Über die bedeutung der „meningealen permeabilität“ für die entstehung der progressiven...

19
Uber die Bedeutung der ,,meningealen Permeabilitiit" fiir die Entstehung der progressiven Paralyse. Von E. Weil. (Aus dem hygienischen Institut d(,r deutschen Universit:~it in Prag [Vorstand: Professor :Bail].) (Eingegangen am 24. Md'rz 1911.) Wenn man in den Lehrbfichern der Psychiatrie die progressive Paralysc studiert, so findet man fiber das Wesen dieser Erkrankung, insbesondere aber fiber die Art und Weise ihres Zusammenhanges mit der Lues eine Reihe verschiedener Anschauungen, die jedoch allesamt eine hinreichende Befriedigung nicht gewiihren, so dag man sich des Eindruekes, yon einer Kl~irung in dieser Frage noeh weir entfernt zu sein, nicht erwehren kann. Dies war sicherlich auch der Grund, weshalb der Spirochiitennachweis im Gehirn yon Paralytikern durch Noguchi mit viel Beifall aufgenommen wurde, da einerseits jene Autoren, welche schon friiher die Paralvse f fir eine syphilitische Erkrankung des Gehirnes erkliirt hatten, zu ihrem Rechte kamen, anderseits deshalb, weil diese Befunde des R~itsels einfachste LSsung darzustellen schienen. Die Schwierigkeiten genauer zu erSrtem, welehe sieh sowohl in pathologisch anatomischer als auch in bakteriologiseher Hinsicht der Annahme, dag die Spirochaeta pallid~ alle Erseheinungen der Paralyse erkliirt, in den Weg stellen, halten wir uns nicht fiir berufen. Dag diese bestehen, zeigen die phantastischen Hypothesen, welche unmittelbar naeh der Entdeckung entstanden sind, um unter allen Umstiinden die aus- schlaggebende Rolle der Spiroehaeta pallida fiir die Paralyse zu sichem. Obzwar es nicht an namhaften Autoren fehlt, welche aus ihrer Reserve nicht heraustraten, so dfirfte es doch im gegenwS, rtigen Moment gewagt erseheinen, ffir eine Anschauung die Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen, die yon den bisherigen vollkommen abweieht und yon einem serologisehen Befund, der Hitmolysinreaktion im Liquor cerebrospinalis, ihren Ausgang nimmt. Als wir (Weil und K a f k a) die Durchliissigkeit der Meningeal gefiige bei bestimmten Erkrankungen priiften, sehlugen wir einen Weg ein, der bisher zu keinem Ziel gefiihrt hatte. Wir wollten nieht dureh Ein- ffihrung fremder Stoffe in die Blutbahn, was ja immerhin einen Z. f. d. g. Neur. u. Psych. O, XXIV. 33

Upload: e-weil

Post on 22-Aug-2016

213 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: Über die bedeutung der „meningealen permeabilität“ für die entstehung der progressiven paralyse

Uber die Bedeutung der ,,meningealen Permeabilitiit" fiir die Entstehung der progressiven Paralyse.

Von E. Weil.

(Aus dem hygienischen Institut d(,r deutschen Universit:~it in Prag [Vorstand: Professor :Bail].)

(Eingegangen am 24. Md'rz 1911.)

Wenn man in den Lehrbfichern der Psychiatrie die progressive Paralysc studiert, so findet man fiber das Wesen dieser Erkrankung, insbesondere aber fiber die Art und Weise ihres Zusammenhanges mit der Lues eine Reihe verschiedener Anschauungen, die jedoch allesamt eine hinreichende Befriedigung nicht gewiihren, so dag man sich des Eindruekes, yon einer Kl~irung in dieser Frage noeh weir entfernt zu sein, nicht erwehren kann. Dies war sicherlich auch der Grund, weshalb der Spirochiitennachweis im Gehirn yon Paralytikern durch N o g u c h i mit viel Beifall aufgenommen wurde, da einerseits jene Autoren, welche schon friiher die Paralvse f fir eine syphilitische Erkrankung des Gehirnes erkliirt hatten, zu ihrem Rechte kamen, anderseits deshalb, weil diese Befunde des R~itsels einfachste LSsung darzustellen schienen. Die Schwierigkeiten genauer zu erSrtem, welehe sieh sowohl in pathologisch anatomischer als auch in bakteriologiseher Hinsicht der Annahme, dag die Spirochaeta pallid~ alle Erseheinungen der Paralyse erkliirt, in den Weg stellen, halten wir uns nicht fiir berufen. Dag diese bestehen, zeigen die phantastischen Hypothesen, welche unmittelbar naeh der Entdeckung entstanden sind, um unter allen Umstiinden die aus- schlaggebende Rolle der Spiroehaeta pallida fiir die Paralyse zu sichem. Obzwar es nicht an namhaften Autoren fehlt, welche aus ihrer Reserve nicht heraustraten, so dfirfte es doch im gegenwS, rtigen Moment gewagt erseheinen, ffir eine Anschauung die Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen, die yon den bisherigen vollkommen abweieht und yon einem serologisehen Befund, der Hitmolysinreaktion im Liquor cerebrospinalis, ihren Ausgang nimmt.

Als wir (Weil und K a f k a) die Durchliissigkeit der Meningeal gefiige bei bestimmten Erkrankungen priiften, sehlugen wir einen Weg ein, der bisher zu keinem Ziel gefiihrt hatte. Wir wollten nieht dureh Ein- ffihrung fremder Stoffe in die Blutbahn, was ja immerhin einen

Z. f. d. g. Neur. u. Psych. O, X X I V . 33

Page 2: Über die bedeutung der „meningealen permeabilität“ für die entstehung der progressiven paralyse

502 E. Weil: ~ber die Bedeutung der ,~meningealen Permeabilitlit"

unnatiirlichen Vorgang darstellt und unkontrollierbare Veritnderungen setzen kann, die erhShte Permeabilit~t erweisen, sondern durch den :Nachweis von Stoffen, die normalerweise im Blute kreisen, im Liquor aber fehlen. Die Normalh~molysine des Mensehenserums fiir Hammelblut dienten uns als Test und es gelang uns leicht bei Beriicksichtigung der quantitativen Verh~ltnisse diese in der Cerebrospinalfliissigkeit bei F, rkrankung der Meningen, wie sie bei akuten Meningitiden und bei der Paralyse vorkommen, zu finden. Noch bei einer dritten Gruppe war die Durchl~ssigkeit erhSht, und zwar bei Luetikern, die im Liquor den Befund der t'aralyse (stark positiven Wassermann, Zell- und Eiweil]- vermehrung) aufwiesen, jedoch psychisehe Symptome nicht darboten. Wir hielten diese F~lle, haupts~chlich wegen der starken Komplement- bindungsreaktion, die zu der Zeit fiir Paralyse als absolut charakteristisch galt, fiir Paralysen im friihesten Stadium und nannten sie deshalb Ubergangsf~lle. Die bisher an einem bereits ziemlich gro6en Material vorgenommenen •achuntersuchungen haben an unseren Befunden nicht viel ge~ndert. Die meisten Autoren haben bei akuten Meningitiden die Reaktion konstant, bei Paralysen sehr h~ufig und bei gewissen F~llen yon tIirnlues gefunden, die sich mit unseren Ubergangsf~llen decken. Schliel~lich hat Za loz i eck i bei jenen Tumoren des Zentralnerven- systems, welehe zu einer Unterbreehung der Liquorzirkulation fiihren, den Ubertritt der H~molysine in den Liquor feststellen kSnnen. Die meisten Autoren sehen infolge des konstanten Auftretens der Reaktion bei Meningitiden und Paralysen im H~molysinnachweis einen diagnosti- schen Behelf.

Da wit nun, wie wir vorgreifend erw~hnen, der erh6hten Gerbil durchl~ssigkeit die ausschlaggebende Rolle fiir die Entstehung der progressiven Paralyse zuschreiben, so miissen wir, um diese Auffassung zu rechtfertigen, folgende Fragen er6rtern: 1. Deutet der H~molysin- nachweis im Liquor wirklich auf eine abnorme Gef~l~durchl~ssigkeit hin, und nimmt diese Reaktion eine Sonderstellung gegeniiber den anderen Liquorreaktionen ein. 2. Da die H~molysinreaktion auch bei anderen Erkrankungen, die nicht zur Paralyse fiihren, auftritt, so miissen die Gef~6ver~nderungen bei der Paralyse andersartig sein. 3. Auf welche Art und Weise kann die erh6hte Gef~l~durchl~ssigkeit den paralytischen Erkrankungsprozel~ herbeifiihren.

