Über das Überleben von teilen

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Ober das =Oberleben yon Teilen. Beitriige zttr Individualitiitsfrage. Von Eugen Sehultz. (Zoologisehes Institut der Hoehsehule fiir Frauen, St. Petersburg.) Mit 5 Figurea im Text. Eingegangen am 30. Mai 1912. Die Aufg'abe, die ich mir in der vorliegenden Versnehsreihe ge- stellt habe, bestand darin, alas LTberleben yon Gewebek0mplexen zu studieren, nieht das Uberleben einer isolierten Gewebeart, sondern yon Gewebegruppen, die gerade in einem gewissen Organe oder Teile eines Tieres,;vereint sind. Mich interessierten die Fi~lle, wo eine Regeneration ausgesehlossen war. Abgesehen yon morphologi- schen und physiologisehen ~ebenresultaten, die sich bei solehen Untersuehnngen ergeben k(innen und aueh wirklieh ergeben haben, d. h. yon Resuttaten, die ein Licht bald auf die normale Struktur des betreffenden Organs, bald auf seine Funktion werfen, waren es zwei Gesiehtspunkte, die ieh vor allem im Auge hatte: Erstens, ob ein >>Kampf der Teile, zwisehen den amputierten Geweben vor sieh geht, ob Uberhaupt eine feste Reihenfolge im Sehwunde tier Zellarten beobachtet werden kann, was wiehtig fur die Auffassung der inneren Zweckmi~Bigkeit ist, und zweitens, ob eine Regulation aueh in abge- trennten K~rperteilen vor sich geht, wenn Regeneration ausgesehlossen ist. Beides ist wiehtig fur die Enteleehiefrage. Wir kSnnen iiber- haupt zu der Frage kommen, ob nieht regenerations- und nieht regu- ]ationsfithige K~rperteile, die naeh DmESClZS Terminologie keine >~Enteleehie~Zmehr aufweisen, noeh als Ganzes, als lebend aufge- faBt werden k(innen; oder ob nut die einzelnen Zellen ihre Selbst-

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Ober das =Oberleben yon Teilen.

Beitriige zttr Individualitiitsfrage.

Von

Eugen Sehultz.

(Zoologisehes Institut der Hoehsehule fiir Frauen, St. Petersburg.)

Mit 5 Figurea im Text.

Eingegangen am 30. Mai 1912.

Die Aufg'abe, die ich mir in der vorliegenden Versnehsreihe ge- stellt habe, bestand darin, alas LTberleben yon Gewebek0mplexen zu studieren, nieht das Uberleben einer isolierten Gewebeart, sondern yon Gewebegruppen, die gerade in einem gewissen Organe oder Teile eines Tieres,;vereint sind. Mich interessierten die Fi~lle, wo eine R e g e n e r a t i o n a u s g e s e h l o s s e n war. Abgesehen yon morphologi- schen und physiologisehen ~ebenresultaten, die sich bei solehen Untersuehnngen ergeben k(innen und aueh wirklieh ergeben haben, d. h. yon Resuttaten, die ein Licht bald auf die normale Struktur des betreffenden Organs, bald auf seine Funktion werfen, waren es zwei Gesiehtspunkte, die ieh vor allem im Auge hatte: Erstens, ob ein >>Kampf der Teile, zwisehen den amputierten Geweben vor sieh geht, ob Uberhaupt eine feste Reihenfolge im Sehwunde tier Zellarten beobachtet werden kann, was wiehtig fur die Auffassung der inneren Zweckmi~Bigkeit ist, und zweitens, ob eine Regulation aueh in abge- trennten K~rperteilen vor sich geht, wenn Regeneration ausgesehlossen ist. Beides ist wiehtig fur die Enteleehiefrage. Wir kSnnen iiber- haupt zu der Frage kommen, ob nieht regenerations- und nieht regu- ]ationsfithige K~rperteile, die naeh DmESClZS Terminologie keine >~Enteleehie~Zmehr aufweisen, noeh als Ganzes , als lebend aufge- faBt werden k(innen; oder ob nut die einzelnen Zellen ihre Selbst-

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erhalt.ungsf~higkeit und Regulationsfghigkeit, also ihre sog. Ente- leehi6n~ bewahren und deswegen das betreffende StUck noeh am Leben halten; denn Enteleebie 1) und Individualititt ist mebr als die >> Summer der einzeinen Zellindividualit~ten.

