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Errinerungen an Suhl Meine Familie Karl & Hedwig Sander Um die wende des 20 ten Jahrhundert von Hilde Schatz (neè Sander) 1970 / 1982

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Hilde Schatz (nee Sander) war 1899 in Suhl (Thur.) geboren. Sie schreibt mit Liebe und Humor ueber ihre Eltern - Bank Dierktor Karl Sander und Hedwig (nee Gaertner), ueber ihre Familie von 5 Schwestern und der juengste Bruder und ueber die Stadt Shul ium die Wende des 20ten Jahrhundert.

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Errinerungen an Suhl

Meine Familie Karl & Hedwig Sander

Um die wendedes 20ten Jahrhundert

von Hilde Schatz (neè Sander)1970 / 1982

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Von Gadiel Schatz (Hilde's Sohn) ediert

Ich will versuchen, etwas über meine Eltern, meine Schwestern, meinen Bruder und mich zu erzählen, in Suhl in

Thüringen. Ich hoffe, ich werde nicht vergessen, ein Bild vom Haus beizulegen, mit seinen 13 Raümen, aber vom Garten gibt es keines und der war für uns nicht weniger wichtig als die ‚Villa‘ selbst. Obgleich es in Suhl viel regnete, weil die segelnden Wolken ans Gebirge anstiessen, und sich über unserer Stadt entluden, so sehe ich in der Erinnerung unseren Garten immer im Sonnenschein. Das muss nicht unbedingt den verborgenen Grund haben, dass ich ihn so liebte, sondern einfach, dass wir ‚drin‘ blieben, wenn es regnete.

Der dekorativste Teil war die Reihe hochstämmiger Rosen auf einem Rasenstreifen entlang an dem schönen, gusseisernen Gartenzaun. Am beliebtesten war die gelbe ‚Marschall Nil‘. Bevor der Winter einsetzte, wurden die Stämme zur Erde gebeugt und mit Tannenzweigen bedeckt gegen Schnee und Frost. Der Pfad am Rasen entlang war mit einer Rabatte von weissen Federnelken eingesäumt; dahinter Erdbeer-büsche. Und dahinter wieder die Bäume von weissem und lila Flieder. Der Pfad führte zur ‚Fliederlaube‘, ein Halbrund von weissem und lila Flieder umstanden. Seinen Duft liebte ich ganz besonders. Schade, daβ er in Israel nicht gedeiht. Mutter verschenkte riesen Sträuβe und wir brachten auch unseren Lehrerinnen welche mit.

Davor führte ein Pfad zur ‚Grotte‘, ein Halbrund von grossen Steinen, die wie eine Art Schutzwall für die Gartenmöbel angeordnet waren. Dort sass mein Vater öfter und spielte ‚Halma‘ mit Fräulein Nanny Schneider, unserer Nachbarin, einer unverheirateten Lehrerin, so einer echten „Jungfer“, immer in etwas graues gekleidet, und die sich jeden Verlust sehr zu Herzen nahm, zum Amüsement meines Vaters, (dem so etwas ‚wurscht‘ war). Noch war ein schönes, mit Bänke und Tisch eingerichtetes kleines Gartenhaus, etwas erhöht liegend, zu dem Spalier Obstbäume und Erdbeer Stauden hinanführten.

Hauptsächlich aber war der Platz von Rasenflächen eingenommen, auf den Äpfelbäume verstreut standen. Hinter der ‚Grotte‘ stand ein grosser Baum mit ‚Reine-Claude‘ (wir sprachen es ‚renne-kloden‘ aus), diesen delikaten, gelben Pflaumen. Von denen sollten wir nicht ohne Erlaubnis nehmen. Ich denke, sie wurden zum grössten Teil eingemacht. Unsere Schwester Selma hatte ein privates Spiel, das sie ‚Mäuschen‘ nannte. Ich kam erst später dahinter, dass dies das Mausen vom verbotenen Baum war. Von den vielen verschiedenen Apfelsorten durften wir nehmen

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so viel wir wollten, mit Ausnahme von den ‚Gravensteinern‘, von denen es nur einen Baum gab. Die waren die Lieblingsäpfel von unserem Vater und wurden für ihn aufgehoben. Es sind wirklich die feinsten Äpfel die ich kenne: mit zartgelber Haut und rosa Bäckchen, saftigem, festem Fleisch und einem wunderbaren Aroma. Die nächst beliebten waren die länglichen ‚Ananas-Äpfel‘, die ‚Erdbeeräpfel‘, dann frühe Sorten und solche besonders zum Kochen und Backen. Ich erinnere mich an einen der goldenen Herbsttage, wenn die Früchte aus dem Laub heraus leuchteten. Lothar und ich pflückten Äpfel. Er sass oben im Baum und reichte oder warf sie mir zu und ich legte sie in Körbe. Ein reizendes Spiel.

Dann gab’s ein Spalier mit Birnen: ‚Niel’s Butterbirne‘, ‚Gute Luise‘, alle herrlich saftig. Am Ende vom Spalier stand eine ‚richtige‘ Gartenlaube, ein kleiner Tempel mit Bänken und Tisch, wo man auch bei Regen sitzen konnte. Pflaumen wurden in dem etwas rauhen Klima selten reif und Kirschen kriegten wir genug ven Tante Meta. Die hatte grosse alte Kirscnbäume in ihren Garten.

Nachdem die Äpfel gepflückt waren brachte Mutter - so nacheinander - alle die Arbeiterkinder aus unserer Nachbarschaft an und füllte ihre Schürzen (oder Schürzchen, die man damals trug) mit Äpfeln. Wir zogen sie manchmal auf, ob sie auch keins vergessen hätte. Die Ernte war im Apfelkeller auf Horden untergebracht. Dort roch es herrlich! Manche Sorten wurden schrumpelig, die hatte Doris besonders gern.

Ich fürchte, ich bin zu ausführlich mit meiner Beschreibung, aber ich muss doch die verschiedenen Beeren erwähnen. Gegenüber von der Trockenhalle standen in einem Viereck die Beeren Streucher: Stachelbeeren verschiedener Sorten, weisse, rote und schwarze Johannisbeeren, eine Hecke mit Himbeeren. Jeder von uns hatte Lieblingssorten. Die Stachelbeeren assen wir, wenn sie ‚drück reif‘ waren, das heist, sie waren weich, wenn man sie ein bisschen quetschte. Johannisbeeren habe ich später mal, als ich an die süssen Früchte von Israel gewöhnt war, in Europa versucht und fand sie schrecklich sauer. Die Mutter buk so gute Johannisbeerkuchen. Garnicht sauer für unsern Geschmack.

Die Räume im Haus waren gross. Im ersten stock gab es erst das Speisezimmer, das aber nur bei festlichen Gelegen-heiten benutzt wurde. Für ‚gewöhnlich‘ assen wir im Kinderzimmer. Daneben, bei offener Tür die Schwelle überbrückt durch ein Perserbrücke, das Herren-zimmer, dann anschlies-send der kleine Salon, in dem auch das Klavier stand, dann kam das ‚Kinderzimmer‘. Im Kinderzimmer gab es ausser dem grossen Esstisch auch unsere kleinen Schreibpulte. Die hohen schmalen Fenster hatteh

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Früchtekränze und an der Wand lief ein Fries entlang das aus einem Fischmuster (?) Bestand. Dann kam die grosse Küche. Hinter der Küche waren noch 2 Vorratsräume. Eine Vorstellung von der Grösse der Zimmer kann man sich machen, wenn man bedenkt das die ‚Brücke‘ das wohnzimmer ausfüllt. Im Herrenzimmer und im Speisezimmer lagen schöne grosse Perser. Ich glaube sie sind zu Bella und Lothar nach Afrika gewandert.

Hinterm Haus war in einem besonderen kleinen Haus war die Waschküche. Dort war in einem Ofen aus Backsteinen ein grosser, runder Metallkessel eingebaut, in dem die Wäsche gekocht wurde. Dann standen die verschiedenen hölzernen Bütten auf Gestellen mit den dazu gehörigen Reibebrettern. Eine primitive Treppe führte zu einem Bodenraum, in dem das Holz zum Heizen aufgestapelt war. Am Waschtag sorgten unsere Mädchen schon früh dafür, dass heisses Wasser und die Wäsche bereit waren, auch daβ genügend von den grossen, gelben Seifenstücken vorhanden waren, wenn die Wäscherinen, zwei kräftige Weiber, erschienen. Sie hatten auch 2 Tage lang schwere Arbeit. Man brachte ihnen grosse Becher mit Milchkaffee mit viel Zucker drin und dicke ‚Stullen‘. Bald füllte sich die Waschküche mit Schwaden von Wasserdampf und die Hände der Wäscherinnen wurden aufgedunsen und faltig. Sie hoben die grossen, dampfenden Stücke mit einem Stock aus dem Kessel in die Waschwannen.

Zum Aufhängen gab es neben der Waschküche die ‚Trockenhalle‘. Das war ein nach 2 Seiten hin offener mit einem Wellblechdach versehener Trakt, ich denk so 15 m lang mit Zementfussboden. Bei unserem häufigen Regenwetter war das eine wichtige Einrichtung. Die Trockenhalle diente uns auch, wenn sie leer war, zum Rollschuhlaufen.

Im Kellergeschoss wohnte der Kastelan Herr Zeiss. Er versah den Garten und die Zentralheizung, aber als Hauptbeschäftigung war er Bahnbeamter. Er sah auch aus wie ein richtiger Preussischer Bahnwärter, gross und kräftig, mit schon ergrauendem Haar, trug seine blaue Mütze auch bei der Arbeit zu Hause und hatte einen schönen, grossen Schnurrbart. Der Kaninchen Stall von herrn Zeiss stand hinten in eine Gartenecke. Er fütterte sie mit einem Brei aus Kleie, klein geschnittenen grünen und Wasser. Den Geruch von der Kleie hatte ich gern, ebenso sein weisses Kaninchen mit den roten Augen (eigentlich ein Albino (.Seine Frau, ebenfalls gross und kräftig, machte Einkäufe für unseren Haushalt mit einer ‚Kiepe‘, einem grossen Korb, der auf dem Rücken getragen wurde (Wir waren im Durchschnitt 11 Personen).