Ad 1. Der nicht spezifisch pathologisch veri~nderte Liquor weist, abgesehen yon der Wasse rmannschen Reaktion, die ja in gewisser ttinsieht als Immunit~tsreaktion anzusehen ist, ziemlich konstant vermehrten Eiwei6-, Zellgehalt und in manchen F~llen H~molysine auf. Die Annahme, dal~ diese drei Reaktionen miteinander zusammen- h~ngen, w~ire nur dann gerechtfertigt, wenn sieh erweisen liel~e, dal] nicht nur die H~molysine, sondern auch dic Zellen und die Eiweil~k6rper

Page 3: Über die bedeutung der „meningealen permeabilität“ für die entstehung der progressiven paralyse

ft~r die Entstehung der progressiven Paralyse. 503

des Liquors dem str6menden Blute entstammen und auf eine erh6hte Gef~gpermeabilit~t hinweisen. Nun gehen abet schon die Ansichten betreffs der Herkunft der vermehrten Zellen im Liquor auseinander, insofern als eine Gruppe yon Autoren wie O. F i sche r u. a. nicht wie Nissl und Merzbaeher die Zellen aus dem Blute sondern sic grogen- teils aus dem lokal entziindeten Gewebe herleiten. Mit derselben Be- rechtigung k6nnte man annehmen, dab insbesondere bei chroniseh entziindlichen Prozessen das vermehrte EiweiB zu einem Teile wenigstens aus den entziindlichen Partien stamme, oder auch wie W a s s e r m a n n und Lange meinen, ,,dab das im Liquor gel6ste Eiweil3 aus den zer- fallenen Zellen entstanden ist".

Daraus geht hervor, dab weder die Zell- noch die EiweiBvermehrung im Liquor den sieheren SchluB auf eine versts GefiiBdurchl~ssigkeit gestatten, dag hingegen die H~molysine, deren lokale Entstehung nicht denkbar ist, jene Gefs mit aller Sicherheit beweisen. Mit der Annahme der versehiedenen Herkunft der ZelIen und EiweiB- k6rper einerseits, der Hs anderseits, liege sich die absolute Nichtparallelit~t letzterer mit ersteren erkli~ren. Die Behauptung Za loz ieck i s , dag die Eiweigvermehrung im Liquor auch eine An- wesenheit von H~molysinen zufolge haben miisse, hat eine Reihe von Untersuchungen veranlaBt, die zu einigen interessanten Ergebnissen gefiihrt haben. So haben zuns Sch le i s sner und Verfasser nach- gewiesen, dag bei akuten Meningitiden im Verlaufe der zum Tode fiihrenden Erkrankung der EiweiggehMt sehr stark, oft um das Achtf~che zunimmt, die H~molysine aber, yon geringen Schwankungen abgesehen, w~hrend des Lebens eine Vermehrung meist nicht erfuhren. Weiter haben K a f k a und R a u t e n b e r g in einer sehr eingehenden Unter- suchung den Nachweis erbracht, dab bei Paralysen die Hiimolysine im Liquor sehr reichlich vorhanden sein k6nnen, ohne dab die EiweiB- mengen wesentlich vermehrt sind. Ein ~hnliches Resultat entnimmt man aus der Arbeit yon Mer tens , der bei sechs Paralysen negative Phase I und trotzdem Hs im Liquor fand. Za loz ieck i selbst erwi~hnt, dab bei Meningitiden, die in Heilung iibergehen, bei noch bestehender :Eiweigvermehrung die H~molysine bereits verschwunden sind, was auch aus der Arbeit von Boas und Neve ldar hervorgeht. Diese Feststellungen weisen mit Sicherheit darauf hin, dab bei ent- ziindlichen Vers der Meningen aus dem EiweiBgehalt des Liquors nicht auf die Permeabilit~t der Meningealgef~Be geschlossen werden kann, da tin Parallelismus zwisehen EiweiB und Hiimolysinen in keiner Weise besteht. Eine Erkliirung hierfiir 15~gt sieh vorderhand nieht geben, sondern nur vermuten. Entweder ist der Durehtritt des Eiweil3es dureh die Gefiifle von ganz anderen Bedingungen abhiingig als der der H~imolysine, oder es stammt das Eiweig zum grogen Teile

33*

Page 4: Über die bedeutung der „meningealen permeabilität“ für die entstehung der progressiven paralyse

504 E. Weil: Uber die Bedeutung der ,,meningeah'n Permeabilititt ~:

gar nicht aus dem Blute, sondem aus dem entzfindeten Gewebe und den Zellen des Liquors. DaB bei der bereits erwShnten Gruppe yon Tumoren, wo die Permeabilit/it auf ganz andere, jedenfalls nicht ent- ziindliche Ursachen zurfickgeffihrt werden mu[3, andere Momente mal~gebend sein k6nnen, ist leicht einzusehen. J e d e n f a l l s h a b e n die im v o r a n g e h e n d e n s k i z z i e r t e n U n t e r s u c h u n g e n zur Er - k e n n t n i s der T a t s a c h e ge f / ih r t , dab in fo lge der Nicht i iber . - e i n s t i m m u n g de r H / i m o l y s i n r e a k t i o n mi t den f ibr igen Re- a k t i o n e n des L i q u o r s , e r s t e r e e ine S o n d e r s t e l l u n g ein- n i m m t , die d a r i n b e g r / i n d e t is t , dab die A n w e s e n h e i t der H / imo lys ine im L i q u o r e ine re ine P e r m e a b i l i t / i t s e r s c h e i n u n g ist , w/ ihrend bei den i ibr igen R e a k t i o n e n a n d e r e M o m e n t e m i t s p i e l e n oder i ibe rwiegen .

Ad 2. Die durch den H/imolysinnachweis im Liquor naehgewiesenen pathologisehen Ver/~nderungen der Gef/il3e, die durch ihre abnorm er- h6hte Permeabilit/it charakterisiert sind, wiirden zur Erld//rung der Paralyse ohne weiteres herangezogen werden k6nnen, wenn sie bei dieser Erkrankung allein vorks Eine auf entzfindlicher Ursache beruhende erh6hte Permeabilit/it tritt jedoch auch bei akuten Menin- gitiden und bei manchen .F/~llen yon luetischen Prozessen des Zentral- nervensystems auf, welche sichere Anhaltspunkte fiir Paralyse nicht ergeben. Diese Tatsache macht es n6tig, die Frage zu er6rtern, inwiefern sich die Gefitl3durchl/issigkeit bei der Paralyse zun/ichst v o n d e r bei akuten Meningitiden und yon der der genannten 2. Gruppe von ~'/illen unterscheidet. Da ein hoher Prozentsatz der akuten Meningitiden letal endigt, so k6nnen die Folgen dieser Gef/~f3ver/inderungen, die ja dann meist kurze Zeit w/ihren, nur akuter Natur sein. Sehr wichtig sind aber jene F~lle, welehe nach einem chronischen Stadium in Heilung fiber- gehen. Dies wird wohl nur ausnahmsweise bei tuberkul6sen, 6fter aber bei andersartigen bakteriellen und auch bei den akuten luetischen Meningitiden der Fall sein. Hier stimmen nun ss Beobachtungen insofern fiberein, als bei ausheilenden Prozessen, die Gef/il~durchl/tssigkeit sehr rasch zur Norm zuriickkehrt. Allem Anscheine nach ist diese Gef~Bvers sehr leicht reparabel, was insbesondere aus der Arbeit von B o a s und Ne ve hervorgeht, welche bei qtmntitativ gleichbleibender Eiweif3vermehrung die H/imolysine schwinden sahen. J~hnliches hat auch Z a l o z i e c k i festgestellt.

Von Wichtigkeit sind nun jene FKlle von Lues mit meningealen Erscheinungen, welche, ohne akute luetische ~eningitiden darzustellen, eine erh6hte Durchl/issigkeit der Meningealgef/iBe aufweisen. Fast aus- nahmslos sind bei diesen aueh sonstige schwere Liquorvers zu konstatieren. Konstant finden sich hohe Zell- und EiweiBzahlen, aueh ist der Wassermann meist so stark positiv wie sonst nur bei akuten

Page 5: Über die bedeutung der „meningealen permeabilität“ für die entstehung der progressiven paralyse

for die Entstehung der progressiven l'aralysc. 505

luetisehen Meningitiden und Paralysen. Besonders der letztere Umstand hat uns bewogen, diese F~ille als Friihstadien yon Paralysen anzusehen, da man zu der Zeit, als wit diese Feststellung machten, dem stark positiven Wassermann im Liquor eine ausschlaggebende Bedeutung Iiir die Diagnose der Paralyse beimait. Weitere Untersuehungen haben aber ergeben, daft aueh andersartige luetisehe Affektionen des Zentral- nervensystems iifters Komplementbindung im Liquor geben kOnnen und zwar so stark wir Paralysen, so dab unsere ~'bergangsfglle nieht unter allen Umstgnden Friihstadien yon Paralysen darstellen miissen, zumal sie ja meist aueh keine psyehisehen Symptome aufwiesen. Wie ]~illt sich nun bei diesen, wenn es keine Paralysen sind oder werden, die bestehende Permeabilit~it erklgren?

