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NEUE ZÜRCHER ZEITUNG Schweiger Woche Dienstag, 21. Oktober 1952 Blatt 7 Mittagausgabe Nr. 2315 Ton appenzellischem Kunsthandwerk Ein hochwertiges Erzeugnis des altschweizerischen Kunstgewerbes Bu. Wer den Hauptort Appenzell seit Jahren nicht mehr durchstreift hat, ist erstaunt über die Veränderungen, die sich im Bild des Ortes seit rund zwanzig Jahren vollzogen haben. Eine wohltuende und fast südlich anmutende farbige Heiterkeit geht von den Fassaden und von den edel feeschweiften Giebeln einzelner Bürgerhäuser der Hauptgassen und des Landsgemeindeplatzes aus, die sich durch die Kraft des Gegensatzes recht eigenartig von der Folie der grünen Hügelwellen des appenzellischen Vorlandes und von den silbernen Ketten des Alp- steins abheben. ,,Die Zeit der bleichen Hauswände und der öden Eintönigkeit scheint endgültig ge- bannt zu sein!" erklärt mir der Maler Johannes Huaentobler, der in einem bescheidenen Winkel des feudalen Schlosses residiert und selbst einer der tatkräftigen Förderer und Nousohöpfor der Haus- fassaden und Giebel des appenzellischen Weich- bildes ist. ,,Als ich mich vor vielen Jahren an die Reno- vation der Löwen-Drogerie machte, schlugen die übermalt ist, die Fassaden eines Cafes und zwein Gasthöfe erwähnt, deren eine auf strahlendes und intensives Braunrot gestimmt ist; es sind durchweg klare und , .heraldische" Farben, und zusammen- fassend darf von allen diesen Fassadenerneue- rungen gesagt sein, daß sie im gleichen Geist und in der gleichen Gesinnung konzipiert und geschaf- fen wurden, aus dem auch die ehrwürdigen alten Hauswände entstanden sind. Wir haben diese Einzelheiten lediglich ange- führt, um einmal mehr darzulegen, wie tief Schön- heitssinn und Fronde nm klaren farbigen Ausdruck einen der Grundzüge appenzellischen Wesens aus- machen, genau so, wie es auch gewiß keinem bloßen Zufall entspringt, wenn der arme Kanton Appen- zell die reichste Frauentracht des zweifelsohne ver- schwenderisch dotierten schweizerischen Trnehton- flores aufweisen kann. Die nämlichen Charakter- züge von der die Völkerkundler behaupten, daß sie ihren eigentlichen Grund in der Mischung eines südlichen und eines nördlichen Menschenschlages haben prägen naturge- mäß auch die Innenarchi- tektur des Appenzellorvölk- leins, wie sie beispielsweise in der ins Schweizerische Landesmuseum gewander- ten schlicht-schönen Stube des Wirtshauses Engel", in alten, fröhlich und farbenreich bemalten Kästen und nicht zuletzt in den altüberlieferten Kunsthandwerken, in den Gewerben des Feinsatt- lers, des Pergament flech- ters, des Messingschmie- des, des Weißküfers sich ausdrücken. Von Treicheln, Hosenträgern und Tabakbeuteln In de r Werkstatt für Messing- und Lederarbeiten Enten Leute des Fleckens vor Entsetzen die Hände über dem Kopf zusammen, und heute scheinen sie schon fast wieder dem andern Extrem einer allzu großen Buntheit verfallen zu sein. Daß die Be- hausungen der Menschen des 17. Jahrhunderts und allem Anschein nach auch jene des lli. und des 15. Jahrhunderts einem sicheren Form- und Farbensinn gehuldigt haben, bezeugen n. a. das alte ehemalige Landammannhaus an der Sitter, Bäcke- rei und offenbar einst Mühle. Unter einer weiß ge- tünchten Mauer barg es ein reich geschmücktes Holzwerk, das heute freilich bedenklich ausgelaugt ist, jedoch an den Händern noch immer Relikte von einer befreienden Lehensechtheit und Intensität er- kennen läßt. Von Häusern des Ortes Appenzell, die mit glücklicher Hnnd neu und farbenfreudig ein- gewandet worden sind, seien das Tor", das Haus einer Weinhandlung, das franz mit Trauben Zum ..Senntum" er- hören alle Gerätschaften der Sennerei und Sattlerei soweit sie nicht in die Do- mäne des holzverarbeiten- den Weißküfers fallen. Man muß sich ordentlich bücken, nm sich in das Inner e des Ateliers zu tasten, das etwas unter der Niveaulinie der Straße liegt. Taubengraue und laubBtrüne Kommoden und Laden verleihen dem Raum sein besonderes Ambiente, und von den Wanden grüßen die vielen farbenfrohen Er- zeugnisse des alteingesesse- nen Hauses, dessen Inhaber Johann Baptist Fäßlcr be- reits die viert e Generation der diesem Beruf ergebe- nen Familie repräsentiert. Die sehr farbigen (die Appenzeller nennen sie genbogenfarbig" oder Wollwirke- reien und Fransen für den Kummet der Zugtiere, die schweren ledernen Glockenbänder der Kühe, die verschwenderisch gepunzten Messingspiegel der Tiere, die sie nennen, Schuhlöffel und Kleiderhaken für das sauber verstoppte lederne Tabakbeutel mit kunstvoll ver- zierten Messingböden und nicht zuletzt die schmuck- schlanken Hosenträger der Sennen aus Zeugleder und sonnengleich blitzendem Messing: alle diese unendlich vielfältigen und vielgestaltigen Früchte kunsthandwerklichen Fleißes wiederholen die Motive des Sennenlebens in nie langweilenden Prägungen den