suhrkamp sieben jahre krise
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D E R S U H R K A M P V E R L A G U N D S E I N E K R I S E
Der siebenjährige KriegIm November 2006 tun sich vier Männer zusammen, um denSuhrkamp Verlag zu erobern. Einer davon ist Hans Barlach. Bisheute kämpft er als Minderheitsgesellschafter erbittert gegen dieVerlegerin von Suhrkamp, Ulla Unseld-Berkéwicz. Der Verlagsteckt jetzt in einem Insolvenzverfahren – und steht damit amRande des Abgrunds. Neue Quellen zeigen, wie es dazu kam.VON Bodo Mrozek;Thomas E. Schmidt;Adam Soboczynski | 01. August 2013 - 08:00 Uhr
© Holde Schneider
Diese vier wollten die Macht im Suhrkamp Verlag erringen: Hans Barlach, Claus Grossner, JoachimUnseld, Arnulf Conradi (v.l.n.r.). Das Foto erschien in der "FAZ" am 18. November 2006
1. Eine Fotografie
Sogar die Betroffenen haben mittlerweile den Überblick verloren. Atemlos oder auch
schon etwas resigniert verfolgen sie die Pressemeldungen über Urteile und einstweilige
Verfügungen. Suhrkamp ist ein endloses Drama, mal mehr, mal weniger unterhaltsam.
Doch die entscheidende Frage: Wie konnte der wichtigste Verlag des deutschen
Geisteslebens nur so dicht an den Rand des Abgrunds geraten? Diese Frage wird nicht mehr
gestellt.
Es scheint in diesem Drama nur zwei Hauptfiguren zu geben: den Hamburger Kaufmann
Hans Barlach und die Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz , vereint im ewigen Streit. In
Wahrheit ist die Besetzungsliste des Schauspiels länger: Sogenannte Berater spielen
wichtige Rollen, unglückliche Erben und Rechtsanwälte. Schauplätze gibt es in dieser
Geschichte zuhauf: Verlagssitze und Villen, Gerichtssäle, Zeitungsseiten – und sogar ein
Urlaubsparadies.
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Dieser Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe der ZEIT, die Sie am Kiosk oder online erwerbenkönnen.
In diesen Wochen treibt der Konflikt zwischen Barlach und seiner Medienholding , die
heute 39 Prozent am Verlag hält, und Berkéwicz’ Familienstiftung, die 61 Prozent besitzt,
auf den Punkt der Entscheidung zu: Der Verlag ist derzeit in ein Insolvenzverfahren
verwickelt, in dessen Folge Barlach seinen Einfluss auf den Verlag verlieren könnte. Sollte
dies nicht geschehen, würde der Verlag von Walter Benjamin und Bertolt Brecht, von Max
Frisch und Hermann Hesse, von Durs Grünbein und Sibylle Lewitscharoff wohl kaum eine
neue Runde mit Prozessen und begleitender psychologischer Kriegsführung verkraften.
Es ist an der Zeit darzustellen, wie dieser mittlerweile sieben Jahre währende Krieg
eigentlich zustande kam, wie er sich entfaltete und was ihn noch heute antreibt. Wie sich
zeigen wird, kann die turbulente Geschichte von Suhrkamp auf der Grundlage von neuen
Dokumenten und Aussagen von Zeitzeugen neu erzählt werden. Es ist eine Geschichte, die
um Vertrauen und Vertrauensbruch, um Geld und um Macht kreist. Sie handelt von bislang
unbekannten waghalsigen Manövern vor Gericht, und sie führt sogar nach Mallorca, wo es
zu vertraulichen Unterredungen mit Hans Barlach kommt, ohne dass seine Kontrahentin
davon wusste. Das jedoch hatte Folgen...
Beginnen wir aber mit einer denkwürdigen Fotografie. Sie erscheint im November 2006
in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und zeigt vier Herren mittleren Alters vor einer
Villa an der Elbchaussee in Hamburg. Selbstgewiss blicken sie in die Kamera, sie bilden
eine Quadriga. Die vier verfolgen einen Plan, der kurz vor der Veröffentlichung des Bildes
bekannt wurde und die Kulturwelt zu regen Debatten veranlasste: Drei von ihnen besitzen
jetzt eine Beteiligung am Frankfurter Suhrkamp Verlag, und sie wollen alle zusammen
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diesen Verlag der Mehrheitsgesellschafterin Ulla Unseld-Berkéwicz aus den Händen
winden.
1950Der Anfang
Der Suhrkamp Verlag wird von Peter Suhrkamp gegründet. Als Geldgeber beteiligt sich dieSchweizer Unternehmerfamilie Reinhart .
1959Die Unseld-Ära
1959 wird Siegfried Unseld nach dem Tod von Peter Suhrkamp alleiniger Verleger. Er bindetrenommierte Autoren und Intellektuelle an sein Haus.
1978Der Mitverleger
Siegfried Unseld überträgt Anteile von Suhrkamp auf seinen 25-jährigen Sohn Joachim und machtihn später zum Mitverleger. Doch es kommt zum Zerwürfnis.
