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Vermittlung von Markenerlebnissen durch die Nutzung von Big DataDie Vermittlung starker Markenerlebnisse bietet Marken die Möglichkeit zur nachhaltigen Differenzierung. Hierzu muss die Markenführung die Identität der Nachfrager ansprechen. Big Data bietet zahlreiche Ansatzpunkte, um die notwen-digen Erkenntnisse zu gewinnen. Doch bisher gelingt es Unternehmen nicht, Nachfragern diesen Nutzen zu vermitteln.

Christoph Burmann, Barbara Kleine-Kalmer, Frank Hemmann

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Marken fällt es heute schwerer denn je, Nachfrager durch klassische Mar-kenkommunikation zu erreichen. Die Informationsüberlastung führt zu ei-ner weitgehenden Nichtbeachtung von Markenbotschaften. Doch selbst wenn Markenbotschaften wahrgenommen werden, ist eine Differenzierung anhand funktionaler Markennutzen nur noch in wenigen Fällen möglich. Denn zahlreiche Märkte sind gesättigt und Marken sowie ihre Produkte in funktionaler Hinsicht austauschbar. Aus diesem Grund wenden sich immer mehr Markenverantwortliche der Gestaltung des Markenerlebnisses zu. Un-abhängig von Branche und Unternehmensgröße starten Unternehmen Cus-tomer-Experience-Management-Projekte oder etablieren spezialisierte Ab-teilungen (Hemmann 2014; Kroeber-Riel/Gröppel-Klein 2013; Pine/Gilmore 2011).

Für die Gestaltung von Markenerlebnissen ist die genaue Kenntnis von Nachfragern und ihren Bedürfnissen von hoher Bedeutung. Dazu stehen große Mengen an Daten zur Verfügung, zusammengefasst auch unter dem Begriff „Big Data“. Die Daten stammen aus der Nutzung von Smartphones, Webshops, Online-Transaktionen, dem Upload von multimedialen Inhal-ten in sozialen Netzwerken, GPS-fähigen Geräten und Sensordaten. Im letz-ten Jahr wurden weltweit 1,8 Zettabyte an Daten generiert. Ein Zettabyte sind eine Trilliarde Byte (Initiative D21 e.V. 2013). Zwölf Terabyte werden täglich allein durch Tweets generiert (Gobble 2013, S. 64). In der Fachpres-se besteht Einigkeit über die hohe Relevanz von Big Data. Die Speicherung und Verwendung von Daten werden jedoch kontrovers diskutiert. Während Unternehmen sich große Chancen durch Big Data ausrechnen und über-zeugt sind, dem Kunden durch Datenanalyse einen individuellen Mehrwert liefern zu können, kritisieren Verbraucherschützer den teilweise leichtferti-gen Umgang mit persönlichen Daten von Konsumenten (Campillo-Lund-beck 2013, S. 18). Insbesondere die Datensammlung durch Tracking Coo-kies auf Webseiten wird in diesem Zusammenhang häufig bemängelt. Die Studie „Unsexy Data Concerns“ von Ogilvy 2012 (n = 500 Online-User ab 18 Jahre) belegt, dass 88 % der User gegen das Tracking ihres Online-Ver-haltens sind (Campillo-Lundbeck 2013, S. 18).

Wie kann Big Data also genutzt werden, um das Markenerlebnis zu ver-bessern, ohne dabei die Rechte der Nutzer zu verletzen? Diese Fragestellung steht im Fokus dieses Beitrags. Zunächst soll ein klares Verständnis für den Begriff Big Data geschaffen werden. Darüber hinaus werden die theoreti-schen Grundlagen des Markenerlebnisses aufgearbeitet und weiterentwi-ckelt. Auszüge einer empirischen Studie untersuchen daraufhin die Wahr-nehmung der Nachfrager zu Big Data. Die Studie soll zudem Implikationen für das Management zur Verbesserung des Markenerlebnisses unter profes-sioneller Nutzung von Big Data liefern.

