untersuchungen über stoffspeicherung und stofftransport im nervensystem

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Untersuchungen iiber Stoffspeicherung und Stofftransport im Nervensystem. Von H. Spatz. (Deutsche Forschungsanstalt fiir Psychiatrie in Mtinchen.) (Eingegangen am 26. Oktober 1923.) Einleitung. Die geplanten Untersuchungen sollen vom anatomischen Stand- punkt aus Beitr~ge liefern zur Kenntnis vom Stoffwechsel des Zentral- nervensystems unter normalen und unter pathologischen Be- dingungen. Zwei Wege stehen uns offen: Einmal kSnnen wir den mit morpho- logischen Methoden nachweisbaren Produkten des Stoffumsa~zes nach- gehen, welche im menschlichen Gewebe vorkommen; der andere Weg ist ein experimenteller, wir kSnnen dem tierischen Organismus auf ver- schiedene Weise Stoffe einverleiben, deren weiteres Schicksal optisch verfolgbar ist. -- AuI3er den durch ihre Eigenfarbe bereits erkennbaren Pigmenten gibt es im menschlichen Gewebe eine Reihe yon Stoffwechsel- produkten, die dutch spezifische Reaktionen, besonders durch bestimmte Farbreaktionen, ffir unser Auge hervorgehoben werden kSnnen. Dies sind z. B. Lipoide in komplizierterer und einfacher Zusammensetzung, das Glykogen, und yon anorganischen Bestandteilen in erster Linie das Eisen, welches ,,histochemisch" (d. h. mit chemischen Methoden, abet am unveraschten Gewebe) durch Farbreaktionen in sehr bequemer Weise dargestellt werden kann. Wir werden uns immer bewui~t sein mfissen, dab es nur eine kleine Auswahl yon Stoffen ist, denen gerade diese ffir uns so wertvolle Eigentfimlichkeit zukommt, solche Reaktionen zu geben, die sie fiir uns sichtbar machen. Und auch bei diesen Stoffen werden wit uns stets vor Augen halten mfissen -- dies kann nicht scharf

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Untersuchungen iiber Stoffspeicherung und Stofftransport im Nervensystem.

Von H. Spatz.

(Deutsche Forschungsanstalt fiir Psychiatrie in Mtinchen.)

(Eingegangen am 26. Oktober 1923.)

Einleitung.

Die geplanten Untersuchungen sollen vom anatomischen Stand- punkt aus Beitr~ge liefern zur Kenntnis vom Stoffwechsel des Zentral- nervensystems unter normalen und unter pathologischen Be- dingungen.

Zwei Wege stehen uns offen: Einmal kSnnen wir den mit morpho- logischen Methoden nachweisbaren Produkten des Stoffumsa~zes nach- gehen, welche im menschlichen Gewebe vorkommen; der andere Weg ist ein experimenteller, wir kSnnen dem tierischen Organismus auf ver- schiedene Weise Stoffe einverleiben, deren weiteres Schicksal optisch verfolgbar ist. - - AuI3er den durch ihre Eigenfarbe bereits erkennbaren Pigmenten gibt es im menschlichen Gewebe eine Reihe yon Stoffwechsel- produkten, die dutch spezifische Reaktionen, besonders durch bestimmte Farbreaktionen, ffir unser Auge hervorgehoben werden kSnnen. Dies sind z. B. Lipoide in komplizierterer und einfacher Zusammensetzung, das Glykogen, und yon anorganischen Bestandteilen in erster Linie das Eisen, welches ,,histochemisch" (d. h. mit chemischen Methoden, abet am unveraschten Gewebe) durch Farbreaktionen in sehr bequemer Weise dargestellt werden kann. Wir werden uns immer bewui~t sein mfissen, dab es nur eine kleine Auswahl yon Stoffen ist, denen gerade diese ffir uns so wertvolle Eigentfimlichkeit zukommt, solche Reaktionen zu geben, die sie fiir uns sichtbar machen. Und auch bei diesen Stoffen werden wit uns stets vor Augen halten mfissen - - dies kann nicht scharf

H. Spatz: Untersuchungen iiber Stoffspeicherung und Stofftransport usw. 131

genug betont werden - - , dai~ yon einer kontinuierlichen Verfolgung ihrer Umsetzung auch unter gfinstigsten Bedingungen keine Rede sein kann, weil stets nicht sichtbare Phasen zwischengeschaltet sind. Bei der Passage von Membranen und Zelloberfli~chen entstehen anscheinend immer Verbindungen, die mit unseren heutigen Methoden nieht sichtbar zu machen sind. Das, was wir sehen, sind Vorstufen oder Schlacken; gerade yon den funktionell wichtigsten, entscheidenden Phasen des Stoff- wechsels aber sehen wir offenbar nichts.

