stellenwert von nimodipin in der demenztherapie: calcium-hypothese der demenz

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392 | Pharm. Unserer Zeit | 34. Jahrgang 2005 | Nr. 5 DOI:10.1002/pauz.200500138 © 2005 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Calcium-Hypothese der Demenz Stellenwert von Nimodipin in der Demenztherapie A NNE ECKERT Die Calcium-Hypothese der Demenz bildet die Rationale für den therapeutischen Einsatz des Calcium-Antagonisten Nimodipin zur Behandlung von Demenzerkrankungen. Die Datenlage zur klinischen Wirksamkeit von Nimodipin zur Behandlung dementieller Syndrome wird in der Literatur allerdings kontrovers diskutiert, wenngleich eine kleine Zahl klinischer Studien eine Überlegenheit von Nimodipin gegen- über Plazebo hauptsächlich bei vaskulärer Demenz nach- weisen konnte. M it einer starken Zunahme der Demenzen – und vor al- lem der häufigsten Form, der Alzheimer-Demenz – muss aufgrund der steigenden Lebenserwartung gerechnet werden. Zum heutigen Zeitpunkt sind in Deutschland be- reits etwa eine Million Menschen an der Alzheimer-Krank- heit und ungefähr 300.000 an vaskulärer Demenz erkrankt. Zu den wichtigsten medizinischen, sozialen und ökono- mischen Problemen zählt somit die Versorgung der hohen und stets steigenden Zahl an Demenzerkrankten. Dieser Ar- tikel bespricht die Heterogenität der einzelnen Demenz- formen, die Unterschiede in der Pathologie und klinische Daten zur Wirksamkeit von Nimodipin, dem bis heute ein- zigen zur Behandlung von Demenzerkrankungen einge- setzten Calcium-Antagonisten. Definition, Bedeutung, Häufigkeit und Klinische Diagnostik der Demenzen Das Syndrom der Demenz ist mit Abstand das häufigste or- ganisch bedingte psychische Störungsmuster. Nicht allein aufgrund der Prävalenz, sondern auch wegen der schwer- wiegenden und meist jahrelang zu tragenden Folgen für die Betroffenen und ihre Familien hat es auch die größte soziale und ökonomische Bedeutung. Eine Demenz kann durch zahlreiche zerebrale oder systemische Ursachen hervor- gerufen werden. Ihre Art, Lokalisation und Dauer bestim- men das psychopathologische Bild und den Verlauf der Erkrankung. Demzufolge ist das Syndrom sehr vielgestaltig. Deshalb ist es auch in den gegenwärtigen psychiatrischen Klassifikationen (ICD-10) schwierig, der Vielgestaltigkeit des Demenzsyndroms mittels operationalen Definitionen gerecht zu werden. Die Klassifikationssysteme betrachten die Demenz als erworbenes Symptommuster, das aus kog- nitiven Störungen und nicht-kognitiven Verhaltensände- rungen zusammengesetzt sein kann. Die wichtigsten Symp- tome einer Demenz sind in Tab. 1 zusammengefasst. Da- neben können noch zusätzliche Phänomene, wie z.B. feinmotorische Störungen, Kopfschmerzen, Schwindel, Seh- störungen, Ohrgeräusche oder vermehrtes Hinstürzen, fa- kultativ auftreten. Nachdem das dementielle Syndrom anhand anerkannter Diagnosekriterien definiert wurde, werden die neurologi- schen Defizite präzisiert und eine Schweregradsbestim- mung durchgeführt. Geeignete Verfahren, um das Ausmaß Glutamat Präsynaptische Nervenendigung Postsynaptischer Dendrit Glutamat Na + Spannungs- abhängige Calciumkanäle ER Depolarisation Ödem Mitochondrien- Schädigung NO, ROS Ca 2+ Ca 2+ Ca 2+ Ruptur der Membran Inflammation Apoptose GPCR IP 3 NMDA- Rezeptor Ca 2+ Ischämie/Hypoxie ABB. 1 Pathologische Prozesse, die zu neuronalem Zelluntergang führen: intra- zelluläre Calcium-Überladung als zentrales Ereignis der Zelltodkaskade unter hypo- xischen bzw. ischämischen Bedingungen. (ER = Endoplasmatisches Retikulum, IP3 = Inositoltrisphosphat, GPCR = G-Protein gekoppelter Rezeptor, ROS = Reaktive Sauerstoffspezies, NO = Stickstoffmonooxid, siehe auch Infokasten).

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Page 1: Stellenwert von Nimodipin in der Demenztherapie: Calcium-Hypothese der Demenz

392 | Pharm. Unserer Zeit | 34. Jahrgang 2005 | Nr. 5 DOI:10.1002/pauz.200500138 © 2005 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

Calcium-Hypothese der Demenz

Stellenwert von Nimodipin inder DemenztherapieANNE ECKERT

Die Calcium-Hypothese der Demenz bildet die Rationale fürden therapeutischen Einsatz des Calcium-Antagonisten Nimodipin zur Behandlung von Demenzerkrankungen. Die Datenlage zur klinischen Wirksamkeit von Nimodipin zur Behandlung dementieller Syndrome wird in der Literatur allerdings kontrovers diskutiert, wenngleich eine kleine Zahlklinischer Studien eine Überlegenheit von Nimodipin gegen-über Plazebo hauptsächlich bei vaskulärer Demenz nach-weisen konnte.

Mit einer starken Zunahme der Demenzen – und vor al-lem der häufigsten Form, der Alzheimer-Demenz –

muss aufgrund der steigenden Lebenserwartung gerechnetwerden. Zum heutigen Zeitpunkt sind in Deutschland be-reits etwa eine Million Menschen an der Alzheimer-Krank-heit und ungefähr 300.000 an vaskulärer Demenz erkrankt.Zu den wichtigsten medizinischen, sozialen und ökono-mischen Problemen zählt somit die Versorgung der hohenund stets steigenden Zahl an Demenzerkrankten. Dieser Ar-tikel bespricht die Heterogenität der einzelnen Demenz-formen, die Unterschiede in der Pathologie und klinischeDaten zur Wirksamkeit von Nimodipin, dem bis heute ein-zigen zur Behandlung von Demenzerkrankungen einge-setzten Calcium-Antagonisten.

