ueber das verhalten der schleimhaut der paukenhöhle nach durchschneidung des nervus trigeminus in...

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III. Ueber das Verhalten der Schleimhaut der Paukenhithle naeh Durehsehneidung des Nervus trigeminus in der Seh~idelhShle. (• dem pathologischenInstitut der Universit~t zu Leipzig.) Von Prof. Dr. reed. l~. Hagen. Dureh Herrn Professor Cohnheim erhielt ieh Kenntniss yon einem Vortrage G e 116's 1) in der Soei6t6 de biologic am 8. December 1877, fiber welchen in der Gazette m6dicale de Paris 1878. No. 1 beriehtet wird. Daselbst heisst es, dass Dural und L aborde nach L~sionen der Medulla oblonffata trophische Stiirungen der Augen- und Nascnsehleimhaut der entsprechenden Seite als Folffen der dutch die Operation gesetzten Durchschneidnng der absteigenden Wurzcl- fasern des Nervus trigeminus hatten beobachten k(inncn. Gell6 unterzog aueh die Sehleimhaut der Paukenhiihle der in dieser Weise opcrirten Thiere der Beobachtung and fand fast constant in Folge der yon Dural and Laborde an Kanichen und Hunden ausge- ftihrten 0perationen eine sehr deufliche Verstiirkung der Vasculari- sation der dem verletzten Nerven entspreehenden Seite. In dem Falle, welchen Gell6 in dcr genannten Sitzung der Soci6t6 de bio- logic mittheilte, war der operirte Hund noeh 10--12 Tage am Leben geblieben; die trophischen St(irungen im Auge und in der Nase waren sehr auffallend; es war Eiterung eingetreten. Gel 16 konnte in diesem Falle auch das Vorhandensein yon Eiter in der rechten Paukenhi~hle (der verletzten Seite entsprechend) constatiren. W~ihrend die linke Paukenhtihle in Folge des Todes des Hundes durch In- anition eine auffallende Bl~sse und Trockenheit zeigte, war die an ihrer nntercn Wand er(iffnete rechte Paukenhiihle roll sehaumige5 trtiber, riithlicher Fltissigkeit, in welcher die mikroskopische Unter- l) L~sion de la muqueuse auriculaire ~ la suite des ldsions bulbaires. Ga~. m~d. de Paris. 1878. No. 1.

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III .

Ueber das Verha l ten der Schleimhaut d e r Paukenhithle naeh Durehsehne idung des Nervus t r igeminus in der Seh~idelhShle.

(• dem pathologischen Institut der Universit~t zu Leipzig.) Von

Prof. Dr. reed. l~. Hagen.

Dureh Herrn Professor C o h n h e i m erhielt ieh Kenntniss yon einem Vortrage G e 116's 1) in der Soei6t6 de biologic am 8. December 1877, fiber welchen in der Gazette m6dicale de Paris 1878. No. 1 beriehtet wird. Daselbst heisst es, dass D u r a l und L a b o r d e nach L~sionen der Medulla oblonffata trophische Stiirungen der Augen- und Nascnsehleimhaut der entsprechenden Seite als Folffen der dutch die Operation gesetzten Durchschneidnng der absteigenden Wurzcl- fasern des Nervus trigeminus hatten beobachten k(inncn. Ge l l6 unterzog aueh die Sehleimhaut der Paukenhiihle der in dieser Weise opcrirten Thiere der Beobachtung and fand fast constant in Folge der yon D u r a l and L a b o r d e an Kanichen und Hunden ausge- ftihrten 0perationen eine sehr deufliche Verstiirkung der Vasculari- sation der dem verletzten Nerven entspreehenden Seite. In dem Falle, welchen Ge l l6 in dcr genannten Sitzung der Soci6t6 de bio- logic mittheilte, war der operirte Hund noeh 10--12 Tage am Leben geblieben; die trophischen St(irungen im Auge und in der Nase waren sehr auffallend; es war Eiterung eingetreten. Gel 16 konnte in diesem Falle auch das Vorhandensein yon Eiter in der rechten Paukenhi~hle (der verletzten Seite entsprechend) constatiren. W~ihrend die linke Paukenhtihle in Folge des Todes des Hundes durch In- anition eine auffallende Bl~sse und Trockenheit zeigte, war die an ihrer nntercn Wand er(iffnete rechte Paukenhiihle roll sehaumige5 trtiber, riithlicher Fltissigkeit, in welcher die mikroskopische Unter-

l) L~sion de la muqueuse auriculaire ~ la suite des ldsions bulbaires. Ga~. m~d. de Paris. 1878. No. 1.

