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5 Das Jahr 2011 ist für die Stadt Speyer ein Jahr der Jubiläen und Feierlichkei- ten. Neben den vielfältigen kulturell-hi- storischen und kirchlichen Veranstal- tungen im Zeichen der Salier, die das Jahr 2011 zu einem regelrechten „Sa- lierjahr“ machen, stehen weitere Ereig- nisse und Jubiläen, die nicht vergessen werden sollten. So feiert Speyer in diesem Jahr ein weinbaugeschichtlich wichtiges Jubi- läum: die „Entdeckung“ einer bis heute verbreiteten und erfolgreichen Weiß- wein-Rebsorte. 1711 erkannte der Speyerer Kaufmann Johann Seger Ru- land (1745) in einem von ihm erwor- benen Speyerer Gartengrundstück den Wert und die Besonderheit zweier Reb- stöcke. Ruland, der aus dem Gebiet der dama- ligen Reichsstadt Frankfurt stammte, war nach Lehrjahren in Straßburg nach Speyer gekommen, wo er 1705 in die angesehene Familie des Bürgermeisters Stegmann einheiraten konnte. Nach Stegmanns Tod wurde Ruland durch Erbschaft zu einem wohlhabenden Mann. 1709 erwarb er das in der Strei- chergasse gelegene Gartengrundstück, wo er im Jahr 1711 seine folgenreiche „Entdeckung“ machte. Wir sind darü- ber durch eine kleine Schrift des Speye- rer Gymnasialkonrektors Georg Litzel aus dem Jahr 1758 gut unterrichtet, die man vom Stil her fast als moderne Wer- bebroschüre bezeichnen möchte: „Hi- storische Nachricht von dem Rheinwein … und besonders von dem Speyerer und Rulandswein“. Litzel berichtet, dass Ruland den Traubenmost der bei- den Rebstöcke separat in ein kleines Fass im Keller des Gartenhauses ab- füllte. Im folgenden Sommer öffneten Ruland und dessen Frau das Fässchen und nahmen eine Probe: „Der Wein war süß und lieblich, und ehe sie es sich ver- sahen, war er ihnen im Kopf. Es mag ih- nen fast ergangen seyn wie dem Noah, da er das erstemal seinen Wein kostete.“ Ruland vermehrte bald die Reben und sorgte als geschäftstüchtiger Handels- mann für eine erhebliche Verbreitung Dr. Joachim Kemper Vor 300 Jahren in Speyer „entdeckt“ Der „Speyerer“, auch „Vinum bonum“ oder Ruländer genannt Georg Litzel, Historische Nachricht von dem … Speyerer und Rulandswein, Speyer 1758. (Titelblatt, Exemplar Stadtarchiv Speyer)

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Vor 300 Jahren in Speyer "entdeckt": Der "Speyerer", auch "Vinum bonum" oder Ruländer genannt. Aus: Vierteljahresheft des Verkehrsvereins Speyer, Heft Herbst 2011

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Das Jahr 2011 ist für die Stadt Speyerein Jahr der Jubiläen und Feierlichkei-ten. Neben den vielfältigen kulturell-hi-storischen und kirchlichen Veranstal-tungen im Zeichen der Salier, die dasJahr 2011 zu einem regelrechten „Sa-lierjahr“ machen, stehen weitere Ereig-nisse und Jubiläen, die nicht vergessenwerden sollten. So feiert Speyer in diesem Jahr einweinbaugeschichtlich wichtiges Jubi-läum: die „Entdeckung“ einer bis heuteverbreiteten und erfolgreichen Weiß-wein-Rebsorte. 1711 erkannte derSpeyerer Kaufmann Johann Seger Ru-land († 1745) in einem von ihm erwor-benen Speyerer Gartengrundstück denWert und die Besonderheit zweier Reb-stöcke. Ruland, der aus dem Gebiet der dama-ligen Reichsstadt Frankfurt stamm te,war nach Lehrjahren in Straßburg nachSpeyer gekommen, wo er 1705 in dieangesehene Familie des BürgermeistersStegmann einheiraten konnte. NachStegmanns Tod wurde Ruland durchErbschaft zu einem wohlhabendenMann. 1709 erwarb er das in der Strei-chergasse gelegene Gartengrundstück,wo er im Jahr 1711 seine folgenreiche„Entdeckung“ machte. Wir sind darü-ber durch eine kleine Schrift des Speye-rer Gymnasialkonrektors Georg Litzelaus dem Jahr 1758 gut unterrichtet, dieman vom Stil her fast als moderne Wer-bebroschüre bezeichnen möchte: „Hi-storische Nachricht von dem Rheinwein… und besonders von dem Speyererund Rulandswein“. Litzel berichtet,dass Ruland den Traubenmost der bei-den Rebstöcke separat in ein kleines