pfeifenschmauchenden Sennen, seine Kühe, das Saumroß und oft noch eine Eskorte von Ziegen. Und für alle Gegenstände, die bei der Alpfahrt in besonderem (ilanz hervortreten, werden dieselben Grundmaterialien, nämlich dunkel gefärbtes Zeiig- -rf- Neben den verschie- denen Werkstätten des alt- schweizerische n Kunstge- werbes sind die einstigen Glasbrennereien des Amtei Entlebuch im Stande Lu- zern einer besonderen Er- wähnung wert. Noch um die Mitte des 18. Jahrhun- derts war in dieser Gegend eine ganze Reihe bewährter Meister an der Arbeit, kunstgewerblich hochwer- tige Glasprodukte zu schal- ten. Die hervorragenden Lei- stungen der Gebrüder Josef, Peter und Michael Siegwart, die 1723 in der Gegend von Escholzmatt eine Glashütte hauten, sind honte bloß noch dein Ge- werbe - Geschichtsforscher und noch lebenden Nach- kommen des erwähnten Geschlechtes bekannt. Die Akten der luzernischen und bernischen Staatsarchive und die Familiendoku- niente gehen Kenntnis von der Wirksamkeit der einstigen Glasbrennereien des Entlebuchs und deren herrlich gefärbten, figurengeschmückten Erzeug- nissen, die weit über die Landesgrenzen hinaus beachtet wurden und hoch geschätzt waren. (Vgl. Schwendimann, Luzernische Handels- und Gewerbe- politik, S. 112 f.) lTm das Jahr 172(i begannen die Besitzer der Glashütte auf der Hirsegg ihre Produktion auf Opalglas umzustellen. Die Zeitgenossen sahen in der genannten Werkstätte ganze Tatelservice ent- stehen und für den Handel bereitstellen, alles Pro- dukte, die den damaligen Porzcllanschöpfungen OpatglasScrvkc aus Uirsegg (Entlebuch) 172S und mit ihrem Emaildekor den venezianischen Millatiori-Glasprodukton täuschend ähnlich waren. Diese altschweizerischen kunstgewerblichen Er- zeugnisse, die einst als Prunkservice manches Fami- lienhuf fet zierten, sind heute in unserem Lando zur Seltenheit geworden. De r größte Teil von ihnen wanderte, zu enormen Preisen erworben wie die hier im Bilde vorgeführten Stücke , als Rarität in die Sammlungen amerikanischer Millionäre oder als bemerkenswerte altschweizerische Seltenheit in die Räume ausländischer Museon. Es wäre inter- essant, zu erforschen, wie viole Stücke von dem hier geschilderten Kunstgute sich die staatlichen Sam- melstellen der Schweiz gesichert haben. runsen mit vorgeformtem Meißel an einer Alessingarbeit Photo« Schmidhalter leder (Rinds- und Kuhloder), Messing und Perga- ment, verwendet. Bei den mit Pergament üherflochtenon Leder- riemen werden vorerst mit der Ahle die Löchlein ge- stochen und dann die dünnen Pergamontstroifen mit großer Fingerfertigkeit im mit der Xadel eingeführt, während man sich bei de n Metallarbei- ten ausschließlich kleiner, bereits vorgeformter Meißel bedient, von donen die hauptsächlichsten schon vom Großvater und Urgroßvater gehraucht wurden. Es sind Werkzeuge, von denon nicht nur jedes seine Eigenart, Individualität und Funktion besitzt, sondern auch seinen Eigennamen. So heißt der zarteste Meißel in dieser urchigen Handwerkor- und Haussprache Fineli", jener, mit dem die Gräslein und Zweige einer Tanne ans dem gelben Metall getrieben worden, der Mei- ßel, mit dem Mensch und Tieren Augen eingesetzt worden, kurzerhand Aeugli" und der wichtige Meißel, mit dem die Treicheln plastisch aus dem Metall geformt worden, Haller". Der einzige weitere Gegenstand, der reliefartig aus der Messing- flache wird, ist die strahlende Sonne am Firmament. Wurden einmal erste Kuh" und erste Senn" von Hand entworfen, so werden die andern später mit der Reißnadel mit Hilfe einer Messing- schablone umrissen und dann mit einer zarten Laub- säge ausgeschnitten. Diese fröhlichen Messing- figuren werden dann mit dem sie tragenden Leder auf kunstvolle Art vornietet. Zum Schutz der Hirtenhemden wird die dunkle Oberseite der Hosen- träger mit einem Riemen aus lilienweißem Leder unterlegt. Eigenartig nimmt sich die überlieferte Abstufung der Motive nach dem Alter ihres Trägers aus: so werden einem zwölfjährigen Jüngling in der Regel nur zwei Messingkiilie zugebilligt, ein älterer darf drei Kühe tragen, die jedoch nicht ganz so groß sind wie die der Männer, in deren Kreis der Jüngling mit dem Vorlassen der Rekrutenschule aufgenommen wird . . . Zum Schluß werden alle Er- zeugnisse dieses Familienunternehmens mit dem Hauszeichen, dem Herz mit dem Dreieck, versehen. alle können natürlich keinen städtischen Lohn beanspruchen", teilt mir beim Abschied der älteste Sohn mit, wir sind glücklich und stolz, ein Handwerk zu üben und unsern Kindern weiterzugehen, das ein Stück Seele unterer Heimat verkörpert und das ohne diese Bemühung zum Aus- sterben verurteilt wäre." Die Werkstatt des ITeißküfer* Sein Material ist im Appenzellischen das Holz .!er Rottanne, wie es im Bündnerland jones der Arve und im Wallis das an der Sonne rasch dunkelnde Lärchenholz ist; einzig für die Präzisionsarbeiten an den Bolzschlössern