40 III. g. HA~En

suchung das Vorhandcnsein vieler EiterkSrperchen nachwies. Ausser- dem land G e l l6 daselbst die Schleimhaut blass und wic ,maccrirt auffallend verdickt und opak". G e l l6 zieht nun aus dicser ein- zigen Beobachtung den Schluss, dass, da das hier so vcrandertc Organ in der Tiefe verborgen und vor Luftzutritt ungemein geschUtzt ist, die hier vorgefundenen Ver~nderungen allein auf die L~sion tro- phiseher Fasern im Trigeminus zurtiekzuftihren wiiren. Hierin sieht G e 116 eine Sttitze dcr M e i s s n e r 'schen Anschauung und einc Wider- lcgung der entgegengesctzten yon S n c 11 e n und Anderen~ in neuester Zeit ganz besonders yon Sen f t l e ben t) vertheidigtcn Anschauung der traumatischen Entstchungsweise der Keratitis nach Trigeminus- durehschneidung.

Der Aufforderung des Iterrn Prof. C o h n h e i m dutch Durch- schneidung des Nerv. trigeminus bei unerSffneter SchMelhShle das Factum fcstzustellen, kam ieh mit grSsster Bereitwilligkeit naeh und drangt kS reich, dem genannten Herrn ftir die Anregung zu dieser Arbeit, sowie ftir die mir hierbei durch Rath und That gewlihrte Untersttitzung meinen ergebensten Dank auszusprechen.

Meine Untersuehungen wurden im hiesigen pathologischen Insti- tute nur an Kaninchen angestellt. Die Durchschneidung des Tri- geminus wurde in der gewiihnlichen Weise vollftihrt; doch fand ich praktisch ein schm~ileres Messer anzuwenden und dasselbe nach Ein- ftihrung in die Sch~delhiihte gegen das Orbitaidaeh vorzusehieben, bis ich, die Spitze des Messers immer mehr senkend, an dem be- treffenden Nerven angelangt war und vollftihrte dann erst die Durch- schneidung. Dass die Durchsehneidung gelungen, ersehloss ich aus den bekannten Erscheinungen der Prominenz des Bulbus, Verenge- rung der Iris und absoluten An~sthesie des Auges der operirten Seite. Nur an einem Thiere warden in einer Sitzung beide Trigemini durch- sehnitten, bei den tibrigen nut der Trigeminus eincr Seite.

Nach der vollftihrten und constatirten Durehschncidung des Tri- gcminus wurden die Thiere in einer Kiste aufbewahrt, ohne dass vor dem Auge der operirten Seite irgend eine Sehutzvorrichtung an- gebraeht wurde; denn es tag mir daran, den Eintritt tier Keratitis als sicheren Beweis itir die v(illig gelungene Operation zu benutzen.

Die Lebensdauer der operirten Thiere nach der Operation war je naeh der bei derselben erfolgten oder nicht erfolgten Blutung eine verschieden lange, yon einer Stunde bis zu 59 Tagen. Vier Thiere wurden 4, 8, 17 und 59 Tage nach der Operation getiidtet, das erste, zweite und vierte dieser Thiere mittelst Decapitation, das dritte

1) Virchow's Archly. Bd. 6b. S. 69 ft. und Bd. 72. S. 278.

Verhalten d. Schleimhaut d. Paukenh6hle nach Durchschneidung d.. Nerv. trigem. 41

dureh Luftinjection in die Vena jugularis. Bet allen Thieren, welche langer als 24 Stunden die Operation iiberstanden hattcn~ war Kc- ratitis und bet den drei Thiercn, wclche 8, 17 und 59 Tagc naeh der Operation getiJdtet wurden, Phthisis bulbi eingetreten.

Nach effolgtem Tode wurden yon mir die PaukenhShlen theils yon oben, theils yon hinten her eriiffnet, nachdem ich reich jedesmal yon der wirklich erfolgten Durchtrennung des Trigeminus in der Schiidelhiihle tiberzeugt hatte. Nur die 13 Fi~llc, in welchen ich bet der Obduction diese Durehschneidunff vorgefunden babe, sollen hier erw~ihnt und beriicksichtigt werdcn.