Der abgetrennte Rttssel yon Balanoglossus besteht aus folgenden Organen: dem auBeren KSrperepithel mit dem in demselben gela- gerten Nervensystem~ den die EiehelhShle ausfUllenden Muskeln und Bindegewebe, dem Eicheldarm~ dem Herzen oder Pericard, dem cen- tralen Sinus, den CSlomhShlen mit ibrer Auskleidung.

D e r abgetrennte Riissel verliert die Fahigkeit spontaner Bewe- gung, bei jeder Bertihrung aber vollftihrt er Kontraktionen, die wellen- fSrmig yon der Spitze zu der Basis verlaufen. Jeder Reiz l~st die gleiehe volle Wirkung aus. Es ist das Alles oder Niehts-Gesetz yon BOWDITSCK und hat bier der RUssel yon Ptychodera einige *hnlieh- keit mit den Kontraktionen des Herzens. Der Verlust der Sponta- neitat der Bewegang ist typisch fttr das Verhalten abgetrennter, nicht regulations- und reffenerationsfahiger KSrperteile. Wenn ein Hinder- his in den Weg gelegt wird, wird dieses nieht, wie bei dem mit dem ganzen KSrper verbundenen RUssel umgangen~ sondern der RUssel bewegt sieh, wenn mSglieh, tiber das Hindernis hinweg, kann er es nicht~ so bleibt die Bewegung stehen.

Meine Untersuehungen wurden an Ptychodera minuta ausgefiihrt. Das KSrperepithel bestebt, wie bei allen Enteropneusta-Arten, aus 1) bewimperten Deekzellen~ 2) Schleimzellen~ 3) EiweiBzellen~ 4) den ~qervenlagen und 5) dem KSrnerhaufen. Ieh konnte naeh 41 Tagen keinen verh~ltnismaBig bedeu~enderen Sehwund irgend einer dieser Zellenarten vor den andern bemerken.

Naeh dem Durehschneiden sehlieBt sich das Ectoderm um dis Wunde und maeht damit die Eichel zu einer rings geschlossenen

1) Anmerk. des Herausgebers. Der Herr Autor verwendet das Wort Enteleehie hier im Wesentlichen als eine kurze Bezeichnung ftir das cen- t ra l i s ie r te typische Gesta l tungsvermSgen und ftir das ges ta l tende Regula t ionsverm~gen , nach dessert Sitz er sucht. In dieser beschr~nkten Weise ist der Terminus vielleicht ohne bTachteil in der exakten bTaturforschung anwendbar. Im vollen Sinne der Auffassung DRIESCHS aber steht die Entelechie tiber der materiellen Organisation der Lebewesen, sie souver~n beherrschend, sie teleologisch lenkend. Iu diesem Sinne ist der Hilfsbegriff ftir die ,exakte Forschung<~ nicht brauehbar. Auch entsprieht seine Anwendung in dieser wohl nicht DRIESCHs eigner Auffassung (vgl. ~Die Biologie.r 2. Aufi. 1911. S. 24).

W. Rovx. 14"

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Blase, die nur dureh die Eichelpforte mit der AuBenwelt kommuniziert. Der Turgor in dieser Blase ist ziemlieh bedeutend und die Eichel behiilt ein pralles Aussehen.

Der centrale Tell des :Nervenringes~ welcher die Basis der Eichel umgibt, wird dutch den Schnitt und den darauffolgenden VerschluB der Wunde so geni~hert, dab dieser Ring zu einer ~ervenplatte wird, die abet nattirlieh ihren radialen inneren Bau beibeh~tlt. Ist der Schnitt welter naeh hinten gefUhrt, so bleibt nattirlich die Ring- gestalt des Nerven erhalten.

Nach 41 Tagen seheint das Iqervensystem nicht weiter ange- griffen worden zu sein. Dieses Resultat war zu erwarten, da wir die direkte Widerstandsfi@gkeit des ~ervensystems als sehr bedeu- tend kennen.

Der Eicheldarm, die sog. Chorda, bleibt meist als geschlossene Blase in der Eichel zurUek. In andern Fallen (iffnet sich der Eichel-

Fig. 1.