wird Holz des gut getrock- neten Ackerahorns verwendet Bemerkenswert an diesem altüberlieferten und ebenfalls typisch appen- zellischen Kunsthandwerk ist, daß auch hier mit Ausnahme eines gelegentlichen Vorfrasens der Grun'dküben nicht eine einzige Maschine bean- sprucht wird, ja daß selbst die Verwendung von Nägeln und Schrauben zur Vernietung von Tansen und Milchgefäßen als mit aller Ent- schiedenheit abgelehnt wird. Der eingebürgerte Niiine oder ..Weißkühloroi" bezieht sich auf die Farbe des Rohmaterials und steht im Gegensatz zur bei der die Metall- reifen eine entscheidende Roilo spielen; Konner der Technik der Weißküferei behaupten auch mit i-'utrm Grund, weißer, desto besser", und der bedächtige Weißküfer betont besonders genie, daß das Brot", d. h. der feine Niederschlag an der Innenwand der Holzgeräte erst das eigentliche Kennzeichen ihrer Qualität sei, für die das alte Handwerkszeichen der Tulpe bürgen soll. Die verschiedenartigen Erzeugnisse der Weiß- küfprei sind so mannigfaltig, daß sie der Gegen- stand einer umfassenden Dissertation sein könnten; jedenfalls sind ihre Gebrauchsgegenstände so innig mit der Milchwirtschaft und mit dem ganzen innerrhodischen Rrauehftim verflochten, daß man von ihnen kaum zu berichten vermag, ohne nicht gleichzeitig auch der hohen Tage der Sennen vorab des Alpaufzugs, der Alpü herfahrten und der zu gedenken, an donen nicht zuletzt die ebenso munter wie kunstsinnig fjemnlten der Fahreimer eine gewichtige Rolle spielen: Danebon gibt es nun freilic h auch verein- zelte erlesene Kunstgegenstände, wie die bretter" der Stallwände, die heute leide r so gut wie ganz versehwunden sind. Der erste Gegenstand, der mir auf meinem Rundgang durch die Werkstätten, durch die Maga- zine und Lager des appenzellischen Weißküfers Johann Faßler begegnet, ist ein noch nicht ganz ausgeformtes, gewaltiges Alphorn. Für die Erzeu- gung von. Alphörnern müssen krumm gewachsene nn'3' aufgeschossene Rottannen aufgespalten und alsdann ausgehöhlt, zusammengeleimt und einge- bunden werden, und mit Vorteil werden für diesen besonderen Zweck Stämme verwendet, unter denen die Erde (nachgibt). Wieder und wieder steht man überrascht und bewundernd vor diesen edeln, schlicht und zweckmäßig geformten Dingen, vor einem anmutig gefügten Stoßbutterfaß mit fein geschwungenem Joch und einem noch weit älteren Stößolbuttorfaß, bei welchem die Milch nicht geschwungen, sondern wie die Korner bei den primitiven Völkern Asiens und Afrikas gestoßen wird. Der ursprüngliche Milchtrichter, hat später eine bemerkenswerte Stil- und Bedeutungswandlung zum zum Singen und Sprechen des Alpsegens erfahren. In ähnlicher Weise haben Teile der sogenannten alten ..Käsform", bestehend aus (dem Brett). (Holzmantel) und Tropfkübel, als Wurst-, Fleisch- und Käsebrettchen oder als Folie der Tüchli" eine Umbiegung ins oder erlebt, aber die (Sauer- tanse), das Gefäß, in welchem das Brechen des Käsewassers vollzogen wird, die aparten Sehotten- kübel und Milchnäpfe und schließlich die reichen Assortimente der zuweilen verzierten schuefle" (Rahmschöpfer) und die schönen Rahm- eimer mit den Schnäbeln werden glücklicherweise noch immer erzeugt, gebraucht und verlangt . . . Kleinere stilvolle Gebrauchsgegenstände aus deT Werkstatt de* Weißküfers, die nie Mode waren und deshalb auch nie aus der Mode kommen werden, sind die Melkeimer, die aus denen dem Vieh das Salz verabreicht wird, die sogenann- ten jene kleinen Holzschiffchen, die man zum Vorknoten der Schnüre um die Heuhlachen verwendet, dann die sogenannten ..Mötteli", die henkellosen, schönen Holzgefäße, und endlieh die ..Chäshölzli". und ..Chästürmli". welche das Ablaufen des Wassen aus der Käsemasse beschleunigt und geregelt werden solL Besuch bei einem Modelbildhauer Auch der Appenzellische Holzbildhauer Heins Xcff. dessen Vorfahren um 1400 aus dem st. galli- schen Rheintal eingewandert sind, hat sich einen guten Namen gemacht, und zwar als Schnitzer von Modeln für Biber. Lebkuchen und Mit großer leichtigkeit und großenteils ohne jede Vor- lage gelingt es ihm. die Holzformen im Negativ aus- zuschneiden. Auch hier begegnen uns die beliebten \ orwürfe HUs dem Sennenleben, daneben aber auch Krippenbilder, Heiligenfiguren, heraldische und mehr landschaftlich inspirierte Motive. Drs Kunsthandwerk scheint den rVwr\hn«>;rn dieses saubern und sympathischen Hauptort«** im Blut zu üocrn. und selbst die süßen und mehr ephemeren Darstellungen des Zuckerbäckers und Konditors Willy h'aßlrr tracer noch einen Ahclsna der Formsicherheit seiner Verwandten und Namens- vettern. Abschließend sei wenigstens stichwort- artig auf die phantasievollen Arbeiten »tor appenzellischen Bauernmalerei, einschließlich <;$<;>;r farbensatten rhrvcrschalungvn. sowio auf ö.-.j» Tätigkeit der appenzell!:«* SiilH.Ts-chiuusie un,j Stickerinnen Neue Zürcher Zeitung vom 21.10.1952