Eine Frage, die sich uns aufdrangt, ist die: erhalten wit aus dem histologischen Bild irgendwelche Aufschltisse darfiber, in welcher Richtung der Stofftranspoit im einzelnen Fall verli~uft ? Stammt das, was wir sehen, aus dem Blute oder ist das, was wir vor uns haben, ein Abbauprodukt des Gewebes, das sich auf dem Wege zu den GefaBen hin befindet ? Es gibt tatsi~chlich Fi~lle, wo wir in der Lage sind, auf diese Frage eine Antwort zu geben. Das zeigen zuni~ehst zwei Beispiele aus dem Lipoidstoffwechsel. Das erste betrifft folgenden Fall: Wir finden, dait bestimmte Nervenzellarten, welche zu den ,,lipophilen" (Obersteiner) gehSren, physiologischerweise - - allerdings erst yon einer gewissen Alters- stufe a n - - mit unseren Methoden sichtbar zu machende Lipoide speichern. Unter pathologischen Bedingungen fallen eben diese Elemente besonders gerne einer ,,fettigen Degeneration" anheim. Nach den heute herr- sehenden Vorstellungen miissen wir annehmen, dal] das Fet t hier dureh ,,Infiltration" aus dem Blute aufgenommen wird, eine Entstehung des Fettes aus den Eiweil~kSrpern der verfettenden Zelle, wie das Virchow 1) angenommen hat, lehnen wir ab. Es w~re besser, in diesem Falle yon einer ,,degenerativen Fettspeicherung" zu spreehen; es kommt hier zur Anhi~ufung yon Fet t im Zelleibe, weil die vital geschw~chte Zelle das zugefiihrte Fett , das im Stoffwechsel dieser Zellen stets eine besondere Rolle spielt, schlechter verbrennt und sich desselben nicht mehr zu entledigen vermag. Die gespeieherten Stoffe stammen aus dem Blute, von dem sie auch physiologiseherweise aufgenommen werden. Ganz anders dagegen liegen offensichtlich die VerhMtnisse in dem anderen Fall, in dem friiher aueh von ,,fettiger Degeneration" gesprochen wurde: Bei der sekund~ren Degeneration eines Riickenmarksstranges, etwa nach einer Leitungsunterbrechung, begegnen wir einer Anhaufung yon Fet t in der den zerfallenden markhaltigen Fasern benaehbarten Glia. Hier s tammt das Fet t aber nicht aus dem Blute, sondern aus dem Gewebe; diese Gliazel[en sind auch physiologiseherweise nieht ,,lipophil". Wit

1) Vgl. Ascho]f, Virehows Lehre yon den Degenerationen (passiven Vor- g~ngen) und ihre Weiterentwieklung. Virchow-Gedenkband, Virchows Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. 235. 1921. - - DaB eine Degeneration im Sinne einer Sch~digung der Zelle vorliegt, k6nnen wir nicht aus dem Bilde der Speicherung ablesen, sondern nur aus :Begleiterseheinungen erschliellen.