~ w p B �9 �9 �9

darm mit einer neuen 0ffnung vorn und ventral nach auBen. Das hintere, durchschnittene Ende bleibt in manehen F~llen mit dem Ecto- derm an der Durehsehnittsstelle verbunden. Die neugebildete 0ffnung am vorderen Ende des Eicheldarmes ist kein einfaeher, zuf~lliger Durchbrueh naeh auBen, wie ieh ihn selbst in einigen F~llen der Restitution beim Darme yon Clavellina beobaehtete, sondern das iiuBere KSrperepithel hat sieh aueh eingesttilpt und ist dem Eicheldarm ent- gegen gewachsen, denn die Eetodermzellen ragen ein StUck ins Darm- lumen hinein (Fig. 1). Hierbei ist es night unwiehtig, sich einer Beobach- tang K. DAVYDOFFS zn erinnern~ tier bei Regeneration tier Eichel yon Balanoglossus manchmal einen vorderen Durehbruch des Eiche]darmes nach auBen land. Diese Erscheinung crkli~rt D.~VYDOFF als Atavis- mus und sieht in ihr eine Andeutung darauf, dab die MundSffnunff einst weit vorn lag und die jetzige MundSffnung nur eine sekundKre Bildung ist. Besondere Grtinde ftir diese Ansicht sehe ich nieht und ist es mSglieh, dab die neue C)ffnung rein teratologiseh aufzufassen ist, indem vielleicht die BerUhrung durch den Eicheidarm das Eeto-

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derm zur EinstUlpung reizt. Vielleicht ist Uberhaupt jeder Ectoderm- teil imstande, ein Stomodacum zu bilden, wit -~_hnliches ftir die Linsen- regeneration gilt.

Auf sp~iteren Stadien ist bei einigen Exemplaren der Eicheldarm zu vollstiindigem Sehwunde gelangt. Die Beobachtungen am Uber- lebenden Balanoglossus-RUssel werfen ein Licht auf dig histologisch- physiologisehen Verhi~ltnisse dieses geheimnisvollen Organs.

Was den Baa des Eicheldarmes gleieh nach der Durehschneidung betrifft, also den Bau des normalen Organs, so entspricht er der Be- schreibung, die SPENGEL v0n ihm gegeben hat, d. h. wir haben ein Zellenlager~ dessen Kerne in vcrsehiedener HShe liegen und deswegen,

Fig. 2.

\

besonders da sie blasig aufgetrieben sind, ein Chordagewebe vor- t~uschen. Diese Zellen weisen stellenweise eine Secretion auf, die sich in~ Darmlumen ergicBt (Fig. 2). Auf sp~ttercn Stadien der RUckbildung sieht man zcrstSrte Zcllenmassen mit noch unverdauten Kernresten im Innern des Eicheldarmcs liegen. Das Protoplasma ist oft schon fast vollstandig geschwunden und nur die Kernrcste bleiben zurtick. Auf manchen Pr~paraten sieht man deutlich zerfallende Darmepi- thelzellen in das Darmlumen sich entleeren. Das Faktum, dab eine Secretion und Verdauung in dem Eicheldarme vor sigh geht, nimmt dieser so genannten Chorda alle Chordacharaktere. Die Secretion ist stellenweise sehr stark, dig Secrete in den Zellen erscheinen als Blascn, yon Zellplasma umgeben. Die Secernierung dauerte auch noeh nach dem 41. Tage nach der Abtrennung des KSpfchens fort.

214 Eagen Schaltz

Da also die Zellen der sogenannten Chorda, wie sehon .SPENGEL bewiesen hat, epithelial bleiben, and da sie, wie ich eben beschrieb, FlUssigkeit secernieren, welche augenscheinlich verdauungsf•hig ist, so seheint sich der Eicheldarm physiologisch noch nicht vo~ dem Ubrigen Darme gesondert zu haben and jedenfalls keinen bedeuten- den Funktionswechsel eingegangen zu sein. Ich erwithne noch, dab nach K. DAVYDOFF die Regeneration des Eichcldarmes yore Darme aus gesehieht and dab der Eicheldarm dabei sieh anf~nglich histo- logisch nicht vom eigentlichea Darme unterscheidet.

SPENC~EL tritt selbst gegen Fig. 3. die Homologisierung des Eichel-

darmes mit der Chorda auf, meint aber anderseits, dab der Eieheldarm wohl schwerlieh als Verdauungsapparat funktio- niert. Meine Beobachtungen haben reich das Gegenteil ge- lehrt and besti~rken daher noch mehr die Ansicht, da~ sich Eicheldarm und Chorda wohl kaum homolog sind. Der Name Notochord, der yon BA'rESO~ (1884) stammt, muB deswegen wohl endgtiltig fallen gelassen werden, da ja aueh die Struk- tur unsrer DrUsenzellen nichts mit der Chordastruktur zu tun hat. Ob ein i~hnliches verdan- endes und secernierendes Darm-

divertikel durch Funktionswechsel zur Chorda werden kann, ist eine andre Frage, ftir die aber kein einziges Faktum aul]er bodenlose phylogenetische Spekulation spricht.

