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www.neues-deutschland.de Postvertriebsstück / Entgelt bezahlt Einzelpreise Ausland: Dänemark Mo-Fr 11,50 DKK/Sa 13,50 DKK; Österreich 1,60/1,80 EUR; Slowakei 1,70/1,90 EUR; Tschechien 61/66 CZK; Ungarn 470/550 Ft; Polen 6,60/7,00 PLN ISSN 0323-4940 65. Jahrgang/Nr. 93 Berlin-Ausgabe 1,40 Sozialistische Tageszeitung Donnerstag, 22. April 2010* * »Lenins« ungewisse Zukunft In Murmansk kann der erste Atomeisbre- cher der Welt, die 1959 in Dienst gestellte »Lenin«, besichtigt werden. Das letzte Wort über die Zukunft des Schiffes ist je- doch noch nicht gesprochen. Seite 2 Kundus – ist erledigt Zu Guttenberg hat die Kundus-Affäre überwunden – noch bevor er heute vor dem Untersuchungsausschuss aussagt. Aber nur, wenn die Abgeordneten ihn mal wieder davonkommen lassen. Seite 3 Literatur im ND Bundeswehr in Afghanistan. Zu reden ist nicht nur von Krieg, sondern von Angriffs- krieg, dem schlimmsten aller Kriegsver- brechen – eine Buchanklage. Außerdem: Ostdeutsche Krimis. Seiten 16 und 17 Standpunkt Optimismus ohne Substanz Von Martin Ling Als letztes stirbt der Optimismus. Offenbar orientiert sich die Welt- bank bei den Schlussfolgerungen aus ihrem Bericht »World De- velopment Indicators (WDI) 2010« an dieser bei den Armen im Süden verbreiteten zweckmäßigen Le- bensformel. Die Datenbank des WDI enthält mehr als 900 aktuelle statistische Daten zu Bereichen wie Bildung, Gesundheit, Armut, Umwelt, Wirtschaft und Handel. Und obwohl auch die Weltbank davon ausgeht, dass 2010 wegen der Weltwirtschaftskrise noch einmal 64 Millionen Menschen un- ter die absolute Armutsschwelle von 1,25 US-Dollar pro Kopf und Tag fallen werden, macht sie in re- lativen Optimismus: Das vor zehn Jahren gesteckte Ziel der UNO, die Zahl der in extremer Armut leben- den Menschen bis 2015 zu halbie- ren, könne voraussichtlich erreicht werden, meint Weltbank-Cheföko- nom Justin Lin. Eine reichlich gewagte Progno- se, die auf dem sich gerade voll- ziehenden Durchschreiten der weltwirtschaftlichen Talsohle be- ruht und auf dem Fortschreiben dieser Entwicklung bis 2015. Letz- teres ist freilich unwahrscheinlich, wo doch die versprochene globale Regulierung der Finanzmärkte bisher ebenso ausbleibt wie eine konzertierte Politik gegen die weltwirtschaftlichen Ungleichge- wichte – von einer fairen, neuen Weltwirtschaftsordnung ganz zu schweigen. Die Prognose der Welt- bank entbehrt wirtschaftswissen- schaftlicher Substanz. Unten links Feindliche Übernahme ist ein geläu- figer Begriff in der Wirtschaft. Man- che weiten ihn auf die Politik aus, nennen den Anschluss der DDR 1990 an die BRD eine solche. »Friendly Fi- re« gehört zum Wortschatz der Mili- tärs, beschreibt aber auch Gescheh- nisse innerhalb von Parteien. Die LINKE ist davon nicht ausgenommen, wie erst jüngst Querelen an der Spit- ze bezeugten. Die Bewerbungslage für den Parteivorstand sorgt für Überraschung. Von nunmehr 47 Be- werbern sind 79 Prozent Wessis. Was ist mit den Ossis los? Sind sie etwa der Partei überdrüssig? An der Urab- stimmung beteiligen sie sich eifriger als die Westelbier. Kern- und Stamm- land der LINKEN ist Ostdeutschland! Mag man auch eine feindliche Über- nahme, im