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NEUE ZÜRCHER ZEITUNG Schweiger Woche Dienstag, 21. Oktober 1952 Blatt 7Mittagausgabe Nr. 2315

Ton appenzellischem Kunsthandwerk Ein hochwertiges Erzeugnis des altschweizerischen Kunstgewerbes

Bu. Wer den Hauptort Appenzell seit Jahrennicht mehr durchstreift hat, ist erstaunt über dieVeränderungen, die sich im Bild des Ortes seit rundzwanzig Jahren vollzogen haben. Eine wohltuendeund fast südlich anmutende farbige Heiterkeit gehtvon den Fassaden und von den edel feeschweiftenGiebeln einzelner Bürgerhäuser der Hauptgassenund des Landsgemeindeplatzes aus, die sich durchdie Kraft des Gegensatzes recht eigenartig von derFolie der grünen Hügelwellen des appenzellischenVorlandes und von den silbernen Ketten des Alp-steins abheben. ,,Die Zeit der bleichen Hauswändeund der öden Eintönigkeit scheint endgültig ge-bannt zu sein!" erklärt mir der Maler JohannesHuaentobler, der in einem bescheidenen Winkel desfeudalen Schlosses residiert und selbst einer dertatkräftigen Förderer und Nousohöpfor der Haus-fassaden und Giebel des appenzellischen Weich-bildes ist.

