Über fieberphantasmen im wachen (nach eigener selbstbeobachtung.)

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Uber Fieberphantasmen im Wachen. (Nach eigener Selbstbeobachtung.) Von Medizinalrat Prof. Dr. P. N~icke (Hubertusburg). (Einqegangen am 26. Dezember 1911.) Uber den Wert der sogenannten Selbstbeobachtung ist schon viel gesehrieben und gesproehen worden, am besten vielleieht von Wundt 1) an versehiedenen Stellen seiner Sehriften. Ich selbst habe auch wieder- holt darauf hingewiesen2). Gewissen psychologisehen Tatsachen kSnnen wir aber nur auf diesem Wege ngher treten, da bier alle Fremdbeob- aehtung unmSglich oder nur sehr mangelhaft ist und die experimentelle Psychologie uns hier ganz im Stich lgBt. Alles z. B., was man von der ,,inneren Sprache" weil~, d. h. was mit unserm persSnlichen Modus zu denken zusammenhgngt, kann nur so allmghlich klar gelegt werden, wie ich dies (1. e.) des weiteren ausfiihrte. Auch das Aufspiiren unbe- kannter Glieder einer Assoziationsreihe gelingt uns 5fters so, desgleiehen das Auffinden gewisser Komplexe, die also durehaus nieht blol3 dureh Psyehoanalyse aufzudecken sind. Uber das weite Gebiet der Gefiihle und Willensbestrebungen in ihren mannigfaehen Verbindungen und St~rkegraden kann uns eigentlich blol3 die Selbstbeobachtung Kunde geben. Ebenso bez. der Illusionen und Halluzinationen im normalen und kranken Zustande, soweit sie nicht in Worte gekleidet sind und da- durch auch andern zug~nglich werden. tIauptbedingung dieser Methode ist und bleibt allerdings zun~ehst hSchste Wahrhaftigkeit und Unvoreingenommenheit des sich selbst Beobachtenden, der freilich, wie jeder andere, sieh aueh irren kann. Sodann verlangt man Routine in der Selbstbeobachtung und Kenntnis tier einsehl~gigen psyehologischen Fragen und Tatsachen. Daft die 1) An einer Stelle seiner Essays macht er mit Recht darauf aufmerksam, dab es eigentlich keine Selbstbeobachtung g~be, nur eine W a h r n e h m u n g innerer Zust~nde und Vorg~nge. Die Wahrnehmung als solche sei dem Zufatl preisgegeben, darum liickenhaft. Die Beobachtung seiner selbst sei unmiiglich, da das Objekt der Selbstbeobachtung ja eben der Beobachter selber sei. Man mul3 sich also mit gelegentlichen Wahrneh m ungen innerer Zust~nde zufrieden geben. 3) N~cke, Durch Introspektion gewonnene Einblicke in gewisse geistige Vorg~inge. Neurol. Centralbl. Nr. 13, 1910. Z. f. d. g. Neur. u. Psych. O. VIII. 31

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Page 1: Über Fieberphantasmen im Wachen (Nach eigener Selbstbeobachtung.)

Uber Fieberphantasmen im Wachen. ( N a c h e i g e n e r S e l b s t b e o b a c h t u n g . )

Von Medizinalrat Prof. Dr. P. N~icke (Hubertusburg).

(Einqegangen am 26. Dezember 1911.)

Uber den Wert der sogenannten Selbstbeobachtung ist schon viel gesehrieben und gesproehen worden, am besten vielleieht von W u n d t 1) an versehiedenen Stellen seiner Sehriften. Ich selbst habe auch wieder- holt darauf hingewiesen2). Gewissen psychologisehen Tatsachen kSnnen wir aber nur auf diesem Wege ngher treten, da bier alle Fremdbeob- aehtung unmSglich oder nur sehr mangelhaft ist und die experimentelle Psychologie uns hier ganz im Stich lgBt. Alles z. B., was man von der ,,inneren Sprache" weil~, d. h. was mit unserm persSnlichen Modus zu denken zusammenhgngt, kann nur so allmghlich klar gelegt werden, wie ich dies (1. e.) des weiteren ausfiihrte. Auch das Aufspiiren unbe- kannter Glieder einer Assoziationsreihe gelingt uns 5fters so, desgleiehen d a s Auffinden gewisser Komplexe, die also durehaus nieht blol3 dureh Psyehoanalyse aufzudecken sind. Uber das weite Gebiet der Gefiihle und Willensbestrebungen in ihren mannigfaehen Verbindungen und St~rkegraden kann uns eigentlich blol3 die Selbstbeobachtung Kunde geben. Ebenso bez. der Illusionen und Halluzinationen im normalen und kranken Zustande, soweit sie nicht in Worte gekleidet sind und da- durch auch andern zug~nglich werden.

tIauptbedingung dieser Methode ist und bleibt allerdings zun~ehst hSchste Wahrhaftigkeit und Unvoreingenommenheit des sich selbst Beobachtenden, der freilich, wie jeder andere, sieh aueh irren kann. Sodann verlangt man Routine in der Selbstbeobachtung und Kenntnis t ier einsehl~gigen psyehologischen Fragen und Tatsachen. Daft die

1) An einer Stelle seiner Essays macht er mit Recht darauf aufmerksam, dab es eigentlich keine Selbstbeobachtung g~be, nur eine Wahrnehmung innerer Zust~nde und Vorg~nge. Die Wahrnehmung als solche sei dem Zufatl preisgegeben, darum liickenhaft. Die Beobachtung seiner selbst sei unmiiglich, da das Objekt der Selbstbeobachtung ja eben der Beobachter selber sei. Man mul3 sich also mit gelegentlichen Wahrneh m ungen innerer Zust~nde zufrieden geben.

