sprachwissenschaft ommunikation im lter altern ......altern einhergehen. in-dem die veränderungen,...

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D er demografische Wandel in den entwickelten Gesellschaften und die Tatsache, dass er immer stär- ker ins Bewusstsein rückt, haben dazu ge- führt, dass in vielen Wissenschaftsdiszi- plinen alte Menschen verstärkt zum Gegenstand von Untersuchungen ge- worden sind, ja dass neue Forschungs- und Lehrgebiete wie die Gerontologie und Geriatrie entstanden sind. Dabei wird der alte Mensch in vielfältiger Weise konzeptualisiert und untersucht. Eine zentrale Konzeptualisierung ist, dass das Alter hochdifferenziert ist und dass der Alterungsprozess sehr unter- schiedlich verlaufen kann. Aus der Per- spektive der Wissenschaften wird der al- te Mensch dabei fraktioniert gesehen und untersucht als: @ ein mit vielfältigen Kompetenzen ausgestattetes Wesen, @ ein vielfältig tätiges Wesen, @ ein konsumierendes Wesen, @ ein wohnendes Wesen, @ ein krankes, oft multimorbides Wesen, @ ein zu pflegendes Wesen etc. Bei aller Vielfalt der Aspekte, mit denen der alte Mensch schon zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen wird, muss allerdings konstatiert werden, dass er dort als interagierendes, sprechendes und kommunizierendes Wesen bisher kaum vorkommt. Als wesentliches De- fizit der Psychologie, Soziologie, Ge- rontologie, Geriatrie und nicht zuletzt auch der (deutschsprachigen) Sprach- wissenschaft muss festgehalten werden, dass diese Disziplinen den alten Men- schen nicht als kommunizierendes We- sen sehen und untersuchen. Dies ist umso erstaunlicher, weil es schon für das Alltagsverständnis deut- lich ist, dass die Kommunikation alter Menschen auffällige Besonderheiten be- sitzt, die der wissenschaftlichen Beschrei- bung wert sind, und es ist umso bedenk- licher, weil Kommunikation für alte Menschen von hoher Relevanz ist: Die gemeinschaftliche kommunikative Be- und Verarbeitung der mit dem Altern einhergehenden Veränderungen ist eine wesentliche Voraussetzung für gelingen- des Altern. Sprechen im Alter Welches sind nun die wesentlichen As- pekte, die in Hinblick auf die Kommu- nikation im Alter untersucht werden können und sollen? Sie lassen sich auf die folgende Formel bringen: Mit wem spre- chen alte Menschen wie worüber und zu welchen Zwecken? Altern und Identitätsarbeit Reinhard Fiehler, Mannheim Die vielfältigen Aspekte des Alterns sind und werden – zunehmend häufiger – von verschiedenen Disziplinen untersucht. Der alte Mensch als sprechender Mensch hingegen hat bisher kaum Interesse geweckt. Der Artikel widmet sich der Frage: Mit wem sprechen alte Menschen wie worüber und zu welchen Zwecken? GERIATRIE JOURNAL 1/09 23 S PRACHWISSENSCHAFT : K OMMUNIKATION IM A LTER Foto: Bruce Parrott – Fotolia.com Zu den neuen Identitäts- aspekten gehört vor allem die stärkere Partner- und Personen- orientierung.

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  • Der demografische Wandel in denentwickelten Gesellschaften unddie Tatsache, dass er immer stär-ker ins Bewusstsein rückt, haben dazu ge-führt, dass in vielen Wissenschaftsdiszi-plinen alte Menschen verstärkt zumGegenstand von Untersuchungen ge-worden sind, ja dass neue Forschungs-und Lehrgebiete wie die Gerontologieund Geriatrie entstanden sind. Dabeiwird der alte Mensch in vielfältiger Weisekonzeptualisiert und untersucht.