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Im Winter lag alles in tiefem Schnee. Es herrschte plötzlich eine grosse Stille. Kein Schritt War zu hören. Die Flocken fielen lautlos, nicht wie Regen, der gegen die Fenster trommelte. Wenn wir aufwachten war plötzlich alles weiss. Lothar

hatte viel zu tun mit seinen Skier. Er wachste sie stundenlang. Heute hat man Skier die das nicht brauchen. Eine grosse Skiläuferin war ich nicht, aber Langlauf durch den so stillen Wald, das hatte ich gern. Auch Schlittschuhlaufen war ein Vergnügen. Hinter unserer Schule war ein grosser Teich der zufror. Aber der Winter hatte auch seine unangenehme Seite: man bekam erfrorene Finger und Zehen und das juckte schrecklich. Die erfrorene Stellen sahen scheusslich aus, rot und geschwollen und auch im sommer blieben sehr oft merkliche spuren davon zurück.

Den Vater liebten wir mehr als unsere Mutter. Wir Kinder verstanden und schätzten nicht genug ihre grosse Gutherzigkeit und ihren Idealismus. Wir fühlten zu oft ihr feuriges Temperament, ihren Mangel an Geduld. Vater hat uns nie geschlagen, während meine mutter eine ‚leichte hand‘ hatte. Wir nahmen es krumm, wenn wir ‚eins ab bekamen‘, wenn wir nicht schuldig waren. ‚Wer hat das da auf der Treppe liegen lassen?‘ Der erste der erschien, bekam die Ohrfeige, ob er’s war oder nicht. Der arme Lothar! Eine Zeit lang sass sie bei ihm bei seinen Schularbeiten, aber das ging über ihre Geduld und sie merkte selbst, dass es besser war, wenn die gute Doris sie ablöste. Und da ging alles viel besser. Ich kann auch nicht vergessen, wie ich einmal recht heftig geschlagen wurde - warum weiss ich nicht mehr - und als ich abends der Mutter ‚Gute Nacht‘ sagen wollte, (sie

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hatte sich schon niedergelegt) sagte sie: ‚Hilde, ich hab dich heute wohl sehr verhauen.‘ Ich erwiederte schüchtern: ‚Ach, es war nicht so schlimm‘ und sie darauf: ‚Wenn’s nicht so schlimm war, dann ist es gut.‘ Danach ärgerte ich mich über mich selbst, dass ich nicht gewagt hatte zu sagen, was ich eigentlich fühlte.

Aber sie sorgte wunderbar für uns und war auch stolz auf ihre Schar. Unsere einfachen Kleider liess sie bei einer Schneiderin in der Nachbarschaft nähen. Für die ‚guten‘ fuhr sie im Zug nach Erfurt zum besten Geschäft für Kinderkleider und suchte eine Auswahl aus, die dann uns zugesandt wurde. Grosse Aufregung, wenn das Paket ankam und wir zum Anprobieren in den ‚Salon‘ geschickt wurden. Manchmal gingen wir 5 Mädchen alle gleich angezogen, manchmal bekamen ‚die beiden Grossen‘ etwas anderes. Von einem Mal erinnere ich mich, dass wir zu beige Kleidern feine hohe beige Schuhe mit schwarzem Lackrand bekamen. Elegant, nicht wahr? Als Dirndelkleider in Mode kamen, liess Mutter nicht nur für uns, sondern auch für unsere grossen Puppen welche machen und veranstaltete ein ‚Dirndel-Gartenfest‘ für uns und die Nachbarkinder, mit Lampions auf dem Rasen und Grammophon Musik. Sie lieh den Gramophonapparat von Tante Meta aus, und wir tanzten im Garten und sicher gab es auch Bewirtung.

Meiner Mutter fehlte es nicht an Phantasie. Einmal machte uns Mutter ein Kasperletheater. Sie schnitzte Gesichter in Kartoffeln - ob sie vielleicht Knöpfe für die Augen hatte, habe ich vergessen - steckte sie auf Stöcke und bekleidete sie aus Lappen. Als wir 3 Kleinen mal einmal gleichzeitig mit Scharlachfieber im Bett lagen, fertigte sie uns kleine Puppen an: Sie versah Streichhölzer mit Köpfchen aus mit Watte gefülltem Silberpapier. Scharlach war damals eine gefährliche und ansteckende Krankheit. Nachdem wir wieder aufstehen durften, wurde das Krankenzimmer desinfiziert und die Spielsachen, die wir benutzt hatten, verbrannt. Darum waren die Streichholzpüppchen so praktisch. Im Laufe meines Lebens habe ich öfter mal verschiedenartige Puppen gemacht und das kann gut dem Beispiel meiner Mutter zu verdanken sein. Es war erstaunlich, wie Mutter unter uns etwas austeilte, so dass keiner sich zu kurz gekommen fühlte. Es konnte ein Praliné sein.

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Sie hatte zwei Kaffee-gesellschaften oder ‚Kränzchen‘, das Jüdische und das ‚Goische'. Wenn's an ihr war die ‚Gojim‘ zu bewirten, und sicher auch bei dem Jüdischen, dekorierte sie ihren Tisch und ihre Kuchen immer auf eine andere Weise. Ich erinnere mich an einmal da sie sie mit Fähnchen besteckte. Als Frau Rektor Kunz ihr beinah einen Vorwurf machte: ‚Frau Sander, warum haben sie mir nicht gesagt, dass man so etwas machen kann?‘ war sie ganz stolz. Wie wüsste ich sonst davon?

Ausser der Köchin hatten wir noch ein Hausmädchen. Sie hatten ihr Zimmer ganz oben, neben den Boden räumen. Es war geräumig, hatte aber eine abfallende Decke und immer war darin ein gewisser abgestandener Geruch. Warum eigentlich? Die Mädchen hatten ihre Badegelegenheit und ihre Bettwäsche wurde regelmaessig gewechselt. Charakteristisch für die damalige Zeit, dass die der Mädchen weiss und rot oder weiss und blau kariert war, die der ‚Herrschaft‘ natürlich weiss. Neben dem Mädchenzimmer war das ‚Turmzimmer‘, ein recht grosser, quadratischer Raum, wo in Kisten und Koffern Winterkleidung und Pelze aufbewahrt wurden und wo auf Regalen gebundene Bänder der ‚Gartenlaube‘ standen, einem damals viel gelesenen Magazin. Darin gab es neben den gewöhnlichen Ratschlägen etc. Romane. Die lasen wir heimlich, denn solche Lektüre wurde für in unserem Alter schädlich gehalten. Wir waren besonders interessiert Scenen zu entdecken, wo Küssen stattfand.

Wir hörten öfter durch das grosse Küchenfenster Mutters scheltende Stimme im Garten, wenn sie die Dienstboten anschrie, was uns Kindern oft peinlich war. Aber sie war doch sehr gut zu ihnen. Zum Abendbrot bekamen sie kalten Aufschnitt, sie ordnete den so appetitlich auf den Tellern an, wie für Gäste. Und die Weihnachtsgeschenke! Ganze Ausstattungen an Bettwäsche, dann kleinere Dinge wie Toilettenseife und nicht zu vergessen den ‚Stollen‘, alles wurde hübsch mit Bändern und Zweigen verziert. Es machte ihr ein besonderes Vergnügen, die Mädchen für ein Karnevalsfest zu verkleiden. Als unsere Auguste, die Köchin, einmal den ersten Preis bekam, waren beide stolz. Sie erschien, höchst originell, in Mutters kariertem Badeanzug, der ein kleines Röckchen hatte, (wahrscheinlich hatte sie eine entsprechende fesche Mütze auf) und nannte sich ‚eine Marinerin‘.

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Während des 1. Weltkrieges war es schwer, gute Mädchen zu bekommen. Wer nicht gar zu dumm war, fand gutbezahlte Arbeit in den Waffenfabriken. Da hatten wir unsere Wanda. Sie kam aus einem kleinen, abgelegenen Dorf im Thüringer Wald, war nicht gross, hatte aber ein grosses Gesicht mit fettiger Haut und wässrige blaue Augen und strähniges, farbloses Haar. Sie sah nie sauber aus (war’s auch sicher nicht) aber sie war gutmütig - nur schrecklich dumm. Selma hatte sich einmal Freunde eingeladen und sie waren zusammen in der Fliederlaube. Plötzlich erschien sie: ‚Froiln Selma! Ich bin a do!‘ (Ich bin auch da!)

Lange Zeit lebte bei uns Mutters jüngere Schwester, die gute Tante Flora. Tante Flora war unendlich geduldig und gutmütig. Morgens versuchte immer jede von uns, von ihr unsere langen Haare gekämmt zu bekommen, sie machte das vorsichtiger als unsere Mutter. Tante Flora konnte auch gut auf der Maschine nähen. Wenn sich viel Bettwäsche angesammelt hatte, wurde eine Näherin bestellt und sie nahmen sich die grossen Laken und Bettbezüge vor und setzten Flicken ein oder machten aus zweien eins. Das sogenante ‚Fremdenzimmer‘, das meistens unbenutzt war,

wurde die Nähstube. Den ganzen Tag hatte sie zu tun, nur an Sonntagen sass sie öfter in einer Sofaecke und las ihren geliebten Fritz Reuter oder einen der Romane die damals beliebt waren. Sudermann war damals en vogue. Ich hatte vor, wenn ich gross genug war, mit Tante Flora einmal nach Italien zu fahren. Tante Flora sah immer sauber und appetitlich aus und sie roch so gut. Ihre Schwester, die Tante Emma, hatten wir nicht so gern. Später ging Tante Flora zurück nach Nürnberg und sorgte zusammen mit Tante Emma für unsere Grosseltern. Die wurden sehr alt: Grossmutter Recha 86, Grossvater Abraham Gärtner 91. Die beiden Tanten sind in Theresienstadt umgekommen.

Eine Nebenrolle im Haushalt spielte Metzger Isaak Kahn. Seine Tochter Selma war mit mir in einer Klasse. Sie sah ein bisschen bäuerisch aus und hatte dicke Lippen und wir nahmen sie nicht recht für voll. Sie war aber nicht dumm, denn später, als wir schon nicht mehr im Hause waren, arbeitete sie als Buchhalterin in Herzberg’s Warenhaus am Marktplatz. Damit sie in Suhl die höhere Schule besuchen konnte, wohnte sie mit Frau Adler, Ihrer Grossmutter, in einem Haus uns gegenüber bei Frau Kolb zur Miete. Auf unserer Seite gab es 3 villenartige Häuser aus rotem Backstein, mit gelben oder bräunlichen dazwischen als Verzierung. Das Haus von Frau Kolb stand ab von der Strasse in einem grasigen Garten und war eine Art Bauernhaus. Die Metzgerei von Herrn Kahn war in Heinrichs, einem Dorf bei Suhl. Er brachte immer grössere Stücke Fleisch als bestellt und da halfen kein Ärgern und keine Vorwürfe.