3) N~cke, Durch Introspektion gewonnene Einblicke in gewisse geistige Vorg~inge. Neurol. Centralbl. Nr. 13, 1910.

Z. f. d. g. Neur. u. Psych. O. VIII. 31

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464 P. Niicke:

Mediziner und Psychologen sich hierzu besonders eignen, ist selbstver- st~ndlich, da der Laie sich wohl eventuell auch gut beobachten kann, abet die vielen Fehlerquellen, die zu vermeiden sind, nicht kennt, namentlich, wenn es sich um pathologische Produkte handelt. Der I~ie weil~ auch nichts oder nur wenig von Psychologie, folglich auch nicht, worauf es in concreto eigentlich ankommt. Unter den Medizinern wieder dfirften die Psychiater die berufensten Selbstbeobachter sein, da ihnen das geistig Abnorme ja am besten bekannt ist und yon ihnen am richtigsten bewertet wird. So haben wit denn auch Medizinern resp. Psychiatern wertvolle Selbstbeobachtungen, eigene oder fremde, zu ver- dankenl). Vor Jahren habe ich selbst eine eigne Jodoformintoxikation mit nachfolgender schwerer Amentia beschrieben e), einen mehrfach inter- essanten Fall, nicht am wenigsten durch die noch wochenlang in der Rekonvaleszenz auftretenden Geruchshalluzinationen nach Jodoform.

Leider sind wir speziell fiber die Delirien im Fieber und bei Psychosen nur soweit unterrichtet, als Fremde gewisse Worte, Reden und Mienen des Kranken aufnahmen und notieren konnten. Das meiste wird abet bier gewShnlich n i c h t ge~u~ert und der Patient weil~ nach Ablauf seiner Krankheit nichts von seinen inneren Erlebnissen mitzuteilen, oder nut sehr weniges. Wir brauchen abet gar nicht einmal die Delirien selbst ins Auge zu fassen. Wir sehen ja fast noch h~ufiger die Katatoniker aller Haltungstypen und verschiedener Grade psychischer Gebundenheit. Wie gern mSchten wir nun etwas von dem in ihrer Psyche Vorgehenden wissen und doch erfahren wir hieriiber fast nie etwas. Wenn die Kranken aus ihrem Stupor oder ihrem Negativismus erwachen, so kSnnen sie gewShn- lich fiber die inneren Vorg~nge, namentlich die Motive ihres eigentfim- lichen Gebarens, keinerlei Auskunft geben, oder nur so Unbedeutendes und Vages, das uns damit wenig genfitzt ist. Ich wenigstens babe bis dato reich umsonst bemfiht, etwas Positives zu eruieren. Und wenn G r e g o r neuerdings einmal bei einem stuporSsen Katatoniker experimentell einige Geffihls~ui~erungen feststellen konnte, so ist doch das Resultat ein recht mageres.

Heute bin ich nun in der Lage, eine e i g e n e Selbstbeobachtung zu ver0ffentlichen, die, glaube ich, manches" Interessante aufweist. Sie bezieht sieh auf n~iehtliche Fieberphantasmen im Wachen, d. h. also bei vS l l i g k l a r e m Bewul~ t se in . Es sind folglich keine Delirien. 12~ber den Inhalt der Fieberdelirien sind wir, wie schon gesagt, durch

1) Ich erinnere hier z. B. an die schSnen Beobachtungcn eines Arztes durch Ka ndins k y (siehe bei S t 5rri ng, Vorlesungen fiber Psyehopathologie usw. Leipzig, Engelmann 1900, S. 62ff.) oder an die Eigenbeobachtungen Hoppes (StSrring, 1. c., S. 78).

2) N~cke, Eigener, schwerer Fall yon Jodoformintoxikation. Berl. klin. Woehenschr. 1892, Nr. 7.

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(~ber Fieberphantasmen im Wachen. 465

fremde ZuhSrer einigerma~en orientiert, wenngleich nur sehr liickenhaft, da Fieberdeliranten gewShnlich nur zeitweise sprechen, manchmal stundenlang sprachlos daliegen, wi~hrend das Mienenspiel auf lebhafte innere Vorgi~nge hinweist. Die F i e b e r p h a n t a s m e n aber bei e r h a l - t e n e m BewuBtsein sind meines Wissens bisher noch nicht beschrieben worden und es kann dies ja auch nicht durch Fremdbeobachtung ge- schehen, da bier fiberhaupt n i c h t gesprochen, sondern wohl nur ge- sehen wird. Aber nicht blol~ als wahrscheinlich einzig dastehende Beschreibung diirfte die folgende Darstellung yon Weft sein, sondern auch, weft sie Beriihrungspunkte mit der Physiologie zeigt und noch mehr solche mit dem gewShnlichen Traume und ~hnlichen Zust~nden.

Am 15. November 1911 erkrankte ich in meinem 61. Lebensjahre an einer rechtsseitigen unteren Bronchopneumonie mit 31/2 Tage w~hrendem hohen Fieber his zu 40,7 ~ C und 132 Pulsen. Das Fieber fiel kritiseh ab, setzte aber eine groi~e Schw~ehe und Abmagerung, doch war die Rekonvaleszenz eine relativ kurze. Bei lob~rer starker D~mpfung war, aul~er ein paarmal an ganz engbegrenzter Stelle ein bron- ehiales, nur versehi~rftes Atmen hSrbar und alle anderen Symptome spraehen gleiehfalls gegen eine croupSse Pneumonie. Die Besinnung war stets erhalten, nur soll ieh zweimal momentan deliriert haben. Zum besseren Verst~ndnisse des Folgenden gebe ieh hier eine kleine Tabelle, um dasVerhalten der Temperatur, des Pulses und der Respiration an den 6 ersten Krankheitstagen aufzuzeigen.

