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Spanien Spanien PETER FREY „Spaniens Traum hat einen Namen: Er wird Wirklichkeit in der Konstruktion des vereinten Europa" 1 . Unmittelbar vor Beginn der ersten spanischen EG-Präsident- schaft am 1. Januar 1989 beschrieb König Juan Carlos einmal mehr den herausra- genden Wert, den Europa für die junge Demokratie Spanien hat. Drei Jahre nach dem Beitritt zum politischen Zentrum der Gemeinschaft zu werden, verstanden die Spanier als endgültigen Beleg für ihre Anerkennung als gleichwertige Partner: „Unser Land übernimmt die internationale Verpflichtung von größter Reichweite und Bedeutung seiner ganzen Geschichte. Wir Spanier haben Grund, darauf stolz zu sein" 2 . Spanien zeigte sich auf die Aufgabe gut vorbereitet: 150 hohe Ministe- rial-Funktionäre hatten zuvor Spezialkurse in EG-Fragen absolviert 3 . In 22 Ein- zeldossiers, die als „Bibel" für Minister oder Beamten dienen sollten, die in Brüs- sel zu verhandeln haben 4 , war für alle Bereiche der Gemeinschaftspolitik aufgeli- stet worden, welche Positionen jeweils die Kommission und die einzelnen Mit- gliedsländer vertreten, wo Spanien sein eigenes politisches Interesse sieht und schließlich, welche Haltung der Präsidialmacht am ehesten zukommt. Die Spanier beschrieben ehrgeizig als Ziele ihrer Präsidentschaft, die für den Binnenmarkt notwendige Harmonisierung der Steuern voranzutreiben, weiterzu- kommen auf dem Weg zur Währungsunion und den wirtschaftlichen Integrations- prozeß durch die Profilierung der „sozialen Dimension" Europas abzusichern 5 . Auch die Verstärkung des Kampfes gegen die Drogenkriminalität und, in enger Abstimmung mit der Bundesrepublik Deutschland, die Errichtung eines europä- ischen FBI - einer gemeinsamen Polizeibehörde, die trotz der gewünschten Frei- zügigkeit an Europas Binnengrenzen Terroristen oder international operierende Verbrecherringe unter Kontrolle halten soll - nahm sich Madrid vor. Der für die Koordination der spanischen Europapolitik zuständige Staatssekretär Pedro Sol- bes wurde aber nicht müde, allzu hochfliegende Erwartungen, auch im eigenen Land, herunterzuschrauben. Er betonte immer wieder, es sei viel erreicht, „wenn es gelingt, die Gemeinschaft in der Bewegung zu halten, in der sie sich jetzt befin- det. Am Ende unserer Präsidentschaft werden wir Spanier weniger an spektakulä- ren Triumphen gemessen werden als daran, ob wir die ganze Sache bewältigt ha- ben" 6 . Jahrbuch der Europäischen Integration 1988/89 355

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Spanien

SpanienPETER FREY

„Spaniens Traum hat einen Namen: Er wird Wirklichkeit in der Konstruktion desvereinten Europa"1. Unmittelbar vor Beginn der ersten spanischen EG-Präsident-schaft am 1. Januar 1989 beschrieb König Juan Carlos einmal mehr den herausra-genden Wert, den Europa für die junge Demokratie Spanien hat. Drei Jahre nachdem Beitritt zum politischen Zentrum der Gemeinschaft zu werden, verstandendie Spanier als endgültigen Beleg für ihre Anerkennung als gleichwertige Partner:„Unser Land übernimmt die internationale Verpflichtung von größter Reichweiteund Bedeutung seiner ganzen Geschichte. Wir Spanier haben Grund, darauf stolzzu sein"2. Spanien zeigte sich auf die Aufgabe gut vorbereitet: 150 hohe Ministe-rial-Funktionäre hatten zuvor Spezialkurse in EG-Fragen absolviert3. In 22 Ein-zeldossiers, die als „Bibel" für Minister oder Beamten dienen sollten, die in Brüs-sel zu verhandeln haben4, war für alle Bereiche der Gemeinschaftspolitik aufgeli-stet worden, welche Positionen jeweils die Kommission und die einzelnen Mit-gliedsländer vertreten, wo Spanien sein eigenes politisches Interesse sieht undschließlich, welche Haltung der Präsidialmacht am ehesten zukommt.

