaat bestellten Verwalters im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats:

Der Verwalter kann alle Befugnisse nach dem Recht des eröffnenden Staates ausüben, insbesondere Massegegenstände in Besitz nehmen und in den Eröffnungsstaat verbringen, Art. 18 EuInsVOzur Anerkennung und Vollstreckbarkeit von Entscheidungen im EU-Ausland vgl. Art. 25 EuInsVO (Vollstreckung von deutschen Sicherungsentscheidungen wegen des Universalitätsgrundsatzes nach Anerkennung ohne Förmlichkeiten, gilt auch für deutsche Sicherungs-maßnahmen im Eröffnungsverfahren, insoweit nicht Art. 38 EuInsVO, der auf nach Auslandsrecht zulässige Maßnahmen abstellt)Der vorläufige Verwalter kann gem. Art. 38 EuInsVO alle Sicherungsmaßnahmen in anderen Mitgliedsstaaten beantragen, die nach deren Recht im Eröffnungsverfahren zulässig sind

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EuInsVO, Universalitätsprinzip, Sekundärinsolvenzverfahren

• Auf der Regelung zur Zuständigkeit für die Verfahrenseröffnung gem. Art. 3 EuInsVO (maßgeblich der „Comi“) und der wechselseitigen Anerkennung gem. Art. 16 EuInsVO (Universalitätsprinzip) baut Art. 27 EuInsVO auf:

Ist in einem Mitgliedsstaat ein Verfahren gem. Art. 3 EuInsVOeröffnet worden, so kann in einem anderen Mitgliedsstaat nur noch ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden (Sperrwirkung der Ersteröffnung)

• Sekundärinsolvenzverfahren, Art. 27 EuInsVO: Es handelt sich um ein Partikularinsolvenzverfahren (beschränkt auf eine bestimmte Sondermasse und nicht das schuldnerische Gesamtvermögen, ähnlich den Verfahren gem. §§ 315 ff. InsO, vgl. auch §§ 354, 356 InsO), das im Anschluss an ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet wird

– Anwendbar ist das Recht des das Sekundärverfahren eröffnenden Staates, Art. 28 EuInsVO

– Gegenseitige Kooperationspflichten, Art. 31 EuInsVO– Gläubiger können jeweils voll anmelden, Art. 32 EuInsVO

RA Dr. Georg Streit, HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK, Vorlesung Insolvenz und Sanierung FS 2009 XII./14Prinzregentenstr. 48, 80538 München, Tel: 089 – 540 31 227

EuInsVO, Eurofood-Entscheidung (I)

• Sachverhalt: Eurofood IFSC Ltd., eine Gesellschaft irischen Rechts mit satzungsmäßigem Sitz in Dublin; einzige Gesellschafterin mit Sitz in Italien ist die Parmalat S.p.A. Die Eurofood enfaltet in Irland nahezu keine Geschäftstätigkeit, sondern fast auschließlich in Italien am Sitz der Parmalat S.p.A.

- 27.01.2004: Fremdantrag auf Eröffnung des (irischen) Insolvenzverfahrens vor dem High Court at Dublin

- 01.02.2004: Das italienische Ministerium eröffnet das (italienische) Insolvenzverfahren, Bestätigung durch das italienische Gericht am 19.02.2004

- 23.03.2004: Urteil des High Court of Dublin mit rückwirkender Eröffnung des (irischen) Insolvenzverfahrens zum 27.01.2004

- Der italienische Verwalter legt gegen dieses Urteil Berufung ein. Das irische Berufungsgericht legte dem EuGH u.a. die Frage zur Vorabentscheidung vor, wonach sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen eines Schuldners richtet, wenn sich ihr Satzungssitz an einem anderen Ort befindet als derjenige der Muttergesellschaft

Rechtslage?

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EuInsVO, Eurofood-Entscheidung (II)

• Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO: Bei Gesellschaften und juristischen Personen wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist.

EuGH NZG 2006, 633 „Eurofood“: Die Vermutung des Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO kann nur widerlegt werden, sofern objektive und für Dritte feststellbare Elemente belegen, dass in Wirklichkeit die Lage nicht derjenigen entspricht, die die Verortung am genannten satzungsmäßigen Sitz widerspiegeln soll.

Beispiel: Briefkastenfirma

Gegenbeispiel: Wenn die Tochtergesellschaft an ihrem Satzungssitz eine Tätigkeit ausübt, dann ist auch die Kontrolle durch die Muttergesellschaft nicht geeignet, die Vermutungsregel zu entkräften.

Der EuGH hat sich damit für die Business-Activity-Theorie und gegen die Mind-of- Management-Theorie entschieden.

