Über veränderungen im zentralnervensystem bei der tetania parathyreoipriva

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Ober Veranderungen im Zentralnervensystem bei der Tetania parathyreoipriva.' Von Holger M68llgaard. (Aus dem physiologischen Laboratorium der k6nigl. tierarztlichen und landwirt- schaftlichen Hochschule in Kopenhagen.) Das hervortretende Charakteristikum der Te t a n ia para t h y r eoi- p ri va sind bekanntlich die fibrilken Zuckungen der quergestreiften Muskulatur. Schon lange bekannt ist auch, daB sich diese fibrilliiren Zuckungen im tetanischen Anfall zu starkeli klonischen Kriimpfen steigern, und daB auf der Hohe des Anfalles eine tonische Starre des ganzen Korpers eintreteo kann. Diese Symptome deuten ja alle darauf hin, daB jedenfalls ein sehr wesentliches Moment der Pathologie der parathyreoipriven Tetanie in einem Leiden des Nervenmuskelsystems besteht. Schon friih in der Forschung iiber die Herkunft der thyreriprieven Krankheiten, bevor die Erkenntnis der Tetanie als einer Folge des Epithelkorperchenausfalles erreicht war, haben sich daher viele Forscher bemiiht, Veranderungen im Nervenmuskelsystem 'nachzuwetaen, und wenn moglich, die niihere Lokalisation dieser Vednderungen ausfindig zu machen. Zu diesem Zwecke haben die Forscher zwei verschiedene Wege eingeschlagen , indem sie das Problem teils durch histologische nnd teilv du-ich experimentel-phjsiologische Untersuchungen der tetanischen Tiere zu losen suchten Die histologischen Untersuchungen haben sich wesentlich mit dem Nenensystem beschiftigt, die experimentell- physiologischen auch mit der Muskulatur. 1 Der 'Redaktion am 30. Juni 1912 zugegangen. Bkandin. Arobiv. XXVIII. 5

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Ober Veranderungen im Zentralnervensystem bei der Tetania parathyreoipriva.'

Von

Holger M68llgaard. (Aus dem physiologischen Laboratorium der k6nigl. tierarztlichen und landwirt-

schaftlichen Hochschule in Kopenhagen.)

Das hervortretende Charakteristikum der Te t a n ia para t h y r eoi- p r i va sind bekanntlich die fibrilken Zuckungen der quergestreiften Muskulatur. Schon lange bekannt ist auch, daB sich diese fibrilliiren Zuckungen im tetanischen Anfall zu starkeli klonischen Kriimpfen steigern, und daB auf der Hohe des Anfalles eine tonische Starre des ganzen Korpers eintreteo kann.

Diese Symptome deuten ja alle darauf hin, daB jedenfalls ein sehr wesentliches Moment der Pathologie der parathyreoipriven Tetanie in einem Leiden des Nervenmuskelsystems besteht.

Schon friih in der Forschung iiber die Herkunft der thyreriprieven Krankheiten, bevor die Erkenntnis der Tetanie als einer Folge des Epithelkorperchenausfalles erreicht war, haben sich daher viele Forscher bemiiht, Veranderungen im Nervenmuskelsystem 'nachzuwetaen, und wenn moglich, die niihere Lokalisation dieser Vednderungen ausfindig zu machen.

Zu diesem Zwecke haben die Forscher zwei verschiedene Wege eingeschlagen , indem sie das Problem teils durch histologische nnd teilv du-ich experimentel-phjsiologische Untersuchungen der tetanischen Tiere zu losen suchten

Die histologischen Untersuchungen haben sich wesentlich mit dem Nenensystem beschiftigt, die experimentell- physiologischen auch mit der Muskulatur.

1 Der 'Redaktion am 30. Juni 1912 zugegangen. Bkandin. Arobiv. XXVIII. 5

66 HOLGER NOLLGAARD :

Da nun die in dieser Abhandlung zu besprechenden T’ersuchs- resultate allein durch mikrosliopische Untersuchung gewonnen sind, halte ich es nicht fur zmeckmafiig, eine eingehende Darstellung der gemachten experimentell- physiologischen Experimente zu geben, ins- bcsondere da diese iiberhaupt in keinem Zusammenhang mit meinen Untersuchungen stehen.

Ich will daher nur hervorheben, daB aus den gesamten Unter- suchungen von Horsley, Lsnz , E a l t a , R u d i n g e r , Biedl, Mac C a l l u m u. a. mit Sicherheit heroorgeht, daI3 die M u s k u l a t u r bei der Tetanie keineswegs i n Mi t le idenschaf t pezogen ist. Nach Durchschneidung eines Nerven hiiren die fibrilliiren Zuckungen und die Krampfe in der en tsprechenden Nuskulatur oollliommen auf. Eine direkte Affektion der Muskulatur liegt also nicht For.

Die lirankhaften Veranderungen, welche den tetanischen Symptomen entsprechen, miissen daher im Neroensystem gesucht werden.

Durch die physiologischen Untersuchungen ist gesichert, daB dieses im ganzen bei der Tetanie stark erregbar ist, und es ist wahrscheinlich gemacht, daB nicht bloB das Ruckenmark, sondern auch die hoheren Hirnteile in Mitleidenschaft gezogen sind.

Ober die nrihere Lokalisation, noch minder uber die Natur der tetanischen Veranderung geben die physiologischen Untersuchungen keine Auskunft. Vielleicht ist es wohl auch unmoglich, diese .Prage ohne Zuhilfenahme irgendeiner histologischen Untersuchungsmethode zu beantworten.

Wir wollen daher nun nlher die Errungenschaften der histo- logischen Untersuchungen vom Nervensystem der tetanischen Tiere be- trachten,

K a p i t e l I. Frihere histologische Untersuchungen vom Nervensystem der

tetanischen Tiere. Die ersten Aogaben uber Verandernngen im Nervensystem von

Tieren, welche an der Tetanie gestorben waren, sind, soweit mir bekannt, die von Sanqui r ico u n d Canal is (1884) (1).

An Tieren, melche an den Folgen der t o t a l e n Thyreoi -para- t h y r e o i d e k t o m i e gestorben vvaren, fanden diese Forscher A n a m i e der weiBen sowie der grauen Substanz des Gehirns, und einen mehr oder minder ousgesprochenen odematiisen Zus tand im Gehirn.

Die erste ausfuhrliche Arbeit auf diesen Gebieten riihrt inzwischen von Rogowitsch her (1886) (2).

VERANDERUNGEN IM ZENTRALNERVENSYSTEN usw. 67

An Hunden und Katzen fand Rogomitsch nach to ta le r T h y r e o i - dektomie Veranderungen im Zentralnervensystem, namentlich im GroB- h i r n und in der Nedulla oblongata. Es trat bei den operierten Tieren eine ,,Encephalomjelitis parenchymatosa" auf. Die Ganglienzellen gingen durch Kernschwund, Yakuolisation und Zerfall ihres Protoplasmas zugrunde und das Hirngewebe wurde von Rundzellen infiltriert. AuBer- dem wurde Schwellung von Achsenzylinder und Dendriten observiert. Nach Zitaten mehrerer Forscher (d e Q u e r v a i n, I( o p p , S w a 1 e V i n c e n t u. a,) sollen A l b e r t i n i u n d Tizzoni (1886) (3) ungefahr die- selben Resultate gewonnen haben: I m GroBhirn Infiltration ron Leuko- zyten in den perizellularen Lylnphspalten und Destruktion von Ganglien- zellen insbesondere der kleineren Art. In der Nedulla oblongats wurden an verschiedenen Stellen Hamorrhagien gefunden, im Rucken- mark, Kleinhirn und in der Brucke dagegen keine pathologischen Ver- anderungen. In den peripheren Nerven wurde Schwellung und Zugrunde- gehen der Achsenzylinder mit Zunahme des Bindegewebes gefunden. Ahn- liche Verhaltnisse fand Lowenthal . Im Gegensatz hierzu hat F u h r (4) (1886) auBer Anjmie des Gehirns kein e Veranderungen im Zentral- nervensystem nach Thyreoidektomie gefunden.

Dagegen hat Autokra tow (1888) im ganzen Veranderungen der- selben Art wie die von Rogowitsch beschriebenen gefunden, aber hauptsachlich im Ri ickenmark der thyreoipriven Tiere.