Was ist Big Data?Big Data ist in aller Munde. Bisher hat sich jedoch noch keine allgemeingül-tige Interpretation des Begriffs durchgesetzt. Zum einen wird der Ausdruck Big Data genutzt, um große Datenmengen zu beschreiben. Zum anderen

Prof. Dr. Christoph Burmann ist Inhaber des Lehrstuhls für innovatives Markenmanagement (LiM), Universität Bremen E-Mail: [email protected]

Dipl.-Kffr. Barbara Kleine-Kalmer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für innovatives Markenmanagement (LiM), Universität Bremen, Dozentin an der FOM Hochschule Bremen E-Mail: [email protected]

Dipl.-Kfm. Frank Hemmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für innovatives Markenmanagement (LiM), Universität Bremen E-Mail: [email protected]

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dient er zur Subsumtion der gesamten Komplexität des innerbetrieblichen Datenmanagements. Um ein einheitliches Begriffsverständnis zu schaffen, ist eine klare Begriffsdefinition notwendig. Denn bisher sind die in der Fach-literatur publizierten Definitionen zu vage. Trotz der Unschärfe bestehen-der Definitionen lassen sich wesentliche Merkmale ableiten. So betonen Au-toren immer wieder die Komplexität, die aus der Kombination sowohl struk-turierter als auch unstrukturierter Daten entsteht (Finkel/Dill 2013). Die Verknüpfung und kollektive Auswertung der Daten können demnach als eine der zentralen Anforderungen an das Management von Big Data iden-tifiziert werden. McAfee/Brynjolfsson identifizieren drei Dimensionen, die die Komplexität von Big Data charakterisieren: „volume, variety, velocity.die Komplexität von Big Data charakterisieren: „volume, variety, velocity.die Komplexität von Big Data charakterisieren: „volume, variety, velocity “ Ein Autorenteam des IBM Institute for Business Value und der Said Busi-ness School an der Universität Oxford fügt in seinem Bericht eine weitere Komponente „veracity“ hinzu (Schroeck et al. 2012, S. 5). Die Bedeutung der vier Dimensionen soll im Folgenden kurz dargestellt werden.

Volume: Im Jahr 2012 wurden 1,8 Zettabyte an Daten produziert (Initia-tive D21 e.V. 2013). Diese wurden nicht nur durch das Surfen im Internet generiert, sondern beispielsweise auch durch Smartphones oder Kunden-Transaktionen (McAfee/Brynjolfsson 2012, S. 62). Der Umfang des Daten-volumens variiert je nach Unternehmen oder Branche, die Systematisierung der Sammlung, Speicherung, Auswertung und Interpretation ist jedoch eine übergreifende Herausforderung.

Variety: Daten existieren in Form von Text, Bildern, Grafiken, Audio, Vi-deo, Clickstreams, Log Files, Sensordaten, GPS-Signalen, um nur einige zu nennen. Finkel/Dill (2013) unterscheiden dabei zwischen strukturierten und unstrukturierten Daten. Strukturierte Daten sind Daten, für die bereits fest-gelegte Strukturen in den vorhandenen Datenbanken eines Unternehmens existieren. Hierzu gehören ERP-Systeme, Marktforschungsdaten, Kunden-transaktionsdaten und Kundeninteraktionsdaten aus traditionellen Medien. Unstrukturierte Daten müssen neu in das Unternehmen integriert werden und können nicht in bisherige Standards überführt werden. Hierzu gehören Daten aus sozialen Medien, Webseitennutzung, GPS-Signalen, Bildern, Vi-deos, Audiodaten. Darüber hinaus differenziert der Bericht von IBM und der Said Business School eine dritte Form der semistrukturierten Daten. Se-mistrukturierte Daten sind neu für das Unternehmen, können in ihrer Form aber auf standardisierte Datenformen angepasst werden. Darunter fallen bei-spielsweise technische Protokolle aus Call Centern oder Webshops (Schroeck et al. 2012, S. 4).