,,Als ich mich vor vielen Jahren an die Reno-vation der Löwen-Drogerie machte, schlugen die

übermalt ist, die Fassaden eines Cafes und zweinGasthöfe erwähnt, deren eine auf strahlendes undintensives Braunrot gestimmt ist; es sind durchwegklare und , .heraldische" Farben, und zusammen-fassend darf von allen diesen Fassadenerneue-rungen gesagt sein, daß sie im gleichen Geist undin der gleichen Gesinnung konzipiert und geschaf-

fen wurden, aus dem auch die ehrwürdigen altenHauswände entstanden sind.

Wir haben diese Einzelheiten lediglich ange-führt, um einmal mehr darzulegen, wie tief Schön-heitssinn und Fronde nm klaren farbigen Ausdruckeinen der Grundzüge appenzellischen Wesens aus-machen, genau so, wie es auch gewiß keinem bloßenZufall entspringt, wenn der arme Kanton Appen-zell die reichste Frauentracht des zweifelsohne ver-schwenderisch dotierten schweizerischen Trnehton-flores aufweisen kann. Die nämlichen Charakter-züge von der die Völkerkundler behaupten, daßsie ihren eigentlichen Grund in der Mischung einessüdlichen und eines nördlichen Menschenschlages

haben prägen naturge-mäß auch die Innenarchi-tektur des Appenzellorvölk-leins, wie sie beispielsweise

in der ins SchweizerischeLandesmuseum gewander-

ten schlicht-schönen Stubedes WirtshausesEngel", in alten, fröhlichund farbenreich bemaltenKästen und nicht zuletztin den altüberliefertenKunsthandwerken, in denGewerben des Feinsatt-lers, des Pergament flech-ters, des Messingschmie-des, des Weißküfers sichausdrücken.