Als Lues cerebrospinalis bezeichnet man im allgemeinen mehrere Krankheitsbilder sowohl vom klinischen als much vom pathologisch- anatomisehen Standpunkt aus betraehtet. Mit Sieherheit lassen sieh die gumm6sen Prozesse, die Meningoencephalitis luetica und die He ub- nersehe Gefggerkrankung unterseheiden. Da nun diese Krankheits- gruppen in ihren friihen Stadien mehr oder weniger starke meningitische Prozesse aufweisen, so daft man sieh nicht wundern, das ein oder anderen Mal eine positive Hiimolysinreaktion zu finden. In diese Kategorie sind auch die akuten luetischen Meningitiden zu rechnen, bei welehen die Permeabilitiitserh0hung wohl selbstverst~ndlieh ist. Da nun die akuten und subakuten Erscheinungen bei den luetischen Erkrankungen des Zentralnervensystems sehr hhufig riickggmgig werden, 5fters sogar ausheilen, meist abet in ein chronisches Stadium iibergehen, so entsteht die Frage, inwieweit dabei die vorhandene Durehl~issigkeit beeinflu6t wird. Fiir die akuten luetischen Meningitiden ist diese Frage bereits durch die Feststelhmgen yon Z a l o z i e c k i und B o a s und 1Neve ent- schieden, welche, wie bereits erwShnt, mit dem Beginne der Ausheilung aueh die Permeabilit~it verschwinden sahen. Schwieriger ist natiirlich die Konstatierung bei den subakuten Formen. Da dieselben jedoch nicht standig in diesem Stadium verharren, sondern zumindest schlieftlich chroniseh werden, so ist der H~molysinbefund bei der ehronischen Lues eerebri von ~Yichtigkeit. Bereits in unseren beiden ersten Mitteilungen haben wir eine GefSltdurchl:,issigkeit bei dieser vermil~t, und in seinen weiteren Arbeiten hat dies K a f k a immer wieder best~itigt gefunden. Auch H a u p t m a n n gibt an, da[t (lie Reaktion bei Lues cerebri negativ ist, nnd der Arbeit yon M e r t e n s entnimmt man, dag nur die akuteren F~ille Hhmolysine zeigen, ~v:~ihrend die Mehrzahl negativ rea giert. D~ jedoeh dicse Frage yon grol]er Wichtigkeit ist, so erseheint es uns an- gezeigt, eine Anzahl yon Fiillen, die wir selbst zu untersuchen Gelegen- heir batten, und die zum grol3en Tell zur Gruppe der Lues eerebri zu rechnen sind, mitzuteilcn. Diese entstammen einem Material yon an-

Page 6: Über die bedeutung der „meningealen permeabilität“ für die entstehung der progressiven paralyse

506 P. Woil: Ober die Bedeutung der ,meningealen Permeabilit~it"

n~hernd 200 Untersuchungenl), die im Verlaufe von ca. zwei Jahren behufs Diagnosenstellung dem Institute iibermittelt wurden. Die Mehr- zahl der Liquores verdanken wir den hiesigen Universit~tskliniken und die hier in Frage kommenden grSBtenteils der Augenklinik. Wie die beifolgende Tabelle zeigt, sind erst die letzteren Fiille vollstiindiger untersucht. Dies hat seinen Grund darin, dab uns anf~nglich nur die H~molysinreaktion interessierte, w~ihrend spiiter die Frage betreffs der Parallelit~t der verschiedenen Liquorreaktionen wieder aktuell wurde, so dab wir dann auch die fibrigen Reaktionen ausfiihrten.

Von den hier mitgeteilten 39 F~llen weisen zehn eine positive Reaktion auf. Da diese Fglle nicht mit der sicheren Diagnose Paralyse iibersandt wurden, und ein Teil derselben l~ngere Zeit zuriickliegt, so war es von Interesse, fiber den weiteren Verlauf der Erkrankung bei diesen positiven Fiillen AufschluB zu erlangen. Fall 2, der inzwischen gestorben ist, war nach dem Ergebnis der Sektion und auch klinisch eine sichere Paralyse. Bei Fall 4, der ebenfalls zur Sektion gelangte, lag eine tuber- kul6se Meningitis vor, worauf auch schon der starke Komplementgehalt des Liquors schlieBen lieB. Fall 8 ist eine sichere Paralyse und befindet sich jetzt in einer Remission. Bei Full 13 finden wir am Schlusse der Krankengeschichte den Vermerk: ,,Da die psychisehen Symptome iiberwiegen, wurde die t~berfiihrung in eine Irrenanstalt angeordnet." Es dfirfte also auch hier die Diagnose Paralyse richtig sein. Bei Fall 1 und 28 war die Diagnose juvenile Paralyse gestellt. Ob Fall 22 eine sichere Paralyse war, lieB sich info]ge der kurzen Beobachtungszeit nicht mit Sicherhe}t sagen, jedenfalls spricht der Liquorbefund nicht dagegen. Dasselbe l~iBt sich auch yon Fall 31 aussagen. Bei Fall 24 und 34 war die Diagnose Tabes incipiens gestellt. Sonach ergibt die Analyse der zehn positiven F~,lle ffinf sichere Paralysen, eine akute Meningitis, zwei fiir Paralyse sehr verd~chtige F~lle, wofiir auch der sonstige Liquor- befund sprach, und zwei F~lle yon beginnender Tabes. Ganz besonderes Interesse verdienen die beiden letzteren. Wir erinnern daran, dab auch Z a l o z i e c k i und Boas und Neve bei inzipienter Tabes eine positive Reaktion angeben. Zur Erkl~rung dieser T~ts~che kSnnen zwei Momente herangezogen werden. Die sehr ausgedehnten Untersuchungen Mat - t a u s c h e c k s haben uns gelehrt, dab in ungefiihr 12~ '0 der Fiille yon Tabes sich eine Paralyse anschlieBt, so da]~ man auf Grund dieser Fest- stellung annehmen k0nnte, dab die positiv reagierende Tabes zur Paralyse wird. Wahrscheinlicher erscheint uns jedoch die zweite Er- kliirungsm6glichkeit. Die Anschauung, dab die Tabes mit meningitischen Prozessen beginnt, ist schon oft geiiuBert worden, ~Nageotte nimmt dies sogar als Regel an. Wenn auch letzteres sicherlich nicht zutrifft,

1) :Die genuuere Bcarbeitung dieser F~ille erfolgt durch Schleissner und Verf. an ciner anderen Stelle.

Page 7: Über die bedeutung der „meningealen permeabilität“ für die entstehung der progressiven paralyse

filr die E n t s t e h u n g der progressiven Paralyse . 5 0 7

Name u. Dat. d. Unters.

1. Kl., J . 20. X. l l

2. Fal l F. 23. X. 11

3. Kasp.

Lues car. Sekt ion : Para lyse

luet. Ha rd

4. Cisk. Paral . inching.? i + + + Dez. 11 Sekt ion : Abc. i Kompl.

Menin~dtis Paral. '?

Optic. atroph.

Tab.

Paral . ' i

Mening. luet.

Augenmuskel - l~ihmung

Neurit . re t robulb.

Tabes juven.

Atroph. n. optici

Tab. incip.

Atroph. n. optici

Tabes ?

Blick- li~hmung

18. Ba. Tab(,s 2. IV, 13

19. Fr . Neuri t . re t robulb . l l . ~ v . 13 I

19. I I I . 12

6. G. Mai 12

7. B. 25. V. 12

8. H. 8. VI. 12

9. Ha. 9. V I L 12

10. Ne. 8. X. 12

11. D. 23. X. 12

12. J . 15. X I I . 12

13. St. 30. X I I . 12

14. Sa. 14. X I I . 12

15. Tseh. 27. X I I . 12

16. Cz. 26. l i I . 13

17. Ri.

] Wasser- Wasser- I Hiimol. Klinische ~ Hitmol.- EiweiB Zellen mann-R, mann-R, im Diagnose i Reaktion m Blur im Liquor Blur

m I

neg'. i, - - --- i 5 + + ! - - - - I __ 'mitO,5__'ccml

~ompl __ [ __ __

neg. - - - - + n-/- i ii lCCi neg. - - + ~ + 0,03

nag. - -

I nag. - ne~. I ] neg. - -

I ne~. + + + - - ~ + + '

neg. - - n % . n e g . [ neg',

neg. I - - + ' + mit 1 ecru

neg. - - -~- neg.

i mit 0,2 ecru

i ~ + i ~ mitO,% eem 0~05

20. K r 20. IV. 13

21. Cza. 27. IV. 13

22. Ru. 6 .1V. 13

23. Fal l Sp. 5. X. 13

Oculomot . -Parese

Paral . incip. ?