Nur in zwei yon diesen dreizehn Fallen fhnd ich in der Pauken- hShle Exsudat, in den i i b r i gen e l f d a g e g e n n i ch t d ie S p u r t i n e s s o l c h c n , auch nieht in dem einen Falle, bet welchem beide Trigemini durchschnitten worden waren. Der einc der beiden Fiille mit Exsudat in der PaukenhShle betrifft ein Kaninchen, welches dutch eine frtiher an dem einen Ureter ausgefiihrte Unterbindung sehr herabgekommen und bereits 12 Stunden naeh der Durchsehnei- dung des rechten Trigeminus verendet war. Bet der 12 Stunden nach erfolgtem Tode vorgenommenen Section land sich der rechte Trigeminus vollstandiff in der Mitte durchschnitten vor und in der rechten Paukenhiihle viel seriise FlUssigkeit mit reichlichen Eiter- k(irperchen. Aber auch die linke PaukenhShle enthielt viel serilse Fltissigkeit mit m~tssig reichliehcn Blutkiirperchen und spiirlichen Epithelien, von EitcrkSrperchen jedoeh keine Spur. In keiner der bciden Paukcnhiihlen war eine auffallende Hyperiimie wahrnehmbar, ja nieht einmal eine Injection der auf der Promontoriumwand ver- laufenden Gefiisse vorhanden.

Schon der Umstand, dass in den beiden PaukenhShlen, also auch in der linken, auf welcher Seite der Trigeminfis nicht durehsehnitten worden war, ein Exsudat, wenn gleich an Qualit~tt etwas ;r vorgefunden wurde, deutet unzweifelhaft darauf hin~ dass dasselbe nieht durch die Trigeminusdurehschneidung bedingt sein konnte. Vielleieht hatte der bereits vor der yon mir ausgeftihrten Trigemi- nusdurchschneidung sehr bedeutend herabgekommene ErnKhrungszu- stand des Thieres das in beiden Paukenhiihlen vorgefundene Exsu- dat veranlasst.

Dieser Fall lehrt aber recht deutlieh, dass man mit Schlussfol- gerungen aus e i n e r Beobachtung sehr vorsichtig sein muss, fernerj dass aus dem Vorhandensein eines Exsudats in der entsprechenden PaukenhiJhle eines operirten Th!eres nieht ohne Weiteres gestattct ist, einen Schluss zu ziehen, wie Gel l6 dies ffethan.

42 Ill. R. HAGE~

ttabe ich den eben angeftihrten Fall als Beweis ftir das Auf- treten yon Exsudat in der PaukenhtJhle nach Durchschneidung des Trigeminus wohl mit vollem Rechte zurtickweisen mUssen ,. so fEllt das Ergebniss des fblgenden Falles seheinbar mehr ins Gewieht.

Das zweite Kaninchen, in dessen linker PaukenhShle 31 Stunden nach der Durchsehneidung des linken Trigeminus und vorhandener Keratitis linkerseits bei der Section eiu nur mEssiges, sehwach blutig gefarbtes Exsudat gefunden wurde, welches unter dem Mikroskope zahlreiche rothe BlutkSrperchen, wenig Eiterktirperehen und noch weniger Epithelien zeigte~ war ebenfalls ein zartes~ sehlecht geni~hrtes, untermittelgrosses weisses Thief. Eine HyperEmie der Paukenschleim- haut oder eine Injection der Gefi~sse der Promontoriumwand war nicht zu constatiren. Ich hebe letzteren Zustand ganz besonders her- vor, well in keinem der nenn Fiille, welche nur 1--55 Stunden nach der Operation gelebt hatten, eine Gefi~ssinjeetion der betreffenden Gegend aufzufinden war, wi~hrend in den vier ilbrigen bei liingerer Lebensdauer sich eine solehe voriknd; In keinem der beiden Fi~lle war das Exsudat ein schaumiges, wie es G e l i 4 gefunden hat, und in keinem der sEmmtlichen dreizehn operirten Fiille war die Sehleim- haut ,macerirt" oder trtibe oder verdickt, wie G e l l 6 ebenihlls an- gibt, sondern blass und yon normaler Beschaffenheit.

Auch diesen Fall muss tch als nicht vtillig" beweiskriii~ig zurtiek- weisen. Eine Beweiskraft ktinnte er nut dann erlangen, wenn fcrner- wcite in gleicher Weise operirte und 1Enger am Leben gebliebene Thiere jedesmal das Vorhandensein yon Exsudat in der Paukenhtihle der operirten Seite bei der Obduction hi~tten erkennen lassen.

Wie bereits erwEhnt~ lieferten aber die Trigeminusdurchschnei- dungen an ferneren vier Thieren, welche 47 S~ 17 und 59 Tage nach der Operation mit den betreffenden Erscheinungen der gelungenen Durehschneidun$ gelebt hatten, ein v011ig n e g a t i v e s Resultat. Wie anders liesse sich d~es erklEren, als dadurch~ dass das Auffinden yon serSser Fltissigkeit in der PaukenhShle naeh Durchschneidung des Trigeminus in jenem zweiten Falle ein zufiilliges Ergebniss gewesen sein mnss~ bedingt dureh andere Ursaehen!