2006Der Investor
Nachfolgerin Siegfried Unselds wird nach seinem Tod im Jahr 2002 seine Witwe Ulla Unseld-Berkéwicz. 2006 steigt Hans Barlach als Minderheitsgesellschafter ein
Die beiden Herren auf der linken Seite der Fotografie sind die neuen Investoren. Im
Kulturleben des Landes sind sie zu dieser Zeit kaum bekannt. Hans Barlach , damals
51, ist der Enkel des Bildhauers Ernst Barlach . Von sich reden macht er erstmals kurz
nach der Wende, als seinem Bruder und ihm das großväterliche Erbe in Güstrow zufällt.
Seither ist Hans Barlach als Unternehmer tätig. Seine Geschäftstätigkeit wird als sportlich
beschrieben. Er betreibt in den Achtzigern eine Galerie, kauft später Immobilien, eine
Lokalzeitung sowie eine Fernsehzeitschrift, und er realisiert seine Gewinne nach jeweils
kurzer Zeit. Von den Hamburger Medien werden Barlachs Geschäfte argwöhnisch verfolgt,
vor allem seit er von den Osmani-Brüdern, die als wichtige Köpfe im organisierten
Verbrechen der Hansestadt gelten, ein Haus am Hafen erwirbt . Dort wird es bis heute
als schlimmes Gentrifizierungsobjekt mit Parolen beschmiert. Barlach ist gut verbunden,
auch ins journalistische Milieu hinein: Im Beirat der Verlagsleitung sitzt für Barlach
beispielsweise der ehemalige Focus- Chefredakteur Helmut Markwort.
Neben Hans Barlach steht, groß gewachsen und grauhaarig, Claus Grossner . Der 65-
Jährige geht zu jener Zeit vielerlei Tätigkeiten nach. Er schreibt Artikel, auch für die
ZEIT, und führt in seiner Villa, vor der auch das Foto entstand, Begegnungen zwischen
Unternehmern, Künstlern und Journalisten herbei. Heute würde man ihn wohl einen
Netzwerker nennen. Er betreibt, was er "Großforschungs- und Informationsbureau"
nennt, und verfolgt ein Projekt namens Wissen Weltethos Weltzukunftsrat (WWW). Er
ist Junggeselle, lebt allein. Nur ab und an, so wird die Welt Jahre später über Grossner
schreiben, kommen "Praktikanten, zuweilen auch Schüler des Christianeums, jener
traditionellen Lehranstalt, deren Schüler er einst auch selbst war", bei ihm vorbei.
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Die rechte Hand am Jackettknopf, steht der 53-jährige Joachim Unseld ihm zur Linken.
Joachim ist der Sohn aus der ersten Ehe des 2002 verstorbenen Verlegers Siegfried Unseld.
Der Senior hatte den Verlag über Jahrzehnte geführt, er prägte ihn grundlegend und wurde
ein barocker Übervater des deutschen Verlagswesens. Joachim Unseld, der 20 Prozent am
Verlag hält, sollte seinem Vater im Verlag nachfolgen. Doch kam es zu einem Zerwürfnis,
das sich nicht wieder kitten ließ. Im Streit um die Nachfolge setzte sich am Ende Ulla
Unseld-Berkéwicz durch, seit 1990 Siegfried Unselds zweite Frau und somit Joachims
Stiefmutter. Sie stieg am Ende nicht nur zur Vorsitzenden der Familienstiftung auf, sondern
auch zur Geschäftsführerin des Verlages.
Das Verhältnis zwischen ihr und ihrem Stiefsohn ist von lebhafter Abneigung geprägt.
Ein allzu klassisches Familiendrama hatte sich über Jahre kraftvoll entfaltet, über das
damals bis in Details hinein rege in den Medien berichtet wurde. Joachim Unseld
leitet seit 1994 einen eigenen Verlag, die Frankfurter Verlagsanstalt. Das Fest, das er
alljährlich auf der Buchmesse in Frankfurt veranstaltet, zählt zu den muntersten und
ist unter Literaturkritikern ausgesprochen beliebt . Rechnet man Joachim Unselds 20
Prozent den neuen Investoren zu, hat die Quadriga rechnerisch Zugriff auf 49 Prozent der
Verlagsanteile.
Ganz rechts, die Hände in den Hosentaschen vergraben, taucht auch noch der 62-jährige
Verleger Arnulf Conradi auf. Gemeinsam mit Siegfried Unseld hatte er in den Neunzigern
den Berlin Verlag gegründet, danach ist er zeitweise für die American Academy in Berlin
tätig. Er soll als ein im Verlagsgeschäft versierter Berater die Neueinsteiger unterstützen
und mit seinem Renommee veredeln. Auch er war für eine Weile als Nachfolger von
Unseld senior im Gespräch gewesen. Joachim Unseld und Arnulf Conradi werden sich zum
Zeitpunkt der Fotografie beide als verhinderte Kronprinzen gefühlt haben, die in einem
letzten Anlauf um verloren gegangene Macht kämpften.
