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Unsere heimischen Vögel und der germanische Mythos. Von . R. V, P E E G E R Vortrag, gehalten am 19. Februar 1873. ©Ver. zur Verbr.naturwiss. Kenntnisse, download unter www.biologiezentrum.at

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Page 1: Unsere heimischen Vögel und der germanische Mythos. · Ein Adler raubte den drei Äsen, Odin, Loki und Hönir das Mahl.1) Auf dem Felsen des Sees von Lomond kommen am ersten Mai

Unsere heimischen Vögel und dergermanische Mythos.

Von

. R. V, P E E G E R

Vortrag, gehalten am 19. Februar 1873.

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Ich hatte im verflossenen Jahre das Vergnügen, inIhrer Anwesenheit einen Vortrag über die Beziehungenunserer einheimischen PHanzen zu dem germanischenMythos zu halten. Da es nun überhaupt der Zufallfügte, dass ich gewissermassen als ein Vermittler derNaturwissenschaft und der Alterthumskunde erscheine,erlaube ich mir heute an jenen Vortrag anzuknüpfen undeiniges über die Verhältnisse zu erwähnen, in welchesich der Mensch zu jenem Geschlecht von Thieren stellte,welches im Eeiche der Lüfte schwebt und sich durcheine ganz eigenthümliche Bedeckung, nämlich durchdas oft wundervoll herrliche Gefieder auszeichnet.

Stellen wir uns wieder auf den Standpunkt desgänzlich ungelehrten, ja des gänzlich ungebildeten Na-turmenschen, so wird es uns leicht erklärlich, dass ihmdie Vögel, als die einzigen Geschöpfe, die sich — ab-gesehen von den fliegenden Insecten — vom Boden er-heben , mit immer kühnerem Flügelschlag aufsteigen,und sich so zu sagen bis in die Wolken verlieren kön-nen, als ganz besondere, höchst wahrscheinlich auch,als sehr beneidenswerthe Wesen auffallen mussten undzwar um so mehr, als er sich selbst so unwiderruflich andie Scholle gebunden fühlte.

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Dazu kam noch die Betrachtung des oft so wunder-baren Baues der Nester, die Gestalt und Farbe der Eier,die Lebensweise der Aeltern, die ihre Jungen mit sovieler Sorgfalt atzen und pflegen und ihnen zu gehö-riger Zeit das Fliegen lernen ; und bemerkte jener Natur-mensch endlich auch, dass gewisse Vogelgattungen beidem Herannahen der schlimmeren Jahreszeit in grossenMassen verschwanden und mit dem Eintritt des Frühlingswieder in möglichst gleicher Zahl zurückkamen, so mussteer sich diese Geschöpfe unwillkürlich für besonders begabte,ja sogar für besonders kluge Wesen halten und so mochtenin ihm gar manche Eindrücke entstehen, die für uns garviel an ihrer Wichtigkeit verloren haben, da wir in die-serBeziehung, wie noch in so manchen anderen, durch Ge-wohnheit und Alltäglichkeit nicht wenig ernüchtert sind.

Aus derlei Erstlingseiudrücken gestalteten sich auchbei sehr gebildeten Völkern, wie bei den Griechen undRömern, eine Menge von Fabeln, so von dem Phönix,der, wenn er alt geworden, sich selbst verbrennt undwieder verjüngt aus der Asche emporfliegt, so von demPelikan, der seine Jungen mit dem eigenen Blute nährt,so von dem Schwan der Leda, so von dem Specht, derwenn man sein Nest verspundet, die alles öffnendeSpringwurzel holt u. s. w. — In Sina träumt man von demGlücksvogel, dereine Krone von Federn trägt und dessenErscheinen Wohlfahrt und Freude, dessen Ausbleibenaber Unglück und Veränderungen, im Eeiche bedeutet. l)

l) Bräun er, Curiositäten. S. 664.

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In Ireland wollte man Vögel kennen, die aus Baumästenhervorwuchsen 2) und selbst wir finden noch hier undda den Strauss mit einem Hufeisen im Schnabel ab-gebildet, zum Zeichen, dass er sogar Eisen verdauenkönne. Doch mit solchen, aller Natur Wahrheit wider-strebenden Dingen wollen wir uns nicht weiter befassen.

Der Mensch, das einzige Geschöpf dieser Erde, demes nicht gegönnt war, schon von der Natur mit Kleidung,Nahrung und Wohnung beschenkt zu werden, der sichalso schon in der ältesten Zeit genöthigt sah; das waser bedurfte, durch Beobachtung, durch Ueberlegung unddurch List zu gewinnen, fesselte, als er endlich einen,wenn auch noch geringen Grad von Bildung erreichthatte, die sogenannten Hausthiere an sich und zwarvermuthlich dadurch, dass er ihnen durch die Be-kämpfung der Raubthiere einen gewissen Schutz ver-lieh, der freilich zunächst aus seinem eigenen Nutzenentsprang.

An jene vierfüssigen Hausthiere schlössen sich nachund nach mehrere aus dem Geschlechte der Vögel, be-sonders Hühnerarten und einige der Schwimmvögel an,endlich kamen aber, sehr merkwürdiger Weise — auchandere Vögel, welche, ohne dem Menschen eigentlichdienstbar zu sein, doch seine Nähe aufsuchten, ja sogarin demselben Hause mit ihm wohnten und noch wohnen,wie die freundliche Schwalbe, und der ernste Den-ker, der Storch. Ferner gibt es auch noch Vogel-

!) Ibid. S. 662, die sogenannten Bemacles.

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geschlechter, von denen sich einzelne Individuen all-mählich zähmen lassen und dann gewisserrnassen mitzum Hausstande zählen, während andere Arten derFlügelträger den Menschen vom Anfang an bis heutefliehen oder ihm sogar feindlich entgegentreten.

Aus diesen so mannigfachen, so abwechselndenVerhältnissen entstanden daher eben so verschiedeneAnschauungsweisen, dergestalt, dass der reiche Stoff, deruns vorliegt, nicht in mehreren, geschweige denn ineiner einzigen Vorlesung zu erschöpfen wäre. Auch sinddiese Beziehungen bald milder, bald heiterer Art, undbald wieder ernst und manchmal sogar finster.

Aber mit welchem Vogel sollen wir unseren lieihenbeginnen? Wohl mit dem König der ganzen Sippe, mitdem Adler, der wie die Poeten sagen, dicht an dieSonne fliegt und dem Zeus die Blitze holt, der schon vonden Römern zum Kriegs- und Siegeszeichen gewähltwurde und von da in die mittelalterlichen Wappen über-ging, wo er endlich anstatt eines Kopfes sogar zweibekam, vermuthlich um dadurch seine grosse Fähigkeitim Verschlingen anzudeuten.