Jeden/klls beweisen vier Fi~lle mit negativem Befunde mehr, als ein einziger mit positivem Erfolge und zeigen deutlich, dass man aus einem einzigen solchen positiven Falle keinen anderen Schluss ziehen dart~ als den, dass ansnahmsweise nach Durchschneidung des Trigeminus Fltissigkeit in der PaukenhShle dei" operirten Seite beobachtet werden kann, dass es aber mindestens zw. eifelhaft ist, ob die Exsudation durch jene Durchschneidnng bedingt ist~ da dem Vorhandensein einer

Verhalten d. Schleimhaut d. Paukenhiihle nach Durchschneidung d. Nerv, trigem. 43

solchen aueh noeh andere Ursachen zu Grunde liegen k~nnen. Be- obaehtet man doeh solche Exsudate aueh beim lebenden Menschen bei oder (nieht operirten) einseitig, z. B. naeh Erkrankungen des lqa- senraehenraumes.

Ieh bin um so mehr zu dieser Schlussfolgerung bereehtigt, als die nunmehr mitzutheilende Beobaehtung noeb besonders gtinstige Momente fur die Bildung yon Exsudat in der Paukenh(ihle bot und trotzdem ein solches sieh nicht vorfand.

Bei dem zehnten, am 5. August reehterseits ',operirten Kaninchen hatte sich am 6. desselben Monats bereits Keratitis eingestellt und am 3. October land sieh ausser vollsti~ndiger An~sthesie Phthisis bulbi vor. Am letztgenannten Tage wurde zunlichst noch die Dureh- sehneidung des linken Trigeminus mit Erfolg ausgeftihrt, kurz darauf das Thier get~dtet nnd der Schi~del erSffnet. Der rechte Trigeminus zeigte eine ziemlieh breite Substanzlticke. In tier Tiefe des reehten knr Geh(irganges, die ganze untere Halfte des Trommelfells bedeckend, lag eine weisslichgelbe, schmierige Masse, welche sich unter dem Mikroskope zumeist als aus Talg bestehend ergab. Bei und naeh Entfernung dieser Masse zeigte sieh das Trommelfell in den unteren Quadranten an einer kleinhanfkorngrossen Stelle perforirt, die Perforation abet dutch jene Talgmasse verlegt. In der reehten Paukenh(ihle selbst keine Spur yon Exsudat, wohl aber waren die Gefiisse der Promontoriumwand stark injicirt, w~thrend die Promon- toriumwand der linken Paukenh~hle keine derartige Veranderung zeigte. Exsudat war aueh in letzterer nieht vorhanden.

Wie lange die Talgmasse sieh in tier Tiefe des knSchernen reehten Geh(irganges befand, wie lange die Perforation des reehten Trommelfells bestanden haben mag, liisst sieh nicht bestimmt an- geben, wohl abet ist es hiiehst auffallend~ dass sich trotzdem in der betreffenden Paukenh(ihle keine Spur yon Exsudat auffinden liess.

Der Befund dieses Falles niithigt zu der Annahme, dass das Exsudat, welches bei dem noeh 31 Stunden nach der Operation am Leben gebliebenen Thiere in der betreffenden PaukenhCihle vorge- funden wurde, nicht dureh die Durehschneidung des einen Trige- minus bedingt worden sei, ihm vielmehr eine andere mir nnbekannte Ursaehe zu Grunde gelegen babe.

Unterstiitzt wird diese Annahme noch durch die absolut negativen Ergebnisse, welche die drei anderen operirten Thiere naeh 4, S und 17 Tage langem Lebenlassen geliefert haben.

Ich komme demnach zu dem Resultat, dass Ge l l6 ' s Schluss- folgerung, basirt auf dem Ergebnisse eines e i n z i g e n operirten

44 III. R. HA~EN, Paukenh6hlenschleimhaut nach Trigeminusdurchschneidung.

Thieres, welches naeh einer Durehsehneidung der absteigenden Wur- zelfasern des Nervus trigeminus in der Medulla noch 10--12 Tage gelebt haben soll~ als unberechtigt zurtickzuweisen ist, und dass viel- mehr die Intcgritiit der PaukenhiJhle naeh Trigeminusdurehschnei- dung wohl geeignet ist, dig traumatisehe Natur der Trigeminus-Ke- ratitis vollends zu erhiirten.