In demselben Jahre veroffentlichte nun S c h w a r t z (5) in seinen experimentellen Forschungen iiber die Exst.irpation der Schilddriise, Untersuchungen des Zentralnervensystems in einem Falle der experi- mentellen Tetanie beim Hunde. Die Untersuchungen aber gaben ein ganz negatives Resultat. Weder an den Ganglienzellen noch an den Achsenzylindern konnte er irgendwelche der von Rogowitsch, Auto- kratom und A1 b e r t i n i und Tizzoni beschriebenen Verlnderungen konstatieren. Einige zirkumskripte Haufen von Rundzellen fanden sich in der Pia des oberen Halsmarkes; auBerdem waren Medulla oblon- gata und Ruckenmark durchaus normal.

Denselben Erfolg hatte Hofmeister (6) an Kttninchen, aber wie S c h w a r t z nur in vorlaufigen einzelnen Untersuchungen.

Vassale (7) (1892), der dagegen zahlreiche Untersuchungen uber mogliche pathologisch-anatomische Veriinderungen in den verschiedenen Organen der tetanischen Tiere machte, hatte ebenfalls ein ganz nega- tives Ergebnis. Er fand iiberhaupt keine spezifischen Veranderungen, weder im Zentralnervensystem noch in anderen Organen. Hinsichthh der angegebenen Veranderungen im Nervensystem hegte er die An- schauung, daS die betreffenden Autoren allzuviel Gewioht auf die ge-

5*

68 HOLGER M~LLGAARD :

fundenen Alterationen der Ganglienzellen und Achsenzylinder gelegt hatten, indem die meisten dieser Veranderungen auch normalerweise vorkommen konnten, und sollte man daher nicht vie1 Zutrauen zur Spezifizitat der betreffenden Veranderungen haben.

Auch ware es nach Vassale sehr unwahrscheinlich, daB tief- greifende anatomische Veranderungen der Ganglienzellen als Ursache der t e t an i schen Symptome gefunden werden sollen, wenn man weiB, dab selbst die furchtbarsten Bymptome durch Behandlung mit Schild- driisenextrakt entfernt werden konnen, und das Tier unter Umstanden d a m vollig genesen kann.

Vassale schlieBt sich daher Tizzonis in einer spateren Ab- handlung [Tizzoni et Centanni (S)] ausgesprochener Meinung an, daB die Veranderungen der Neroenzellen, welche den tetanischen Sym- ptomen entsprechen, dergestalt waren, daB die Methodik, welche uns zur Verfugung steht, nicht geniigt, um sie zu entdecken.

In demselben Jahre (1892) hat nun Kopp (9) Untersuchungen iiber das Zentralnervensystem, die peripherischen Nerven und die Mus- kulatur zweier tetanischer Tiere veroffentlicht.

An verschiedenen Stellen der per ipherischen Nerven fand Kopp unter den1 Perineurium groBe pathologische Zellenelemente, die mit den von Langhans (10) beim Kretinismus und bei der Cachexia strumi- priva beschriebenen ,,Blaseniellen" iden tisch maren. Es waren groBe mehrkammerige Zellen mit geringem Protoplasma und homogenem In- halt in den Kammern. An einigen Stellen waren mehrere Blasenzellen, an anderen nur eine einzige vorhanden.

Kopp meint doch nicht, daB diese Erscheinung sich als patho- genetischer Fakt'or der Tetanie deuten 15ist, sondern vielmehr nur als ein Glied in den allgemeinen pathologischen Prozessen , welche der totalen Thyreoidektomie folgen, anzusehen ist.

In den Mwkeln der Tiere fand er stellenweise Degeneration der Muskelelemente mit Anhiiufung von Zellenelementen , Bindegembe und GefaBen.

Im Zentralnervensystem fand er dagegen nicht wie Rogowitsch Rnndzelleninfiltratioo, auch keine anderen Verinderungen der Zellen in der Hirnrinde, als die gemeiniglich nach Fixation mit Miillerscher Fliissigkeit vorkommenden.

Wiederum bestltigt er Rogowitschs Befund der geschwollenen Achsenzgl inder sowohl in der Medulla oblongata als im Riickenmark, dagegen nicht im GroBhirn. Kopp glaubt nicht, daB es sich bei den erwahnten Veranderungen urn kadaverose Alterationen des Gemebes handeln konnte. Doch gibt er selbst an, daB das Material zu den

VERAXDERUNGEN IM ZENTRALNERVENSYSTEM usw. 69

Zintersuchungen iiber ein Jahr in toto in Miillerscher Flussigkeit auf- bewahrt wurde, ehe es zur Untersuchung weitere Praparationen erlitt.

Marinesco (11) und Blocq (1892) verwerfen nun ganz die An- schauung, welche Kopp und Langhans iiber die Bedeutung der ,,Blasenzellen" hegten. Sie verneinen, da6 die beschriebenen Elemente iiberhaupt Zellen seien, sondern ,,tubes nerveux profondement rnodifi6sci, d. h. Produkte, welche durch Umbildung von Nervenfaden gebildet werden und auch unter normalen Verhaltnissen vorkommen. Sie konnen daher keineswegs als eiri Spezifikum irgendwelcher Krankheit angesehen merden.

TVie Vassale uud Tizzoni die Veranderungen im Zentralnerven- system verneinen, so tun es nun also Marinesco und Blocq auch hinsichtlich der Kopp-Langhansschen Veranderungen in den peri- pherischen Nerven.

Im nachsten Jahre (1893) wurden nun wieder zwei Abhandlungen mit ganz entgegengesetzten Resultaten veroffentlicht, die eine von Capobianco, die andere von de Quervain.

Capobianco (12) fand nach totaler Thyreoidektomie im Riicken- mark starke Z ir kula t i o nss t o rung en. Die Hirnhaute waren injiziert, die Venen und Kapillaren stark gefiillt. Mehrere Stellen fibrinahnlichen Exsudatea um die Kapillaren, an anderen Stellen Hamorrhagien, namentlich in der grauen Substanz. Autlerdem fand er in den Ganglienzellen starke Veranderungen, die sich folgenderweise abspielen: Die Zelle wird vaku- olisiert, die Granulationen werden gelost. Zuletzt geht der Kern her- unter und die Zelle verschwindet.. Ein Loch bleibt zuruck und hat Form naoh der Zelle. Unter Urnstaninden schwindet der Kern zuerst und es bildet sich ein Loch in der Zelle, welche dann spiiter her- untergeht.

An den Nervenfaden der weiBen Substanz fand er Atrophie und Schwund der Achsenzylinder, rnit linter auch der Markscheiden.

In der Medulla oblongata, im Kleinhirn und im GroShirn fanden sich nach Capobianco hauptsbhlich ganz dieselben Veranderungen sowohl an den Ganglienzellen als an den Nervenfhden. AuSerdem Zirkulationsstorungen im Kleinhirn wie im Riickenmark.

Die spinalen Nerren verhielten sich wie die Nerrenfiiden des Ruckenmarks.

Wie ersichtlich, handelt es sich bei Capobianco um sehr be- stimmte Angaben: Zirkulationsstijrungen mit Hlmorrhagien, wie iibrigens Albert ini und Tizzoni fruher gefunden haben, und Degene- ration mit totalem Schwund der Ganglienzellen. Capobianco meint daher auch, da6 hier iiberhaupt keine Rede von Iiunstprodukten

70 HOLGEH MOLLGAARD :

sein kann und betrnchtet die gefundenen Verinderungen als Folgen einer Vergiftung des Neryensgstems, welche Vergiftung eben als die Ursache des Todes der thyreoipriyen Tiere angesehen werden muB.

Sichtsdestoweniger ist de Quervain (13) zu ganz entgegengesetzten Ergebnissen gekommen.

Dieser Forscher untersuchte das Bentralnervensystem von Tieren, welche an der Tetanie gestorben oder an vmchiedenen Stadien der schweren Krankheit getotet waren. Das Kesultat der Untersuchungen wurde in Kurze folgendes: Weder im Ruckenmark, noch in der Medulla oblongata, im Kleinhirn oder im GroBhirn fanden sich andere Zellen- bilder als die unter normalen Verhiltnissen bei ganz gesunden Tieren vorkommenden: VergroBerung der perizellularen Riiume, Vakuolisierung der Zellen, Auflijsung der Granulationen, Veranderung am Kern, alles dieses kommt nach Querva in an ,normalen Tieren vor.

An den Achsenzjlindern wurde Schwellung geringen Grades be- obachtet, aber nicht mehr als unter normalen Verhaltnissen.