Lues cerebri neg. i(40 ecru.)

*) Bcdeutet: nicht untersucht.

Page 8: Über die bedeutung der „meningealen permeabilität“ für die entstehung der progressiven paralyse

508 E. Weil: {)ber die Bedeutung der ,,meningealen Permeabilitltt"

Name u. Dat. d. Unters.

24. Sv. 9. VII. 13

25. Bau.

i Wasser-i Wasser- H~m 1 Klin sche Diagnose! Hamol.- IEiweilt! Zellen 'mann-R. mann-It ] o. ' Reaktion J , . �9 . im Blur I [ I lm Blut , lm Liquor [

i

Atroph. n. opt. + V-§ - - i++-~-i !- - - i

Kompl. - - ] mit 0,2 ecru Atroph. n. opt. neg. 8f. -+-++i + - -

18. IX. 13 26. B.

18. IX. 13 27. S.

28. P. 4. X. 13

29. Au. 17. X. 13

30. Sch. 1. XI. 13

31. Schi. 2. XL 13

32. Kn. 21. XI. 13

33. All. 17. I. 14

34. Ber.

35. Kinderm. 3l. I. 14

36. Vo. 6. IL 14

37. Mi. 14. II. 14

38. St. 16. I1. 14

39. Bo. 5. III. 14

Atroph. n. opt.

Apopl. Ins. LtleS ee l

Juvcn. Paral.

Paral. ?

neg. 4 f.

neg. 8f.

-I-+4- 12f.

neg. 4 f.

neg. 3 f.

Paral. ?

Paral. ?

t q i i = neg.

7f.

6f.

Neuroretinit. i neg. i I Tab. incip, i + § +

Atroph. n. optici I neg.

2f.

7f.

Atroph. n. opt. Tabes

Atroph. n. opt. Tabes

Lues cer.

Paral.?

neg. 5ff.

neg. 3 f.

neg. 2 f.

neg. 8 f.

I

neg . ! - -

-+-q ~ - -

+ + + -~-

neg. neg. !

+ + - -

+ + A + + i 4-

neg.

i + + + ' 4-

+-~-~ : + !

+4 - I + i

+ + A : +

neg. I +

+ ~ i + I

mit 1 ccm neg'.

4- mit 0~2 ccm

+ mit 0:2 ccm

neg.

mit 1 ccm

mit 0,2 ccm 4-

mit 0,2 ccm neg.

rait 2 ccm +

mit 0,2 §

mit 0,2 @-

mit 0~5

mit 1 ccm §

mit 1 ccm +

mit 0,2 cem

0,03

0,01

0,03

a c r e i

10,02 i

c c m i

0,02 c c m

10,02

0,01

0,02

so lgBt sich doch n i c h t in Abrede s tel len, dab in m a n c h e n F g l l e n i m i n i t i a l e n S t a d i u m V e r g n d e r u n g e n a n d e n M e n i n g e n vo rhe r r schen . D~ n u n m i t der H g m o l y s i n r e a k t i o n m e n i n g i t i s c h e Prozesse m i t Sicherhei~

angeze ig t werden , so d i i r f t en sich die p o s i t i ven R e a k t i o n e n bei Tabes

au f diese Weise erkli~ren lassen. Dag , wie wir fes t s te l len k o n n t e n

( W e l l u n d K a f k a ) , die chron ische u n k o m p l i z i e r t e Tabes eine e rh6h te

P e r m e a b i l i t g t n i c h t aufweis t , geh t a u c h aus der A r b e i t y o n M e r t e n s

he rvor , der 10 T a b i k e r u n t e r s u c h t e u n d n u r e i m n a l die R e a k t i o n pos i t iv

f and . Diese t r a t bei e iner b e g i n n e n d e n Tabes au f u n d ist, wie aus d e m B e f u n d deu t l i ch he rvorgeh t , au f e i nen m e n i n g i t i s c h e n ProzeB zur i i ckzuf i ih ren , d e n n der Verfasser h e b t se lbs t hervor , d a b die P leocy tose so e rheb l i ch ist, , ,dab sie d en gew6hn l i chen B e f u n d bei der Tabes wel t

Page 9: Über die bedeutung der „meningealen permeabilität“ für die entstehung der progressiven paralyse

fiir die Entstehung der progressiven Paralyse. 509

{ibersehreitet". Es ist nun wohl anzunehmen, dab die Permeabilitgt bei Tabes nur ein voriibergehendes auf meningitische Vergnderungen zurtickzufiihrendes ,Stadium darstellt und schwindet, wenn sich niehl, eine Paralyse hinzugesellt.

Die iibrigen 24 negativ reagierenden Falle geh6ren zum gr6gten Teil der Lues cerebri und der Tabes an. Wenn wir in dem positiven Wassermann im Liquor ein sicheres Zeichen hierfiir erblicken, so wiirde diese Diagnose bei 13 Fallen zutreffen. Dag es sich dabei nicht um geringe Liquorveriinderungen handelt, zeigen die Falle 23, 25, 26, 27, 30, 32, 35, 36, 37, 39, bei welchen, wenn die Ansicht von Za loz ieck i riehtig ware, eine positive Reaktion auftreten mill]re, da bei Paralysen mit viel geringerem Eiweil]gehalt und bei akuten Meningitiden mit denselben Eiwei6mengen Hamolysine im Liquor naehweisbar sind. Da aueh bei den iibrigen Fitllen in der Mehrzahl (3, 9, 10, 12, 14, 16, 19, 20) trotz des negativen Wassermanns im Liquor die Veranderungen im Zentral- nervensystem luetiseher Natur sein diirften, so bestatigen diese Befunde yon neuem die Tatsache, dab bei der chronischen Lues eerebri und bei der reinen Tabes eine erh6hte Permeabilitgt der MeningealgefaSe fehlt.

W e n n also in m a n c h e n Fa l l en von b e g i n n e n d e r Tabes oder von l u e t i s e h e n V e r g n d e r u n g e n des Z e n t r a l n e r v e n - s y s t e m s , b e i w e l c h e n e i n V e r d a e h t a u f P a r a l y s e n i c h t b e s t e h t , e ine erh&hte P e r m e a b i l i t g t g e f u n d e n wird, so k a n n diese n u r auf e iner e n t z t i n d l i e h e n G e f a g e r k r a n k u n g a k u t e r oder s u b a k u t e r N a t u r b e r u h e n ; diese mug jedoeh , ebenso wie bei der a k u t e n in H e i l u n g i i be rgehenden M e n i n g i t i s rf ick- gang ig werden , wenn sieh d a r a u s eine re ine Tabes oder eine c h r o n i s e h e Lues cerebr i enl, w ieke l t , da bei d iesen be iden E r k r a n k u n g e n eine e r h a h t e Durch l i i s s igke i t k o n s t a n t ver- ,niBt wird.

Bei der P a r a l y s e l iegen jedoch die Verh i i l tn i s se ganz anders . Hier ist t roz des c h r o n i s c h e n Z u s t a n d e s , t r o t z g e r i n g e r E i w e i f t v e r m e h r u n g und bei g e r i n g e m Ze l lgeha l t , also bei V e r a n d e r u n g e n , die n i e h t au f sehwere m e n i n g e a l e Prozesse h inwe i sen , die P e r m e a b i l i t i i t e r h a h t , so dag bei d ieser E r k r a n k u n g die P e r m e a b i l i t a ~ t s e r h a h u n g ein selb- s t g n d i g e s , e h a r a k t e r i s t i s e h e s S y m p t o m d a r s t e l l t , welches im Gegensa t z zu a l len a n d e r e n b isher e r u i e r t e n K r a n k h e i t s - p rozessen a n d a u e r n d bes teh t . Dieser U m s t a n d b e d i n g t die b o n d e r s t e l l u n g der p rog re s s iven P a r a l y s e vor a l len i ibr igen ( ~ e h i r n e r k r a n k u n g e n mit pos i t i ve r R e a k t i o n , b e i d e n e n die P e r m e a b i l i t a t s e r h a h u n g n u r eine E r s e h e i n u n g vor i iber- g e h e n d e r N a t u r da r s t e l l t . Zu demselben Sehlug gelangen aueh K a f k a und R a u t e n b e r g in der bereits erwahnten wiehtigen Arbeit,

Page 10: Über die bedeutung der „meningealen permeabilität“ für die entstehung der progressiven paralyse

510 E. Weil: Uber die Bedeutung der ,,meningealen Permeabilitlit"

deren eingehende Wfirdigung wir uns an anderer Stelle vorbehalten, wenn sie schreiben: , , . . . sehen wir bei der Paralyse unabh~ngig von Zellmenge und Gesamteiwei~gehalt, unabh~ngig auch yon der Ver- mehrung der Gesamtglobuline und in den positiven F~llen st~ndig ImmunkSrper im Liquor auftreten und in geringerer Anzah] gewisse Eiweil3kSrper: ein Zeichen fiir eine ganz bestimmte charakteristische Form der Gef~13ver~nderung."