Von Treicheln,Hosenträgern und

Tabakbeuteln

In d er Werkstatt für Messing- und Lederarbeiten

Enten Leute des Fleckens vor Entsetzen die Händeüber dem Kopf zusammen, und heute scheinen sieschon fast wieder dem andern Extrem einer allzugroßen Buntheit verfallen zu sein. Daß die Be-hausungen der Menschen des 17. Jahrhundertsund allem Anschein nach auch jene des lli. und des15. Jahrhunderts einem sicheren Form- undFarbensinn gehuldigt haben, bezeugen n. a. das alteehemalige Landammannhaus an der Sitter, Bäcke-rei und offenbar einst Mühle. Unter einer weiß ge-tünchten Mauer barg es ein reich geschmücktesHolzwerk, das heute freilich bedenklich ausgelaugtist, jedoch an den Händern noch immer Relikte voneiner befreienden Lehensechtheit und Intensität er-kennen läßt. Von Häusern des Ortes Appenzell, diemit glücklicher Hnnd neu und farbenfreudig ein-gewandet worden sind, seien das Tor", dasHaus einer Weinhandlung, das franz mit Trauben

Zum ..Senntum" er-hören alle Gerätschaften derSennerei und Sattlereisoweit sie nicht in die Do-mäne des holzverarbeiten-den Weißküfers fallen.Man muß sich ordentlichbücken, nm sich in dasI n n e re des Ateliers zutasten, das etwas unterder Niveaulinie der Straßeliegt. Taubengraue undlaubBtrüne Kommoden undLaden verleihen dem Raumsein besonderes Ambiente,und von den Wanden grüßendie vielen farbenfrohen Er-zeugnisse des alteingesesse-

nen Hauses, dessen InhaberJohann Baptist Fäßlcr be-reits die v i e r te Generationder diesem Beruf ergebe-

nen Familie repräsentiert.Die sehr farbigen (dieAppenzeller nennen siegenbogenfarbig" oder Wollwirke-

reien und Fransen für den Kummet der Zugtiere, dieschweren ledernen Glockenbänder der Kühe, dieverschwenderisch gepunzten Messingspiegel derTiere, die sie nennen, Schuhlöffelund Kleiderhaken für das sauberverstoppte lederne Tabakbeutel mit kunstvoll ver-zierten Messingböden und nicht zuletzt die schmuck-schlanken Hosenträger der Sennen aus Zeuglederund sonnengleich blitzendem Messing: alle dieseunendlich vielfältigen und vielgestaltigen Früchtekunsthandwerklichen Fleißes wiederholen die Motivedes Sennenlebens in nie langweilenden Prägungen

den pfeifenschmauchenden Sennen, seine Kühe,das Saumroß und oft noch eine Eskorte von Ziegen.Und für alle Gegenstände, die bei der Alpfahrt inbesonderem (ilanz hervortreten, werden dieselbenGrundmaterialien, nämlich dunkel gefärbtes Zeiig-

-rf- Neben den verschie-denen Werkstätten des alt-schweizerischen Kunstge-werbes sind die einstigenGlasbrennereien des AmteiEntlebuch im Stande Lu-zern einer besonderen Er-wähnung wert. Noch umdie Mitte des 18. Jahrhun-derts war in dieser Gegendeine ganze Reihe bewährterMeister an der Arbeit,kunstgewerblich hochwer-tige Glasprodukte zu schal-ten.