Dagegen gibt Querva in an, daB die Markscheiden stark ge- schwollen waren. Es fanden sich groBe spindelformige Erweiterungen an ihnen. Der Achsenzylinder lag in der Regel dicht an der einen Wand der Erweiterung und diese enthielt zuweilen kornige, bla8gefarbte Massen, die einem Koagulum iihnlich waren. Querva in hat keine solchen Veranderungen an normalen Tieren gesehen, meint daher, daB es keine Kunstprodukte sintl. Sie wiirden namentlich in den Hinter- strangen des Hals- und Brustmarkes gefunden. Ihr Vorkommen bei der Tetanie war doch nicht konstant, auch nicht ihre Lokalisation, weshalb Querva in die Meinung he@, daB es sich nur urn begleitende Erscheinungen, nicht um pathogenetische Faktoren der Tetanie handelt.

Hauptsichlich denselben Erfolg wie Querva in hat spater Rosen- b l a t t (14) gewonnen (1897). Wie Querva in fand er keine spezifischen Veranderungen an den Ganglienzellen, meder im GroBhirn, noch im Riickenmark. Er gibt nur an, da8 sich bei der Tetanie im GroBhirn mehrere schlecht gefarbte Ganglienzellen als unter normalen Ver- haltnissen vorfanden. Den Befund der geschwollenen Achsenzylinder bestatigt er.

AuBerdem fand er aber ganz wie friiher S a n q u i r i c o und Canal i s Odem des GroBhirns und Hamorrhagien im Gehirn und Riickenmark. Der odematose Zustand des Gehirns zeigte sich durch Unklarheit des mikroskopischen Bildes, Erweiterung der perivaskularen und peri- zellularen Rhme. In diesen fand sich zuweilen ein koaguliertes Exsudat, das sich durch die Weigertsche Fibrinfarbung farben lieS und oft Leukozyten beherbergte.

VEIL~NDEKUNGEN IM ZEKTBALNERVENSYSTEM usw. 71

R o s e n b l a t t betrnchtet eben das Odem und die H a m o r r h a g i e n als das Essentielle der tetanischen Leiden des Zentralnervensystems und meint, daB die Ursache der beiden Phanomene mahrscheinlich in einer Schadigung der GefaBmande zii suchen ist.

Wie aus dieser Darstellung herrorgeht, ist eigentlich keine der angegebenen Veranderungen im zentralen oder peripheren Nervensystcm allgemein bekriftigt morden.

Das blom und die Hamorrhagien sind doch scheinlsar recht haufig gefunden. Ich selbst habe sie auch an mehreren tetanischen Tieren gesehen. Es ist daher mahrscheinlich, daE diese Verinderungen allenfalls in manchen Fallen der Tetanie vorkommen. Dagegen sind die Angaben uber Yeranderungen der Ganglionzellen und ihrer Achsenzylinder einander durchaus entgegengesetzt. Man kann sich daher auch auf Grund der ermahnten Untersuchungen uberhaupt keine Meinung uber das Problem der Lokdlisation der tetanischen Lasion des Nervensystems bilden. Die neuesten Untersuchungen dartiber helfen uns nichts. Sie sind unklar und einnnder midersprechend wio die alten. So hat B l u m (15) (1 899) das Zentralnervensgstem total thyreoidektomierter Tiere mit der Nisslmethode untersucht. Er hat periphere Kromatolyse und Schmellung der Ganglienzellen gefunden. Weiter uuregelmiEige Ver- teilung der Granulationen und geschwollene Protoplasmafortsatze.

B l u m meint, daB diese Veranderungen von der Tetanie herriihren. Nach Biedl ist Mac C a l l u m zu ungefahr denselben Resultaten ge- kommen, sowohl fur das Ruckenmark als fur das GroBhirn. Inzwischen kommen alle diese Veriinderungen auch an normalen Priparaten des Zentralnervensystems vor, Zapper t (16) (1912), der frilher wie B l u m gemeint hat, daB die kornige Degeneration der Ganglienzellen rielleicht mit der Tetnnio in Zusammenhang stehe, kommt da auch jungst zu dem Resultat, daE die Tetanie zu keinen charakteristischen Veranderungen meder im Gehirn, noch im Ruckenmark ftihrt und daB die beobachteten Abmeichungen vom normalen Aussehen der Ganglien- zellen nur auf zufalligen Emstanden beruhen.

K a p i t e l 2.

Eigene Untersnchungen. Alles in allem geht aus dieser Darstellung hervor, da6 die

histologische Untersuchung des Nervenmuskelsystems der tetanischen Tiere zu keiner Losung der Frage nach der Natur und der Lokalisation der krankhaften Veranderungen , melche den tetanischen Symptomen

12 HOLGER MOLLGAARD :

entsprechen, gefiihrt hat. Die von V a s s a l e und T i z z o n i ver- tretene Anschauung gewinnt daher sehr an ~~rahrscheinlichkeit, und dies um so mehr, als w h w h e n , daB partiell parathyreoidektomierte Tiere, welche selbst von der starksten Tetanie angegriffen gewesen, doch unter Umstanden ohne jede Behandlung vollig genesen konnen, und zwar solcherart, daB sie keine Abweichungen gegenuber vollig gesnnden Tieren zeigen. Dieses Verhalten macht es sehr wahrschein- lich, daB die Veranderungen, welche die Tetanie oerursachen, von keiner grobanatomischen Natur sind, und daher zuruckgehen konnen, menn der pathogene Faktor aus einer uns unbekannten Ursache zu wirken aufhort.

Den Befund Zapper t s , daB man mit der Nisslmethode keine spezifischen Vednderungen in den Nervenzellen der tetanischen Tiere nachweisen kann, kann ich auf Grund eigener Versuche vollig bestatigen.

Die gemachten Untersuchungen scheinen also darauf hinznweisen, daB man mit den allgemein gebrauchten histologischen Methoden keinen Unterschied zwischen den Nervenzellen der gesunden und denen der tetanischen Tiere nachweisen kann.

I n den hier zu besprechenden Untersuchungen habe ich daher versucht, mit der Gefr ie rmethode das Problem anzugreifen, und zwar mit der von mir ausgebildeten Modifikation dieser Xethode (1 7), die ioh friiher in allen Einzelheiten publiziert habe.

Deshalb will ich diesmal keine detaillierte Beschreibung der ge- brauchten Idethodik geben. D a ich aber in meiner ersten Abhandlung eine irrige Anschauung iiber das Prinzip dieser Methode publiziert habe, halte ich es, trotzdem ich diese Anschauung in einer spateren Abhandlung korrigiert habe, fur zweckmlfiig, die Grundziige der Methode wieder einmal hervorzuheben.

B-mndziige der Untersnchungsmethode. . Durch die rasche Abliiihhng des lebenden Weroengemebes bis zu - 40 O werden alle pbysiologischen und pathologischen Prozesse eben in dem Stadiiim, in welchem sie sich im Gefrierungsaugenblicke be- finden, abgebrochen.

Das lebende, normale oder krankhafte Protoplasma erstarrt in dem chemisohen Zustande, worin es sich im GefrierungsaugenbIicke befiudet.

Durch das Gefrieren wird jede Diffusion im Protoplasma ver- hindert. Chemische Stoffe, die unter normalen oder krankhaften Pro- zessen in oder au6er den Zellen gebildet sind, bleiben daher an der Stelle, wo sie im Gefrierungsaugenblicke sind.

Im gefrorenen Zustand wird nun das Xervengewebe am Mikrotom

VERANDERUNGEN IM ZENTBALNERVENSYSTEM usw. 73

in 96O/, Alliobol bei f 20 bis + 30° geschnitten und zwar in der Weise, dab die Schnitte im gefrorenen Zustand gleich im Alkohol fisieren. Alle normalen oder pathologischen Substanzen, die in der Zelle bei lebendigem Leibe vorkamen und die i n Alkohol unloslich sind, f inden sich nun noch in de r Zelle, konnen daher moglicherweise chemisch ana lys ie r t werden.

Durch das Gefrieren wird die physikalisohe Zustandsform

Fig 1.

des Protoplasmas geandert. Es gefriert zu einem Netzwerk, so wie es aus der Pig. 1 hervorgeht.

Das Protopbsma der Nervenzellen enthiilt nun bekanntlich eine Substanz, die durch basisohe Farbstoffe ge f l rb t werden kann z. B. durch Toluidinblau). Wenn das Protoplasma zu einem Ketz- werk erstarrt, wird diese Substanz an der Diffusion verhinder-t und gleichzeitig au f ein e r g er i n g e r e n 0 b er f 1 ache k o n z en t r i er t.

