Über myalgien und ihre behandlung mit kochsalzeinspritzungen

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llber Myalgien und ihrc Behandlung mit Kcchsalz. einspritzungen. Von R. Pfeiffer-Cassel. Fr~nkes Arbeiten iiber chronische Inflaenza gaben mir AnnalS, reich mit dem Vorkommen und der Behandhmg yon Muskelschmerzen eingehend und system,q, tisch zu beschgftigen. Die Beobachtung und 'kritische Ve~vertung yon meh~eren hundert Fgllen wg,hrend der letzten 20 aah~e sollten einer Gess~mtdarstellung des Themas zur Grundlage dienen, doch scheiter~e dig AusfLihrung der Absieht an ~uBeren Griinden. Inzwischen hs~ben ze~MreicheForscher dem gleiehen Gegenstand ihre Aufmerksamkeit geschenkt and unsere Erkenatnis bereiehert: ieh nenne bier mit Verzieht auf Vollstgndigkeit die Arbeiten yon Sehmidt, Goldseheider, Sehade und Peritz. Der 5iyalgiebegriff hgrrt aueh heute noeh v611iger Klarstellung. Sehmidts Annahme einer Neuralgie der sensiblen Muskelnerven sehob das Problem nut auf ein anderes Gleis, bog yon vornherein erhebliehe Angriffsflgehen nnd fi~det Gegner in waehseMer Zahl. S eh a des Myogelose sueht das Auftreten yon Hgrten im rheumat,isehen Muskel zu erklgren, seine Arbeit die Bedeutung der Kgltewirkumg iiir die Entstehung des Muskelrheumatismns statistisch zu erweisen. In seiner letzten umfassenden Behandlung des Gegenstandes miiht sieh Peritz unter Verwertung der neueren Arbeiten fiber Kolloidehemie des Muskels (besonders F iirth) die Entstehung rheuma• Muskel- leiden zu kl~ren und die Rolls der Nervenfunktion beim Muskelsehmerz verst~ndlieh zu maehen. Weitere Forschung l~fit auf den gewiesenen Wegen Aufhellnng zahlreieher, noch dunkler Einzelheiten erhoffen und damit vielleieht auch besseren Anhalt fiir zweckmgNge Behandlung. N'~ch P eritz neige~xzu muskelrheumatisehen Erkrankungen t~ett- siiehtige, Leute mit Gieht und hgrnsanrer Diathese, vor allem kon- stitntionell Muskelsehwaehe (Asthenisehe, Angmisehe, Spasmophile). Dabei werden Giebt und harnsat~re Diathese nieht seharf genng ge-

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Page 1: Über Myalgien und ihre Behandlung mit Kochsalzeinspritzungen

llber Myalgien und ihrc Behandlung mit Kcchsalz. einspritzungen.

Von

R. Pfeiffer-Cassel.

Fr~nkes Arbeiten iiber chronische Inflaenza gaben mir AnnalS, reich mit dem Vorkommen und der Behandhmg yon Muskelschmerzen eingehend und system,q, tisch zu beschgftigen. Die Beobachtung und 'kritische Ve~vertung yon meh~eren hundert Fgllen wg,hrend der letzten 20 aah~e sollten einer Gess~mtdarstellung des Themas zur Grundlage dienen, doch scheiter~e dig AusfLihrung der Absieht an ~uBeren Griinden. Inzwischen hs~ben ze~Mreiche Forscher dem gleiehen Gegenstand ihre Aufmerksamkeit geschenkt and unsere Erkenatnis bereiehert: ieh nenne bier mit Verzieht auf Vollstgndigkeit die Arbeiten yon S e h m i d t , Goldsehe ider , Sehade und Per i tz .

Der 5iyalgiebegriff hgrrt aueh heute noeh v611iger Klarstellung. Sehmid t s Annahme einer Neuralgie der sensiblen Muskelnerven sehob das Problem nut auf ein anderes Gleis, bog yon vornherein erhebliehe Angriffsflgehen nnd fi~det Gegner in waehseMer Zahl. S eh a des Myogelose sueht das Auftreten yon Hgrten im rheumat, isehen Muskel zu erklgren, seine Arbeit die Bedeutung der Kgltewirkumg iiir die Entstehung des Muskelrheumatismns statistisch zu erweisen. I n seiner letzten umfassenden Behandlung des Gegenstandes miiht sieh Per i t z unter Verwertung der neueren Arbeiten fiber Kolloidehemie des Muskels (besonders F iirth) die Entstehung rheuma• Muskel- leiden zu kl~ren und die Rolls der Nervenfunktion beim Muskelsehmerz verst~ndlieh zu maehen. Weitere Forschung l~fit auf den gewiesenen Wegen Aufhellnng zahlreieher, noch dunkler Einzelheiten erhoffen und damit vielleieht auch besseren Anhalt fiir zweckmgNge Behandlung.