Die hervorragenden Lei-stungen der GebrüderJosef, Peter und MichaelSiegwart, die 1723 in derGegend von Escholzmatteine Glashütte hauten, sindhonte bloß noch dein Ge-werbe - Geschichtsforscherund noch lebenden Nach-kommen des erwähntenGeschlechtes bekannt. DieAkten der luzernischen undbernischen Staatsarchive und die Familiendoku-niente gehen Kenntnis von der Wirksamkeit dereinstigen Glasbrennereien des Entlebuchs und derenherrlich gefärbten, figurengeschmückten Erzeug-nissen, die weit über die Landesgrenzen hinausbeachtet wurden und hoch geschätzt waren. (Vgl.Schwendimann, Luzernische Handels- und Gewerbe-politik, S. 112 f.)

lTm das Jahr 172(i begannen die Besitzer derGlashütte auf der Hirsegg ihre Produktion aufOpalglas umzustellen. Die Zeitgenossen sahen inder genannten Werkstätte ganze Tatelservice ent-stehen und für den Handel bereitstellen, alles Pro-dukte, die den damaligen Porzcllanschöpfungen

OpatglasScrvkc aus Uirsegg (Entlebuch) 172S

und mit ihrem Emaildekor den venezianischenMillatiori-Glasprodukton täuschend ähnlich waren.Diese altschweizerischen kunstgewerblichen Er-

zeugnisse, die einst als Prunkservice manches Fami-lienhuf fet zierten, sind heute in unserem Lando zurSeltenheit geworden. D er größte Teil von ihnenwanderte, zu enormen Preisen erworben wie diehier im Bilde vorgeführten Stücke , als Raritätin die Sammlungen amerikanischer Millionäre oderals bemerkenswerte altschweizerische Seltenheit indie Räume ausländischer Museon. Es wäre inter-essant, zu erforschen, wie viole Stücke von dem hiergeschilderten Kunstgute sich die staatlichen Sam-melstellen der Schweiz gesichert haben.

runsen mit vorgeformtem Meißel an einer Alessingarbeit Photo« Schmidhalter

leder (Rinds- und Kuhloder), Messing und Perga-ment, verwendet.

Bei den mit Pergament üherflochtenon Leder-riemen werden vorerst mit der Ahle die Löchlein ge-

stochen und dann die dünnen Pergamontstroifen mitgroßer Fingerfertigkeit im mit der Xadeleingeführt, während man sich bei d en Metallarbei-ten ausschließlich kleiner, bereits vorgeformterMeißel bedient, von donen die hauptsächlichsten

schon vom Großvater und Urgroßvater gehraucht

wurden. Es sind Werkzeuge, von denon nicht nurjedes seine Eigenart, Individualität und Funktionbesitzt, sondern auch seinen Eigennamen. So heißtder zarteste Meißel in dieser urchigen Handwerkor-und Haussprache Fineli", jener, mit dem dieGräslein und Zweige einer Tanne ans dem gelben

Metall getrieben worden, der Mei-ßel, mit dem Mensch und Tieren Augen eingesetztworden, kurzerhand Aeugli" und der wichtigeMeißel, mit dem die Treicheln plastisch aus demMetall geformt worden, Haller". Der einzige

weitere Gegenstand, der reliefartig aus der Messing-

flache wird, ist die strahlende Sonneam Firmament.

Wurden einmal erste Kuh" und ersteSenn" von Hand entworfen, so werden die andernspäter mit der Reißnadel mit Hilfe einer Messing-

schablone umrissen und dann mit einer zarten Laub-säge ausgeschnitten. Diese fröhlichen Messing-figuren werden dann mit dem sie tragenden Lederauf kunstvolle Art vornietet. Zum Schutz derHirtenhemden wird die dunkle Oberseite der Hosen-träger mit einem Riemen aus lilienweißem Lederunterlegt. Eigenartig nimmt sich die überlieferteAbstufung der Motive nach dem Alter ihres Trägers

aus: so werden einem zwölfjährigen Jüngling in derRegel nur zwei Messingkiilie zugebilligt, ein ältererdarf drei Kühe tragen, die jedoch nicht ganz sogroß sind wie die der Männer, in deren Kreis derJüngling mit dem Vorlassen der Rekrutenschuleaufgenommen wird . . . Zum Schluß werden alle Er-zeugnisse dieses Familienunternehmens mit demHauszeichen, dem Herz mit dem Dreieck, versehen.

alle können natürlich keinen städtischen Lohnbeanspruchen", teilt mir beim Abschied der ältesteSohn mit, wir sind glücklich undstolz, ein Handwerk zu üben und unsern Kindernweiterzugehen, das ein Stück Seele unterer Heimatverkörpert und das ohne diese Bemühung zum Aus-sterben verurteilt wäre."