Es haben sich also vier Männer zusammengefunden, die auf der Grundlage ganz
unterschiedlicher Interessen ihr Eroberungswerk mit Verve angehen: Conradi schmerzt
die verhinderte Suhrkamp-Karriere, Grossner sucht für sein Großforschungsbureau eine
publizistische Plattform, Barlach will vermutlich vor allem ein gutes Investment tätigen.
Vielleicht geht es ihm auch um ein wenig Anerkennung durch den Literaturbetrieb.
Joachim Unseld aber kämpft um das Verlagserbe und ums Ansehen, aus seiner Sicht um
alles.
Es ist ein seltsames Geschäft, das in aller Diskretion am 7. November 2006 in der Schweiz
vollzogen wurde. Die neuen Eigentümer bringen die Neuigkeit mit großem Tamtam
den deutschen Medien – und dem Suhrkamp Verlag in Frankfurt – zur Kenntnis. Sie
hatten Anteile aus dem Besitz des Schweizers Andreas Reinhart gekauft. In Frankfurt
löst die Nachricht sofort Bestürzung aus. Vier Jahre nach dem Tod des verlegerischen
Übervaters, nach heftigen internen Auseinandersetzungen über seine Nachfolge, nach dem
schmerzlichen Verlust des Starautors Martin Walser, ist nun ein Band zerschnitten worden,
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das den Verlag vom Beginn an zusammenhielt: Seit Peter Suhrkamp 1950 den Verlag
gründete, war die Schweizer Familie Reinhart, von Mitte des 19. Jahrhunderts an von
Winterthur aus mit Kaffee und Baumwolle handelnd, stille Teilhaberin gewesen. Genau die
Hälfte von Suhrkamp nannte sie über lange Zeit ihr Eigen. Es war eine lange, nicht immer
konfliktfreie, aber treue Beziehung.
Und nun verkauft der 61-jährige Andreas Reinhart, was er noch am Verlag besitzt, das sind
29 Prozent. Reinhart ist Erbe eines gewaltigen Vermögens. Den eigenen Geschäften bleibt
der Erfolg jedoch versagt. Er ist die ewigen Auseinandersetzungen im Suhrkamp Verlag
leid, deshalb möchte er aussteigen. Schon einmal hatte er Anteile abgegeben, das war 1998,
als Siegfried Unseld ihm 21 Prozent abnahm, um sich die Mehrheit im eigenen Haus zu
sichern.
Im Verlag in Frankfurt regt sich nach dem forschen Auftreten der Quadriga
Verteidigungswille: Gab es da nicht eine alte Absprache zwischen Siegfried Unseld und
Reinharts Vater, dass Anteile, wenn sie verkauft werden, zuerst den Mitgesellschaftern
angeboten werden müssen? War Andreas Reinharts Verkauf überhaupt rechtens?
Willkommen sind die Neuen dem Verlag in keinem Fall.
Die Hamburger dagegen ziehen sogleich in eine Medienschlacht. Denkwürdige Zitate
werden produziert. Hans Barlach lässt sich folgendermaßen aus: "Siegfried Unseld
ist ohne Zweifel eine der größten Verlegerpersönlichkeiten, die es in Deutschland
je gegeben hat. Aber das heißt doch nicht, dass eine solche Ausnahmeperson durch
eine Schauspielerin und Autorin zweifelhafter Bücher ersetzt werden kann." Damit
greift er seine Mitgesellschafterin direkt an. Und: "Ich kann Frau Berkewicz nur den
Rat geben, sich zur Entspannung andere Wirkungsfelder zu suchen. Ich halte sie als
Verlagsgeschäftsführerin für nicht qualifiziert. Diese Frau kann es nicht, hat sich völlig
vergaloppiert." Claus Grossner wiederum wählt eine martialische Metapher: Der Verlag
gleiche "zurzeit einer implodierenden Festung".
Wie es zu diesem Viererbund kam, darüber gibt es heute unterschiedliche Versionen. Als
gesichert gilt, dass Joachim Unseld die beiden Kaufwilligen mit Andreas Reinhart bekannt
machte. Als Vermittler zwischen den vieren darf Arnulf Conradi gelten, kannte dieser doch
sowohl Joachim Unseld als auch Grossner seit Langem. Der wiederum war mit Barlach
befreundet. Die Stimmung kann man sich wohl als verschworen und erwartungsfroh
vorstellen.
Trotzdem behält der Kauf etwas Rätselhaftes: Warum erwirbt der vor allem an Renditen
interessierte Barlach die Minderheitsbeteiligung ausgerechnet eines Unternehmens, das
nicht gerade in einer renditeträchtigen Branche zu Hause ist? In die Geschäftsbücher des
Verlags nimmt er vorher keine Einsicht, er verlässt sich ganz auf seine Mitstreiter, die alle
etwas über Suhrkamp und Ulla Unseld-Berkéwicz zu erzählen wissen.
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Gewiss auch Abenteuerliches, das die Zeitungen begierig aufgreifen und zu einer Soap-
Opera ausschmücken: Berkéwicz, die dämonisch-schöne Verlegerin, engagiere in ihrem
Haus eine Hexe , sei versponnen und esoterisch, sie habe ihren Stiefsohn aus dem Verlag
geputscht und stehe somit nicht legitim an der Verlagsspitze. Ihr Naturell sei schwierig,
ihr Verhalten sei von einem nicht zu stillenden Misstrauen geprägt. Außerdem sei sie eine
Schauspielerin, keine Verlegerpersönlichkeit.