Datum Temperatur Puls R e s p i r a t i o n

friih mit tags abends frfih mit tags abends friih mit tags abends

15. Nov. 16. Nov. 17. Nov. 18. Nov. 19. Nov. 20. Nov.

38,4 38,6 39,6 40 36,2 36,6 37~0 36~2 39,8 39,4 36~6 36,1

39,2 - - 39,8 104 40,7 78 37 82 78 38,2 96 90 36~8 72 78

Weiterhin VerhaRen

132 100 104 100 84 112

72 80 68

normM.

- - 16 16 20 20 18 14 14 21 16 16 16 24 22 18 18 16 14

Nach 2 Fiebertagen fiel also (am 17. November) die Temperatur kritisch ab, um am Abend desselben Tages wieder stark zu steigen. Am 18. folgte darauf ein fieberloser Tag, dem am 19. der 3. und letzte ganze Fiebertag folgte.

Am 16. November .nun, also am 2. Erkrankungs- und Fiebertage, lag ich in Riickenlage mit geschlossenen Augen wachend da, als ich im finstern Zimmer - - es war kurz nach 6 Uhr abends - - gerade vor mieh bliekend eine Menge von Bildern vor meinem Auge vorbeiziehen sah,

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466 P. Ni~cke:

die mein Interesse erweckten, da ich dergleiehen noeh nie gesehen hattel). Ieh beobachtete deshalb alles doppelt scharf and, um die Details nicht zu vergessen, diktierte ich das Gesehene sofort oder kurze Zeit darauf meiner Frau, so dab die Beschreibung eigentlich eine proto- kollarische Niederschrift darstellt und damit natiirlich wertvoller wird. Die Bilder zogen kaleidoskopisch vor dem Auge vorbei in m~Biger und gleicher Geschwindigkeit. Ein Bild konnte nur schwer und selten einige Augenblicke an gleicher Stelle gehalten werden. Kaum war es aus dem Chaos aufgestiegen, so ward es fixiert, wanderte nach rechts und sobald es nach rechts hin verschwunden war und der Blick wieder nach links pendelte, stand schon wieder ein neues Bild fix und fertig da; es entwickelte sich also nicht erst aus dem Leeren wie das erste Bi l~ Zuerst ersehienen in Ein- oder Mehrzahl und versehiedener Form, sich bald zu einer helleren, wei~gelbliehen Fl~che vereinigend, helle Flecken auf dunklem Hintergrunde, sehr selten waren es helle, senkreehte und wagerechte, sich rechtwinklig schneidende Linien. Erst wenn ich die Aufmerksamkeit darauf richtete, entwickelten sich sehnell daraus die Bilder. Sie erschienen schwarz auf weil~lichem Grunde, oder weii~- lich auf dunklem. Das Wasser war bl~ulich; braungelblich mehr die plakettartigen Reliefs. Die meisten Bilder gliehen Zeichnungen, waren also ganz flach, sehr selten leicht relieviert und alle waren oblong gefaltet, mit der Schmalseite bald naeh oben, bald seitlieh. Da zeigte sich z. B. ein Wald, von vielen Wegen und Kan~len durchzogen, die sich teilten oder kleine Seen bildeten. Einmal sah ich eine Gruppe eng aneinander gedr~ngter Frauen und Kindern mit hellen Gesichtern, sich nach vorn bewegend, aber keine M~nner. Auch die Personen gingen nach rechts, keine stand still, soviel ich mich erinnere. Ein innerer Zusammenhang zwischen den sich folgenden Bildern war nicht zu erkennen. Allewickelten sieh auf einer planen, senkreehten Fl~che ab, etwa in der Entfernung yon 1/2--a/4 m vom Auge. Genauere Details konnte ich leider nur wenige sehen, also z. B. nieht die Gesiehtsziige, und das weniger wegen der geringen Beliehtung, als vielmehr meiner grol~en Kurzsichtigkeit halber. Nach 5 )r etwa 6ffnete ieh die Augen, sah auf die Zimmer- decke den Schein einer aul]erhalb des Zimmers stehenden Lampe durch die obere Tiirverglasung fallen und pl6tzlieh war der Spuk verschwunden.

Von 1/28--8 Uhr sah ich im Dunklen und gleiehfalls im Wachen sehwarze Schrift auf einer schwarzen eisernen Platte, in leichtem Relief, konnte sie aber der Kurzsiehtigkeit halber nicht lesen. Gleich darauf erschien eine eiserne' viereekige Platte mit Rillen, die vielfach unter- broehen und gekriimmt, eine kiinstlerische Zeiehnung darstellten, welche ich aber gleichfalls nicht auffassen konnte, da sie zu schnell voriiberflog.

1) Ob sie schon vor 6 Uhr schwach aufgetreten waren, weil3 ich nicht. Jeden- falls habe ich sie erst nach 6 Uhr plStzlich entdeckt.

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l~ber Fieberphantasmen im Wachen. 467

Bei Augenschlul] waren alle Bilder deutlicher, die Farben heller, ge- s~ttigter, als bei offnen Augenl). Alles ging yon links nach rechts, auch die Personen, manche aber auch yon vorn nach hinten oder umgekehrt, also in deutlicher perspektivischer Darstellung, desgleichen die Wege und Kan~le der W/~lder usw. Als dann das Fieber naehliel~, der Puls und die Respiration an Zahl abgenommen batten, verblal3ten die Bilder immer mehr und versehwanden endlich, wohl aueh, weft die Aufmerk- samkeit naehliel3 und die Ideen sich jagten.