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Unser Haushalt war koscher, damit uns die Grosseltern aus Nürnberg besuchen konnten. Das war, glaube ich, der Hauptgrund. Der Vater hatte einen ‚treifenen Teller‘. Wir holten ihn manchmal ‚treifenen‘ Aufschnitt beim Metzger Strobel zu seinem Abendbrot. Manchmal bereitete die Tante Flora eine Menge belegte Brote vor und wir gingen an einen der schönen plätze, um sie als Abendbrot zu verzehren. Es war nur eine kleine Wanderung. Es gab da einen etwas abfallenden Rasenplatz, am Waldrand. Die Aussicht war sicher schön. Dabei war ein kleiner see,

eigentlich mehr ein Teich. Der schien mir wie verwunschen. Ein blühender Baum liess seine Zweige bis tief ans Wasser hängen. Man muss sich vor Augen halten, daβ wir in einer schönen bewaldeten Umgebung aufwuchsen. Die Berge waren nicht allzu hoch - der Thüringer Wald ist ein Mittelgebirge – und wir liebten den Wald, die wiesen mit Schlüsselblumen im Frühling, die Bäche mit Vergissmeinnicht. Ein beliebter Ausflug war zur ‚Finsteren

Erle‘, ein klarer Bach der über ein Bett von Steinen sprudelte. Die Mutter pflegte uns auch auf Schönheiten aufmerksam zu mahchen. Wir haben einmal die Grossmutter aus Nürnberg zur ‚Finsteren Erle‘ bringen wollen. Uns schien er garnicht weit, aber die Grossmutter musste schon am Ausgangspunkt Kehrt machen. Bei unseren Spaziergängen passte unserer Mutter sehr auf, dass wir uns gerade hielten. Manchmal lief sie hinterher und gab der Sünderin einen ‚Knuff‘ in den Rücken oder liess uns einen Stock auf dem Rücken zwischen den Ellenbogen tragen. Da wir das nicht liebten, versuchten wir schnell voraus zu gehen, um einen Abstand zu gewinnen. Aber mit der Vermahnung zum Gradehalten hatte sie doch recht.

Unser Vater war ein sanfter Mensch. Wir nannten ihn ‚Päpchen‘, als wir hörten dass die Enkelin unseres Religionslehrer Levy ihren Grossvater ‚Grosspäppchen‘ nannte, was wir sehr komisch fanden. Er war ein ‚Aristokrat‘ ohne eingebildet zu sein, denn dazu war er viel zu menschlich, kam aber nicht gern mit ‚dem Volk‘ in nahe Berührung. Als er im Krieg 3. Klasse fahren musste, kam ihn das schwer an. Wir hatten damals sehr wenig zu essen, nur das, was man auf Karten bekam. So bat die Mutter, Vater möchte doch einmal seine Verbindungen - von der Bank her - mit den Bauern ausnutzen und ‚hamstern‘ fahren. Die Fabrik-arbeiter kehrten jeden Tag mit vollen Rucksäcken von der Bahn zurück und brachten Kartoffeln, Brot, Schinken und Eier nach Hause. Sehr ungern packte Vater seinen kleinen Rucksack ein und am Abend kehrte er zurück mit einem Tütchen Gries, die ganze Beute. Ich weiss von keinem zweitem Versuch.

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Er war der einzige Kind (eine Schwester war jung gestorben) von Louis Sander, einem wohl-habenden Mann, dem Gründer und Besitzer einer Privatbank und eines (ich glaube) Ledergeschäftes. Diese Bank wurde dann die Schwarzburgische Landesbank und mein Vater musste sie übernehmen. Sie wurde später von einem grossen Konzern, der ‚Dresdner Bank‘, aufgekauft. Er war ‚ein zu anständiger Mensch‘. Als er einmal gezwungen war, durch irgendwelche wirtschaftlichen Umstände, einige Beamte zu entlassen, hat er allen neue Stellen verschafft. Es war auch einmal eine Unter-schlagung vorgekommen (sogar von einem netten jungen Mann, den ich einige Male auf dem Klavier zu Schubert

Violinsonaten begleitet hatte). Das Album mit den Fotos und Fingerabdrücken der Beamten nannte er das ‚Verbrecheralbum‘ (In den gefängnissen waren ähnliche Alben).

Ehe Vater nach dem Mittagessen wieder in die Bank ging, pflegte er sich für eine kurze Zeit hinzulegen - oft auf das Sofa in der ‚oberen Loggia‘, der sonnigen kleinen Veranda neben dem Eltern schlafzimmer. Dann sagte er zu einem von uns: ‚Bälamm (die Bella, oder Schimmel – das war ich) schlag mir mal die Knochen ein.‘ Dann packten wir ihn in eine Wolldecke. Und danach liess er sich von uns ‚eine schwarze Tasse Kaffee‘ bringen.

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In Suhl war einmal, für nicht lange Zeit ein Musikdirektor (Ein armer Mann mit vielen Kindern), mit dem sich mein Vater angefreundet hatte. Die Stadt hatte wahrscheinlich nicht genug Geld für eine ständige Kapelle. Ich kann mich an keine wahre Freundschaft ausser dieser entsinnen. Mein Vater war zwar Logenbruder, aber die ‚Brüder‘ waren alle so spiessig. Die Loge vertrat Menschenwürde und Hilfsbereitschaft. Das Motto der Loge war: ‚Edel sei der Mensch, hilfreich und gut...‘. Er nahm sie sehr ernst, stand auch mit allen gut (was seiner Art entsprach) aber er sprach von ihnen mit einem gewissen Humor. Die Loge war übrigens ein schönes altes Haus in einem weitläufigen garten, etwas ausserhalb der stadt gelegen. Ich habe grosse Rasenflächen in Erinnerung.

Und grade ein Logenbruder war es - zwar nicht aus Suhl - der ihn um sein grosses Vermögen brachte. Er hatte für seine Töchter eine Mitgift von einer halben Million für jede vorbereitet. Das Geld lien er einem Vetter und dieses Scheisal machte Pleite ohne vorher meinem Vater davon Mitteilung zu machen. Ich war damals noch ein kleines Mädchen. Aber es muss bei dieser Gelegenheit gewesen sein dass mein Vater an einem Vormittag, sehr blass aussenend, von der Bank nach Hause kam und sich mit der Mutter in einem Zimmer einschloss. Er war an mir vorbei gegangen - ich spielte im Garten - ohne mich zu bemerken. Die Mutter und wir Kinder fuhren 3 Klasse. Nach dem grossen Verlust mussten wir sparsam leben.

In der Bank gab es den Kassenboten Urich. Mit dem glatt gescheitelten, fest angeklebten schon ergrauten Haar, das früher rötlich gewesen war, seinem Schnurrbart, seiner grünen Joppe und der strammen Haltung sah er aus wie die Kreuzung zwischen einem Förster und einem Unteroffizier. Er hatte immer eine schwarze Mappe unter dem Arm geklemmt. Während des Krieges hatte er, wie er sagte, 2½ Söhne im Feld. Der halbe war sein Schwiegersohn. Er begann alle Sätze an meinen Vater: ‚Herr Dirrektor (er schnurrte das R) ich hätte eine Bitte‘. So einmal: ‚Herr Dirrektor, ich hätte eine Bitte. Der König von England ist gestorben‘.

Damals liessen sich die Herrn noch rasieren. Die Gillette gab's noch nicht. Einmal in der Bank, in seinem privatzimmer, kamen Mutter und Urich der Kassenbote gleichzeitig rein und Mutter fragt im Scherz Urich: ‚Na Urich, ist mein Mann auch artig?‘ Darauf er: ‚Dä Herr dirrektor sind nicht nur adig (artig), dä Herr dirrektor sind sogar grossadig!‘

Damals trug man noch einen Hut (die Herren einen schwarzen steif.) Wenn Vater von der Bank nach Hause ging musste er ununterbrochen den Hut lüpfen. Es ging die Poststrasse rauf und man kam an dem Buchgeschäft vorbei, das ein Bild von Richard Wagner ausgehängt hatte. Der Kassenbote Urich blieb einmal davor stehen es zu betrachten. Mein Vater, der grade vorbei kam sagte: ‚kennen Sie den? Das ist der Richard wagner‘. Nun gab es in Suhl verschiedene Fabrikbesitzer namens Wagner. Darauf unser Uricn in strammer Haltung und schnarrendem Ton, in seinem schneidigen Suhlerisch: ‚Ich genne (kenne) den Herrn Baul Wachnä (Paul Wagner), ich genne den Herrn Gahl (Karl) Wachnä, der Herr Richard Wachnä ist mir nicht bekannt!‘. Na ja, die Bank hatte ja auch nichts mit dem Herrn Richard Wagner zu tun.

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Zwei hervorstechendsten Eigenschaften von mein Vater waren sein Humor und seine Musikalität. Er konnte jede Melodie in jeder Tonart auf dem Klavier spielen, sich damit amüsieren, Klavierstücke zu instrumentieren (ohne sie nieder-zuschreiben), konnte die verschiedensten Instrumente handhaben, obgleich er auf keinem irgendwie perfekt wurde. Nur so, zur Unterhaltung, kaufte er sich mal ein Xylophon, mal eine Oboe. Das Klavier beherrschte er recht gut. Er hätte es weiter gebracht, wenn er je guten Unterricht gehabt hätte. Wir jedenfalls haben viele schöne Musik durch ihn kennen gelernt. Zu den damals berühmten Konzerten in Meiningen fuhr er regelmässig. Meiningen war ein Grossherzogtum und der Grossherzog ein grosser Musikliebhaber und Förderer von aufkommenden Talenten. Ich entsinne mich, daβ eine Brahms Symphonie zwei mal nacheinander gegeben wurde, damit die Hörer sich in die noch ungewohnte Art einhören konnten. Das konnte man bestimmt nur mit einem sehr musikalischen und musikliebenden Publikum. Meine mutter war übrigens garnicht musikalisch und hatte auch keinen musikalischen Geschmack. Sonst hätte sie nicht unsere Klavierlehrerin, Frau von Achten, gebeten uns doch mal ‚salonstückchen‘ spielen zu lassen. Das war äuβerster Kitsch und wir hassten es. Sie waren übrigens garnicht leicht, es kamen so viele Arpeggien vor.