Fass im Keller des Gartenhauses ab-füllte. Im folgenden Sommer öffnetenRuland und dessen Frau das Fässchenund nahmen eine Probe: „Der Wein warsüß und lieblich, und ehe sie es sich ver-sahen, war er ihnen im Kopf. Es mag ih-nen fast ergangen seyn wie dem Noah,da er das erstemal seinen Wein kostete.“

Ruland vermehrte bald die Reben undsorgte als geschäftstüchtiger Handels-mann für eine erhebliche Verbreitung

Dr. Joachim Kemper

Vor 300 Jahren in Speyer „entdeckt“ Der „Speyerer“, auch „Vinum bonum“ oder Ruländer genannt

Georg Litzel, Historische Nachricht von

dem…Speyerer und Rulandswein, Spey er

1758.

(Titelblatt, Exemplar Stadtarchiv Speyer)

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der Rebsorte – auch über die Pfalz hin-aus: „Man hat sie in das Gebuerge undin andere Landschaften geholet, undvon denselben indessen viele hundertFuter Wein gemachet.“Um die Mitte des 18. Jahrhundertshatte in Speyer der „Ruländer“ (oderwie er auch genannt wurde, der „Speye-rer“ bzw. „Vinum bonum“) bereits denGänsfüßer als beliebteste Rebsorte ver-drängt. Der Gänsfüßer, eine sehr alterote Rebsorte mit charakteristischenBlättern, war schon im späten Mittelal-ter in der Pfalz sehr verbreitet. Er ver-schwand nach und nach fast ganz ausdem Anbau und zählt heute zu den (lei-der) kaum noch bekannten Rebsorten.Der Gänsfüßer ist fast nur noch alsHausrebe in Verwendung, wird aberauch erfreulicher Weise wieder im„Versuchsanbau“ vom Staatsweingutmit Johannitergut in Neustadt-Muß-bach gepflegt und kann dort auch ge-kauft werden.

Verschiedene Landesherren sorgtenmit Empfehlungen und Geboten für dieVerbreitung des Ruländeranbaus in ih-ren Herrschaftsgebieten. Im Jahr 1782zählte zum Beispiel eine Anordnungdes Speyerer Bischofs Damian Augustvon Limburg-Styrum zur Anpflanzungneuer Reben die Rebsorte bereits aus-drücklich zu den hervorragenden Ge-wächsen, während Kurfürst Karl-Theo-dor für den Raum Neustadt einigeJahre früher neben Riesling, Traminerund Trötsch einzig und allein den Ru-länder für Neupflanzungen vorschrieb. Bei der mehr oder weniger zufälligen„Entdeckung“, die Johann Ruland inseinem Garten gemacht hatte, handeltees sich, wie wir heute wissen, um eineMutation des Spät- bzw. Blauburgun-ders. Die rötlich-rot gefärbte Ruländer-rebe ist heute im deutschen Sprach-raum vor allem als „Grauburgunder“bekannt (eine eher trocken ausgebauteVariante), während die Bezeichnung„Ruländer“ in der Regel den mehr tra-ditionellen, lieblichen Ausbau der Reb-sorte aus reifen und zum Teil edelfaulenTrauben meint. In Frankreich, aberauch in Australien und Luxemburg do-miniert die Bezeichnung „Pinot gris“.In Italien ist der Wein als „Pinot grigio“bekannt (was zugleich als „modische“Bezeichnung weltweit en vogue ist).Im schweizerischen Wallis herrscht diealte Bezeichnung „Malvoisie“ vor. Dieim Elsaß lange Zeit gebräuchliche Sor-tenbezeichnung „Tokayer“ darf seitkurzem aufgrund einer Klage aus Un-garn (Weinanbaugebiet Tokajer) nichtmehr verwendet werden. Sicherlich waren die von Ruland gefun-denen Rebstöcke nicht die ersten odereinzigen Pflanzen der Rebsorte im Sü-den des deutschen Sprachraums, gehörtdie Burgunderfamilie doch zu den sehralten Rebsorten. Vermutlich gelangtedaher der Ruländer bereits im spätenMittelalter von Frankreich in dieSchweiz und an den ungarischen Plat-