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132 H. Spatz :

wissen, dab die scharlachfiirbbaren Lipoide bier eine bestimmte Phase des Umwandlungsprozesses der Markscheidenmyeline darstellen. Die Gliazellen, welche diese Stoffe aufnehmen und sich dabei in Gitterzellen umbilden, sind sicher nicht primar geschiidigt, sie zeigen im Gegenteil anf~nglich Anzeichen einer progressiven Verinderung, und die ganze Arbeit der Verdauung der Myeline, der Umwandlung in einfache lipoide Stoffe, geschieht durch die Kri~fte dieser Zellen. Es ist klar, dab das Auf- t reten von Fet t hier eine ganz andere Bedeutung hat als beim ersten Beispiel; es ist nieht fiir den Stoffwechsel der Zellen selber bestimmt, sondern es soll resorptionsfihig gemacht und dann aus dem Gewebe weg zu den GefiBen hin abtransportiert werden, in deren Scheiden sieh die Stoffe nach einiger Zeit anzusammeln beginnen. Alzheimer und seine Schule haben zuerst den Weg soleher ,,Abbausto//e" systematiseh unter- sucht. Eine i~hn]iche Gegenfiberstellung wie eben bei dem Beispiel aus dem Lipoidstoffwechsel k6nnen wir auch beim Eisenstoffwechsel machen. Im Pallidum und in der roten Zone der Substantia nigra u. a. spielt Eisen (das ein notwendiger Bestandteil aller Zellen zu sein scheint) eine ganz besondere, freilich noeh recht ri~tselvolle Rolle. Was wir mit histo- chemischen Methoden siehtbar machen kSnnen, ist allerdings nur eine Phase des Eisenstoffweehsels, und z war vi ellei cht eine funkti onell weniger wiehtige. Ganz ~hnlieh wie die Lipoide in den Nervenzellen erst yon einer bestimmten Altersstufe an beim Menschen nachweisbar werden, so wird aueh der Eisengehalt in den genannten Zentren erst allmi~hlich wi~hrend der extrauterinen Entwicklung optisch erkennbar. Beim Er- wachsenen - - abei nur hier - - linden wit in diesen Zentren, und zwar gleiehmiBig verteilt, auch eisenspeichernde Nervenzellen. Unter patho- logisehen Bedingungen k6nnen die ,,siderophilen" Nervenzellen ge- sehi~digt sein und gleichzeitig ist die Eisenspeicherung in ihnen gesteigert. Wir miissen dann wieder annehmen, dab das (auch physiologischerweise) aus dem Blute i) entnommene Eisen infolge Erlahmens der Zellkri~fte hier nicht mehr verarbeitet werden kann, und dab es so analog der ,,degenerativen Fettspeicherung" zur ,,degenerativen Eisenspeicherung" in diesen Nervenzellen kommt. - - Der entgegengesetzte Fall ist dann verwirklicht, wenn irgendwo im Zentralorgan eisenreiehe Zellen zugrunde gehen; als solche kommen in erster Linie Erythrocyten in Betracht, die dureh eine Blutung ins Gewebe geschwemmt worden sind. Dabei fi~llt wieder bestimmten ZeUen, die sonst gewShnlieh in gar keiner Weise ,,siderophil" sind, die Aufgabe zu, das Eisen aus den Zerfallstrtimmern aufzunehmen, resorptionsf~hig zu machen und zu den Gefil~en hin ab- zutransportieren. Es ist zum mindesten hSchst unwahrscheinlich, dab

1) Dem Blute entnommen, aber nicht aus dem Blutzerfall stammend wie die ,,hamatogenen" Pigmente, besonders auch das ,,Hamosiderin".

Untersuchungen tiber Stoffspeicherung und Stofftransport im Nervensystem. 133

die mit Hi~mosiderin beladenen Phagoc:~ten das Eisen ffir ihren eigenen Stoffwechsel benStigen, sondern sie stehen lediglich im Dienste des Abtransportes. - - Auch beim Eiweil~stoffwechsel endlich t r e t e n - auch wieder erst yon einer bestimmten Altersstufe a n - - sichtbare Produktc auf ; als solche dfirfen wir nach neueren Untersuchungen einen grofien Tell der Pigmente ansprechen. Auch hier finden wir bei den hSchsten Graden der Pigmentspeicherung die Nervenzellen gesch~digt, und wir kSnnen dann yon einer ,,degenerativen Pigmentspeicherung" sprechen. Das klassische Gegenbeispiel hierzu haben wit in der schwarzen Zone der Substantia nigra bei der Encephalitis epidemica dann, wenn die melaninspeichernden Nervenzellen dieses Gebietes zerfallen. Hierbei kSnnen wir die Aufnahme des Melanins in Gliazellen, deren Umwand- lung in freie Phagocyten, die Ansammlung der Stoffe in Umgebung der Gefal3e und schliei~lich deren tgbernahme dutch die Gefi~l~wand- zellen beobachten.