An Freitag Abenden (es waren wahrscheinlich Sonnabend Abende) spielte er uns manchmal Walzer, Polkas, Mazurkas, dass wir tanzen konnten. Dann wurde die Flügeltüre vom Salon zur ‚Diele‘ - von der aus es in die verschiedenen Zimmer ging - aufgemacht und wir liefen erst mal schnell in die Küche, um uns die Auguste die Köchin zu holen, die so gut walzen konnte und die so schöne breite Hüften hatte, auf die sie sehr stolz war. Wenn Auguste, oder die nächst beste, Berta, ‚besetzt‘ oder ‚vergriffen‘ waren, tanzten wir untereinander. Vater spielte uns Teile aus Opern oder von Konzerten, die er regelmässig in Meiningen besuchte. Sein Lieblingskomponist war Verdi. Wir liebten ‚das Lied vom zerrissenen Band‘ aus der Traviata: ‚Wer zerriss das schöne Band, das dich zog zur Heimat hin?‘ Ich bat ihn einmal, er möchte doch nochmal ‚das Lied von den zehn Kindern‘ spielen - aus den Kinderscenen von Schumann. Sein Lieblingsinstrument war die Harfe und er hätte gern gehabt, dass ich sie erlernte. Da aber hätte ich vor Publikum auftreten müssen und dafür war ich zu schüchtern.

Das Vierhändig-Spielen mit mir, zu dem er mich manchmal aufforderte, kann kein besonderes Vergnügen für ihn gewesen sein, denn ich spielte sehr schlecht vom Blatt. (Ich entsinne mich nur an ‚Die Geschichten aus dem Wiener Wald‘.) Zum Schluss sagte er: ‚Na, Schimmel, sind wir doch zusammen fertig geworden‘.

Als ich 12 Jahre alt war, nahm vater mich zum ersten Mal mit in eine Oper in Weimar, zum ‚Fliegenden Holländer‘. Er sang oder spielte mir vorher jede einzelne Melodie die darin vorkam, so daβ ich alles ‚verstand‘. Es war ein wunderbares Erlebnis.

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Das anderer hervorstechender Zug meines Vaters war sein Humor. Das kann ich nicht so wiedergeben. Während der Inflation fuhr er einmal in der Bahn mit einem guten aber nicht allzu ‚hellen‘ Bekannten. Ich sehe den noch vor mir, ein etwas korpulenter Herr, aber seinen Namen und Beruf habe ich vergessen. Mein Vater sagte: ‚wer heute nicht reich wird, ist entweder ein Beamter oder ein Dummkopf‘. Darauf der andere in etwas erstautem Ton: ‚ich bin doch kein Beamter‘.

Er hatte drei Vettern in Suhl die er nicht so besonders schäzte, den Isidor und den Jakob Sander und den (Vornamen vergessen) Nussbaum. Er hatte für sie ein Lied: ‚der Isidor, der Isidor, er kommt mir heut so dreckig vor, widerallala, widerallalala. Der Jacob Kommt mir grad so vor, genau so wie der lsidor, widerallala, widerallalala‘. Aber er hatte dafür auch eine liebenswürdigere Variante: 'der Isidor, der Isidor, der hat die Feder hinterm Ohr.' usw.

Vater hatte für jeden von uns einen Kosenamen: Doris war ‚Dorle‘, Selma ‚Mähle‘ Bella ‚Bählamm‘, ich (Hilde) war ‚der Schimmel‘, weil ich in früher Jugend mal blond gewesen war, Käthe war ‚die Kätz‘ und Lothar ‚der Schlot‘. Die Mutter rief uns bei unsern ‚richtigen‘ Namen.

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Zu Käthe, meiner jüngsten Schwester, sagte er einmal: ‚Kätz, heute könnte man wiedermal mit dem blossen Hintern durch die Kellerstraβe laufen‘. Ich mit meiner Prüderie fand es shocking. Diese Straβe wo wir wohnten war eine ziemlich kurze Strasse mit wenig Verkehr. Eigentlich war dort Keinen Verkehr. Autos gab es so gut wie keine und niemand hatte in der Kellerstraβe was mit einem Pferdewagen zu suchen. Unseren erster Auto Auβflug machten wir als ich ungefehr 12 Jahre alt war. Ein goldener Herbsttag war es.

Vater hatte so ein paar schöne Zitate, z.B. Von einer Trauerrede: ‚Der Zahn der Zeit, der schon so manche Träne getrocknet hat, wird auch über diese Wunde Gras wachsen lassen.‘ Er hat mahl von einen Erholungsheim gesagt: ‚50% der Geste sind dort gestorben‘ (es waren 2 Geste zur Zeit!) Mal hat er von sich gesagt: ‚Ich hätte ein guter Musikdirektor werden können und nun bin ich nur ein schlechter Bankdirektor‘. Der Beruf lag ihm wirklich nicht.

Vater unternahm von Zeit zu Zeit eine Wanderung im Thüringerwald, auch einmal in den Spessart und Odenwald und nach Heidelberg, mit 2 von uns Kindern. Mehr als 2 niemals, denn ‚er liebte nicht massenweise aufzutreten‘. Wir waren dann mehrere Tage unterwegs. An eine Wanderung entsinne ich mich, da es ununterbrochen regnete. Von Aussicht keine Spur. Wir latschten mit total nassen Füssen in dem schönen Tannenwald. Ich entsinne mich, daβ ich danach ein ‚Gedicht‘ machte, darin war der Endreim ‚denn wir sind ja 9 stunden gelaufen‘.

Manchmal, sicher nicht oft, aber die Male sind unvergesslich, machten die Eltern Schreibspiele mit uns. Ich glaube Lothar war noch zu klein damals und auch Tante Flora spielte nicht.Wir sassen dann um den grossen ovalen Esstisch im ‚Kinderzimmer‘ und jede oder jeder hatte einen Bleistift und ein Blatt Papier vor sich. Jeder hat was gezeichnet. Die Papiere waren weiter gegeben und jeder schrieb was er von die Zeichnung verstanden hat und gab es weiter. Wenn es wieder an den Zeichner zurückkam, machte er das Papier auf und las vor, was er sich gedacht hatte und was die anderen. Es kamen so komische sachen raus, dass wir lachten bis uns die Tränen kamen. Käthe, die nicht besonders gut im Zeichnen war, machte meist ein rundes geschmier. Das war einmal eine Kanonenkugel, ein anderes Mal ein Ball oder ein Garnknäuel. Wie schön dass die Eltern mit uns spielten!

Als wir unsere ersten Französischen Stunden hatten, lernten wir folgenden interessanten Dialog auswendig: ‚Où es-tu, Marie?’ ‚Dans la chambre, maman.’ ‚Et où est ta sœur?’ ‚Elle est avec moi’. Wenn wir dann in Suhl auf der Strasse gingen, unterhielten wir uns laut auf ‚französisch‘ immer mit diesen Sätzen und bildeten uns tatsächlich ein, man würde uns für Französinnen halten! Uns, die Sander-Kinder, die jeder kannte. (Suhl hatte 17.000 Einwohner, zum grossen Teil Fabrikarbeiter.) In unseren Spielen, die sich über Monate hinzogen, waren wir gern adlig, die arme Kätz aber immer einen Grad unter uns. Wenn wir Baroninnen waren, durfte sie nur eine Freifrau sein und wenn sie auch gern Baronin werden wollte, erlaubten wir’s zwar, rückten aber selber zu Gräfinnen auf. Solche Spiele waren gut bei Spaziergängen.

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Wir, die ‚3 Kleinen‘, schauten unserm Vater gern bei der Toilette zu. Zum Schluβ kam das Frische Taschentuch und ein Tropfen Eáu de Cologne drauf. Wir durften die Flasche zudrehen und dabei blieb dann ein bisschen Parfum an unsere Händen.

Er hatte die Prothese von einem Zahn der übernacht in ein Glas Wasser getan wurde. Käthe fragte einmal (Sie war noch ein kleines Kind) ‚Vater, hast du „das“ schon gegessen?‘

Für Bella, Käthe und mich, die ‚drei Kleinen‘, waren die ‚Romane‘ unserer älteren Schwestern ausserordentlich interessant. Einen befreundeten Gymnasialschüler nannten sie damals einen ‚Verehrer‘. Sie hatten ihre ‚Verehrer‘ unter den Realschülern, deren Klasse an der Farbe ihrer Mütze zu erkennen war. Die hellblauen der Obersekunda und die weissen der Prima waren bevorzugt. Zwar war meinen Schwestern verboten, abends zwischen 6 und 7 Uhr auszugehen, aber es fand sich schon eine Ausrede hie und da für eine dringende Besorgung! Man richtete es dann so ein, den Heimweg auffällig genau anzutreten, dass der jeweilige ‚Beau‘ es bemerkte, hinterher kam, höflich die Mütze abnahm und fragte, ob er das Fräulein nach Hause bringen dürfte. Er durfte seine ‚Auserwählte‘ nach den ‚Bummel‘ in die Hauptstrasse, den Steinweg, nach Hause bringen. Umdrehen durfte man sich doch nicht und es war immer eine kleine Aufregung, ob die erwarteten Schritte hinter einem laut wurden. Und wenn Doris von dem Primaner

Ernst Götze heim geleitet wurde, standen sie oft noch eine weile am Tor und unterhielten sich. Über was unsere Schwestern sich wohl unterhielten, wenn sie noch eine kleine Weile am Tor standen? Sie kamen uns so erwachsen vor.

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Von Gadiel Schatz (Hilde's Sohn) ediert

Auch ihre Tanzstunden waren angenehm aufregend. Die beiden älteren Schwestern hatten zur gleichen Zeit Tanzstunde. Der Doris war es nicht so wichtig welches Kleid sie anziehen sollte, dem Mäle (Selma) aber mehr. Uns kamen sie schon mächtig erwachsen vor und sie waren doch noch so jung und so frisch, in ihren weissen Kleidern aus Schweizer Spitze oder in den ersten rosa Ballkleidern. Manchmal durften wir zugucken. Am schönsten waren ‚Contre‘ und ‚Quadrille‘. Der Tanzlehrer, Herr Funk, kam aus Gotha (oder Erfurt) zu den Stunden, sehr fein und passend in seinen schwarzen Anzug gekleidet und Komandierte (bei der ‚Quadrille‘ oder den ‚Cottillio‘): ‚Erste fichur‘ (Figur), ‚zweite Fichu‘ und ‚Katre Meng!‘. Die Mütter sassen in einer Reihe an der Wand und wie die aufpassten! Selma's ‚Beau‘ war das Fritzle Jung, (Ober Prime). Einmal sagte seine Mutter, Frau Jung, zu meiner Mutter in ihrem Suhler Dialekt: ‚Mei Fritzle, wenn der nur eenmal rumgedanzt hat, is er gleich säunass!‘ Dann brach der 1. Weltkrieg aus und wir Jüngeren kamen um unsere Tanzstunde.