Was das sogenannte ~Herz,~ betrifft, welches wohl am besten, wie es DELAGE und H]~ROUARD (1898), W1LLEu (1899), I~ITTER (1902), DAYYDOFF (1902) getan haben, mit dem Pericardium der Tnnicaten zu homologisieren ist, so bleibt es als gesehlossene Blase, sehwindet aber zuletzt doeh vollst~tndig.

Der c e n t r a l e Sinus und der G lomeru lus erleiden bemerkens' werte Veranderungen. Der Centralsinus scheint zusammenzufallen, vielleieht weil die regelmiil]ige Bluteirculation nach 'der Abtrennung

Uber das l~berleben yon Teilen. 215

nieht mehr aufreeht zu erhalten ist: Der Glomerulus aber beginnt stark zu wuehern~ so dab er sich iiber *den ganzen Centralsinus er- streckt. ~aeh den '~ Bildern, die ieh zu Gesieht bekam, muB ich an- nehmen, dab der Glomerulus ein Excretionsorgan ist, und zwar sehen wir dort, wo sich die Zipfel des Glomeruius an das CSlothei anlegen~ am letzteren Bl~tschen in die CSlomh(ihle ausgeschieden werden (Fig. 3). Auch hier also dient die CSlomhtihle als Excretbehi~lter. Den Glomerulus sehen wir mit K(irnern, die wahrscheinlich ExcretkSrner sind, erfiillt. Sehen wir in ihm ein Exeretionsorgan, so wird uns die Wucherung" dieses Organs durch den Massenzerfall andrer Gewebe begreiflich. Wit hiitten einen Fall funktioneller ttypertrophie. Oft bedeckt ein Glomerulus den ganzen Eicheldarm. DAVYDOFF hat auch Fitlle be- schrieben, wo der Glomerulus fast die I~Iiilfte der RUsselhShle ein= nimmt. Er sucht es durch den Uberm~Bigen Blutdruek zu erkliiren, abet wie W. Roux (s. Lit. OPP~L) naehgewiesen hat, ist der Blut- druck nicht dis Ursache tier Hypertrophie des Blutgef~tBsystems, die wahre Ursache ist die Funktion der zu versorgenden Gewebeteile. Bei unsrer Annahm% dab wir es mit einem Excretionssystem zu tun haben, wird die I-Iypertrophie verst~tndlich.

DaB der Glomerulus ein Excretionsorgan ist, erkannte schon BATESON. SPENGEL vergleicht den Glomerulus mit den MALPIGIfI- sehen Gefi~Ben. Die CSlomhShle wiire dann ein Harnreservoir, was gut in die NephrocSltheorie paBt.

Das CSlom erleidet keine besonderen Ver~nderungen, doch will ich einige Punkte hier hervorheben, die morphologisehes Interesse haben und beim Uberleben besonders klar hervortreten. Durch die starke excretorische T~tigkeit des Glomerulus weist auch das ihm gegentiberliegende CSlothel ExeretkSrper auf. Die Zellen sind nach der CiilomhShle hin zackig und zerfressen, die C(ilomhShlen sind mit Zerfallprodukten erftillt. Man sight, wie diese Zellen Secretballen in das CSlom, welches hier so reeht zu einem Harnreservoir wird, absondern. Schon SCHIMKEWlTSC~t verglich den Glomerulus mit den Perieardialdrtisen der Anneliden und hielt sie ftir Excretionsorgane. Der Glomerulus hat eben denselben Bau, wie alle ithnlichen Excre, tionsorgane: AusstUlpungen des BlutgefiiBsystems yon CSlothel um- wachsen. Das Exeretionsorgan tier Enteropneusten hat somit den= selben Charakter, wie die PericardialdrUsen der Anneliden, die Ex- cretionsorgane der Nemertinen und alle jene Excretionsorgane der Vertebraten, wo der Glomerulus mit CSlomteilen in Verbindnng tritt; d h. wir haben ein Aneinanderlegen yon Blutgef~tB und CSlom bzw.