Bei unseren Vorfahren stand jedoch dieser raub-zornige Vogel keineswegs in so erhabenem Ansehen,denn sie hatten sein wahres Wesen besser erkannt, siehatten beobachtet, mit welcher Gier er sich auf seinOpfer wirft; wie wüthend er es zerfleischt, mit welchereklen Hast er sich weidet und wie er dann gleich dar-auf trag und faul da sitzt und wie schlaftrunken seineVerdauung abwartet. Desshalb war auch der Adler den

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Germanen und Scanen nur ein Sinnbild des Wilden undder Nacht, sie sahen in ihm nur einen dunklen Dämon,der in einer stürmischen Wolke umherfuhr; desshalberzählt auch die Edda, dass oben am Nordpol ein riesi-ger Adler sitze, der mit seinen Flügelschlägen den eisigenNordwind erzeuge und nennt diesen Riesenaar „Hra-svelger" oder den Aasverschlinger. Die kriegerischeJungfrau, welche den Tod Sigurds veranlassen soll,reitet auf einem Adler vom blutigen Schlachtfeld her-über. Ein Adler raubte den drei Äsen, Odin, Loki undHönir das Mahl.1) Auf dem Felsen des Sees von Lomondkommen am ersten Mai (gleich den Hexen in der Wal-purgisnacht) die Adler zusammen und verkünden durchihr Geschrei das Geschick des Landes 2) und noch jetztbehaupten Jäger, dass man keine Adlerfeder zu anderenFedern legen dürfe, da diese von jener nach und nachverzehrt würden. — Wie verschieden sahen und dach-ten die von ihren Cäsaren geknechteten Römer und diein freien Stämmen lebenden Germauen!

Die Griechen, welche viele Philosophen besassen,glaubten, dass auch die Eule, welche so einsam lebt,ein philosophischer Vogel sei und widmeten sie daherder Athene; wir wissen ja noch jetzt, dass das Sprich-wort: „Eulen nach Athen tragen" so viel sagen will,als überflüssiges Zeug treiben. Wie anders fasste aberder Deutsche das Wesen dieses abenteuerlichen Vogels

>) ü n l i e r n a t i s , II . 19.

-) M o H C , (ifisch. (1. He iden thums . I I . 495.

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auf, der wirklich iii der grössten Einsamkeit lebt undin seiner Baumhöhle, in seiner Felsenspalte, in altemverlassenem Gemäuer oder hoch auf einem Kirchthurmsitzt so lange es Tag ist, dabei aber keineswegs aufphilosophische Abhandlungen sinnt — und erst mit derDämmerung ausfliegt, um arme schlafende Vögel zuwürgen oder die spielende Maus abzufangen und andereUnthaten zu verüben. KeinThier, aussei" der Katze undder Eule, sieht gut bei Nacht, und die Eule sieht viel-leicht noch besser, ganz gewiss aber weiter als dieKatze. Dazu kommt noch das abscheuliche Geheul undGeschrei, besonders der grösseren Eulenarten, das ebendann am ärgsten und hässlichsten wird, wenn sich dieEule in Liebesangelegenheiten befindet, denn danngleicht ihr Schreien bald einem dämonischen Gelächter,bald erschallt ein jauchzendes hu — hu! dann folgtwieder ein Geklapper mit dem Schnabel, dann wiedereine Art von Bellen und ein Fauchen — man muss nurselbst einmal in finsterer Mitternacht, in einem Waldoder in einer Ruine geAvesen sein und dieses hässliche,weithin tönende Heulen gehört haben, um sich denkenzu können, welche Furcht es bei ungebildeten oder beiLeuten von phantastischer Einbildungskraft hervorrufenkönne, und versammeln sich nun zur Paarungszeitmehrere Eulen, so kann man sich — besonders wennzu gleicher Zeit noch der Ruf der nach Norden ziehen-den Kraniche und Wildgäuse dazukommt, sehr leichterklären, wie die Sage von dem wüthenden Heere ent-standen sein mag.

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Im Volke werden, abgesehen von der genauenwissenschaftlichen Kennzeichnung der mannigfachenArten, hauptsächlich nur die grossen und die kleinenEulen unterschieden, demzufolge man sie auch als heu-lende und piepende bezeichnet. Die Repräsentantin derHeul-Eulen ist die grosse Ohreule und jene der piepen-den das Käuzlein.

Die Ohreule gehört mit zur grossen Jagd und galtallenthalben als gespenstig, wesshalb man sie auch deroben erwähnten wilden Jagd des Hakelnberg beigab.Hakelnberg war ein Ritter auf der Burg zu Wülperodeund ein so leidenschaftlicher Jäger und Hetzer, dass erselbst an Sonntagen und an den höchsten Festen nichtRuhe hielt. Einst erlegte er einen gewaltigen Eber, waraber in der Hitze etwas unvorsichtig und das Wild-schwein schlug ihm seine Hauer dergestalt in das Bein,dass Hakelnberg eine Wunde davontrug, welche diedamaligen Aerzte nicht heilen konnten. Da fluchteer fürchterlich und schwur, dass er auf den Himmelund auf die ganze Seligkeit verzichten wolle, wenn esihm gegönnt würde, bis zum Untergang der Welt jagenzu können. Dieser Schwur, spricht die Sage, war vonden höheren Mächten gehört; und nun muss er jagenüber Berg und Thal, über Wald und Gefild, auf einemfeurigen Ross, mit höllischen Hunden und von seinemganzen Gefolge begleitet, bis zum jüngsten Tag, an demer dann für ewige Zeiten in die Hölle hinabsinkt.

Merkwürdiger Weise ist die Eule auch mit der Sagevon einer Nonne verwebt. Diese Nonne, Ursula mit Na-

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xnen — lebte in einem Kloster in Thüringen, hatte eineungewöhnlich rauhe und hässliche Stimme und sangaber dabei, wie sich das manchmal so trifft — mit un-zubezwingender Leidenschaft, so dass ihre Schwesternoft mit Schauder erfüllt waren, wenn sie in den nächt-lichen Choren von ihr übertönt wurden. Da sie endlichstarb; waren alle Nonnen froh, die furchtbare Stimmelos zu sein. Als sie aber Nachts wieder im Chor sangen,steckte die todte Ursula ihren Kopf zu einer Oeffnungherein und „tutete" so entsetzlich, dass die Schwestern ausder Mette davonliefen und nicht eher wieder in die Kirchewollten, als bis die unglückliche Sängerin gebannt sei.Da liess die Prioriu einen Kapuziner herbei holen, derin solchen Geschäften gut bewandert war, der sprachnun seine Sprüche und als der Bann vollendet war, flogdie gute Ursula anstatt in Gestalt eines schönen Enge-leins als grosse Ohreule davon und begab sich auf denHarz, wo man sie, „wie glaubhafte Zeugen berichten",noch heute von Zeit zu Zeit tuten hört. !)