N'~ch P eritz neige~x zu muskelrheumatisehen Erkrankungen t~ett- siiehtige, Leute mit Gieht und hgrnsanrer Diathese, vor allem kon- stitntionell Muskelsehwaehe (Asthenisehe, Angmisehe, Spasmophile). Dabei werden Giebt und harnsat~re Diathese nieht seharf genng ge-

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trennt; im iib~igen lgl~t sich ein erhOhter Harnsgurespiegel diagnostisch nut mit Vorsicht und unter bestimmten Umst~nden verwe~en. Der Ausdruck ,,Spasmophile" f~ir Angiospastikex" ist nicht gliicklich gewghlt, die klinische 8onderstellung und Selbstgndigkeit schwer zu erweisen. Die Sichtung meiner eigenen Fglle ergibf, StoffwechselstS~ung nut in verschwindender Ausnahme, 5ftel"s Angmie, meist sekundgr, bedingt dutch lange Schmerzzeiten mit ungiinstigem Einflul3 auf Befinden und Ernghrung. Astheniker waren vertreten, nicht voI'herrschend, da- neben Mgnner yon kr~ftigem Knochenbau und guter, ja auffallend krgftiger Muskulatum

In der Minderzahl wirkten auslSsend Kglteeinftiisse und ~bel'- anstl"engungen, viel hgufiger entwickelten sich ~yalgien nach infek- ti6sen t'rozessen, besonders nach i~fluenzaghnlichen nnd grippeart.igen Erkrankungen.

Die Verteilu@ und Lokalisation der Muskelschmerzen wechselten in weiten Grenzen: Beschrgnkung auf wenige Punkte und Ausdehnung ~iber den ganzen KOrper bilden die Extreme, dazwischen reih~ sich die Mehrzahl in breiter Abstufung. Die Schemata yon Pe r i t z geben ein branchbares, abel" nicht, erschOpfendes Durchschnittsbild. Die Aufstellung yon klinischen Typen (gseudoulcus, Pseudoappendizitis, Pseudoneuralgie ischiadica oder intercostalis usw.) hat nut beschrgnk- ten Weft, wesentlicher ftir den Arzt ist die Notwendigkeit, bei ge- klag~en Schmerzen auch an da.s Vorhandensein yon Myalgien zu denken, eingehend zu un~e~suchen und nach erfolgter Feststellung die im Einzelfall verschiedene klinisch-symptomatische Bedeutung zu er- gr[inden. Auf der H~he des Leidens werden nicht alle erkrankten Stellen dem Betroffenen bewul]t, er erstaunt, wenn de1' sachkqmdige Arzt ohne zu fragen neue Stellen aufdeckt. Dieser Naehweis geling~ auch in Zeiten der Besserung vor wi~k!ich erfolgter Ausheilung und bietet wertvollen Anhalt fiir Beurteilung und Behandlung. Au~reten yon Schmerzempfindlichkeit der Itant tiber den erkran~en Mukeln Jst 5fters, keineswegs immer zu beobachten, wenn sich die Priifung auf Kneifen der Haut beschrgn~. Wich~ig ist die Frage nach dem Vorkommen yon ,Muskelhg~-ten", die Entscheidung noch strittig. S c h m i d t lehnt ab, Schade und ~iille~'~ Fe r i t z und K r a u s e an- erkennen clas Auftreten yon Verh~rtungen als obje~ives Symptom. Trotz darauf gerichtete~" Aufmerksamkeit ist es mir nicht gelungen, Hgrten n~chzuweisen, wenn man darunter eine umschriebene, dutch ihre Beschaffenheit yon dem umgebenden Muskelgewebe scharf abgrenz-

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bare, knotennrtige Verdichtung versteht. Der bet~offene Muskel fiihlt sieh oft stellenweise oder in ganzer Fl~ehe kontrahiert, gespannt und dadureh fester an, vielleieht als Ausdruek unwi]lkttrlicher Abwehr. Das Spiel wechselt und andere, gleiehfalls erkranlC0e Muskeln lassen jedes Festerwerden vermissen. Worauf der Untersehied der Unter- suchungsergebnisse bei verschiedenen _'~rzten beruht, ist fraglieh: schwerlich dutch ung!eiche Ausbildung der Technik, denm ,,dattel- kern- bis walnul~grol]e H~rten" zu ~iihlen, diirfte, so sollte man meinen, nieht allzu sehwer sein. Wahrseheinlich erf~hrt ann~hernd gleieher Tastbefund ungleiche Deutung.

