umlaut 10 (auszug)
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umlaut 10, erschienen september 2011TRANSCRIPT
AUSGABE 10 HEFT ZWEI 2011 JAHRGANG 04 ISSN 1866-9816 ISBN 978-3-941570-02-3 DOPLPACK VERLAG 7,00 EUR
FOTOGRAFIE LITERATUR STREETART MALEREI COMICS ZEITGENÖSSISCHE KUNST
JONAS BURGERT, BERLIN
PAUL CURTIS, LEEDS
PAULA FÜRSTENBERG, POTSDAM
XENIJA WAGNER, BERLIN
PETER FUNCH, NEW YORK
oben ohne
fragile weltFOTOKUNST VON ANKE SCHAFFELHUBER
growth built on sand
AUSGABE 10 HEFT ZWEI 2011 JAHRGANG 04 UM[LAUT] JUNGE KUNST. POLITISCHE KUNST. MINDESTENS. 49
mystik
BARBARA RAPP, *1972 IN KLAGENFURT, LEBT IN VELDEN AM WÖRTHERSEE/ÖSTERREICH, ARBEITET IN ÖSTERREICH UND IN DEUTSCHLAND.
DIVERSE AUSSTELLUNGEN, U.A. IN DER GALERIE AM GIERKEPLATZ, 2009, BERLIN, UND IM KOSMOSTHEATER, 2011, WIEN. KAISERSWERTHER
KUNSTPREIS, 2011, DÜSSELDORF.
> BARBARA-RAPP.COM
VON KATJA KULIN
Die Gesichtsfarbe der Mona Lisa habe ich kei-
neswegs als so gesund in Erinnerung. Niemals
zartrosa ist sie gewesen, vorletztes Jahr im Louvre.
Jetzt schon. Außerdem fehlt ihr der Unterkiefer.
Das hindert die Vorbeigehenden aber nicht, oh und
ah und ach und schau zu sagen. Und auch nicht,
teils stehenzubleiben und Münzen in die umge-
drehte Mütze zu werfen. Keine Baskenmütze. Bloß
eine Baseballkappe, speckig und zerknautscht.
Daneben auf Knien der vermeintliche Künstler in
dreckschillernden Hosen und Polyesterpollunder,
eifrig das Pflaster bearbeitend, um die Gioconda
weiter zu verunstalten.
Hier tun die Bettler und Obdachlosen noch etwas
für ihr Geld. Malen, spielen Flöte, lassen ihre
Köter Kunststücke vorführen, sagen danke und
wünschen einem einen schönen Tag. Sie verbergen
die rohe Nacktheit ihres Elends noch unter einem
Minimum an Würde. Wie es mich befremdet hat, in
den Metropolen zu sehen, wie sie nachts in jedem
Geschäftseingang in Schlafsäcke gehüllt liegen, al-
lein oder zu mehreren, und sich ungeniert präsen-
tieren, während am Straßenrand die Limousinen
halten! Hier verschwinden die Obdachlosen nachts
noch von der Straße, es gibt Unterkünfte, Heime,
manche von ihnen sind gewiss gar nicht obdach-
los, sondern gehen abends in ihre Wohnungen und
zählen ihr Geld oder das, was nach dem Besuch im
Penny davon übrig geblieben ist.
Ich schaue mir die Straßenkreiden an, zu denen
der Mann immer wieder greift. Zwölf verschiede-
ne. Keine dabei, die dem fahlen, leicht grünlichen
Olivton der Mona-Lisa-Haut gleicht. Und falls
man Kreiden mischen kann, so ist dieser Kerl hier
offensichtlich nicht in der Lage dazu. Innerlich
schüttle ich den Kopf. Was das Leben mich gelehrt
hat: Wenn, dann auch richtig. Und Finger weg von
dem, was man nicht kann.
fließbilder
Womöglich hat er schon länger kein Geld mehr
klimpern hören, denn jetzt schaut der Mann auf,
sieht in die Runde, Beifall heischend. Einige
können dem Blick nicht standhalten und greifen
prompt in ihre Taschen. Ich ernte ein Augenzwin-
kern und ein breites, grünschwarzes Zahnlücken-
lächeln.
Na, sieht dat nich schön aus?, fragt er.
Endlich erinnere ich mich daran, dass ich Caffè
Latte und Bagels für mich und zwei Kollegen holen
will und gehe weiter zum Starbucks.
Auf dem Rückweg zehn Minuten später laufe
ich rasch und ohne einen weiteren Blick an dem
Pflasterbild vorbei, jedoch immer noch erfüllt von
dem Unbehagen, das mich seit dem Ruinenlächeln
ergriffen hat. Bevor ich wieder die Bank betrete,
prüfe ich den korrekten Sitz meiner Krawatte
in der leicht getönten Scheibe der Eingangstür.
Immer noch perfekt.
Während des restlichen Arbeitstages denke ich im-
mer wieder an den Maler, weil ich versuche, nicht
an ihn zu denken. Ich kann ihn durch die komplett
verglaste Vorderfront sehen, wenn ich von meinem
Schreibtisch aufblicke. Er malt und malt, macht
Pause, malt, leert seine Mütze, trinkt einen Kaffee,
den ihm ein Passant gebracht hat — Rührung im
Gesicht tragend angesichts seiner Güte — ver-
schwindet kurz, malt, leert seine Mütze, malt.