Ophelia (Hamlet, Act IV. Sc. 5) sagt: „ Die Eulewar eines Bäckers Tochter". Der mit der Natur undder Sage so sehr vertraute Dichter kannte also die alteLegende, dass einst der Heiland müde und hungerig voneiner langen Wanderung vor einem Bäckerladen stehenblieb und um Brot bat. Der Bäcker und seine Frau be-fanden sich nicht zu Hause, sondern nur des BäckersTochter, welche sehr geizig und neidisch war und die

J) Grimm, Deutsche Sagen. I. S. 354.

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Gabe verweigerte, wesshalb der Herr über sie erzürnteund sie zur Strafe in eine Eule verwandelte.

Die Nachteule spielt also stets eine finstere undunheimliche Kolle, selbst die poetischen Opferjungfrauendes deutschen Heidenthums wurden durch dieChristia-nisirung in scheussliche Eulen umgestaltet und im Volkegeht noch immer die Meinung, dass die grämliche FrauEule alles belauere und dass vor ihr, die selbst im tief-sten Dunkel so trefflich sieht, durchaus nichts verborgenbleibe. Dieser Ansicht verdankt auch ein Holzschnittaus dem XVI. Jahrhundert seine Entstehung, er zeigtnämlich eine grosse Eule als alte Frau, die in einer fin-steren Kammer vor dem »Spinnrocken sitzt und mit ihrenweit geöffneten Augen nach allem heruinspäht, was inder ganzen Nachbarschaft vor sich gehen mag.

Aus dem Angeführten geht hervor, dass man siclidie Eule fast immer als ein weibliches Wesen dachteund man urtheilte hier wieder nicht ganz ohne Grund,denn der Uhu, obwohl gewöhnlich etwas misantropisch,hat zuweilen doch wieder Anwandlungen von guterLaune und macht dann wunderliche und komischeBücklinge, schlägt mit den Flügeln und führt sogareinen bizarren Tanz auf, wesshalb man auch von einemMann, der bald tiefsinnig und bald wieder schnackischwird, zu sagen pflegt: er sei ein drolliger Kauz, undselbst der allbekannte Till Eulenspiegel mag seinenNamen ähnlichen Ursachen zu verdanken haben.

Bei der kleineren Eule findet jedoch der Unter-schied zwischen den Sonderlichkeiten des Weibchens

Verein nat. Kenntn. XIII. TM. 24

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oder des Männchens nicht statt, denn das Käuzlein.,ob Weib, ob Mann, ist überall, wo es erscheint, höchstunwillkommen, da es als unheilbringend und Sterbenverkündend betrachtet wird. Wohl mag es sich zuge^tragen haben, dass dieser Vogel in das offene Fenstereiner Krankenstube flog, wohin ihn, der weder einFreund des Rosenduftes noch des jSTelkengeruch.es ist,wahrscheinlich die Ausdünstung lockte, und war nunder Kranke unheilbar und erlag, so musste „das armekleine Käuzlein" als Ursache oder mindestens als Vor-bote des Todes gelten. Ja die Einbildungskraft der Land-leute ging noch weiter, denn da der Ruf des Vogels wieKu—witt klingt, so glauben sie er rufe: „Komm' mit!"nämlich auf den Friedhof, wo das Käuzlein in derDämmerung häufig gesehen wird. Aus obigem Aber-glauben nageln die Bauern, wenn sie eines solchenWichteis1) habhaft werden, dasselbe mit ausgespreiteteuFlügeln an das Thor der Scheuer, eine Auszeichnung,die aber auch den grösseren Eulen und sogar den Geiernzukommt und zwar einestheils desshalb, damit sich dienoch lebenden Raubvögel an diesem hoehnothpeinlichenBeispiele schrecken sollen, und zweitens, weil ein sol-cher angenagelter Vogel zugleich „vor dem Einschlagendes Blitzes schützt."

Uebrigens gilt jede Eule, sei sie gross oder klein,als Unglücksbote, so sagt auch Lady Macbeth (II. ActS. Scene^:

l) Wicht l , von wiggen = klagen, ängstlich rufen.

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„ Horch! Still!Die Eule wav's, die schrie, der Unglückswächtev,Der gvässlich gute Nacht ruft!"

iind daher heisst die Eule auch in manchen GegendenKlagmutter, Klagfrau, Wehklage, Leichenhuhn undTodtenengel.

Wenn nur die Sage den Eulen eine besondereBeobachtungsgabe zuschreibt, so besitzt diese hingegen,in aller Wirklichkeit der kluge und schlaue Rabe,denn er gewahrt schon im Flug und oft aus beträcht-licher Ferne Gegenstände, welche andere "Vögel oft inder Nähe nicht sehen. Um dieser Eigenschaft willenwurden auch dem Odin zwei Raben als Begleiter gege-ben, nämlich Hugin und Munin (Denkkraft und Gedächt-niss). Diese flogen in alle Welt hinaus, kehrten dannzurück, setzten sich auf des Gottes Achseln und berich-teten ihm, ganz im Geheimen, was sie gesehen hatten.

In dem alten Liede von der Amselfelder Schlachtheisst es, dass zwei Raben von dem Kampfgefilde her-geflogen kamen und die Kunde mit sich brachten,dass die Führer beider Heere gefallen seien. So wurdeder Rabe zum Weissagevogel und zum Voraus verkün-der. Desshalb stellte auch Ragnar Lodbroke einen Rabenoben auf seine Fahne und je nachdem dieser entwederlebhaft mit seinen Flügeln schlug oder dieselben traurighängen liess, schloss man auf Sieg oder Niederlage.')

Grimm. II, 1637.

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Wegen dieser Gabe des Voraussehens ist auch in dergermanischen Mythe der Rabe der Verkünder des her-einbrechenden Weltunterganges. Sollte dem Burgherrnvon Corberies (im Canton Freiburg) ein Nachkommegeboren werden, so erschien ein Rabe, der einen Ringin den Schlosshof fallen liess, und war dieser Ring vonSilber, so bedeutete er die Ankunft eines Knaben,war er aber von Gold, so erschien eine lieblicheTochter. Man ersieht hieraus, dass der Rabe nichtnur klug, sondern auch galant gegen das schöne Ge-schlecht war.

