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177 Für Sie notiert Sportverl Sportschad 2008; 22 Sport und Schwangerschaft: Status quo der Forschung und Folgen für die Praxis Die psychosozialen und biomedizinischen Effekte von Sport und Bewegungsaktivität während der Schwangerschaft sind mittler- weile recht umfassend untersucht. Dabei belegen die meisten Studien positive Auswirkungen auf Mutter und Fetus. Dennoch gibt es in jüngster Zeit uneindeutige Forschungsergebnisse, die zu Verunsicherung von Ärzten und Schwangeren führen. Der fol- gende Artikel gibt eine Übersicht über den aktuellen Forschungs- stand und dient als Entscheidungshilfe für beratende Ärzte. 5 Forschungsstand Positive Effekte In den letzten zwei Jahrzehnten belegten eine Vielzahl von Studien eindeutig posi- tive Effekte von Sport und Bewegungsak- tivität in der Schwangerschaft (Lokey et al. 1991, Pivarnik 1998). Dabei wurden Zu- sammenhänge von Sport sowohl mit ver- besserten psychosozialen als auch biome- dizinischen Parametern bei Mutter (Elsen- bruch 2007, Kagan & Kuhn 2004) und Fetus (Rice & Fort 1991) gefunden (z.B. ein ver- besserter APGAR-Score, ein Test für Neu- geborene benannt nach Virginia Apgar). Des Weiteren wird Bewegungsaktivität sowohl vor als auch während der Schwan- gerschaft mit einer komplikationsloseren Entbindung und einer Reduktion operati- ver Eingriffe bei der Geburt in Zusammen- hang gebracht (Reimers et al. 2008, Kagan & Kuhn 2004). Ferner wird von einer an- algetischen Wirkung von Sport (Fahrra- dergometer) sub partu berichtet (Hart- mann et al. 2005, Varassi et al. 1989). Die genannten Studien beziehen sich dabei auf moderate, aerobe Intensitäten und der Ausübung wenig verletzungsträchtiger Sportarten. Neuere Studien belegen sogar positive Ef- fekte von intensiverer sportlicher Betäti- gung (Marquez-Sterling et al. 2000) oder extremen Sportarten wie z. B. Skilanglauf und Marathonlaufen (Davies et al. 1999). Außerdem existieren erste Daten darüber, wie aktiv Leistungssportlerinnen wäh- rend ihrer Schwangerschaft sind, wie sie die sportliche Belastung dem Schwanger- schaftsverlauf anpassen und welche psy- chosozialen und biomedizinischen Vor- teile sie durch den Sport erleben (Kleinert und Sulprizio 2008). Die Gründe für das Fortsetzen eines Trainingsprogramms se- hen die schwangeren Leistungssportle- rinnen in einer kürzeren Trainingspause nach der Entbindung und in positiven Auswirkungen auf das körperliche und psychische Wohlbefinden. Diskutierte Risiken Über Risiken von Sportaktivität berichtet demgegenüber eine neuere Studie von den Dänen Mia Madsen et al 2007. Die Au- toren nennen ein 3–4-fach erhöhtes Fehl- geburtsrisiko bei hohem Sportpensum in der Frühschwangerschaft (mehr als 7 h / Woche bis zur 18. Schwangerschaftswo- che). Darüber hinaus werden in dieser Studie spezifische „High-Impact-Exerci- se“ Sportarten wie Joggen, Rückschlag- spiele und Ballsportarten mit einem er- höhten Fehlgeburtsrisiko in Zusammen- hang gebracht. Gewarnt wird vor allem vor der Gefahr 3 einer reduzierten Plazentadurchblu- tung durch die erhöhte Versorgung der Muskulatur der trainierenden Mutter, 3 einer durch Sport hervorgerufenen Hyperthermie, 3 fetaler Hypoglykämie sowie 3 vorzeitigen Wehen. Unklar bleibt jedoch, ob die intensive Sportaktivität als Ursache des erhöhten Fehlgeburtsrisikos oder begleitender Fak- tor eines anderen ursächlichen Ein- flussfaktors (z. B. hormonelle Verände- rungen) ist. Derartige auf den ersten Blick inkonsi- stente Forschungsergebnisse, oft aber auch unzureichende Informationen füh- ren zu einer zurückhaltenden, teils sogar defensiven Einstellung zum Sport seitens der Ärzte (Bung 1999, Koniak-Griffin 1994). Zwar scheinen Zeiten passé, in de- nen Ärzte ihren schwangeren, komplika- tionslosen Patientinnen Sportaktivität re- gelrecht verboten haben, es kann aber weiterhin von einem Beratungsdefizit sei- tens der Ärzteschaft hinsichtlich konkre- ter Empfehlungen zum Sport- und Bewe- gungsverhalten in der Schwangerschaft gesprochen werden (Entin & Munhall 2006, Koniak-Griffin 1994). Somit ist es nicht verwunderlich, dass aktive Schwan- gere noch immer eher selten sind, gerade wenn der betreuende Gynäkologe keine Informationen und expliziten Anregun- gen vermittelt. Viele Schwangere reduzie- ren daher ihr Sport- und Bewegungsver- halten stark oder werden sogar ganz pas- siv. Zahlen aus den USA legen nahe, dass 34,5 bis 60 % völlig auf sportliche Aktivität verzichten (Evenson et al. 2004, Poudevi- gne & O`Connor 2006). Im Folgenden werden ausgewählte psy- chosoziale und biomedizinische Aspekte differenziert aufgegriffen. 5 Psychosoziale Evidenzen Depression und Stress Frauen erleben in der Schwangerschaft häufig Stimmungsschwankungen und klagen über depressive Verstimmungen, Müdigkeit und Ängste, die das Wohlbefin- den beeinträchtigen (Marquez-Sterling et al. 2000). Der Benefit von moderatem Sport- und Bewegungsverhalten auf die psychische Befindlichkeit ist in der Litera- tur gut belegt (Guskowska 2004). Vor al- lem bei der Behandlung und Prävention von Depressionen und stressinduzierten Beschwerden erweisen sich Sport und Be- wegung als geeignete Intervention (Bidd- le & Mutrie 2007). Mit ihrer Längsschnitt- studie veröffentlichten DaCosta, Rippen, Dritsa & Ring 2003, dass aktive Schwange- re während der ersten 6 Monate signifi- kant weniger depressiv gestimmt sind, weniger alltäglichen Ärger wahrnehmen und unter weniger Angstzuständen und schwangerschaftsbezogenem Stress lei- den als inaktive Schwangere. Frauen, die noch im 3. Trimester aktiv waren, berich- teten weniger über Angstzustände als in- aktive Frauen. Des Weiteren zeigen aktu- elle Studien, dass Stimmung und Wohlbe- 4-Für Sie notiert.fm Seite 177 Montag, 8. Dezember 2008 12:53 12