Ruländer-Rebe (Zeichnung) aus Gok, C.F.,

Die Weinrebe und ihre Früchte, Stuttgart

1836. (Stadtarchiv Speyer)

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tensee, wo er (ebenso im nördlichenBurgenland) als „Grauer Mönch“ bzw.„Szürkebarat“ bezeichnet wurde undwird. In den 1560er Jahren soll die Reb-sorte aus Ungarn an den badischenKaiserstuhl und in das Elsaß gelangtsein, woran heute noch ein Denkmal inColmar erinnert. Wie dem auch sei, erst mit der Speyerer„Entdeckung“ des Ruländers im Jahr1711 kam die Rebsorte in das Bewusst-sein des deutschen Weinbaus und fandrasche Verbreitung. Das Jahr 1711 darfdemnach durchaus als Jahr der eigent-lichen Entdeckung des Ruländers be-zeichnet werden.

Erfolgszug des RuländersWas waren die Gründe für den Erfolgdes Ruländers seit dem 18. Jahrhun-dert? Im frühneuzeitlichen Weinbauherrschte der heute nur noch wenig ge-bräuchliche „Gemischte Satz“ vor, dasbedeutet, unterschiedliche Rebsortenwuchsen in einem Weingarten zusam-men und wurden auch gemeinsam ge-keltert. Die Vor- und Nachteile von

Rebsorten sollten damit ausgeglichenwerden. So brachten Sorten wie Trollin-ger oder Gutedel hohen Ertrag bei ge-ringem Mostgewicht, während es beiRiesling oder Traminer genau umge-kehrt war. Die von Ruland entdecktenReben vereinten gute Ertragssicherheitmit relativ hohem Mostgewicht, wes-halb die Trauben schon bald zum Ver-schnitt mit dem Riesling und anderenSorten empfohlen wurden. Bereits inder Speyerer Schrift von Litzel heißt es:„Der Weinstock ist sehr fruchtbar. DieTrauben sind braun, und die Beere nichtgar zu groß: sind aber duennhaeutig undgeben viele Bruehe. Doch weil der Weinsehr zart ist, ist es gut, wenn auch Rueß-ling, Dramaenner [Traminer], oder an-derer rauher Wein darunter kommt, da-mit er sich desto laenger halte.“ 1844 wurde der Ruländer auf einer Ta-gung von Fachleuten in Bad Dürkheimals Sorte 1. Klasse bezeichnet, mit derauch Weinbau in wenig begünstigtenLagen lohnend sei. Hermann Goethe,einer der führenden Weinbauexpertendes späten 19. Jahrhunderts, beschrieb

Speyer mit Weinbergen, um 1862.

(Stadtarchiv Speyer, Graphiken und Ansichten Nr. 640)

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in seinem „Handbuch der Ampelogra-phie“ den Ruländer wie folgt: „Der Ru-länder ist mit zu den edelsten Keltertrau-ben zu rechnen und liefert einen süßen,äußerst feinen, angenehmen Wein, wel-cher sich hauptsächlich zur Champag-ner-Fabrikation und zum Verschnitt mitRiesling eignet.“