Die weisen Raben des Odin gingen auch mit hin-über in das Christenthum, wie wir u. a. auch schonaus der Legende von St. Meinrad ersehen. Meinrad warein Graf im Saalgau, er entsagte aber späterhin derWelt, begab sich in einen grossen Wald und hielt sichzu seiner Erheiterung zwei Raben. Als nach dem Ver-lauf mehrerer Jahre Räuber in den Wald kamen unddon Einsiedler erschlugen, wurden diese von den Rabenmit fortwährendem Geschrei verfolgt, so zwar, dass dasLandvolk, auf die Flüchtigen aufmerksam wurde undsie gefangen nahm, worauf diese den Mord einge-standen und hingerichtet wurden. Die klugen Rabenerschienen hier also als Anklagende, als die TJnthaträchende Vögel.

Aussei" St. Meinrad haben noch mehrere Heilige,z. B. St. Oswald, einen Raben zum Abzeichen, ja es gibtMiniaturen aus sehr alter Zeit, in welchen König David

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oder einer der Kirchenväter mit einem Raben auf derSchulter dargestellt ist. !)

So wie an Personen, finden wir die Raben auch angewisse Oertlichkeiten gebunden, eine Ansicht, welchesich schon bei den antiken Griechen geltend machte. Soumflattern die Raben des Friedrich Rothbart noch im-mer den Kyffhäuser, zwei Raben umschweben den Hügeldes ehemaligen Zwingherrnschlosses im Emmenthal 2)und selbst alte Spielplätze der Knaben sollen hier undda noch jetzt von zwei Raben überwacht werden; jadiese beiden Vögel standen einst in solcher Achtung,dass sie sogar in kirchlicher Rücksicht Bedeutung beka-men. Als man nämlich bei Kappein in Angeln eineKirche bauen wollte und nicht wnsste wohin, bat mandie h. Maria um ein Zeichen und siehe da, es erschienenzwei Raben und setzten sich an einer gewissen Stellenieder, wo denn auch die Kirche gebaut wurde, an derenPortal man zum Gedächtniss dieser wunderbaren Bege-benheit noch jetzt zwei Raben in Stein gemeisseltsieht. 3)

Das bisher Gesagte bezieht sich auf die guten Eigen-schaften dieses dunklen Vogels, allein wir dürfen auchseine Schattenseite nicht übersehen, nämlich die, dass ereinen ganz besonderen Annexionstrieb für glänzende Ge-

J) So ist in einer sehr alten Handschrift zu BambergSt. Gregor abgebildet, dem der Eabe auf der rechten Achselsitzt und ihm in das Ohr spricht.

2) J a h n . Emmenth. Sagen. S. 2.3) N o r k . Myth. d. Volkssage S. 149.

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genstände besitzt, die er dann, wenn er sie einmal imSchnabel hat, meist auf eine so schlaue Weise verbirgt,dass sie fast nur durch Zufall wieder gefunden werdenkönnen. Dies Aneignungsgelüste gab denn auch Anlasszu gar mancher frommen Legende, wie z. B. zu jenervon der Ida von Toggenburg, von welcher ihr Herrglaubte, sie habe seinen Ring, den zufällig ein Rabe stahl,ihrem Buhlen geschenkt. Nach der rauhen Sitte jenerZeit wurde Ida ohne Verzug über einen hohen Felsenhinabgestürzt. Glücklicher Weise verwickelten sich Ida'sKleider in einem Strauch und sie gelangte glücklich zuThal. Die fromme Legende sagt aber, dass sie von En-geln aufgenommen und sanft zur Erde getragen wurde.

Thilo, Bischof von Trotha war ein strenger Mann,der kurzen Proeess machte, wenn ihm etwas in dieQuere kam. Als er einst einen seiner kostbarsten Hingevermisste, beschuldigte er einen der Diener dieses Dieb-stahls und liess denselben auf den blosen Verdacht hinganz gelassen enthaupten. Da aber nach einiger Zeitder Ring in dem ISTeste eines Raben gefunden wurde,empfand der Bischof eine so tiefe Reue, dass er — einneues Wappen annahm, in welchem ein Rabe mit einemRing im Schnabel dargestellt war. r)

Durch solche Streiche verlor der Rabe immer inehrvon seinem vorigen Ansehen, er wurde von einem Götter-Boten zu einem Vogel des Teufels, als welcher er auchden von Dr. Faust unterschriebenen Pakt abholte; nach

B e c h s t e i n , Deutsch. Sagenbuch, S. 420.

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Ihm nannte man nun die Gerichtsstätten : Rabensteine,und sein Ruf ist endlich so schlecht geworden, dass alleWörter, mit denen man seinen Namen verbindet, durch-aus keine Lobenswürdigkeit anzuzeigen pflegen.

So wechselten die Meinungen über den Raben nachden verschiedenen Anschauungsweisen der Menschen,der echte alte Naturrabe ist aber noch immer derselbe,wie er vor tausend Jahren war und wird sich auch wahr-scheinlich bis in die fernste Zukunft nicht besondersT erändern.

Ich habe zuvor angedeutet, dass sich dem Menscheneine gewisse Reihe der Hühnervögel anschloss. Unterdiesen zeichnen sich die Taube, der Pfau und derHahn ganz besonders aus.

Pfau und Taube bilden gewissennassen allegorischeGegensätze, denn die Taube ist bekanntlich das Sinnbildder Sanftmuth und der Liebe, der Pfau hingegen istlioffärtig, eitel und prunkhaft, das Girren der Taubetönt gefällig, das Geschrei des Pfaues ist aber katzen-artig und widerlich, die Taube trug den Oelzweig, derPfau ist aber sehr streitsüchtig, wesshalb auch die sara-zenischen Krieger Pfauenfedern auf ihreTurbane steckten,.eine Sitte, die wie noch andere morgenländische, von denChristenrittern nachgeahmt wurde, nur setzten diesestatt einer einzelnen Feder gleich einen ganzen Pfauen-schweif (den sogenannten „Pfauenstutz") auf ihreHelme und im J. 1453 legten sämmtliche Ritter vomHofe Philipps des Guten von Burgund auf einen Pfau

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das Gelübde ab, unablässig gegen die Sarazenen zu strei-ien, das war das berühmte ,,veu du paon".

Das ganze Leben der Taube ist hinwieder ein Idyllund es lässt sich, wie bei stillen Menschen, nicht vielüber sie sagen, doch hat man sie allenthalben gernum sich.