Abbau und Abtransport effolgen nun nicht nur da, wo Gewebe unter pathologischen Bedingungen zugrunde geht, sondern wir miissen an- nehmen, dal3 diese Prozesse in geringem Grade entsprechend der fort- wi~hrend stattfindenden Abnutzung auch physiologischerweise ablaufen. Wir sind auch imstande, hiervon etwas wahrzunehmen. Auf das regelm~l~ige Vorkommen yon Fet t in den Gefi~l~scheiden hat Obersteiner schon seit langem aufmerksam gemacht, und in den eisenreichen Zentren sehen wir h~ufig ]okale Ansammlungen yon Eisen um die Gefi~i~e herum und in den Gefi~l~scheiden. Wir glauben, dal~ solche Bilder als Ausdruck eines physiologisch stattfindenden Abbaues aufzufassen sind. Hierfiir sind eine l~eihe yon Grfinden anzufiihren. Aber kSnnte an und fiir sich das ni~mliche Bild nicht auch bei der umgekehrten Richtung des Stoff- wechsels vorkommen ? Eine solche MSglichkeit k~me vor allem in Be- tracht, wenn ein vermehrter Bedarf an einer Substanz yon selten des Gewebes vorliegt. Man hat geglaubt, beim Myelinaufbau in den ersten Tagen nach der Geburt einen solchen Fall vor sich zu haben. Der gerade jetzt wieder akut gewordene Kampf um die embryonalen KSrnchenzellen und ihre Bedeutung ffir Aufbau oder Abbau (WohlwiU, Ph. Schwartz) ist ein Beweis daffir, welche Schwierigkeiten der Deutung hier auf Schritt und Trit t im Wege stehen. KSnnen wit yore morphologischen Stand- punkt aus fiberhaupt die Fragestellung: A u f b a u - - A b b a u wagenl)? Wir mfissen den gefundenen Unterschied anders fassen. Unsere Frage

1) Diese Gegeniiberstellung wird auch deswegen nicht gliicklich sein, well, vonder Zelle aus betrachtet, der in der Nervenzelle gespeicherte Fetttropfen ebenso wie das Eisengranulum oder gar das Pigmentkorn als Abbauprodukt, d.h. als eine dureh Dissimilation aus komplizierteren Verbindungen entstandene Stufe aufzufassen sein kann.

134 H. Spatz :

kann ~ficht so allgemein lauten: liegt Aufbau oder Abbau 1) vor? Wir wollen uns vorl~ufig lieber auf eine andere Fragestellung beschr~nken und versuehen, die normale oder pathologiseh gesteigerte Sto]]speicherung, die Aufstapelung best immter Produkte in mehr oder weniger gleich- m~ifliger Verteilung in ]ixen Elementen des Parenehyms einerseits yon dem Sto/]transport 2), der Aufnahme der Stoffe in losgel6sten Zellen beson- derer Art und die lokale Anhaufung yon Stoffen in der Nachbarschaft yon Gef~l]en andererseits voneinander zu trennen. Ffir eine derartige Unterscheidung haben wir morphologische Anhaltspunkte. Dem Stoff- t ransport - - sei es nun, daf3 er yore Gewebe weg, sei es, dal~ er zu ihm bin stat t f indet - - dienen nur Stfitzgewebselemente, also Glia- und Binde- gewebszellen. Je naeh der Phase, die gerade vorhegt, weehselt das Bild beim Stofftransport, w~hrend bei der Speicherung eine gewisse Stabilit~t vorherrseht.