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Exeretionskanal (Nemertinen), wobei die ExeretionsflUssigkeit dutch die doppelte Wand filtriert wird.

Meine Beobaehtung und mein SehluB, dab wit es hier mit einem Excretionsorgan zn tun haben, ist natUrlieh nieht endgtlltig beweisend, solange die ExeretflUssigkeit nicht ehemiseh untersueht ist und keine Injektionen gemaeht worden sind. Beim allgemeinen Sehwunde aller Organe schwindet zuletzt aueh der Glomerulus.

Was den Porus betrifft, so bleibt er erhalten, abet es finden sieh aueh mitunter zwei Pori, die abet in einen gemeinsamen Vorhof

Fiff. 4.

munden. Ob dieses aber eine 2~eubildung ist, oder schon yon Anfang an bei dem betreffenden Exemplare zwei Pori vorlagen, ist nicht zu entscheiden. Ich weise nur darauf hin, dab bei manchen Arten immer zwei Pori vorhanden sind (Bal. I(upfferi und Bal. canadensis). Auch bei unsrer _Pt. minuta hat SPENGEL ausnahmsweise Exemplare mit zwei Pori gefunden.

Daneben habe ieh einen Fall beobachtet, we ein Porus ganz fehlte. Ich erkli~re ihn dadurch, dab der Sehnitt vor dem Porus geftihrt worden war. Wir batten hier also ein organisiertes Gebilde, welches sieh kontrahierte nnd lebte, bei welchem abet alle direkten Kommunikationen zwisehen den inneren Organen und der AuBen- welt fehlten.

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Nach 40 Tagen bleibt yon allen genannten Organen, die das Centrum des RUssels einnehmen, niehts tibrig als ein Zellenhaufen, in welchem es sehwer wird, die Gewebe der einzelnen 0rgane aus- einander zu halten.

Das Muskelsystem ist naeh 40 Tagen stark reduziert, nur wenige Muskelbtindel sind zurUckgeblieben. Die innere EiehelhShle tst da- dutch ungemein groB geworden. Das Bindegewebe sehwindet in gleichem Schritte. Infolge des Schwundes des Bindegewebes liegen die MuskelbUndel nur sehr locker miteinander verbunden. In einem Falle, naeh 40 Tagen~ Fig. 5. als in der Eiehel alle Organe eingesehmolzen waren, zeigte das Muskelsystem beiderseits je einen ganz symmetrisch gelagerten Wuehe- rungsherd (Fig. 4). Bei genauerer Untersuchung P erweist es sieh, dab diese Wueherung aus spindelF6rmiffen Zellen besteht, d. h. aus jungen

Die Bilder sind denen Muskelzellen (Fig. 5). iihnlich, die DAVYDOFF ftir das Muskelgewebe ~ bildende CSlom des regenerierenden RUssels ~:~ gegeben hat. Demnach mUssen wir annehmen, i dab im RUssel, der schon 40 Tage abgetrennt war~ innere Regenerationsprozesse ausgeliist werden kSnnen. Aus welchen Teilen die Muskeln regenerieren, ist schwer zu bestimmen~ doch scheinen es dedifferenzierte Muskelzellen zu sein.

Sehen wir yon den oben geschilderten, rein morphologisehen Ergebnissen, die die Bedeutung der >~Chordar und des Glomerulus betreffen, ab und lenken wir unsre ganze Aufmerksamkeit auf die Frage, um derentwillen wir die ganze Untersuehung unternommen haben, so litBt sie sich nieht so leicht pr~zisieren.

Wir haben dureh Amputation einen Teilorganismus geschaffen, dem einige Fnnktionen fehlen, andre ~tuBerst erschwert sind, einen Organismus, ~hnlich jenen Gliedern, die sich E3IPEDOKLES vorstellte als einzeln irrend und Verbindung suchend. Zur Charakteristik des Lebens gehSrt Bewegung, Assimilation, Regulationsfiihigkeit, Psyche und Vermehrung. Wir kSnnen yon einem Wesen, das als ein leben- des anerkannt werden will, verlangen, dab es diesen Bedingungen entspricht. Die Vermehrung kSnnten wir yon dieser Definition aus-