Kernthese 1 Big Data bietet die Möglichkeit, Erlebnisse mit Identitätsbezug zu generieren.

„Vier Dimensionen charakterisieren die Komplexität von Big Data: „volume, variety, velocity, veracity.“

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Velocity: Die Schnelligkeit der Datenproduktion und -verfügbarkeit stellt eine weitere Herausforderung für Unternehmen dar. Die Auswertung und Interpretation müssen unmittelbar geschehen, um Reaktionszeiten zu ver-kürzen. Insbesondere für serviceorientierte Unternehmen ist die Schnellig-keit der Informationsverfügbarkeit ein wichtiger Aspekt. Zeitraubende Ab-stimmungs- und Auswertungsprozesse sind kontraproduktiv, eine Datenbe-reitstellung in Echtzeit ist essenziell, um die Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen.

Veracity: Problematisch ist die Prüfung der Datenreliabilität. Stammen die Daten beispielsweise aus sozialen Netzwerken, so ist die Seriosität der Quelle nur schwer einzuschätzen. Zudem können bei sprachbasierten Pro-grammen sarkastische Bemerkungen oder Scherze zu Fehlauswertungen führen. Die Unsicherheit der Datenverlässlichkeit ist also nur durch die Ver-knüpfung mehrerer Quellen zu umgehen.

Unter Berücksichtigung der oben genannten Betrachtungsweisen von Big Data lässt sich zusammenfassend folgende Definition herausarbeiten (Bur-mann/Kleine-Kalmer/Hemmann 2013):

Big Data

Big Data sind unstrukturierte Daten über den Nachfrager, generiert aus sozialen Medien, der Webseitennutzung, Online-Käufen und standortbezogenen GPS-Informationen. Die Herausforderung be-steht in der Verknüpfung dieser unstrukturierten Daten mit unter-nehmensintern bereits vorhandenen, strukturierten Kundendaten und ihrer kundennutzenorientierten Analyse und Verwertung.

Die oben genannten Dimensionen offenbaren die Komplexität der Verar-beitung von Big Data. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach dem ökonomischen Nutzen. Oder mit anderen Worten: Wozu dient die Nut-zung von Big Data? Wie eingangs beschrieben, führt die Auswertung von Big Data zu einem besseren Verständnis der Nachfragerbedürfnisse. Nur wenn diese bekannt sind, kann dem Kunden ein individuelles Markenerleb-nis vermittelt werden. Dieses führt wiederum zu einer höheren Kundenzu-friedenheit und Markenloyalität (Brakus/Schmitt/Zarantello 2009, S. 52 ff.). Im Folgenden wird das Markenerlebnis unter Berücksichtigung von Big Data genauer untersucht.

Wie verändert Big Data das Markenerlebnis?Das „Markenerlebnis ist die subjektive, innere Reaktion auf die Wahrneh-mung und Verarbeitung aller markenbezogenen Stimuli“ (Hemmann 2014).

Die Erlebnisforschung unterscheidet sensorische, kognitive und affektive Erlebnisse sowie Erlebnisse mit Identitätsbezug. Insbesondere letztere wei-sen für die Markenführung eine hohe Relevanz auf. Erlebnisse, die einen Be-zug zur Identität des Nachfragers haben, werden im episodischen und au-