2. Eine ungeheuerliche Klage
Ulla Unseld-Berkéwicz begann in den siebziger Jahren ihre Karriere tatsächlich als
Schauspielerin, wechselte dann aber ins Schriftstellerfach. In den Achtzigern lernte sie
Siegfried Unseld kennen, der das intellektuelle Leben der alten Bundesrepublik damals
maßgeblich prägte. Nach seinem Tod rückte der Münchner Rechtsanwalt Heinrich Lübbert
als engster Ratgeber in Verlagsfragen an ihre Seite. Er war der Scheidungsanwalt bei ihrer
ersten Ehe gewesen und konzipierte auch die Familienstiftung, die Unselds Verlagsanteile
hält und der Berkéwicz vorsteht.
Heinrich Lübbert beriet schon Siegfried Unseld. Wer Lübbert heute begegnet, trifft
auf einen alerten älteren Herrn, der mit seiner Mischung aus herausgestellter Bildung
und Eleganz dem französischen Intellektuellen Bernard-Henri Lévy ähnelt. Trotzdem:
Damals gilt er auch, wie die ZEIT im November 2009 schrieb, "als undurchsichtiger
Machtmensch, als dämonischer Strippenzieher, als kaltblütiger Taktiker, von dem
manche vermuten, dass er mit dem Geheimwissen der Paragrafen der wahre Herr im
Hause Suhrkamp sei". Ulla Unseld-Berkéwicz beruft ihn sogar in den Vorstand der
Familienstiftung. Lübbert steht zu jener Zeit im Zenit seiner Macht.
Die Familienstiftung errichtet nach dem Einstieg der neuen Investoren rasch ihre erste
Verteidigungslinie: Ein Gericht soll feststellen, dass die Transaktion gar nicht hätte
stattfinden dürfen – und also nichtig ist. Die Hamburger scheint das nicht zu beeindrucken.
"Im völlig unwahrscheinlichen Fall eines Ausschlusses", so Grossner im Januar 2007,
"bekämen wir eine Abfindung nach dem Zeitwert des Unternehmens. Die Autorenrechte
und die erheblichen › hidden assets‹ des Hauses würden dabei berücksichtigt. Wir bekämen
einen Betrag, der weit höher liegt als der Kaufpreis." Das heißt im Klartext: Durchmarsch
oder Ausplündern. Außerdem heißt es: Andreas Reinhart hat zu billig verkauft.
Doch dann kommt es ein wenig anders. Denn was implodiert, ist zunächst nicht die
angeblich marode Festung Suhrkamp, sondern die Quadriga. Arnulf Conradi zieht sich
aus nicht ganz klaren Gründen überstürzt zurück; Barlach hatte ihn bereits als neuen
Geschäftsführer ins Spiel gebracht. Claus Grossner muss überraschend bekennen,
dass er nie das Geld besaß, um seine Anteile zu bezahlen. Daraufhin muss Barlach als
"Solidarschuldner" einspringen. Dennoch wird er den Kaufpreis für Grossners Anteil – von
einer kleinen Vorauszahlung abgesehen – nie an Andreas Reinhart überweisen, auch nicht
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nach Ablauf der großzügigen Zahlungsfrist von zwei Jahren. Übrig bleiben als Verbündete
Hans Barlach und Joachim Unseld. Die Quadriga ist nun ein Zweigespann.
Beobachter der Geschehnisse fragten sich seinerzeit, worauf sich die Zuversicht der neuen
Investoren, hochfliegende Träume und Pläne einmal abgerechnet, ökonomisch eigentlich
gründete. Selbst mit Joachim Unselds Anteilen wären es nur 49 Prozent gewesen. Das
ist in Wirklichkeit nicht so schrecklich viel wert, denn als Minderheitsgesellschafter
ist Barlach weitgehend machtlos. Er hat die Möglichkeit, die Bilanzen des Verlages zu
überprüfen. Doch Einfluss auf die Unternehmensführung oder das Verlagsprogramm
könnte er nur mit Billigung der Verlegerin nehmen. Gesteigerte Profitabilität und damit
höhere Ausschüttungen? Nicht gegen deren Willen.
Und außerdem: Hoffte man wirklich, Ulla Unseld-Bérkewicz durch eine öffentliche
Hexenjagd vertreiben zu können? Wer die zahlreichen Presseberichte von damals liest,
stößt auf eine aufschlussreiche Passage in einem Beitrag der Frankfurter Rundschau.
Redakteure der Zeitung besuchen Claus Grossner im November 2006. Es sei nun mal
so, heißt es in diesem Artikel über Unseld-Berkéwicz, "dass sie es ist, die 51 Prozent
der Anteile und damit die Macht im Suhrkamp Verlag besitzt. Dazu schweigt Grossner,
erweckt aber auch den Anschein, etwas in der Hinterhand zu haben."