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Sportverl Sportschad 2008; 22

Sport und Schwangerschaft: Status quo der Forschung und Folgen für die Praxis Die psychosozialen und biomedizinischen Effekte von Sport und Bewegungsaktivität während der Schwangerschaft sind mittler-weile recht umfassend untersucht. Dabei belegen die meisten Studien positive Auswirkungen auf Mutter und Fetus. Dennoch gibt es in jüngster Zeit uneindeutige Forschungsergebnisse, die zu Verunsicherung von Ärzten und Schwangeren führen. Der fol-gende Artikel gibt eine Übersicht über den aktuellen Forschungs-stand und dient als Entscheidungshilfe für beratende Ärzte.

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Forschungsstand

Positive EffekteIn den letzten zwei Jahrzehnten belegteneine Vielzahl von Studien eindeutig posi-tive Effekte von Sport und Bewegungsak-tivität in der Schwangerschaft (Lokey et al.1991, Pivarnik 1998). Dabei wurden Zu-sammenhänge von Sport sowohl mit ver-besserten psychosozialen als auch biome-dizinischen Parametern bei Mutter (Elsen-bruch 2007, Kagan & Kuhn 2004) und Fetus(Rice & Fort 1991) gefunden (z.B. ein ver-besserter APGAR-Score, ein Test für Neu-geborene benannt nach Virginia Apgar).

Des Weiteren wird Bewegungsaktivitätsowohl vor als auch während der Schwan-gerschaft mit einer komplikationsloserenEntbindung und einer Reduktion operati-ver Eingriffe bei der Geburt in Zusammen-hang gebracht (Reimers et al. 2008, Kagan& Kuhn 2004). Ferner wird von einer an-algetischen Wirkung von Sport (Fahrra-dergometer) sub partu berichtet (Hart-mann et al. 2005, Varassi et al. 1989). Diegenannten Studien beziehen sich dabeiauf moderate, aerobe Intensitäten und derAusübung wenig verletzungsträchtigerSportarten.