    Eine zentrale Konzeptualisierung ist,dass das Alter hochdifferenziert ist unddass der Alterungsprozess sehr unter-schiedlich verlaufen kann. Aus der Per-spektive der Wissenschaften wird der al-te Mensch dabei fraktioniert gesehenund untersucht als:

    @ ein mit vielfältigen Kompetenzenausgestattetes Wesen,

    @ ein vielfältig tätiges Wesen,@ ein konsumierendes Wesen,@ ein wohnendes Wesen,@ ein krankes, oft multimorbides

    Wesen,@ ein zu pflegendes Wesen etc.Bei aller Vielfalt der Aspekte, mit denender alte Mensch schon zum Gegenstandwissenschaftlicher Untersuchungen wird,muss allerdings konstatiert werden, dasser dort als interagierendes, sprechendesund kommunizierendes Wesen bisherkaum vorkommt. Als wesentliches De-fizit der Psychologie, Soziologie, Ge-rontologie, Geriatrie und nicht zuletztauch der (deutschsprachigen) Sprach-wissenschaft muss festgehalten werden,

    dass diese Disziplinen den alten Men-schen nicht als kommunizierendes We-sen sehen und untersuchen.

    Dies ist umso erstaunlicher, weil esschon für das Alltagsverständnis deut-lich ist, dass die Kommunikation alterMenschen auffällige Besonderheiten be-sitzt, die der wissenschaftlichen Beschrei-bung wert sind, und es ist umso bedenk-licher, weil Kommunikation für alteMenschen von hoher Relevanz ist: Diegemeinschaftliche kommunikative Be-und Verarbeitung der mit dem Alterneinhergehenden Veränderungen ist einewesentliche Voraussetzung für gelingen-des Altern.

    Sprechen im Alter

    Welches sind nun die wesentlichen As-pekte, die in Hinblick auf die Kommu-nikation im Alter untersucht werdenkönnen und sollen? Sie lassen sich auf diefolgende Formel bringen: Mit wem spre-chen alte Menschen wie worüber undzu welchen Zwecken?

    Altern und IdentitätsarbeitReinhard Fiehler, Mannheim

    Die vielfältigen Aspekte des Alterns sind und werden – zunehmend häufiger – von verschiedenen Disziplinen untersucht. Der alte Menschals sprechender Mensch hingegen hat bisher kaum Interesse geweckt.Der Artikel widmet sich der Frage: Mit wem sprechen alte Menschen wie worüber und zu welchen Zwecken?

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    Zu den neuenIdentitäts-aspekten gehört vorallem die stärkere Partner- undPersonen-orientierung.

  • Mit wem? Es gibt keine empirischenUntersuchungen darüber, mit wem alteMenschen wie häufig und wie lange imRahmen welcher Gesprächsformenkommunizieren. D.h. der „kommuni-kative Haushalt“ [7] alter Menschen, denzu erforschen eine empirische Aufgabe ist,ist weitgehend unbekannt. Eine Sekun-däranalyse von Zeitbudgetstudien kannhier nur Annäherungswerte liefern [4].So ist auch nicht bekannt, wie sich diekommunikativen Kontakte auf anderealte Menschen, auf Personen der mittle-ren Generation und auf die Jugend ver-teilen, zu welchen Anteilen sie im Fami-lienrahmen bzw. mit anderen Personenerfolgen.

    Ebenso wären die Unterschiede in denkommunikativen Kontakten zu be-schreiben, die zwischen den Phasen desrüstigen (junge Alte) und des gebrech-lichen Alters (alte Alte) bestehen. Diekommunikativen Kontakte werden da-bei zunehmend durchphysische und psychi-sche Beeinträchtigun-gen erschwert. Zu die-sen Beeinträchtigungengehören – mit jeweilsspezifischen kommu-nikativen Auswirkun-gen – Bewegungsein-schränkungen, Schwer-hörigkeit, Sehbehinderungen undBlindheit, Depressivität, Aphasien undDemenz [vgl. 8, 9]. Das kommunikati-ve Spektrum verengt sich dabei zuneh-mend auf Pflegekommunikation.