218 Eugen Schultz

sehlieBen, weil ein lebendes Wesen mit allen seinen EigentUmlieh- keiten gut denkbar ist, dem die VermehrungsfEhigkeit abgeht. Das Psychische wiederum ist nieht objektiv erkennbar. Es bleiben die drei: Bewegung, Assimilation~ Regulation. Von diesen drei Merk, malen haben unsre Balanoglossus-RUssel die Bewegung und Assimi- lation behalten. Was die Assimilation betrifft, so ist yon einer Nahrungsaufnahme yon auBen nieht die Rede, selbst wenn wir den Eieheldarm als verdauendes Organ ansehen; daftir" aber haben wit eine Degeneration yon Zellen~ deren EiweiB yon andern Zellen, wie z. B. wahrscheinlieh yon den Zellen des Eicheldarmes, verarbeitet wird. Unser Rtissel verhElt sieh so, als ob er in einen akuten Hungerzustand versetzt were.

Was nan die RegulationsfEhigkeit betrifft, so konnte ieh nut Spuren yon ihr entdecken. Vor allem fehlt die charakteristisehste Regulat ionserscheinung- die Regeneration des Ganzen aus dem T e i l e - vollstEndig. Es treten dagegen einige inhere Regenerations- prozesse auf: so legt sieh ein neues Muskels..ystem an, und eine neue, anf regenerativem Wege gebildete vordere Offnung des Eieheldarmes wird manchmal gebildet. Beide Prozesse scheinen aber nichts Regu- latorisches an sieh zu haben, da die Bildung einer vorderen ~)ffnung des Eieheldarmes ein teratologisches Resultat ergibt und der Beginn einer Restitution des Muskelsystems nur als dutch irgend einen RGiz zufi~llig hervorgerufen angesehen werden kann, da er niehts >,Prak- tisehes, ergibt. Es hat ja selbstverstEndlieh keinen Nutzen, dab Gewebe zuerst eingeschmolzen werden, wie das hier unverletzte Muskelsystem, um naehher wieder zu regenerieren, ohne dab der Organismus irgend eine Nahrnngszufuhr erhalten hat. - - Was end- lich die Reihenfolge des Sehwundes der Gewebe betrifft, so seheint derselbe hier night nach dem Grade der Notwendigkeit vor sich zu gehen, wie beim Hunger des ganzen Tieres.

Wollte ieh versuehen 7 meine Resultate kurz zusammenzufassen, so wUrde ieh sagen, dab wir im Uberlebenden Balanoglossus-Riissel etwas Lebendiges haben, dem die IndividualitEt genommen ist, denn IndividualitEt sollte sigh vor allem in der SpontaneitEt und Regula- tionsf~thigkeit EuBern. SpontaneitEt fehlt aber sowohl in Bewegung, als Morphogenese, RegutationsfEhigkeit sowohl in" der Reihenfolge des Zerfalls 7 als aueh in den eventuellen Regenerationsprozessen.

Ieh mSehte hier auf eine auf den ersten Bliek fern liegende Analogie hinweisen, die aber nach meiner Meinung viel mehr ist als eine Analogie~ weil sie dasselbe Verh~tltnis zwisehen Teil nnd Ganzem

Uber das Uberleben yon Teilen. 219

behandelt und dabei yon rein physiologischem Standpunkte zu iihn- lichen Resultaten kommt wie wir. Ich meine die hSchst interessanten Experimente PALADINS U. a. tiber die Fortsetzung chemischer Assi- milationsprozesse naeh Zerst~irung der Zelle als solcher. In diesen Fallen setzen die Teile ihre Arbeit fort, abet die Prozesse werden unkoordiniert und verlieren alle Finaliti~t. Die Enteleehie der Zelle ist verloren gegangen und das Ganze ist nicht mehr als die Summe der einzelnen Prozesse, d.h. existiert nicht mehr als solehes.

Ganz Ahnliches sehen wit beim Uberleben nieht regenerations- fiihiger Teile. Sie setzen ihre Arbeit and ihr morphologisehes Schaffen ohne Direktive fort. Dem abgetrennten StUcke fehlt eine eigne En• telechie~ die das ganze abgetrennte Gebilde als Individualitat nmfaBt.

Das Experiment der Abtrennung ist deswegen als analytisehes Experiment nieht ohne Interesse~ well es beweist, wie weir die Selb- st~ndigkeit bzw. die Selbstdifferenzierungsfi~higkeit der einzelnen Bruehteile in jedem gcgebenen Falle gehen kann.

