universitätskliniken und das neue preissystem

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Der Unfallchirurg 11•2001 | 1111 Die Umstellung des Preissystems für Krankenhäuser schafft endlich Lei- stungs- und Kostentransparenz in die- sem Sektor des deutschen Gesundheits- wesens. Der Wechsel wird von den Uni- versitätskliniken deshalb nachdrücklich unterstützt, wenn er konzeptionell so ausgestaltet wird, dass auch die Hochlei- stungsmedizin mit ihren besonderen Leistungsschwerpunkten und Kosten- strukturen angemessen berücksichtigt wird. Ob diese wesentliche Anforderung erfüllt wird, ist derzeit nicht abschätzbar. Mit den anderen Krankenhäusern kritisieren auch die Universitätskliniken an der gesetzlichen Ausgestaltung dieser richtigen entgeltpolitischen Zielsetzung, dass der Anspruch des Gesetzgebers, so- fort sämtliche Krankenhausleistun- gen ausschließlich über DRG abzu- rechnen (100%-Ziel), auf der Welt ohne Beispiel ist und auch in Deutschland kurzfristig niemals er- reicht werden kann; der Zeitplan nach allen internationa- len Erfahrungen völlig unrealistisch und praxisfern ist; dies betrifft so- wohl die zu kurze Vorbereitungszeit mit dem Starttermin 01.01.2003 wie die im Gesetz nur mit einem Jahr viel zu kurz bemessene Übergangszeit; die Zuständigkeitszuweisung an die Selbstverwaltung für die Steuerung der konzeptionellen Ausgestaltung und Anpassung des Systems die Auf- gabenstellung unterschätzt und ohne einen hauptamtlichen professionel- len Apparat der Einführungsprozess nicht mit der gebotenen Qualität und dem erforderlichen und möglichen Tempo abgeschlossen werden kann. Zudem mehren sich aus der Sicht der Universitätskliniken die Anzeichen,dass die Umstellung der Krankenhausfinan- zierung auf DRG ab 2003 die wissen- schaftliche Leistungskraft der 35 Univer- sitätskliniken gravierend beeinträchti- gen wird. Die Universitätskliniken sind mit einem Anteil von 15% an den Ausga- ben der Gesetzlichen Krankenversiche- rung für die Krankenhäuser (2000 ca. 100 Mrd. DM) die umsatz- und lei- stungsstärkste Gruppe unter den deut- schen Krankenhäusern.Werden die An- forderungen der universitären Hochlei- stungsmedizin im deutschen DRG-Sy- stem nicht berücksichtigt, drohen den Universitätskliniken erhebliche Ertrags- einbrüche.Werden diese Mindererträge wegen der Preisreform nicht durch Lei- stungs- und Kosteneinschränkungen aufgefangen, droht eine missbräuchliche Inanspruchnahme der Zuschussmittel für Forschung und Lehre. Es drohen wei- terhin Rationierungen für die Patienten- versorgung bei den besonders schwer erkrankten Patienten. Die 30.000 Mediziner und Wissen- schaftler an den deutschen Universitäts- kliniken haben bisher die möglichen Auswirkungen der Preisreform zum überwiegenden Teil ebenso wenig reali- siert wie die übrigen dort Beschäftigten. Sie werden sich öffentlichkeitswirksam zu Wort melden, wenn die praktischen Konsequenzen für die Einschränkungen der Patientenversorgung offenkundig, Mittel für die Forschung umfunktioniert und Arbeitsplätze abgebaut werden. Diese absehbaren Konsequenzen wer- den derzeit von den Verantwortlichen in der Bundesregierung, im Bundestag und in den Parteien überhaupt nicht reali- siert oder unterschätzt.Auffangstrategi- en für die Patientenversorgung werden derzeit ebenso wenig vorgedacht wie So- zialpläne und deren Finanzierung für den Beschäftigungsabbau. Hauptprobleme für die Hochschulmedizin Gefährdung von Innovationen Die moderne Medizin ist gekenn- zeichnet durch ständige Verbesserungen der Diagnostik und Therapie, um deren Leistungsgrenzen bei vielen Erkrankun- gen zu überwinden. Medizinische Inno- vationen in Diagnostik und Therapie werden gerade jenseits der gesetzlichen Zulassungsverfahren von Medizinpro- dukten und Pharmaka zuerst und nahe- zu ausschließlich über die Universitäts- kliniken in das Gesundheitswesen ein- geführt, bevor sie nach 2–4 Jahren in an- deren Krankenhäusern und anschlie- ßend bei den niedergelassenen Vertrags- ärzten eingesetzt werden. Bei der Einführung und Erprobung medizinischer Innovationen ist eine Ab- schätzung ihrer verbesserten Leistungs- fähigkeit und ihrer Wirtschaftlichkeit im Verhältnis zu den etablierten Verfahren Berufspolitisches Forum Unfallchirurg 2001 · 104:1111–1114 © Springer-Verlag 2001 R. Strehl · Verwaltung, Universitätsklinikum Tübingen Universitätskliniken und das neue Preissystem Vorbemerkung: Die Ausführungen beziehen sich auf den Verfahrensstand Anfang Juli 2001. Inzwischen hat die Bundesregierung einen Entwurf für ein Fallpauschalengesetz be- schlossen. Hinsichtlich des Zeitplans wurden ähnliche Überlegungen wie in diesem Artikel vorgesehen. Im übrigen gelten die hier vertretenen Thesen fort. R. Strehl Verwaltung, Universitätsklinikum Tübingen, Geissweg 2, 72076 Tübingen, E-Mail: [email protected]