Am n~chsten Tage, dem 17. November, fiel das Fieber. Nach- mittags zwischen 3 und 5 Uhr t ra t dann leichtes Fr6steln und Hfisteln auf und u m 61/4 Uhr wurden 21 Respirationen, 112 Pulse und 40,7 ~ C notiert. Um 9 Uhr betrugen die Pulse 104, um a/410 Uhr 100. Am hellen Tage, als das Fieber noch nicht aufgetreten war und der Puls ganz normal sich verhielt, sah ich die gleichen Ph~nomene, wie friiher: wenn ich die dunkle Zimmertapete fixierte 2), nur viel deutlicher, als vorher. Das Thermometer war in die ]inke Achselh6hle eingelegt worden. Ich sah, mich links wendend, auf dessert gelben Knopf der oberen Messing- hiiIse und sehr bald verwandelte sich dieser in einen Menschenkopf, der wiederholt Stellung und Gesichtzsiige ~ndertea). Bei geschlossenen Augen ersehienen die Bilder deutlicher, als bei offnen, aber sie erschienen nur bei Fixierung. Sobald die Aufmerksamkeit erlahmte oder dutch Gedanken abgezogen wurde, verschwand alles. Die Bilder waren meist schwarz oder weilt, wie schon gesagt, doch auch bl/~ulich (besonders das Wasser) oder braun-gelblich und zwar in versehiedenen Nuancen. Zuletzt t ra t noch in einigen Bildern eine neue, fiinfte Farbe hinzu, n~mlich blal] griin, bei G~rten, W~ldern und den Waldseen. Einmal waren letztere so klar durchsichtig, dab man den Schatten der umstehenden B/fume darin erblickte und gleich darauf sah ich die Wolken sich darin abspiegeln und einmal sogar am Ufer den Schaum yon 1 oder 2 Wellen sieh brechen.

W/ihrend des hohen Fieberanstiegs am Abend desselben Tags war ieh um 10 Uhr abends bis 4 Uhr friih wach. ~hnliche Erscheinungen, wie friiher, t raten auch jetzt wieder auf. Allerlei Figuren, S~ulen, Trepper~- stufen, Waldlandschaften, Gruppen yon Personen oder nut K(~pfe usw. zeigten sich, aber alles wenig deutlich. Waren die Personen usw. dunkel, so konnten einige Partien darin heller belichtet sein. So traten z. B. einmal mehrere schwarze, leicht erhabene Kinderk6pfchen auf, wo die SchlKfengegend, die Stirne, die Backenknochen hell beleuchtet er- sehienen. Bei scharfem Hinblicken sah ich sie die Stellungen ~ndern; ob aueh die Gesichtsziige, konnte ich nicht unterseheiden. Beim ersten

1) So weit ich mich erinnere, erschienen die Bilder auch bei monokul~rem Sehen. 2) Die mir so nahe erschien, uls die Bilder-Projektionsfii~che friiher. 3) Hier konnte ich sie sehen, weft das Objekt n~her lag als bei den Bildern.

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468 P. Ni~cke :

Fixieren sah man zuerst eine schwarze Fl~che, darauf einen weiBgelb- lichen Fleck, der 0fter ins B1Kuliche spielte, sich vergr0Berte oder aus mehreren kleinen Flecken zusammenflof~, woranf dann erst in sehwarzer oder brKunlicher Farbe die Figuren sich flach abzeichneten oder leicht als Reliefs sieh abhoben. Oder es entwickelten sich weiftliche Bilder auf dunklem Grunde. Durch Drehen des Bulbus konnten die Details der Bilder nach versehiedener Richtung hin bewegt werden, es gelang aber nicht das g a n ze Bild aus der Horizontalen nach oben oder unten hin zu versehieben, ebensowenig ein eben entschwindendes Bild wieder zuriickzudrehen oder gar von neuem hervorzuzaubern. Sehr deutlich ersehien beim seharfen Fixieren die schnelle Metamorphose der Details, indem sic ihre Form, Riehtung usw. leicht ~nderten. Absicht und Wille war abet hier g/s machtlos. Einmal gelang mir folgendes Experi- ment. Ich sah deutlich ein Auge, das reich an das eines Kollegen mit einer groBen vorspringenden Adlernase erinnerte. Ieh frug mich: sollte es etwa X. sein ? Und sofort erschien die charakteristische Nase. Ahn- lieh ist auch folgende Tatsaehe. Am Tage sah ieh auf einem Tuche vor mir mit rauhen F~den die Zahl 17 deutlich gesehrieben und zwar dies d r e i m a l h i n t e r e i n a n d e r , wenn ich das Auge schloB und Off. nete. Ich frug mich, ob etwa dahinter noch eine Zahl k~me und sofort sah ich, wie ganz schwach die Zahl 1 sich ansetzte. In diesen F/~llen kann man nicht yon einem Willen, nicht einmal yon einem Wunsehe sprechen; es war vielmehr eine zeichnerische Antwort auf eine Frage im stillen. In anderen F/s handelte es sich um eine K1/irung der Sachlage oder eine Kritik. So sah ich z. B. einmal vor den Augen einen stachlichen, br~unlich gef~rbten, flach kegelf6rmigen Gegenstand auftauehen, tch wunderte reich, was es wohl sein mSge, besah ihn yon allen Seiten, bis dab er sich zu einer Art yon zusammengerolltem Igel abrundete.