Im konkreten Fall hat das Berufungsgericht in Irland im Anschluss an die Entscheidung des EuGH die Berufung des italienischen Insolvenzverwalters abgewiesen, da die Vermutung des Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO nicht widerlegt sei.

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Beispiel von grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren nach EuInsVO "ISA-Daisytek"

Faktischer Konzern, UK Ltd. (Holding), D GmbH, F SAS

1. Eröffnung England 16.5.2003

2. Antrag Deutschland 17.5.2003

3. Vorläufige IV 19.5.2003

4. Klarstellungsbeschluss 6.6.2003

5. Eröffnung Deutschland 10.7.2003

Vgl. schließlich OLG Düsseldorf ZInsO 2004, 867

Weitere Fälle: z.B. Parmalat/Eurofood (EuGH ZInsO 2006, 484), Hettlage (ZIP 2004, 172), Automold (ZIP 2004, 471)

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EuInsVO, Rechtsprechung und Konflikte (I) Die ISA-Fälle (vgl. AG Düsseldorf ZIP 2004, 623 ff. und ZIP 2004, 866 f.; BGH NZI 2008, 572) produzierten die ersten Konflikte zwischen Verwaltern und Gerichtsentscheidungen in England und Deutschland:

Am 16.5.2003 wurden für mehrere in Deutschland (u.a. ISA Deutschland GmbH, Neuss) und Frankreich ansässige Gesellschaften vor dem High Court of Justice, Leeds Anträge auf Erlass von adminstration orders gestellt. Dabei wurden Vertreter einer englischen Konzernholding, nicht dagegen die deutschen GF tätig.

Es handelte sich um einen international operierenden Konzern. Die deutschen GmbH hatten ihren Sitz in Neuss und gingen ihren Geschäften in Deutschland nach, wo sie auch über Konten verfügten. Die Konzernleitung lag in Bradford (England).

Ohne schriftliche Begründung eröffnete der englische Richter noch am Tag des Antragseingangs das Verfahren in England jeweils auch über die deutschen GmbH (und die französische SAS) und setzte englische Verwalter (administrators) ein.

Die deutsche Geschäftsführerin einer der GmbH´s stellte am 17.5.2003 einen Insolvenzantrag wegen Überschuldung bei dem AG Düsseldorf, ohne auf den Antrag in England hinzuweisen. Das AG setzte am Tag des Antragseingangs (19.5.2003) einen vorläufigen Insolvenzverwalter ein und erließ am 6.6.2003 einen Klarstellungs- beschluss, dass das englische Verfahren mangels Beachtung der EuInsVO und Begründung des Beschlusses nicht bindend sei (EWiR 2003, 767). Das englische Gericht fertigte später eine Begründung der Eröffnung in England (EWiR 2003, 709, ZIP 2003, 1362 m. Anm. Paulus). Rechtslage?

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EuInsVO, Rechtsprechung und Konflikte (II)

Rechtslage:• Nach unserem Rechtsverständnis ist die englische Entscheidung (NZI 2004,

219 ff.) unzutreffend:– IZPR = Internationale Gerichtszuständigkeit gem. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

war am Interessenmittelpunkt gegeben mit Vermutung für den Satzungssitz (Neuss, zudem Geschäft in Deutschland, Vermutung daher nicht widerlegt sondern bestätigt), daher wäre das AG Düsseldorf zuständig gewesen

– Folglich wäre gem. Art. 4 EuInsVO deutsches Recht bei der (richtigen) Eröffnung in Deutschland hinsichtlich der deutschen GmbH anzuwenden gewesen

– In England hätte, soweit dort eine Niederlassung der deutschen Gesellschaften vorhanden war, gem. Art. 27 EuInsVO i.V.m. Art. 3 Abs. 2 EuInsVO ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden können (englisches Recht, Beschränkung auf das Vermögen in England)

• Allerdings greift Art. 26 EuInsVO (Verstoß gegen Ordre Public) wohl nicht ein, der die Verweigerung der Anerkennung des in England als Hauptverfahren eröffneten Verfahrens ermöglichen würde (Ergebnis unvereinbar mit Grundprinzipien und verfassungsmäßigen Rechten? Wohl nicht, da später unwiderlegbar angegeben wurde, die deutsche Geschäftsführerin habe zur Antragstellung in England ermächtigt...)