Definition, Bedeutung, Häufigkeit undKlinische Diagnostik der Demenzen

Das Syndrom der Demenz ist mit Abstand das häufigste or-ganisch bedingte psychische Störungsmuster. Nicht alleinaufgrund der Prävalenz, sondern auch wegen der schwer-wiegenden und meist jahrelang zu tragenden Folgen für dieBetroffenen und ihre Familien hat es auch die größte sozialeund ökonomische Bedeutung. Eine Demenz kann durchzahlreiche zerebrale oder systemische Ursachen hervor-gerufen werden. Ihre Art, Lokalisation und Dauer bestim-men das psychopathologische Bild und den Verlauf derErkrankung. Demzufolge ist das Syndrom sehr vielgestaltig.Deshalb ist es auch in den gegenwärtigen psychiatrischenKlassifikationen (ICD-10) schwierig, der Vielgestaltigkeitdes Demenzsyndroms mittels operationalen Definitionengerecht zu werden. Die Klassifikationssysteme betrachtendie Demenz als erworbenes Symptommuster, das aus kog-nitiven Störungen und nicht-kognitiven Verhaltensände-rungen zusammengesetzt sein kann. Die wichtigsten Symp-tome einer Demenz sind in Tab. 1 zusammengefasst. Da-neben können noch zusätzliche Phänomene, wie z.B.feinmotorische Störungen, Kopfschmerzen, Schwindel, Seh-störungen, Ohrgeräusche oder vermehrtes Hinstürzen, fa-kultativ auftreten.

Nachdem das dementielle Syndrom anhand anerkannterDiagnosekriterien definiert wurde, werden die neurologi-schen Defizite präzisiert und eine Schweregradsbestim-mung durchgeführt. Geeignete Verfahren, um das Ausmaß

Glutamat

PräsynaptischeNervenendigung

PostsynaptischerDendrit

Glutamat

Na+

Spannungs-abhängige

Calciumkanäle

ER

DepolarisationÖdem

Mitochondrien-SchädigungNO, ROS

Ca2+

Ca2+

Ca2+

Ruptur der MembranInflammation Apoptose

GPCR

IP3

NMDA-Rezeptor

Ca2+ Ischämie/Hypoxie

A B B . 1 Pathologische Prozesse, die zu neuronalem Zelluntergang führen: intra-zelluläre Calcium-Überladung als zentrales Ereignis der Zelltodkaskade unter hypo-xischen bzw. ischämischen Bedingungen. (ER = Endoplasmatisches Retikulum, IP3 = Inositoltrisphosphat, GPCR = G-Protein gekoppelter Rezeptor, ROS = ReaktiveSauerstoffspezies, NO = Stickstoffmonooxid, siehe auch Infokasten).

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und den Schweregrad der Hirnleistungsstörung zu bestim-men, sind z.B. der Mini-Mental-State Test (MMST), derSyndromkurztest (SKT), die Alzheimer’s Disease Assess-ment Scale (ADAS) und das Nürnberger Altersinventar(NAI).

Nach Erfassung des dementiellen Syndroms und desSchweregrades mit seinen Auswirkungen auf die Alltags-aktivitäten des Patienten wird nach der Diagnosestellung„Demenz unklarer Ursache“ eine Differentialdiagnosedurchgeführt. Hierbei werden zunächst zwei Hauptgrup-pen unterschieden: die große Gruppe der primären De-menzen und die wesentlich kleinere Gruppe der sekun-dären Demenzen (Tab. 2).

Pathogenetisch liegt der degenerativen Demenz eine be-vorzugt frontale und parieto-temporale degenerative Zell-schädigung mit Zelluntergang und Hirnatrophie zugrunde.Im Gegensatz dazu sind bei der vaskulären Demenz unter-schiedliche Hirnareale durch vaskuläre Prozesse geschädigt(Tab. 2 und Tab. 3). Außerdem finden sich hier häufiger fo-kale neurologische Symptome, die das Korrelat von kleinenSchlaganfällen darstellen. Fälle, bei denen degenerative Pro-zesse vergesellschaftet mit anderen zerebrovaskulärenKrankheiten vorliegen, werden als Mischformen bezeich-net (Tab. 2). Die Komorbidität von Alzheimer-Demenz undvaskulärer Demenz ist insbesondere im höheren Lebensal-ter sehr hoch. Neue Schätzungen gehen von einem weitausgrößeren Anteil der Mischformen als den bisherigen Schät-zungen von 10 bis 25 % aus. Zu den seltenen degenerativenDemenzformen zählt man z.B. die Pick-Krankheit und dieHuntington-Chorea (Tab. 2). Die Durchführung bildgeben-der Verfahren, in der Regel in Form von CT und MRT, istbei Verdacht bei vaskulärer Demenz zum Nachweis von In-farkten notwendig.

Feldstudien in zahlreichen Ländern zeigen, dass rund 1 % der 60- bis 64-Jährigen an einer fortgeschrittenen De-menz leiden, die bereits den Verlust der Fähigkeit zur selbst-ständigen Lebensführung nach sich zieht. Die Prävalenz aus-geprägter Demenzsyndrome in der Bevölkerung ist in ho-hem Maße altersabhängig. Unter den 40- bis 64-Jährigenbeträgt sie vermutlich nur 0,1 bis 0,2 %. Bei der Alters-gruppe von 85 bis 89 Jahren liegt sie bereits bei über 20 %und im Alter von 90 bis 94 bei nahezu40 %. Die Demenz vom Alzheimer-Typist die häufigste dementielle Erkran-kung (Tab. 2). Zwischen 4 und 8 % derüber 65-Jährigen sind von der Demenzvom Alzheimer-Typ betroffen. Im Al-terssegment zwischen 60 und 90 Jah-ren kann von einer Verdopplung derPrävalenzrate nach jeweils fünf Alters-jahren ausgegangen werden. Von den85-Jährigen leidet rund jeder Dritte aneiner Alzheimer-Demenz. Ob sich derPrävalenzanstieg bei den Höchstaltri-gen weiter fortsetzt und auf 40 bis50 % geht, wird dagegen kontrovers

diskutiert. Die Demenz vom vaskulären Typ ist dienächsthäufige dementielle Erkrankung (Tab. 2). Auch sienimmt mit dem Lebensalter zu, allerdings nicht so ausge-prägt wie die Alzheimer-Krankheit. Wahrscheinlich gibt essogar eine Plateaubildung in Bezug auf die Häufigkeit die-ser Erkrankung ab dem 70. Lebensjahr.