Neuere Studien belegen sogar positive Ef-fekte von intensiverer sportlicher Betäti-gung (Marquez-Sterling et al. 2000) oderextremen Sportarten wie z. B. Skilanglaufund Marathonlaufen (Davies et al. 1999).Außerdem existieren erste Daten darüber,wie aktiv Leistungssportlerinnen wäh-rend ihrer Schwangerschaft sind, wie siedie sportliche Belastung dem Schwanger-

schaftsverlauf anpassen und welche psy-chosozialen und biomedizinischen Vor-teile sie durch den Sport erleben (Kleinertund Sulprizio 2008). Die Gründe für dasFortsetzen eines Trainingsprogramms se-hen die schwangeren Leistungssportle-rinnen in einer kürzeren Trainingspausenach der Entbindung und in positivenAuswirkungen auf das körperliche undpsychische Wohlbefinden.

Diskutierte RisikenÜber Risiken von Sportaktivität berichtetdemgegenüber eine neuere Studie vonden Dänen Mia Madsen et al 2007. Die Au-toren nennen ein 3–4-fach erhöhtes Fehl-geburtsrisiko bei hohem Sportpensum inder Frühschwangerschaft (mehr als 7 h /Woche bis zur 18. Schwangerschaftswo-che). Darüber hinaus werden in dieserStudie spezifische „High-Impact-Exerci-se“ Sportarten wie Joggen, Rückschlag-spiele und Ballsportarten mit einem er-höhten Fehlgeburtsrisiko in Zusammen-hang gebracht. Gewarnt wird vor allemvor der Gefahr 3 einer reduzierten Plazentadurchblu-

tung durch die erhöhte Versorgung der Muskulatur der trainierenden Mutter,

3 einer durch Sport hervorgerufenen Hyperthermie,

3 fetaler Hypoglykämie sowie 3 vorzeitigen Wehen.

Unklar bleibt jedoch, ob die intensiveSportaktivität als Ursache des erhöhtenFehlgeburtsrisikos oder begleitender Fak-tor eines anderen ursächlichen Ein-flussfaktors (z. B. hormonelle Verände-rungen) ist.

Derartige auf den ersten Blick inkonsi-stente Forschungsergebnisse, oft aberauch unzureichende Informationen füh-ren zu einer zurückhaltenden, teils sogardefensiven Einstellung zum Sport seitensder Ärzte (Bung 1999, Koniak-Griffin1994). Zwar scheinen Zeiten passé, in de-nen Ärzte ihren schwangeren, komplika-tionslosen Patientinnen Sportaktivität re-gelrecht verboten haben, es kann aberweiterhin von einem Beratungsdefizit sei-tens der Ärzteschaft hinsichtlich konkre-ter Empfehlungen zum Sport- und Bewe-gungsverhalten in der Schwangerschaftgesprochen werden (Entin & Munhall2006, Koniak-Griffin 1994). Somit ist esnicht verwunderlich, dass aktive Schwan-gere noch immer eher selten sind, geradewenn der betreuende Gynäkologe keineInformationen und expliziten Anregun-gen vermittelt. Viele Schwangere reduzie-ren daher ihr Sport- und Bewegungsver-halten stark oder werden sogar ganz pas-siv. Zahlen aus den USA legen nahe, dass34,5 bis 60 % völlig auf sportliche Aktivitätverzichten (Evenson et al. 2004, Poudevi-gne & O`Connor 2006).

Im Folgenden werden ausgewählte psy-chosoziale und biomedizinische Aspektedifferenziert aufgegriffen.