Haben die Investoren wirklich etwas in der Hinterhand? Was bis heute kaum bekannt
ist: Zumindest glaubten sie das offenbar eine Zeit lang. Und sie wollen sofort Kapital
daraus schlagen. Nichts wirft ein helleres Licht auf die damalige, irgendwo zwischen
Champagnerlaune und Verzweiflung schwankende Stimmungslage unter den Angreifern
als eine Klageschrift, die Barlachs Hamburger Rechtsanwalt Rolf Schultz-Süchting am
15. Mai 2007 beim Landgericht in Frankfurt am Main einreicht. Schultz-Süchting ist ein
erfahrener Jurist, in der Hamburger Zunft gilt er als besonders furchtlos. Nun möchte er das
Gericht davon überzeugen, dass die Familienstiftung in Wirklichkeit weniger Anteile hält,
als sie vorgibt, weniger als 50 Prozent. Wäre das Gericht seiner Argumentation gefolgt,
hätte das die Anteilsmehrheit für Barlach und Unseld junior bedeutet.
Schultz-Süchting beruft sich auf einen Vertrag, in dem seinerzeit, das heißt im Jahr 1998,
die Übertragung von 21 Prozent der Reinhartschen Anteile an Siegfried Unseld geregelt
worden war. Dieser Vertrag enthält einen Fehler, er verwechselt an einer Stelle Prozent
und Prozentpunkte. In der Tat macht es einen Unterschied, ob Andreas Reinhart damals 21
Prozent des Gesamtkapitals verkauft hatte oder nur 21 Prozent seines Kommanditanteils
von 50 Prozent. Der Fehler war zwar unschön, aber er wurde kurze Zeit später in einem
zweiten Übertragungsvertrag korrigiert. Beim Erwerb der Anteile Reinharts im November
2006 liegt den neuen Käufern aber offenbar nur der erste vor.
Aus dem geht die korrekte Sachlage zwar auch schon implizit hervor, Barlach geht
trotzdem volles Risiko ein. Und muss zurückrudern. Der Anwalt sieht sich sogar dem
Vorwurf des versuchten Prozessbetrugs ausgesetzt. Auf 128 Seiten nimmt der panisch
um seinen Ruf besorgte Schultz-Süchting im Dezember 2007 noch einmal Stellung vor
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Gericht: "Ich zeige also devotes Eingestehen dessen, dass mit der Klageschrift etwas
fehlgelaufen und maßgeblicher Sachverhalt falsch vorgetragen worden ist." Auf Seite
vier geht es weiter: "Nochmals: Ich bestreite überhaupt nicht, wie unangenehm und
sogar peinlich – im Sinne von: Es peinigt mich – ich es finde, dass der Eindruck eines
Falschvortrages entstanden ist, der als vorsätzlich dargestellt wird: Und ich entschuldige
mich für mich und meine Partei ausdrücklich noch einmal dafür, dass hier ein so eklatantes
Missverstehen Beteiligter aufgetreten ist."
Man kann aus der missratenen Klage eine schlichte Schlussfolgerung ziehen: Die Quadriga
ist damals gescheitert. Grossner stellte sich als Hochstapler heraus, Conradi ergreift die
Flucht, und der Plan Hans Barlachs, auf juristischem Weg die Machtverhältnisse im Verlag
auf den Kopf zu stellen, löst sich in Luft auf. Nun sitzt Barlach auf Anteilen, die ihm kaum
Einfluss auf die Verlagsgeschäfte verschaffen. Er ist ebenso machtlos, wie Joachim Unseld
es in den letzten Jahren war. Die Aussicht auf einträgliche Rendite entschwindet auch
deshalb, weil sich Ulla Unseld-Berkéwicz mit ihrem Verlag, der neben Publikumstiteln
auch teure Wissenschaftsreihen finanziert, mit geringen Gewinnen zufriedengibt.
Was tun? Wenn schon keine Mehrheit, dann immerhin mehr Macht im Verlag erobern.
Dies wird Hans Barlach, so viel sei vorweggenommen, tatsächlich gelingen. Aber noch ist
es nicht so weit, im Gegenteil: Zunächst einmal verdüstert sich seine Situation abermals.
Beide Gesellschafter haben sich wechselseitig auf Ausschluss verklagt. Der Verlagssatzung
entsprechend, wird ein Schiedsgerichtsverfahren anberaumt , um die zerstrittenen Parteien
an einen Tisch zu bringen und nach einer außergerichtlichen Lösung aus der verzwickten
Lage zu suchen. Der Schiedsrichter schlägt im Juni 2008 einen Ausweg vor, der einer
Ohrfeige für Barlach gleichkommt. Er rät Barlach eindringlich zum Verkauf seiner Anteile
und meint: "Nach alledem, was inzwischen geschehen ist, erscheint die Vorstellung, dass
es in Zukunft noch zu einer solchen über die rechtlichen Regeln des Gesellschaftsvertrages
hinausgehende Zusammenarbeit kommen könnte, illusorisch."