t t iermit habe ich die Hauptpunkte meiner Beobachtung beriihrt und wir wollen sie jetzt zu erkl/iren suchen. Ich schieke voraus, dab ich nie vorher noch nachher, weder am Tage noeh im Dunkeln solche Bilder gesehen habe, wie z. B. H o p p e sic im Dunkeln sah. Es gelingt mir im Dunkeln 0fters, also nicht immer, dutch f e s t e s SehlieBen der Augenlider eine schwach-helle Scheibe oder einen hellen Ring vor dem Auge an der gr0ftten Druekstelle zu erzeugen, mehr nieht. Am Tage ist die Erscheinung viel schw/~eher und viel seltener; dann abet erseheint bei festem Augenschlul~ in der Mitter eine s c h w a r z e Scheibe oder ein schwarzer Ring, in dessert Mitte dann ein heller~ sich ausweitender Fleck erscheint. Mehr aber entwickelt sich nicht bei mir, auch nicht beim Ein- schlafen. Am Tage fehlt bei offenen Augen jede Lichterscheinung. Wenn wit also in meinem obigen Falle so deutliche Liehtph~nomene sehen, die nut entoptische sein k0nnen, dutch Druck auf den Bulbus infolge des Lid-

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Ober Fieberphantasmen im Wachen. 469

schlusses, der aui~erdem nur ein ganz leichter war, so miissen'wir zun~ichst dafiir eine e r h S h t e E m p f i n d l i c h k e i t de r N e t z h a u t verantwort- lich machen, da solche Entopsien, wie eben gesagt, in gesunden Tagen meist nicht auftreten und wenn ja, dann nur ganz schwach und bloB bei starkem AugenschlulL Skotome kommen hierbei sicher nicht in Betracht. Die erhShte Reizbarkeit wird offenbar bedingt dutch das Fieber, also die erhShte Temperatur - - bei hOherem Fieber t raten alle Ph~nomene bei mir deutlicher hervor, als bei geringerem oder fehlendem,

die ttyper~imie der Gef~Bel), die beschleunigte Zirkulation und damit ver~nderten Stoffwechsel und endlich dutch den erhShten Blutdruck, der bei mir noch hSher ist wie sonst, well ich an beginnender Atheromatoso des Herzens leide. Dal~ aber aus solchen entoptischen Erscheinungen allerlei Bilder erstanden, se,*zt notwendigerweise weiter eine erhShte Reizbarkeit der o p t i s c h e n S i n n e s s p h ~ i r e , w a h r s c h e i n l i c h a u c h e i n e e r h S h t e P h a n t a s i e m i t s c h n e l l e r e m A s s o z i a t i o n s a b l a u f ~) voraus und zwar durch dieselben Momente bedingt, wie die erhShte Reizbarkeit der Retina. Man kSnnte sich auch fragcn, ob etwa kreisende Mikroben gleichfalls Reizmomente mit abgeben. Auffallend ist es nur, da$ bei mir bloB die optische Sinnessph~re angesprochen wurde, nicht auch die akustische, w~hrend bekanntlich GehSrshalluzinationen viel h~ufiger sind, als solche des Gesichts, obgleich wiederum ent- akustische Vorg~nge viel seltener auftreten, als entoptische. Ich weiB den Umstand nicht recht zu deuten. VieUeicht ist das optische Sinnes- zentrum eher reizbar als das akustische, erlahmt dann aber leichter, so dab bei h6heren Graden der Reizung, wie bei den Deliranten und Halluzinanten aller Art, schlieI]lich mehr Geh6rs- als Gesichtsti~u- schungen sich ausbilden.

Als am 2. Beobachtungstage das Fieber gefallen war, der Puls und die Atmung sich normal gestaltet hatten, t raten trozdem die Phantasmen Jn alter Weise hervor, wenn auch schw~cher. Vielleicht war hier schon die beginnende Ersch6pfung und der ver~nderte Chemismus des K6rpers daran schuld, und die erh6hte Reizbarkeit wirkte vielleicht noch nach. Das mfiBte freilich noch mehr nach Ablauf des ganzen Fiebers statt- gefunden haben, wEhrend i ch dann doch keine Phantasmen mehr sah.

1) Mit Hoppe (l. c.) aueh einen EinfluB der ,,Gef'dBmassen", der Pulsbewegung oder vielleicht gar der Blutk~irperchen anzunehmen, lehne ich ab. Vet Jahren habe ich wohl als der erste in einer groBen Arbeit: Beitr~ge zur Lehre des Delirium tremens (Deutsches Archiv f. klin. Medizin Bd. 25, 1880) die Hypothese aufgestellt, dab die schnelle Bewegung der BlutkSrperchen in der Netzhaut das Sehen der vielen kleinen Tiere veranlasse, eine Hypothese, die ieh jetzt aus mehrfachen Griinden als unwahrscheinlich fallen gelassen habe.

~) W/s des Fiebers jagten in meinem erregten Gehirn allerlei Probleme, und es fielen mir auch einige ganz gute Ideen ein -- wie das bei mir namentlich in schlaflosen Stunden der Fall ist --, die ich zum Tell notierte.

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470 P. Nticke :

M6glicherweise war durch die noch grSf~ere ErschSpfung die Aufmerk- samkeit schw~cher geworden, und dadurch die Fixierung schwerer.