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Page 1: Universitätskliniken und das neue Preissystem

Der Unfallchirurg 11•2001 | 1111

Die Umstellung des Preissystems fürKrankenhäuser schafft endlich Lei-stungs- und Kostentransparenz in die-sem Sektor des deutschen Gesundheits-wesens. Der Wechsel wird von den Uni-versitätskliniken deshalb nachdrücklichunterstützt, wenn er konzeptionell soausgestaltet wird,dass auch die Hochlei-stungsmedizin mit ihren besonderenLeistungsschwerpunkten und Kosten-strukturen angemessen berücksichtigtwird. Ob diese wesentliche Anforderungerfüllt wird, ist derzeit nicht abschätzbar.

Mit den anderen Krankenhäusernkritisieren auch die Universitätsklinikenan der gesetzlichen Ausgestaltung dieserrichtigen entgeltpolitischen Zielsetzung,dass

◗ der Anspruch des Gesetzgebers, so-fort sämtliche Krankenhausleistun-gen ausschließlich über DRG abzu-rechnen (100%-Ziel), auf der Weltohne Beispiel ist und auch inDeutschland kurzfristig niemals er-reicht werden kann;

◗ der Zeitplan nach allen internationa-len Erfahrungen völlig unrealistischund praxisfern ist; dies betrifft so-wohl die zu kurze Vorbereitungszeitmit dem Starttermin 01.01.2003 wiedie im Gesetz nur mit einem Jahr vielzu kurz bemessene Übergangszeit;

◗ die Zuständigkeitszuweisung an dieSelbstverwaltung für die Steuerungder konzeptionellen Ausgestaltungund Anpassung des Systems die Auf-gabenstellung unterschätzt und ohneeinen hauptamtlichen professionel-len Apparat der Einführungsprozessnicht mit der gebotenen Qualität unddem erforderlichen und möglichenTempo abgeschlossen werden kann.

Zudem mehren sich aus der Sicht derUniversitätskliniken die Anzeichen, dassdie Umstellung der Krankenhausfinan-zierung auf DRG ab 2003 die wissen-schaftliche Leistungskraft der 35 Univer-sitätskliniken gravierend beeinträchti-gen wird. Die Universitätskliniken sindmit einem Anteil von 15% an den Ausga-ben der Gesetzlichen Krankenversiche-rung für die Krankenhäuser (2000 ca.100 Mrd. DM) die umsatz- und lei-stungsstärkste Gruppe unter den deut-schen Krankenhäusern.Werden die An-forderungen der universitären Hochlei-stungsmedizin im deutschen DRG-Sy-stem nicht berücksichtigt, drohen denUniversitätskliniken erhebliche Ertrags-einbrüche.Werden diese Mindererträgewegen der Preisreform nicht durch Lei-stungs- und Kosteneinschränkungenaufgefangen,droht eine missbräuchlicheInanspruchnahme der Zuschussmittelfür Forschung und Lehre.Es drohen wei-terhin Rationierungen für die Patienten-versorgung bei den besonders schwererkrankten Patienten.