Sekundäre Demenzen können als Folgeerscheinungeneiner Vielzahl von internistischen und neurologischenErkrankungen auftreten (z.B. Endokrinopathien, Vitamin-mangelkrankheiten, metabolischen Enzephalopathien, In-toxikationen). Gemeinsam ist all diesen Erkrankungen le-diglich, dass durch unterschiedliche Mechanismen das Ge-hirn in seiner Funktion so beeinträchtigt ist, dass dieSymptomatik einer Demenz entsteht. Oft ist eine kausaleTherapie möglich. Bei ursächlich ungeklärten Demenz-erkrankungen werden Zusatzuntersuchungen durchgeführt.Dazu zählen internistische und neurologische Untersu-chungen sowie apparative bzw. laborchemische Untersu-chungen zum Nachweis kardiovaskulärer und anderer Ur-sachen dementieller Syndrome. Ebenfalls muss zwischendepressiver Pseudodemenz und Demenz differentialdiag-nostisch abgegrenzt werden. Ein dementielles Syndrom imRahmen einer Depression ist differentialdiagnostisch oftschwer abgrenzbar, verschwindet jedoch mit der Therapiedes depressiven Syndroms (z.B. mit Antidepressiva).

TA B . 1 D E F I N I T I O N D E R D E M E N Z N AC H I C D - 1 0

11.. SSttöörruunnggeenn ddeess GGeeddääcchhttnniisssseess ((KKuurrzz-- uunndd LLaannggzzeeiittggeeddääcchhttnniiss))Aufnahme und Wiedergabe neuerer InformationenVerlust früher erlernter und vertrauter Inhalte (in späteren Stadien)

22.. SSttöörruunnggeenn ddeess DDeennkkvveerrmmööggeennssBeeinträchtigung des abstrakten DenkensStörung der Fähigkeit zum vernünftigen UrteilenVerminderung des IdeenflussesBeeinträchtigung der Informationsverarbeitung

33.. SSttöörruunngg ddeerr eemmoottiioonnaalleenn KKoonnttrroollllee ((ssoogg.. BBeegglleeiittssyymmppttoommee))Veränderung der PersönlichkeitDepressive VerstimmungStörung des SozialverhaltensStörung der Motivation

Die Störungen von 1 und 2 müssen schwer genug sein, um eine wesentliche Beeinträchtigungder Aktivitäten des alltäglichen Lebens nach sich zu ziehen. Dauer: > 6 Monate

TA B . 2 V E R T E I LU N G D E R D E M E N Z E N

Mechanisch Multiinfarktdemenz Degenerativ VVoorrwwiieeggeenndd kkoorrttiikkaall Vorwiegend subkortikalMetabolisch Demenz nach +

Infektiös Schlaganfall Vaskulär AAllzzhheeiimmeerr--KKrraannkkhheeiitt Parkinson-SyndromToxisch Subkortikale vaskuläre Pick-Krankheit Huntington-Chorea

Demenz Down-SyndromBinswanger Krankheit

Demenz

Sekundäre Primäre DemenzenDemenzen

Sekundär Vaskulär Gemischt Degenerativz.T. heilbar

10 % 15 % 10 – 25 % 50 %

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Vaskuläre Demenz und Alzheimer-Demenz:Unterschiede in der Pathologie undPathophysiologie

Pathologische Läsionen der vaskulären Demenz sind kom-plette und inkomplette Infarkte im Großhirn. Sie werdendurch zerebrale Mikro- und Makroangiopathien, möglicher-weise auch durch chronische systemische Blutdruck-schwankungen verursacht. Die arterielle Hypertonie immittleren Lebensalter gilt als wichtiger Risikofaktor [1]. Hyp-oxisch-ischämisch bedingte Demenzen sind in ihrer Ent-stehung heterogen. Der Begriff Multiinfarktdemenz beruhtauf dem Schluss, dass Gefäßerkrankungen über große odermultiple kleinere Infarkte zu einer Demenz führen. Die neu-ropathologischen Manifestationsformen fokaler ischämi-scher Schädigungen des Gehirns vaskulär dementer Pati-enten sind vielfältig und heterogen. Unterschiedliche patho-logische Veränderungen des Gehirns und der Blutgefäßefinden sich entweder isoliert oder u.U. auch kombiniert beiein und demselben Patienten. Die häufigsten Veränderun-gen stellen makroskopisch sichtbare arterielle Infarkte, La-kunen und vaskulär bedingte Schädigungen der weißen Substanz dar. Man kann je nach vaskulärem Hirnläsionsortzwischen subkortikalen und kortikalen vaskulären Demen-zen unterscheiden, denen jeweils unterschiedliche Gefäß-pathologien zugrunde liegen.