Warum hat er sich den Platz genau vor unserer
Filiale aussuchen müssen?
Als meine Arbeitszeit herum ist, ist er immer noch
da. Die oh und ah und ach und schau sagenden
Menschen haben zum hundertsten Mal gewech-
selt, sind aber ebenfalls da. Die Mona Lisa hat
immer noch rosafarbene Haut, aber nun mit Un-
terkiefer. Das Lächeln ist mehr als nur angedeutet,
doch davon und von der falschen Farbe abgesehen,
ist das fast fertige Bild doch recht gut geworden.
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memory lane
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»jeder von uns besitzt eine in ho-
hem maße individuelle innere welt,
ist aber untrennbar mit der masse
verbunden. es wirkt beängstigend,
wenn die fantasien und eigentüm-
lichkeiten eines einzelnen sichtbar
werden.«
jonas burgert
diese seite:
sand brennt blatt, 2010
240 x 240 cm
öl auf leinwand
photocredit: lepkowski studios
seite 38
staub, stolz und nichts, 2007
300 x 440 cm
öl auf leinwand
photocredit: lepkowski studios
seite 37:
kleiner täter, 2007
260 x 230 cm
öl auf leinwand
photocredit: lepkowski studios
VON GEORG RAAB
Die Stille greift mich wieder an.
Ich stehe am Nordfenster.
Das Haus ist leer, die Schatten lang.
Eine tiefe Sonne erleuchtet dunkle Nischen.
Nur wer sich tot stellt,
wird zu einem Möbelstück.
Ich schleiche zum Ostfenster hin:
Alles an seinem Platz.
Tiefgefror`n, seit Jahren schon.
Vater hängt an der Wand,
Mutter steht in der Ecke,
Essen schmeckt auswendig.
Auch am Südfenster das gleiche Bild.
Ich schaue, soweit ich kann —
nichts passiert, keine Explosion.
Eine ganze Siedlung unter ner Käseglocke.
Vom prallen Leben fest abgeschirmt.
Dieses Viertel ist nicht nur mausetot —
nein, amselhundezierteichgoldfischtot !
Ich reiße das letzte Fenster auf:
Veraltete 3D-Bilder, sonst nichts.
Das Wetter kommt stets von rechts.
Nicht ein Ozeanriese im Vorgarten.
Und kein Entführer weit und breit.
Hau doch selber ab!
Mutlos bleibe ich lieber hier.
Rede mir faule Ausreden ein.
Der letzte Sittich entflieht diesem Käfig
durch das weit ausladende Westfenster.
Ich bin eine Schnecke,
die ihr Haus nie verlässt.
Sie verkriecht sich
wie gelähmt im Kreis.
Ihr müder Blick springt
von Vertrautem zu Allzuvertrautem.
Nichts Neues, nirgends.
Überall immerzu dasselbe.
Ich schließe rasch beide Augen —
da springt mich die Stille erneut von allen Seiten an.
GEORG RAAB, *1968 IN KARLSRUHE, LEBT IN KÖLN. STUDIUM DER BILDENDEN KUNST AN DER FREIEN AKADEMIE RHEIN-NECKAR, MANNHEIM. ARBEITET ALS
MIxED-MEDIA-KÜNSTLER, ZAHLREICHE AUSSTELLUNGEN IM IN- UND AUSLAND. BISHERIGE VERÖFFENTLICHLICHUNGEN IN reinschrift bd. 2 kölner antho-
logie, VAN-AAKEN-VERLAG, 2007, SOWIE ROMAN wasting the big apple — 87 tage in new york, VAN-AAKEN VERLAG, 2010, 2. AUFLAGE ROMAN VERLAG,
2011.
> GEORGRAAB.DE
aussichtsloser nachmittag
prototypesFOTOKUNST VON PATRICK STRAT TNER
la somme de l‘oxygène dans une cabine téléphonique, 2008
hovering grocery shopping assistant
with leather hand lead
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portable sweaty armpit
t-shirt dryer
»in unserer konsumgesellschaft
werden immer neue, zum teil
nachgerade absurde produkte ent-
worfen, die zum fantasieren über
den möglichen zugewinn an
lebensqualität einladen. einlösen
kann diese hochliegenden er-
wartungen das produkt meist nicht
— so auch bei meinen prototypen.«
patrick strattner
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reverse graffitiSTREETART VON PAUL CURTIS (MOOSE)
»clean art. it‘s refacing not defacing. just
restoring a surface to its original state. it‘s a
cold realization that the world is really, really
dirty. and it‘s very temporary. it glows and it
twinkles, and then it fades way. «
paul curtis (moose)
keine einzeltitel
[ VERTIGO ]
GALERIE STEPHAN STUMPFGALERIE FÜR GEGENWARTSKUNST – CONTEMPORARY ART
Schweigerstr. 8 . 81541 München . Do-Sa 14.30 -19.30 Uhr . www.galerie-stephanstumpf.com . [email protected]
FRANK KRÜGER15. SEPTEMBER - 23. OKTOBER