Die praktisch und theoretisch fiberaus wichtige Frage, wie lange die Permeabilit~t bei der Paralyse besteht, l~13t sich auf Grund der bisher vorliegenden Untersuchungen nur teilweise beantworten. ~Wir wissen nur, da[t sie bereits bei initialen Paralysen vorhanden ist und bis zum Tode anh~lt; doch stS~t die Feststellung des frfihesten Zeitpunktes ihres Eintretens auf Schwierigkeiten und entzieht sich bisher vollkommen unserer Beurteilung Vorausgesetzt, da~ die ErhShung der Durchl~ssig- keit sehon lange vor dem Auftreten der psychischen Symptome in Er- scheinung tritt, so wiirde nach dem heutigen Stande eine positive H~molysinreaktion auch bei sonstigem paralytischem Liquorbefund die Diagnose Paralyse nicht sicherstellen, da diese ja in erster Line aus dem psychischen Verhalten gestellt wird und aueh akute und subakute luetische Ver~nderungen im Zentralnervensystem dieselben Liquorreaktionen geben wie die Paralyse.

Bei dieser Gelegenheit mfissen wir auch der in den frfiheren Perioden der Lues auftretenden meningealen Ver~nderungen Erw~hnung tun, die in der jfingsten Zeit von einer Reihe von Autoren beschrieben wurden. Man hat aus dem h~ufigen Auftreten derselben den Schlul3 gezogen, da~ die Syphilis eine ganz besondere Affinit~t zum Nervensystem aufweist, insbesonders deshalb, weil auch akute Meningitiden im Verlaufe der LuGs entstehen. Der Beweis, da~ die Lues in dieser Hinsicht eine Sonderstellung einnimmt, wiirde erst dann erbracht sein, wenn es sicher w~re, dal] sich die meisten anderen Infektionskrankheiten anders verhielten. Obwohl bei anderen Infektionskrankheiten die Ver~inderun- gen im Liquor weitaus nicht so systematisch untersucht wurden wie bei Syphilis, so existieren doch Angaben fiber positive Befunde bei ver- schiedenen Infektionen. So hat Za loz ieek i bei 11 Typhusf~llen viermal deutliche Eiweiltvermehrung gefunden, bei der Tuberkulose des Kindesalters ist die Meningitis gar keine Seltenheit, und dasselbe gilt auch yon der Pneumokokkenallgemeininfektion. Wenn wir sonach auf Grund der bisherigen Befunde in dem Befallensein der Meningen ein besonderes Charakteristicum der Lues nicht erkennen kSnnen, so ist doeh dessen Vorhandensein nicht zu bezweifeln, und es fragt sich nur, ob wir aus diesen Feststellungen irgendeinen Schlul3 auf die in den sp~teren Stadien der LuGs manifest werdenden Erkrankungen des Zentralnervensystems, besonders der Paralyse ziehen kSnnen. Dies

Page 11: Über die bedeutung der „meningealen permeabilität“ für die entstehung der progressiven paralyse

f(ir die Entstehung der progressiven Paralyse. 511

wgre nur dann mit Vorbehalt mBglieh, wenn sieh bereits in diesen friihen Stadien jene VerKnderungen im Liquor naehweisen lieBen, welche fiir die Paralyse charakteristiseh sind, wie die erhBhte Permeabili- tgt und ev. auch die W a s s e r m a n n s c h e Reaktion bei sonst mehr ehronisehem Liquorbefund. Denn es beweist nieht allzuviel, wenn man h~ufig im Liquor von Luetikern in friihen Stadien jene mehr oder weniger uneharakteristisehen Vergnderungen, wie geringe Zell- und Eiweiftvermehrung findet, die auch bei anderen Infektionen zur Be- obachtung gelangen. B o a s und N e v e haben nun die sehr interessante Tatsache festgestellt, dab 5 von 19 sekundgren Syphilitikern eine er- hBhte Permeabilitgt aufwiesen. Zwei dieser Fglle, die als akute Menin- gitiden die Reaktion gaben, haben geringeres hlteresse, wghrend der Befund der drei iibrigen in theoretiseher und vielleicht aueh praktischer Hinsieht von grol~er Bedeutung zu sein seheint. Denn diese letzteren sind keine akuten luetischen Meningitiden, worauf das Fehlen von Kom- plement sowie der negative Wassermann im Liquor hinweist, es seheint sich hier vielmehr um meningeale Prozesse zu handeln, die yon vorn- herein mehr chronischer Natur sind. Es wgre nun yon Wiehtigkeit zu priifen, wie sieh diese Fi~lle einer spezifischen Behandlung gegeniiber verhalten. Da die Permeabilitttt der akuten, auch luetischen Menin- gitiden leieht rfickggngig wird, die der Paralysen jedoch irreparabel ist, so lgBt sich nicht voraussagen, wie die oben genannten Fglle in dieser Hinsicht reagieren. Denn wiirde bei ihnen die Behandlung erfolglos oder nur yon einem voriibergehenden Erfolg sein, so miiBte man diese ganz besonders im Auge behalten hinsiehtlich des spgteren Entstehens einer Paralyse. Die praktische Bedeutung, die diese Ermittlungen haben, sind nicht zu unterschi~tzen, aueh geht daraus hervor, dab es viel wich- tiger ist, die Hgmolysine im Liquor Friihluetischer zu suehen, als die fibrigen Reaktionen anzustellen, da erstere bei AusschluB von akuten Meningitiden, was j~t hier der Fall ist, nur bei der Paralyse und bei jenen unklaren Fgllen yon Lues eerebri auftreten, yon denen es nicht sicher ist, ob sie nicht Paralysen werden; zu welcher Gruppe die Friih- luetiker mit Hi~molysinreaktion gehOren, muB, wie bereits auseinander- gesetzt, erst eine litngere Beobachtung lehren. Jedenfalls aber ist so viel sicher, dab die H:~hnolysinreaktion eine besondere Qualitiit der GefSBalteration kennzeiehnet, die nur ganz bestimmten wenigen Er- krankungen eigen ist und darum stets beriicksichtigt werden muB.

Ad. 3 Aus den bisherigen Darlegungen geht hervor, daft eine auf entzfndlicher Basis beruhende d a u e r n d bestehende Permeabilitgt der MeningealgefgBe nur bei der lorogressiven Paralyse besteht, dab bei den iibrigen Erkrankungen, die nicht raseh zum Tode fiihren, diese nur eine voriibergehende Erscheimmg darstellt. E t entsteht nun die Frage, welche Folgen diese schwere Gef'aftalteration fiir das Zentralnerven-

Page 12: Über die bedeutung der „meningealen permeabilität“ für die entstehung der progressiven paralyse

512 E. Weft: Uber die Bedeutung der .meningeaien Permeabilitat"

system haben mug. Um dies zu entscheiden, mfissen wit zungehst untersuehen, welche GefgBe die die erhShte Durchliissigkeit bedingenden Vergllderungen aufweisen, denn nur dadurch ist ein RfickschluB auf die pathologischen Prozesse im Gehirn mSglich. Der Nachweis yon Hgmo- lysinen im Liquor gestattet nur die Annahme, dal~ die die Meningen durchziehenden Gefi~Be eine Permeabilitgt aufweisen, sagt jedoeh nichts aus fiber die Beschaffenheit der GefgBe, die im Zentralnerven- system selbst gelegen sind. Wenn nun der Liquor cerebrospinalis fiir die Erniihrung des Zentralnervensystems in der Tat die Rolle spielt, die ihm yon manehen Autoren zugeschrieben wird, so muir infolge seiner veriinderten Zusammensetzung, die durch die Permeabilitgt bedingt ist, auch seine erniihrende Funktion gest/3rt sein. Viel wichtiger als diese vorlgufig noch hypothetisehe Anschauung seheint uns die Frage, ob eine erhOhte Durchlgssigkeit auch fiir die Gefiifie des Gehirnes selbst besteht. Gerade die Paralyse ist dadurch charakterisiert, dab die GefaBerkrankung nieht auf die Meningen besehr~tnkt bleibt, sondern ausnahmslos aRch die GefaBe der ttirnrinde nnd auch des Markes betrifft. Da die histologische Veranderung der Gehirn- und Meningeal- gefi~Be bei der l~aralyse vollkommen gleichartig ist, so kann wohl mit Sieherheit angenommen werden, dab auch das biologisehe Verhalten bei beiden dasselbe ist, dab auch die Gefiil]e der Hirnrinde und des Markes eine erh6hte Permeabilitat aufweisen. Dann mfissen sich aber auch die Folgen geltend maehen, denn ein Gewebe, das von derart ver- anderten GefaBen versorgt wird, muB andauernd in einen Zustand ver- setzt werden, der yon der Norm in hohem Grade abweicht, und der in erster Linie eine pathologisehe Ernahrung des Gehirnes zufolge haben muff.