Vom Ruländer zum Pinot grigioDer mit einer 300-jährigen Geschichtealtehrwürdige Ruländer hat seit seinerEntdeckung in Speyer einige Höhenund auch Tiefen erlebt, und in der Pfalzwurde er zeitweise fast gänzlich vomSilvaner verdrängt. Der Ruländer war im 19. Jahrhundertmit zunehmendem Anbau in seiner Er-tragsleistung zu rück gefallen und verlordaher an Bedeutung. Erst nach dem 1.Weltkrieg begann man mit einer ver-stärkten Auslese und der Vermehrungder leistungsfähigsten Rebstöcke, was

zum Wiederaufschwung des Ruländer -anbaus beitrug. Alles in allem gilt dieRebsorte aber als relativ „schwierig“,da sie erheblich auf Klimaschwankun-gen reagiert und anfällig für Rebkrank-heiten und Schädlinge ist. Hauptanbaugebiete des Ruländers inDeutschland sind heute die Pfalz undRheinhessen sowie vor allem Baden.Insgesamt wird er in Deutschland aufca. 4.500 Hektar angebaut (ca. 4% derRebfläche), in der Schweiz und inÖsterreich kommt er zusammen aufüber 500 Hektar. In Baden, wo der Ru-länder als zweitwichtigste weiße Sortemehr als 10% der Rebfläche bedeckt,wurde und wird daher auch der 300.„Geburtstag“ des Ruländers im Jahr2011 groß gefeiert: Vom 17. bis 19. Junifanden z.B. in Endingen am KaiserstuhlJubiläumsfeierlichkeiten im Rahmendes Grauburgunder-Symposiums statt;international ausgeschriebene Graubur-

Ruländerpreis 2011(v.l.): Helmut Peter Koch, Oberbürgermeister Hansjörg Eger, Sarah

Bühler und Thomas Gries. Foto: speyer-aktuell

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gunderpreise wurden verliehen. Welt-weit beträgt die Anbaufläche der Reb-sorte, die in den 1990er Jahren vonNorditalien ausgehend einen regelrech-ten Boom erlebte, über 15.000 Hektar;Schwerpunkte sind dabei neben Frank-reich (Elsaß) und Norditalien jetzt auchdie USA, Au-stralien undNeus eeland.

Weinbrüder undRuländer-Aka-demieDies alles istGrund genug,auch an dieSpeyerer Ur-sprünge derRebsorte zu er-innern! Im Mai2011 begingendie Weinbruder-schaft der Pfalzund die Speye-rer Ruländer-Akademie miteiner feierlichenWeinprobe im Forum des HistorischenMuseums der Pfalz das 300-jährige Ju-biläum der Rebsorte. Die 1982 gegründete Ruländer-Akade-mie Speyer hat sich der Dokumentie-rung der Herkunft und Verbreitung desRuländers verschrieben. Der histori-sche Name „Ruländer“ für die Reb-sorte soll, so die Akademie, nicht in Ver-gessenheit geraten. Jährlich veranstaltetdie Akademie einen „Ruländer-Wett-bewerb“, in dem je ein trocken und einlieblich ausgebauter Wein der Rebsorteaus dem Anbaugebiet Pfalz prämiertwerden. Die Preisträger des 19. Rulän-der-Wettbewerbs (2011) wurden imJuni von den Akademiemitgliedern imRahmen einer Blindverkostung gekürt.Oberbürgermeister Hansjörg Eger undHelmut Peter Koch, Präsident des Sozi-algerichts Speyer sowie neuer Präsident

der Ruländer-Akademie, übergaben am28. Juni im Rahmen eines Festakts imRathaus die Preise. Der „Grauburgun-derpreis“ ging an das Weingut Bühlerin Kallstadt für eine trockene 2010erGrauburgunder Spätlese, während mitdem „Ruländerpreis“ das Weingut

Gries in Rhodt aus-gezeichnet wurde(2010er RuländerAuslese „RhodterOrdensgut“). DiePreisträger erhieltenerstmals eine ausAnlass des 300-jähri-gen Jubiläums neugeschaffene Me-daille. Diese zeigtauf der Vorderseiteeine mit Trauben ge-schmückte Frauen-gestalt (siehe Titel-bild), über der eineAnsicht der StadtSpeyer zu sehen ist;die Frauengestalthält ein Banner mitdem abgewandelten

Titel der Schrift von Georg Litzel in ih-ren Händen. Auf der Rückseite domi-niert der Schriftzug „300 Jahre Rulän-der Rebe aus Speyer, 1711-2011“.