sozialistischen Glauben, nicht befürchten: Ossis opfert euch! Ich bin bereit, wenn’s sein muss. Ha- be klassische DDR-Vita zu bieten (Pi- oniere, FDJ, SED, indes ohne Stasi- Vergangenheit) und bin weiblich mit Migrationshintergrund (geboren in Jakarta). Mir nach, Kanaillen! ves Kurz Europas Luftraum wieder offen Hamburg (dpa). Die Sperrung des europäischen Luftraums wegen der Aschewolke eines isländischen Vulkans ist am Mittwoch aufgeho- ben worden. Die Deutsche Flugsi- cherung erlaubte wieder flächen- deckend Luftverkehr nach Instru- mentenflugregeln. Die Lufthansa will bereits heute alle vorgesehe- nen 1800 Flüge anbieten. Seiten 5 und 20 Samaranch tot Barcelona (AFP). Der langjährige Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Juan An- tonio Samaranch, ist am Mittwoch 89-jährig in Barcelona in einem Krankenhaus gestorben. Seite 19 Frachter gekapert Manila (dpa). Somalische Piraten haben am Mittwoch wieder zuge- schlagen: Dieses Mal traf es einen in Panama registrierten Frachter aus Liberia mit 21 philippinischen Seeleuten an Bord, berichtete das Außenministerium in Manila. Anschlag auf Schule Bagdad/Bakuba (dpa). Vor einer Grundschule in der irakischen Provinzhauptstadt Bakuba ist am Mittwoch eine Autobombe explo- diert. Nach Angaben der Polizei starb eine Lehrerin. Fünf Schüler erlitten Verletzungen. Die Kanzlerin und der Krieg Von Jürgen Reents Die Bundeskanzlerin will am heutigen Donnerstag eine Regierungserklärung zum Krieg in Afghanistan abgeben. Die Regierung wolle deutlich machen, dass sie hinter den Soldaten der Bun- deswehr stehe, ließ Kanzleramtsmi- nister Ronald Pofalla vorab wissen. Deutschland ist im Krieg. Aber die Menschen in unserem Land sind nicht für den Krieg. Wir haben da nichts zu suchen, sagen sie; wir wollen nicht, dass weitere deutsche Soldaten getötet werden, und wir wollen auch nicht, dass deutsche Soldaten andere Menschen töten. Das ist für die Regierung ein Pro- blem. Sie will diese Stimmung än- dern. Sie will, dass die Bevölkerung mit »unseren Soldaten solidarisch« ist. Solidariät, das heißt für die Re- gierung, für den Krieg zu sein. Deutschland ist im Krieg, aber in einem, der nie als solcher erklärt wurde. Laut unserer Verfassung darf Deutschland überhaupt nie- mandem einen Krieg erklären. Das Grundgesetz kennt nur einen »Ver- teidigungsfall«, wenn unser Land »angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht«. Nie- mand hat Deutschland angegriffen, obwohl der damalige Verteidi- gungsminister Peter Struck bei Be- ginn des »Afghanistan-Einsatzes« die Formulierung bemühte, unsere Sicherheit werde »am Hindukusch verteidigt«. Wenn der Krieg in Af- ghanistan ein »Verteidigungsfall« der Bundesrepublik wäre, müsste der Bundestag diesen mit Zweidrit- telmehrheit feststellen. Die Be- fehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte ginge an die Bun- deskanzlerin über. Sie hat sie nicht, will sie aber heute an der Heimatfront im Bundestag aus- üben. Deutschland ist im Krieg, aber seine politische Führung hat acht Jahre gebraucht, das einzuräu- men. Als der Fraktionsvorsitzende der damaligen PDS, Roland Claus, 2001 beim ersten Soldatenversand nach Afghanistan an Gerhard Schröder gerichtet sagte: »Sie sind der erste Bundeskanzler, der diese Vertrauensfrage und damit sein Schicksal mit einer Zustimmung zu Kriegseinsätzen verbindet«, da rie- fen Koalitionäre erbost dazwi- schen: »›Kriegseinsätze‹! Hören Sie auf damit!