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tobiografischen Gedächtnis gespeichert und somit zusammen mit dem Er-lebniskontext langfristig abgespeichert. Diese Erlebnisse haben den stärksten Einfluss auf das Verhalten (Hemmann 2014; Schallehn 2012; Bielefeld 2012; Skard/Nyvseen/Pedersen 2011). Big Data bietet die Möglichkeit, Erlebnisse mit Identitätsbezug zu generieren. Diesen Aspekt beleuchten auch Pine/Gil-more: Interaktive Technologien verhelfen Unternehmen, Wissen zu gene-rieren über Bedürfnisse, Wünsche und Präferenzen von Nachfragern. Je mehr ein Unternehmen über den Nachfrager lernt, desto genauer kann es die Produkte und Leistungen auf dessen Bedürfnisse abstimmen. Somit sinkt das „Kundenopfer“ im Zeitverlauf. Das Kundenopfer ist definiert als „the gap between what a customer settles for and what he wants exactly“ (Pine/Gilmore 2011, S. 120). Damit ist gemeint: Jedes Mal, wenn eine Interaktion zwischen Kunde und Unternehmen stattfindet, lernt das Unternehmen et-was über den Kunden. Beim nächsten Kontakt ist das Kundenopfer aufgrund der Informationen, die das Unternehmen über den Kunden hat, geringer – sofern das Markenerlebnis auf Basis der neuen Informationen optimiert wird (vgl. Abbildung 1). Daraus resultiert aufseiten des Kunden zum einen eine höhere Preisbereitschaft. Zum anderen können Produktempfehlungen besser abgestimmt werden, die zu einem höheren Umsatz pro Kunde füh-ren. Gleichzeitig wird das Risiko der Wechselbereitschaft minimiert (Pine/Gilmore 2011, S. 127 ff.).

Im Zuge der Digitalisierung und der damit einhergehenden Verfügbar-keit von Daten müsste sich das Wissen über den einzelnen Nachfrager und damit auch die Erlebnisorientierung deutlich verbessert haben. Sind die Un-

Kernthese 2Die Verfügbarkeit hoher Datenmengen hat (noch) nicht dazu geführt, dass der Nachfrager einen spürbaren individuellen Mehrwert wahrnimmt.

Quelle: in Anlehnung an Pine/Gilmore (2011)

Anzahl der Interaktion mit einem Kunden

Kund

enop

fer

Abb. 1 Lernkurve: Reduktion des Kundenopfers

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ternehmen in der Lage, Big Data gezielt für die Steigerung des Markenerleb-nisses zu nutzen?

Im Folgenden soll diese Fragestellung näher beleuchtet werden. Zur Un-tersuchung der Fragegestellung wurde vom Lehrstuhl für innovatives Mar-kenmanagement der Universität Bremen mit Unterstützung der Wissen-schaftlichen Gesellschaft für Marketing und Unternehmensführung eine Online-Befragung bei 1.000 Personen im Alter von 14 bis 69 Jahren durch-geführt. Die Stichprobe ist repräsentativ für die Bevölkerung der Bundesre-publik. Die Datenauswertung erfolgte deskriptiv mit IBM SPSS Statistics 20. Im weiteren Verlauf wird die Untersuchung als „Big Data Studie 2013“ (LiM/WiGe) bezeichnet. Die Studie dient der Überprüfung von Thesen, die aus der Fachliteratur zum Thema Big Data abgeleitet wurden. Mit der Herlei-tung und Validierung der Thesen befasst sich das folgende Kapitel.

Mehr Erlebnisorientierung durch Big Data: Theorie oder Praxis?Dem Markenerlebnis wird sowohl in der Wissenschaft (Bruhn/Hadwich 2012) als auch in der Praxis (Congenii 2012) eine hohe Relevanz zugewie-sen. In der Umsetzung hängen die Unternehmen dieser Erkenntnis jedoch weit hinterher. In einer Studie der Congenii Consulting Group auf Basis der Befragung von 328 Marketingentscheidern aus Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 50 Millionen Euro halten 86 % der Befragten ein sys-tematisches Management des Markenerlebnisses für relevant zur Steigerung des Kundenvertrauens. Bisher haben jedoch nur 18 % bereichsübergreifend ein solches System aufgesetzt. Dies erscheint umso erstaunlicher, als sich 41 % Führungskräfte von einem systematischen Management des Marke-nerlebnisses einen Umsatzeffekt von 10 % oder mehr versprechen (Conge-nii 2012).