Alte Weinstadt SpeyerAuch das Verständnis für die Bedeu-tung der Stadt Speyer im historischenWeinhandel sowie als „Weinstadt“ wirddurch die Akademie gefördert. Dies istübrigens ein Thema, das nicht nur fürkleinere oder größere Ausstellungentaugt, sondern durchaus auch für fach-wissenschaftlich-historische Forschun-gen oder Abschlussarbeiten an Univer-sitäten. Die im Speyerer Stadtarchiv ge-hüteten Akten und Urkunden derReichsstadt Speyer vom Mittelalter ansind auch für weingeschichtliche Frage-stellungen sehr aussagekräftig. Speyerwar im Mittelalter ein wichtiger Um-

Medaille „300 Jahre Ruländer-Rebe“ von

Peter Götz Güttler.

Numismatischer Verein Speyer

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schlagplatz für den oberrheinischenund vor allem pfälzischen Wein, der vonhier aus zumeist nach Norden verschifftwurde und als „Rheinwein“ dann überFrankfurt und Köln in den Hanseraumund nach Nordeuropa gelangte – Kölnwurde regelrecht als „Weinhaus“ dernorddeutschen hansischen Städte be-zeichnet. Weinschankrechte und die „Wein-steuer“ (Weinungeld) bildeten in vielenStädten, so auch in Speyer, den Anlassfür vielfältige Reibereien, vor allemzwischen Klerus und Bürgerschaft.Wein war in Speyer zweifellos eine Art„Grundnahrungsmittel“, wobei die är-meren Bevölkerungsteile sicherlich oftauf mindere Qualitäten zweiter oderdritter Pressung oder auf Hefeweinezurückgreifen mussten. Für städtischeOberschichten des Mittelalters hat maneinen durchschnittlichen täglichenWein verbrauch von knapp 1,3 Liternpro Person errechnet – man sollte dabeiaber bedenken, dass diese Weine da-mals meist alkoholärmer waren.

Beutelsbachers HerbstbüchleinSpeyer war nicht nur ein zentraler Um-schlagplatz für Wein, sondern verfügtebis weit in das 19. Jahrhundert (und so-gar länger) hinein über eine größereAnzahl von Weingärten. Seit dem 14.Jahrhundert ist eine Speyerer „Wein-leutezunft“ („Rebleutezunft“) bekannt,zu der neben den Weingärtnern auchWeinwirte und andere verwandte Be-rufsgruppen zählten (Weinmesser, Kü-fer usw.). Später sind die Weingärtnerdann als Untergruppe der Gärtnerzunfterfasst. Gegen Ende des 18. Jahrhun-derts sind nur noch wenige hauptberuf-liche Weingärtner belegt. Der privatebzw. nebenberufliche Weinbau spieltetrotzdem weiterhin eine Rolle. Im Jahr1846 wurden immerhin noch 125.000Liter Speyerer Wein gekeltert. GeorgLitzel, der im Jahr 1758 sein Loblieddes Speyerer Ruländers veröffentlichte,