Die Spanier beschrieben ehrgeizig als Ziele ihrer Präsidentschaft, die für denBinnenmarkt notwendige Harmonisierung der Steuern voranzutreiben, weiterzu-kommen auf dem Weg zur Währungsunion und den wirtschaftlichen Integrations-prozeß durch die Profilierung der „sozialen Dimension" Europas abzusichern5.Auch die Verstärkung des Kampfes gegen die Drogenkriminalität und, in engerAbstimmung mit der Bundesrepublik Deutschland, die Errichtung eines europä-ischen FBI - einer gemeinsamen Polizeibehörde, die trotz der gewünschten Frei-zügigkeit an Europas Binnengrenzen Terroristen oder international operierendeVerbrecherringe unter Kontrolle halten soll - nahm sich Madrid vor. Der für dieKoordination der spanischen Europapolitik zuständige Staatssekretär Pedro Sol-bes wurde aber nicht müde, allzu hochfliegende Erwartungen, auch im eigenenLand, herunterzuschrauben. Er betonte immer wieder, es sei viel erreicht, „wennes gelingt, die Gemeinschaft in der Bewegung zu halten, in der sie sich jetzt befin-det. Am Ende unserer Präsidentschaft werden wir Spanier weniger an spektakulä-ren Triumphen gemessen werden als daran, ob wir die ganze Sache bewältigt ha-ben"6.

Jahrbuch der Europäischen Integration 1988/89 355

DIE EUROPAPOLITIK IN DEN MITGLIEDSTAATEN DER EG

14. Dezember 1988: Ein Generalstreik als Signal

Während Spaniens Ministerpräsident Felipe Gonzalez mit der Übernahme derEG-Präsidentschaft auch sein internationales Ansehen weiter vergrößerte undihm der Verdienst persönlich zugeschrieben wurde, Spanien politisch nach Jahr-hunderten der Isolierung wieder die „ihm gebührende Rolle im europäischenKonzert"7 zurückgegeben und wirtschaftlich modernisiert zu haben, mußten erund seine Partei PSOE im Lande selbst einen tiefgreifenden Ansehensverlust hin-nehmen. Das weit verbreitete Unbehagen an der Politik einer sozialistischen Re-gierung, die keine Rücksicht auf die Arbeitnehmer nehme, selbstgefällig entschei-de und sogar zu politischen Manipulationen neige8, gipfelte am 14. Dezember1988 in einem 24stündigen Generalstreik, an dem sich nach Angaben der Gewerk-schaften 90% aller Arbeitnehmer beteiligten: „Spanien stand praktisch still"9. DerErfolg des Ausstands machte klar, daß die sozialistische Regierung die Arbeitneh-mer nicht von ihrer Wirtschaftspolitik hatte überzeugen können. Zugespitzt er-klärte der Generalsekretär der kommunistischen Gewerkschaft ,Comisiones Ob-reras': „Der überwiegende Teil der Bevölkerung hat die Wirtschaftspolitik derRegierung für ungültig erklärt"10.

Obwohl seine Partei in einem Kommunique den Generalstreik als „ungerecht,unangemessen, ungerechtfertigt, mit offenkundig politischer Intention geführt"11