Die Ern~ihrung der Gewebszellen erfolgt in der Weise, dab die ffir ihr Leben und ihre Funktion n6tigen Stoffe infolge der normalerweise vorhandenen Permeabilit~t der Capillaren durch diese hindurchtreten in die Zellen gelangen und von diesen verarbeitet werden. Betreffs des ,,Austausehproblems" zwischen :Blut und Zellen, das in der modernen Physiologie lebhaft diskutiert und vielfach bearbeitet wird, bestehen drei versehiedene Anschauungen, die sich auf die Art und Weise beziehen, wie der Stoffaustritt aus den BlutgefaBen erfolgt. Eine Reihe von Forsehern, in neuerer Zeit insbesondere Hess und Erb , nehmen zur Erklarung des Stogaustrittes die Filtration durch die Capillarwande an, die natfirlich vom Capillardruck in hohem MaBe abh~ngig ist. Die zweite Vorstellung, die yon H e i d e n h a i n begrfindet wurde, besteht darin, dab die Endothelzellen der GefgB~ eine sekretorische Tatigkeit ausiiben und dadurch den Austausch zwischen Blut und Gewebe be- werkstelligen. Die Autoren schlieBlich, welche der dritten Anschauung hnldigen, sehen in osmotischenVorgangen, die dureh den Konzentrations-

Page 13: Über die bedeutung der „meningealen permeabilität“ für die entstehung der progressiven paralyse

ftir die Entstehung der progressiven Paralyse. 513

unterschied zwischen der F1fssigkeit auf3erhalb und innerhalb der GefMte zustande kommon, das Hauptmomcnt, welches den Ubertr i t t aus dem Blute ins Gewebe regelt. Auch der spezifischen OrgantStigkeit selbst wird hierfiir yon A s c h e r eine wesentliche Rolle zugesehrieben, wobei jedoch, wie der Autor selbst erwSlmt, Osmose und Diffusion wesentlich mitbeteiligt sind. Welche dieser Anschauungen die richtige ist oder welehe die grSl3te Wahrscheinlichkeit hat, ist trotz vieler darauf ver- wendeter experimenteller Arbeit nicht entschieden und es ist auch fiir dis vorliegende Frage gleichgiiltig, welche schlief~lich das Feld be- hauptet. Denn eine erhShte Durchl/~ssigkeit der Gef/~Bmembran wird, wenn die Filtration das wesentliche Moment ffir den Stoffaustritt dar- stellt, einen verst~rkten Filtrationseffekt zur Folge haben und wird selbstverst/~ndlich eine St0rung der elektiven T~tigkcit der Capillaren bedingen, wenn dieser die ausschlaggebende Bedeutung zukommt und wird weiter die Osmose und Diffusion stSrend beeinflussen, wenn diese die Hauptrolle spielt. Da nun die Permeabilit/~t der Hirncapillaren bei der Paralyse dauernd um das 10--50fache erh0ht ist, so wird der Stoff- austri t t aus den Gef/iften zun~chst eine hochgradige quantitative Vet- /inderung erfahren, indem die Gewebszellen mit den N/ihrsubstanzen des Blutes in auf~erordentlich vermehrter Menge in Kontakt treten. Es wird jedoeh nicht nur die Quantit/it dieser Stoffe eine Vermehrung erfahren, sondern sicherlich auch die Qualit/it. Denn ebenso wie die H~molysine, die normalerweise zurfiekgehalten werden, die GefKl~wand passieren, so k0nnen auch andere Stoffe, denen die normale Gef~l~wand den Durchtri t t verwehrt, zu den Zellen gelangen. Diese andauernd bestehende abnorme Ern/~hrung der Zellen muff natiirlieh einen sch~- digenden Einfluft auf das im Bereiche der ver/inderten Gef/iBe liegende Gewebe ausfiben. Da nun, wie bereits erwShnt, bei der Paralyse auBer den Meningealgef/iften auch die Gef/il]e haupts~ehlieh der Himrinde erkrankt sind, so wird dieser Gewebsbezirk in erster Linie betroffen sein. Unserer Vorstellung gem~iB miiBte bei der Paralyse ausnahmslos eine erh0hte Permeabilit~it bestehen, da ohne diese die diffuse Erkrankung des Gehirnes nicht denkbar w~ire. Mittels der H/imolysinreaktion wird jedoch nur in 90~ eine Gef~ii2durchl~issigkeit nachgewiesen. Dabei ist jedoch folgendes zu bedenken: Die Anwesenheit der H~molysine im Liquor ist abh~ingig yon der Menge derselben im Blute und diese ist gerade bei Paralyse oft vermindert, was natiirlich einen Nachteil fiir die Reaktion bedeutet, da eine vorhandene Permeabilit~it dem Nachweis entgeht. AuBerdem stellen wir die Reaktion mit 5 ccm Liquor an und es ist m0glich, daB, weim sie bei Paralyse in dieser Menge fehlt, in einer etwas h0heren positiv sein kann. Normaler Liquor reicht, wie wir uns fiberzeugen konnten, selbst in der Dosis yon 70 ccm nicht aus, um 0,5 ccm Blur zu sensibilisieren und bei eiuem Fall yon Lues cerebri

Page 14: Über die bedeutung der „meningealen permeabilität“ für die entstehung der progressiven paralyse

514 E. Weih ~ber die Bedeutung der ,meningealen Permeabilitlit"

(Fall 23) mit Eiweil~vermehrung und Amboceptoren im Blute, war die Reaktion mit 40 ccm angestellt negativ. Diese Umst~nde weisen darauf hin, dab einer negativen H~molysinreaktion bei Paralyse in theoretischer Hinsicht keine grol3e Bedeutung beizumessen ist, da sie in dem Versagen der Methodik begriindet sein kann, in Wirklichkeit jedoch das Vor- handensein einer Permeabilit~t nicht ausschliel3en muI3. Wenn man n~mlich yon der begriindeten Ansicht ausgeht, dab die histologisch nachweisbare Gef~i]erkrankung bei der Paralyse eine erh6hte Durch- liissigkeit zur Folge hat, so wiirde letztere genau so wie die anatomisch sichtbare Gef~ver~nderung zum Wesen der Paralyse gehSren und in ledem Falle, auch wenn der Nachweis methodisch mil31ingt, vorhanden sein miissen.

Sehr wichtig wi~re die Feststellung, ob die St~rke der Permeabilit~t mit der Schwere des Erkrankungsprozesses in Zusammenhang steht, denn im bejahenden Falle wiirde dies sehr fiir die Richtigkeit unserer Vorstellung sprechen. Die bisherigen Erfahrungen best~tigen unsere Auffassung. Wir selbst konnten die Beobaehtung machen, dal3 die starken Reaktionen haupts~chlich bei schweren Fiillen auftreten und K a f k ~ weist darauf hill, da~ insbesondere iene Paralysen, die Komple- ment im Liquor aufweisen, zu den schweren Formen geh6ren. Boas und Neve, welche die St~rke der Reaktion austitrierten, fanden, da_[~ 6fters mit ganz unerwartet geringen Liquormengen eine positive Reaktion zu erzielen sei, und zwar insbesondere bei F~llen, welche ,,entweder friseh progredient oder sehr weir fortgeschritten" waren. Auch weist bei station~ren Paralysen das konstante Fehlen der Permeabilit~t auf die Abh~ngigkeit dieser vom Krankheitsprozel3 hin. Weiter wird es verst~ndlieh, weshalb bei der unkomplizierten Tabes eine erh6hte Durchl~ssigkeit stets vermil3t wird. Da diese das rasche Fortschreiten der Erkrankung des Zentralnervensystems bedingt, so muB ihr Fehlen einen chronisehen 1)rozel3 zur :Folge haben, wie es auch bei der Tabes der Fall ist.