    Wie? Soweit es sprachwissenschaftlicheUntersuchungen zur Kommunikationim Alter gibt, beziehen sie sich haupt-sächlich auf diesen Punkt [vgl. 10]. Da-bei wird herausgearbeitet, wie sich dasSprechen und Kommunizieren mit demAlter verändern, d.h. welche quantitati-ven oder qualitativen Besonderheiten aufden verschiedenen sprachlichen Ebenenfür das Alter kennzeichnend sind (agemarker). Altersspezifische Sprache undKommunikation wird dabei in Form ei-ner Liste von Merkmalen operationali-siert. Die Merkmale reichen von Unter-schieden in der syntaktischen Komple-xität über eine spezifische Lexik bis hin

    zur oft festgestellten Redundanz undWeitschweifigkeit.

    Worüber? Hier stellt sich die Fragenach altersspezifischen Themen und Ge-sprächsgegenständen. Es ist deutlich,dass die Kommunikation alter Men-schen häufig einen verstärkten Vergan-genheitsbezug aufweist(wie es früher war und washeute anders ist) und dassGebrechen und Krank-heiten ein häufiges The-ma sind. Gesprächsgegen-stand sind aber auch in ei-nem erheblichen Ausmaß typischeErfahrungen und Veränderungen, diemit dem Älterwerden eintreten.

    Zu welchen Zwecken? Kommunika-tion dient auch im Alter zunächst der all-tagspraktischen Organisation des Lebens.Eine spezifische Funktion darüber hin-

    aus ist die kommunikati-ve Be- und Verarbeitungdes Alterns, d.h. das The-matisieren und Bespre-chen der Erfahrungen,die gemacht wurden, undder Veränderungen impersönlichen und sozia-len Bereich, die mit demAltern einhergehen. In-

    dem die Veränderungen, die gegenüberder Lebensmitte konstatiert werden,kommunikativ bearbeitet werden, wirdzugleich Identitätsarbeit und die Aus-bildung einer eigenständigen Alters-identität geleistet.

    Wie untersuchen? Für die Untersu-chung der Kommunikation im Alter er-scheint mir die Methodik der Ge-sprächsforschung in besonderer Weisegeeignet. Empirische Grundlage der Ge-sprächsanalyse sind Korpora von Auf-zeichnungen authentischer Gesprächeaus der freien kommunikativen „Wild-bahn“. Diese Gespräche werden ver-schriftlicht (transkribiert) und dann un-ter den jeweils interessierenden Frage-stellungen (Vorkommen altersspezifischeMerkmale, Verfahren und Formen derIdentitätsarbeit etc.) analysiert. DieUntersuchung des kommunikativen

    Haushalts alter Menschen erfordert an-dere sozialwissenschaftliche Methoden.

    Identitätsarbeit

    Grundlegend für die folgenden Aus-führungen ist die Auffassung, dass dieErscheinungsform von Alterskommu-

    nikation nicht in ersterLinie biologisch be-stimmt ist, sondernvielmehr aus der Ver-arbeitung lebensge-schichtlicher Verände-rungen und Erfahrun-

    gen und der Bearbeitung spezifischersozialer Anforderungen und Aufgabenresultiert. Solche Veränderungen undErfahrungen sind z.B. das Ende der Be-rufstätigkeit, der Dominanzverlust imZuge der Generationsablösung, die zu-nehmenden körperlichen und menta-len Beeinträchtigungen oder die alters-stereotype Behandlung durch Jüngere.Diese und andere Veränderungen derLebenssituation und die Erfahrungen,die beim Durchleben dieser Verände-rungen gemacht werden, wirken sich inspezifischer Weise auf das sprachlich-kommunikative Verhalten der betref-fenden Personen aus.

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    Die Kommu-nikation alter

    Menschenweist häufig

    einen verstärk-ten Vergangen-

    heitsbezug auf.