Sonntag Vormittag war Religionsstunde. Die verdarb uns den schönen freien Vormittag, und viel lernen taten wir nicht mal dabei, denn der gute Lehrer Levi wusste selber nicht viel. Die Gebete übersetzte er wörtlich aus dem Hebräischen, ich meine: Wort für Wort - nach der deutschen Übersetzung auf der anderen Seite im Gebetbuch. Von der Sprache kein Begriff. Wenn er mit jemanden unzufrieden war, drohte er: ‚Wenn ich nicht Angst hätte, meine Suppe würde kalt, du bliebest mit noch ½ Stunde hier!‘ Und dann hatte er einen ständigen Beispielsatz: ‚Mädchen, Mädchen, (oder Junge, Junge) du liest ja, als ob du sagen wolltest: heute … ist … schönes … Wetter‘. Als er wieder mal anfing, ‚Mädchen, Mädchen, Du liest ja, als ob du sagen wolltest...‘ ertönte Paul Simon’s Krähstimme: ‚Heute … ist … schönes … Wetter.“ Darauf Lehrer Levi: ‚Dummer Junge, du weisst doch gar nicht, was ich sagen wollte!‘ Besinnt sich kurze Zeit und dann: ‚Na, meinetwegen, heute … ist … usw.‘ Bei ihm fielen auch die ‚Mauren‘ der Stadt Jericho, weil bei ihm das ´R´ immer an der falschen Stelle erschien. Er war ein kleiner Mann mit weichen Gesichtszügen und ich erinnere mich an ihn immer schlecht rasiert. Wer das Rasieren nötiger hatte als er, war seine stattliche Frau Deborah, mit einem Trippelkinn, auf dem viele Haare wuchsen. Sie hielt sich sehr aufrecht.

Am einen Sontag wollte ich am Nachmittag zum Geburtstagfest einer Freundin gehen. In der Pause habe ich verschiedene farbkreiden genomen und mein Gesicht in ‚kränkliche‘ Farben gefärbt. Wenn der Lehrer wieder kamm, sah ich so krank aus daβ ich ‚nachhause‘ durfte. Ein mahl sagte Lehrer Levi (oder war es ein anderer Lehrer?) zu mir: ‚Mädchen, Mädchen, du köntest Professor sein, wen du nicht so dumm wärest!‘

Ich möchte noch von unserer Klavierlehrerin, Frau von Achten erzählen, und ihrer Mutter Frau Neumann. Die war ein Original. Stolz auf den ‚echten rheinischen Adel‘ ihrer Tochter Gretchen, nachdem diese endlich einen Mann gefunden hatte. Nur leider erwies sich, dass er epileptisch war und darum die Ehe auseinander ging. Als ‚Unterpfand‘ der Verbindung gab es ‚Bibbchen‘ (Püppchen, sie sprachen alle

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schönstes Sächsisch, eigentlich Erfurterisch). Frau von Achten war Schülerin von Max Reger und sehr stolz darauf. Zu mir sagte sie mal (auf sächsisch natürlich): ‚Hilde, Hilde, wie’n Hahn krätschst du auf dem Klaviere rum! Da müsstest de mal Rächern (gemeint Max Reger) sehen: Aine Ruhe!‘ Reger, ein sehr korpulenter Herr, hatte wirklich die Ruhe weg. Systematisches Üben hat uns unsere Klavierlehrerin nicht beigebracht.

Suhl war eine Arbeiter-stadt. Es gab einige grosse Waffenfabriken und viele kleinere Werk-stätten. Die Fabrik-besitzer wohnten in grossen Villen mit Gärten. Von Armut aber habe ich nichts gespürt, da alle beschäftigt waren. Als der 1. Weltkrig ausbrach war ich 15 Jahre alt. Der Vater von Christa Schlegelmilch hatte eine Porzellanfabrik. Er war ein reicher Protz. Haus und Garten waren weitlaufig, sehr elegant, und Christa, ein bisschen jünger als wir, aber mit uns befreundet, hatte eine eigene chice Kutsche, ein wunderschönes kleines Gefährt, mit einen Diener als Kutscher. Darin holte sie uns manchmal ab, wenn wir zu ihr eingeladen waren. Ich war einmal in Verlegenheit als sie mit Obst Fingerschalen reichen liess. Was sollten wir blos mit dem Wasser? Das war uns vollkommen neu. Sie hat dann, etwas überlegend, den Anfang gemacht, sie zu benützen. Die porzellanfabrik wurde später nach Tillowitz in Schlesien verlegt und bei meinem guten Kaffeeservice gibt es noch ein paar Stück aus Tillowitz. Christa selbst erzählte uns, dass ihr Vater sagte sie soll ja nur nicht kommen und sagen ‚ich kann ohne diesen Referendar nicht leben‘ - das war eine nicht genügend reiche Partie. Aber mir scheint, sie hat doch einen Referendar geheiratet. Als sie nach Schlesien zogen hatten wir keine Verbindung mehr mit ihr. Sie ist jung gestorben.

Meine ‚alte Anna‘, das war einmal meine Amme und dann 10 Jahre lang unsere Köchin. Sie hat dann einen Arbeiter geheiratet, einen Witwe mit mehreren Kindern. Als wir sie einmal besuchten, gab sie uns Kaffee und Belegbrote. Da sah ich zum ersten Mal wie verwöhnt wir waren und wie bescheiden die Arbeiterkinder. Uns gab sie, wie wir es gewöhnt waren, was sie ja kannte, die Brote gut beschmiert und belegt und ihre Kinder - 2 gut erzogene Mädchen - bekamen ganz dünn gesehmierte Brote. Das habe ich nie vergessen.

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Von Gadiel Schatz (Hilde's Sohn) ediert

Doris, die älteste, war ein ernstes Kind, verantwortungs-voll, und zu der ‚wir kleinen‘ Vertrauen hatten. Ein ‚Mütterchen‘. Doris heiratete Willy Guttmann, der von Holland auf der suche nach einer Frau zu seinen Verwandten Brilewsky kam, und Doris gefiel ihm. Ihr ernstes Wesen hat wohl ihr Schicksal voraus geahnt: Gisela, ihr erstgeborenes kleines Mädchen bekam Kinderlähmung auf der Heimreise von Berlin nach Amsterdam. Sie War ungefehr 2 oder 3 Jahre alt. Man versuchte durch Oprationen die gesunden Sehnen zu verbinden, damit sie laufen könne, aber keine war gelungen. Gisela musste eine Schiene tragen. Sie hat aber schwimmen und Radfahren gelernt. Nur war sie hilfslos wenn sie ohne die Schiene war. Sie hatten noch ein zweites Kind, Eva, ein reizendes und kluges wesen.

Die zweite schwere Periode kam als die holländische Mäntelfabrik in der Willy Modezeichner war, zurückging und Willy seine Stellung verlor. Danach kam eine schwere Depression. Als ich erfuhr daβ Hitler Holland besetzt hatte blieb mir das Herz stehen. Wir bekamen zwei Mal, auf einem vorgedrucktem Zettel Nachricht: ‚Wir sind gesund bei unserer Arbeit‘. Zum Schluss sind sie alle nach Sobibor transportiert worden.

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In Selmas Klasse war das dicke Linchen Hempel. Die Eltern hatten eine Metzgerei. Zu der sagte Selma einmal: ‚Linchen, du bist so dick, um dich kann man 3 mal herumgehen.‘ Darauf Linchen: ‚So schlimm iss es nu wieder nich‘.

Vor Selma hatten wir als Kinder Respekt und wir bewunderten sie. Sie war so graziös. Bei ihr war immer Ordnung. Es grenzte für mich ans wunderbare, während wir, wenn ich mich recht erinnere, kleine Schlamper waren. Überhaupt hatte Selma etwas Aristokratisches, war aber auch später, als sie schon verheiratet war, sehr liebevoll. Sie war von heiterer Natur als Doris.

Doris, Selma und Gerda Schlegelmilch waren die ersten Mädchen aus guter Familie in Suhl, die einen Beruf erlernten. Meine Schwestern besuchten das Lette-Haus in Berlin, Doris die Haushalt- und Selma die Handelsabteilung.

Wenn sie aus Berlin in Ferien heimkam war es meistens schon spät, Mutter lag schon im Bett und wir alle versammelten uns um ihr Bett um Selma's Erlebnisse zu hören. Die waren hoch komisch. Sie imitierte ihre Wirtin, Mitschülerinnen, Lehrer und tanzte uns was vor. Sie erzählte, wie ein ihrer Wirtin nicht wohlwollender Unbekannter ihr kostbare Dinge - mit der beigegebenen Rechnung - zuschicken liess (einmal war es ein Baumkuchen); dass sie immer bemerkte, wenn ihr Zimmer sauber gemacht worden war, weil dann die Bilder schief hingen; wie sie mit ihrer Cousine Ella Gärtner als Dienstmädchen verkleidet, mit Häubchen und weisser Schürze in ein billiges Kino gingen (das damals noch stumm war und einen Klavierspieler hatte) und hörbar zu Ella bemerkte: ‚Heute ist’s ein Jahr nach meiner Scheidung!‘ Ich glaube, der Nachhauseweg war nicht unbelästigt. Sie hat dann in Berlin in einer Bank gearbeitet, wo sie auch ihren Mann kennen lernte. Später erzählte sie wie sie in den Bank eine Zeichensprache erfunden hatten um sich mit ihren späteren Mann zu verabreden: die Lampe über ihrem Tisch wurde in einer bestimmten Richtung gedreht. Ihr Mann wurde Ernst Kluge, aus einer angesehenen ‚Goischen‘ Familie. Der Vater von Ernst, Harold Kluge, war der Direktor einer grossen Hamburger

Gütenversicherungs Gesellschaft. Daβ Selma sich taufen liess war ein grosser Schmerz, besonders für meinen Grossvater in Nürnberg. Er hat erst Selma nie wieder sehen wollen, hat sich später aber erweichen lassen.