Selbst kleine Variationen in der Menge des Stoffes kiinnen deshalb durch die nachfolgende Farbung siohtbar gemacht werden.

Durch diese Methode habe ich, wie friiher publiziert, nachgewiesen, da6 die mi t Toluidinblau fiirbbare Substanz u n t e r der Funkt ion der Nervenzellen an Nenge zunimmt, in der Rube

74 HOLGER N~LLGAARD:

abnimmt , und zwar in d e r Narkose so weit, daB die Zellen fast unfarbbar fur Toluidinblau werden. Das Verschwinden der farbbaren Substanz untter der Narkose gefahrdet nicht das Leben der Zelle. Wird sie durch Irritation wieder i n Funk t ion gesetzt , dann t r i t t d ie fa rbbare Subs tanz wieder auf.

I n dieser Weise kommt es zu einem charakter is t ischen Unterschied zmischen den ruhenden und den funkt ioniersnden Nervenzellen. Die ruhenden Zellen haben grobe Maschen und sehr

Fig. 2.

ger inge oder fas t keine f a rbba re Substanz. Die funk- t ionierenden Zellen dagegen haben sehr fe ine Maschen im Netze und eine grofie Menge der farbbaren Substanz. Dies ist an den Fig. 1 und 2 zu sehen, indem die Fig 1 die typischen funktionierenden Nervenzellen, Fig. 2 dagegen die ruhenden narkotisierten Zellen zeigt Beide Figuren riihren vom Ruokenmark des Hundes her.

An zahlreichen Praparaten, von den verschiedensten Saugetieren herriihrend, . habe ich mioh nun ferner davon uberzeugt, dafi die nor- malen Nervenzel len i m Zent ra lnervensys tem a l lemal nach dem Gefr ieren ein fas t regelmafiiges Netzwerk enthalten. Kann das Netzwerk wegen Mangels an der farbbaren Substanz nioht mit

VER~NDERUXGEN IM ZENTRALNERVENSYSTEN usw. 75

Toluidinblau gef5rbt merden, dann kann dies durch Fiirbung mit Hamatoxylin, Eosin oder am besten mit einer freien Farbbase ge- schehen. lch habe dazu die rote Nilblaubase benutzt. Die Netz- b i l d u n g i s t demnach e i n e kons tan te E r s c h e i n u n g in den Zel len des Zent ra lnervensys tems. Sie ist die Reakt ion d e r n o r m a l e n Nervenzel len g e g e n u b e r dem Gefrieren.l

Wenn also in einem gegebenen Fall Nervenzellen nach Gefrierung a n d e r e B i l d u n g e n a l s e in Netzwerk e n t h a l t e n , dann ist zu schlieBen, daB die betreffenden Zellen e i n e n a n d e r e n phys ika l i sch- chemischen Zustand haben, a l s den normalen. Um kurz zu rekapitulieren, brauchen wir also d a s Gefr ie ren hei n iedr iger T e m - p e r a t u r als e in Reagens fur den a l l g e m e i n e n phys ika l i sch- chemischen Zustand, und die F a r b b a r k e i t fur Tolu id inblau als Reagens fur den spez ie l len F u n k t i o n s z u s t a n d der Nerven- zellen.

Mittels dieser Methode habe ich nun probiert, das Zentralnerven- system von Hunden, an denen Tetania parathyreoipriva experimestel erzeugt wurde, zu untersuchen.

Resultate der Untersuchung vom Zentralnervensystem tetanischer Tiere.

In funf Fallen typischer Tetanie, zwei nach t o t a l e r Thyreoi- dekt,omie und die iibrigen nach reiner Parathyreoidektomie wurde sowohl die ganze Zervikal- , als die ganze Lumbal in tumeszenz des Ruckenmarks mittels der angegebenen Methode untersucht. I n a l l e n f u n f F a l l e n ze ig ten d ie Vorderhornze l len e i n e aus- g es p r o c h e n e c h a r a k t e ris t is c h e Ver hn d e r u n g.

Die Zellen r e a g i e r t e n in einer sehr auffallenden Weise i lbnorm g e g e n das Gefr ieren: Anstatt des feinen Netzwerkes der normalen Zellen sieht man, mie aus Fig. 3 und 4 hervorgeht, unregelmiiSige, zusammengebal l te Massen, die s t a r k gefLrbt sind. In vielen Fhllen wird die Zelle von einem homogenen, dioken, in kiirnigen Massen eingelagerten Ring gebildet (Fig. 3). I n den extremen Fallen sieht die ganze Zelle durchaus homogen auR (wie in Fig. 4). Bei

Wie zweimal ausdrucklich hervorgehoben, gilt dieser Satz nach den bid jetzt gewonnenen Versuchsresultaten absolut fur die Zel len dee Zentral- nervensystems. In den peripheren Ganglien habe ich zweimal (in einem Material von ca. 100 Tieren) einzelne Zellen gefunden, die nach Gefrieren fast homogen und nicht netzartig siud. Diese Zellen waren klein und lagen in der Peripherie der Ganglien.

76 HOLGER MOLLC~AARD :

Fig. 4.

VERANDERUNGEN IM ZENTRALNERVENSYSTEM usw. 77

starken VergroBerungen sieht man doch am meisten einige dicke, grobe Balken mit kurzen Sporen besetzt und in kornigen Massen eingelagert, aber uberhaupt keine Naschen. In einigen Fallen wird die ganze Zelle wie ein dicker grober Balken gebildet. Ferner ist die ge- farbte Masse allemal vie1 kleiner als die normale Zelle und wird in den meisten Fallen von einer klaren Zone umgeben. Die Zelle sieht wie geschrumpft aus.

Fig. 5.

In vier von den oben besprochenen fiinf Fallen ist nun zugleich die Medulla oblongata mittels der Gefriermethode untersucht worden. In drei Fallen hatte die Untersuchung denselben Erfolg wie im Riicken- mark. Im vierten Falle wnrde keine Yerinderung der Gefrierungs- reaktion gefunden.

Die Reaktionsveranderung betraf hauptsichlich die mo torische n Kerne der Gehirnnerven. Die Ursprungskerne der Facidis und Hypoglossis, sowie ein Teil der groSen Zellen des dorsalen Vagushernes maren meist stark verindert. Fig. 5 zeigt eine Photographie vom

78 HOLGER D ~ L L G A A R D :

Hjpoglossuskern eines t etanischen Hundea. Wie aus der Figur hervor- geht, sind die meisten Zellen im betreffenden Schnitte mit einem zwar groben Netzwerk ausgestattet. Zwei Ton den Zellen sehen aber ganz homogen aus, und in Wirklichkeit sind selbst bei starker VergroBe- ruiig nur unregelma8ige kornige zusammengeballte Massen, aber kein Maschenwerk zu sehen. Auch sieht man, da6 die homogenen Zellen kleiner sind als die mit Ketzmerk Tersehenen. Recht hiiufig sind auch mehrere Zellen in der Formatio reticularis in ihrer Reaktion verandert. Dagegen habe ich niemals Veranderungen an den Zellen der sensori- schen Endkerne der Gehirnnerren gesehen.

In drei von den obengenannten Fallen habe ich ferner die motorische Region der Corticalis untersucht, aber in keinem Falle Ver- anderungen an den gefrorenen Zellen gefunden. Sie waren alle in normaler Wcise mit Netzwerk ausgestattet. Zuletzt mu8 ich erwiihnen, da8 ich mehrmals auch Teile des peripheren Nervensystems unter- sucht habe. Namentlich habe ich meine Aufmerksamkeit ltuf die Spinalganglien in der Lumbal- und Zervikalregion des Ruckenmarkes gelenkt. Wegen der Schwierigkeit, diese Ganglien nach der Gefrier- methode zu behandeln, ist die Untersuchung aber leider mehrmals mi8lungen. Bei der Untersuchung von vier Spinalganglien in jedem Falle habe ich in der Lumbalregion in einem Falle typische Reaktions- reranderung, in zwei Flillen ganz normale Nervenzellennetze gefunden. In den Zervikalspinalganglien war Veriinderung in zwei Fallen, in drei iiberhaupt keine.

Gangl ion Gasser i habe ich in drei Fillen untersucht: mit posi- bivem Resultat in zwei, rnit negativem im dritten Falle.