Die 30.000 Mediziner und Wissen-schaftler an den deutschen Universitäts-kliniken haben bisher die möglichenAuswirkungen der Preisreform zumüberwiegenden Teil ebenso wenig reali-siert wie die übrigen dort Beschäftigten.Sie werden sich öffentlichkeitswirksamzu Wort melden, wenn die praktischenKonsequenzen für die Einschränkungender Patientenversorgung offenkundig,Mittel für die Forschung umfunktioniertund Arbeitsplätze abgebaut werden.Diese absehbaren Konsequenzen wer-den derzeit von den Verantwortlichen inder Bundesregierung, im Bundestag undin den Parteien überhaupt nicht reali-siert oder unterschätzt.Auffangstrategi-

en für die Patientenversorgung werdenderzeit ebenso wenig vorgedacht wie So-zialpläne und deren Finanzierung fürden Beschäftigungsabbau.

Hauptprobleme für die Hochschulmedizin

Gefährdung von Innovationen

Die moderne Medizin ist gekenn-zeichnet durch ständige Verbesserungender Diagnostik und Therapie, um derenLeistungsgrenzen bei vielen Erkrankun-gen zu überwinden. Medizinische Inno-vationen in Diagnostik und Therapiewerden gerade jenseits der gesetzlichenZulassungsverfahren von Medizinpro-dukten und Pharmaka zuerst und nahe-zu ausschließlich über die Universitäts-kliniken in das Gesundheitswesen ein-geführt, bevor sie nach 2–4 Jahren in an-deren Krankenhäusern und anschlie-ßend bei den niedergelassenen Vertrags-ärzten eingesetzt werden.

Bei der Einführung und Erprobungmedizinischer Innovationen ist eine Ab-schätzung ihrer verbesserten Leistungs-fähigkeit und ihrer Wirtschaftlichkeit imVerhältnis zu den etablierten Verfahren

Berufspolitisches ForumUnfallchirurg2001 · 104:1111–1114 © Springer-Verlag 2001

R. Strehl · Verwaltung, Universitätsklinikum Tübingen

Universitätskliniken und das neue Preissystem

Vorbemerkung: Die Ausführungen beziehen

sich auf den Verfahrensstand Anfang Juli 2001.

Inzwischen hat die Bundesregierung einen

Entwurf für ein Fallpauschalengesetz be-

schlossen. Hinsichtlich des Zeitplans wurden

ähnliche Überlegungen wie in diesem Artikel

vorgesehen. Im übrigen gelten die hier

vertretenen Thesen fort.

R. StrehlVerwaltung, Universitätsklinikum Tübingen,

Geissweg 2, 72076 Tübingen,

E-Mail: [email protected]

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zumeist noch nicht möglich. InnovativeProdukte werden auch in der Medizinimmer als Hochpreisprodukte einge-führt,um möglichst schnell die vorfinan-zierten Forschungs- und Entwicklungs-kosten wieder einzuspielen.Dies führt inden Universitätskliniken immer wiederzu abrupten Kostenschüben: ModerneZytostatika (Beispiel: Taxol) springen soin 2 Jahren (1999/2000) von unbedeuten-den Ausgaben auf 1 Mio. DM/Jahr mitjährlichen Wachstumsschüben von 50%;Antiinfektiva (Beispiel: AMBisome undMeronem) in einem Jahr um 150% von700.000 DM auf 1,8 Mio. DM.

Das DRG-System reagiert nach al-ler Erfahrung nicht schnell genug aufdiese Veränderungen der Prozedurenund Kosten. Nach Auskunft von Exper-ten weisen alle bekannten DRG-Systemeein 4- bis 5-jähriges Zeitfenster auf, indem medizinische Innovationen mit ih-ren Kostenauswirkungen noch nicht be-rücksichtigt werden.