Die Berkéwicz-Seite steht nun kurz davor, Barlach wieder loszuwerden. Der ganze
Budenzauber der Quadriga wäre, hätte man den Ausschluss Barlachs konsequent
vorangetrieben und über einen Rückkauf der Anteile verhandelt, wie das Schiedsgericht
vorschlug, schon nach gut zwei Jahren vorbei gewesen. Doch es geschieht, was kaum
ein Beobachter für möglich gehalten hätte: Hans Barlachs machtvolle Rückkehr auf die
Suhrkamp-Bühne.
3. Barlachs Comeback
Berkéwicz will Barlach mit einer Klage aus der Gesellschaft ausschließen. Für sie bedeutet
das einen unsicheren Ausgang, für Barlach aber ein hohes Risiko. Also schließen sie einen
Vergleich, der die Prozesswelle zunächst beendet, aber auch die Wünsche von Berkéwicz
erfüllt. Die Verlegerin möchte mit dem Verlag nach Berlin umziehen und einen Neuanfang
wagen. Also wird Ende 2008 mit Barlach vereinbart: Der Verlag geht nach Berlin , beide
kaufen Joachim Unselds Anteile hälftig, man verhandelt über Barlachs baldigen Ausstieg,
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und der darf bis 2014 nur an die Familienstiftung verkaufen. Der Vergleich wird von den
Anwälten hastig als ein zweieinhalbseitiges Fax aufgesetzt. Er ist kurz und erscheint Ulla
Unseld-Berkéwicz als eindeutig. Sie fühlt sich mit diesem Vergleich auf der sicheren Seite.
Was danach allerdings nicht passiert, ist Folgendes: Das Vergleichspapier wird keineswegs
zu einem detaillierten Vertrag ausgearbeitet. Auch führt niemand einen formellen
Gesellschafterbeschluss über den Umzug herbei, denn Joachim Unselds Zustimmung
fehlte noch . Sodass dieser – die Mitarbeiter kündigen bereits ihre Wohnungen, der Verlag
sucht ein neues Quartier, man sitzt buchstäblich auf gepackten Koffern – das Vorhaben
kurzerhand blockiert. Er klagt gegen den Berlin-Umzug.
Der Druck ist nun ungeheuer groß. Und Barlach nutzt die Lage zu einem taktischen
Meisterstück. Wenn Joachim Unseld blockiert, scheint der alte Vergleich offensichtlich
nichts mehr wert zu sein. Wenn Barlach jetzt noch seine Zustimmung zum
Umzug und zum Auskauf Joachims erteilt, dann nur im Rahmen einer ganz neuen
Gesellschaftervereinbarung, genauer gesagt, gegen Sonderrechte, die seine Position als
Minderheitsgesellschafter aufwerten.
Diese neue Vereinbarung vom November 2009, diesmal ein 50-seitiges Vertragswerk,
macht Barlach stark. Er darf einen eigenen Geschäftsführer für Finanzen und Controlling
entsenden, erhält umfassende Informationsrechte, er muss gefragt werden, wenn der Verlag
mehr als 250.000 Euro für Autorenrechte ausgeben will oder Anmietungen vornimmt, die
dem Verlag pro Jahr 75.000 Euro oder mehr kosten. Es wird auch der lange geforderte
Geschäftsplan verabschiedet, und der später so oft zitierte Satz über die Absichten von
Barlachs Medienholding steht nun in unmissverständlicher Klarheit da: "Ziel der MHW ist,
von den Suhrkamp-Kommanditgesellschaften möglichst hohe Ausschüttungen zu erhalten."
Im Januar 2010 zieht der Verlag dann tatsächlich in die Berliner Pappelallee. Joachim
Unseld hat seine Anteile unterdessen wie geplant an Barlach und Unseld-Berkéwicz
abgegeben. Barlach hält jetzt 39 Prozent am Verlag, Ulla Unseld-Berkéwicz 61 – das sind
die Besitzverhältnisse von heute. Ende 2010 erreicht die Suhrkamp-Protagonisten eine
tragische Nachricht: Claus Grossner hatte sich kurz vor Weihnachten in seiner Villa das
Leben genommen.
4. Ein Hotel auf Mallorca
Die unter enormem Druck unterzeichnete Gesellschaftervereinbarung erweist sich als das
Gegenteil eines Friedensschlusses. Mit ihr explodiert das spannungsgeladene Verhältnis
zwischen Barlach und Berkéwicz geradezu. Seither herrscht offener Krieg. Zahlreiche
Klagen und Prozesse, denen die Öffentlichkeit seit dieser Zeit staunend folgt, nehmen von
diesem Dokument ihren Ausgang.
Im Verlag fragt man sich bis heute: Was ist in den Monaten zwischen dem Vergleich von
Dezember 2008 und dem Umzug im Januar 2010 eigentlich genau passiert? War der in
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einer Tauwetterperiode geschlossene Vergleich von 2008 etwa rechtlich nicht bindend
gewesen? Wie konnte es dazu kommen, dass man wenige Wochen vor dem Umzug in
eine Zwangslage geriet, die Barlach ausnutzen konnte? Und warum ließ Heinrich Lübbert,
immerhin ein einflussreiches Vorstandsmitglied der Familienstiftung, eine so ungünstige
Machtverschiebung zu?