scharf verurteilt hatte, räumte Ministerpräsident Gonzalez in einem „ihm sonstfremden Ton der Bitterkeit und Niedergeschlagenheit"12 ein, die Regierung habeeine Niederlage erlitten. Er zog einen besonders umstrittenen Notplan zur Be-kämpfung der Jugendarbeitslosigkeit wenige Tage nach dem Streik zurück undsagte eine Ausweitung der Arbeitslosenunterstützung sowie die begrenzte Anhe-bung der Mindestpensionen zu. Ganz unabhängig von Spekulationen, wie massivden Gewerkschaften tatsächlich eine politische Mobilisierung gegen die Regie-rung gelungen ist13, hat der Erfolg des Generalstreiks doch den Sozialisten „denRuf ihrer Unbesiegbarkeit"14 genommen. Ihre Erfolge bei der Modernisierung derWirtschaft, ein auch im dritten Jahr kaum gebrochener Wirtschaftsboom mitüberdurchschnittlichen Wachstumsraten, schließlich die seit 1985 1,2 Millionenneu geschaffenen Arbeitsplätze und eine wenn auch langsam fallende Arbeitslo-senquote konnten nicht verhindern, daß immer mehr Spanier die Sozialpolitik derSozialisten ablehnten. Ähnlich wie der 23. Februar 1981, als eine Einheit derGuardia Civil das spanische Parlament überfiel, wurde der Tag des Generalstreiksals Schlüsseldatum der spanischen Demokratie empfunden: „Der 14. Dezember1988 wurde zum schwersten Schlag, den die Sozialisten in ihrer sechsjährigenAmtszeit einstecken mußten. Das Kabinett blieb ohne die Unterstützung seinernatürlichen Basis. Es konnte nur zwischen den beiden Möglichkeiten wählen, ent-weder zu einer Übereinkunft mit der Gewerkschaftsführung zu kommen oder wei-ter in einer Art aufgeklärtem Absolutismus zu regieren"15.

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Spanien

Die sozialen Kosten der Modernisierung

In einer Erklärung zur Lage der Nation vertrat Ministerpräsident Gonzalez zweiMonate später seinen Wirtschaftskurs: Die Zurückhaltung bei den Lohnforderun-gen habe die Wirtschaftserfolge Spaniens möglich gemacht, vor einer breiterenUmverteilung müsse der Aufschwung konsolidiert werden16. Er verschärfte dieAuseinandersetzung mit den Gewerkschaften sogar noch, indem er ihnen vorwarf,Partikularinteressen zu vertreten und mit ihren Streiks den Wirtschaftsauf-schwung zu gefährden. In offener Konfrontation grenzte er seine Partei deutlichvon den Gewerkschaften ab: „Eine Partei des demokratischen Sozialismus mußvolle Autonomie haben, um ihr wirtschafts- und sozialpolitisches Projekt festzule-gen. Sie darf nicht begrenzt, identifiziert oder verwechselt werden mit den strate-gischen Forderungen einer oder mehrerer Gewerkschaften. Denn die Gewerk-schaften vertreten nur einen Teil der Gesellschaft"17.

Bei den in aller Schärfe aufgebrochenen sozialen Auseinandersetzungen muß-ten der Regierung die Konjunkturdaten besonders unangenehm sein, die zur Jah-reswende errechnet wurden: Das Jahr 1988 war mit einem Inflationsschub vondurchschnittlich 5,8% zu Ende gegangen18. Es war nicht gelungen, die Inflations-rate auf die erhofften drei Prozent herunterzubringen und die Forderung an dieArbeitnehmer nach Mäßigung bei ihren Lohnforderungen so durch stabile Preiseabzusichern. Spaniens Arbeitnehmer mußten etwa bei einem Tarifangebot vondrei Prozent durch die öffentlichen Arbeitgeber Reallohneinbußen befürchten,während die sechs größten Banken 1988 Gewinne von über sechs Mrd. Mark regi-strierten und spektakuläre Gewinne die Unternehmen in die Lage versetzten, einDrittel ihres Maschinenparkes zu erneuern. Trotz des anhaltenden Wirtschafts-wachstums von wiederum fünf Prozent, noch einmal gestiegenen Investitionenausländischer Kapitalanleger19 sowie einem „geradezu atemberaubenden Anstiegdes Konsums"20 traten 1989 die Schattenseiten der spanischen Wirtschaftsent-wicklung deutlich hervor: Das Handelsbilanzdefizit wuchs weiter - auf einen Fehl-betrag von 36 Mrd. Mark, knapp 30% mehr als im Jahr zuvor21 -, auch deshalb ei-ne besorgniserregende Entwicklung, weil nach vielen Jahren stetigen Wachstumsdie Tourismus-Industrie, einer der wichtigsten Devisenbringer, deutliche Einbrü-che zu registrieren hatte. Eine gegenüber vielen europäischen Währungen über-bewertete Pesete zwang die Reiseveranstalter zu einem „Preis-Leistungs-Verhält-nis, das nicht mehr überall stimmt"22, und führte manchen Sonnensuchenden stattauf die Kanarischen Inseln billiger oder zum gleichen Preis in die Türkei oder garnach Südostasien.