Damit drohen insbesondere denUniversitätskliniken dauerhafte, im Sy-stem begründete Unterfinanzierungen.Es besteht die Gefahr, dieses Defizit ausMitteln des Landeszuschusses für For-schung und Lehre auszugleichen,mit ne-gativen Konsequenzen vor allem für dieklinische Forschung.Ein anderer Auswegwäre, künftig zwangsläufig die Einfüh-rungen von medizinischen Verbesserun-gen wegen des neuen Abrechnungssy-stems zurückstellen,bis im DRG-Systemnach Jahren die finanziellen Vorausset-zungen geschaffen wurden,oder generelldie Innovationen einzuschränken. Dieswäre allerdings für die schwer krankenMenschen, denen Innovationen umge-hend zugute kommen müssen, ein un-haltbarer Zustand. Inwieweit die „Pro-duktion“ von Innovationen (also auchForschungsförderung) dann überhauptnoch Unterstützung findet, ist unter denaufgezeigten Rahmenbedingungen frag-lich. Die Nachteile für die Patientenver-sorgung, aber auch für den Forschungs-standort Deutschland sind offenkundig.

Zu fordern sind deshalb Sonderfinanzie-rungen für Innovationen, die sofort beideren Einsatz und Kostenrelevanz grei-fen. Dies können zeitlich befristete Son-der-DRG sein, befristete Zuschläge oderExtrafinanzierungen neben den DRGund Zuschlägen. Wichtig ist, dass dieseSonderfinanzierungen betriebsnah undschnell vereinbart werden können.

Episodensplitting und die multimoda-len Therapien Schwerstkranker

Wesentliches Kennzeichen der DRG-Sy-steme ist die Beschränkung der Abrech-nung pro KH-Aufenthalt auf eine, undnur eine DRG. Maßgebliche Hauptdia-gnose soll die für die Aufnahme relevan-te diagnostische Erkenntnis sein.

Insbesondere bei schweren, multi-plen und zunächst diagnostisch nichteindeutig klaren Erkrankungen, die inerster Linie in größeren Krankenhäu-sern und vor allem in den Universitäts-kliniken behandelt werden, können Auf-nahmediagnosen später wechseln undTherapien multimodal ausdifferenzie-ren. Dann trifft die Abrechnung überausschließlich eine DRG die Realität derDiagnostik, Therapie und Kostenstruk-tur nicht mehr annähernd.

Bei nicht kostendeckenden Sätzen fürmultimorbide und schwerkranke Patien-ten wächst die Gefahr, dass diese Patien-ten aus ökonomischen Gründen auf diehöchste Versorgungsstufe, d.h. vor allemauf die Universitätskliniken überwiesenwerden. Damit wären die Universitätskli-niken nicht nur kapazitätsmäßig überfor-dert, sondern durch die Massierung nichtkostendeckender Behandlungsfälle auchin ihrem ökonomischen Bestand gefähr-det.Hier ist ebenfalls die Gefahr der miss-bräuchlichen Verwendung des Landeszu-schusses für Forschung und Lehre nichtvon der Hand zu weisen.

Dann haben Auswertungen erge-ben, dass große Krankenhäuser gegen-über kleinen bei der Abrechnung glei-cher Leistungen extrem benachteiligtwerden. So erzielt ein großes Kranken-haus bei der Diagnose Brustkrebs mitden Therapien chirurgisches Entfer-nung des Knotens, Strahlentherapie undChemotherapie in einem Aufenthalt nurdie Hälfte der Erträge, die kleine Kran-kenhäuser ohne eigene Strahlentherapiemit 3 Therapieepisoden an verschiede-nen Häusern erhalten.

Es sind genau definierte Möglichkeitenvorzusehen, die bei mehreren bedeut-samen Diagnosen und verschiedenenparallelen oder sequenziellen Therapi-en die Abrechnung mehrerer DRG proKH-Aufenthalt zulassen. Sinn undZweck des Systems, Fälle pauschal zuvergüten, können auch mit dieser Vari-ante gesichert werden. Die Abbildungs-treue würde erheblich gesteigert.