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EuInsVO, Rechtsprechung und Konflikte (III)„British courts are satisfied, Continental Europe is not amused...“

(Heinz Vallender)Praktische Hinweise:

• Es ging offensichtlich um lukrative Insolvenzverwaltungen• Die englischen Gerichte eröffnen schnell und ohne genaue Prüfung. Die

Angaben bei einem Insolvenzantrag werden nicht besonders hinterfragt (dafür später bei Falschangaben schärfere Haftung)

• Bei Konzerninsolvenzen reicht englischen Richtern der Holdingstandort in England, um auch über kontinentaleuropäische Gesellschaften in England das Verfahren unter Einsetzung englische Verwalter zu eröffnen (misslich für deutsche Verwalter, Schuldner und Gläubiger sowie den Fiskus bei lukrativen Fällen), selbst dann, wenn nicht die Organe der betroffenen Gesellschaften den Antrag stellen

• Das englische Rechtsverständnis führt zur Möglichkeit des Forumshopping bei Konzernlagen (vgl. hierzu den von einem englischen Gericht entschiedenen Fall „Schefenacker“, hierzu Griffiths, NZI 2008, 418, 419 aber auch den Fall „Brochier“, High Court of Justice London, NZI 2007, 187, hierzu Andres/Grund, NZI 2007,137 ff.)

• Bei Beratung deutscher Mandanten ist genau zu prüfen ob ein Forum- Shopping möglich und sinnvoll ist und ob der Antrag in England (bzw. einem anderen EU-Staat) eine deutsche Strafbarkeit und Haftung gem. §§ 64 GmbHG, 823 Abs. 2 BGB etc. wirksam ausschließt

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EuInsVO, Rechtsprechung und Konflikte (IV)

Folgerungen:

• Es müssen klare Verhältnisse herrschen, daher müssen Eröffnungen in EU- Staaten bis zur Grenze des Ordre Public anerkannt werden

• Deutsche Gerichte (und Verwalter) können sich mit Sekundärverfahren „wehren“, die sich dann zwar nur auf Deutschland beziehen, dennoch aber wichtig sind, wenn die Insolvenzmasse in Deutschland liegt und (nach deutschem Verständnis zu Unrecht) in England eröffnet wird (zum Verhältnis Haupt- und Sekundärinsolvenzverwalter, vgl. Ehricke ZIP 2005, 1104 ff.)

• Ein Lösungsansatz könnte sein, das deutsche Insolvenzeröffnungsverfahren (Sicherungsbeschluss gem. §§ 21 f. InsO) als Verfahren im Sinne des Art. 27 EuInsVO zu statuieren (so für den Fall des Art. 16 EuInsVO bereits EuGH NZG 2006, 633 „Eurofood“). Die Sicherungsbeschlüsse ergehen in Deutschland in der Praxis mit einer Schnelligkeit, die derjenigen der Verfahrenseröffnung in England gewachsen ist

• Bei internationalen Sachverhalten empfiehlt sich zur Klarstellung ein Hinweis in dem gerichtlichen Beschluss, dass es sich um ein Hauptverfahren handelt (Sperrwirkung gegenüber ausländischen Insolvenzgerichten)

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EuInsVO, Beispielsfälle

• Zahnarzt X, Salzburg, Praxis in München, insolvent, EuInsVO anwendbar?Ja, Erwägungsgründe 3 und 4, es kommt auf Belegenheit des Vermögens an, Zuständig gem. Art. 3 EuInsVO AG München

• GmbH in Mannheim mit ausländischen Gesellschaftern. Alle insolvent. EuInsVO?Nein, einzelne Verfahren, Gesellschaftsanteile gehören nicht in die Masse der GmbH, um deren Vermögen geht es aber

• Zahnarzt X, München, Praxis in Salzburg, Ferienhaus in Genf. EuInsVO?Ja, BezG Salzburg, bzgl. Vermögen in der Schweiz Anerkennung notwendig

• X zieht zwischen Antrag und Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach Spanien und schließt vorher die Praxis, EuInsVO?Ja, Gedanke der perpetuatio fori, vgl. EuGH NZI 2006, 153

• Problem des negativen Kompetenzkonflikts: Insolvenzgericht in Paris verneint Comi und verweist an das nach seiner Auffassung zuständige AG München. Kann dieses seinerseits verweisen?Wohl nur, soweit AG München nicht Paris für zuständig hält und an ein drittes Gericht verweist (keine Rückverweisung)

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Das IPR der InsO, „Allgemeine Vorschriften“ §§ 335 ff. InsO (I)

Wichtige Regelungsbereiche des IPR der InsO sind:

• lex fori concursus, § 335 InsO (das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen regeln sich nach dem Recht des Eröffnungsstaats)

Sonderregelungen:• Verträge über Immobilien, § 336 InsO (Belegenheitsgrundsatz, lex rei sitae)

• Arbeitsverhältnisse, § 337 InsO (Verweis auf EGBGB)

• Aufrechnung, § 338 InsO; Aufrechnung eines Insolvenzgläubigers bleibt möglich, soweit sie nach dem für die Forderung des Schuldners maßgebenden Recht im Zeitpunkt der Eröffnung möglich wäre