Datritt Meister H a h n ganz anders auf, denn er istim Gehöfte eine äusserst wichtige Erscheinung, wess-halb wir ihn auch etwas näher kennen lernen wollen.

Die alte Mutter !N"acht hat ihre dunklenSchwingen über das Land gebreitet. Ueberall herrschtRuhe und tiefes Schweigen und in den Gehöften ist derSchlaf der gebietende Gott. Da kommt die Mitternachtund durch ihre Stille ertönt der erste Ruf des zeitkun-digen Hahnes. jSTach beiläufig zwei Stunden erschalltder zweite Hahnenruf und mit der anbrechenden Mor-genröthe der dritte, der bei weitem am stärksten klingtund schon manche der Schläfer weckt. Wer lehrte demHahn die Stunden so genau kenneu, wer sagte ihm, dassgerade er es sein soll, der sie verkündet?

Genug, der Hahn war schon in den urältesten Zei-ten das Sinnbild der Wachsamkeit und steht noch heutekünstlich nachgebildet auf Thurmspitzen und hohenDachfirsten als Abzeichen der Aufmerksamkeit.

Vor dem nordischen Weltuntergang (Ragnarokr)krähen drei Hähne. Der eine mit goldenem Kamm(Gullinkambi), weckt die Helden in Walhall, einschwarzbrauner weckt die Schatten in dem dunklen

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Heiheim und ein hochrother die Gygea oder die Götterder Naturkräfte,1

"Wenn das Krähen des Haushahns erschallt, müs-sen alle wandernden Geister, alle Gespenster und selbstdie Elfen verschwinden.

Schöner kann wohl Niemand über den Hahn spre-chen, als der grosse Naturfreund Shakespeare im „Ham-let" (Act I. Sc. 2), nachdem der Geist gewichen ist;Horatio sagt nämlich dort:

„Ich bab' gehört,Der Hahn, der als Trompete dient dem Morgen,Erweckt mit schmetternder und heller KehleDen Gott des Tages, und auf seine Mahnung,Sei's in der See, im Feuer, Erd' oder Luft,Flieht jeder schweifende und irre Geist'in sein Bereich. *

Worauf Marcellus antwortet:

„Sie sagen immer, wenn die Jahrszeit naht,Wo man des Heilands Ankunft feiert, singeDie ganze Nacht durch dieser frühe Vogel,Dann darf kein Geist umhergeh'n, sagen sie.Die Nächte sind gesund, dann trifft kein Stern,Kein Elfe faht, noch mögen Hexen zaubern,So gnadenvoll und heilig ist die Zeit."'

Da nun der Hahn durch seinen Euf alles Unheim-liche vertreibt, erscheint er auch in vielen Sagen, dievom Gottseibeiuns handeln. So verschrieb einst ein

Wiborg. Mytb. d. Nord. S. 305.

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Bauer dem Teufel seine Seele, wenn ihm dieser überNacht eine Scheuer baue. Hurtig ging der Schwarze andie Arbeit, als er aber eben die letzten Schindeln aufdas Dach nageln wollte, tönte der Morgenruf des Hahns,der Teufel musste fort und war um seine ganze Arbeitund um die Seele des Bauern betrogen. In anderenFällen sollte Meister Violand oder „der Junker mit derHahnenfeder" gegen die Verpfändung einer Seele, überNacht ein Schloss, einen Damm, oder eine Brücke bauen,wurde aber stets unmittelbar vor dem Schluss seinerArbeit durch den Hahnenruf unterbrochen und um dieSeele geprellt, woher denn auch der Ausdruck „eindummer Teufel" entstanden sein mag.

Der Hahn hat aussei' seiner Wachsamkeit auchnoch andere schätzbare Eigenschaften. So ist er vorallem ein tapferer Kämpfer der auf Sieg oder Todstreitet, der nach dem Kampf, wenngleich selbst nochblutend, sich auf die Mauer schwingt, mit den Flügelnschlägt und seinen Sieg schmetternd verkündet. — Ausder Beobachtung seines Muthes entstanden die Hahnen-kämpfe, die schon zu Zeiten Karl's des Grossen beliebtwaren, wie denn auch seine Söhne Pipin, Carl und Lud-wig einen solchen Kampf veranstalteten, um daraus zuersehen, wer von ihnen der Erbe des Eeiches werde-Der Hahn Ludwigs siegte über die beiden anderenHähne und Ludwig erlangte nach seines Vaters Ablebenwirklich die Krone. Ein neueres Geschichtchen erzähltvon dem Admiral Berkley, dass er ein grossei' Hahnen-Freund war und stets einen derselben auf seinem Schiffe

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hatte. In einer Seeschlacht, die im Jahre 1793 gegendie Franzosen vorfiel, konnten die Engländer keinen Vor-theil erringen und wollten sich schon aus dem Kampfezurückziehen, als sich plötzlich der Hahn auf denHauptmast des Admiralschiffes schwang, mit den Flü-geln schlug und eifrig krähte. Da wurden die Engländerwieder muthig, sie erneuerten den Kampf und schlugennun wirklich die Feinde in die Flacht.

Die rothe Farbe des Hahns — und die rothenHähne gelten immer für kräftiger und wachsamer, alsdie weissen oder dunkelgefärbten — wurde durch diePhantasie des Menschen mit dem Feuer in Verbindunggebracht, so dass der Hahn endlich auch ein Symbol derFlamme wurde, wie uns schon die Redeweise „einem denrothen Hahn auf das Dach setzen" (d. h. es anzünden)deutlich darthut, zugleich wurde er dadurch aber auch,da wie bekannt, in der Hölle ein heftiges Feuer brennt,als Vogel der Unterwelt betrachtet, allein wir wol-len diese letztere etwas erkünstelte Beziehung beiSeite lassen und zum wirklichen Hahn zurückkehren,der zwar ein etwas strenger, aber doch auch ein liebe-voller Hausvater ist, der mit grösster Sorgfalt auf seineFrauen sieht und nicht eher etwas zu sich nimmt, biser sie gesättigt glaubt.

Den edlen Eigenschaften des Hahns zufolge findetman in alten Büchern von ihm gesagt, dass er dieselben„sieben Frummigkeiten" habe, die jedem biederenBitter eigen sein müssen, er ist nämlich:

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., fürsichtig, weise, tapfer, ehrenhaft, fein, liebevollnnd herrschkündig".