    Die kommunikative Be- und Verarbeitungder Veränderungen imAlter ist eine wesent-liche Voraussetzung

    für gelingendes Altern

    Das kommunikativeSpektrum verengt sich

    zunehmend aufPflegekommunikation

  • Indem ältere Menschen diese Verän-derungen kommunikativ be- und verar-beiten, sind sie – nicht unbedingt in-tentional – zugleich noch mit einerweiterreichenderen und umfassenderenAufgabe befasst, der Ausbildung von Al-tersidentität. Weite Strecken der Ge-spräche, die alte Menschen untereinan-der oder mit jüngeren führen, lassen sichals – häufig impliziter – Identitätsdis-kurs interpretieren, in dem es um dieAusarbeitung von Aspekten der Alters-identität geht. Die Ausbildung von Iden-tität ist ein kontinuierlicher Prozess: „DerIdentitätsprozess ist, so sehen es die meis-ten neueren Ansätze der Identitätsfor-schung, nicht nur ein Mittel, um am En-de der Adoleszenz ein bestimmtes Plate-au einer gesicherten Identität zuerreichen, sondern der Motor lebens-langer Entwicklung“ [6].

    Die Ausbildung von Identität ist dar-über hinaus ganz wesentlich ein inter-aktiver Prozess: „Identität ist nicht etwasVorgegebenes, Fixes und Unveränderli-ches, sondern eine „emergent construc-tion“, das Ergebnis eines rhetorischenProduktions- und Interpretationspro-zesses […], und wird im Gespräch durchdie Beteiligten gemeinsam konstituiert[…]“ [2].

    Die gemeinschaftliche Konstitutionund Prozessierung von Identität ist Be-standteil jedweder Interaktion, sie kanndabei allerdings unterschiedlich stark imVordergrund stehen bzw. thematisch sein.Die wechselseitige Ausbildung von Iden-tität in der Interaktion umfasst für jedender Beteiligten drei systematisch aufein-ander bezogene Teilaufgaben:1. Selbstpräsentation,2. Stellungnahme zur Selbstpräsentation

    der anderen Person und3. Reaktion auf die Stellungnahme der

    anderen Person zur eigenen Selbst-präsentation.

    Jeder Beitrag zur Interaktion enthält As-pekte der Selbstpräsentation. Zugleichnimmt man mit jedem Beitrag – wie in-direkt auch immer –bewertend Stellung zurSelbstpräsentation deranderen Interaktions-partner. In Reaktionauf die Art der Stel-lungnahme der ande-ren Person zur eigenenSelbstpräsentation erfolgt dann eine Be-kräftigung oder eine Modifikation die-ser Präsentation. Da alle Beteiligten die-se drei Teilaufgaben bearbeiten und dasie vielfältig miteinander verflochten sind,

    wird deutlich, dass die Ausbildung vonIdentität in wechselseitiger Abhängig-keit voneinander erfolgt. Identitätsbil-dung erfolgt so in und durch Kommu-nikation und kommt zugleich in ihr zumAusdruck.

    Die Identitätsarbeit im Alter findetnicht „für sich“ statt, sondern in einemhohen Maße in Auseinandersetzung mitder Identität der mittleren Generation(für die es – nebenbei bemerkt – imGegensatz zu „Jugend“ und „Alter“ imDeutschen keine prägnante Bezeichnunggibt). Versucht man zunächst zentraleKomponenten der Identität der mittle-ren Generation zu benennen, so sind esfolgende Aspekte, die zugleich norma-tiv wirken:

    @ Eigenständigkeit undIndividualität

    @ Selbstständigkeit undSelbstbestimmung

    @ Kompetenz und Leis-tungsfähigkeit

    @ Aufgaben- und Sach-orientierung

    Sowohl die Jungen wie auch die Altenweichen von diesem Leitbild der entwi-ckelten erwachsenen Persönlichkeit ab.Beide Gruppen sind der Tendenz nachweniger individualistisch orientiert, son-dern präferieren einen höheren Grad anGemeinschaftlichkeit bzw. Sozialität.Einher geht damit ein höherer Grad anPartner- und Personenorientierung, dermit der Aufgaben- und Sachorientie-rung der mittleren Generation kontra-stiert. Dabei kann man die Präferenz fürGemeinschaftlichkeit als Folge der mar-ginalen Position verstehen: Sie bedingtein Zusammenrücken und eine wech-selseitige Unterstützung in der gemein-samen inferioren Position, eine größeregenerationsinterne Solidarisierung (z.B.in Form von peer groups), die nach au-ßen hin zugleich als Abgrenzung gegen-über anderen Gruppen erscheint.