Gefährdung der ambulanten Versorgung

Das neue Preissystem soll die Kranken-hausfälle nach Zahl und Dauer drastischreduzieren. Ein bedeutsamer Teil vonehemaligen Krankenhauspatienten wirddamit zukünftig ambulant behand-lungsbedürftig. Die parallel zur DRG-Einführung angestrebte Steigerung desambulanten Operierens verstärkt dieseTendenz. Schließlich begründen auchdie intensivierten Bemühungen derKrankenkassen, durch Fehlbelegungs-prüfungen stationäre Behandlungeneinzuschränken, das Anwachsen kom-plementärer ambulanter Behandlungen.

Die Aufgabenübertragung auf denniedergelassenen Bereich wird aller-dings nicht in dem Maße möglich sein,wie Liegezeiten in den Universitätskli-niken durch Nachsorge verkürzt undstationäre durch ambulante Behand-lungen ersetzt werden. Dafür fehlen beiden schweren, seltenen oder komplexenKrankheiten im ambulanten Bereichdie Voraussetzungen, die nur die Uni-versitätskliniken bieten können; d. h.die Universitäten müssen faktisch mitihren Polikliniken und Spezialambu-lanzen für die Behandlungsfälle einste-hen, die im ambulanten Bereich nichtversorgt werden können. Daraus folgt,dass das Finanzierungssystem derHochschulambulanzen insgesamt die-sen Gegebenheiten anzupassen ist. Bis-her sind alleine die Polikliniken in demfür Forschung und Lehre erforderli-chen Umfang zur ambulanten ärztli-chen Versorgung zugelassen, allerdingsauch in diesem Bereich nicht ausrei-chend finanziert.

Spezialambulanzen insbesonderean den Universitätskliniken habenschon in der Vergangenheit praktischzum Nulltarif entgegen den gesetzli-chen Fiktionen die moderne Versor-gung der Bevölkerung sichergestellt.Nicht niedergelassene Vertragsärztesondern die Spezialambulanzen derUniversitätskliniken haben sich z. B. inder Kinderheilkunde, Dermatologie, beiTransplantationen, bei der Nachsorgevon Defibrillatorimplantationen undHochdosischemotherapien sowie in derRadioonkologie um die ambulante Ver-sorgung dieser Patienten gekümmert.Hierfür sind Millionen von DM überJahre aufgewandt worden, ohne dassdas deutsche Gesundheitswesen hierfür

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je eine rechtlich adäquate Zulassungs-und Finanzierungsregelung bereit ge-stellt hätte.

Bisher sind solche Konstellationenvor allem durch die missbräuchliche In-anspruchnahme universitärer Poliklini-ken aufgefangen worden. Es muss be-fürchtet werden, dass ohne gesetzlicheKorrekturen diese Entwicklung mit Ein-führung des DRG-Systems zunehmenwird und entsprechende Defizite aus derambulanten ärztlichen Versorgung zweck-widrig über den Landeszuschuss für For-schung und Lehre ausgeglichen werden.

Um nicht in wirtschaftliche Schief-lagen zu geraten, müssen daher ambu-lante Krankenbehandlungen für dieUniversitätskliniken umfassend ermög-licht und ausreichend finanziert werden.Die derzeit geltenden Poliklinikregelun-gen stellen dies nicht annähernd sicher.

Es ist deshalb zwangsläufig im Rah-men der Ergänzungsgesetzgebungzum DRG-System auch die Zulassungund angemessene Finanzierung vonambulanten Behandlungen durch dieUniversitätskliniken vorzusehen. Ent-sprechend dem Beschluss des Bundes-rates vom 14.09.1999 (Drs. 454/1/99)sind die Zulassung und Finanzierungdirekt über die Krankenkassen undnicht länger über die KassenärztlichenVereinigungen zu regeln.