Es soheint also, da8 die peripherischen sensiblen Ganglien wenig- stens nicht so hiiufig angegriffen werden. Dooh ist die Untersuchung des peripheren Nervensystems nooh nicht ganz gesichert (rgl. Note S. 75).

Bus den nun besprochenen Versuohsresultaten geht, wie ersicht- lich, hervor, da6 in den typisohen Fallen der Te tan ia para thyreoi - p r iva die motorisohen Zellen des Riiokenmarkes und der Medulla ob longata auf charakteristische und konstante Weise i n i h r e r .Reakt ion gegen das Gefr ieren verrindert werden. Sie e r - s t a r r e n n i ch t mehr zu einem Netzwerk!

Weniger hiiufig scheinen die Zellen der Spina lgangien und des Gangl ion Gasser i in gleicher Weise reriindert zu werden.

Dagegen scheint die motorische Gorticalis jedesmal f re i von Veriinderungen an den Zellennet'zen zu sein.

VERANDERUKGEN IM ZENTRALNERVENSYSTEM usw. 79

In einem a typischen Falle der Tetanie, bei welchem ganz be- sonders die R e s p i r a t i o n s m u s k u l a t u r in der Krankheit angegriffen war, habe ich nun ferner die Medulla oblongata untersucht.

In diesem Falle entwickelten sich hef t ige G l o t t i s k r a m p f e in der 9 r t , dab ich Tracheotomie machen muBte, um das Tier ron der Erstickung zu retten. Bei der Untersuchung der Gefrierschnitte murde eine schwere und ausgebreitete Keaktionsanderung der Zellen im N u e l e u s a m big u us gefunden.

Diese Lokalisation der Vergnderung war zu erwarten, menn die L a r y n x m us k e l n angegriffen waren.

Der Versuch zeigt also, dab, menn die Symptome zu einzelnen Muskelgruppen lokalisiert sind, dann auch die Reali tioiisanderung in eben den d e r angegr i f fenen M u s k u l a t u r e n l s p r e c h e n d e n Nervenze l len g e f u n d e n wird.

Dieser Befund ist, wie ersichtlich, cine\ wesentliche Stiitze fiir die Anschauung, daB di+ t e t a n i s c h e K r a n k h e i t u n d die Reakt ions- a n d e r u n g gegcn das Gefr ie ren wirkl ich zusammengehor ige P h a n o m e n e sind.

Diese Anschauung mird nun ferner durch folgende Versuche unterstu tzt.

In zw e i Fallen murde trotz Parathyreoidektomie mit Entfernung von vier Drusen im einen, und drei Drusen im andern Falle keine Tetanie erzeugt. I m ersten Falle murde das L u m b a l m a r k untersucht und u b e r h a u p t ke ine Veranderung angetroffen, im zweiten Falle wurde sowohl L u m b a l - als Zerv ika lmark mikroskopiert und in beiden Organen durchaus normale Verhaltnisse gefunden.

Wenn a lso d ie P a r a t h y r e o i d e k t o m i e von ke iner T e t a n i e gefo lg t wird, d a n n fo lg t a u c h ke ine R e a k t i o n s h n d e r n n g d e r Nervenze l len g e g e n d a s Gefr ieren. Die Veranderungen im Zentralnervensystem scheinen also an die t e t a n i s c h e K r a n k h e i t geknupft zu sein.

Uber die nzhere Verbindung zwischen tetanischer Krankheit und Reaktionslnderung.

In den bisher beschriebenen Flllen haben nun die Tiere m. 4 bis 10 “age nach dem ersten Anfalle der Tetanie gelebt. Man kiinnte also denken, daI3 die Veriinderungen nichts mit der Tetanie selbst zu tun hiitten, sondern vielleicht durch die allgemeinen trophischen Stii- rungen, welche die Tetanie begleiten, hervorgerufen waren. Ich habe ja selbst gezeigt, daB durch langere Inanition wenigstens grobe Unregel-

80 HOLGER MOLLGAARD :

ma6igkeiten an den Zellennetzen heryorgebracht werden k6nnen. Da8 dies doch nicht der Fall ist, geht aus folgendem Versuche hervor.

' Ein Hund wurde zwei Tage nach totaler Thyreoiparathyreoidek- tomie von einer typischen Tetanie angegriffen. Der Hund war riillig gesund, ohne jede Spur yon Iirankheit bis zu einer Stunde Tor dem ersten tctanischen Anfall. Die Tetanie begann morgens um 8 Uhr. Urn 9 Uhr hatte er einen typischen Anfall, um 3 E h r einen zweiten und um 9 Uhr nachmittags einen dritten. Dann wurde das Tier durch Nackenstich getotet. Im L u m b a l m a r k , das mit der Gefriermethode behandelt wurde, zeigte s ich die i n Fig. 4 abgebi lde te Reak- ti o nsan d e r u n g d er Vor d e r ho r n ze 1 len.

Trotzdem das Tier nicht mehr als e i n e n Tag krank gewesen war, ist also eine ausgesprochene typische Reaktionsanderung i n den motorischen Zellen des Lumbalmarkes zu sehen.

Die Reaktionsanderung gegen das Gefrieren mu8 demnach m i t d e n a k u t e n S y m p t o m e n d e r T e t a n i e in i r g e n d welcher Ver- b i n d u n g s tehen.

Nun fragt sich, ob die Reaktionsanderung beim Gefrieren dns Pr imi i re oder nur eine s e k u n d a r e Sache ist: Man konnte denken, daB d ie B n d e r u n g des phys ika l i schen Zustandes, welche der Reaktionsanderung zugrunde liegt, auch die Ursache d e r t e t a n i - sohen K r l m p f e sein konnte. Es ware aber auch moglich, dab d ie s te t igen. K r b n p f e , d. h. d ie s t e t i g e E r r e g u n g d e r Zel len zu- l e t z t die R e a k t i o n s l n d e r u n g herbeif i ihr te .

Nun habe ich versucht, ton ische und klonische Krlmpfe auf mehrere andere Arten hervorzurufen. An zahlreichen Ticren habe ich das Rfickenmark nach S t r y c h n i n v e r g i f t u n g untersucht. Jedes- ma1 habe ich eine starke Anhiufung von firbbarer Substanz im Netz- werk der Vorderhornzellen gesehen, also einen starken Funktionszustand, aber niemals habe ich Verlnderungen an den Netzwerken bemerlit. Sie waren vielmehr ganz au6erordentlich schon, wie aus Fig. 6 hervorgeht.

Ganz dasselbe gilt bei den lokalen oder uriirersellen Krampfen nach Injektion von Tetanus toxin . Auch hier mird jedenfalls in der erstsn Zeit keine Verlnderung der h'etzwerke gefrinden.

Durch direkte oder indirekte elektrische Trritation wird keine Ver- lnderung hervorgerufen. Selbst wenn man eine halbe Stunde hindurch kriiftige tonische und klonische Kriimpfe ausliist. Ebenfalh macht starke Muskelarbeit auch keine Reaktionsanderung, sondern nur An- haufung der mit Toluidinblau farbbaren Substanz (Fig. I).

V E R ~ D E R U N G E N IM ZENTRALNERVENSYSTEM usw. 81

Es scheint also nichf, daB Krampfe als solche diese eigenartige Veranderung der Resktion der Zellen gegen das Gefrieren hervorrufen konnen. Demnach muB geschlossen werden, daB auch n ich t bei der Tetanie eine stetige Erregung der Zellen die Ursache der Reaktions- anderung ist. Diese Anschauung wird ferner gestutzt durch zwei sehr interessante Falle der parathyreoipriven Erankheit.

Nach totaler Thyreoi-parathyreoidektomie wurde an zwei jungen Hunden keine typische Tetanie hervorgerufen. Im Laufe von

Fig. 6.

3 bzw. 4 Tagen nach der Operation entwickelte sich unter voriiber- gehenden Anfallen von Fieber und foroierter Respiration statt der Tetanie ein eigentumlicher paret ischer Zustand in der Muskula tur d e r Extremiti i ten.

Im Anfang wurde eine spast ische Parese beobachtet. Spiter aber wurden die Extremitiiten schlaff. Zuletzt konnten die Tiere sich nur mit gro6er Niihe vom Boden aufrichten und auf den Beinen stutzen.

Am dritten bzw. vierten Tage setzte nach unmittdbar vorher- gehenden (eine Stunde bis eine halbe dauernden) schwachen, fibrilliren Zuckungen ein gewaltsamer tetanischer Anfall ein, unter dem die Tiere im Laufe weniger Minuten starben.