Nach den Lobreden über den letzten westeuropäischen Markt mit Wachstums-chancen zu Beginn der Eingliederung in den Gemeinsamen Markt wurden auchdie Klagen über die Defizite der Wirtschaftsstruktur immer deutlicher: „Es gibtkaum Autobahnen, die Straßen sind oft in miserablem Zustand. Die Post arbeitetmehr schlecht als recht. Desolat ist das Telefonnetz, 600 000 Anwärter warten an-geblich auf einen Anschluß"23. Sozialpsychologisch aber scheint Spanien drei Jah-

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DIE EUROPAPOLITIK IN DEN MITGLIED STAATEN DER EG

re nach seinem Beitritt zur EG den Sprung nach Europa geschafft zu haben: „Diegeheiligte Mittagsruhe zwischen zwei und fünf, die Siesta, wird geopfert, um sichden Partnern im Ausland anzupassen. Manana, manana, das Vertrösten auf mor-gen, gilt nicht mehr"24, schrieb ein Beobachter aus dem Ausland, und ein spani-scher Banker stellte fest: „Hier herrscht ein neuer unternehmerischer Geist, einegänzlich veränderte Haltung zum Geld. Die spanischen Banken sind von der pro-testantischen Arbeitsethik infiziert"25.

Das Drängen der spanischen Europapolitiker auf die „soziale Dimension" derGemeinschaft ist auch ein Reflex auf die sozialpolitischen Konflikte im Lande. Soforderte EG-Staatssekretär Solbes die Gemeinschaft dazu auf, neben der Freizü-gigkeit für Waren, Dienstleistungen und Kapital auch Minimalrechte für die Ar-beitnehmer zu gewährleisten: „Wer durch die neue Wettbewerbslage auf demBinnenmarkt seinen Arbeitsplatz verliert, dem muß die Gemeinschaft eine Aus-bildung in einem anderen Bereich verschaffen"26. Während sich die regierendenSozialisten mit einem „Herz fürs Soziale"27 zu profilieren versuchen, ist zwischenden Interessenverbänden hingegen ein heftiger Streit über die konkrete Form dessozialen Europa entbrannt. Im Gegensatz zu den Arbeiterkommissionen, die einEG-einheitliches Modell für betriebliche Mitbestimmung, Arbeitsverträge, Ar-beitsschutz und berufliche Bildung fordern28, hält der UnternehmerverbandCEOE ein harmonisiertes soziales Modell keineswegs für eine Voraussetzung desBinnenmarktes: „Die EG sollte einige Minimalbedingungen festlegen, aber keineinheitliches Modell - dazu sind die Ausgangsbedingungen viel zu unterschied-lich. Außerdem müssen wir bei solchen Festlegungen an unsere Konkurrenz inTaiwan, Korea oder Hongkong denken. Schon jetzt ist der Arbeiter in Europa insozialer Hinsicht gut abgesichert"29.

Von Hannover nach Madrid: Spanien vor dem BinnenmarktAus spanischer Sicht war es der deutschen Präsidentschaft vor dem Gipfel in Han-nover gelungen, die anstehenden Probleme in den Sektorialpolitiken zu lösen undden Weg frei zu machen zu einem Europäischen Rat, der sich nicht mit Detailfra-gen plagen mußte, sondern die großen Linien auf dem Weg zum europäischenBinnenmarkt diskutieren konnte. Die Spanier hatten zuvor den Beschlüssen derAgrarminister zugestimmt, die Spaniens Bauern Einkommenssteigerungen vonzwei Prozent zugestanden - im Gegensatz zu einer Nullrunde für die meisten an-deren Länder. Auch mit den Beschlüssen über die Ausstattung der Strukturfondszeigte sich Madrid zufrieden: Mit der Zusage von etwa 110 Mio. Mark auf einenZeitraum von fünf Jahren habe das Land für seine am wenigsten entwickelten Re-gionen „80 Prozent dessen erreicht, was wir erreichen wollten"30 - immerhin einknappes Fünftel aller zur Verfügung stehenden Mittel. Wie die Vereinbarungenüber die Liberalisierung des Kapitalverkehrs und des Transports auf den Straßenbegrüßte Madrid auch die Beschlüsse über die Anerkennung von Universitätsdi-plomen, besonders weil sie „langfristig zu einer Harmonisierung der Ausbildungs-systeme der Zwölf führen wird"31. Trotzdem entstand unmittelbar vor dem Gipfel