« und »Deutschland be- teiligt sich nicht am Krieg!« So ging es Jahre weiter, wann immer über Afghanistan geredet wurde. Der Krieg wurde dementiert. Diejeni- gen, die die Soldaten schickten, wollten ja keinen Krieg, nur Frie- denssicherung und Aufbau. Da sie nun nicht mehr bestreiten können, dass sie die Sol- daten in etwas geschickt haben, das man »um- gangssprachlich Krieg« nennt, passiert etwas zusätzlich Unge- heuerliches: Sie drehen ihr De- menti um 180 Grad und rechtfertigen den Krieg. Was sie zuvor als Lüge bezeichne- ten, ist ihnen nun so etwas wie Wehrkraftzersetzung. Deutschland ist im Krieg. Und je deutlicher wird, dass die Bevölke- rung diesen Krieg ablehnt, desto mehr mühen sich einige Medien, ihr seinen vermeintlichen Sinn zu erklären. Der »Spiegel« meint: »Es wäre Merkels Aufgabe gewesen, diesen Krieg eher in die Gesell- schaft zu integrieren.« Und er meint auch, weitere Kämpfe seien »notwendig, um den Norden zu stabilisieren«. Als die Bundeswehr Ende 2001 vom Bundestag in den Norden Afghanistans geschickt wurde, hieß es, sie gehe dorthin, weil diese Region relativ stabil sei. Beim ersten Entsendebeschluss im Bundestag sagte der damalige Ver- teidigungsminister Peter Struck: »Ich bin fast sicher, dass die Bun- deswehr dort nur noch gebraucht wird, um mitzuhelfen, die humani- täre Versorgung zu organisieren.« Nun soll sie gebraucht werden, um zu töten und sich töten zu lassen. Deutschland ist im Krieg. Und es stellt sich nach fast achteinhalb Jahren die Frage, warum Frieden und Stabilität in Afghanistan nicht gefestigt werden konnten, sondern der Krieg schlimmer geworden ist. Als der UN-Sicherheitsrat Mitte Dezember 2001 Großbritannien das Mandat übertrug, eine Interna- tionale Sicherheitsunterstützungs- truppe (ISAF) aufzubauen, »um die afghanische Übergangsregierung beim Erhalt der Sicherheit in Kabul und den benachbarten Regionen zu unterstüt- zen« (Resoluti- on 1386), war das Taliban-Re- gime bereits be- seitigt: US- Truppen hatten zuvor alle Tali- ban-Hochbur- gen eingenom- men. Es wurde eifrig behauptet, dass nur ein Rest der vormaligen Herrscher ins Ge- birge flüchten konnte, ebenso nur wenige Al-Qaida-Kämpfer – wenn- gleich mit ihrem Chef Osama bin Laden, von dem heute niemand mehr redet und nach dem niemand mehr sucht. Vor Afghanistan eröff- ne sich endlich eine unbedrängte Zukunft wenngleich die US- Truppen nicht ins Land gekommen waren, um die afghanischen Frau- en zu befreien, dann hätten sie dies schon viele Jahre vorher und auch anderswo getan, sondern um Ver- geltung zu üben für die Terroran- schläge in New York und Washing- ton, deren Drahtzieher sie in Af- ghanistan beherbergt sahen. Es war wohl dieses »wenn- gleich«, das viele Menschen in Af- ghanistan sehr schnell bemerkten, als die Befreier als Besatzer auftra- ten, Demokratie und Unabhängig- keit versprachen, ihnen aber einen Statthalter vorsetzten, bei ihrer Jagd auf Terroristen allerlei »Kol- lateralschäden« anrichteten, sogar Hochzeitsgesellschaften