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Selma ist jung an einer Nierenentzündung gestorben. Ich glaube Jochen (Hans-Joachim) war ungefehr 7 und Brigitte 5 Jahre alt. Ich bekam die Nachricht von ihrem Tod zusammen mit einem päckchen Briefe nach Palästina, und freute mich über so viel Post, bis ich auf Ernst's Nachricht kam. ‚Und nun ist mein Glück begraben‘. So schrieb er damals. Er hat zwar bald wieder geheiratet. Deswegen ist Selma doch unvergessen bei Ihm. Er nahm eine sehr junge Frau, Inge, eine Offizierstochter, die wohl noch nicht für eine ‚Familienmutter‘ reif war. Sie hat ihre Stiefkinder nicht geliebt und sie das fühlen lassen. Jochen hatte sich ganz von ihr losgesagt. Ob das erst nach Ernst's Tod war? Inge hat ihrem Mann 5 Söhne geschenkt. Ernst rief manchmal seine Brigitte ‚meine Lilie‘. Wenn Inge ein Mädchen zur welt gebracht hätte, dann wäre es eine ‚Schwert‘ Lilie geworden. Sie lebten im eigenen grossen Haus in Berlin-Wilmersdorf, bis später sie nach Prien am Chiemsee zogen.

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Bella war die unternehmendste. Das hat sie ja auch gezeigt, als sie mit einem doch recht fremden Mann nach Afrika ging. Sie wurde die Frau von Oskar Frank. Er stammte aus einem Dorf, ich glaube in Franken, war jung nach Afrika ausgewandert und besasss 2 Farmen. Eine passende Frau die das Landleben (das damals sehr primitiv war) mit ihm teilte konnte er in Afrika nicht finden. Die Europäerinnen waren zu verwöhnt. Bella willigte sofort ein und sie ist eine praktische und tüchtige farmersfrau geworden. Zum Beispiel hat sie Seife kochen gelernt. Es gab genug schwarze die die physische Arbeit verrichteten. Oskar hatte aber auch einen Handel mit stoffen und Bella war sehr stolz dass sie dafür eine neue

praktische Buchführung erfand. Ihre Töchter waren Steffi (Stephany) und Anita. Ein kleiner Sohn ist als baby gestorben. Meine Mutter, die eine Zeitlang auf Smalpunt lebte, hat immer gesagt, wie gut Oskar zu ihr war. Er ist nicht alt geworden. Bella übergab dann die Farmen den Peter Kleinschmidt, zu dem sie anscheinend viel Vertrauen hatte.

Als ich 1952 das erste Mal in Afrika war, wohnte Bella in Bulawayo (Süd-Rhodesien, später Thanzanien). Bella hatte ein Auto, einen Jaguar, aber sie war 10 Jahre lang nicht gefahren. Dort behält die Licenz die Gültigkeit. Sie holte es - wohl mir zuliebe - vor. Ein Nightmare! Sie fuhr in alle möglichen Ecken hinein, in andere Autos, aber die Menschen waren dort so freundlich, sie halfen ihr immer wieder heraus. Die Strassen in Bulawajo sind breit genug für einen starken Autoverkehr. Als sie gebaut wurden hat man berechnet

dass ein Gespann mit 6 oder 8 Ochsen drehen kann. Das kam dem späteren verkehr zugute. Von Smalpunt gibt es auch noch ein Foto mit einem solchen Ochsengespann. Wer hatte es denn damals so eilig?

Bella hatte einen schwarzen Diener, Penny, ein hochgewachsener schöner junger Mann. Er wohnte nicht bei ihr. Die wenigsten Häuser hatten Unterkunft für ihre Schwarzen. Aber er durfte nicht eher am abend gehen, bis er nicht die Bettdecken umgeschlagen hatte. Ich wusste damals nicht was ich tun dürfte und was nicht. Zum Beispiel habe ich mal einen leichten Koffer tragen wollen. Verboten! Das tun die Schwarzen!

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Anita war ein junges Mädel das noch zur Schule ging. Steffi war schon an Benny Israel verheiratet. Sie wohnten ‚auf dem Lande‘, in einer trockene unfruchtbaren Gegend. Es gab in dieser steppeartigen Umgebung viele interessante Vögel, sowie ja überhaupt Afrika eine reiche und wunderschöne Vogelwelt hat. Zum Beispiel Vögel mit langen Federschwänzen. Ich hatte mein Fernglas mit und streifte in der nächsten Umgebung herum. Steffi sagte, ich sei die erste, die bei ihnen etwas Interessantes finde.

Benny hatte da eine Schneiderwerkstat für geblümte Arbeitskittel, die sie an eine Firma ablieferten. Einige Stuben voll Nähmaschinen und Näger-mädchen. Das Unternehmen brannte ab und war nicht versichert! Nachdem die Werkstat heruntergebrannt war musste Benny eine andere Verdienstquelle suchen. Sie zogen nach Bulawayo. Steffi war die intelligentere von den beiden und hatte eine verantwortliche Stellung in einer optischen Fabrik. Benny arbeitete auch dort, in einer weniger wichtige Stellung.

Dort, auf dem Land war Sandra noch ein kleines niedliches Ding. Der ältere Sohn, Ronnie, ist später nach London ausgewandert und dort Berufsfotograf geworden. Sandra war graziös und hatte Ballett-Unterricht und ihre Eltern - und wahrscheinlich auch sie - glaubten es müsste eine Prima Ballerina aus ihr werden. Als sie dann in die stadt kam, merkte sie dass sie nur durchschnitt war.

Mit ihr haben wir später, hier in Israel, merkwürdige Erfahrungen gemacht. Sie war Intelligent und scheint in Afrika als Kassiererin tüchtig gewesen zu sein, hat an verschiedenen gearbeitet. Sie war mittel-gross und anmutig, sehr hübsch und verstand sich zu kleiden. In ihrer weiten losen und bunten Afrika-kitteln sah sie sehr besonders aus. Es verliebten sich auch die meisten jungen Männer in sie, man wollte sie heiraten. Sie war nicht ausdauernd und

nicht fleissig. Sie hat dort geheiratet aber sehr schnell sich scheiden lassen. Hier hat sie die meiste Zeit bei Yehuda und Lea gewohnt und hat, glaube ich, die meiste Zeit mit ihrer Toillette zugebracht. Masal bekamm einige Tips von ihr für Salatsossen. Sie hat dann in Jerusalem ein ‚Ulpan‘ (Schule für Immigranten für Hebräisch) besucht, aber den Kurs nicht beendet. Später hat sie einen Kanadier namens Wener geheiratet, der auf dem Skopus Berg (wo die Jerusalem Universität ist) Nachtwächter

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war. Sie lebten in einen merkwürdigen Wohnung in einem alten Jerusalemer Haus im Kellergeschoss. So etwas von Durcheinander wie es da war habe ich vorher noch nie gesehen. Sie ging mit ihm nach Kanada, wurde von seinen Eltern sehr gut, ja liebevoll, aufgenommen, verliess ihn und tat sich mit einem anderen Mann zusammen. Davon wissen wir nur so viel, dass sie von ihm einen kleinen Jungen hatte, der jetzt (1982?) 7 Jahre sein muss. Und anscheinend hat sie kein Recht ihn zu erziehen, denn er lebt in einem Kinderheim.

Ganz unerwartet bekamen wir einen Brief von ihr. Ronnie (Sandra's Bruder) hatte ihr geraten - warum sie wohl aus Kanada weg wollte - nach Israel zu gehen (warum nicht nach England?) Geld hatte sie so gut wie keins. Mehr aus Gründen die wir nicht wissen ist sie hier eine Persona Non Grata. Wahrscheinlich hat sie geglaubt wir würden für sie irgendwie sorgen. Yehuda fragte sie an, was die Gründe seien dass sie hier nicht rein durfte. Ausserdem, da sie die Sprache nicht kann, würde sie schwer Arbeit finden und Arbeitsplätze seien hier sowieso knap. Eines Tages war sie aber doch hier mit ihrem kleinen sohn und einer lächerlich kleinen summe Geld. Da wir keine Anstalten machten etwas für sie tun, ist sie seitdem verschollen.

Ronnie war auch einmal in Israel. Er war ein begabter junger Mann. Wohnte übrigens auch bei Yehuda. Man hat ihm sehr gut bezahlte stellen als Modezeichner angeboten, die er aber nicht annahm. Er war in gewisser weise verantwortungslos, nie geschrieben, verschwand, man wusste nicht wohin. Er soll dann in Hamburg als Fotograf gearbeitet haben. Bei Ellen und Jochen Kluge in Berlin hatte er einen Koffer stehen, den er nie abgeholt hat.

Im Jahr 1976 war ich in Afrika das zweite Mal. Die Weissen fühlten sich nicht sehr sicher. Steffi überlegte ob sie ihre Habe schon in Köffer packen sollte oder nicht. Sie hatten einen schwarzen Diener schon viele Jahre und hatten vertrauen zu ihm. Steffi fragte ihn ob er wohl imstande sei sie und ihren Mann umzubrigen. Darauf erwiderte er: ‚ich nicht, aber vielleicht mein Bruder‘.

Es war schön die Viktoriafalls wieder zu sehen und zu hören. Aber ich traf viel weniger Vögel als beim Ersten Mal. Damals sassen in den Hohen Bäumen Hornbills, ein wunderschöner grosser schwarzer Vogel mit roten Federn unter den Flügeln. Auch kleinere, und abends raschelten Perlhühner im Unterholz herum. Bei einem abendlichen Entdeckungsgang traf ich auf eine schild: ‚Vorsicht! Löwen‘. Und ich habe mich verlaufen und musste bei einem Haus, das da glücklicherweise stand, mir den Weg zeigen lassen. Auf dem Rasen vor dem Hotel trieben sich die grossen Affen herum und man musste aufpassen, dass sie nicht ins Zimmer kamen.