Gefährdung von Forschung und Lehre

Die Hochschulambulanzen der Univer-sitätskliniken haben eine zentrale Auf-gabe für die medizinische Forschung,insbesondere für eine fundierte Ent-wicklung von Leitlinien, auf der Basisvalider Diagnostik- und Therapiestudi-en, eine ergebnisorientierte Technolo-giebewertung und damit eine Weiterent-wicklung der Medizin. Zugleich sind dieHochschulambulanzen der Universitäts-kliniken für eine qualifizierte umfassen-de Ausbildung der Studierenden not-wendig. Für diese beiden zentralen Auf-gaben sind die Hochschulambulanzenauf ausreichende Patientenzahlen und –insbesondere hinsichtlich der For-schung – den Zugang zum gesamtenKrankheitsartenspektrum angewiesen.

Durch die Einführung des deut-schen DRG-Systems und die damit ein-hergehende Gefahr der verstärkten fi-nanziellen Unterdeckung der ambulan-ten und stationären Krankenversorgung

in den Universitätskliniken kann es da-zu kommen, dass Patienten, wenn sienicht – wie bisher – zu Lasten der Zu-schussmittel für Forschung und Lehreuntersucht und behandelt werden, demniedergelassenen Bereich zugewiesenwerden und damit für Forschung undLehre nicht mehr zur Verfügung stehen.In der Konsequenz würden der klini-schen Forschung, die ganz überwiegendan den Universitätskliniken stattfindet,wesentliche Krankheitsbereiche entzo-gen. Dies konterkariert die von verschie-denen Forschungsförderern (insbeson-dere DFG) angestrebte Verbesserung derRahmenbedingungen für die klinischeForschung und die medizinische Ausbil-dung massiv.

Gefährdungen durch unange-messene Einführungsverfahren

DRG-Fallkatalog

Bis Ende 2001 soll der DRG-Katalog vonden Selbstverwaltungsparteien festge-setzt werden.Außer Übersetzungsarbei-ten ist aber weder von den Kassen nochvon der DKG nur ansatzweise der Ver-such unternommen worden, den austra-lischen Katalog von 661 DRG zu überar-beiten und auf das medizinische Lei-stungsspektrum in Deutschland anzu-passen. Hierzu wäre ein intensiver Dis-kussionsprozess mit den medizinischenFachgesellschaften angezeigt.

Die Universitätskliniken dürften un-ter diesen Unterlassungen am meisten zuleiden haben, da nach allen Erkenntnis-sen im australischen System bestimmteAspekte der Hochleistungsmedizin nichtin dem erforderlichen Ausmaß abgebil-det werden. Es muss damit gerechnetwerden, dass die Akzeptanz bei den Me-dizinern damit gefährdet ist.Erfahrungs-gemäß werden diese Proteste erst dannvorgetragen,wenn die Mediziner die tat-sächlichen und praktischen Auswirkun-gen konkret übersehen.

Es ist deshalb zu fordern, dass einerechtzeitige medizinisch-fachlicheÜberarbeitung des australischen DRG-Katalogs (Bestätigungen, Änderun-gen, Streichungen, Ergänzungen) zurzwingenden Voraussetzung der Ein-führung des neuen Systems in Deutsch-land gemacht wird. Dies kann nur imDialog mit den Fachgesellschaften er-folgreich vorgenommen werden. Falls

die Selbstverwaltung diese Koordina-tionsaufgabe nicht erfolgreich zu Er-gebnissen bringen kann, ist eine Er-satzvornahme durch den BMG vorzu-sehen.

Test- und Probeläufe

Die Einführung des DRG-Systems alsPreis- und Finanzierungssystem istzwingend gesetzlich vorgegeben, ob-wohl niemand bis auf weiteres die tat-sächlichen, insbesondere finanziellenAuswirkungen für das deutsche Kran-kenhauswesen und einzelne Kranken-häuser nur annähernd abschätzen kann.Spekulationen in den gegenwärtigenDiskussionen schließen Ertragseinbrü-che von 10–30% und mehr nicht aus.Dies würde einzelne Krankenhäuseroder ganze Gruppen von Krankenhäu-sern in ihrer Existenz gefährden. Es istausgeschlossen, dass derartige Effekteohne soziale Spannungen und Protesteablaufen werden.