Die Alzheimer-Demenz ist pathologisch charakterisiertdurch Synapsen- und Nervenzellverlust bevorzugt im Hip-pocampus, der Großhirnrinde und dem Nucleus basalisMeynert, dem Ausgangspunkt der cholinergen Afferenzendes Hippocampus zur Hirnrinde. Neben der Atrophie be-stimmter Hirnareale lassen sich in den Hirnen der Alzhei-mer-Patienten regelmäßig charakteristische Ablagerungennachweisen. Hierzu gehören zum einen die zahlreichen ex-trazellulären Plaques, als deren Hauptbestandteil das so ge-nannte β-Amyloid (Aβ) identifiziert wurde, ein proteolyti-sches Abbauprodukt des β-Amyloid-Vorläuferproteins (amyloid precursor protein, APP). Ein weiteres, charakte-ristisches Merkmal ist die Bildung von so genannten Neu-rofibrillenbündeln (neurofibrillary tangles, NFT). Hierbeihandelt es sich um intrazelluläre flammenförmige Anhäu-fungen abnormer Filamente in den Nervenzellen. Haupt-

komponente dieser Neurofibrillenbündel ist das in patholo-gischer Weise veränderte Tau-Protein, ein neuronales Mikro-tubuli-assoziiertes Protein. Dieses Tau ist hier im Gegensatzzum löslichen, normalen Tau nicht an Mikrotubuli gebun-den, sondern abnormal hochgradig phosphoryliert (hyper-phosphoryliert) und teilweise fragmentiert. Sowohl dieAmyloidplaques als auch die Neurofibrillenbündel tretenauch bei noch klinisch gesunden Personen auf, wobei ihreHäufigkeit mit höherem Alter zunimmt. Erste histopatho-logische Veränderungen können somit bereits mehrere Jahr-zehnte vor der Manifestation der Erkrankung auftreten. ImHinblick auf die Amyloidablagerungen wurde hieraus vordem Hintergrund der molekulargenetischen Ergebnisse derfamiliären Form der Alzheimer-Krankheit die Hypothese derβ-Amyloid-Toxizität abgeleitet. Danach führt die Bildungbzw. Ablagerung des Aβ über eine komplexe pathologischeKaskade zur Neurodegeneration, an deren Ende das klini-sche Bild einer Demenz steht.

Die Rolle von Calcium in der Zelltodregulationim Rahmen von Demenzen

Bei der Erforschung von Pathogenesemechanismen derHirnalterung und der Demenzerkrankungen ist in den letzten Jahren die Untersuchung der intrazellulären Cal-cium-Homöostase in den Vordergrund des Interessesgerückt [2-4].

Für eine zentrale physiologische und pathophysiologi-sche Rolle der intrazellulären Calcium-Konzentration([Ca2+]i) sprechen folgende Zusammenhänge: Die [Ca2+]i

hat eine regulatorische Funktion bei der Neurotransmitter-freisetzung, der Membranerregbarkeit und der Genexpres-sion in Nervenzellen [3] (siehe Infokasten). Die [Ca2+]i istdas gemeinsame Second- bzw. Third-messenger-Signal einerVielzahl neuronaler Transmitter (Acetylcholin, Histamin,Serotonin, Noradrenalin) und anderer Botenstoffe (SubstanzP, EGF, IGF1 u.a.), wobei unterschiedliche Transduktions-mechanismen (G-Proteine, Tyrosinkinasen, Phospholipa-sen) als Bindeglied fungieren. Die neuronale Calcium-Über-ladung ist als Pathogenesemechanismus der Nervenzell-schädigung bei akuter zerebraler Ischämie weitgehendgesichert und diente bereits als Grundlage pharmakologi-scher Behandlungsstrategien, wie bei dem gezielten Einsatzdes Calcium-Antagonisten Nimodipin [5]. Die hohe intra-zelluläre Calcium-Konzentration führt zu ROS-Bildung (Re-aktiven Sauerstoff-Spezies), Mitochondrienschädigung, Zell-schwellung (Ödem) und letztendlich zu Membranruptur,nekrotischem Zelltod und inflammatorischen Prozessen(Abb. 1). Daneben spielt Calcium auch bei der Apoptose(programmiertem Zelltod), die in die neurodegenerativenProzesse der Alzheimer-Demenz involviert ist, eine wichti-ge Rolle. Hier scheint allerdings eine Erhöhung der [Ca2+]i

– im Gegensatz zum nekrotischen Zelltod – nicht immer ob-ligatorisch zu sein. In weiteren Arbeiten wurden möglichePathogenesefaktoren der Alzheimer-Demenz hinsichtlich ih-res Zusammenhangs mit der intrazellulären Calcium-Homöostase untersucht. Dabei wurde nachgewiesen, dass

TA B . 3 D I AG N OS T I S C H E U N D D I F F E R E N T I A L -

D I AG N OS T I S C H E K R I T E R I E N

DDeemmeennzz vvoomm AAllzzhheeiimmeerr--TTyypp• Erkrankungsalter meist > 65 Jahre• fortschreitendes dementielles Syndrom• Ausschluss anderer Ursachen dementieller Erkrankungen,

insbesondere der vaskulären DemenzVVaasskkuulläärree DDeemmeennzz• fortschreitendes dementielles Syndrom• computertomographischer Nachweis von zwei oder mehr

zerebralen Infarkten• zeitlicher Bezug zwischen Infarkt und Manifestation der

Demenz

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auch Aβ eine Zunahme des Calcium-Anstiegs bewirkenkann [2]. In aggregierter Form kann Aβ Lipidperoxidationan Membranen durch Generierung von ROS aus chemi-schen Reaktionen, die Cu2+ oder Fe2+ benötigen, hervor-rufen. Dies kann die Funktion von membrangebundenenATPasen (Na+/K+-ATPase und Ca2+-ATPase), Glukose- undGlutamat-Transportern beeinträchtigen, was zu Depolari-sation und verminderter Energieverfügbarkeit führt. Darausresultiert eine Erhöhung der basalen intrazellulären Ca2+-Konzentration und eine Überladung mit Ca2+ durch Akti-vierung von Glutamat-Rezeptoren.

Interessanterweise moduliert jedes bekannte familiäreAlzheimer-Gen (APP, Präsenilin 1 und 2), das die Vulnera-bilität für Alzheimer-Demenz verstärkt, in irgendeiner Wei-se Calcium-Signale. So lassen sich in transgenen Alzheimer-Mäusen schon Monate vor der extrazellulären Aβ-Patholo-gie gestörte Ca2+-Signale nachweisen. Des Weiteren gibt esHinweise auf einen komplexen Circulus vitiosus, indem ei-ne Ca2+-Dysfunktion wiederum die Aβ-Formierung und dieTau-Hyperphosphorylierung verstärken kann und somit dieneurodegenerativen Prozesse beschleunigt (Abb. 2).