Die allgemeinen Bedingungen fiir das Entstehen der Bilder h~tten wir somit erledigt. Wenden wir uns jetzt zum Inhalt derselben. Wir sahen oben, dal] d ie B i l d e r s i ch a u s e n t o p t i s c h e n h e l l e n F l e c k e n e n t w i c k e l t e n , a b e r n u r b e i A n s p a n n u n g d e r A u f m e r k s a m k e i t . D i e se w a r a u c h z u r F i x i e r u n g nSt ig . Sobald sie nachliel~ oder andere Gedanken sie fesselten, war es mit den Bildern vorbei. Die e n t o p t i s c h e n P h ~ n o m e n e entstanden d u r c h d e n D r u c k d e r g e s c h l o s s e n e n A u g e n l i d e r a u f d e n A u g a p f e l , wie schon nor- malerweise 5fters, wenn auch nur schwach. Dies auch bei offnen Augen, da die Augenmuskeln nie ganz still stehen und bei grSBeren Bewegungen der Bulbus leicht gedriickt werden kann, und so subjektive Lichter- scheinungen erzeugt werden, wie man dies namentlich gut bei schneUen und ruckweisen Augenbewegungen sieht. Wir sahen ferner, wie zuerst ein helles Feld entstand, aus einem Flecke erweitert oder aus mehreren Flecken zusammengeschlossen, in dessen Zentrum dann gewShnlich eine dunkle Fl~che sich ausbildete, ausweitete und zu silhouettenartigen Bildern sich gestaltete. Es konnte aber auch in dem dunklen Felde wieder ein helles entstehen und daraus erst die Bilder sich erzeugen. Al le B i l d e r w a r e n a u f e i n e g e r a d e , s e n k r e c h t s t e h e n d e F 1 / s in einer Entfernung yon I/2--a/4 m vom Auge. D i e E n t f e r n u n g ~ n d e r te s i ch n i c h t und entsprach offenbar der groben Sehweite. Die B i l d e r , ebenso die etwa auftretenden Personen, w a n d e r t e n g l e i c h m ~ g i g s c h n e l l v o n l i n k s n a c h r e c h t s , und nur selten gelang es, eins 1Knger zu fixieren. Das war o f f e n b a r W i r k u n g d e r n ie r u h e n d e n g e r a d e n A u g e n m u s k el n. Merkwiirdig ist, dag hier eine Fixation derart, daI~ ein Bild einige Zeit an derselben Stelle gebannt ward, nur selten gelang, w~hrend dies ja beim gew0hnlichen Sehen, Beobachten, so leicht gelingt. Vielleicht war eine Schw~chung der Muskeln durch das Fieber usw. daran schuld. Die Bewegung nach rechts h~ngt wohl von der gewohn- heitsm~l~igen T~tigkeit dieser Muskeln ab, in dieser Richtung zu wirken. Kopfbewegungen machte ich nie, sie k6nnen also fiir die Rechtswande- rung der Objekte nicht in Frage kommen. ~)

A b e r a u c h die A k k o m m o d a t i o n s p i e l t e e i n e g roBe Ro l l e . V i e l e B i l d e r e r s c h i e n e n p e r s p e k t i v i s c h , u n d z w a r e r s t a l l - m ~ h l i c h nach dem Grade der Akkommodation. So konnte man, zugleich unter Zuhilfenahme der Augenmuskeln, in den Landschaften die Wege,

1) Ahnlich bei dem von K a n d i n s k y beobachteten Arzte. 2) Als Folge der Augenmuskelbewegungen und der Akkommodation mu{t

wohl auch die Stellungs- und Gesichtsmetamorphose von KSpfen usw. gedeutet werden, indem die Muskeln das Gesicht usw. fSrmlich absuchten und das Bild sofort /mbewui~t nach der arbeitenden Phantasie sich ~nderte.

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0her Fieberphantasmen im Wachen. 471

Wasserli~ufe von vorne naeh hinten oder in anderer Richtung hin sieh be~ wegen lassen. DaB die Bflder relativ so nahe geriickt undklein ersehienen, war wohl die Folge meiner K u r z s i e h t i g k e i t l ) . Diese, im Verein mit einer sehwaehen Akkommodation, war wohl auch schuld, dab die Bilder flaeh wie Zeiehnungen erschienen oder nur als wenig erhabene Reliefs. Zur Rundbildung geh6rt eben eine sehr ausgiebige Akkommodation, und diese leidet wahrscheinlieh sehr in Delirien, Tr~umen usw. Sehon im gew6hnlichen Leben sehen wit die Gegenst~nde meist nur, wie auf den meisten 01gem~lden, mehr oder weniger zweidimensional und es bedarf einer besondern Anstrengung und speziellen Fixierung, um eine volle plastische Rundung des Objektes zustande zu bringen. Wieviel mehr in jenen Zust/inden ! Ats flache Reliefs erschienen nament- lich die Schrift und Gruppen yon Personen, oder KSpfe, weil wir diese gerade oft genug so dargestellt sehen. Hier spielt also wieder die Gewohn- heir eine Rolle. Ich hatte zwar Kreosot vorher und nachher eingenommen, doch ist eine Wirkung desselben auf die Empfindlichkeit der Netz- haut usw. wohl sicher auszusehliel~en. In dem Falle yon K a n d i n s k y (S t 5 r r i n g, h c.) waren die Halluzinationen nach Einnahme yon 25 Tropfen Tinct. opii aufgetreten und K. scheint sie mit der Medikation in ge- wissen Zusammenhang zu bringen, was ich aber nicht glaube, da ich nach solch kleiner und einmaliger Dosis nie J~hnliehes sah oder las.