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Psychosoziale Evidenzen

Depression und StressFrauen erleben in der Schwangerschafthäufig Stimmungsschwankungen undklagen über depressive Verstimmungen,Müdigkeit und Ängste, die das Wohlbefin-den beeinträchtigen (Marquez-Sterling etal. 2000). Der Benefit von moderatemSport- und Bewegungsverhalten auf diepsychische Befindlichkeit ist in der Litera-tur gut belegt (Guskowska 2004). Vor al-lem bei der Behandlung und Präventionvon Depressionen und stressinduziertenBeschwerden erweisen sich Sport und Be-wegung als geeignete Intervention (Bidd-le & Mutrie 2007). Mit ihrer Längsschnitt-studie veröffentlichten DaCosta, Rippen,Dritsa & Ring 2003, dass aktive Schwange-re während der ersten 6 Monate signifi-kant weniger depressiv gestimmt sind,weniger alltäglichen Ärger wahrnehmenund unter weniger Angstzuständen undschwangerschaftsbezogenem Stress lei-den als inaktive Schwangere. Frauen, dienoch im 3. Trimester aktiv waren, berich-teten weniger über Angstzustände als in-aktive Frauen. Des Weiteren zeigen aktu-elle Studien, dass Stimmung und Wohlbe-

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finden Hochschwangerer weniger mit derobjektiven (messbaren) als vielmehr mitder subjektiv wahrgenommenen Fitnesszusammenhängen (Sulprizio et al. 2008).

Kontrollüberzeugung undKörperbildDie Veränderungen in der Schwanger-schaft, vor allem das zunehmende Ge-wicht und der rasch zunehmende Körper-umfang, können zu Beeinträchtigungendes wahrgenommenen Körperbilds undauf diesem Weg zu einem herabgesetztenSelbstbewusstsein führen. VerschiedeneStudien zeigen Effekte von Bewegungsak-tivität auf ein positiveres Körperbild (Imm& Pruitt 1991), ein verbessertes Selbst-wertgefühl (Goodwin et al. 2000) sowieeine stärkere internale Kontrollüberzeu-gung (Koniak-Griffin 1994). Sportlich ak-tive Frauen unterscheiden sich von nichtaktiven hinsichtlich ihrer Selbstwahrneh-

mung und auch hinsichtlich unter der Ge-burt auszuhaltenden Schmerzen (Reimerset al. 2008). Es ist davon auszugehen, dassdas durch Sport- und Bewegungsaktivitätverbesserte Körperbild zur Wahrneh-mung höherer körperlicher Kompetenzführt, welche mit der erhöhten Bereit-schaft zur aktiven und selbstbestimmtenGeburt einhergeht.

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Biomedizinische Evidenzen

GestationsdiabetesMan geht davon aus, dass 4–7 % allerSchwangeren einen Gestationsdiabetesentwickeln, der im weiteren Verlauf in20–50% aller Fälle in einen manifestenmaternalen Diabetes mellitus übergeht.Sportlich aktive Frauen haben ein gerin-geres Risiko für die Ausbildung eines Ge-stationsdiabetes als inaktive Frauen. Da-

bei gilt sowohl der Sport während als auchvor der Schwangerschaft als Therapeuti-kum und Präventionsmethode (Dempseyet al. 2005). Diese Ergebnisse gelten fürleichte körperliche Aktivität im Alltag(z. B. regelmäßiges Treppensteigen) eben-so wie für Krafttraining – im Unterschiedzum sonst aerob orientierten Sporttrei-ben. Die Vorteile wurden vor allem beiübergewichtigen inaktiven Frauen festge-stellt: Entwickeln diese einen Gestations-diabetes, so können sie durch ein regelmä-ßiges Ausdauertraining vielfach eine Insu-lintherapie herauszögern oder sogar ver-meiden. Insbesondere die Beanspruchunggroßer Muskelgruppen verbessert dieGlukoseaufnahme der Zellen und die In-sulinsensitiviät.

PräeklampsieDie aktuelle Forschungslage belegt eindeutlich reduziertes Präeklampsie-Risiko(EPH-Gestose) bei aktiven Schwangerenim Vergleich zu Frauen, die sich in den er-sten 20 Schwangerschaftswochen nichtregelmäßig körperlich betätigen (Demp-sey et al. 2005). Auch in diesem Zusam-menhang gilt bereits ein erhöhtes Bewe-gungspensum im Alltag als risikomil-dernd (Sorensen et al. 2003). Als Ursachewird die Absenkung des Blutdrucks in Fol-ge sportlicher Belastung – auch auf nied-rigem Niveau – gesehen. Außerdem fin-den sich diese Effekte, wenn die Schwan-gere vor der Gestation sportlich aktiv war.Eine bestehende Präeklampsie gilt dage-gen nach wie vor als Kontraindikation fürdie Aufnahme oder Fortführung einessportlichen Trainings während derSchwangerschaft.