Auch auf der Kundenseite wird das Erlebnis überwiegend kritisch betrach-tet. American Express führte in Zusammenarbeit mit „echo“ eine Befragung zum Kundenserviceerlebnis in elf Ländern mit jeweils mindestens 1.000 Pro-banden durch (2012 Global Customer Service Barometer). Hierbei gaben in Deutschland nur 3 % der Probanden an, dass ein Unternehmen die Erwar-tungen übertroffen hat, immerhin 54 % sagten aus, dass die Erwartungen erfüllt wurden. Nur 18 % der Probanden empfinden, dass Unternehmen sie als Kunden schätzen und bereit sind, Anstrengungen zu unternehmen, um sie zu halten. Dabei sind Nachfrager durchaus bereit, exzellenten Service durch Zahlung eines Preispremiums zu belohnen. In Deutschland sind im-merhin 60 % der Befragten bereit, im Durchschnitt 8 % mehr für exzellen-ten Service zu zahlen (American Express 2012).

Dies verdeutlicht, dass es Unternehmen trotz großer Potenziale bisher nicht gelingt, ihren Kunden im Service positive Markenerlebnisse zu ver-mitteln. Vor diesem Hintergrund soll folgende These untersucht werden:

These 1: Die Verfügbarkeit hoher Datenmengen hat (noch) nicht dazu ge-führt, dass der Nachfrager einen spürbaren individuellen Mehrwert wahr-nimmt.

Zusammenfassung• Big Data sind unstrukturierte Daten über den Nachfrager, generiert aus so-zialen Medien, der Webseitennutzung, Online-Käufen und standortbezogenen GPS-Informationen. Die Herausforde-rung besteht in der Verknüpfung dieser unstrukturierten Daten mit unterneh-mensintern bereits vorhandenen, struk-turierten Kundendaten. • Das geringe Vertrauen hinsichtlich der Beschaffung von Daten durch Un-ternehmen kann langfristig zu Reaktan-zen führen. • Unternehmen müssen transparent kommunizieren, wie Daten gesammelt, gespeichert und verwertet werden und welchen Nutzen Nachfrager aus der Be-reitstellung ihrer Daten erfahren.

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Zur Überprüfung der Thesen werden die Ergebnisse der Big Data Studie 2013 (LiM/WiGe) herangezogen. Die Auswertung zeigt, dass die Erlebnis-orientierung aus Sicht der Befragten in den letzten fünf Jahren nicht gestie-gen ist (vgl. Abbildung 2). Die erste These kann somit bestätigt werden. Hier-bei muss jedoch berücksichtigt werden, dass das Markenerlebnis durch wei-tere Determinanten beeinflusst werden kann.

Lediglich das Angebot individuell gestalteter Produkte und Dienstleistun-gen hat sich geringfügig verbessert, indem es leicht an persönliche Bedürf-nisse und Wünsche angepasst wurde. Wenn die Kunden insgesamt keinen spürbaren individuellen Mehrwert in der Bereitstellung ihrer Daten sehen, besteht langfristig die Gefahr der Reaktanz. Demzufolge wären Nachfrager nicht mehr bereit, ihre Daten zur Verfügung zu stellen, da sie keinen Nut-zen wahrnehmen, sondern die Durchschaubarkeit ihrer Person eher als Nachteil empfinden (Burmann/Kleine-Kalmer/Hemmann 2013).

Kundendaten: Vertrauen oder kurzfristiger Gewinn?Das Vertrauen in den sensiblen Umgang mit persönlichen Daten ist in der deutschen Bevölkerung sehr gering. In einer Studie zum Thema Big Data, die in Kooperation der Keylens Management Consultants mit dem Lehr-stuhl für innovatives Markenmanagement (LiM) durchgeführt wurde, sind Probanden (Online-Befragung, n = 1.040, bevölkerungsrepräsentativ) ge-fragt worden, wie Unternehmen in den meisten Fällen an persönliche Da-ten von Verbrauchern gelangen. 51 % der Befragten glauben, dass Unterneh-men die Daten kaufen. 28 % geben an, dass Unternehmen die Daten ohne das Wissen der Probanden durch Analyse der Online-Aktivitäten gewinnen. Nur 21 % sind der Meinung, sie stellen die Daten durch eigene Angaben in Formularen und Gewinnspielen zur Verfügung. Daraufhin sollten die Pro-