bombar- dierten, was sie regelmäßig zu- nächst bestritten. Vielleicht miss- trauten zunehmend mehr Men- schen auch dem Umstand, dass die Mandatsmächte USA und Großbri- tannien sich eine Gehilfentruppe zusammenstellten, die sie – so der heutige Stand – zu 97 Prozent aus der NATO rekrutierten, diesem gewaltigen Militärbündnis, das die reiche westliche Welt zu schützen weiß, dass sie reich bleibt und Är- mere ihr dabei nicht in die Quere kommen. Die NATO ist für die af- ghanische Gesellschaft nicht die Friedensbewegung, als die sie sich gerne tituliert. Sie ist der Restwert eines Kalten Krieges, der an den Rändern des euro-amerikanischen Kulturraums schon immer heißer glühte. Sie hat sich selbst neue Feinde gemacht. Deutschland ist im Krieg, und seine Regierung behauptet, dieser müsse zu Ende geführt werden, um die Terroristen auszuschalten, die Deutschland bedrohen. Die Welt ist in den letzten Jahren wieder an et- lichen Erfindungsreichtum ge- wöhnt worden, wenn es um die Le- gitimation von militärischen Inter- ventionen ging, manches davon be- trog und blamierte sogar die UNO. Aber es soll die Echtheit der Vi- deos, in denen Terroranschläge auch in Deutschland angedroht werden, nicht ohne gegenteiliges Indiz bezweifelt werden, denn ihre Echtheit ist plausibel. Sie sind ein Ausfluss brutal entfesselter Kriegs- logik: Wenn ihr bei uns Krieg führt, dann führen wir auch bei euch Krieg. Man kann auch beides nicht wollen, nicht nur das eine nicht. Die Bundeskanzlerin will, so heißt es, sich heute auch den Zwei- feln an diesem Krieg zuwenden und sie zu zerstreuen versuchen. So wie man Sand in Augen streut? Bundeskanzlerin Angela Merkel im April 2009 auf Truppenbesuch in Kundus Foto: dpa McChrystal lobt die Bundeswehr Afghanistanabzug der USA ab 2011 bestätigt Berlin (ND-Heilig). Der Oberbe- fehlshaber der NATO-Truppen in Afghanistan, Stanley McChrystal, hat sich lobend über den deut- schen Einsatz geäußert. »Deutsch- land bleibt ein entscheidender Partner«, sagte der US-General nach seinem Gespräch mit Vertei- digungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) am Mittwoch in Berlin. Auch vor dem außen- und vor dem verteidigungspolitischen Ausschuss des Bundestages hob er »den Einsatz und den Mut« der deutschen Soldaten hervor. Auf Fragen zu Ausrüstungsmängeln der Bundeswehr, die in Deutsch- land diskutiert werden, reagierte der Oberbefehlshaber nach Aussa- gen von Gesprächsteilnehmern zu- rückhaltend. Solche vermag er nicht zu erkennen, wichtig sei, dass die Truppen flexibel sind. Der ISAF-Chef bestätigte, dass derzeit rund 5000 US-Soldaten in den Norden verlegt werden, beton- te jedoch, dass sich an der deut- schen Verantwortung für dieses Gebiet nichts ändert. McChrystal unterstrich die Notwendigkeit von Friedensgesprächen und zeigte sich zuversichtlich, dass die USA im Sommer 2010 mit dem Abzug eigener Soldaten beginnen wer- den. Dass es im ersten Quartal die- ses Jahres – trotz der veränderten NATO-Strategie – mehr zivile Opfer gegeben hat als im selben Zeit- raum 2009, sei logisch. Schließlich würden die Kämpfe intensiver denn je geführt. Acht Jahre lang haben sie den Krieg dementiert. Nun drehen sie ihr Dementi um 180 Grad und rechtfertigen den Krieg.