Für die Universitätskliniken sinddie finanziellen Auswirkungen maßgeb-lich davon abhängig, ob ihr besonderesLeistungsspektrum sowohl in den Klas-sifikationen wie bei der Kostenermitt-lung zum Ausdruck kommen.

Es ist zwingend, dass in der Konver-genzphase begleitende Begutachtun-gen vorgesehen werden, von deren Er-gebnis der Ablauf und die Gestaltungder weiteren Einführung abhängig ge-macht werden. Dies war in allen Län-dern üblich, die bisher DRG-Systemeeingeführt haben.

Ausschließliche Krankenhausfinanzierung über DRG

Das Gesundheitsstrukturgesetz 2000sieht vor, künftig alle Krankenhauslei-stungen allein über das DRG-System zufinanzieren.

Problematisch ist allerdings derweltweit einzigartige, perfektionistischeAnspruch, ausschließlich über höch-stens 800 DRG und die zulässigen Zu-und Abschläge die Finanzierung allerLeistungen zu realisieren. Andere Fi-nanzzuweisungen neben den DRG sindunzulässig. Da sowohl die DRG wie dieZu- und Abschläge bundesweit festge-legt werden, entfällt jeglicher Spielraumfür betriebsnahe Finanzverhandlungen.Erstmalig auf der Welt wird in Deutsch-

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land der Versuch unternommen, eineausschließliche Finanzierung allerKrankenhausleistungen über DRG zurealisieren. Dies ist bisher in keinem an-deren Land geltende Praxis. Gerade inAustralien wird das DRG-System wederindirekt und unmittelbar noch maßgeb-lich für die Finanzierung der Leistungeneingesetzt, wie inzwischen verschiedeneStudien und Gutachten nachdrücklichoffen legen.

Deshalb haben renommierte Groß-krankenhäuser aus dem gesamten Bun-desgebiet in der „Karlsruher Erklä-rung“ eine Ergänzung des DRG-Sy-stems für notwendig erachtet und eineweitere, „sekundäre“ Finanzierungs-schiene für Krankenhausleistungen ge-fordert. Auch und gerade in den Uni-versitätskliniken gibt es einen beson-ders bedeutsamen Leistungsanteil, dernicht adäquat und angemessen überDRG erfasst und abgerechnet werdenkann. Es handelt sich dabei sowohl umseltene Krankheitsbilder wie um mo-derne Diagnostikverfahren und inno-vative Therapien bei bisher medizi-nisch nur unzureichend beherrschba-ren Erkrankungen.

So werden z. B. weite Teile der mo-dernen Krebsdiagnostik sowie interni-stischen und radioonkologischen The-rapien von soliden und systemischenTumorerkrankungen ebenso unzurei-chend erfasst und preismäßig ausge-drückt wie etwa diabetologische Er-krankungen. Hier sind Massenerkran-kungen von den Leistungsmängeln desDRG-Systems betroffen. Unterfinanzie-rungen der bisherigen Standardleistun-gen der Krankenhäuser wegen des neu-en Preissystems müssen zwangsläufigVerschlechterungen und inadäquate Be-handlungen der Patienten wegen desneuen Abrechnungssystems zur Folgehaben.

Es sind deshalb neben den DRG sowieden Zu- und Abschlägen dritte Finan-zierungsquellen (z. B. örtlich-betriebli-che Strukturfonds) durch Gesetzesän-derungen vorzusehen.

Mengensteuerung/Budgetierung

Bisher sind alle wesentlichen Fragender Einbettung des neuen Preissystemsin das sozialrechtliche und kranken-hausfinanzierungsrechtliche Rahmen-gefüge ungeklärt. Je nach Ausgestaltung

der unabweisbar erforderlichen Men-gensteuerungen und Budgetierungenergeben sich unterschiedliche Preisty-pen (Fest-, Richt- oder Höchstpreise).Damit fehlen Orientierungen für denBewirtschaftungsrahmen der Kranken-häuser.

Die entsprechenden Novellen vonSGB V, KHG und BPflVO sollen bis Ende2001 erfolgen. Sie sind zustimmungs-pflichtig durch den Bundesrat. DiesesVerfahren sollte unbedingt genutztwerden, um die Belange der Universi-tätskliniken einzubringen.