Anderthalb Jahre nach dem Umzug wird es jedenfalls zu einem heftigen Zerwürfnis
zwischen Berkéwicz und ihrem Vertrauten Lübbert kommen. Lange zuvor hatte es bereits
erste Irritationen gegeben, eine wechselseitige Entfremdung war eingetreten. Um zu
erklären, warum die Verlegerin ihrem Rechtsberater schließlich das Vertrauen entzog,
muss man einen Exkurs an einen Ort machen, der auf den ersten Blick nur wenig mit
der Suhrkamp-Kultur zu tun hat, nämlich auf die Balearen, genauer, auf die spanische
Ferieninsel Mallorca. Ulla Unseld-Berkéwicz besitzt dort eine Finca, auch Heinrich
Lübbert hat dort ein Domizil, unweit des mittelalterlichen Städtchens Manacor.
Sein Haus liegt auf einem Gelände, das einst einer erworben hatte, der vor Jahrzehnten
nach Mallorca gekommen war, um zu bleiben, der Schweizer Juan Ramón Theler, genannt
Chacha. Der Erbe einer Basler Versicherung gilt als ein Lebemann, der einst mit Gunter
Sachs feierte. Aus einer malerisch verfallenen Finca machte er La Reserva Rotana, ein
Luxushotel mit Hubschrauberlandeplatz, Golfplatz und eigenem Weinanbau.
Das Verhältnis Lübberts zur Familie Theler wird als eng beschrieben. Lübbert berät Chacha
auch in juristischen Fragen. Im Sommer 2011 gibt es verstärkten Beratungsbedarf, denn
Thelers Immobiliengeschäft gerät im Zuge der Spanienkrise in Schieflage. Sein Hotel
steht zum Verkauf. Und wer landet mit einem Mal auf der Insel? Hans Barlach. Zu den
möglichen Investoren, mit denen Chacha Theler verhandelt haben soll, zählen nicht nur
potente Geschäftsleute aus Russland und Dubai, sondern auch der Hamburger Kaufmann.
"Sicher hatte er auch Einblick in die Buchhaltung", wie ein Freund der Familie Theler
meint. Doch kommt es zu keinem Abschluss. Wenige Wochen später ereignet sich
stattdessen ein tragischer Vorfall. Am 15. November schießt sich Chacha Theler
während einer Geschäftsbesprechung mit seinem Karabiner eine Kugel in den Kopf.
Rettungsversuche scheitern, und Juan Ramón Theler stirbt im Alter von 79 Jahren. Danach
bleibt das Hotel in Familienbesitz, heute kümmert sich Tochter Tiffany um die Geschäfte.
Sie bestätigt ebenfalls, dass sich der potenzielle Käufer Barlach zurückgezogen und sich
"nicht mehr gemeldet" habe. Dem Familienfreund der Thelers zufolge verschwindet er nach
etwa zwei Monaten "ohne Kommentar".
Ein purer Zufall sei das Zusammentreffen mit Barlach auf der Insel gewesen, so Lübberts
Darstellung heute. Dass ausgerechnet jener Mann auf Mallorca auftaucht, mit dem
Lübbert zuvor eine für die Familienstiftung ausgesprochen unvorteilhafte Vereinbarung
abgeschlossen hatte, bleibt eine der Merkwürdigkeiten im Fall Suhrkamp. Mehr noch:
Dass der Kontakt zwischen Barlach und Lübbert nicht bloß flüchtig war, belegt eine
eidesstattliche Versicherung, die Barlach im August 2011 aus Anlass eines Konfliktes mit
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der Familienstiftung über die Entsendung eines eigenen Geschäftsführers abgibt. In ihr
bestätigt er, dass er sich einen Monat zuvor mit Lübbert auf Mallorca traf – am 13. Juli "im
Rahmen eines Abendessens im Hause von Dr. Lübbert". Man trifft sich "mehrere Male".
Die Rede ist von "verschiedenen danach noch in Mallorca geführten Gesprächen".
5. Showdown
Als Ulla Unseld-Berkéwicz Barlachs eidesstattliche Erklärung zu Gesicht bekommt,
entzieht sie ihrem Anwalt weitgehend das Mandat. Zum 1. Januar 2012 wird der auch
seinen Sitz im Vorstand der Familienstiftung abgeben.
Andere Kanzleien übernehmen danach. Die Phase des Nachgebens der Familienstiftung
ist nun beendet. Im Zeitraffer zeigt sich, was der Vorsitzende im Schiedsgerichtsverfahren
zwei Jahre vorher vorausgesagt hatte: Das Miteinander ist unmöglich. Barlach soll nun
wieder als Gesellschafter ausgeschlossen werden, Barlach wiederum will Ulla Unseld-
Berkéwicz abermals loswerden. Er stellt damals sogar den Antrag, den Verlag aufzulösen.
Und Berkéwicz macht währenddessen einen schlimmen Fehler: Sie vermietet Teile ihrer
privaten Villa in Berlin-Nikolassee für Veranstaltungen an den Verlag, informiert Barlach
aber nicht sofort darüber. Unter Einrechnung der Nebenkosten übersteigt die Miete die
in der Gesellschaftervereinbarung festgelegte Höchstgrenze von 75.000 Euro gering. Das
Berliner Landgericht gibt Ende 2012 Barlachs Klage statt und beruft die Geschäftsführung
wegen dieser Regelverstöße ab. Weil das Urteil nicht rechtskräftig ist – Berufung wurde
eingelegt –, bleibt die aber im Amt.