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www.neues-deutschland.de

Postvertriebsstück / Entgelt bezahlt

Einzelpreise Ausland:

Dänemark Mo-Fr 11,50 DKK/Sa 13,50 DKK;

Österreich 1,60/1,80 EUR;

Slowakei 1,70/1,90 EUR;

Tschechien 61/66 CZK; Ungarn 470/550 Ft;

Polen 6,60/7,00 PLN ISSN 0323-4940

65. Jahrgang/Nr. 93 ● Berlin-Ausgabe ● 1,40 € Sozialistische Tageszeitung Donnerstag, 22. April 2010*

*

»Lenins« ungewisse ZukunftIn Murmansk kann der erste Atomeisbre-

cher der Welt, die 1959 in Dienst gestellte

»Lenin«, besichtigt werden. Das letzte

Wort über die Zukunft des Schiffes ist je-

doch noch nicht gesprochen. Seite 2

Kundus – ist erledigtZu Guttenberg hat die Kundus-Affäre

überwunden – noch bevor er heute vor

dem Untersuchungsausschuss aussagt.

Aber nur, wenn die Abgeordneten ihn mal

wieder davonkommen lassen. Seite 3

Literatur im NDBundeswehr in Afghanistan. Zu reden ist

nicht nur von Krieg, sondern von Angriffs-

krieg, dem schlimmsten aller Kriegsver-

brechen – eine Buchanklage. Außerdem:

Ostdeutsche Krimis. Seiten 16 und 17

Standpunkt

Optimismusohne Substanz

Von Martin Ling

Als letztes stirbt der Optimismus.Offenbar orientiert sich die Welt-bank bei den Schlussfolgerungenaus ihrem Bericht »World De-velopment Indicators (WDI) 2010«an dieser bei den Armen im Südenverbreiteten zweckmäßigen Le-bensformel. Die Datenbank desWDI enthält mehr als 900 aktuellestatistische Daten zu Bereichenwie Bildung, Gesundheit, Armut,Umwelt, Wirtschaft und Handel.Und obwohl auch die Weltbankdavon ausgeht, dass 2010 wegender Weltwirtschaftskrise nocheinmal 64 Millionen Menschen un-ter die absolute Armutsschwellevon 1,25 US-Dollar pro Kopf undTag fallen werden, macht sie in re-lativen Optimismus: Das vor zehnJahren gesteckte Ziel der UNO, dieZahl der in extremer Armut leben-den Menschen bis 2015 zu halbie-ren, könne voraussichtlich erreichtwerden, meint Weltbank-Cheföko-nom Justin Lin.

Eine reichlich gewagte Progno-se, die auf dem sich gerade voll-ziehenden Durchschreiten derweltwirtschaftlichen Talsohle be-ruht und auf dem Fortschreibendieser Entwicklung bis 2015. Letz-teres ist freilich unwahrscheinlich,wo doch die versprochene globaleRegulierung der Finanzmärktebisher ebenso ausbleibt wie einekonzertierte Politik gegen dieweltwirtschaftlichen Ungleichge-wichte – von einer fairen, neuenWeltwirtschaftsordnung ganz zuschweigen. Die Prognose der Welt-bank entbehrt wirtschaftswissen-schaftlicher Substanz.

Unten links

Feindliche Übernahme ist ein geläu-figer Begriff in der Wirtschaft. Man-che weiten ihn auf die Politik aus,nennen den Anschluss der DDR 1990an die BRD eine solche. »Friendly Fi-re« gehört zum Wortschatz der Mili-tärs, beschreibt aber auch Gescheh-nisse innerhalb von Parteien. DieLINKE ist davon nicht ausgenommen,wie erst jüngst Querelen an der Spit-ze bezeugten. Die Bewerbungslagefür den Parteivorstand sorgt fürÜberraschung. Von nunmehr 47 Be-werbern sind 79 Prozent Wessis. Wasist mit den Ossis los? Sind sie etwader Partei überdrüssig? An der Urab-stimmung beteiligen sie sich eifrigerals die Westelbier. Kern- und Stamm-land der LINKEN ist Ostdeutschland!Mag man auch eine feindliche Über-nahme, im sozialistischen Glauben,nicht befürchten: Ossis opfert euch!Ich bin bereit, wenn’s sein muss. Ha-be klassische DDR-Vita zu bieten (Pi-oniere, FDJ, SED, indes ohne Stasi-Vergangenheit) und bin weiblich mitMigrationshintergrund (geboren inJakarta). Mir nach, Kanaillen! ves