Skandin. Archiv. XXVIII. 6

82 HOI,GER MOLLGAARD:

Im untersuohten Zervibalmark murden an beiden Hunden durch die ganze Intumeszenz zahlreiche eben sehr stark reranderte Vorderhorn- zellen gefunden.

Bei diesen eigentumliohen abweichenden , someit mir bekannt, nicht fruher beschriebenen Formen der Tetanie ist demnach ein e ausgesprochene Reakt ionsanderung gegen das Gefr ieren he r ro rge ru fen , t ro tzdem keine I i rampfe i n den ers ten 3 bis 4 Tagen bestanden, sonderri nur eine m e h r und mehr zunehmende Parese de r Ext remi ta ten .

Bus einer Zusammenfassung dieser zwei Versuche mit den oben beschriebenen Versuchen uber die Wirkung krampfhafter Zustiinde auf die Reaktion gegen das Gefrieren, scheint mir hervorzugehen, daB die K r a m p f c bei de r Te tan ie keineswegs die Ursache der Reak- t i ons jnde rung sein konnen.

Auf anderer Seite haben mir gesehen, da6 keine Reaktionsanderung nach Parathyreoidektomie ohne Tetanie eintritt.

Es steht, mie oben besprochen, fest, daB eine innige Relation zmischen der Reaktionsanderung gegen das Gefrieren, und zmar der akuten tetanischen Krankheit besteht.

Demnach scheint es mir am mahracheinlichsten, daB die Ursache d e r h d e r u n g des physikal ischen Zuvtandes d e r Zel len auch d ie Ursache de r te tanisohen Zuckungen und Krampfe ist.

Ob aber eben die physikalische Bnderung, die die veranderte Gefrierreaktion verschuldet hat, die nachste Ursache der Krimpfe mar, dariiber kann auf Grund dieserversuehe nichts Bestimmtes gesagt werden. Die oben besprochenen zwei eigentumlichen Pdlle scheinen zu zeigen, da6 nicht immer bei starker Reaktionsanderung starke Krgmpfe Tor- kommen, sondern in gewiasen Fallen nur ein pare t i scher Zustand. der auf ein Leiden der Nervenzellen hindeutet. Man konnte dann vielleicht denken, daB Krampfe und Reaktionsanderung xwei rerschiedene Wirkungen derselben Ursache maren. Aber es sei ja auch mGglich, daB dieselbe physikalische Zustandeanderung, welche die Reaktions- Lnderung hervorruft , in den meisten Fallen tetanische Kriimpfe mit nachfolgender Parese hervorruft, in einzelnen FIllen aber nur, oder fast nur Parese erzeugt. Zur weiteren Diskussion dieser Frage liegt nber nooh nioht Material genug vor.

Wie dem nun auch sein moge, die besprochenen Beobachtungen eeigen, da6 man bei der Tetania parathyreoipriva mit d e r Gefr ier- methode a l s Reagens eine ganz. charakter i s t i sche und kon- s t a n t e V e r i n d e r u n g des physikalisch-cheIllischen Zustandes d e r Nervenzel len a n mehreren S te l len des Zent ra lnerven-

VERANDERUXGEN IM ZENTRALNERVENSYSTEM usw. 83

sys tems nachweisen kann. Pu’un ist die Frage nach der naheren Natur der p h y si ka l isch -c hem isc hen Zustandsanderung, welche die Teriinderte Gefrierreaktion hervorrufe, zu beantworten.

Uber die Natur der Zustandshderung in den Nervenzellen der tetanischen Tiere.

Wie oben schon mehrmals herrorgehoben , ist die physikalisch- chemische Verjnderung in den Kerrenzellen der tetanischen Tiere mahr- scheinlich wenigstens im Anfang des Leidens eine solche, daB sie ganz zuruckgehen kann, wenn die Krankheit aus dem einen oder dem anderen Grunde aufhort.

Andererseits scheint es eine al lgemeine und greifbare Zustands- anderung zu sein, da das Protoplasma ganz anders gegen dau Gefrieren reagiert als an normalen Tieren.

Demnach scheint es mir wahrscheinlich, da6 es sich um eine Zustandshderung handelt, die sehr leicht eintritt und, wenigstens im Anfang, nicht eben das Leben der Nervenzellen gefahrdet, sgndern doch allgemeine Verlnderung einer, vielleicht mehrerer der physikali- schen Eigenschaften des Protoplasmas mit sich fuhrt.

Nun habe ich zu allererst probiert, ob es miiglich wire, solche Verinderungen im h’ervensystem durch anderswie erzeugte experi- mentelle Krankheiten hervorzurufen. Wie oben dargestellt, fuhren weder die S t rychn inve rg i f tung noch die Vergiftung mit Te tanus- toxin Verlnderungen der Gefrierreaktion mit sich. Die Zellen haben im Gegenteil ganz normale Netze, nur besteht starke Anhaufung der firbbaren Substanz.

Ferner habe ich die Nervenzellen im Ruckenmark blei- und nitrilvergifteter Ksninchen mittels der Gefriermethode untersucht. Bei der Bleivergiftung wurde durch tagliche Injektionen kleiner Nengen von Bleiacetat eine ausgesprochene Pltrese im linken Vorderbein er- zeugt. Die Zellennetze im Riickenmark waren ein wenig dicker und grBber als gewohnlich, aber nirgends wurden Veranderungen wie bei der Tetanie gefunden. Das Netzwerk war iiberall durchaus regel- mlBig.

Bei der Nitrilvergiftung wurde Acetonitril im Blute durch die Ohrvene injiziert, bis Narkose eintrat. D a m wurde ca. zwei Stunden gewartet und das tief komatose Tiere durch Nackenstich getiitet, worauf man das Rackenmark mit der Gefriermethode untersuchte.

Es wurden nur Ruhebilder mit schlecht gefarbten Netzwerken, aber keine Veriinderung an der Struktur des Netzes gefunden.

6*

84 HOLGER N~LLGAARD :

Weiter habe ich Vergiftungen mit Fermenten untersucht. Nit P a n k r e a t i n in Dosen, melche hohes Fieber machen (21/2 g taglich), habe ich keine Anderung der Gefrierreaktion hervorgerufeo. Dagegen habe ich einmal in einem Falle, wo durch eine insuffiziente Magen- fistel groBe Xengen Tom Magensaft in die Nuskulatur und in das Birdegewebe der Bauchwand eingedrungen maren und hohes Fieber be- stand, an menigen Vorderhornzellen des Lumbalmarkes Veranderungen, welche denen bei der Tetanie etwas glichen, gefunden.

Endlich bemerkte ich UnregelmaBigkeiten an den Netzmer ken, doch kein Zusammenballen und keine Homogenitat bei einem Hunde mit chronischem Ikterus nach CholedochusverschluB. In diesem Falle wurden Anhkufungen von Gallenfarbstoff im Riickenmark gefunden.

Aus diesen Versuchen geht herror, daB es offenbar nicht Ieicht, ist , ,,tetanische" Veranderungen der Gefrierreaktion durch andere Krankheiten hervorzurufen. Es mare vielleicht moglich, daB man mittels groBer Injektionen von Fermen ten im gewissen Grade den bei der Tetanie vorkommenden Verilnderungen gleichartige hervorrufen konnte. Doch habe ich, wie aus dem oben Besprochenen hervorgeht, n u r bei d e r Te tan ie konstante und ausgesprochene Veranderungen gefunden.

Zurzeit scheint es demnach, da6 die oben beschriehene Reaktions- inderung e in C h a r a k t e r j s t i k u m d e r t e t a n i s c h e n Leiden ist.

Was geschieht denn mit dem Protoplasma der Nervenzellen? Wo liegt die Ursache der Andernng der Gefrierreaktion?

Diese B'rage ist natiirlich schwierig zu beantworten, und auf Grund der Untersuchungen, welche ich bis jetzt vorgenommen habe, ist es mir unmiiglich, etwas Bestimmtes uber die Sache zu sagen. Dagegen kann ich vielleicht ein wenig zur Beleuohtung der Frage beitragen.

Ehe wir uns direkt zur Diskussion der Frage nach den Bedingungen der v e r l n d e r t e n R e a k t i o n hingeben, miissen wir zuerst die Be- dingungen der n o r m a l e n Reaktion besprechen.

Die n o r m a l e Nervenze l le b i l d e t i m Gefr ie ren e in Netz- werk. Dieses Netzwerk ist e in P r o d u k t des Gefrierens.