Die Ansichten, ob die Gef~13ver~nderungen bei der Paralyse die Ursache der Erkrankung der Himsubstanz darstellen, oder ob beide Prozesse unabh~ngig voneinander auftreten, sind geteilt, doch neigen die meisten Autoren der letzteren Vorstellung zu. Wenn wir der abnormen Gef~I~durehl~ssigkeit die Hauptrolle fiir die pathologisehen Ver~nde- rungen des Gehirns zusehreiben, so mfissen wir naturgem~ auch a~- nehmen, dab die degenerativen Vorg~nge im Gehirn durch die Gef~il- erkrankung hervorgerufen sind. Den strikten Beweis fiir die Riehtig- keit der einen oder anderen Anschauung zu erbringen, ist sehr schwer, doch spricht unserem Ermessen nach vieles dafiir, dal3 die chronisehe Entziindung der Gef~l~e das prim~re Moment darstellt. Das friihzeitige Auftreten yon entziindlichen Vorg~ngen in den Meningen bei Lues

Page 15: Über die bedeutung der „meningealen permeabilität“ für die entstehung der progressiven paralyse

ftir die Entstehung der progressiven l~aralyse. 515

macht es wahrscheinlich, daI~ diese auch bei der Par~lyse sehr bald ein- setzen, jedenfalls friiher vorhanden sind als die Hirndegeneration. Auiler- dem finden wir einen auffallenden Parallelismus zwischen der Erkran- kung der Gef~fte und der Hirnsubstanz. Der paralytische Prozel] er- greift nicht das gesamte Gehirn gleichmiil]ig, sondern ist auf bestimmte Partien lokalisiert. Was die Gefs betrifft, so sind sie am st~irksten in der Rinde des Stirnhimes ausgesprochen, um gegen das t t in terhaupt hin abzunehmen oder aufzuhSren. Das gleiche gilt auch ~Ton den iibrigen Elementen des Gehirns, und uuch der weichen Hirn- h~ute. So ist regelm~[tig das Stirnhirn atrophisch, w~hrend das P~riet~l- h im oder das Hinterhauptshirn nur ausnahmsweise diesen Befund auf~ weisen, auch die mikroskopischen Vers an der Glib, den Nervenzellen und Fasern weisen dieselbe Anordnung auf. Der yon O. F i s c h e r bcschriebene fleckweise Schwund der Markfasern liiI~t eben- f~lls deutliche Beziehungen zu den Gefiil~en erkennen. Da sich oft eine starke Entziindung der Gef~fte mit geringer oder fehlendcr Permeabilitiit und noch 5fter das Umgekehrte finder, so ist man zu dem Schlusse be- rechtigt, dal~ die Gef~l~durchl~ssigkeit nicht von histologisch nachweis- baren Ver~nderungen allein abhs ist. Deshalb w~re es auch denk- bar, dal~ erkrankte Gewebspartien im Bereiche yon histologisch nor- malen Gefii, ften liegen, die trotzdem im Sinne einer erhShten Durchl~ssig- keit, die sich vorderhand dem anatomischen Nachweis entzieht, ver- gndcrt sein k6nnen.

Wenn nun einerseits die Gefs sehr friihzeitig auftritt , anderseits die degenerativen Ver~nderungen im Bereiche der er- krankten Gefgfte liegen, so ist die Annahme, daft erster yon letzteren abh~ngig sind, vieI nahetiegender und natiirlicher als die Vorstellung, daft beide unabhiingig voneinander, durch dieselbe Ursache bedingt, entstehen.

Die Erklarung der paralytischen Hirnveranderungen durch die durch- l~issigen Gefafte, machen eine Reihe yon Hilfshypothesen, die auf Grund der bestehenden Vorstellungen notwendig sind, iiberfliissig. Die zahl- reichen Anschauungen, welche spezifische Toxine fiir die Entstehung der Paralyse verantwortlich machten, die stets rein hypothetisch waren, h~tten keine Berechtigung, da die bereits im normalen Blute vorhandenen Stoffe eine schwere ~qoxe fiir das Gehirn darstellen miissen, wenn sie in vielfach vermehrter und qualitativ vergnderter Menge durch die permeabeln Gefi~l]e ins Gehirn gelangen. Allerdings wird die Sch~digung eine noch viel schwerere sein, wenn etwa Giftstoffe, die durch Organ- zerfall gerade bei Paralyse reichlich entstehen, ins Gehirn iibertreten.

Ferner liegt nicht die Notwendigkeit vor, eine besondere Disposition des Gehirnes fiir die Paralyse anzunehmen, denn wenn die Gef~i~- permeabilitat einmal vorhanden ist und dauernd besteht, so wird sie geniigen, um jedcs Gehirn zu zerstSren.

Page 16: Über die bedeutung der „meningealen permeabilität“ für die entstehung der progressiven paralyse

5[6 E. Weih Uber die Bedeutuag der ,meningea[en Permeabilit~t"

Auch ist vielleicht auf Grund unserer Vorstellung die Tatsache, dai~ manche VSlker vor der Paralyse geschiitzt sind, einer Erkliirung zu- gs in der Weise, dab bei diesen die Gefs gegeniiber dem lueti- schen Virus widerstandsfi~hig sind, wodurch dann gleichzeitig das Ge- him vor der Erkrankung geschiitzt ist. Es wiire yon Interesse zu unter- suchen, wie sich bei diesen Volkssts die sonstigen Gefil~e der luetischen Infektion gegeniiber verhalten.

Grol3e Schwierigkeiten bereitete die Erkli~rung des diffusen degenera- tiven Prozesses im paralytischen Gehirne. Man maehte daffir jenes hypothetische Gift, das vom Lueserreger direkt oder indirekt stammen und andauernd wirken soll, verantwortlich (Krae pelin). Inwieweit die Spiroch~tenfunde diese Ansicht stfitzen werden, l~l~t sich nicht sagen. Jedenfalls gibt die Permeabilits auch auf diese Frage eine ungezwungene Antwort. Dean die andauernd bestehende Gef~l~dureh- ls mull dadurch, dal~ der das Gehirn sch~,digende Stoffaustritt fortws erfolgt, eine progressive Gewebsschs herbeiffihren. Dies ist ein Beispiel daffir, dab eine durch einen Iiffektionsproze~ hervor- gerufene Vers (Permeabilits die irreparabel ist, selbst nach dem ErlSschen der Infektion eine sehwere fortschreitende Alteration eines Gewebes setzen kann, auch were1 im Gesamtorganismus sonst normale Verh~ltnisse bestehen.

Die Fragen, die noch zu erSrtem sind, beziehen sich darauf, wodurch die Gef~Berkrankung im Zentralnervensystem bedingt, und weshalb sie bei der Paralyse einer Riickbildung nicht fs ist. Wir haben, bereits darauf hingewiesen, da~ man als Ursache der prims Gef~l~sch~digung die luetische Infektion ansehen mul~, deren starke Beziehung zu den Ge- fs des Zentralnervensystems sich darin s dab sie sehon im Friihstadium der ~yphilis zu einer Permeabilit~t der Meningealgef~e fiihrt, ohne dal~ diese akut affiziert sind (Boas und Neve). Diese von vornherein mehr chronische Affektion tritt auch im sp~teren Verlauf der Lues in akuterer Form auf, so dalt bier die Entscheidung, ob eine Paralyse oder eine isolierte Erkrankung der Meningen vorliegt, erst naeh einer ls Beobaehtung mSglich ist. Da nach den bisherigen Untersuchungen ausschlie[tlich die Lues die Gefs des Zentralnerven- systems in der Weise alteriert, dal] sie eine erhShte Durchls auf- weisen, ohne dal~ eine a k u t e Mening i t i s b e s t e h t , so wird der Zu- sammenhang zwischen Lues und Paralyse aueh von diesem Gesichtspunkte aus verst~ndlich. Was die akuten luetischen Meningitiden betrifft, so ver- halten sich diese nicht anders, als die Meningitiden anderer ~tiologie, indem sie, wenn sie nicht zum Tode fiihren, ausheilen, und die Vers rungen der Gefs insbesondere die erhShte Permeabilits zur Norm zurfiekkehren. Da ]edoch die Paralyse hinsichtlich der Gefs eine chronische Meningitis aufweist, so entsteht die Frage, ob sich diese

Page 17: Über die bedeutung der „meningealen permeabilität“ für die entstehung der progressiven paralyse

for die Entstehung der progressiven Paralyse. 517

aus den akuten luetischen Meningitiden entwiekelt, oder ob sie eine eigene Form darstellt. Trifft die erstere Annahme zu, so miiBte man sich vorstellen, dab ein Teil der akuten Meningitiden nicht ausheiIt, oder rezidiviert und dann in ein chronisches Stadium iibergeht. Zur Ent- scheidung dieser Frage ist ausschlieBlich die Priifung auf die erh(ihte Durehliissigkeit nOtig, welehe in diesem Falle nicht oder nur voriiber- gehend verschwinden diirfte. Eine diesbeziigliche Untersuchung ist leider bisher noch nicht durchgefiihrt, da auf den dermatologischen Kliniken, denen allein dieses Material zur Verfiigung steht, zwar si~mt- lithe Liquorreaktionen angestellt werden, nicht aber die H~molysin- reaktion.. (Siehe Dre y f u s , G e n n e r i c h u. a.) Eine weitere Erkl/~rungs- mSglichkeit bestfinde darin, dab die zur Paralyse fiihrende Gef~B- erlo'ankung yon vornherein chronisch beginnt und in dem chronisehen Stadium verharrt. In dieser Hinsicht wiirden sieh manche Analogien mit der ehronischen und akuten Nephritis finden, denn man ist heute der Absicht, das erstere meist nicht aus der akuten Form entsteht, son- denl vom Anfang an als chronische Erkrankung in Erscheinung tri t t . Wenn dies auch fiir die Paralyse zutrifft, so wiire den von B o a s und N a v e im Sekundi~rstadium der Lues gefundenen und jenen bisher un- klaren Fallen von cerebraler Lues mit positiver H/~molysinreaktion ein besonderes Augenmerk zuzuwenden. Da6 auch bei diesen der Lues- erreger die Ursache der Gef~Berkrankung darstellt, ist wohl anzunehmen, wichtig w/~re nur zu entscheiden, und damit kommen wir in den Bereich der zweitea oben aufgeworfenen Frage, warum bei den F/illen, die Paralysen sind oder aueh Paralysen werden, die Gef/~Bpermeabilit~t irreparabel ist.