Trotz zahlreicher Untersuchungen sind wir fiber die Art und Weise des Stofftransportes im Nervengewebe noch nieht genfigend unterrichtet. Frfiher war die Vorstellung herrschend, dal3 sieh Zellindividuen, die sieh mit Stoffen beladen und aus dem Gewebsverband losl6sen, auf weite Entfernung lain wandern k6nnen, wobei sie aueh die Grenzmembranen durehbrechen und in die Gef~$w~nde emdringen sollten. Heutzutage kSnnen wir uns diese Vorg~nge nicht so einfach vorstellen. LosgelSste Zellen sind meist sehr kurzlebig; bei lhrem Zerfall wird ihr Inhal t yon anderen Zellen resorbiert und unter Umst~nden welter verarbeitet, und auf diese Weise werden die Stoffe gewissermal~en yon Zelle zu Zelle (nicht alle Individuen brauchen hierbei aber zugrunde zu gehen) weiter- gegeben. Aueh die Aufnahme der Stoffe dureh die GefaSwandelemente k6nnen wir meist nicht mit dem Auge verfolgen, aueh hierbei werden Zwischenstufen gebildet, die mit unseren heutigen Methoden nicht siehtbar zu machen sind.

W~hrend die auf dem Transport befindhchen Produkte fiberallhin versehleppt werden kSnnen, finden wir bei der Speicherung unter Um- st~nden eine ganz schar/e Beschriinkung au[ die Grenzen bestimmter

1) Wit haben Anhaltspunkte Iiir die Annahme, dab Abbau- und Aufbau- vorg/~nge auch vom physiologischen Standpunkt aus betrachtet vielfach kompli- ziert ineinander eingreifen. Stufen des Abbaues k6nnen offenbar zu synthetischen Prozessen wieder verwendet werden, und auch sons~ dtirfen wir uns Abbauprodukte keineswegs immer als wertlose Schlacken vorstellen; auch ihnen kann nach neueren Auffassungen eine notwendige Rolle im K6rperhaushalt zukommen.

3) Freilich sagt man gew6hnlich auch yon einer gliogenen Gitterzelle, die beim Myelinzerfall Lipoide aufgenommen hat, dab sie Fett speichert. Vom Standpunkt der Zelle aus ist eine solcher Sprachgebrauch natiirlich auch berechtigt, und auch wir wollen ihn in der Zukunft nicht verleugnen. Nur wenn wir die Erscheinungen vom Standpunkt des Gewebes aus betrachten, wollen wir hier yon Transport sprechen.

Untersuchungen tiber Stoffspeicherung und Stofftransport im Nervensystem 135

Zentren oder ]unktionell zusammengehSriger Systeme yon Zentren. Die wichtige Tatsache der Stoffwechseleigentiimlichkeiten 1) bestimmter Hirnzentren, wie sie z. B. bei der Speicherung der Lipoide und des Gehirn- eisens zutage tritt , macht die Annahme nStig, dab verschiedene Hirn- gebiete nicht nur strukturell, sondern auch in ihrem Chemismus bzw. in ihren chemisch-physikalischen Eigenschaften voneinander verschieden sein miissen, in hSheiem Mal~e, als man das bisher angenommen hatte. Zu diesem selben Ergebnis haben in der Pathologie schon andere Wege geffihrt. Seit langem wissen wir, dab eine bestimmte Schi~dlichkeit, auch dann, wenn sie an alle Teile des Zentralorgans offenbar in gleicher Weise hingelangt, doch ihre hauptsiichlichen Angri]/spunkte in bestlmmten Funktionsgebieten besitzen kann. Anders ausgedrfickt: gewisse ner- vSse Zentren zeigen gegeniiber gewissen Schi~dlichkeiten eine gesteigerte Empfindlichkeit. C. und O. Vogt haben fiir diese Erscbeinung neuerdings die Bezeichnung ,,Pathoklise" gepri~gt.

Bei der Speicherung eines optisch nachweisbaren Stoffes unter- scheiden wir als Gradstufen die diffuse Durchtri~nkung, die feinkSrnige und die grobkSrnige Speicherung. Sehr wesentlieh ist es, an welchen Gewebsbestandteilen eines Zentrums wir eine Speieherung Ieststellen kSnnen; wie uns fiberhaupt eine m6glicgst genaue und detaiUierte Analyse des histologischen Bildes vorldiu]ig als wichtigste Au/gabe erseheint. Die Speicherung ist keineswegs ein Reservat der Nervenzellen; wir finden bestimmte Stoffe in dem einen Zentrum in :Nervenzellen und Gliazellen gespeichert, im andern nur oder vorherrschend in Nervenzellen, in wieder anderen nut in Gliazellen. Die vorbegende Mitteilung soll zeigen, dal~ wir unter bestimmten Bedingungen auch unter den Glia- zellen wieder eine Unterscheidung machen mfissen, indem in einem bestimmten Fall nur eine ganz bestimmte Art von Gliazellen gewisse Stoffe aufnimmt.