Soweit mir bekannt, ist diese Tatsache zuerst von K e y (18) und Retz ius im Jahre 1874 erortert worden. Sie fixierten Schnitte ge- frorener frischer Hirnsubstanz in versehiedenen Fixationsmitteln (Osmium- slure, Niillersche Losung, Goldchlorid oder Alkohol) und fanden ein regelmaBiges Lakunensjstem. Dasselbe wurde beim Gefrieren mehrerer anderer Organe gefunden. Durch Kontrollversuche mit Blut, Stiirke- mehl nnd Leim wurden ganz dieselben Verhaltnisse gefunden. Sie folgten dann unter dem Nikroskop dem Verlauf der Gefriernng der

VERANDERUNGEN IN ZENTRALNERVENSYSTEM usw. 85

ermahnten Substanzen und obserrierten , daB sich ein Trabekelsystem bildet , melches Eiskristalle beherbergt und im Auftauen zusammen- flieBt, indem das Wasser dann wieder in das ganze Gewebe einzugehen scheint.

Bus ihren Untersuchungen schlossen K e y und Retzius , daB das Wasser beim Gefrieren der Gewebe aus ihrer Substanz austritt. Wenn das Gewebe eine ausgepragte Struktur besitzt, sammelt sich das Wasser in Gangen und Laliunen, wo es den geringsten Widerstand findet, und erstarrt zu Eiskristallen. In weichen Geweben, wie eben Gehirn und RuckenmarL-, mird ein Trabekelsystem wie in Leim, Starkemehl und anderen unorganisierten Substanzen gebildet. Schon fruher hat nun (nach P f e f f e r) Vo ge 1 gezeigt, daB Starkekleister durch Gefrieren in einer grobporigen Masse, etwa nach der Art eines Schwammes um- gewandelt wird, und daS man nach Auftauen das Wasser aus dem Schwamme ausdriicken kann.

Spater 1891 hat A m b r o n n (19) eine Untersuchung Gber das Ver- halten der organkchen IZ olloide beim Gefrieren veroffentlicht. Wenn wasserige Losungen oon arabischem Gummi oder Tannin auf ein Deck- glas in einer dunnen Schicht ausgestrichen und dann zum Erstarren gebracht wurde, fand A m b r o n n , daB sich, wie gewohnlich bei der Gefrierung des Wassers, Eisblumen am Deckglase bildeten. TVenn man dann das Wasser ohne Auftauen abdunsten lieB, blieb auf dem ,Glase ein Skelett von der gelosten Substanz gebildet und die Konturen der Eisblumen nachahmend, zurGck.

Dasselbe gilt nach Am b r o nn fiir Gelatine- und Agargallerten. Anch hier wird ein Maschenmerk zwischen den Eiskristallen und diese um- gebend gebildet. Nach dem Auftauen bestand das Netzwerk. Nur wenn erwarmt wurde, ging das Wasser wieder hinein.

Im Gegensatz zu den nun besprochenen Substanzen verhalt sich nnch A m b r o n n HiihnerejweiB und D e x t r i n ganz anders beim Ge- frieren. Hier wird kein Skelett oder Netzmerk gebildet. Nach Ab- dunsten des Wassers ist die Platte mit einer scheinbar homogenen Albuminschicht bedeckt.

Wie ich spater naher erortern werde, ist dies nun nicht richtig. HiihnereiweiB (in 4 bis 5prozent. Lijsung) bildet wie auch andere von mir untersuchte organkche Kolloide (Mastix, Gummigut) beim Gefrieren ein Netzwerk, jedoch ein sehr feines Netzwerk. Vielleicht ist wegen der Beinheit der Maschen das Netzmerk der Aufmerksamkeit des Verfassers en tgangen.

AUes in allem scheint daraus hervorzugehen, daB das ,,Netz- werkbildenii beim Gefrieren nicht ein spezifischer Charakter des

86 HOLGER 1\IOLLctAARD:

Protoplasmas, sondern eine allgemeine Eigenschaft der organischen Kolloide sei.

Weitere Untersuchungen ,,uber das Ausfrieren von Hydrosolen" sind nun von Bober tag , Fe is t und F i s c h e r (20) gemacht. Diese Verfasser haben eine ganze Reihe sowohl organischer als anorganischer Hydrosolen auf ihre Reaktion gegen das Gefrieren bei sehr tiefen Temperaturen bis + 180° untersucht. Sie haben folgende Resultate gewonnen: Platin- und Qoldhydrosolen werden durch das Gefrieren ausgeflockt. Nach dem Auftauen fiallt das Metal1 aus. Dagegen werden Liisungen Ton Natron wasserglas, essigsaurer Tonerde und Eisenoxyd durch das Gefrieren nicht rerandert und bleiben nach dem Auftauen klar.

Beim Gefrieren Ton Gelatine-, Caragheen- und Agargallerten friert das Wasser zum gro6en Teil aus der Gallerte, so daB die ersten Mengen Flussigkeit, die sich beim Auftauen bilden, so wie reines Wasser sind.

L o t t e r m o s e r (21) lenkt nun die Aufmerksamkeit auf den Inhalt der kolloiden Losungen an Elektrolyten und meint, daB dieser Ton wesentlicher Bedeutung fur das Verhalten der Hydrosolen gegen das Gefrieren id. J e weitgehender das flussige Hydrosol durch Analyse von Elektrolyten befreit ist, um so mehr flockt es beim Gefrieren BUY. DaB die Losungen von Natronwasserglas, essigsaurer Tonerde und Eisenoxyd in den Versuchen der oben erwiihnten Verfasser nicht durch Gefrieren ausflocken! erklSirt er eben durch ihren Inhalt an Elektrolyten.

Beide Forscher haben ferner gefunden, daI3 eine kolloidale KieselsLurel6sung nach dem Gefrieren und Auftauen nicht mehr gelost wird, sondern einen Boden- korper von schimmernden Kristallblittchen ausscheidet, und B r u n i hat gezeigt, daI3 diese Blattchen aus wasserha l t iger Kieselsiiure be- stehen.

I m Gegensatz hierzu bleibt Fischleim nach Gefrieren und Wieder- auftauen ganz wie rorher. B r u n i meint, da6 das verschiedene Ver- halten auf einem Unterschied zwischen umkehrbaren und nicht um- kehrbaren Kolloiden beruht.

Nun habe ich zur Beleuchtung des Problems bei mehreren Kol- loiden den GefrierprozeB unter dem Mikroskop verfolgt und zwar in der Weise, daB ich die kolloidalen Losungen in Schichten con passender Dicke auf Objekttrager ausgestrichen und dann den ObjekttrHger durch fliissige CO, bis zum Erstarren der Fliissigkeit abgekuhlt habe. Die Hydrosole, welche ich antersucht habe, sind mir freundlichst von Herrn I<. E s t r u p zur Verfugung gestellt. Ich fand nun folgendes: Wenn man ein fiinf Stunden dialysiertes Silbarhydrosol unter dem Mikro-

Dieser Anschauung schlieBt sich B r u n i (22) an.

VERANDERUEGEN IN ZENTRALNERVENSYSTEN usw. 87

skop gefriert;, dann friert die disperse Phase in kleinen Kornchen aus, die sich in Reihen langs der Konturen der Eiskristalle lagern und in der Weise scheinbar ein Setzwerk bilden. Beim Auftauen flocken die Kiirnchen zu grotSen Kliimpchen zusammen. Nach Zusatz von Elektro- lyten in maBigen Mengen wird dieses Verhalten nicht verandert. Kur bei groBen Konzentrationen wird die Ausflockung scheinbar weniger intens. Dasselbe gibt ein elektroly thaltiger Goldhydrosol. Wird da- gegen nur eine kleine Menge Gummi arabicum (ein Tropfen einer 50prozent'. Losung zu 10 ccm Hydrosol) zugesetzt, dann werden keine Kiirnchen, sondern ein regelmaBiges elegantes Netzwerk gebildet. Das Netzwerk ist nun selbst bei starker VergrijBerung durchaus h o mogen. Beim Auftauen bleibt die Losung ganz wie vorher. Es t r i t t ke ine Tr i ibung d u r c h Ausf lockung ein. Fur Gummigutlosungen habe ich dieselben VerhLltnisse gefunden.