    Betrachtet man den Übergang von derIdentität der mittleren Generation zurAltersidentität, so bringt er demnachauf der einen Seite eine Abschwächungder Identitätskomponente „Eigenstän-digkeit und Individualität“ zugunstenvon „Gemeinschaftlichkeit und Soziali-tät“ mit sich und auf der anderen Seite

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    Weite Strecken derGespräche lassen sichals – häufig impliziter

    – Identitätsdiskursinterpretieren

  • die Stärkung der Komponente „Partner-und Personenorientierung“ anstelle von„Aufgaben- und Sachorientierung“.

    Teil der Ausbildung von Altersidentitätist auch die Entwicklung von Einstel-lungen zum eigenen Älterwerden. Am-rhein/Backes [1] unterscheiden viergrundlegende Typen:„Identifikation mit demAlter“, „Ambivalente Ak-zeptanz“, „Alterslosigkeit“und „Auflehnung gegendas Alter“. Auch dieseEinstellungen werden zuTeilen kommunikativausgebildet und finden inder Kommunikation Aus-druck.

    Analysiert man nun eine Vielzahl vonGesprächen in der oben beschriebenenWeise gesprächsanalytisch (hier ist lei-der nicht der Platz, dies im Detail vor-zuführen; vgl. hierzu [5]), so lässt sichfeststellen, dass in der Kommunikationälterer Menschen drei Komplexe einewichtige Rolle spielen:1. Zum einen vielfältige Formen des

    Nachweises, dass man dem Leitbildder erwachsenen Persönlichkeit (noch)entspricht,

    2. zum anderen der Umgang mit eige-nen Abweichungen von diesem Bildund

    3. letztlich die Konturierung eigenstän-diger Merkmale von Altersidentität.

    Zum ersten Punkt: In dem Maße, wie die Identität der mittleren Generationkeine Selbstverständlichkeit mehr ist,wird es bedeutsam, im Gespräch mitGleichaltrigen oder Jüngeren nachzu-weisen, dass und welche Aspekte dieserIdentität unverändert vorliegen. Der Al-tersdiskurs ist so zu einem nicht unwe-sentlichen Teil ein Nachweisführen hin-sichtlich der persönlichen Eigenstän-digkeit, Vollwertigkeit, Bedeutsamkeit,Kompetenz, Mobilität, Normalität etc.Die Darstellung dieser Eigenschaftengeschieht aber nicht unmarkiert undselbstverständlich, sondern sie bekommteinen demonstrativen Charakter. D.h.die Darstellung erfolgt z.B. mit einergewissen Ausführlichkeit und Nach-drücklichkeit. Ein wichtiges kommuni-katives Verfahren in diesem Nachweis-

    diskurs ist die Kontrastierung eigenerMöglichkeiten mit denen anderer Al-ter, die über entsprechende Eigenschaf-ten nicht mehr verfügen.

    Zum zweiten Punkt: Die Feststellung, dass man in verschiedener Hinsicht demBild der mittleren Generation nicht

    mehr entspricht, erfolgtkommunikativ in Formder Thematisierung unddes Beklagens dieser Ab-weichungen. Hierhin ge-hören alle Formen despainful self disclosure, wiesie von Coupland/Coup-land/Giles [3] beschrie-ben worden sind. Insbe-sondere geschieht dies in

    Gestalt des Krankheitsdiskurses oder desKonstatierens von nachlassenden Fä-higkeiten.

    Zum dritten Punkt: Einen wichtigen Raum nimmt aber auch die Darstellungvon spezifisch neuen Identitätsaspektenein, mit denen sich die ältere Generationvon der mittleren absetzt. Hierzu gehörtvor allem die stärkere Partner- und Per-sonenorientierung, die u.a. möglich wird,weil zentrale Aufgaben (Beruf, Kinder-erziehung) entfallen. Sie besteht darin,sich mehr für andere Personen zu interes-sieren, an ihnen Anteil zu nehmen undintensiver auf sie einzugehen (auch wenndies häufig nur stereotyp geschieht). Siefindet in vielfältigen Formen kommu-nikativer Kooperativität und wechsel-seitiger Unterstützung Ausdruck, aberauch im wechselseitigen übereinanderReden (Klatsch). Das hohe Ausmaß anwechselseitiger Unterstützung kontras-tiert deutlich mit der in der mittlerenGeneration vorherrschenden Präferenzzur Selbstvertretung. Die kommunika-tive Kooperativität äußert sich u.a. inwechselseitigen Paraphrasen und Refor-mulierungen, der gemeinschaftlichenProduktion von Äußerungen, einer ho-hen Frequenz von Rezeptionssignalen,in einem entwickelnden Nachfragen undStichwortgeben sowie dem emphatischenTeilen von Bewertungen.