Die bisherigen Daten liefern zwar noch kein klares Kon-zept über die Bedeutung dieser Mechanismen zur Patho-genese der Demenzen, sie stellen aber einen hochinteres-santen Ansatzpunkt dar, der letztendlich doch auf sehr spe-zifische Störungen der Calcium-Homöostase im Rahmen derDemenz hinweist. Die Entwicklung spezifischer pharma-kologischer Behandlungsstrategien aufder Interventionsebene der intrazel-lulären Calcium-Regulation ist somitweiterhin ein spannendes und viel-versprechendes Arzneimittelforsch-ungsgebiet.

NimodipinNimodipin ist ein Antagonist von span-nungsabhängigen Calciumkanälenvom L-Typ, ähnlich den peripher an-greifenden Substanzen Verapamil undNifedipin. Nimodipin bindet an L-Typ-Kanäle und reduziert somit die Anzahlder geöffneten Calciumkanäle, durchdie Calcium aus dem Extrazellulär-raum ins Zellinnere einströmen kann.Es besitzt ebenfalls antivasokonstrik-torische und vasodilatorische Wirkungauf Arteriolen. Das Freibleiben der N-und P-Kanäle ist eine Voraussetzungder therapeutischen Brauchbarkeit,denn sonst würde die lebenswichtigeFreisetzung von Neurotransmittern un-terdrückt. Nimodipin gehört zu den li-pophilen ZNS-gängigen Calcium-Anta-gonisten der 1,4-Dihydropyridinreihe.Es unterliegt einem hohen First-Pass-Metabolismus, besitzt eine Bioverfüg-

barkeit von ca. 15 % und eine Halbwertszeit von 90 Minu-ten.

Die klinische Entwicklung von Nimodipin zur Behand-lung von Demenzen begann in den frühen 1980er Jahrenund basierte auf der Calcium-Hypothese der Demenz. Un-ter experimentellen Bedingungen konnte gezeigt werden,dass die Inhibition des Calcium-Einstroms Neurone ge-genüber schädlichen Einflüssen schützen kann [6]. DieseBefunde belegen, dass Nimodipin ein neuroprotektives Po-tenzial besitzt, v.a. in Situationen der Ischämie und Hyp-oxie. Die Dichte von Nimodipin-Bindungsstellen ist in spe-zifischen Hirnregionen wie dem Hippokampus und demzerebralen Kortex besonders hoch. Dies deutet darauf hin,dass diese Kanäle in Gedächtnis- und Lernprozesse invol-viert sind. Bindungsstellen befinden sich sowohl auf Neu-ronen als auch auf zerebrovaskulären Zellen, so dass nebender neuronalen Signaltransduktion auch der zerebrale Blut-fluss moduliert werden kann.

Ein kritischer systematischer Übersichtsartikel [7] be-wertete die Effekte von Nimodipin bei experimentell in-duzierter, zerebraler, fokaler Ischämie an Nagern (Einschlussvon 20 Originalartikeln, Gabe von Nimodipin nach Induk-tion der Ischämie). Nur ungefähr die Hälfte der einge-schlossenen Arbeiten berichtete eine signifikante Überle-genheit von Nimodipin gegenüber Plazebo. Bei genauererAnalyse der Daten von sieben Arbeiten, die exakte Datenzur Messung der Infarktgröße lieferten, wurde jedoch eine

Destabilisierung der ER-Calcium-Homöostase• Erhöhte Calcium-Speicher-Level

• Abgeschwächter kapazitiver Ca2+-Einstrom

• Verminderte Interaktionen mit anderen Proteinen (z.B. Calsenilin, Calmyrin, Ryanodin-Rezeptor)

Veränderte APP-�Prozessierung • Aβ1-42

• sAPP

• AICD

Spätere Effekte• Oxidativer Stress

• Geringere synaptische Plastizität

• Exzitotoxizität

• Apoptose/Nekrose

Demenz

Tau-Hyperphosphorylierung

Calpain

Ca2+

Sporadische AD• Verminderte Aβ-Clearance (?)

• Veränderte APP-Prozessierung

• APOE4

Familiäre AD• PS1-Mutationen

• PS2-Mutationen

• APP-Mutationen

p35

p25 Cdk5

(?) (?)

A B B . 2 Schematische Darstellung der komplexen Mechanismen, die einer gestörten Ca2+-Homöostasebei der Alzheimer-Demenz zugrunde liegen und zu einer verstärkten Plaque-Bildung, neurofibrilliärer De-generation und Apoptose führen können. (PS1 = Präsenilin 1, PS2 = Präsenilin-2, APP = Amyloidvorläufer-protein, ApoE4 = Apolipoprotein E4, Aß1-42 = Beta-Amyloid (42 Aminosäuren lang), sAPP = sekretierteForm des APP, AICD = intrazelluläre Domäne des APP) (?) = spekulative, noch nicht endgültig bestätigteSignalwege, Cdk5 = cyclin-dependent kinase 5, p35/p25 = Aktivatoren der Cdk5)

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signifikante Reduktion der Infarktgröße unter Nimodipin-behandlung über alle Studien nachgewiesen, ebenfalls eineVerringerung der Anzahl an Ödemen (drei eingeschlosseneArtikel).

Klinische StudienNachdem 1988 eine erste kontrollierte, randomisierte kli-nische Studie Behandlungsvorteile von Nimodipin beiSchlaganfallpatienten nachweisen konnte, wurden mehre-re klinische Studien mit Nimodipin an insgesamt 7.665 Pa-tienten durchgeführt. Diese Studien konnten in der Ge-samtheit betrachtet die positiven Effekte von Nimodipin alsaktives Behandlungsregime zur Therapie des akuten ischä-mischen Schlaganfalls nicht bestätigen. Allerdings zeigte ei-ne Meta-Analyse von neun Studien eine signifikante Über-legenheit von Nimodipin, wenn die Behandlung mit Ni-modipin innerhalb zwölf Stunden nach Schlaganfall-Onsetbegonnen wurde [8].