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Bella lebte damals schon In Johannesburg, in einer Art Pensions-hotel. Sie hatte da ihr Zimmer (nicht allzu geräumig), mit Bad und WC daneben und bekam die Mahlzeiten regelmässig unten im Speisesaal. Es fehlte da auch nicht an Gesellschaft und Bella hatte Gelegenheit sich ‚wohltätig zu betätigen‘, indem sie für ältere, oder unpassliche, Pensionäre Besorgungen machte. Von Kulturleben war in Johannesburg sehr wenig zu spüren und die Lektüre die Bella sich aussuchte, die leeren Magazines die sie jede Woche kaufte erstaunten mich, da sie ein intelligenter, aufgeweckter Mensch war.

Als Käthe 4 oder 5 Jahre war, hatte sie ein Problem: Sie konnte sich nicht entscheiden, was sie werden wollte, wenn sie erwachsen war - eine Königin oder eine Köchin! Vater wandelte eine Opernarie ‚Oh Königin, oh Göttin, mach mich frei‘ ab in ‚Oh Königin, oh Köchin, mach mich frei.‘ Sie scheint für die Eltern, meine Mutter hauptsächlich, eine Art stiefkind gewesen zu sein. Sie war linkshändig und damals suchte man das auf jede mögliche Weise zu ändern. Sie durfte nur mit der rechten Hand schreiben und hat darum eine hässliche Schrift gehabt. Ob sie eine Enttäuschung war, da sie nicht als der erwartete Stammhalter zur welt kam? Sie war doch ein so hübsches Kind, garnicht dumm. Warum wurde sie auf die Volksschule geschickt, und wir gingen doch alle in die ‚Höhrere Töchter Schule‘? Sie hat mit grossem Humor ihre verschiedenen Erlebnisse erzählt .

Die unordentlichste von uns war die Kätz, ein schrecklich guter Kerl. Wenn wir zu Chanukkah bunte Teller bekamen, hatte Bella ihren immer eins - zwei aufgegessen. Käthe hob ihren in ihrer Schublade auf bis dann Bella kam und sie anbettelte und dann hat sie immer geteilt.

Käthe hat auf ihren eigenen Wunsch eine Ausbildung als Säuglingsschwester in einem Berliner Krankenhaus bekommen und danach Säuglingsgymnastik. Das

war damals neu. Ich weiss nicht ob man jetzt noch ebenso viel davon hält. Abitur war damals nicht nötig. Sie war zuletzt die einzige von uns Geschwistern die bei der Mutter in Deutschland blieben. Ich wollte sie sollte nach Palästina kommen, aber sie war dazu nur bereit wenn ich ihr eine Stelle vorher verschaffen würde. Das war nicht möglich, abgesehen davon dass ich keine Zeit für die Suche hatte. Sie hätte hier leicht Arbeit gefunden. Wie dringend es war, das wusste man damals noch nicht. So ist sie also in suhl geblieben, recht einsam, hat ein Verhältnis mit einem Schupo (natürlich ein ‚Goy‘) gehabt und ist von ihm schwanger geworden. So ging sie nach Holland zu Doris. Diese beschrieb mir einmal, wie ihr das

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Herz beinahe stehen blieb als sie Käthe mit einem dicken Bauch ankommen sah. Der Mann hat sich natürlich nicht um Käthe und den kleinen Hans gekümmert. Doris und Willy haben sie in eine heim untergebracht. Sie hat in Amsterdam genügend Beschäftigung gehabt, bis Hitler kam. Ich glaube, ich habe sie noch einmal gesehen. Das Kind war wohl in einem Heim und sie wohnte privat. Ich habe lange eine bunte Blechdose aufgehoben die ich von ihr zum Abschied bekam (mit sehr guten Schokoladendragees). Von ihr oder von ihrem Söhnchen habe ich nie wieder gehört [sieh Epilogue]. Ich lese grade in einem Brief von Selma, geschrieben am 20.12.—(das Jahr fählt) : 'Am 2. Feiertag kommt das brave fleissige Kätzchen zu uns'.

Lothar hatte es nicht leicht mit seinen 5 Schwestern. Sie erzogen gern an ihm rum: ‚Lothar, wasch dir die Hände! Lothar deine Nägel sind nicht sauber!‘ etc. (Bei dieser Gelegenheit muss ich sagen, dass es immer zum verwundern für mich war, dass unsere Lehrerinnen einen ganzen Vormittag über saubere Nägel behielten.) Trotz unserer ‚Erziehungsversuche‘ hatte Lothar seine Schwestern lieb und sagte einmal besorgt, dass er fürchte, nie eine Frau zu finden, wie seine Schwestern. (Er fand eine sehr gute Frau und hatte eine glückliche Ehe.)

Lothar hatte sein Schlafzimmer neben dem von Bella, Käthe und mir, mit einer Verbindungstür. Nur wenn wir ganz leise sprachen, konnte er uns nicht hören und er konnte nicht leiden, wenn wir uns im Bett unterhielten. Wahrscheinlich, weil er nicht dabei sein konnte. Dann klingelte er (er hatte eine Klingel über seinem Bett). Dann erschien die gute Tante Flora, und er, mit entrüstetem Ton: ‚Mit einmal wach ich auf - erschreck - un da undahalten die sich!!‘ Wir bekamen eine Vermahnung und anstatt zu schwätzen spielten wir erst einmal leise Spiele - ‚Liederklopfen‘ zum Beispiel. Eine klopfte den Rhythmus einer Melodie und die anderen mussten das Lied erraten. Bis wir glaubten, der Bruder wäre inzwischen fest eingeschlafen, oder wir selber schliefen ein.

Wir hatten ihm mahl eine grosse Puppe ins Bett gelegt - es gab da eine Maske, das Gesicht einer Bauersfrau mit Kopftuch und ‚richtigen‘ Haaren, die hatten wir verwendet. Ein anderes Mal legte ich mich aber in sein Bett mit dieser Maske auf und als er ins Zimmer kam und rief ‚ach, ich weiss schon‘ erhob sich die Puppe langsam und sagte mit tiefer Stimme: ‚Sooo?‘ Da ist der arme Junge so erschrocken. Aber, wie schon gesagt, er trug es uns nicht nach.

Es gab in der ‚unteren Diele‘, der geräumigen Halle, von der die Türen zu den verschiedenen unteren Zimmern abgingen und von der eine Treppe zu den oberen Räumen führte - gegenüber der Eingangstüre - einen eingebauten Wandschrank, in dem Jacken und Mäntel und auf einem besonderen Brett Handschuhe aufbewahrt wurden. Mutter vermisste einmal einzelne von ihren verschiedenen Paaren Wildlederhandschuhe. Sie fanden sich in Lothar’s Manteltasche, der damals so 8 bis 10 Jahre alt gewesen sein. Er erklärte, dass er auch ein bisschen elegant aussehen müsste, wenn er ausging!

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Lothar muss ungefähr um die gleiche Zeit nach Afrika ausgewandert sein als wir nach Palästina gingen (1932). In Afrika hatte er Bella und nicht lange nach seiner Ankunft heiratete er Ethel Königsberg, die irgendwie verwandt waren (Durch Oskar Frank?) Es war eine ausgezeichnete Ehe. Ethel war gutmütig und anpassungsfähig

und sehr fleissig. Sie hat, als ich 1952 das erste Mal in Afrika war den ganzen Tag in der ‚trading station‘ gearbeitet und das zweite Mal - da lebte Lothar schon nicht mehr - in dem Ledergeschäft, das er hinterlassen hatte. Da gab es Taschen und Koffern aber am meisten war sie und die Angestellte beschäftigt, Absätze an Schwarze zu verkaufen. Die wurden, Eins, Zwei, Drei in Zeitungspapier eingeschlagen und zum nächsten Kunde.

Als ich 1952 da war, waren Die Zwillingskinder Helen und Eric 15 Jahre alt. Sie hatten grade

Geburtstag. Helen und Eric mussten schon früh, ich glaube mit 8 Jahren in eine ‚Boarding School‘ und kamen nur zu Ferien nach Hause. Helen zeigte schon damals Vorliebe für vorführen, Vorbereitung für ihr späteren Beruf. Sie trug uns Gedichte vor bei denen sie besonderen wert auf die schöne und deutliche Aussprache gab.

Bushmanskop war eine ‚trading station‘, das heisst, es war der Laden für die ganze Umgebung mit allem was man brauchte: Zucker, Mehl, Kohlen. Die Schwarzen kauften hauptsächlich ein für ihren ‚Mealy‘ Brei; Decken rötlichbraun, mit einem Muster das an einen von Blitzen und Kugelkometen gestirnten Himmel erinnerte, die sie mit einer grossen Nadel zusammengehalten als Kleidung anhatten, und eine Art von Bonbons, grossen bunten, mit Zucker Überstäubter billigen Zeug. Im Hof bei der ‚trading station‘ war viel Bewegung. Leute kamen mit ihren Autos und die Näger machten ihre besorgungen und halfen bei denen Einkäufe. Am besten erinnere ich mich an Basil, ein freund und ein wohlhabender Farmer aus der Umgebung. Er blieb lange unverheiratet, aber so viel ich mich errinere brachte er es doch zu einer feinen Frau und 2 Kinder.

Der Laden und die Benzinpumpe waren vom Wohnhaus entfernt. In ganz Bushmanskop war Lothar's das einzige grosse, schöne Haus, aus rotem Backstein. Es standen einige grosse Bäume drum herum. Ich glaube weisse wohnten keine weiter dort, nur Näger. Es war nicht einmal ein Dorf. Ich müsste noch sagen, dass das wasser in Bushmanskop durch einem Windrad aus der Erde gepumpt wurde. Da der Wind oft aussetzte war die Wasserversorgung nicht regelmässig. Später hat Lothar ein zweites Windrad errichtet.

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Hinter den Haus erhob sich der Berg Bushmanskop. Es müssen dort also einmal Buschmänner gelebt haben. Das War kein besonders hoher Berg. Man kletterte durch eine Art Schneise hienauf. Ein getrockneter Bach mit vielen grossen Steinen. Leider kann ich mich an die Aussicht von oben nicht besinnen. Der Berg war kahl. Wälder gab es nicht in der Umgebung. Mit Helen und Eric war ich da oben, wie oft weiss ich nicht. Es fehlte nicht an Bedienung. Um 8 Uhr früh, wenn man noch in Bett lag, ‚musste man‘ eine Tasse Kaffee trinken. Als ich da war, war es bitterkalt. Dicke Eiszapfen hingen von die Hausdecke. Ohne Wärmflasche konnte man nicht einschlafen. Abends sass man um den offenen Kamin herum und wurde vorne gebraten und im Rücken fühlte man Kälte. Worin das Frühstück bestand weiss ich nicht mehr. Am Laufe des Vormittags brachte ein älterer Näger ein Tablett mit Tee in den Laden. Das war so ungefähr seine hauptsächlichste Arbeit. Da waren ein oder zwei Mädchen für die versandt Zimmer. Dann eine Köchin, jemand der für verschiedene Versorgungen, kurz, sie überarbeiteten sich nicht.