Was jene Schwimmvögel anbelangt, welche sich,dem Menschen mehr oder minder anschlössen, so sindhier wieder drei zu nennen, nämlich die Ente , dieGans und der Schwan. Die Ente ist völlig unbedeu-tend und gilt nur als eine sehr beliebte Speise. DieGans und der Schwan bilden jedoch abermals Gegen-sätze wie die Taube und der Pfau, nur wieder von ganzanderer Art, denn die Gans ragt vorzüglich durch ihreBegabung von ungewöhnlicher Dummheit hervor, wäh-rend uns der Schwan als ein besonders poetischer Vogelvorgeführt wird.

Es mag sein, dass die Gänse das Capitol retteten,als Brennus mit seinen Galliern dasselbe nächtlicherWeile überrumpeln wollte, aber vermuthlich thaten siedas nicht aus Scharfsinn, sondern nur desshalb, weil sienicht gar so fest schliefen, als Manilius und seinewackeren römischen Soldaten. Uebrigens heisst es ineinem schon sehr alten Reim:

„Es flog eine Gans wohl über den Rhein,Und kam als Gans auch wieder heim."

ein Sprüchlein, das wohl keines weiteren Commentarsbedarf. Auch erinnern wir uns noch des Bildes in derWallnerstrasse, auf welchem ein Wolf dargestellt war,der den Gänsen predigte, eigentlich ein Spott auf die

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einstigen protestantischen Prediger in Wien,1 der aberauch deutlich anzeigen sollte, wessen Geistes Kinderdiejenigen waren, welche solche Predigten anhörten.Auch von Deutungen u. s. w. weis Hla mere oie" nichtg,nur an ihrem Brustbein will der Bauer — versteht sicherst dann, wenn er sich an ihrem Fleische gelabt hat —erkennen, ob ein milder oder ein strenger Winter kom-men werde, denn:

„Ist das Brustbein hell und klar,Kommt ein strenger Winter dar,Ist es aber trüb und dick,Hat der Frost nur wenig Schick."

Endlich haben auch von allen den zahlreichenGänsen nur die Martinsgänse (Anseres Martiniani)2 einewirkliche Bedeutung und werden desshalb auch mit be-sonderer Sorgfalt gemästet.

Die Gänse führten nämlich mit St. Martin eineähnliche Scene auf, wie einst im Capitol. St. Martinwar ein frommer und zugleich ein höchst bescheidenerHerr, desshalb verkroch er sich auch als ihn seineBrüder zum Bischof wählen wollten, hinter den Gänse-stall dessen Bewohnerinnen ihn aber seinen suchendenMitbrüdern verriethen, so dass er trotz aller Bescheiden-heit doch Bischof werden musste. Seit jener Zeit wurde esBitte, zum Andenken an dieses Ereigniss jährlich am11. November eine wohlgespickte Gans zu opfern, wie

, Auch die zwei Theologen Thomas Murner und Theo-bald Thamer hiessen „Gänseprediger".

2 S. (1. Annalen v. Corbay v. J. 1171.

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dieses durch eine nicht unbedeutende Zahl von älterenund neueren Martinsliedern zur Genüge belegt wird.!

Der Schwan ist wohl unzweifelhaft der schönsteund edelste unserer Schwimmvögel und besonders dannherrlich anzusehen, wenn er sich mit zurückgelegtem Halsund geöffneten Elügeln von dem Wind auf der ruhigenFluth forttreiben lässt. In nördlicheren Gegenden,in denensich viele kleine Seen oder Teiche befinden, erscheinenoft mehrere Schwäne, bleiben eine kurze Zeit, und ver-schwinden dann wieder, indem sie von einem Gewässerzum andern ziehen. Dieses unverhoffte Kommen undGehen, sowie das durchaus weisse Gefieder dieser Vögelmögen wohl den ersten Grund zu den vielen Schwanen-sagen gelegt haben, die sich in allen germanischen Gauenvorfinden.

Schon die alte jNTordlandsage berichtet, dass fort-während ein Schwan um den heiligen Quell der Zeiten,den Urdarborn, kreise. Die zukunftkundigen Walkyrennahmen häufig die Gestalt von Schwänen an und wur-den daher auch Schwanenjungfrauen genannt und anvielen Orten und in vielerlei Variationen wird erzählt,dass zauberische Mädchen, Feen oder Königstöchter inSchwanenkleidern geflogen kamen und sich an stillenGewässern niederliessen, um in denselben zu baden, wo-bei sie das Schwanenkleid ablegten, welches dann voneinem sehlauen oder kühnen Ritter geraubt wurde, in.

S. Wackernagers Lesebuch B. II, >S. 232. ff.

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Folge dessen die betreffende Schwanenjungfran dieBraut des Ritters werden und so lange bei ihm verwei-len musste, bis sie das Schwanenhemd wieder in ihreHände bekam, und mehrere Frauennamen, wie Swan-hilde, Swanwitha, Swanagardis u. s, w., erinnern an dieseSagen und deuten zugleich auf die makelloseste Rein-heit der Trägerinnen solcher Namen.

Auch über die Häupter berühmter Helden zogenSchwäne einher, und als Gottfried von Bouillon mitseinem Heer vor Jerusalem lag, erschien ein Schwan,welcher ihn viermal umkreiste und dann nach JerusalemÜog und sich auf einem der Thorthürme dieser Stadtniederliess. Gottfried benützte dieses als ein Wahr-zeichen, befahl sogleich jenes Thor zu bestürmen unddrang wirklich durch dasselbe in die Stadt.l

Da demnach der Schwan die Gabe hat, etwas imvoraus anzudeuten, sagt man auch anstatt: es ahnt miretwas, „mir schwant etwas" und so spricht auch WalterFürst im „Teil" (Act I. Sc. 4), der zu Arnold von Melch-thal sagt:

„Der Unglückselige, ich darf ihm nichtGestehen, was mir Böses schwant."

Da ferner der Schwan in der Paarungszeit ein treuerGatte ist, und seine Jungen mit Kühnheit vertheidigt,gilt er auch als ein Sinnbild der Liebe und man legt da-her, wenn eine Verbindung zweier Herzen fortdauernsoll, nach altem Brauch die Verlobungsringe in dasNest eines Schwanes.