Die Cochrane Collaboration erarbeitete 2002 den jüngs-ten systematischen Review [9] über die Wirksamkeit von

Nimodipin bei primär degenerativen, gemischten und vas-kulären Demenzen. Die Selektionskriterien für den Ein-schluss in die Meta-Analyse bestanden darin, dass die Stu-dien doppelblind, randomisiert und plazebokontrolliertdurchgeführt worden waren und dass Nimodipin länger alseinen Tag zur Behandlung der dementiellen Syndrome ver-abreicht wurde. Vierzehn Studien wurden letztendlich ana-lysiert mit zwei unterschiedlichen Behandlungsregimes: 90 oder 180 mg/d Nimodipin verabreicht für 12 bzw. 24Wochen. Nur zwei der klinischen Studien untersuchten Alz-heimer-Patienten, neun Studien Patienten mit vaskulärerDemenz und drei der vierzehn Studien schlossen alle Demenzformen ein. Unabhängig von der Demenzdiagnosewurde in der Meta-Analyse für kognitive Funktionsbereicheeine leichte Überlegenheit von Nimodipin (90 mg/d, 12Wochen, 2.492 Patienten) gegenüber Plazebo festgestellt, jedoch nicht für Testverfahren, die Aktivitäten des täglichenLebens erfassen. Häufig wurden die primären Outcomes –wie Verlangsamung der Demenzprogression – in den Stu-dien nicht erreicht.

Erst kürzlich wurde eine randomisierte, plazebo-kontrollierte klinische Studie publiziert [10], die die Wirk-samkeit von Nimodipin (90 mg/d) für 52 Wochen an 230Patienten mit einer subkortikalen vaskulären Demenz un-tersuchte. Hier zeigte sich kein signifikanter Unterschied zuPlazebo beim primären Endpunkt (Verbesserung um 5Punkte in der Sandoz Clinical Assessment Geriatric Scale).Allerdings wurden gewisse positive Effekte von Nimodipinin sekundären Endpunkten nachgewiesen, wie dem Mini-Mental-State-Test und der Global Deterioration Scale.

Nimodipin wurde in der Regel in den Studien gut ver-tragen und die Drop-out-Rate war ähnlich in Verum- und Pla-zebogruppe. Unter den unerwünschten Arzneimittelwir-kungen ist die relativ häufig auftretende arterielle Hypoto-nie erwähnenswert, die die Anwendung von Nimodipin beiPatienten mit niedrigen Ausgangswerten des Blutdrucks ein-schränkt. Andere unerwünschte Wirkungen sind: Herzfre-quenzanstieg, Schwindel, Kopfschmerzen, periphere Öde-me. Diese Effekte von Nimodipin sind darauf zurückzu-führen, dass es als Calcium-Antagonist nicht nur im ZNS,sondern auch am Herzen und der glatten Muskulatur wirkt.

Stellenwert von Nimodipin in der Behandlungder vaskulären Demenz

Keine Substanz hat bislang eine Zulassung für die Indikati-on „vaskuläre Demenz“ in Deutschland bzw. Europa. DieDatenlage zur medikamentösen Behandlung dieser De-menzform hat sich allerdings in den letzten Jahren verbes-sert. Kontrollierte, randomisierte Studien liegen für Do-nepezil, Galantamin und Memantin vor und Zulassungsver-fahren für die Indikation „vaskuläre Demenz“ werden fürdiese Medikamente angestrebt. Aufgrund der hohen Ko-morbidität mit der Alzheimer-Demenz mit zunehmendemAlter bleibt die Bewertung der Befunde schwierig. Die jet-zige Datenlage wird von der EMEA und der Cochrane Colla-boration noch als unzureichend eingeschätzt [11].

D I E N E U RO N A L E C A LC I U M - R EG U L AT I O N |Die Regulation des Calcium-Haushaltes ist sehr komplex. An ihr sind Proteine betei-ligt, die an wichtigen subzellulären Orten, wie der Plasmamembran, dem Zytosol,Mitochondrien und dem endoplasmatischem Retikulum (ER) lokalisiert sind. Die Ca2+-Konzentration ist außerhalb der Zelle mit 1-2 mM etwa 10.000-fach höher als im Zytosol (50 bis 200 nM). Dieser Gradient wird hauptsächlich durch ATPasen der Plas-mamembran und des ER aufrechterhalten. Die Plasmamembran enthält verschiedenespannungsabhängige Ca2+-Kanäle (L-, N-, T-, P- und Q-Typ), die sich in ihren biophysi-kalischen Eigenschaften unterscheiden. Präsynaptisch dienen die spannungsabhängi-gen Calcium-Kanäle zur Neurotransmitterfreisetzung mittels Calcium-induzierter Exo-zytose, während sie postsynaptisch wahrscheinlich in Prozesse der Langzeitpotenzie-rung und der neuronalen Plastizität involviert sind. Des Weiteren können hohe Ca2+-Ströme durch Subtypen von ionotropen Glutamat-Rezeptoren (z.B. NMDA-Rezeptor)erzeugt werden, die besonders in Neuronen exprimiert werden. Die Aktivierung vonmetabotropen Rezeptoren (G-Protein gekoppelte Rezeptoren), wie die für Glutamat,Acetylcholin und ATP, führen zu einem Calcium-Ausstrom aus dem ER. Es existierennoch so genannte SOCCs (store operated calcium channels), deren Öffnung bei Ent-leerung der ER-Calcium-Pools zum Einstrom von extrazellulärem Calcium führen. Dieser Vorgang wird auch als kapazitiver Ca2+-Einstrom (CCE = capacitative calciumentry) bezeichnet.