Kurz

Europas Luftraumwieder offen

Hamburg (dpa). Die Sperrung deseuropäischen Luftraums wegender Aschewolke eines isländischenVulkans ist am Mittwoch aufgeho-ben worden. Die Deutsche Flugsi-cherung erlaubte wieder flächen-deckend Luftverkehr nach Instru-mentenflugregeln. Die Lufthansawill bereits heute alle vorgesehe-nen 1800 Flüge anbieten.

Seiten 5 und 20

Samaranch tot

Barcelona (AFP). Der langjährigePräsident des InternationalenOlympischen Komitees, Juan An-tonio Samaranch, ist am Mittwoch89-jährig in Barcelona in einemKrankenhaus gestorben. Seite 19

Frachter gekapert

Manila (dpa). Somalische Piratenhaben am Mittwoch wieder zuge-schlagen: Dieses Mal traf es einenin Panama registrierten Frachteraus Liberia mit 21 philippinischenSeeleuten an Bord, berichtete dasAußenministerium in Manila.

Anschlag auf Schule

Bagdad/Bakuba (dpa). Vor einerGrundschule in der irakischenProvinzhauptstadt Bakuba ist amMittwoch eine Autobombe explo-diert. Nach Angaben der Polizeistarb eine Lehrerin. Fünf Schülererlitten Verletzungen.

Die Kanzlerin und der Krieg

Von Jürgen Reents

Die Bundeskanzlerin will am heutigen

Donnerstag eine Regierungserklärung

zum Krieg in Afghanistan abgeben.

Die Regierung wolle deutlich machen,

dass sie hinter den Soldaten der Bun-

deswehr stehe, ließ Kanzleramtsmi-

nister Ronald Pofalla vorab wissen.

Deutschland ist im Krieg. Aber dieMenschen in unserem Land sindnicht für den Krieg. Wir haben danichts zu suchen, sagen sie; wirwollen nicht, dass weitere deutscheSoldaten getötet werden, und wirwollen auch nicht, dass deutscheSoldaten andere Menschen töten.Das ist für die Regierung ein Pro-blem. Sie will diese Stimmung än-dern. Sie will, dass die Bevölkerungmit »unseren Soldaten solidarisch«ist. Solidariät, das heißt für die Re-gierung, für den Krieg zu sein.

Deutschland ist im Krieg, aber ineinem, der nie als solcher erklärtwurde. Laut unserer Verfassungdarf Deutschland überhaupt nie-mandem einen Krieg erklären. DasGrundgesetz kennt nur einen »Ver-teidigungsfall«, wenn unser Land»angegriffen wird oder ein solcherAngriff unmittelbar droht«. Nie-mand hat Deutschland angegriffen,obwohl der damalige Verteidi-gungsminister Peter Struck bei Be-ginn des »Afghanistan-Einsatzes«die Formulierung bemühte, unsereSicherheit werde »am Hindukuschverteidigt«. Wenn der Krieg in Af-ghanistan ein »Verteidigungsfall«der Bundesrepublik wäre, müssteder Bundestag diesen mit Zweidrit-telmehrheit feststellen. Die Be-fehls- und Kommandogewalt überdie Streitkräfte ginge an die Bun-deskanzlerin über. Sie hat sienicht, will sie aber heute an derHeimatfront im Bundestag aus-üben.