2 Wolf, Niederl. Sag. S. 171.

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Auch in das Christentum kam der Schwan mitherüber und wie er früher der Vogel der "Walkyren war,wurde er nun der Vogel der h. Maria. So steht u. a,unweit von Carden, am linken Ufer der Mosel, dieSchwanenkirche, welche ein Ritter der h. Maria wid-mete, da ihm einst als er gefangen lag, geträumt hatte}

ein Schwan trüge ihn fort aus dem Thurm, So stifteteder Churfürst Friedrich von Brandenburg einen Ordenzu. Ehren derselben Heiligen und bestimmte den Schwanzu dessen Abzeichen.1 Die wichtigste und selbst in dasGeschichtliche herübergreifende Sage ist aber jene vondem unbekannten Ritter mit dem Schwanenhelm; der ineiner von einem Schwan gezogenen Fähre auf demRhein herankam; die Herzogin von Brabant von ihrenGegnern befreite und sie zur Gemahlin nahm, wodurcher der Stammvater des Lothringischen Hauses wurde,ein Stoff, der in unseren Tagen zu einer Oper benütztwurde, die wir unter dem Namen .. Lohengrin<: kennen.2

So war und blieb der stille, ernste Schwan stets inhohem Ansehen und makellos wie sein Kleid ist nochimmer seine dichterische Weihe.:!

, Der Dichter und Prediger Joseph Rist stiftete um1660 den cimbrischen Schwanenorden, eine Gesellschaft,•welche es sich zur Aufgabe stellte, die deutsche Poesie undSprache zu heben.

2 Grimm, Deutsche Sagen. II. S. 256—271.3 Die Sage, dass der Schwan im Sterben singe, ist

nicht deutschen Ursprungs, sondern eine Erfindung derGriechen und Römer.

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Wir wenden uns nun zu den drei Frühlings-boten, nämlich zum Kuckuk, zum Storch und zu derSchwalbe.

DerKuckuk hat seinen Namen von seinem Ruf er-halten, den man zur Frühlingszeit erschallen hört undüberall mit Freuden begrüsst.

„Wir fahren zu Berg, wir kommen wieder,Wenn der Kucknk ruft, wenn erwachen die Lieder."

sagt der Hirt in der ersten Scene des „Teil" und nochjetzt klopft der Bauer, wenn er diesen Vogel hört, anseine Tasche, damit ihm das Jahr über das Geld nichtausgehe, noch jetzt glaubt man, der Ruf des Kuckuks ver-künde, wie viele Jahre man sich des Daseins freue unddie Scheinen des Dorfes fragen ihn noch immer, wie langsie warten müssen, bis ihr Bräutigam heran käme.

Eben so entstanden durch diesen Vogel eine grosseZahl von Kinderliedern und Volksgesängen, von denenhier beispielsweise nur zwei angeführt seien.

Der Kucknk ist ein Vogel fein,Und bringt uns mit den Liedern seinVon guten Tagen Kunde;Und wenn sein Ruf im lichten WaldUnd -von der Berge Höhen schallt,Wirds's Sommer in der Runde.

Gugu, Gugu,Was thust du?

Der Kuckuk antwortet:

Im AprilIch kommen will,

Verein mit. Kenntn. XIII. Bd. 25

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lax MaiSing' ich frank und frei,Im JuniusMein Lied sich ändern muss,Im JuliusHorcht auf den Scheidegruss,Und im August,Hab' ich fort geniusst.

Der Kuckuk wurde den Leuten um so merkwürdi-ger, als zwar sein Rufen in weiter Ferne hörbar ist, das«man ihn selbst aber nur höchst selten zu Gesichte be-kommt, denn er ist äusserst schlau und scheu und weisssich trefflich zu verbergen, daher bringt das Landvolkauch gewisse Dinge., die es sich nicht wohl erklärenkann, mit dem Kuckuk in Verbindung, so nennt es denweissen Schaum, der sich zuweilen an Pflanzen vorfin-det und von einer Cicade herrührt. .,Kuckuksspeichel'1,die Orchideen mit ihren eigenthümlichen Formen„Kuckuksblunien1' u. s. \\\. ja es führte die Sache nochweiter fort und gerieth dadurch sogar in das Bereichdes Unheimlichen uud die Bewohner von Haiterbachgeriethen desshalb sogar in Schrecken, als sie einmaleinen Kuckuk erblickten; sie liefen heim, schlössen dieThore und verstopften die Fugen und als der Vogel dem-ungeachtet über die Mauern kam, rannten sie in dieKirche, und hielten eine Betstunde, um Unheil abzu-wenden.1

Der Kuckuk, in alter Zeit wahrscheinlich dem Gott¥vö geheiligt-, kann die Menschen necken und bethören,

1 Wolf. Zeitschr. f. d. Mxth. I, 441.2 Wie bei den Griechen dem Zeus.

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mau soll sich desshalb mit Worten und Fragen vor ihmhüten, und ihn zu tödten bringt Gefahr, denn sein An-hang könnte ihn rächen, und wenn man über irgendetwas unwillig wird, pflegt man noch immer zu sagen:Hol's der Kuckuk! — Geh' zum Kuckuk! oder „ der Kuckuksoll ihn holen" und der sonstige Frühlingsausrufer wirdhier geradezu nichts weniger, als der Stellvertreter desleidigen Teufels.

Auch des Neides wird dieser Vogel bezüchtigt;die Sage erzählt nämlich, dass er einst ein Müller-bursche oder ein Bäcker war, der in theuerer Zeit Teigstahl, und eine Legende erwähnt etwas Aehnliches, wievon des Bäckers Tochter, der Eule. Christus kam aber-mals vor einen Bäckerladen und bat für sich und seineJünger um Brod. Der Bäcker wies ihn zurück undwurde wegen seines Geizes in einen Kuckuk verwandelt,der noch immer ein bestäubtes Gefieder trägt. DieBäckerin aber und ihre sechs Töchter, welche jede einBrod hergaben, wurden dafür als Siebengestirn an denHimmel versetzt, und so lauge dieses am Firmamentsichtbar bleibt, muss der Kuckuk seinen Kamen schreien.l

Uebrigens war dieser Vogel noch wegen einer an-deren Eigenthümlichkeit auffallend, denn man fand, dasser sich nie ein eigenes Nest baue, sondern seine Eier indie Nester viel kleinerer Vögel lege, das machte ihn ge-radezu zum Schelm (Gauch) und war durchaus nichtdarnach angethan, seinen Leumund zu heben, zuletztwollen wir aber noch bemerken, dass man sich den

, G r i in in. Mvtli. I, (341.

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Kuckuküberdiessauch als einen gelehrten Herrn dachte,dem der Wiedehopf als Famulus beigegeben war undTon denen man sagte, dass wenn der eine Narr schreie,der andere sogleich darauf antworte, und noch jetztheisst es, wenn man zwei tüchtige Pedanten bei einan-der erblickt, sie seien der Kuckukund sein Küster.