Quelle: LiM/WiGe (2013), Onlinebefragung, n = 1.000, bevölkerungsrepräsentativ

Abb. 2 Für Nachfrager bisher kein individueller Mehrwert ersichtlich

Das Angebot individuell gestalteter Produkte und Dienstleistungen entsprechend meiner persönlichen Bedürfnisse und Wünsche hat sich in den letzten 5 Jahren ...

Die Reaktion von Unternehmen auf meine Wünsche und Bedürfnisse hat sich in den letzten 5 Jahren ...

Der Kundenservice von Unternehmen hat sich in den letzten 5 Jahren ...

stark verschlechtert stark verbessert

0,74

0,14

0,09

-5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5

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banden ihre Einschätzung abgeben, wie Unternehmen mit ihren Daten um-gehen. 63 % antworten „Ich glaube, dass einige Unternehmen die Daten ohne meine Zustimmung weitergeben“. Nur 8 % sind der Meinung, dass Un-ternehmen die Daten vertrauensvoll behandeln (vgl. Abbildung 3) (Keylens 2012).

Diese Ergebnisse demonstrieren den Mangel an Vertrauen in den Umgang mit Daten. Dieser Vertrauensmangel stellt für Unternehmen eine Gefahr dar, denn langfristig kann dies zu Reaktanz führen. Unternehmen sind auf die Bereitstellung der Daten angewiesen. Die Nachfrager unterstellen den Un-ternehmen jedoch schlechte Absichten hinsichtlich der Datennutzung. 67 %der Befragten sind der Meinung, dass Unternehmen mit den Daten ihre Ge-winne auf Kosten der Kunden maximieren. Nur 14 % halten ein ernsthaftes Bemühen um kundenindividuelle Ansprache für möglich (Keylens 2012). Die Unternehmen hingegen vertreten eine entgegengesetzte Sichtweise. 49 %der befragten Entscheidungsträger einer Studie des IBM Institute for Busi-ness Value und der Said Business School der Universität Oxford (n = 1.067) bezwecken nach eigenen Angaben einen kundenorientierten Nutzen mit dem Einsatz von Big Data (Schroeck et al. 2012, S. 7). Diese Aussagen wi-dersprechen sich. Daher soll anhand der empirischen Untersuchung die fol-gende These überprüft werden:

These 2: Nachfrager unterstellen, dass Unternehmen persönliche Daten allein zum eigenen Vorteil nutzen, ohne daraus einen Mehrwert für ihre Kunden zu generieren.

Quelle: Keylens 2012

Abb. 3 Vertrauen in Umgang mit persönlichen Daten sehr gering

Ich gebe diese Daten selbst an, z. B. in Formularen, bei Gewinnspielen etc.

Unternehmen kaufen meine Daten.

Unternehmen gewinnen die Daten ohne mein Wissen durch Analyse meiner Online-Aktivitäten.

Ich glaube, dass Unternehmen meine Daten vertrauensvoll behandeln und alles dafür tun, die Daten zu schützen.

Ich bin der Meinung, dass die meisten Unternehmen die Systeme, in denen Daten gespeichert werden, nur unzureichend schützen.

Ich glaube, dass einige Unternehmen die Daten ohne meine Zustimmung weiter-geben.

Weiß nicht/keine Angabe

Frage: Wie gelangen Unternehmen aus Ihrer Sicht in den meisten Fällen an Ihre persönlichen Daten?

Frage: Wie glauben Sie gehen Unternehmen mit Ihren Daten um?