Da das ER in Neuronen den Haupt-Calcium-Speicher (100 bis 500 µM) darstellt,benötigt es einige Proteine, um den Gradienten aufrecht erhalten zu können, aberauch um auf Signale der Umgebung zu reagieren. Der Gradient wird durch die sarko-endoplasmatische Ca2+-ATPase (SERCA) stabil gehalten. Für die Calcium-Ausschüttungstehen zwei Typen von Ca2+-Kanälen zur Verfügung: Der IP3-Rezeptor (Inositol-(1,4,5)-triphosphat-Rezeptor, IP3R) und der Ryanodin-Rezeptor (RYR). Die Ca2+-Ausschüttungaus dem ER wird durch eine Reihe von Proteinen reguliert, u.a. Calcineurin und Cal-modulin.

Seit einiger Zeit werden auch den Mitochondrien wichtige Funktionen bei der Regula-tion des zytosolischen Calciums zugesprochen. Sie sind häufig an Stellen des Ca2+-Ein- und Ausstroms lokalisiert und können mit verstärkter Ca2+-Aufnahme auf denCa2+-Einstrom durch spannungsabhängige Ca2+-Kanäle und NMDA-Rezeptoren rea-gieren. Diese Aufnahme kann dazu dienen, die potentiell zytotoxischen Ca2+-Konzen-trationen abzupuffern, die zytosolische Ca2+-Dynamik zu regulieren, oder aber auchdie mitochondriale Energieproduktion der synaptischen Aktivität anzupassen. Akkumulation von mitochondrialem Calcium kann zur Bildung von oxidativem Stressbeitragen.

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Nr. 5 | 34. Jahrgang 2005 | Pharm. Unserer Zeit | 397

S T E L L E N W E R T V O N N I M O D I P I N I N D E R D E M E N Z T H E R A P I E | K L I N I S C H E PH A R M A Z I E

Die Problematik der Bewertung anderer Antidementiva,die seit vielen Jahren in Deutschland im Handel sind undzu denen auch Nimodipin zählt, liegt oft darin, dass dieWirksamkeit an sehr heterogenen Patientenpopulationenuntersucht worden ist. Viele Studien von Nimodipin wur-den in den 1980er Jahren angefertigt, d.h. es handelt sichhier oft um klinische Studien, die modernen diagnostischenStandards nicht genügen, die als Grundlage der Evidenz-ba-sierten Medizin angesehen werden.

Einige Studien konnten gewisse Vorteile von Nimodi-pin bei vaskulären Demenzformen nachweisen, so dassNimodipin für einige Patienten mit vaskulärer Demenzpa-thologie eine geeignete Medikation darstellen könnte bzw.als Alternativtherapie bei Nichtansprechen auf andere Anti-dementiva in Frage kommt (Abb. 3).

Stellenwert von Nimodipin in der Behandlung derAlzheimer-Demenz

Zur Behandlung der Alzheimer De-menz sind in Deutschland Acetylcho-linesterasehemmer und Memantin zu-gelassen (Abb. 3). Positive Studien lie-gen auch für die Wirksamkeit vonGinkgo-biloba-Spezialextrakt (standar-disiert) vor.

Für die Wirksamkeit von Nimodi-pin zur Behandlung der Alzheimer-De-menz ist die Evidenzlage als unge-nügend einzuschätzen, um eine ab-schließende Bewertung vornehmen zukönnen [9]. Der Effekt von Nimodipinist sehr klein in diesen wenigen Studi-en. Während die Studienergebnissezur vaskulären Demenz die Calcium-Hypothese bezüglich einer Calcium-Überladung von neuronalen Zellenund eine Involvierung von span-nungsabhängigen Calciumkanäle indie Pathogenese der Erkrankungen zubestätigen scheinen, bleibt die Bezie-hung bei der Alzheimer-Demenz un-klar (siehe Abb. 1 und Abb. 2), wosehr komplexe und differenzierte Ver-änderungen der Calcium-Hömöostasevorzuliegen scheinen [12].

Insgesamt sind neue Studien ansehr gut charakterisierten Patienten-kollektiven nach modernen diagnosti-schen Standards mit Nimodipin zu for-dern, die vor allen Dingen einen län-geren Behandlungszeitraum als zwölfWochen umfassen, da Demenzen chro-nische Erkrankungen darstellen, die ei-ne Medikation über viele Monate/Jah-re erfordern.

Zitierte Literatur[1] Gertz, H.J., Wolf, H., Arendt, T.: Vascular Dementia. Nervenarzt 73

(2002), 393-404.[2] Mattson, M.P., Rydel, R.E., Lieberburg, I., Smith-Swintosky, V.L.: Alte-

red calcium signaling and neuronal injury: stroke and Alzheimer's di-sease as examples. Ann. N.Y. Acad. Sci. 679 (1993), 1-21.

[3] Müller, W.E., Eckert, A., Hartmann, H., Velbinger, K., Förstl, H.: Thecalcium hypothesis of brain aging. Nervenarzt 67 (1996), 15-24.

[4] Müller, W.E., Hartmann, H., Eckert, A., Velbinger, K., Förstl, H.: Freeintracellular calcium in aging and Alzheimer's disease. Ann. N.Y.Acad. Sci. 786 (1996), 305-320.

[5] Peruche, B., Krieglstein, J.: Mechanisms of drug actions against neu-ronal damage caused by ischemia – an overview. Prog. Neuropsycho-pharmacol. Biol. Psychiatry 17 (1993), 21-70.

[6] Krieglstein, J., Weber, J.: Calcium entry blockers protect brain energymetabolism against ischemic damage. Adv. Exp. Med. Biol. 200(1986), 243-251.

[7] Horn, J.,de Haan, R.J., Vermeulen, M., Luiten, P.G.M., Limburg, M.: Nimodipine in animal model experiments of focal cerebral ischemia –A systematic review. Stroke 32 (2001), 2433-38.