In einigen Fi~llen, wie wit gleich bei den Actiniententakeln sehen werden, fehlt jede Restitutions- und Regulationsarbeit; desgleichen bei den Mesenterialfilamenten. Bei den respiratorischen RUckenanh~ngen yon Janus haben wir schon eine Restitution, die sich im Verschlusse der Wunde knndgibt. Bei Phoronis haben wit VerschluB der Wunde und ZusammenfiuB der Blutgefi~I]e. Beim Balanoglossus-RUssel end- liCh sind echte Regenerationsprozesse zu beobachten.

Ae t in i en f t ih l e r . " Abgeschnittene Ftihler yon Adamsia regene- rieren nicht. Jegliche Reparation ist gleichfalls ausgeschlossen. Wie es RAND schon vor einigen Jahren besehrieb, sehlieBt sieh die Wunde beim abgeschnittenen Tentakel nicht, wi~hrend dieselbe Stelle, wenn sie in Kontakt mit dem MutterkSrper bleibt, sich kontrahiert und in sehr typiseher Weise verwliehst.

Die Ursache des ~ichtverwachsens liegt nach meiner Ansicht nicht am Ausbleiben der Kontraktion, und das Verwaehsen ist nieht vom Kontakt abhiingig. Oft fallen die WundrKnder niimlieh so zn- sammen, dab die beiden gegenUberliegenden Epithelrlinder sich be- riihren~ dennoch verwachsen sie nieht und ))verkleben, nicht einmal miteinander.

Veriinderungen in den den Tentakel zusammensetzenden Zellen konnte ich nicht erkennen. Deekzellen~ GeiBelzellen~ Sinneszellen, Schleimzellen, Eiweil3zellen~ ~esselzellen~ Iqervenlager~ Muskellager

220 Eugen Sehultz

und Bildungszellen waren zu erkennen, auch die Zooxantellen fUhrten ihr Leben ungestSrt welter. Ein Absterben der freien Wundri~nder blieb aueh aus. Die Tentakel zeigten naeh 3 Woehen keinerlei Veri~nde- rungen, wonach ich, zur Abfahrt gezwungen, sie konservieren muBte.

Das Lebensverhi~ltnis zwisehen den einzelnen Zellen des Ten- takels war also nieht gestSrt, aber jede Reaktion des Tentakels als Ganzes, sowie aueh seine spontane Bewegung aufgehoben. Also aueh hier ging die Enteleehie verloren.

Nieht weniger lange, also 3 Woehen, lebten die Mesen te r i a l - f i lam e n te derselben Adamsia. In denselben bleiben, wie es seheint, alle Elemente unveri~nderlieh.

Eine interessante Parallele zu den Actinienftihlern bieten die respiratorisehen Rtiekenanhi~nge der nudibranchiaten Molluske Janus cristatus. ]qaeh Durchschneidung derselben tritt stets Kontraktion der Wunde ein und die Wundr:~tnder verwaehsen. ~aeh 10 Tagen konnte ich noeh keine namhaften Veri~nderungen im Bau des Darm- epithels, der Muskeln usw. entdecken. Spontane Bewegungen fehlten aueh hier.

Bei Phoronis ist eine Autotomie - - ein Abfallen des KOpfchens in schlechten Bedingungen - - li~ngst bekannt. Bei diesen KSpfchen beobaehtete ieh seinerzeit eine Vereinigung des vorderen und hinteren Darmabschnittes, sowie den ZusammenschluB der BlutgefiiBe. SELYS- LO~GCrrAM~'S widersprach meiner Deutung dieser Prozesse als Re- generation, da es zu keiner weiteren Proliferation kommt und aus diesen abgeworfenen KSpfchen keine normale Phoronis resultiert. Er hat augenseheinlich R echt~ dab diese KOpfehen dem Untergange geweiht sind. Wir haben hier also Prozesse, die lebhaft an die- jenigen erinnern, die wir ftir Balanoglossus beschrieben haben, d. h. lokale Restitationsprozesse~ die doch zu keinem befriedigenden Re- sultate ftihren.