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eine gewisse Verstimmung über das Aktionsprogramm bis Ende 1989, das Bun-deskanzler Kohl in Hannover absegnen lassen wollte. Der Vorschlag wurde inSpanien als „empfindliche Einengung des Spielraumes für die eigene Präsident-schaft"32 empfunden. Als ein Zugeständnis an die beiden folgenden Präsidial-mächte Griechenland und Spanien wertete Madrid, daß der Gipfel von Hannoverauf die Verabschiedung eines förmlichen Auftrags dann verzichtete.

„Wohin man auch schaut, der Gipfel von Hannover war ein Erfolg für Europaund eröffnet begründete Hoffnungen"33, kommentierte El Pais geradezu eupho-risch. Wie schon bei früheren Gipfeltreffen machte sich Ministerpräsident Gonza-lez in Hannover für eine Übereinkunft zur sozialen Dimension als notwendigesElement für den Binnenmarkt stark. Er verband auch seine Unterstützung für dieArbeitsgruppe, die von der Hannoveraner Gipfelrunde mit langfristigen Plänenfür die Weiterentwicklung des Europäischen Währungssystems beauftragt wurde,mit dieser Forderung. Während sich Spaniens Regierung trotz der Ankündigung,die Pesete mittelfristig ins EWS zu integrieren, mit der Forderung nach einerZentralbank zurückhielt, nannte die Presse die Schaffung einer gemeinsamenWährung und die Errichtung einer Europäischen Zentralbank eine mittelfristiglogische Folge des Europäischen Währungssystems und der Freiheit des Kapital-verkehrs. Vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschaftslage mit ihren konjunk-turellen Unwägbarkeiten kündigte Pedro Solbes im Frühjahr 1989 vor dem Gipfelin Madrid an, zunächst sollten „komplexere und verfeinerte Schemen der Zusam-menarbeit"34 entwickelt werden. Dabei sei zunächst vor allem zu klären, wo diePesete im EWS positioniert wird und in welchem Maß sie floaten kann. Allein1988 hatte sie 6% gegenüber dem Dollar und gegenüber der ECU 3,4% an Wertgewonnen.

Ohne sich auf bestimmte Fristen in der Währungspolitik festzulegen, erklärteauch Außenminister Fernändez Ordönez bei seinem programmatischen Auftrittvor dem Europäischen Parlament zu Beginn der spanischen Präsidentschaft, eineWährungsunion sei notwendig, wenn man zu einer politischen Union Europakommen wolle. In seiner außenpolitisch geprägten Rede, in der er das „Fehlen ei-nes gemeinsamen Wortes der Gemeinschaft angesichts der enormen Verschul-dung Lateinamerikas"35 kritisierte und die Zwölf zu einer gemeinsamen Anstren-gung zugunsten der Veränderungsprozesse in Osteuropa aufforderte, fiel beson-ders auf, daß mit dem ausdrücklichen Bekenntnis zur „überragenden Bedeutungder Dimension der Sicherheit innerhalb der Europäischen Union"36 Spaniens In-teresse am Aufbau einer gemeinsamen Verteidigungspolitik offiziell in die Ge-meinschaftsdiskussion eingeführt wurde.

Blickrichtung Europa

Von der Öffentlichkeit fast unbemerkt, vollzog Spanien 1988 einen weiteren ent-scheidenden Schritt im Prozeß seiner internationalen Integration. Zusammen mitdem Nachbarn Portugal wurde das Land im November Mitglied der Westeuropä-ischen Union. Das Beitrittsprotokoll las sich wie das sicherheitspolitische Konzept