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Das IPR der InsO, Anfechtung und Herausgabe, §§ 335 ff. InsO (II)

• Insolvenzanfechtung, § 339 InsO: Recht des Staats der Verfahrenseröffnung (lex fori concursus, Heimrecht des Verwalters), Ausnahme: Anderes Recht für die Rechtshandlung maßgeblich und nach diesem Recht keinerlei Angreifbarkeit bzgl. der Rechtshandlung

• Herausgabepflicht bei Auslandserlangung, § 342 InsO, nicht im Eröffnungsstaat von Insolvenzgläubigern auf Kosten der Insolvenzmasse erlangtes Vermögen ist an den Insolvenzverwalter herauszugeben (Bereicherungsrecht). Bloße Anrechnung bei Erlangung im Rahmen eines anderen Insolvenzverfahrens außerhalb des Eröffnungsstaats, Auskunftspflicht des Insolvenzgläubigers gegenüber dem Insolvenzverwalter

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Das IPR der InsO, Spezialregelungen zu ausländischen Insolvenzverfahren, §§ 343 ff. InsO (I)

• Universalitätsprinzip/Anerkennungsgrundsatz: Die Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens wird in Deutschland grundsätzlich anerkannt, vgl. § 343 Abs. 1 S. 1 InsO

(vgl. jüngst bejahend zur Unterbrechungswirkung eines Verfahrens nach Chapter 11 US Bankruptcy Code OLG Frankfurt, Juris Praxis Report 1/2008, 11 m. Anm. Rattunde)

• Ausnahmen, § 343 Abs. 1 S. 2 InsO:

• Mangelnde Zuständigkeit der Gerichte des Staats der Verfahrenseröffnung nach deutschem Recht

• ordre public-Grundsatz (Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere Grundrechten)

• Anerkennung von Sicherungsmaßnahmen, § 343 Abs. 2 InsO

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Das IPR der InsO, Spezialregelungen zu ausländischen Insolvenzverfahren, §§ 343 ff. InsO (II)

• Möglichkeit von Sicherungsmaßnahmen gem. § 344 InsO zu Gunsten eines im Ausland bestellten vorläufigen Verwalters durch das im Inland zuständige Insolvenzgericht gem. § 21 InsO (§ 343 InsO, mit der Anerkennung der Verfahrenseröffnung, der sich auch auf Sicherungsmaßnahmen nach Eröffnung im Ausland erstreckt, gilt insoweit nicht)

• Möglichkeit öffentlicher Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung auf Antrag des ausländischen Insolvenzverwalters, § 345 InsO; ggf. Grundbucheintrag, § 346 InsO

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Das IPR der InsO, Spezialregelungen zu ausländischen Insolvenzverfahren, §§ 343 ff. InsO (III)

• Schutzvorschriften bei inländischen Transaktionen/Rechten:

• Gutglaubensschutz bei Immobilien, § 349 InsO (§§ 878, 892, 893 BGB, Vormerkung, § 106 InsO)

• Gutgläubige Leistungserbringung an Schuldner, § 350 InsO• Schutz von Aussonderungs- und Absonderungsrechten gem. § 351 InsO

• Unterbrechungswirkung (§ 240 ZPO) bei Eröffnung ausländischer Insolvenzverfahren, § 352 InsO

• Partikularinsolvenzverfahren, §§ 354 ff. InsO bei Inlandsniederlassung bzw. sonstigem Inlandsvermögen mit besonderem Gläubigerinteresse, auf gesonderten Gläubigerantrag

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Internationales Insolvenzrecht, zusammenfassende Hinweise

• Wichtigste Vorfrage, Ausgangspunkt der Prüfung: Territorialitätsprinzip (Wirkungsbeschränkung auf das eigene Staatsgebiet) oder Universalitätsprinzip (Wirkungserstreckung vom Ausland ins Inland und umgekehrt)

• Die fünf Grundfragen (vgl. Ehricke, ZIP 2005, 1104 ff.) :

• Anwendbarkeit des IPR/IZPR der InsO oder der EuInsVO• Internationale Zuständigkeit (innerstaatliche örtliche Zuständigkeit, § 3 InsO

bzw. Art. 3 EuInsVO: Mittelpunkt schuldnerischer Interessen „Comi“)? • Anwendbares Recht (Bestimmung durch Kollisionsrechtsgrundsatz: lex fori

concursus, § 335 InsO, Art. 4 Abs. 1 EuInsVO)?• Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren (grds. gegeben,

Universalitätsprinzip, § 343 InsO, Art. 16 Abs. 1, 17 EuInsVO)?• Schutzvorschriften bei inländischen Transaktionen/Rechten mit Abweichung

von der lex fori concursus im Einzelfall?