63 %

51 %

28 %

21 %

24 %

8 %

4 %

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Die empirischen Ergebnisse der Big Data Studie 2013 (LiM/WiGe) zeigen, dass Nachfrager die Aufzeichnung, Sammlung und Weitergabe von Daten über ihr Such- und Kaufverhalten im Internet durch Unternehmen grund-sätzlich ablehnen. Sie unterstellen, dass Unternehmen die Daten nur zum eigenen Vorteil nutzen. Dass Unternehmen ehrliche Absichten in der Nut-zung der Daten für ein individuelleres Kundenerlebnis haben, ziehen die Be-fragten nicht in Betracht (vgl. Abbildung 4).

Zentrale Herausforderungen der Erlebnisvermittlung durch Big DataDie Bereitschaft seitens der Nachfrager, Daten preiszugeben, ist von hoher Bedeutung für Unternehmen, denn dadurch können sie Informationen über die Nachfrageridentität und -bedürfnisse gewinnen. Nur dann können iden-titätsbezogene Markenerlebnisse geschaffen werden, die zur Vermittlung ei-nes relevanten Nachfragernutzens führen.

Reed beschreibt dies als fairen Tausch: Für die Bereitstellung seiner Daten erhält der Konsument ein besseres Erlebnis. Er kritisiert den Missbrauch von Daten durch Unternehmen, vertritt aber generell die Meinung, dass Daten zu einer Verbesserung von Funktionen und Angeboten führen (Rittmann 2013).

Folglich stellt sich die Frage, wie das Vertrauen in Unternehmen in Bezug auf den Umgang mit Daten wieder aufgebaut werden kann. Markenvertrau-en ist definiert als die „Bereitschaft eines Nachfragers […], sich gegenüber der Marke verletzbar zu machen“ (Hegner 2012, S. 59). Aus der Forschung ist be-kannt, dass das Vertrauen in die Marke maßgeblich durch die wahrgenomme-ne Markenauthentizität beeinflusst wird (Schallehn 2012, S. 168). Unter Mar-

Kernthese 3Nachfrager unterstellen, dass Unternehmen persönliche Daten allein zum eigenen Vorteil nutzen, ohne daraus einen Mehrwert für ihre Kunden zu generieren.

Quelle: LiM/WiGe (2013), Onlinebefragung, n = 1.000, bevölkerungsrepräsentativ

Abb. 4 Nachfrager lehnen Nutzung ihrer Daten durch Unternehmen ab

1 2 3 4 5 6

2,13

2,16

Unternehmen sammeln im Inter-net meine Daten, um sie aus-schließlich zu ihrem eigenen Vor-teil zu nutzen.

Ich lehne die Aufzeichnung, Sammlung und Weitergabe der Daten über mein Such- und Kauf-verhalten im Internet durch Unter-nehmen grundsätzlich ab.

Unternehmen sammeln im Inter-net meine Daten ausschließlich, um dadurch meine Bedürfnisse besser kennenzulernen.

Ich bin mit der Aufzeichnung, Sammlung und Weitergabe der Daten über mein Such- und Kauf-verhalten im Internet durch Unter-nehmen grundsätzlich einverstan-den, weil ich davon profitiere.

Grad der Zustimmung (Mittelwert)

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kenauthentizität wird in diesem Zusammenhang das „Ausmaß identitätsbe-zogener Handlungsverursachung“ (Schallehn 2012, S. 38) verstanden. Das bedeutet, dass das Markenversprechen und das Markenverhalten auf dem kla-ren Selbstbild einer Marke beruhen. Übertragen auf Big Data resultiert dar-aus die Notwendigkeit, transparent zu kommunizieren, wie die Daten gesam-melt, gespeichert und verwertet werden und welchen Nutzen Nachfrager aus der Bereitstellung ihrer Daten erfahren, d. h. ein authentischer Umgang mit Big Data. Auf dieser Basis müssen Marken langfristig Produkte und Dienst-leistungen im Sinne des individuellen Markenerlebnisses optimieren, um sich nachhaltig und erfolgreich vom Wettbewerb zu differenzieren.