Zeitplan

Nach internationalen Erfahrungen wirdfür die Einführung eines nationalenDRG-Systems ein Zeitraum von fünf bisacht Jahren benötigt, wenn die Umstel-lung durch leistungsfähige, eingearbei-tete Institute und eine professionelle,hauptamtliche Projektsteuerung unter-stützt wird.

In Deutschland hat der Gesetzgeberim Dezember 1999 den Umstieg be-schlossen und der Selbstverwaltung vor-gegeben, das System bis Anfang 2003lauffähig installiert zu haben.

Derzeit ist die Einführung desDRG-Systems in Deutschland zeitlichin Verzug. Es fehlen die Übersetzungender Kataloge und der Kodierrichtlini-en. Letztere müssen zudem überarbei-tet und angepasst werden. Die allge-meinen Kodierrichtlinien liegen umMonate verspätet demnächst vor. Mitder Bearbeitung der um ein Vielfachesumfangreicheren speziellen Kodier-richtlinien wird jetzt erst begonnen.Die kritische Revision des DRG-Kata-logs wird bisher überhaupt nicht ange-gangen. Die Einigung über das Kosten-ermittlungschema ist zwischen denSelbstverwaltungsparteien strittig undseit Wochen überfällig. Damit sind allewesentlichen Vorarbeiten, die für 2001vorgesehen waren, außerhalb des Zeit-plans, und es ist nicht abzusehen, wanndiese abschließend erledigt werdenkönnen. Eine praktische Umsetzung bis2003 ist daher unmöglich.

Unter Fachleuten und Praktikernzeichnet sich deshalb inzwischen einerealistischere Einschätzung ab, wie dieEinführung tatsächlich strukturiertund zeitlich dimensioniert werdensollte:

◗ Starttermin (Gesetz: 2003)◗ Budgetneutrale Phase (Gesetz: 1 Jahr

in 2003)◗ Konvergenzphase (Gesetz: keine

Regelung).

Zum Starttermin müssten alle Instru-mente vorliegen, um das Leistungsge-schehen im Krankenhaus nach demneuen System klassifizieren und doku-mentieren zu können.

Die budgetneutrale Phase ist so zubemessen, dass ergänzend die für dieKosten- und Preisermittlung erforderli-chen Daten komplett vorliegen undmindestens für ein volles Jahr das rele-vante Datenmaterial erhoben werdenkonnte, um das Leistungsgeschehen desKrankenhauses nach dem neuen Systemdarzustellen und die Auswirkungen imUnterschied zum gegenwärtigen Systemauch finanziell aufzubereiten. Erst dannkann die Konvergenzphase anlaufen, inder gestuft die Finanzierung komplettauf das neue System umgestellt werdenkann.

In diese Richtung gehende Überle-gungen von BMG, DKG, BÄK und VKD,die Scharfstellung des neuen DRG-Sy-stems von Anfang 2005 auf Anfang2007 zu verschieben, werden nachhal-tig unterstützt. Es sollte zudem ge-prüft werden, ob angesichts der einge-tretenen Verzögerungen bei der tech-nischen Systemeinführung der Start-termin besser auf Anfang 2004 oder2005 verlegt wird, und die Bedingun-gen für die Dauer der „budgetneutra-len Phase“ an genaue sachliche Vor-aussetzungen geknüpft werden.

Fazit

Die vorangestellte Argumentation zeigt,dass sich mit dem derzeitigen Konzept fürdie Einführung der DRG’s eine ganze Reihevon inhaltlichen Problemen für Kranken-häuser der Maximalversorgung, insbeson-dere für die Hochschulmedizin prognosti-zieren lassen, die zu einer Gefährdung derQualität von Forschung und Lehre inDeutschland führen können. Darüber hin-aus lassen die mit den derzeit vorgesehe-nen Verfahrensschritten verbundenen Pro-bleme, die sich bereits abzeichnen, daranzweifeln, dass der ursprüngliche „Fahr-plan“ zur Einführung der DRGs eingehal-ten werden kann.

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