sport: social problems and social movement

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Berichte Sport: Social Problems and Social Movement Seminar der International Sociology of Sport Association (ISSA) vom 19. bis 22. Juli 1995 in Rom 337 In der Zeit vom 19.22. Juli 1995 fand in Rom das Seminar der International Socio- logy of Sport Association (ISSA) (vormals International Committee for the Sociology of Sport (ICSS) unter dem Thema „Sport: Social Problems and Social Movement" statt. Verantwortlich fur die Ausgestaltung dieses Kongresses zeichneten Antonio MUSSINO and Nicola PORRO von der Uni- versita „La Sappiencia" Roma. Ohne Zweifel hatten sich diese beiden Kollegen zusammen mit ihren Mitarbeitern in Rom intensiv bemuht, im Rahmen ihrer Mog- lichkeiten einen KongreB zu organisieren, der dem Thema gerecht wird, der — von der Reputation der Teilnehmer and der Qua- litat der Beitrage — ein international aner- kanntes wissenschaftliches Niveau erreich- te and schlieBlich den Teilnehmern etwas vom Flair des hochsommerlichen Roms vermitteln konnte. Nicht immer ist dies, was die ersten beiden Ziele betrifft, gelun- gen — allerdings weniger aus Verschulden der Kollegen ,vor Ort", sondem vor allem auch, weil Verantwortliche in der ISSA von auBen Auflagen gemacht hatten, ohne genaue Kenntnisse der Gegebenheiten in Rom. Vorgegeben wurden den Organisato- ren die Themen der Workshops, die Verant- wortlichen fur diese Workshops and die keynote speakers. So hielt ein Grant JARVIE aus Edinburg das einleitende Referat zum Thema ,,Sport and Social Problems ". Was er bot, war allerdings eher eine groBe Einkaufsliste aller gehandelten Signaturen modemer Gesellschaften and des Sports in ihr. Post- modem conditions, Globalization, Natio- nalism, Post-Nationalism, Individualism, Uncertainty, Post-traditional Order, Envi- ronment, Sociology of Nature, Identity Policy, Females and Post-Feminism and Unprincipled Societies sind nur einige Stichworte, aus denen eine schwer genieB- bare Suppe sozialer Probleme des Sports gemischt wurde. Am zweiten Tag, an dem „Sport and Social Movement" thematisiert werden sollte, trat Nancy THEBERGE als keynote-speaker auf, genauer: sie blieb sitzen and las in hoher Geschwindigkeit mit gleichbleibend mo- notoner Stimme ein Papier zum Thema ,,Feminist Transformation and Sport" ab. Ihr Bemuhen, ein 30 Seiten langes Aufsatz- manuskript in 45 Minuten zu Gehor zu brin- gen, war erfolgreich, allerdings auf Kosten der Tatsache, daB kaum jemand, der nicht Englisch als Muttersprache verstand, den Text mitverfolgen konnte. Die Uberheb- lichkeit, die in dieser Form der ,,Presentati- on" lag, war kaum noch zu iberbieten. DaB Englisch mittlerweile zur einzigen interna- tionalen Fachsprache geworden ist, wird man kaum noch andern konnen, aber daB dann Englander and Nord-Amerikaner wie selbstverstandlich davon ausgehen, daB jeder ihre Sprache so (schnell) verstehen musse wie sie selber (von dieser Annahme ging nicht nur die genannte Rednerin aus), beinhaltet schon in besonderem Umfang intoleranten Ethnozentrismus. Aber auch der Inhalt des Referats entsprach wohl

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Berichte

Sport: Social Problems and Social Movement

Seminar der International Sociology of Sport Association (ISSA)vom 19. bis 22. Juli 1995 in Rom

337

In der Zeit vom 19.22. Juli 1995 fand inRom das Seminar der International Socio-logy of Sport Association (ISSA) (vormalsInternational Committee for the Sociologyof Sport (ICSS) unter dem Thema „Sport:Social Problems and Social Movement"statt. Verantwortlich fur die Ausgestaltungdieses Kongresses zeichneten AntonioMUSSINO and Nicola PORRO von der Uni-versita „La Sappiencia" Roma. OhneZweifel hatten sich diese beiden Kollegenzusammen mit ihren Mitarbeitern in Romintensiv bemuht, im Rahmen ihrer Mog-lichkeiten einen KongreB zu organisieren,der dem Thema gerecht wird, der — von derReputation der Teilnehmer and der Qua-litat der Beitrage — ein international aner-kanntes wissenschaftliches Niveau erreich-te and schlieBlich den Teilnehmern etwasvom Flair des hochsommerlichen Romsvermitteln konnte. Nicht immer ist dies,was die ersten beiden Ziele betrifft, gelun-gen — allerdings weniger aus Verschuldender Kollegen ,vor Ort", sondem vor allemauch, weil Verantwortliche in der ISSA vonauBen Auflagen gemacht hatten, ohnegenaue Kenntnisse der Gegebenheiten inRom. Vorgegeben wurden den Organisato-ren die Themen der Workshops, die Verant-wortlichen fur diese Workshops and diekeynote speakers.So hielt ein Grant JARVIE aus Edinburg daseinleitende Referat zum Thema ,,Sport andSocial Problems ". Was er bot, warallerdings eher eine groBe Einkaufslistealler gehandelten Signaturen modemer