Schlussbetrachtung Der Beitrag liefert erste Denkanstöße für den Umgang mit Big Data. Wäh-rend die Implikationen vor allem mit Bezug zum Markenmanagement und der Vermittlung von Markenerlebnissen abgeleitet wurden, so gilt es darü-ber hinaus, auch die technische Seite zu berücksichtigen. Insbesondere der Schulterschluss mit der IT ist an dieser Stelle hervorzuheben. Im Mittelpunkt aller Aktivitäten sollten immer der Nutzen der Nachfrager und der Schutz der Privatsphäre stehen. Die vorliegende Studie gibt die Einschätzung der Verbraucher zum Thema Big Data wieder. Damit sind jedoch auch Restrik-tionen verbunden. Die Angaben unterliegen einer subjektiven Wahrneh-mung. Die Ergebnisse sind somit immer vor diesem Hintergrund zu inter-pretieren. Es fehlt eine Betrachtung der Unternehmenssicht, die in weiteren Forschungsvorhaben auch empirisch aufgegriffen werden sollte.

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„Das Vertrauen in den sensiblen Umgang mit persönlichen Daten ist in der deutschen Bevölkerung sehr gering.“

Handlungsempfehlungen• Verzahnung von Markenführung Verzahnung von Markenführung Vund IT• Transparente Kommunikation der Datensammlung• Schaffung eines relevanten Marken-nutzens durch Big Data, das heißt, Ge-nerierung von Erlebnissen mit Identi-tätsbezug

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*Abonnenten des Portals Springer für Professionals erhalten diesen Beitrag im Voll-text unter www.springerprofessional.de/ID

a Zusätzlicher Verlagsservice für Abonnenten von „Springer für Professionals | Marketing“

Zum Thema Markenerlebnisse „Big Data“ Suche

finden Sie unter www.springerprofessional.de 134 Beiträge, davon 116 im Fachgebiet Marketing Stand: Dezember 2013

Medium ☐ Online-Artikel (13) ☐ Interview (2) ☐ Zeitschriftenartikel (12) ☐ Buchkapitel (107)

Sprache

☐ Deutsch (133) ☐ Englisch (1)

Von der Verlagsredaktion empfohlenKreutzer, R., Land, K. H.: Big-Data und Technologie – Treiber der Informations-Revolution auf Unternehmensseite und Beschleuniger des Zeitalters der Kooperation, in: Kreutzer, R., Land, K.-H.: Digitaler Darvinismus, Wiesbaden 2013, S. 77-100, www.springerprofessional.de/ 4413112.

Büst, R.: Daten sind das neue Öl, in: Wirtschaftsinformatik & Management, 2/2013, S. 40-46, www.springerprfessional.de/ 4430100.

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67 Marketing Review St. Gallen 1 | 2014

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Intensivseminar «Business-to-Business Marketing und Verkauf»«Wettbewerbsvorteile durch markt- und kundenorientiertes Management» 28. April – 4. Mai 2014 (1 Block à 5 Tage)

St.Galler Intensivstudium für Marketing- und Vertriebsinnovation «Weiterbildung für ein innovatives und professionelles Marketing- und Vertriebs- management» Beginn: 29. April 2014 (6 Studienblöcke à 3 Tage)

Intensivseminar «Wettbewerbsstrategien für profitables Wachstum» «Erschliessen und Ausschöpfen von Marktpotenzialen» 25.– 29. August 2014 (1 Block à 5 Tage)

Das gesamte Weiterbildungsangebot des Instituts für Marketing finden Sie auf www.ifm.unisg.ch/weiterbildung

KontaktInstitut für Marketing an der Universität St.Gallen, Führungskräfteweiterbildung Doris Maurer, Dufourstrasse 40a, CH-9000 St.GallenTelefon +41 (0)71 224 28 55, [email protected]

www.ifm.unisg.ch/weiterbildung

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