RückenschmerzenIn der Schwangerschaft erhöht sich durchdie Gewichtszunahme die Belastung aufdie Gelenke. Die Statik verändert sichdurch den vergrößerten Uterus, es tritteine verstärkte lumbale Lordosierung einund es treten vermehrt Rückenschmerzenauf. Ferner nimmt man an, dass es zu einererhöhten Laxität in Sehnen, Bändern undGelenken durch den Einfluss von Relaxinund Östrogenen kommt. Durch körperli-che Aktivität lassen sich Haltungsschädenund Rückenprobleme vermindern odergar vermeiden (Lochmüller & Friese 2004).

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Für die Beratungspraxis

Nach wie vor bieten Sport und Bewe-gungsaktivität in komplikationslosenSchwangerschaften deutliche psychoso-

Bei gesunden Schwangeren spricht nichts gegen moderaten Sport bis zum Tag der Geburt (Bild: PhotoDisc).

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ziale und biomedizinische Vorteile, vor al-lem dann, wenn Ausmaß und Belastungs-intensität an die Kompetenzen der Mutterangepasst sind. Bei der Empfehlung zumSport sollten bestimmte Leitlinien beach-tet werden: Sportarten, die Frauen vor derSchwangerschaft bereits ausgeübt habenund beherrschen, können unter Risikore-duzierung (z.B. kein harter Gegnerkon-takt; Sportstätten mit geringem Sturzrisi-ko aussuchen) fortgesetzt werden.

Im weiteren Verlauf der Schwangerschaftsollte eine Intensitätsanpassung stattfin-den; dabei können die geplanten Trai-ningseinheiten unter Herzfrequenzkon-trolle (Pulsuhr) bis zu einer Herzfrequenzvon 140 Schlägen/min durchgeführt wer-den. Leistungssport – bei dem diese Emp-fehlung im Sinne der Erhaltung der kar-diovaskulären Fitness der Sportlerin häu-fig überschritten wird – sollte grundsätz-lich nur unter ärztlicher Kontrolle fortge-führt werden.

Neueinsteigerinnen sollten mit „sanften“Sportarten wie z.B. Walken, Nordic Wal-king, Yoga oder Pilates beginnen. Es emp-fehlen sich Gruppenprogramme oderSporttreffs, da speziell bei Sporteinstei-gern die Gefahr des Motivationsverlustsaber auch der Überforderung deutlich er-höht ist. Das Erleben von Sport mit Gleich-„Gesinnten“ oder „Betroffenen“ kann ei-nem Ausstieg aus dem – gerade aufge-nommenen – Sport entgegenwirken. Au-ßerdem empfinden Frauen in der Gruppeein größeres Sicherheitsgefühl und be-fürchten nicht, alleine zu sein, wennschwangerschaftsbezogene Beschwerdenoder Komplikationen beim Sport auftre-ten.

Eine Empfehlung für alle Schwangerenlautet direkt oder im späteren Verlauf derSchwangerschaft auf Sportarten im Was-ser, wie z. B. Aquafitness umzusteigen. Diefetale und mütterliche Sicherheit sowiedie hohe Eignung und Attraktivität vonAqua-Fit sind wissenschaftlich belegt(Hartmann et al. 2001). Diurese und Na-triurese werden angeregt und einerÖdembildung wird vorgebeugt (Hart-mann & Huch 2005). Diese Art der körper-lichen Aktivität ist darüber hinaus gelenk-schonend. Das Risiko für Vaginal- oderAmnioninfektionen erhöht sich durchSchwimmen nicht.

Abgeraten werden sollte nach wie vor vonSportarten, die mit extremen Bedingun-gen verbunden sind, wie z. B. Tauchen,

Klettern und Bergwandern in Höhen über2500 m sowie von Kampfsportarten. Auchauf Gewichtheben oder Sportarten mit re-lativ hoher Sturzgefahr (z. B. Schlittschuh-laufen, Wasserskifahren) sollten aktiveFrauen verzichten. Frauen, die aus diesenSportarten kommen, sollten dennoch at-traktive Alternativen zur Verfügung ste-hen. Hier wurden mit der sogenannten„Powergymnastik“ im Wasser (Kleinert &Sulprizio 2008, Bung & Hartmann 2005)positive Erfahrungen gemacht.