Die Beantwortung dieser Frage st6Bt auf groBe Sehwierigkeiten, denn ebensowenig wie wir wissen, warum doch nicht jede akute Nephritis aus- heilt, sondern manchmal in t in chronisches Stadium iibergeht, ebenso- wenig k6nnen wir mit Sicherheit sagen, weshalb die Gef~Berl~ankung bei der Paralyse einen chronischen Charakter annimmt. Man kOnnte ja annehmen, dab die stere Anwesenheit der Spiroch~,ten das patholo- gische Moment darstellt, das den ErkrankungsprozeB nicht zum Still- stand kommen l~Bt. Doch ist diese Annahme nicht unbedingt nStig, denn wir kennen Gewebssch~digungen, die durch Infektionen oder Gifte hervorgerufen sind und weitersehreiten, aueh welm die Infektion er- loschen ist, oder die Giftzufuhr aufgehSrt hat. In ~hnlicher Weise kSn- nen bei der Paralyse die Gef~Be im Zentralnervensystem durch die luetische Infektion in quantitativer oder qualitativer Hinsicht derart geseh/idigt seiu, da6 sie, a uch wenn das Virus zu wirken a ufgehSrt hat, einer Riickbildung nicht mehr f~hig sind. So wichtig es vom praktischen Standpunkt aus wiire, den Grund zu finden, warum bei der Paralyse die Gef~Bdurchl~ssigkeit andauernd bestehen bleibt, weil dadurch ein pro-

Z. f. d. g. Neur. u. Psych. O. XXIV. 34

Page 18: Über die bedeutung der „meningealen permeabilität“ für die entstehung der progressiven paralyse

518 E. Weft: IJber die Bedeutung der ,meningealen Permeabilit~it"

phylaktisches oder therapeutisches Handeln mSglich wiire, fiir das Ver- st~indnis des paralytischen Erkrankungsprozesses ist jedoch dieser Urn- stand nicht yon ausschlaggebender Bedeutung.

Z u s a m m e n f a s s u n g .

1. Weder die Zell- noch die EiweiBvermehrung im Liquor zeigt mit Sicherheit eine erhShte Durchl~ssigkeit der Meningealgefiige an, da beides yon extravascul~ren Vorg~ngen herriihren kann. Durch den Nachweis der H~imolysine ist jedoch das Bestehen einer erhShten Per- meabilit~t sichergestellt.

2. Ein Parallelismus zwischen Eiweil~vermehrung und I-~molysin- menge 1/il~st sich auch in groben Ziigen nicht nachweisen, was auf die Sonderstellung der H~molysinreaktion hinweist.

3. Eine erh6hte Permeabilit~t der Meningealgef~A3e ist bei a k u t e n Meningitiden jeglicher Atiologie, bei s u b a k u t e n nur bei Lues cerebro- spinalis und bei c h r o n is c h e n ausschliel~lich bei Paralyse vorhanden.

4. W~hrend bei akuten Meningitiden, wenn sie nicht zum Tode fiihren, sondern heilen, die Permeabilit~t ausnahmslos raseh schwindet, bleibt sie bei der Paralyse andauernd bestehen. Das Verhalten der sub- akuten luetischen Meningitiden l~Bt sich erst nach l~ngerer Beobachtung sicherstellen, sicherlieh wird jedoch bei einem groBen Teile derselben die Durchl~ssigkeit riickgSngig, da die c h r o n i s c h e Lues cerebri aus- nahmslos eine negative H~molysinreaktion gibt.

5. Auch die unkomplizierte Tabes weist stets eine negative Reaktion auf. Ist sie ]edoch bei dieser Erkrankung vorhanden, so ist sie vorfiber- gehender Natur, wenn es sich um eine meningitisehe Komplikation, bleibender, wenn es sich um eine Kombination mit Paralyse handelt.

6. Die Paralyse nimmt insofern vor den iibrigen Erkrankungen des Zentralnervensystems mit erh6hter Durehlgssigkeit eine Sonderstellung ein, als hier die Permeabilitgt dauernd bestehen bleibt und sich auch auf die GefiiBe der Rinde und des Markes erstreekt, die in grol3en Ab- schnitten des Gehirns diffus erkrankt sind.

7. Das Vorhandensein der erhShten Durchlgssigkeit bei Paralyse kann nieht ohne EinfluB sein auf die Erniihrung des Gehirnes, die wie in allen iibrigen Geweben dadurch erfolgt, dab die Niihrstoffe aus den Gefgl3en austreten, zu den Zellen gelangen und von diesen aufgenommen werden. Ist die Permeabilitgt erh6ht, so muB der Sauerstoff aus den Gefiigen in quantitativer und qualitativer Hinsieht eine starke Ver- gnderung erfahren und in diesem Sinne aueh die Gewebsernghrung ab- norm beeinflussen.

8. Dieser Auffassung entsprechend stellen die Gefiiflvergnderungen das primiire Moment dar, welehe die Gehirndegeneration zur Folge haben.

Page 19: Über die bedeutung der „meningealen permeabilität“ für die entstehung der progressiven paralyse

fur die Entstehung der progressiven Paralyse. 519

9. Auch bei normaler Beschaffenheit des Blutes muB das Gehim, das yon durchliissigen Gef~tBen durchzogen ist, eine Sch~digung er- fahren, die natfirlich schwerer sein wird, wenn im Blute auBerdem noch Giftstoffe, deren Vorhandensein jedoch nicht unbedingt n6tig ist~ kreisen.

10. Auf Grund dieser Vorstellung entfi~llt auch die Notwendigkei t eine besondere Disposit ion im Zentra lnervensystem bei jenen Ind iv iduen anzunehmen, die an Paralyse erkranken, da jedes Gehirn, dessen Ge- f~Be d a u e m d im Silme einer versti irkten Durchl~ssigkeit ver~ndert sind, eine schwere Sch~digung erfahren muB. DaB die luetische Infek t ion diese E rk rankung der Gef~Bc nicht selten hcrvorruft , ist nach den neueren Unte rsuchungen erwiesen. Eine Paralyse wird sich jedoch nur dann entwickeln, wenn die Gef~Be entweder quant i ta t iv oder quali- t a t iv derar t geschi~digt sind, dab eine Rfickbildung zur Norm nicht mehr m6glich ist.

L i t e r a t u r v e r z e i c h n i s .

Ascher , Der physiologische Stoffaustausch zwischen Blur und Geweben. Ver]ag yon G. Fischer, Jena. 1909.

Boas und Neve, Zeitschr. f. d. ges. ~eur. u. Psych. Orig. 1 0 , 607. 1912. - - Zeitschr. f. d. ges. Neur. u. Psych. Orig. 15, 528. 1913. F i scher , O., Uber den fleckweisen Markfasernschwund. Arbeit. aus d. psych.

Klinik in Prag. Verlag yon Karger. H a u p t m a n n , Archly f. Psych. 50, 602. 1912. K r a e p e l i n , Lehrbuch der Psychiatrie. K a f k a , Zcitschr. f. d. ges. ~eur. u. ~)sych. Orig. 9, 1912. - - Deutsche Zeitschr. f. iNervenheilk. 50. - - Zeitschr. f. d. ges. Ncur. u. Psych. Orig. 6. Referate. - - und R a u t e n b e r g , Zeitschr. f. d. ges. Neut. u. Psych. Orig. 25. M a t t a u s c h e k , Zeltschr. f. d. ges. ~Neur. u. Psych. Orig. 15. Mer tens , Deutsche Zeitschr. f. Ncrvenheilk. 49. W a s s e r m a n n und Lange , Kolle-Wassermann, die Wasser mannsche l~caktion. Weil und K a f k a , Wiener klin. Wochenschr. 1911. iNr. 10. - - Med. Klin. 1911. ~r. 34. Zaloziecki , Deutsche Zcitschr. f. ~Nervenheilk. 46. - - Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 47 und 48.

34*