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DIE EUROPAPOLITIK IN DEN MITGLIED STAATEN DER EG

der Madrider Regierung: „Der Aufbau eines integrierten Europa bleibt unvoll-ständig, solange Sicherheit und Verteidigung nicht eingeschlossen sind"37. Unmit-telbar danach wurde der drei Jahre lang zäh verhandelte neue Stützpunktvertragzwischen Spanien und den USA unterzeichnet. Mit dem Abzug von 72 taktischenF-16-Jagd-Bombern vom Stützpunkt Torrejön bei Madrid sowie der Verringerungder Zahl von US-Soldaten von 12 000 auf 8000 setzte Madrid die 1986 im NATO-Referendum versprochene „substantielle Verringerung" der amerikanischen Mili-tärpräsenz durch - freilich mit dem Zugeständnis, auf eine Inspektion von US-Kriegsschiffen in seinen Gewässern, also die Überprüfung, ob sich Atomwaffen anBord befinden, zu verzichten.

Außenpolitisch ist Spanien zehn Jahre nach dem Übergang zur Demokratie dieKonsolidierung gelungen: Neben der Neuordnung seiner Sicherheitspolitik ist sei-ne neue Rolle in der EG dafür das wichtigste Zeichen. Im Inneren sind allerdingsganz neue Gegensätze sichtbar geworden. Ein politisches Szenario, „in dem Klas-sengewerkschaften gegen die sozialistische Regierung stehen, die Unternehmendie linke Regierung unterstützen und Sozialisten sich als Banker wohl fühlen"38,hat viele Bürger der Politik von neuem entfremdet. Für die Stabilität Spaniens istes deshalb um so wichtiger, seine demokratische Identität durch Anerkennungund Erfolge in der Europäischen Gemeinschaft weiter zu entwickeln39. Die Mit-wirkung an der europäischen Integration ist heute zu einem der wesentlichenMerkmale der politischen Kultur Spaniens geworden: „Der Drang nach Nordenist die Triebfeder und der heimliche, brennende Wunsch der neuen spanischenGeneration, die unter Franco mitleidig belächelt wurde. Dahinter steht derWunsch nach Aufnahme in den Klub der Besten - eine selbstgestellte Aufgabe,die den spanischen Stolz anstachelt"40. Für das Jahr 1992 hat sich Spanien zudemmit den Olympischen Spielen in Barcelona, der Weltausstellung in Sevilla und derVergabe der Kulturstadt Europas nach Madrid hohe Ziele gesetzt. 1992 bietetnicht nur einmalige Werbechancen, sondern vor allem die Möglichkeit, aller Weltzu zeigen, wozu das demokratische, zu Europa gehörende Spanien in der Lage ist.

Anmerkungen

1 Spaniens König Juan Carlos am 7. 12.1988 bei 6 Interview mit „El Pais", 31. 12. 1988.der Aufnahme in die französische Akademie 7 Vgl. dpa, 28. 12. 1988.der politischen Wissenschaften, zitiert nach El 8 Vgl. Valoraciön politica de 1989, in: Prisa,Pais, 8. 12. 1988. Anuario El Pais 1989, S. 66-68, Madrid 1989.

2 El Pais, 31. 12. 1988. 9 Dpa, 14. 12. 1988.3 Vgl. „Europafieber in Spanien", NZZ, 10 Zitiert nach dpa, 14. 12. 1988.

31. 12. 1988. 11 Zitiert nach „Der Spiegel", 19. 12. 1988.4 Eine Regierungsquelle, zitiert nach El Pais, 12 Dpa, 21. 12. 1988.

29. 9. 1988. 13 Die Tageszeitung „La Vanguardia" wies da-5 Vgl. „Vorwärts - und über die Pyrenäen hin- rauf hin, daß viele der Streikenden nicht aus

weg", Peter Frey, Rheinischer Merkur, freiem Willen der Arbeit ferngeblieben seien:23. 12. 1988. „Mehr als die Hälfte sahen sich gezwungen zu

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streiken, aus Angst, oder weil die Betriebe ge-schlossen waren und es keine Verkehrsmittelgab", zitiert nach F.A.Z., 14. 12. 1988.

14 Walter Haubrich bemerkt, die spanischen Ge-werkschaften schenkten den entscheidendenThemen moderner Sozialpolitik wie „Mitbe-stimmung, Arbeitszeitverkürzung, moderneTechnologien zu wenig Aufmerksamkeit" undseien zu sehr auf die Wahrung von Einzelin-teressen, z. B. der Beschäftigten im Öffent-lichen Dienst konzentriert, in: Radikale Ge-werkschaften sind Spaniens Last, in: F.A.Z.,10. 2. 1989.