Wichtig ist bei jeglicher Art körperlicherAktivität auf eine adäquate Flüssigkeits-und Kohlenhydratzufuhr zu achten.

Aufgabe der medizinischen Betreuer (z. B.Gynäkologen, Hebammen) sollte sein,Fakten an die Schwangere weiterzugebenund mit ihr gemeinsam die positiven Ef-fekte gegen die wenigen aber denkbarenRisiken sorgfältig abzuwägen. Hilfreichkönnen hierbei Informationsportale ausder Sportwissenschaft (www.sportund-schwangerschaft.de) oder den Ärztever-tretungen (www.dgsp.de) sein.

Eine verbesserte Zusammenarbeit derverschiedenen Instanzen und Personen,die Schwangere betreuen (Ärzte, Hebam-men, Sportwissenschaftler, Fitnesstraineroder Kursleiter), sollte eine gewissenhafteBewegungsbetreuung gewährleisten undschwangere Frauen zu einem aktiven Le-bensstil ermutigen. Dabei ist abschlie-ßend auf die besondere Rolle des betreu-enden Gynäkologen hinzuweisen. Da da-von auszugehen ist, dass vor allem beiFrauen aus benachteiligten sozialenSchichten (Kleinert 2008) oder unsichereFrauen ohne viel sportliche Vorerfahrungdie ärztliche Beratung zur Bewegungsak-tivität den stärksten Einfluss hat.

Literatur beim Verfasser

Marion Sulprizio1, Prof. Dr. Jens Kleinert1,

Dr. Claudia Velde2, Dr. Sabine Hartmann3

1 Abteilung Gesundheitsforschung am Psy-

chologischen Institut, DSHS Köln2 Referat für Frauensport des Sportärzte-

bunds Norgdrhein,3 Institut für Kreislaufforschung und Sport-

medizin, DSHS Köln

Korrespondenz: [email protected]

Sport verbessert Prognose bei KrebsWie beeinflusst Sport das körperliche und

seelische Befinden von Krebspatienten?

Darüber diskutierten Experten beim Sym-

posion „Sport und Krebs" vom 20. –21. No-

vember 2008 in München. Denn große

Studien haben nun gezeigt: Sport wirkt

nicht nur präventiv, sondern verbessert die

Heilungschancen von Krebs.

Organisatoren des Symposions waren Pro-fessor Martin Halle, Lehrstuhl für präven-tive und rehabilitative Sportmedizin derTU München, und Professor Michael Scho-enberg, Chirurgische Abteilung des Rot-kreuzklinikums München. „Sport sollteneben Chemotherapie, Bestrahlung undOperation einen festen Stellenwert in derKrebsbehandlung erhalten – so wie einMedikament“, betonte Halle schon imVorfeld. Der Patient bekomme ein positi-ves Körpergefühl, rege seinen Kreislauf anund verbessere so die eigene Prognose, er-gänzte Schoenberg.

Beispiel Brustkrebs: Betroffene Frauensollten sich fettarm ernähren und eine Ge-wichtszunahme vermeiden. Empfehlens-wert ist zudem sportliche Aktivität schonin der akuten Behandlungsphase. LautProfessor Marion Kiechle, Frauenklinikam Klinikum rechts der Isar der TU Mün-chen, reduziert Sport die Nebenwirkun-gen der Krebsbehandlung, Übelkeit, Er-brechen und chronische Müdigkeit, wenneine Brustkrebs-Patientin regelmäßigmoderat Sport treibt .

„Die Deutsche Krebshilfe wird aus denwissenschaftlichen Erkenntnissen desSymposions Impulse für ein möglichesFörder-Schwerpunktprogramm ableiten“,so Gerd Nettekoven, Hauptgeschäftsfüh-rer der Deutschen Krebshilfe e.V. Darüberhinaus plant die Organisation zusammenmit dem Deutschen Olympischen Sport-bund (DOSB), dem Thema „Sport undKrebs“ mehr Aufmerksamkeit in der Öf-fentlichkeit und in Fachkreisen zu ver-schaffen. Weitere Informationen und dieBroschüre „Bewegung und Sport bei Krebs– die blauen Ratgeber 48“ stellt die Deut-sche Krebshilfe im Internet zur Verfügung(www.krebshilfe.de).

Nach einer Pressemitteilung

(Deutsche Krebshilfe)

Sporttherapie

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