Einmal hatte Ethel Bekannte eingeladen. Die Unterhaltung war ziemlich langweilig, aber Kuchen und kleines Gebäck das Ethel hat gebacken, so ausgezeichnet wie ich es nie versucht hatte. Ich glaube ich verbrachte viel Zeit mit meinem Fernseher Vögel beobachten. Vögel mit den federschwänzen beobachtete ich besonders gern. Einmal machte Lothar mit mir einen grossen Ausflug in die Umgebung. Wir kamen vor eine Bergwand in die eine grosse Öffenung geschlagen war, und da, zwar weit weg, aber uns gegenüber, ‚plötzlich‘ die grossartigen Drakensberge. Im übrigen war die Landschaft ziemlich eintönig, gelber sand oder braune Erde. Lothar musste Busmanshop verlassen. Haus und das Geschäft waren nicht sein Eigentum. Er ging nach Bloemfontein, wo er, wie erwähnt, ein Ledergeschäft erwarb. Als ich in 1976 das zweite Mal besuchte hat Ethel das Leder Geschäft verwaltet, das Lothar nach seinem Tod hinterlassen hatte. In diesem Shop waren vor allem Taschen und Köffer, aber sie und die Mitarbeiter waren hauptsächlich damit beschäftigt, an den Schwarzen zu verkaufen. Das Zeug war schnell in Zeitung verpackt und schnell auf den nächsten Kunden.

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Es muss 1926 gewesen sein, denn ich war noch zur Ausbildung in Loheland (die Gym-nastik Lehrerinen Schule), da hatte unser Vater einen Schlaganfall. Es war herz-zerreissend, ihn so gesch-wächt und häufig weinen zu sehen. Nach seinem Tod vermietete Mutter den unteren Teil des Hauses an Dr. Keinath, einen Tierarzt und Direktor des Suhler Schlacht-hauses. Er und seine Frau sprachen schönstes Schwäbisch. Sie hatten eine kleine, blonde Tochter, Gretl. Im Jahr 1929 hat sie den Haus an die Jüdische Familie Brylewski aus Suhl verkauft.

Ja, so ging unsere Kindheit zu Ende und wie wir in alle Welt zerstreut wurden, wisst Ihr ja. Ihr müsst meine fehlerhafte Schreiberei ent-schuldigen. Ich werde nu mal nicht perfekt! Schade!

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Apendix. Personen die im document erwehnt sind (nach alphabet).

Frank Anita (Dryer) geb. 31 Jan 1936 Bethlehem ZAgest. 04 Mai 2000 Johannesburg ZA

Frank Oskar geb. 14 Apr 1888 Bibra DEgest. 30 Jun 1941 Reitz ZA

Frank stephany (Israel) geb. 23 May 1924 Harrismith ZAgest. 27 Aug 1978 Bulawayo ZW

Gärtner Emma geb. 13 Apr 1872 Schweinfurt DEgest. 08 May 1945 deported

Gärtner Flora geb. 18 Mar 1870 Niederwerrn DEgest. 09 Apr 1943 Theresienstdt

Gärtner Abraham geb. 08 Mar 1843 Geroda DEgest. 30 Apr 1934 Nürenberg DE

Gärtner Recha (nee Kohnstamm) geb. 05 Nov 1843 Niederwerrn DEgest. 17 Oct 1930 Nürenberg DE

Gärtner Ella geb. ?gest. ?

Guttmann Giesela geb. 01 Sep 1924 Suhl DEgest. 28 May 1943 Sobibor

Guttmann Eva geb. 10 Mar 1929 Suhl DEgest. 28 May 1943 Sobibor

Guttmann Willie geb. 12 Feb 1889 Suhl DEgest. 28 May 1943 Sobibor

Israel Benjamin (Benny) geb. 17 Jun 1913 Shabini ZWgest. ?

Israel Ronald (Ronnie) geb. 09 Nov 1945 Bulawayo ZWgest. ---

Israel Sandra (1.Lypmann 2. ?) geb. 03 Jun 1948 Bulawayo ZWgest. ---

Kluge Ernst geb. 29 Jul 1892 Berlin DEgest. 23 Nov 1979 Prien DE

Kluge Hans-Joachim geb. 15 Feb 1924 Berlin DEgest. ---

Kluge Brigitte (French) geb. 04 Jul 1925 Berlin DEgest. ---

Levy Abraham geb. 13 Aug 1857 Braunschweig DEgest. 28 Sep 1940 Suhl DE

Levy Deborah (nee Ehrlich) geb. 20 Apr 1863 Gleicherwiesen DEgest. 1942 Theresienstadt

Nussbaum .... geb. ?gest. ?

Sander (Frank) Bella geb. 14 Apr 1898 Suhl DEgest. 16 Jan 1979 Johannesburg ZA

Sander (Gutman) Doris geb. 16 Nov 1894 Suhl DEgest. 28 May 1943 Sobibor

Sander Eric geb. 03 Jul 1936 Johannesburg ZAgest. ---

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Sander Hans geb. 21 May 1934 Amsterdam NLgest. ---

Sander Hedwig (Nee Gärtner) geb. 28 Feb 1869 Niederwerrn DEgest. 01 Oct 1963 Johannesburg ZA

Sander Helen geb. 03 Jul 1936 Johannesburg ZAgest. 14 Nov 1989 Dunbar ZA

Sander (Schatz) Hilde geb. 14 Aug 1899 Suhl DEgest. 12 Feb 1998 Hod Hasharon IL

Sander Isidor geb. 25 May 1881 Suhl DEgest. 01 Jul 1936 Suhl DE

Sander Jacob geb. 10 Feb 1884 Suhl DEgest. ?

Sander Käthe geb. 20 Oct 1900 Suhl DEgest. 28 May 1943 Sobibor

Sander Karl geb. 30 Jul 1865 Suhl DEgest. 06 Feb 1926 Suhl DE

Sander Lothar geb. 03 Feb 1903 Suhl DEgest. 1974? Bloemfontein ZA

Sander Louis geb. 1830-1840?gest. 1900-1905?

Sander Meta (nee Sichel) geb. 20 Oct. 1887gest. 14 Apr 1936 Suhl DE

Sander (Kluge) Selma geb. 14 Feb 1896 Suhl DEgest. 23 oct 1932 Berlin DE

Schatz Gadiel geb. 19 Nov 1933 Hod Hasharon ILgest. ---

Schatz Jehuda geb. 12 Feb 1935 Hod Hasharon ILgest. ---

Schatz Kurt Shlomo geb. 07 Aug 1902 Bonn DEgest. 08 Dec 1974 Hod Hasharon IL

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Epilogue. Von Gadiel Schatz (2012).

Dieser Dokument ist eine Kombination von: a. Errinrungen an mein Grossvater Karl Sander und andere mitglieder meine

nahe Familie in Suhl und wohin sie alle ausgewandert sind. Wahrscheinlich in die 1970ger Jahre gescheieben.

b. Ein Brief an Jochen und Brigitte Kluge, kinder meine Tante Selma. Im Jahr 1982 geschrieben.

Meine Mutter, Hilde Sander hat im Jahr 1931 meinen Vater Kurt Schatz aus Bonn geheiratet. Im Jahr 1932 sind sie nach Palästina ausgewandert, dort eine Farm aufgebaut und zwei Kinder bekommen: Gadiel und Yehuda.

Meine Grossmutter Hedwig Sander hat Deutschland im Jahr 1936 verlassen und nach Süd-Afrika gegangen, wo ihre kinder Bella und Lothar schon eingesiedelt waren. Auf den Weg nach Süd-Afrika hat sie meine Mutter in Palästina Besucht.

Als Deutschland im Jahr 1990 wieder vereinigt wurde, hatte meine Mutter, auf veranlassung von Dr. Fritz Goldman, ein ehmaliger Suhler, eine bitte für Reparation für den Haus eingereicht. Es stellte sich heraus daß Familie Brylewski und auch andere, eine gleiche Bitte eingereicht haben. Weiter stellte sich heraus daß eine Hypotheke von 16,000 Reichsmark zu gunsten meine Grossmutter und ihre kinder im Archiv der Stadt Suhl vorhanden war. Das war ein Rest der Zahlung für den Haus, der niemals bezahlt worden ist und auf diese Summe könten die Erben ein Anspruch haben.

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Allerdings, das Haus wurde im Jahr 2000 durch die Suhler Behörden weiter verkauft. Eine weitere Etaģe wurde gebaut aber die form des Hauses ist geblieben.

Eines Tages, um 1996 oder 1997, bekammen wir ein Brief von Hans Sander, Kähte's Sohn. Er schrieb er hatte eine Meldung aus Suhl bekommen (eine Erzählung für sich) er wäre der einzige Erbe vom Haus seiner Grossmutter Hedwig Sander und er solle nach Suhl kommen. Im Reparations Büro in Suhl hatt man ihm Reparations Bitten von noch andere Leute gezeigt, unter andere auch Frau Hilde Schatz, neé Sander, aus Israel. Bis dann war er sicher er hätte keine nähere Familie. Nach einige Monate hat uns Hans in Israel besucht und noch meine Mutter treffen können (sie ist 1998, im alter von 98 gestorben). Der Kontakt mit Hans bleibt weiter fest.

Im Juni 2012 waren meine Frau Masal und ich in Vancouver (British Columbia, Kanada), wo wir Brigitte (Tochter von Selma

Sander) und ihre Tochter Susi (Susanne) trafen. Susi hatte gerade eine Nachricht von Mike Sander von Kalifornien, Enkel von Isidor Sander, bekommen. Dank des Internets stellte sich heraus, dass Karl Sander‘s Vetter Isidor im Jahr 1936 in Suhl gestorben ist. Seine Kinder haben Deutschland verlaßen in den USA, England und Australien. Der Kontakt mit Mike Sander ist jetzt sehr fruchtbar und lässt den Aufbau einen Sander Stammbaum mit viel mehr Information füllen. Die Bilder von Isidor und Meta Sander im obigen text stammen von Mike.

== ENDE ==

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