Der Inhalt meiner Phantasmen war ein mannigfaltiger, seheinbar ohne allen Zusammenhang, sieher abet auf unterbewuBten Assoziationen beruhend, die ich freilich nicht nachweisen konnte. Nichts erinnerte an Lektiire oder Erlebnisse der vorhergehenden Tage. Ganz merk- wiirdig ist, dab der Wil le ode r W u n s e h ke in b e s t i m m t e s Bi ld e r z w i n g e n oder a b ~ n d e r n k o n n t e . Nut eine n~here Fixierung derselben zum Zwecke der Aufkl~rung verwandelte Einzelheiten, aber stets nur in der gegebenen Materie. So lieBen sieh z.B. die Wege und Kan~le des Waldes nach Belieben dureh Augenmuskelbewegung in- der Riehtung bestimmen, aber nichts Neues lieB sieh sehaffen oder hineindichten.

Die Bilder sind somit Folge eines psychischen Aktes, wenn aueh eines unterbewuBten, und zwar ausgehend yon entoptischen Ph~no- menen. Wir haben es folglieh eigentlieh bloB mit I l l u s i o n e n bier zu tun, nicht mit echten Halluzinationen, die n u r zentral entstehen soUen, obgleieh wohl auch bier, sehr oft wenigstens, eine periphere Wurzel sieh nachweisen liel~e, wie namentlieh im Traume. Von den gewShnliehen Illusionen unterscheiden sieh aber unsere Phantasmen dadurch, dab jene gewShnlieh irgend eine ~hnliehkeit mit dem Gesehenen haben,

1) Warum sie alle viereckig,oblong erschienen, weii~ ich nicht zu erkl~ren. Viel- leicht spielt die Gewohnheit, Bilder fast immer in viereckigen Rahmenzu sohen, hierbei eine Hauptrolle.

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weshalb es der Psyche eben leicht fs eine Deckung beider im Sinne der Illusion zu erzeugen, wi~hrend die Phantasmen nur aus vagen, form- losen entoptischen Phi~nomenen entstehen. S t S r r i n g (1. c. p. 63) nennt sie iibrigens mit K a n di n s k y : Pseudohalluzinationen, andere wiirden sic mit Unrecht, wie schon gesagt, vielleicht Halluzinationen nennen. Doch ist die Definition schlie61ich Geschmackssache des einzelnenl).

A u s g e a r b e i t e t w u r d e n d ie P h a n t a s m e n a b e r n u t d u r c h d ie A u f m e r k s a m k e i t , i m V e r e i n m i t d e r K r i t i k u n d d e m B e s t r e b e n s i ch a u f z u k l s Bei den gewShnlichen Illusionen geschieht dies jedoch meist unterbewuSt, bei den HaUuzinationen noch mehr. Leicht verstgndlich in meinem Falle ist wohl auch das Entstehen der Farben. Die meisten Bilder erschienen schws oder wei~lieh. Letzteres ist die subjektive Lichterscheinung dutch Druck auf den Bulbus an der gr56ten Druckstelle und so konnte auch eine blaBbliiuliche oder gelbliche Nuance entstehen. Das Schwarz ist als Lichtmangel aufzufassen und das Brs wohl als eine Mischung mit Hell, wie auch eventuell das Gelb. Dagegen stellt das selten auf- tretende BlaSgriin sehr wahrscheinlich nur die echte Komplement~ir- farbe des rStlichen Scheines dar. Alle Farben erschienen in verschiedenen Nuancen und rnehr oder minder dunkel gehalten, wie die Gegensts bald nach Sonnenuntergang: brannte die Lampe oder war es am Tage, so ersehien alles bei geschlossenen Augen viel deutlicher und klarer, abet immer noch flach.

Wit diirfen wohl annehmen, da6 ganz s Bilder, nut vielleicht weniger deutlich, weft schneller dahinfliegend und weft die Aufmerksam- keit gefesselt ist, im eigentlichen Fieberdelirium oder bei amentiellen Zusts sich einstellen. Bei sts Fieber, st~rkerer Reizung oder momentan eingestellter Aufmerksamkeit mSgen freilich auch hier sehr deutliche und sogar plastische Bilder und echte Halluzinationen ent- stehen, worauf ja das Mienenspiel, die GebSrden und Worte 0frets schliel~en lassen, noch mehr aber die daraus folgenden Affekte, die bei unsern Phantasmen ganz fehlten. Der Kranke kann uns ja hieriiber selbst keine Aufklgrung geben oder nur eine sehr unvollkommene. Zum Teil mSgen die Bilder hier aber auch erst sekund~tr aus affektbetonten Komplexen entstehen, so da$ dann der Affekt das Prim~re ist, die Phantasmen oder Halluzinationen das Sekund~re. Auf alle Fi~lle bilden abet die Fieberdelirien nur eine Weiterentwiekelung der Phantasmen oder Pseudohalluzinationen.

1) Man lese hierfiber die interessanten Ausfiihrungcn StSrrings. Unser Fall zeigt iibrigens, dab er nicht recht hat, wenn er sagt, dab die Pseudohallu- zinationen des Gesichts yon der Reizung der Netzhaut und der Stellung des Auges unabh~ngig seien, ebensowenig daft die entoptischen Erscheinungen nicht bei ge5ffnetem Auge auftreten. Bei mir war es doch der Fall!

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~ber Fieberphantasmen im Wachen. 473

Den Ubergang zum normalen Traume bilden die s o g e n a n n t e l i h y p n a g o g e n t t a l l u z i n a t i o n e n, die sich beim Einschlafen einstellen sollenl). Ich selbst babe sie bei mir trotz sch~rfster Beobachtung nie erfahren und glaube, dal3 sie selten genug sind, obgleich gewil~ h~ufig amr iibersehen. Auch hier handelt es sich dann meist nur um Illusionen, durch entoptische usw. Ph~nome angeregt, selten um echte Halluzi- nationen. Vorwiegend sind ferner Visionen wie auch im Traume, doch kommen auch andere Sinnest~uschungen vor, Hier gilt also nicht der Satz S tS r r i n g s, da{~ bei Pseudohalluzinationen die Gesichtst~uschungen viel seltener seien, als die des Geh6rs, welch letztere bei meinen Phan- tasmen sogar ganz fehlten. Bei den hypnagogen tIalluzinationen spielt aber die Aufmerksamkeit keine oder nur eine ganz untergeordnete Rolle, wi~hrend sie bei mir fiir den Inhal t der Bilder geradezu aus- schlaggebend war.