Deutschland ist im Krieg, aberseine politische Führung hat achtJahre gebraucht, das einzuräu-men. Als der Fraktionsvorsitzende

der damaligen PDS, Roland Claus,2001 beim ersten Soldatenversandnach Afghanistan an GerhardSchröder gerichtet sagte: »Sie sindder erste Bundeskanzler, der dieseVertrauensfrage und damit seinSchicksal mit einer Zustimmung zuKriegseinsätzen verbindet«, da rie-fen Koalitionäre erbost dazwi-schen: »›Kriegseinsätze‹! Hören Sieauf damit!« und »Deutschland be-teiligt sich nicht am Krieg!« So ginges Jahre weiter, wann immer überAfghanistan geredet wurde. DerKrieg wurde dementiert. Diejeni-gen, die die Soldaten schickten,wollten ja keinen Krieg, nur Frie-denssicherung und Aufbau. Da sienun nicht mehr bestreiten können,dass sie die Sol-daten in etwasgeschickt haben,das man »um-gangssprachlichKrieg« nennt,passiert etwaszusätzlich Unge-heuerliches: Siedrehen ihr De-menti um 180Grad und rechtfertigen den Krieg.Was sie zuvor als Lüge bezeichne-ten, ist ihnen nun so etwas wieWehrkraftzersetzung.

Deutschland ist im Krieg. Und jedeutlicher wird, dass die Bevölke-rung diesen Krieg ablehnt, destomehr mühen sich einige Medien,ihr seinen vermeintlichen Sinn zuerklären. Der »Spiegel« meint: »Eswäre Merkels Aufgabe gewesen,diesen Krieg eher in die Gesell-schaft zu integrieren.« Und ermeint auch, weitere Kämpfe seien»notwendig, um den Norden zustabilisieren«. Als die BundeswehrEnde 2001 vom Bundestag in denNorden Afghanistans geschicktwurde, hieß es, sie gehe dorthin,weil diese Region relativ stabil sei.Beim ersten Entsendebeschluss imBundestag sagte der damalige Ver-teidigungsminister Peter Struck:»Ich bin fast sicher, dass die Bun-

deswehr dort nur noch gebrauchtwird, um mitzuhelfen, die humani-täre Versorgung zu organisieren.«Nun soll sie gebraucht werden, umzu töten und sich töten zu lassen.

Deutschland ist im Krieg. Und esstellt sich nach fast achteinhalbJahren die Frage, warum Friedenund Stabilität in Afghanistan nichtgefestigt werden konnten, sondernder Krieg schlimmer geworden ist.Als der UN-Sicherheitsrat MitteDezember 2001 Großbritanniendas Mandat übertrug, eine Interna-tionale Sicherheitsunterstützungs-truppe (ISAF) aufzubauen, »um dieafghanische Übergangsregierungbeim Erhalt der Sicherheit in Kabulund den benachbarten Regionen

zu unterstüt-zen« (Resoluti-on 1386), wardas Taliban-Re-gime bereits be-seitigt: US-Truppen hattenzuvor alle Tali-ban-Hochbur-gen eingenom-men. Es wurde

eifrig behauptet, dass nur ein Restder vormaligen Herrscher ins Ge-birge flüchten konnte, ebenso nurwenige Al-Qaida-Kämpfer – wenn-gleich mit ihrem Chef Osama binLaden, von dem heute niemandmehr redet und nach dem niemandmehr sucht. Vor Afghanistan eröff-ne sich endlich eine unbedrängteZukunft – wenngleich die US-Truppen nicht ins Land gekommenwaren, um die afghanischen Frau-en zu befreien, dann hätten sie diesschon viele Jahre vorher und auchanderswo getan, sondern um Ver-geltung zu üben für die Terroran-schläge in New York und Washing-ton, deren Drahtzieher sie in Af-ghanistan beherbergt sahen.