    Die zentrale Schwierigkeit der Ent-wicklung von Altersidentität besteht da-rin, nicht einfach nur weiter am Er-wachsenenbild festzuhalten, sondern ab-

    weichende Identitätsaspekte auszubildenund sie zu integrieren, d.h. ein Selbstbildund Selbstverständnis zu entwickeln, dasnicht nur eine Verlängerung der Identitätder mittleren Generation ist. Identitäts-entwicklung im Alter bedeutet also, ei-nerseits an zentralen Aspekten der Iden-tität der mittleren Generation (so langewie möglich) festzuhalten, andererseitsaber auch einige Aspekte aufzugeben unddarüber hinaus neue Identitätsmerkma-le zu entwickeln und zu integrieren. Prä-gend ist damit eine Ambivalenz zwischendem Festhalten an den Standards undWerten der mittleren Generation undder Akzeptanz von Veränderungen undihrer produktiven identitätsstrukturel-len Verarbeitung.

    Literatur1. Amrhein, Ludwig/Backes, Gertrud M. (2008):

    Alter(n) und Identitätsentwicklung: Formen des Umgangs mit dem eigenen Älterwerden.In: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 41.S. 382-393.

    2. Androutsopoulos, Jannis (2001): Von fett zufabelhaft: Jugendsprache in der Sprachbiografie.In: Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 62,S. 55-78.

    3. Coupland, Nikolas/Coupland, Justine/Giles,Howard (1991): Language, society and the elderly:Discourse, identity and ageing. Oxford/Cam-bridge, Mass.: Blackwell.

    4. Fiehler, Reinhard (2007): Kommunikation zwischen den Generationen: Wunschvorstellungoder Wirklichkeit? In: L.O.G.O.S. Interdisziplinär.15. Jg. Ausg. 3/2007. S. 200-207.

    5. Fiehler, Reinhard (2008): Altern, Kommunikationund Identitätsarbeit. – Mannheim: Institut fürDeutsche Sprache – amades Bd. 31 –, 2008.(amades – Arbeitspapiere und Materialien zurdeutschen Sprache 1/08)

    6. Keupp, Heiner/Ahbe, Thomas/Gmür, Wolfgang(1999): Identitätskonstruktionen. Das Patchworkder Identitäten in der Spätmoderne. Reinbek:Rowohlt.

    7. Luckmann, Thomas (1988): KommunikativeGattungen im kommunikativen ‘Haus-halt’ einerGesellschaft. In: Smolka-Koerdt, Gisela/Spangen-berg, Peter M./Tillmann-Bartylla, Dagmar (Hrsg.):Der Ursprung der Literatur. München. S. 279-288.

    8. Sachweh, Svenja (22005): „Noch ein Löffelchen?“Effektive Kommunikation in der Altenpflege. Bern etc.: Huber.

    9. Sachweh, Svenja (2008): Spurenlesen im Sprach-dschungel. Kommunikation und Verständigungmit demenzkranken Menschen. Bern etc.: Huber.

    10. Thimm, Caja (2000): Alter – Sprache – Geschlecht.Sprach- und kommunikationswissenschaftlichePerspektiven auf das höhere Lebensalter. Campus: Frankfurt/New York.

    Prof. Dr. Reinhard Fiehler, Institut für Deutsche Sprache, Postfach 10 16 21, 68016 Mannheim

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    Die Identitätsarbeitim Alter findet in hohem Maße in

    Auseinandersetzungmit der Identität

    der mittleren Generation statt