Es scheint also, dass, wenn das System durch Zusatz eines Schutzkolloids s t a b i l i s i e r t wird, beim Gefrieren keine Ausflockung geschieht, sondern ein echtes N e t z w e r k g e b i 1 d e t wird, das die disperse Phase enthalt und die wasserklaren Eiskristalle umgibt. Die Balken des Xetzwerkes sind opt i sch homogen und vie1 dicker und grijber a19 die oben besprochenen KGrnchenreihen. Es ist wohl am wahrscheinlichsten zu denlien, dab sie durch ein wasserhaltiges Gemisch von Schutzkolloid und suspendierter Phase gebildet werden (vgl. Bruni).

Beim Gefrieren Ton E i weiblosungen, welche ich darnach unter- sucht habe, wird immer ein Netzwerk gebildet, und es scheint der Inhalt an Elektrolyten iiherhaupt keinen Unterschied zu machen, so- lange das EiweiB uicht czus der Losung gefallt wird. Wird dagegen das EiweiB ausgeflockt , d a m wird die Netzbildung stark gestijrt bzw. aufgehoben.

Wird eine totale Fallung nicht hervorgebracht, d a m wird ein unregelmaBiges, zersprengtes Maschenwerk gebildet, in dem zusammen- geballt,e Massen ron ausgeflocktem EiweiB eingelagert sind.

Wird eine totale Ausflockung hervorgebracht, z. B. durch Erhitzen einer alkalischen Losung yon HiihnereiweiB und Zusatz von Slure bis zur Ausflockung des denaturierten EiweiBes, - dann wird iiberhaupt kein Netzwerk mehr gebildet.

Fixiert man eine EiweiBlosung am Objektglas T o r und n a c h der Ausflockung in Alkohol bei +4O0, dann bleibt nach beendeter Ent- fernung des Wassers im ersten Falle ein elegnntes Netzwerk, im anderen Falle nur zusammengeballte, unregelmlBige, kornige Massen zuriick.

hlit Leci t h i n l o s u n g e n habe ich nun dasselbe Resultat erreicht.

88 HOLGER MOLLGAARD:

Eine 5prozent. Losung von Oolecithin in Wasser friert zu etmas unregel- maBigen, aber sehr deutlichen Xetzwerken. Tlrird B lu t se rum hinzu- gefugt, dann bildet das ganze System besonders schone Netzmerke. Wird nun verdunnte Salzdure zugetropft bis das Lecithin ausflockt, dann wird beim Gefrieren ein EimeiBnetzwerk mit eingelagerten Lecithinklumpchen gebildet. Diese sind kornig, enthalten aber kein Maschenwerk. Fur in physiologischer Kochsalzlosung ausgeriebene g r au e Hi rnsubs tanz gilt ganz dasselbe Tie fur die Serumlecithinlosung.

Ferner habe ich nun Gelatinegallerte auf ihre Reaktion gegen das Gefrieren unter verschiedenen Verhaltnissen untersucht. Eine 5 prozent. Gelatinegallerte bildet beim Gefrieren ein sehr schones Ketz- werk. Wird aber die Gelatine zuerst mit waBrigen Losungen von f ixierenden Reagentien, mie Formol 40 Proz., Sublimat 5 Proz., be- handelt, dann mird kein Xetzwerk mehr gebildet. Die fixierte Gallerte halt sich beim Gefrieren durchaus homogen. Selbst nach Farbung ist kein Netzmerk zu entdecken. Dasselbe gilt auch ron a1 ko h olfixier t en Gallerten.

Alles in allem scheint mir aus dieser Darstellung hervorzugehen, daB die Stabi l i t i i t der kolloiden Liisungen eine mesentliche Rolle fur das ,,Netzwerkbilden" beim Gefrieren spielt. Bei den anorganischen Kolloiden scheint jedenfalls in gewissen Fallen ein Schutzkolloid not- wendig fiir die Bildung eines echten Netzwerkes zu sein. Stabile .EiweiB- und Lecithinlosungen scheinen dagegen allemal zu einem Netzwerk zu gefrieren. Wenn sie aber vorher durch fa l lende oder koagul ierende Agentien beeinflufit werden, dann wird die Bildung des Netzwerkes gestort, bzw. vollig aufgehoben. Die ausgeflockte Subs tanz bildet beim Gefr ieren kornige zusammengebal l te Massen ohne Netzmerk.

Wie oben angeftihrt, mird beim Gefrieren in den normalen Nerren- zellen ein Netzwerk gebildet. Wenn aber das Nervengewebe sohon lingere Zeit duroh Formol, Sublimat oder Alkohol fixiert ist, dann bildet sich kein Netzwerk mehr. Nach Sublimat- und Alkoholfixation zeigen die mit Toluidinblau gefarbten gefrorenen Nerrenzellen typische Nisslkomer, aber keine Andeutung eines Netzwerkes.

Die Nervenzel len scheinen s ich also wie die Gelat ine- ga l l e r t en zu verhal ten.

Dann habe ioh zuletzt probiert, ob es vielleicht moglich wire, durch In jek t ionen solcher f ixierenden Stoffe i n das B l u t e ines Tieres dessen Nervenzellen sohnell dergestalt zu verindern, daS sie beim Gefrieren homo g e n b 1 e i b e n , kein Netzmerk bilden.

An einem lebenden Hunde injizierte ich durch die eine Karotis

VERANDEBUNGEN IM ZENTRALNERVENGYSTEM usw. 89

gegen das Gehirn l0OCcm einer 40prozent. neut ra l i s ie r ten Losung von Formaldehyd. Das Tier starb naturlich gleich. Ich lieB es 2 Stunden liegen und untersuchte dann das Gehirn nach der Ge- friermethode. Ich fand, da6 viele Nervenzel len der Corticalis du rchaus homogen waren. Andere waxen halb homogen und halb netzartig. Die Zelle prasentierte sich d a m mit einem Netzwerk in der einen und mit einem homogenen Kliimpchen in der anderen HBlfte. Endlich fanden sich auch namentlich in den tieferen Teilen der Hirnrinde viele Zellen mit ganz normalen Netzwerken.

Demnach kann also der injizierte Gxierende Stoff in kurzer Zeit den physikalisch-chemischen Zustand der Nervenzellen in der Weise verandern, daB sie beim Gefrieren homogen bleiben,

____

.hus den erwahnten Untersuchungen geht also herror, daB es m i r n u r mi t te l s f ixierender Stoffe gelang, in den' Ner~enzellen g le ichar t ige Veranderungen, wie die bei de r Tetanie vor- li o m m e n d en, hervorzurufen.

Die fixierenden Stoffe wirken mohl wesentlich durch Fallung und Koagulation der EiweiBstoffe im Protoplasma. Das Nervenzellenproto- plasma verhalt sich also gegen das Gefrieren ganz und gar wie die oben erwahnten organischeii Kolloide: Wenn es i n s tab i le r Losung is t , f r i e r t es zu einem Netzwerk, wenn es d a g e g e n a u s - gef lockt is t , dann wird nur kornige Uasse, aber kein Netzwerk gebildet.

Nun darf hieraus natiirlich nicht geschlossen werden, daB es sich bei der Te tan ie eben um eine solche Ausflockung des EiweiBes im Kervenzellenprotoplasma haodelt.

Wie schon oben mehrmals hervorgehoben, scheint die Veranderung der Nermnzellen eine derartige zu sein, daI3 sie zuruckgehen kann, wenn die Krankheit nachlaBt. Man kann sich wohl dann schwer vorstellen, daB es sich wirklich urn eine Ausflockung der EiweiBstoffe des Protoplasmas handelt.

Dagegen konnte man vielleicht denken, daD die Nervenzellen unter der tetanischen Krankheit (durch einen Giftstoff?) in der Art verindert werden, daB die Systeme der Yrotoplasmakolloide in irgendwelcher Weise ihre S tab i l i t a t einbiiBen und dahe r abnorm gegen das Gefr ieren reagieren. Wenn die StabilitatsHnderung nichl; zu weit gegangen ist, dann lionnte sie vielleicht zuriickgehen, d. h. die Nervenzellen konnen genesen.

Dies sei naturlich nur eine Hypothese. Etwas Bestimmtes kann auf Grund der gemachten Untersuchungen nicht gesagt werden. Ich

90 H. MOLLGAARD: TERANDERUNGEN IM ZENTRALNERVENSYSTEM usw.

will mich daher nicht in die weitere Diskussion der Frage vertiefen. Mir scheint nur, dab die angestellten Untersuchungen die Aufmerksamkeit auf die Moglichkeit einer solchen Stabilitatsanderung der Protoplasma- kolloide als Ursache der tet,anischen Verlnderungen hinlenken.

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