Gesellschaften and des Sports in ihr. Post-modem conditions, Globalization, Natio-nalism, Post-Nationalism, Individualism,Uncertainty, Post-traditional Order, Envi-ronment, Sociology of Nature, IdentityPolicy, Females and Post-Feminism andUnprincipled Societies sind nur einigeStichworte, aus denen eine schwer genieB-bare Suppe sozialer Probleme des Sportsgemischt wurde.Am zweiten Tag, an dem „Sport and SocialMovement" thematisiert werden sollte, tratNancy THEBERGE als keynote-speaker auf,genauer: sie blieb sitzen and las in hoherGeschwindigkeit mit gleichbleibend mo-notoner Stimme ein Papier zum Thema,,Feminist Transformation and Sport" ab.Ihr Bemuhen, ein 30 Seiten langes Aufsatz-manuskript in 45 Minuten zu Gehor zu brin-gen, war erfolgreich, allerdings auf Kostender Tatsache, daB kaum jemand, der nichtEnglisch als Muttersprache verstand, denText mitverfolgen konnte. Die Uberheb-lichkeit, die in dieser Form der ,,Presentati-on" lag, war kaum noch zu iberbieten. DaBEnglisch mittlerweile zur einzigen interna-tionalen Fachsprache geworden ist, wirdman kaum noch andern konnen, aber daBdann Englander and Nord-Amerikaner wieselbstverstandlich davon ausgehen, daBjeder ihre Sprache so (schnell) verstehenmusse wie sie selber (von dieser Annahmeging nicht nur die genannte Rednerin aus),beinhaltet schon in besonderem Umfangintoleranten Ethnozentrismus. Aber auchder Inhalt des Referats entsprach wohl

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kaum der Intention der Veranstalter: Esging um eine empirische Untersuchunguber Korperempfinden and Korperaus-druck von Eishockeyspielerinnen: DasThema „movement" ergab sich also allen-falls aus der untersuchten Sportart. Derdritte Gastreferent, der fiber ,,Methodologi-cal Innovations for Sociology of Sport"sprechen sollte, erschien demgegenubergar nicht erst in Rom.Nun lebt ein KongreB natiirlich nichtnur von den Hauptreferaten, wenn dieseauch die thematischen Leitlinien festlegensollten. Wichtig sind sicherlich auch dieArbeitsgruppen. Vorgesehen waren ins-gesamt sechs zu den Themen ,,Globaliza-tion", „National Identities and Ethnicities",,,Sport and Environment", „Gender and Se-xualities", „Classes", „Ages and Disabili-ties — Sport for all Movement" and,,Sporting Bodies". Nun gilt fiir solcheArbeitsgruppen in internationalen Kon-gressen bekanntlich, daB den jeweiligenReferenten allenfalls zehn Minuten fiir denVortrag zugestanden werden and Zeit fureine Diskussion kaum bleibt. Es liegt imPrinzip solcher Assembly-line-Vorstellun-gen, daB alle gleich sind. Aber oft sind garzehn Minuten zuviel, wenn man die Qua-litat der Beitrage in Betracht zieht. Gele-gentlich ist es aber auch zu wenig Zeit,namlich bei jenen, die deutlich heraussta-chen. Dies gilt etwa fur G. FELE (Bologna),der eine ethno-methodologische Analysedes FuBballspiels versuchte, G. FOLDESI(Budapest), die eine empirische Studieuber Rassismus bei FuBballzuschauernprasentierte, fiir J. MAGUIRE (Lough-borough), der sich mit Migrationsproblemen

professioneller Eishockeyspieler beschaf-tigte, fur N. PORROW (Rom), der den italie-nischen Sport als eine politische Arena in-terpretierte, schlieBlich fiir N. PUIG (Bar-celona), die methodologische Probleme beider empirischen Erfassung von Emotionenim Sport zur Diskussion stellte. Auf deranderen Seite der ,Leistungsskala" fandensich dann Prasentationen von Diplom-arbeiten u. a., gelegentlich sogar gemeinsammit dem jeweils betreuenden „Meister".Man kann also keineswegs sagen, daB die-ser KongreB ein representatives Spiegel-bild der Sportsoziologie in verschiedenenLandern gegeben hat. Man wird einesolche wissenschaftliche Aushohlung mitdrei Grunden erklaren konnen: Erstens istzu beobachten, daB Lander, die selbst einegut entwickelte and organisierte Sport-soziologie besitzen (wie etwa die USA andDeutschland), kaum noch auf solcheninternationalen Kongressen vertreten sind.Deutsche Kollegen etwa sind dort selten zubegrUBen. Daraus ergibt sich zweitens einProzeB der ,selffulfilling prophecy": Vielerenommiertere Wissenschaftler meiden sol-che Kongresse in derAnnahme, dort keinenbesonderen fachlichen Gewinn erzielen zukonnen, and da viele so denken, tritt danngenau dieser befiirchtete Effekt auch ein.Drittens kann man nicht verschweigen, daBmittlerweile das ICSS seine internationaleReputation ziemlich heruntergewirtschaf-tet hat — bis hin zu ublen UnregelmaBigkei-ten bei Vorstandswahlen, unkorrektenBudgetvorlagen and einem MiBmanage-ment, das die Organisation an den Rand deswirtschaftlichen Ruins gebracht hat.

K. HEINEMANN