Anamnese/FremdanamneseMini-Mental-Status-Test

Demenz <23

Absetzen des Antidepressivumsggf. Wechseln zu alternativem Wirkstoff Fortsetzung der Behandlung

* arterielle Hypertonie, Fettstoffwechselstörungen, Diabetes mellitus, Insultprävention, Tabakabhängigkeit** aufgrund der bislang wenigen Studien, der unterschiedlichen Datenlage zu den einzelnen Antidementiva und der fehlenden Zulassung → Indikation zur Antidementivagabe im Einzelfall *** zugelassen für die Indikation Alzheimer-Demenz+ zugelassen für die Indikation mittelschwere bis schwere Alzheimer-Demenz§ geringe Evidenz zur Therapie der Alzheimer-Demenz

Verdacht auf Demenz Depression?altersbedingte

Leistungsminderung

Ist die Demenz Folge einer Grunderkrankung?internistische, neurologische, psychiatrische Diagnostik

Krankheitsbilder primär nicht degenerative primär degenerative Demenzen sekundäre, intra- und Demenzen extrazerebral verursachte Demenzen

Demenzsyndrome Vaskuläre Demenz Demenz vom Alzheimer-Typ internistische Erkrankungen, chronische Intoxikationen, u.a.

Medikamentöse Therapie vaskulärer Antidementiva: kausalTherapie Risikofaktoren* Donepezil***in Verbindung mit Rivastigmin*** Antidementiva**: Galantamin*** Donepezil, Galantamin Memantin+

Memantin Ginkgo-biloba-Extrakt Ginkgo-biloba-Extrakt Piracetam

Nimodipin (Nimodipin) §

Piracetam Dihydroergotoxin

Begleittherapie Zerebrales Training, Bewegungstherapie und körperliche Aktivität, Vermittlung sozialer Hilfen, Psychotherapeutische Beratung und Führung

Therapiekontrolle nach 12 Wochen unter Einbeziehung von Testverfahren

Besserung keine Besserung

A B B . 3 Stufenplan zum therapeutischen Vorgehen bei Demenzverdacht (modifiziert nach Demenz-Manual und Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft 2004).

Page 7: Stellenwert von Nimodipin in der Demenztherapie: Calcium-Hypothese der Demenz

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[8] Mohr, J.P., Orgogozo, J.M., Harrison, M.J.G., Hennerici, M., Wahl-gren, N.G., Gelmers, H.J., Martinez-Vila, E., Dycka, J., Tettenborn, D.:Meta-analysis of oral nimodipine trials in acute ischemic stroke. Cerebrovasc. Dis. 4 (1994), 197-203.

[9] Lopez-Arrieta, Birks, J.; Nimodipine for primary degeneratice, mixedand vascular dementia (review). The Cochrane Database of Syste-mic Reviews (2002), Issue 3.Art. No.: CD000147.

[10] Pantoni, L., del Ser, T., Soglian, A.G., Amigoni, S.A., Spadari, G., Binelli, D., Inzitari, D.: Efficacy and safety of nimodipine in subcorti-cal vascular dementia – A randomized placebo-controlled trial. Stroke 36 (2005), 619-24.

[11] Arzneiverordnung in der Praxis, Band 31, Sonderheft 4: Therapie-empfehlungen der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzte-schaft, Demenz, 3. Aufl. 2004.

[12] Fritze, J., Walden, J.; Clinical findings with nimodipine in dementia:test of the calcium hypothesis. J. Neural Transm. 46 (1995), 439-453.

Die Autorin:PD Dr. Anne Eckert (geb. 1964); 1986-1989 Studiumder Pharmazie in Marburg; 1990 Approbation; 1994 Promotion in Pharmakologie bei Prof. WalterE. Müller an der Universität Heidelberg; in 1995 Forschungsaufenthalt am Institute for Brain Agingand Dementia bei Prof. Carl W. Cotman, Irvine, USA;1997-2002 Hochschulassistentin am Pharmakolo-gischen Institut für Naturwissenschaftler der JohannWolfgang Goethe-Universität; 2001 Habilitation;seit 2004 Leiterin des Neurobiologischen Labors derPsychatrischen Universitätsklinik Basel, Schweiz

Anschrift:PD Dr. Anne EckertNeurobiologisches ForschungslaborPsychiatrische Universitätsklinik BaselWilhelm Klein-Strasse 27CH-4025 Basele-mail: [email protected]

E I N E AU S WA H L I N T E R E S SA N T E R I N T E R N E TA D R E S S E N Z U M T H E M A B LU T H O C H D R U C K U N DH E R Z- K R E I S L AU F- E R K R A N KU N G E N |www.paritaet.org/hochdruckliga Deutsche Liga zur Bekämpfung des hohen Blutdruckes e.V.;

Deutsche Hypertonie Gesellschaft.

www.uni-duesseldorf.de/www/awmf Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Fachgesell-schaften.Wissensbasierte Leitlinien für Diagnostik und Therapie.

www.uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF/ll/ihypto01.htm Arterielle Hypertonie.Leitlinien der Deutschen Hypertonie Gesellschaft.

www.who.int/ncd/cvd/ht_guide.html WHO: 1999 Guidelines for Management of Hypertension.

www.mco.edu/whl World Hypertension League.

www.hyp.ac.uk./bhs British Hypertension Society.

www.dgpr.de Deutsche Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation vonHerz- Kreislauferkrankungen e.V.

www.dgkardio.de Deutsche Gesellschaft für Kardiologie und Herz-Kreislauf-forschungNeben aktuellen Terminen finden Sie hier regelmäßig dieOnline-Ausgabe der CardioNews sowie ein Archiv von gültigenRichtlinien zum Download und allgemeine Informationen überdie Fachgesellschaft (Neue Leitlinien zur Therapie der Herz-insuffizienz !).

www.escardio.org/scinfo/guidelines.htm Leitlinien der European Society for Cardiology zu verschiedenenHerzerkrankungen, deren Diagnose und Therapie. (engl.)

www.paritaet.org/hochdruckliga/medmerk.htm Merkblatt der „Empfehlungen zur Hochdruckbehandlung“ aufden Seiten der Hochdruckliga. Von hieraus gelangt man auchzu einem Merkblatt „Empfehlungen zur Blutdruckmessung“.