Werden wit aber nun in iedem Fall in der Lage sein, aus dem histo- logischen Bild heraus zu entscheiden, ob eine (physiologisehe oder patho- logische) Speicherung oder aber Stofftransport vorliegt? Auch dies wird leider sicher nicht mSglich sein; es sei nur an das erinnert, was Spielmeyer als ,,fixen Abbautypus" beschrieben hat. Aueh werden uns ~berlegungen allgemeiner Art davon zuriickha]ten, die Grenze zwischen Stoffspeicherung und Stofftransport aueh nur theoretisch zu seharf zu ziehen. Und doch glauben wir, dab dieser Gesichtspunkt einen gewissen heuristischen Wert besitzt, der uns vielleicht weiterhelfen kann, wenn wir die vielgestaltigen Erscheinungen nach anderen als

1) Dal~ dem histochemisch nachweisbaren Eisen auch der chemisch- analytisch nachweisbare EisengehaR entspricht, ist neuerdings durch Wuth (Zeit- schr. f. d. ges. ~eurol. u. Psychiatrie 84. 1923) und Stein (Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie 85. 1923) nachgewiesen worden.

136 g. Spatz:

rein deskriptiven Prinzipien zu ordnen versuchen wollen. Selbst- verstandlich werden wir in zweiter Linie aueh immer die Frage der Riehtung des vermuteten Stofftransportes im Auge behalten.

I)er zweite Weg, den wir beschreiten kSnnen um Stoffspeicherung und Stofftransport zu erforschen, ist der experimentelle; wir kSnnen Stoffe, die entweder schon selber farbig sind oder mit gewissen Re- agenzien Farbreaktionen geben, w~hrend des Lebens den Versuchstieren einverleiben und ihr Schicksal im Organismus in verschiedenen Zeit- abst~nden verfolgen. Es wird immer das Verdienst Edwin E. Goldmanns bleiben, bahnbrechend - - wenn auch nieht als allererster - - auf diesem Wege vorausgegangen zu sein. Seine Monographie fiber die ,,Vital- ]~irbung am Zentralnervensystem" wird der Ausgangspunkt ffir alle weiteren Forschungen auf diesem Gebiete sein. Das Experiment bietet den Vorteil, dal3 wir dariiber Beseheid wissen, yon wo aus die ein- verleibten Stoffe ihren Weg nehmen. Drei MSgliehkeiten sind da aus- einander zu halten: die Injektion unmittelbar ins nervSse Gewebe, in den Liquor und ins Blur. Wir bekommen einen grundversehiedenen Ausfall, je nachdem wir Stoffe einmal auf dem Blutweg, das andere Ma] durch den Liquor dem Zentralorgan zufiihren. Das Gewebe des Zentralnervensystems besitzt normalerweise eine Vorrichtung - - wir denken hierbei nicht nut an das Plexusepithel, sondern aueh an die Membrana gliae limitans perivascularis -- , welche den Eintritt vieler im Blut kreisender Stoffe zu hindern vermag; und zu diesen Stoffen gehSren auch gerade die guten sauern Vitalfarbstoffe. Wie Frau Stern gezeigt hat, sind dann solche Stoffe, welche diese ,,Barriere" nicht zu iiberwinden vermSgen, auch mit rein chemischen Methoden sowohl im Liquor als aueh in der Gehirnsubstanz nieht naehweisbar. (Bemerkenswert ist iibrigens auch, dal~ bei der vitalen Fhrbung aueh im mesodermalen Apparat des Zentralorgans, abgesehen von den tt~uten und der Tela chorioidea, ielativ sehr sparliche den Reticulo-Endothelien entspreehende Elemente die Speicherung iibernehmen.) Ein grund- verschiedenes Bild erhalten wir dagegen, wenn wir schon viel geringere Mengen derselben Stoffe in den Liquor injizieren. Die Stoffe verteilen sich dann, wie schon Goldmann gezeigt hat, au~erordentlich raseh in den Subarachnoidalr~umen, und zwar in ganz gesetzmaBiger Weise besti mmte Stellen ffei lassend, an bestimmten Stellen sich anh~ufend, und dringen sodann auch in das nervSse Gewebe ein und gelangen sowohl in Gliazellen als in Ganglienzellen zur Speieherung, wobei dann meist sehr heftige FunktionsstSrungen beobaehtet werden. Hierdurch wird also bewiesen, da~ sowohl Glia als Nervenzellen die F~higkeit zur Aufnahme saurer Vitalfarbstoffe besitzen; diese kSnnen nur offenbar bei der gew5hnlichen Injektionsart nicht an sie herankommen. Die MSglichkeiten, mit Hilfe des Vitalfarbstoffversuchs in den Stoffweehsel des Zentralorgans tiefer