Nahe den hypnagogen Ph~nomenen stehen die zum gro~en Teile noch normalen T a g t r ~ u m e (day-dreaming), die namentlich bei jungen Leuten sehr gem auftreten. Hier zeigen sich aber gewi6 nie - - aul3er bei Psychopathen - - Phantasmen oder Halluzinationen, sondern es handelt sich bier urn ein Schwelgen in r e i n e n Phantasiebildern, ohne Projektion nach aul3en.

Dagegen treten bekanntlich Illusionen und Halluzinationen massen- haft im T r a u me auf, letztere meist mit peripherer Wurzel. Die Genese und Entwickelung ist also jener der Phantasmen ~hnlich, doch spielt die Aufmerksamkeit , wenigstens anfangs blo~ eine geringere Rolle, mehr dagegen Wiinsche und Komplexe, obgleich beide durchaus n i c h t immer sich nachweisen lassen, wie dies F r e u d und seine Schule behaupten. Diese Komplexe oder irgendwelche Assoziationen best immen dann den Inhal t der Bilder, welche viel mannigfaltiger und komplexer auftreten, als unsere Phantasmen. Auch sie sind meist farblos wei[t oder schwarz, grau, wie B l e u l e r ganz richtig bemerkt, wie Zeichnungen, Silhouetten; doch kommen auch farbige vor, sogar ges~ttigte Farben und volle,

1) Die Beobachtungen Hoppes (StSrring, 1. c.) sind keine solchen, da Hoppe gar nicht schlafen wollte. Ich habe, wie schon gesagt, in gesunden Zeiten nie solche Phantasmen gesehen. Bei Hoppe mug also eine besondere Empf~ng- lichkeit daffir angenommen werden. (~brigens weichen seine Beobachtungen mehrfach yon den meinigen ab, ebenso die yon K a n di n s k y. Ich muB hierbeziig- lich den Leser auf das Original oder auf StSrring verweisen. Bernheim (Revue de Psyehiatrie etc. 1911, S. 409) sagt, dal3, wenn man die Augen schliel3t und sich beim Denken konzentriert, ,,cette pens6e devient souvent image tr~s- nette; il y a autosuggestion hallucinatoire". Ich babe solches nie bei mir kon- st~tieren kSnnen und glaube, dal~ auch dies Erleben eine besondere Disposition voraussetzt. Derselbe Bernhe im (S. 411) nennt die Tr~ume ,,des autosuggestions hallucinatoires", ffeilich durch p a s s i re Suggestion, ,,que l'imagination cr4e automatiquement sans le concours actif du sujet". Das ist gewil~ interessant. Ob aber auch wahr ?

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plastisch gebildete Objekte. Sie wandern fast nie nach einer Richtung, wie unsere Phantasmen, sondern das Auge fixiert das Bild vor sich also bei RuhesteUung des Auges. Daraus entwickelt sich durch aktive oder passive Aufmerksamkeit, Akkommodation, Wunsch usw. das Bfld immer welter aus sich se lbs t h e r a u s , und gewShnlich im dra- matischen Sinne, w~hrend unsere Bilder n a c h e i n a n d e r entstanden und nur sehr selten Dramatisches zeigten, auch wenig mannigfaltig, mehr monoton ausfielen. Erst wenn die Aufmerksamkeit im Traume eine aktive l~olle spielt, kSnnen wir uns hinterher desselben erinnern, vorausgesetzt, dab wir gleich darnach aufwachen. Ganz besonders geschieht dies gegen Morgen im Halbschlummer, wo dann auch bereits die Kritik sich vernehmen l~[tt, wenngleich sehr schiichtern und meist recht kindisch. Der Tr~umer ist sehr oft nur Zuschauer, kann aber durch den Anblick der gesehenen Szene erfreut oder erschiittert werden, noch mehr freilich, wenn er selbst mit agiert. Man kann sich im Traume sogar sagen, dab es nur ein Traum ist (Kritik), also keine Wirklichkeit darstellt, man kann selbst gewisse Szenen einige Zeit n~her festhalten, vielleicht sie bis zu gewissem Grade durch seinen WiUen oder Wunsch beeinflussen, ja eventuell sogar einmal nach plStzlichem Erwachen wieder herstellen und weiter ausspinnen. Auf diese wenigen Bemerkungen bez. des Traumes muB ich reich beschr~nken, da ich dariiber sparer einmal ausfiihrlich zu schreiben gedenke.

Wir haben also eine Entwickelungsreiche vor uns, yon den Fieber- phantasmen zu den Fieberdelirien und anderen Delirien einerseits und den hypnagogen Halluzinationen und dem Traume andererseits. In den ersten Fi~llen l~Bt sich hier wohl meist iiberall ein peripherer Reiz aufdecken und weiter eine empfindlicher gewordene Sinnessph~re. W~hrend aber die hypnagogen Phi~nomene, das Tagtr~umen und die Tri~ume selbst meist norma'le Produkte sind, streifen unsere fieberhaften Phantasmen schon an das Pathologische, und die Fieber-und anderen Delirien sind dann echt pathologische Gebilde.