Was für ein ganz anderes Wesen als der Kuckukist der gleichfalls den Lenz verkündende Storch! —Ernst und bedächtig schreitet er einher, von Jedermanngesehen, Niemand scheuend, offen ehrlich, und anallen Orten willkommen geheissen. Er gilt als Patri-arch, als Feldherr, als Arzt, als Pächter und als Prophet.

Als P a t r i a r c h , weil er ein echtes Familienlebenführt, seine Jungen mit Sorgfalt füttert und die schwachgewordenen Alten in Ehren hält und pflegt.

Als Fe 1 dherr , weil er nicht nur persönlich sei-nen Gegner bekämpft, sondern weil er auch wenn einegrössere Zahl von Feinden erscheint, seine Genossen inReihe und Glied zu stellen versteht.

Als Arzt , weil er in vorkommenden Fällen sichselbst zu heilen weiss ;

Als Richter , weil er nichts Ungebührliches dul-det, und besonders die Untreue mit dem Tode bestraftund endlich:

Als Prophe t , weil er nicht nur den Lenz ver-kündet, sondern auch andere Dinge vorher weiss; sofühlt sich der Besitzer einer Bauernwirthschaft voll-kommen beruhigt, wenn ein Storch auf seinem Hause

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nistet, denn dann wird Segen kommen und Blitz undFeuer bleiben abgewendet. Sogar Att i la glaubte andas Voraussehen des Storches, er hielt nämlich schonseit längerer Zeit die Stadt Aquileja belagert, ohne dasser zu einem Ziele gelangen konnte und das ungeduldigeHeer der Hunnen zu murren begann. Da gewahrteAttila, dass die weissen Vögel, welche auf den Giebelnder Häusser nisteten, ihre Jungen aus der Stadt trugenund sprach zu seinen Kriegern: „Seht diese kundigenVögel, sie verlassen die bald untergehende Stadt unddie einstürzenden Häuser.': — Da nahmen die Hunnenihre Mauerbrecher und Leitern, griffen wieder an, Aqui-leja fiel und wurde dergestalt verheert, dass keine Spurdavon übrig blieb.1 Die Störche aber hatten ihreJungen weit in die Berge getragen.

Der Storch wird überall für unantastbar, ja sogarfür heilig gehalten, besonders in Arabien und Persien,und in Persepolis soll kein Pfeiler, kein Knauf vorkom-men, der nicht ein Storchennest trüge. In Europa gilter aber nirgends so viel als in den Niederlanden, er istdort in jedem Städtchen, in jedem Dorf zu finden, undim Haag wurde ihm sogar mitten auf dem Markt eineigenes Haus erbaut.2 Wer im Frühjahr den erstenherbeifliegenden Storch erblickt, hat das ganze JahrGlück und in manchen Städten Deutschlands war derThürmer angewiesen, zu blasen, wenn die Störche heran

1 Jornandes , p. 123.2 Kohl, Reisen in den Niederlanden II, S. 284.

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kamen und erhielt dafür einen Ehrentrunk aus demhochlöblichen Rathskeller.

Aber noch ein Geschäft hat der Storch, und zwarein sehr anmuthiges, denn er bringt den Knaben undMädchen ihre kleinen Geschwister, weit her aus derFerne und aus einem wunderschönen Brunnen. Keinanderer Vogel besitzt ein so hohes Vertrauen; wie eraber zu solcher Ehre gelangte, vermag ich auf mythischemWege wahrlich nicht zu erklären und die guten Mütterwerden hierüber wohl die sicherste Auskunft gebenkönnen.

Die Schwalbe, der dritte der Lenzverkünder,ist zugleich eine Seglerin von grösster Geschicklichkeit,,ihre langen Flügel und der schlanke Leib sind ganz da-zu gebaut, die überraschendsten Wendungen auszufüh-ren, auch ist sie wohl der schnellste Vogel, denn siesoll in einer Stunde zehn Meilen, also binnen Tag undNacht eine Strecke von 480 Stunden zurücklegen kön-nen. Sie wird ebenso wie der Storch bewillkommt, ge-ehrt und geschützt, und bringt gleich ihm Segen überdas Haus. Desshalb ging man ihr in den Tagen, an wel-chen man sie erwartete, bis vor das Gehöfte entgegen,,öffnete ihr die Thüren der Scheuern, und wenn danndie Schwalbe bei ihrer Ankunft recht eifrig durch denganzen Hof flog, und alle Winkel des Hauses besah,fühlte man sich zufrieden, denn das galt als ein An-zeichen einer trefflichen Ernte.

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Unwillkürlich wird man bei der Schwalbe wie-der an Shakespeare erinnert, welcher im „Macbeth"(Act I, Sc. 6) den Banquo sagen lässt:

„Dieser Sommergast,Die Mauerschwalbe, die in Tempeln haust,Beweist durch ihre Liebe zu dem Ort,Dass hier des Himmels Hauch anmuthig weht.Kein Vorsprung, kein Gesimse, noch Verzierung,Kein Winkel hier, wo dieser Vogel nichtSein hangend Bett gebaut zur Jungenwiege,Und wo er gerne nistet, sah ich immerDie reinste Luft." —

Wir wollen hier nur flüchtig andeuten, wie nachder ., Edda" die Schwalben dem Siegmund^lehrten, aufwelche Weise er den Drachen tödten könne, wie zweiSchwalben dem König Marke das Haar der wunder-schönen Isolde brachten, und dass man im Oberinnthalglaubt, die Schwalben helfen dem Herrgott den Him-mel erbauen, ja wir wollen alle die Recepte vom Schwal-benstein u. s. w. gänzlich übergehen und zum Schlussnur noch erzählen, wie der berühmte C u v i e r Natur-forscher wurde.

Er war Lehrer im Hause des Grafen von Hericy,die Knaben desselben hatten einst bemerkt, dass eineSchwalbe häufig an ein bestimmtes Fenster schwirrte,um dort Fliegen zu fangen, und legten in kindischemTJebermuth dort eine Schlinge. Die eifrige Schwalbegerieth wirklich darein und erhob ein gellendes Geschrei.Da kamen alsbald andere Schwalben heran und suchtensie zu befreien, zogen aber dabei die Schlinge nur um

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so fester zu. Als sie das merkten, erhoben sich plötz-lich alle, kreisten umher und besprachen sich, stürztenhierauf zugleich herab und pickten so lange auf dieSchlinge, bis der Faden endlich zerriss.

So sind die Folgen der einfachen Naturbeobachtunggar mancherlei Art — hier entsteht eine Charakteristik,hier eine Sage, dort ein Aberglaube und endlich bringtes ein einziger Anblick dahin, einen der grössten Meisterder Wissenschaft in seine Bahn zu lenken.

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