beschreibt die landwirtschaftliche Nut-zung folgendermaßen: „Der SpeyererWein ist nicht der geringste unter denRheinweinen. Er hat vor vielen den Vor-zug. Das macht die Lage, und der guteGrund und Boden. … Man siehet oft aufeinem Acker zugleich Weinstoecke,Obstbaeume, allerhand Kraeutelwerkund anders … . In diesem SpeyerischenParadiß wachsen Mandeln, Reps zumOele, und Taback in Menge, und etlicheStunden davon Castanien in gantzenWaeldern. Anderer herrlichen Fruechtennicht zu gedencken.“ Dass auch einzelne Bürger gut Buch zuführen verstanden, wenn es um ihreneigenen Weinanbau ging, beweist dasim Stadtarchiv überlieferte „Herbst-büchlein“ des Johann Michael Beutels-bacher, dessen Einträge im Jahr 1796einsetzen (Stadtarchiv Speyer, Bestand193-1 Nr. 2). Der Autor überschreibtdas Ziel seines Buches so: „Schema,worinnen enthalten, was ich jährlich antrauben gemacht und wieviel wein die-selben geben, anfangend anno 1796.“Beutelsbacher berichtet also in dieserhochinteressanten Quelle über seinejährlichen Traubenernten in seinenGärten (Rebzeilen) sowie von seinen„Hausreben“ und die daraus resultie-renden Einnahmen. Beutelsbacher ver-fügte insgesamt über Rebpflanzungenin neun Gärten, die er immer wiederneu anlegte oder veränderte. SchlechteJahrgänge werden von ihm ebensobeim Namen genannt wie besondersgute Ernten. 1830 übergab Beutelsba-cher dann seine Rebzeilen an seineKinder und erntete für sich nur noch imeigenen Garten – das „Herbstbüchlein“endet mit dem Jahr 1835. Beutelsbacher notierte in seinem Buchauch eine kurze Beurteilung der Wein-ernten (in Speyer?) vom Jahr 1644 (!)an bis eben zum besagten Jahr 1835.1711, im Jahr der Entdeckung des Ru-länders, war die Ernte zum Beispiel„mittelmäsig gut“, 1712 war sie dagegen

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sehr gut, während im Folgejahr derFrost die Reben stark in Mitleiden-schaft zog. Wir erfahren auch, dass imJahr 1811 die Erträge „extra gut undviel“ waren; Beutelsbacher spricht voneinem „Cometwein“ – gemeint ist, dassim Jahr 1811 der große Komet „Flau-gergues“ monatelang am Himmel sehrgut sichtbar war und im Oktober desJahres seine größte Helligkeit erreichte.Auch von hohen Temperaturen erfah-

ren wir wie beiläufig, zum Beispiel klet-terte das Thermometer im Februar1827 auf 22 Grad.

Speyerer Ruländer wiederbelebtVom „Herbstbüchlein“ kommen wirjetzt endgültig in die unmittelbareGegenwart zurück: Seit dem Jahr 1982ist die Stadt wieder ganz offiziell Wein-baugemeinde. Der damals neu ange-legte Wingert am Speyerer „Tafelsbrun-

Auszug aus dem „Herbstbüchlein“ des Johann Michael Beutelsbacher.

(Stadtarchiv Speyer, Bestand 193-1 Nr. 2).

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nen“ umfasst elf Rebzeilen mit ca. 660Ruländer-Rebstöcken und wird vonMitarbeitern der städtischen Gärtnereigepflegt. Die Erntemenge liegt durch-

schnittlich bei 1.000 Litern. Im Jahr2010 waren es knapp 1.250 Liter, wobeidie von der Stadt geernteten Traubenqualitätsmäßig zu den besten in derPfalz gelesenen Ruländertrauben ge-hörten. Zweimal erhielt der Ruländer-wein der Stadt die „Bronzene Kammer-preismünze“ der Landwirtschaftskam-mer Rheinland-Pfalz. Nach der Lese werden die Trauben zurLehr- und Versuchsanstalt für Weinbauin Neustadt (DienstleistungszentrumLändlicher Raum Rheinpfalz) transpor-tiert, wo der Wein gekeltert und für dieStadtverwaltung Speyer in 0,7-Liter-Flaschen abgefüllt wird. Der „SpeyererRuländer“ ist, wenn man so will, ein re-gelrechter Repräsentationswein, der alsstädtisches Geschenk zu verschiedenenAnlässen gerne gesehen ist – und auchgerne getrunken wird. Zu kaufen gibtes den Speyerer Ruländer allerdingsnicht. Eine kleinere Anzahl der Fla-schen wird in einer Art „Weinarchiv“(einem kleinen Weinkeller der Stadt-gärtnerei) aufgehoben.

Rebenpflege auf dem Ruländer-Weinberg

am Tafelsbrunnen. Stadtgärtnerei