Es war wohl dieses »wenn-gleich«, das viele Menschen in Af-ghanistan sehr schnell bemerkten,als die Befreier als Besatzer auftra-ten, Demokratie und Unabhängig-

keit versprachen, ihnen aber einenStatthalter vorsetzten, bei ihrerJagd auf Terroristen allerlei »Kol-lateralschäden« anrichteten, sogarHochzeitsgesellschaften bombar-dierten, was sie regelmäßig zu-nächst bestritten. Vielleicht miss-trauten zunehmend mehr Men-schen auch dem Umstand, dass dieMandatsmächte USA und Großbri-tannien sich eine Gehilfentruppezusammenstellten, die sie – so derheutige Stand – zu 97 Prozent ausder NATO rekrutierten, diesemgewaltigen Militärbündnis, das diereiche westliche Welt zu schützenweiß, dass sie reich bleibt und Är-mere ihr dabei nicht in die Querekommen. Die NATO ist für die af-ghanische Gesellschaft nicht dieFriedensbewegung, als die sie sichgerne tituliert. Sie ist der Restwerteines Kalten Krieges, der an denRändern des euro-amerikanischenKulturraums schon immer heißerglühte. Sie hat sich selbst neueFeinde gemacht.

Deutschland ist im Krieg, undseine Regierung behauptet, diesermüsse zu Ende geführt werden, umdie Terroristen auszuschalten, dieDeutschland bedrohen. Die Welt istin den letzten Jahren wieder an et-lichen Erfindungsreichtum ge-wöhnt worden, wenn es um die Le-gitimation von militärischen Inter-ventionen ging, manches davon be-trog und blamierte sogar die UNO.Aber es soll die Echtheit der Vi-deos, in denen Terroranschlägeauch in Deutschland angedrohtwerden, nicht ohne gegenteiligesIndiz bezweifelt werden, denn ihreEchtheit ist plausibel. Sie sind einAusfluss brutal entfesselter Kriegs-logik: Wenn ihr bei uns Krieg führt,dann führen wir auch bei euchKrieg. Man kann auch beides nichtwollen, nicht nur das eine nicht.

Die Bundeskanzlerin will, soheißt es, sich heute auch den Zwei-feln an diesem Krieg zuwendenund sie zu zerstreuen versuchen.So wie man Sand in Augen streut?

Bundeskanzlerin Angela Merkel im April 2009 auf Truppenbesuch in Kundus Foto: dpa

McChrystallobt dieBundeswehrAfghanistanabzug derUSA ab 2011 bestätigt

Berlin (ND-Heilig). Der Oberbe-fehlshaber der NATO-Truppen inAfghanistan, Stanley McChrystal,hat sich lobend über den deut-schen Einsatz geäußert. »Deutsch-land bleibt ein entscheidenderPartner«, sagte der US-Generalnach seinem Gespräch mit Vertei-digungsminister Karl-Theodor zuGuttenberg (CSU) am Mittwoch inBerlin. Auch vor dem außen- undvor dem verteidigungspolitischenAusschuss des Bundestages hob er»den Einsatz und den Mut« derdeutschen Soldaten hervor. AufFragen zu Ausrüstungsmängelnder Bundeswehr, die in Deutsch-land diskutiert werden, reagierteder Oberbefehlshaber nach Aussa-gen von Gesprächsteilnehmern zu-rückhaltend. Solche vermag ernicht zu erkennen, wichtig sei,dass die Truppen flexibel sind.

Der ISAF-Chef bestätigte, dassderzeit rund 5000 US-Soldaten inden Norden verlegt werden, beton-te jedoch, dass sich an der deut-schen Verantwortung für diesesGebiet nichts ändert. McChrystalunterstrich die Notwendigkeit vonFriedensgesprächen und zeigtesich zuversichtlich, dass die USAim Sommer 2010 mit dem Abzugeigener Soldaten beginnen wer-den. Dass es im ersten Quartal die-ses Jahres – trotz der verändertenNATO-Strategie – mehr zivile Opfergegeben hat als im selben Zeit-raum 2009, sei logisch. Schließlichwürden die Kämpfe intensiverdenn je geführt.

Acht Jahre lang haben sieden Krieg dementiert.

Nun drehen sie ihr Dementium 180 Grad und

rechtfertigen den Krieg.