Wenig später folgt eine weitere Eskalation. Sie ist wichtig, weil in ihrer Folge der Vorhang
zum vorläufig letzten Akt des Dramas aufgezogen wird. Es folgt der insolvenzrechtliche
Schutzschirm, unter den der Verlag sich im Mai dieses Jahres vor dem Gesellschafterstreit
flüchten musste. 2010 waren vor allem durch den Verkauf des alten Frankfurter
Geschäftssitzes und des Verlagsarchivs hohe außerordentliche Gewinne angefallen.
Barlach, der mittlerweile bedeutende Summen aus den Suhrkamp-Unternehmungen
gezogen hatte ( ZEIT Nr. 26/13 ), will jetzt seinen Anteil sofort. Das sind gut 2,2
Millionen Euro. Das Gericht folgt ihm, er darf sein Geld also abziehen. Doch es ist ein
klassischer Pyrrhussieg.
Denn für die Geschäftsführung heißt das jetzt: Wenn wir dem einen Gesellschafter
den Gewinn ausschütten, dürfen wir ihn der Familienstiftung nicht vorenthalten.
Mit der höheren Auszahlung zugunsten der Stiftung jedoch, etwa 5,5 Millionen
Euro, wäre das Unternehmen bilanziell überschuldet. Es folgt ein risikoreiches
Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung der Geschäftsführung. Für Barlach bedeutet
das ein geradezu albtraumhaftes Szenario, denn in einem solchen Verfahren könnte der
Verlag beispielsweise auch in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden. Barlach
wäre damit entmachtet. In einer Aktiengesellschaft würde er nicht einmal einen Sitz
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im Aufsichtsrat erhalten, und seine so geschickt erwirkten Rechte auf Grundlage der
Gesellschaftervereinbarung aus dem Jahr 2009 wären wieder perdu.
In diesem Schauspiel haben manche ihr Gesicht verloren, andere zogen sich still zurück.
Arnulf Conradi lebt heute als Pensionär in Berlin. Claus Grossner und Chacha Theler
nahmen sich das Leben, Joachim Unseld betreibt weiterhin seinen Kleinverlag, Heinrich
Lübbert seine Kanzlei. Rolf Schultz-Süchting hat sich aus seiner Kanzlei als Partner
zurückgezogen und bearbeitet nur noch wenige Fälle. Andreas Reinhart lebt im Tessin
und widmet sich im Wesentlichen mäzenatischen Vorhaben. Nur Hans Barlach und
seine Kontrahentin Ulla Unseld-Berkéwicz sind noch im Spiel – das heißt im Streit, der
erbitterter kaum noch geführt werden kann.
Derzeit wehrt sich Hans Barlach mit allen Mitteln gegen seine drohende Niederlage. Seine
Anwälte decken in diesen Tagen die Gerichte geradezu mit einer Flut von Einsprüchen
und Anträgen ein. Das alles verschlingt immense Summen. Am 7. Mai dieses Jahres
kassierte Barlach auch noch ein Urteil des Handelsgerichtes in Zürich, das ihn zum
Bezahlen der Grossner-Anteile verpflichtet: fünf Millionen Schweizer Franken plus Zinsen
und Mehrwertsteuer. Und Andreas Reinhart, der seit Jahren auf sein Geld wartet, wird
dieses Urteil nach der Prüfung durch ein Revisionsgericht sicher so schnell wie möglich
vollstrecken lassen.
Man kann diesen beinahe siebenjährigen Krieg je nach Neigung unterschiedlich deuten:
Man kann das Männerbündnis in den Mittelpunkt rücken, das rasch zerfiel, aber bis heute
seine Energien freisetzt. Man kann das Drama als eines erzählen, das um Loyalität und
Vertrauensbruch kreist. Man kann beklagen, dass der Konflikt auf ungute Weise von den
Launen der Gerichte und vom Geschick der Anwälte abhängt. Man kann auf ein lange
zurückliegendes Familiendrama verweisen, das bis in die Gegenwart hinein seine Spuren
hinterlässt. Doch eines ist gewiss: Der Konflikt zwischen Hans Barlach und Ulla Unseld-
Berkéwicz ist einer, bei dem es von Anbeginn an schlechterdings um alles ging, das heißt
um die Macht im Hause Suhrkamp.
2006 begann ein waghalsiger Übernahmeversuch, er ist der Keim dieser Geschichte. Und
seit 2006 ist die Familienstiftung nahezu ununterbrochen bestrebt, diesen abzuwehren
und ihren ganz speziellen Minderheitsgesellschafter wieder loszuwerden. Wenn man der
Geschichte eine Moral abringen möchte, dann nur eine finstere: Es gab und gibt in diesem
Konflikt keine Lösung, keinen Kompromiss, kein Einvernehmen. Es wird nur ein Ende
geben, indem eine der Parteien besiegt wird oder kapituliert.
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