Die Rtiekwirkung auf Befinden und Kr~ftezustand hgngt ab voa Dauer und Umfang des Leidens. Bald nut eine leiehte StSrung mit geringem Funktionsausfall, in anderen Fgllen sehwe~e Beeintrgehtigung der Erwerbsfghigkeit und nicht selten eine so hoehgradige Schgdigung, dab die Erkrankten kaum bewegungsfghig, fast gelghmt erseheinen, von dauernden Schmerzen gepl~gt, vSllig verzweifelt sind. Damit verbunden sind dann Kr~tfteverfall, waehsende Schwgehe und steigende Nervositgt.

Dem Kenner bietet die Beurteilung aueh in Friihf~llen meist keine Schwierigkeiten. ttauptsaehe is~, an Myalgie zu denken und den Einzelfall nach MSglichkeit urs~chlich klar zu stellen. Nicht jeder Muskelschmerz ist eine Myalgie (ira engeren Sinne), nicht jede Myalgie ein selbst~ndiges Leiden: ieh erinnere nut an die diagnostiseh ver- sehiedene Bedeutung des Cueullarisschmeizes!

Die Verkniipfung mit NeuI'algie ist nicht selten (Isehias, Inter- kostal-0kzipitalneuralgie . . .). 2 F~lle mit gleichzeitigem angioneu- rotisehem 0dem konnten reich nicht zu Qu inckes Auffassung be- kehren.

Von seltenen Lokalisationen nenne ich Beteiligung der Lippen-, Zungen-, Kau- und Sehlundmuskeln, der Ohrlgppehen, der Damm- muskulatur. Dal~ gerade an diesen Stellen Muskelschmerzen unan- genehme l~'unktionsstSrungen bedingen kSnnen, ist einleuehfend.

Bei des Behand!ung ist im B e g i n n ein energisehes diaphoretisehes Verfahren dutch Hitze nnd Medikamente in wechselnder Form und Misehung oft wirksam, daher zu versuchen. Das meines Eraehtens sicherste Mittel bei mehr chronischem Verlauf sind Einspritzungen yon Koehsalzl5sung, die ich seit 1903 anwende.

Ich bevorzuge abgekiihlte physiologisehe lqaC1- oder Ringersehe LSsung ohne Zusatz schmerzstillender Mittel und mache tggUeh 8--12

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Einspritzungen yon 5--10 ccm. Je nach der Widerstandsf~higkeit schalte ich nach 3--6 Tagen einen Ruhetag ein und setze die Ein- spritzungen fort. Nach Beseitigung der schmerzenden H~uptstellen bleiben oft noch Restpunkte zurfick, deren Auffindung nicht immer leicht, abet iiir den Enderfolg wichtig ist. Monatel~nge Behandlung ist nut bei schweren F~llen notwendig, abet ich babe ihrer genug gesehen, die lange Jahre gelitten und keinen Heiler~olg batten. Bei solchen Kranken ist die Behandlung nicht leicht, die Kur miihsam auch fiir den Arzt. Da geni~gt nicht die Spritze, es gilt mit allen Mitteln den Kr~ftezustand zu bessern, den gesunkenen Mut immer wieder zu beleben. -- Schwer ist die Aufgabe, der Erfolg lohnend und oft dauernd. Ich kSrmte zahlreiche F~lle nennen, die naeh langen Qualen dutch die Beh~ndlung aus Kriippeln leistungsfahige Menschen gew0rden und seit Jahren geblieben sind. Es ist unrichtig zu behaupten, dal3 man mit ausgedehnten Myalgien nicht fertig wird (Peritz), abet Zeit, Miihe und Energie sind erforder!ich~ dana geht es. Vers~ger kommen natiirlich vor, sind abet selten und gelten mehr fiir die Frage der D~uerheilung. Sind die Arbeits- und Lebensbedin&magen naoh der Entlassung zu ungiinstig, die Widerstandsf~higkeit zu gering, dana erlebt man Riickf~lle, die abet manchmal einer zweitea Kur d~uernd weichen. Ernste StSrungen sah ieh yon den Einspritzungen niemals, auch nicht als Folge der h~ufigen Temperatursteigerungen (Koehsalz- fieber! ?). Anf~ngliehe Versuehe mit Massage babe ich a~ffgegeben, da sie nicht be~riedigten, keinen u boten. Die vielen Mil~erfolge, die meine Kranken vorher mit anderen Heilmethoden erlebt hatten~ die zweifellos sachgem~l~ angewandt waren, ersparten mir in diesen F~llen die Verpflich~ung zu ihrer erneuten Anwendnng.

Gegen die Geiahr des Riickfalls empfiehlt sieh eine Abh~r~ung nur in vorsich~iger Steigerung, alle forcierten Mal3nahmen sind zu wider- raten. Das Tragen wollener W~sche ist zu empfehlen, Klima- oder Berufswechsel sind nnter Umstgnden notwendig.