15 El Pais-Chefredakteur Joaquin Estefania,Teoria de Contradicciones, in: Anuario ElPais 1989, S. 11, Madrid 1989.

16 EG-Staatssekretär Solbes erklärte bei einemGespräch mit dem Autor am 29. 4. 1989 inMadrid: „Wir müssen den Wirtschaftsauf-schwung nutzen, um neue Arbeitsplätze zuschaffen, nicht um die Löhne zu erhöhen. Esgeht um eine langfristige Strategie: Nicht brei-te Verteilung des Wachstums, sondern durchInvestitionen gezielte Impulse für bestimmteBranchen. Das schafft Stabilität und Langzeit-effekte, von denen alle profitieren".

17 Zitiert nach F.A.Z., 13. 2. 1989.18 Vgl. N.Z.Z., 23. 1. 1989.19 Auslandsinvestitionen 1988: 849 500 Mio. Pe-

seten, 1987: 727 279 Mio. Peseten, zitiertnach: Anuario El Pais 1989, S. 373, Madrid1989.

20 Die Weltwoche, 9. 2. 1989.21 Dpa, 22. 1. 1989. Vgl. auch Schröder, Man-

fred F.: Ein Land stolpert in die Industriege-sellschaft, Süddeutsche Zeitung, 25. 2. 1989.

22 Dpa, 26. 2. 1989.23 Schmid, Klaus-Peter: Aufschwung in eine

neue Zeit, Die Zeit, 27. 1. 1989.24 Ebd.25 International Herald Tribüne, 19. 5. 1988.26 Staatssekretär Solbes im Gespräch mit dem

Autor.27 Vgl. Frey, Peter: Ein Herz fürs Soziale, Rhei-

nischer Merkur, 28. 4. 1989.28 CCOO-Sprecher Jorge Aragon am 30. 4. 1989

in Madrid im Gespräch mit dem Autor.29 CEOE-Sprecher Javier Areitio am 30. 4. 1989

in Madrid im Gespräch mit dem Autor.30 Pedro Solbes, zitiert nach El Pais, 15. 6. 1988;

s. auch Seidel, Bernhard: Regional- und So-zialpolitik, in diesem Band.

31 Pedro Solbes, zitiert nach El Pais, 23. 6. 1988.32 Expansion, 27. 6. 1988; s. auch Hort, Peter:

Der Europäische Rat, in diesem Band.33 El Pais, 30. 6. 1988; s. auch Garthe, Michael:

Bundesrepublik Deutschland, in diesemBand; Hort, a.a.O.

34 Im schon zitierten Gespräch mit dem Autor.35 Zitiert nach Manuskript.36 Ebd.37 Dpa, 14. 11. 1988; s. auch Schmidt, Peter: Si-

cherheitspolitik in Westeuropa, in diesemBand.

38 Vgl. Estefania, a.a.O.39 Vgl. Frey, Peter: Spanien und Europa, Die

spanischen Intellektuellen und die Europä-ische Integration, Europa Union-Verlag,Bonn 1989.

40 Herzog, Werner: Spanien hofft auf dasTraumjahr 1992, Frankfurter Rundschau,22. 7. 1988.

Weiterführende LiteraturAmed, Samuel und Salvador Garcia Castäneda:

La cultura espanola en el posfranquismo, 10anos de eine, cultura y literatura, Madrid 1988.

Frey, Peter: El Pais. Der Komet aus den Kata-komben, in: Neue Medien, Nr. 9, S. 77, Ham-burg 1988.

Gomez Fuentes, Angel: Asi cambiarä Espana: Labatalla del mercado Comün, Plaza y Janes, Bar-celona 1986.

Gonzalez Sardo,Luis: La decada del cambio, Bar-celona 1987.

Oreja, Marcelino: Europa, para que: Respuestaseuropeas a problemas actuales, Barcelona 1987.

Robert de Ventös, Xavier: El laberinto de lahispanidad, Barcelona 1987.

Sänchez, Victorio: Espana 1992, Esperanza de unfuturo, Barcelona 1984.

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