Untersuchungen tiber Stoffspeicherung und Stofftransport im Nervensystem. 137

einzudringen sind unseres Erachtens noch sehr groBe. In einer der ni~ch- sten Mitteilungen soll fiber die Art und Weise des Eindringens des in den Liquor injizierten Farbstoffes yon den arachnoidalen Rgumen, bzw. vom Ventrikel aus in das nervSse Gewebe berichtet werden, sowie fiber die Art der Verteilung im nervSsen Gewebe. Wie des ni~heren dargelegt werden solll), kann uns diese Methode ausgezeichnete Dienste leisten, um die Wege des Eintrit ts von Schi~dlichkeiten vom Liquor aus zu verfolgen. Hierbei scheinen gewisse iiuflere, mechanische Bedingungen eine aus- schlaggebende Rolle zu spielen. Es besteht die Hoffnung, dab hierdurch auch auf die Ausbreitung yon Entziindungsprozessen, die auf einer vom Liquor ausgehenden Infektion beruhen, ein neues Licht geworfen werden kann. Wenn man den anderen Weg verfolgt, den Weg der Einverleibung dutch die Gef~l~e, so gilt es zuni~chst genau festzustellen, welche gemein- samen Eigenschaften die Stoffe besitzen, welche normalerweise die ,,Schranke" passieren - - die basischen Vitalfarbstoffe scheinen zu ihnen zu gehSren - - und wodurch jene ausgezeichnet sind, welche zurfick- gehalten werden. Weiterhin ergibt sich die Aufgabe, zu versuchen, ob es gelingt, durch Gifte oder andere Schi~digungen die Schranke gewisser- mal~en zu durchbrechen, d .h . auch fiir solche Stoffe durchli~ssig zu machen, die normalerweise sie nicht passieren kSnnen. Die letztgenannte Frage ist deswegen yon besonderer Bedeutung, weil wir Anhaltspunkte zu haben glauben ffir die ttypothese, dai~ bei bestimmten Krankheiten, so der progressiven Paralyse, die Einrichtung dieses Passagehindernisses gestSrt sein kann, dab hier eine pathologische Durchli~ssigkeit der Schranke zwischen Gef~Bwand und nervSsem Gewebe vorliegt. Endlich gilt es, die Art und Weise der Verteilung derjenigen Farbstoffe festzu- legen, welche normalerweise ins nervSse Gewebe einzudringen vermSgen, um so wieder der Frage bestimmter Affinit~ten einzelner Teile des Zentralorgans n~herzukommen, welche wir oben gestreift haben. Ein weiteres Ziel w~re es, Stoffe zu finden, die einerseits in optisch erkenn- barer Weise elektiv in ganz bestimmten Hirnzentren gespeichert, anderer- seits auch toxisch auf diese Gebiete einwirken k5nnen. Wenn dies gel~nge, wiirde sich ein Weg ergeben, um das Problem der Lokalisation nervSser Symptome von einer neuen Seite in Angriff zu nehmen.

1) Vorli~ufige Mitteilung, siehe Verhandl.-Ber. d. Tagung des Vereins dtsch. Psychiater in Jena, Herbst 1923.