Benutzt man nieht spontan abgeworfene KSpfehen, sondern durchschneidet _Phoronis in versehiedener HShe~ so erh~tlt man StUcke yon sehr verschiedener Potenz: KSpfehen~ welche etwas niedriger als an der Autotomiestelle abseschnitten werden~ regenerieren gut and ergeben vollsti~ndige Organismen, und aueh das hintere StUck ist fiihig, den verlorenen Tell aus jedem Quersehnitte zu regenerieren~ wie ich es frUher gezeigt habe. Sehwer begreiflich ist es auf den

Uber das Uberleben von Teilen. 221

ersten Biick, weswegen dann die Autotomie nicht etwas niedriger vor sich geht7 wo eine Vermehrung auf dem Wege tier Teilung mSg- lich ware; weswegen~ wenn die Regeneration in direktem Verhiilt- nisse zur Verletzungshiiufigkeit stehen soll~ nicht das so oft verletzte Kspfehen fi~hig wird~ zu einem ganzen Individuum auszuwachsen, da ja gerade im KSpfehen alle wichtigsten Organe vereint scheinen~ mit einziger Ausnahme der Genitalzellen. Ist es vielleieht gerade der Mangel der letzteren und die Unm(iglichkeit, in gegebenem Falle die Genitalzellen zu regenerieren, was einem solchen KSpfchen die MSglichkeit genommen hat, eine Anpassung weiter zn vererben? Dieses kann natUrlich schwerlich bewiesen werden, scheint mir aber ziemlich wahrscheinlich.

Wichtig ist fUr uns die Frage, was mit jenen StUcken wird, die noch hSher als an der Autotomiestelle amputiert wurden. Diese StUeke weisen keinen Schwund der einen Zellen zngunsten der andern auf. Sie tiberleben in ihrem ganzen Komplexe mit allen Geweben, ja selbst die so charakteristischen BlutkSrper bleiben unveriindert. Wenn der Schnitt so hoch geftihrt wurde, dab nut die Tentakel er- halten blieben, so tiberlebten auch diese. In allen Fallen schlieBt sich die Wunde und verw~chst, was auch bei der Autotomie ge- sehieht, da sie dutch AbschnUrung zustande kommt. Die Blutgef:,iBe verschmelzen. Spontane Bewegungen sind auch hier ausgeschlossen, trotzdem scheinbar alles ftir sie ~Stige vorhanden ist, d. h. INerven, BlutgefitBe und Muskeln.

Sehr eigenartig berUhrt der Umstand, der uns tiberall, auBer beim Balanoglossus-RUssel, entgegentrat. Kein Gewebe ging zu- gunsten des andern zugrunde. Der ganze Gewebekomplex blieb meist erh~dten wie er war, und trat eine Nekrose ein, so umfaBte sie gleich- m:,ti~ig alle Gewebe und alle Zellen desselben Gewebes. Die Ver- hiiltnisse sind also ganz andre als bei denselben Organen nnd Teilen in dem Falle, wo sie mit dem KSrper verbunden bleiben und dieser ganze KSrper hungert; denn in letzterem Falle stoBen wit tiberall auf einen rationellen Schwund der einen Zellen zugunsten der andern. In beiden Fallen haben wir ein Hungern; wiihrend aber in dem mit dem Kiirper vereinten StUeken die einen Zellen zugunsten der andern aufgezehrt werden, geschieht dieses hier nicht. Und wo ein Schwund stattfindet, hat er einen zufitlligen Charakter und weist keine teleo- logisehen Tendenzen auf. Dureh Verlust der Enteleehie ist also nicht nut die Proliferationsf~thigkeit verloren gegangen, und wo Regeneration

222 Eugeu Sehultz, 0ber das Uberleben yon Teilen.

auftritt, ist sie ungeriehtet und nngeordnet (Balanoglossus), sondern aueh die Fi~higkeit rationeller Ernahrung der einen Teile au f Kosten der andern. Wie sich dieselben Arten bei Hunger verhalten, darUber hoffe ieh zum Vergleiehe mit den vorliegenden UntersuchUngen bald N~theres mitteilen zu k5nnen und damit diese Betraehtungen erst ganz sieher zu stellen.

Sehr wtinschenswert endlieh wiire es, meine Resultate mit den- jenigen bei Transplantation bei demselben Tiere gewonnenen zu ver- gleichen, d.h. wie sieh die betreffenden nicht regenerierenden Ten- takel, KSpfehen usw. verhalten, wenn sie transplantiert werden und hier einem allmEhliehen Sehwunde anheimfallen. Nach den geringen histologisehen Daten, die wir far Transplantate haben, verhalten sieh auch hier die Zellen gleiehmi~l]ig und schwinden gleichmal]ig ohne Spuren yon Anpassungsfi~higkeit in der Reihenfolge des Sehwundes zu offenbaren.

Literaturverzeichnis, BATESON: - - Eine Reihe yon Arbeiten in: Quart. Journ. of Mier. Science.

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