Die Werkstatt des ITeißküfer*

Sein Material ist im Appenzellischen das Holz.!er Rottanne, wie es im Bündnerland jones der Arveund im Wallis das an der Sonne rasch dunkelndeLärchenholz ist; einzig für die Präzisionsarbeitenan den Bolzschlössern wird Holz des gut getrock-

neten Ackerahorns verwendet Bemerkenswert andiesem altüberlieferten und ebenfalls typisch appen-zellischen Kunsthandwerk ist, daß auch hier mitAusnahme eines gelegentlichen Vorfrasens derGrun'dküben nicht eine einzige Maschine bean-sprucht wird, ja daß selbst die Verwendung vonNägeln und Schrauben zur Vernietung von Tansenund Milchgefäßen als mit aller Ent-schiedenheit abgelehnt wird. Der eingebürgerte

Niiine oder ..Weißkühloroi" beziehtsich auf die Farbe des Rohmaterials und steht imGegensatz zur bei der die Metall-reifen eine entscheidende Roilo spielen; Konner derTechnik der Weißküferei behaupten auch miti-'utrm Grund, weißer, desto besser", und derbedächtige Weißküfer betont besonders genie, daßdas Brot", d. h. der feine Niederschlag ander Innenwand der Holzgeräte erst das eigentlicheKennzeichen ihrer Qualität sei, für die das alteHandwerkszeichen der Tulpe bürgen soll.

Die verschiedenartigen Erzeugnisse der Weiß-küfprei sind so mannigfaltig, daß sie der Gegen-

stand einer umfassenden Dissertation sein könnten;jedenfalls sind ihre Gebrauchsgegenstände soinnig mit der Milchwirtschaft und mit dem ganzen

innerrhodischen Rrauehftim verflochten, daß manvon ihnen kaum zu berichten vermag, ohne nichtgleichzeitig auch der hohen Tage der Sennenvorab des Alpaufzugs, der Alpü herfahrten und der

zu gedenken, an donen nicht zuletztdie ebenso munter wie kunstsinnig fjemnlten

der Fahreimer eine gewichtige Rollespielen: Danebon gibt es nun f rei l ich auch verein-zelte erlesene Kunstgegenstände, wie diebretter" der Stallwände, die heute leider so gut wieganz versehwunden sind.

Der erste Gegenstand, der mir auf meinemRundgang durch die Werkstätten, durch die Maga-zine und Lager des appenzellischen WeißküfersJohann Faßler begegnet, ist ein noch nicht ganzausgeformtes, gewaltiges Alphorn. Für die Erzeu-gung von. Alphörnern müssen krumm gewachsene

nn'3' aufgeschossene Rottannen aufgespalten undalsdann ausgehöhlt, zusammengeleimt und einge-bunden werden, und mit Vorteil werden für diesenbesonderen Zweck Stämme verwendet, unter denendie Erde (nachgibt). Wieder und wiedersteht man überrascht und bewundernd vor diesenedeln, schlicht und zweckmäßig geformten Dingen,vor einem anmutig gefügten Stoßbutterfaß mit feingeschwungenem Joch und einem noch weit älterenStößolbuttorfaß, bei welchem die Milch nichtgeschwungen, sondern wie die Korner bei denprimitiven Völkern Asiens und Afrikas gestoßen

wird. Der ursprüngliche Milchtrichter, hat spätereine bemerkenswerte Stil- und Bedeutungswandlungzum zum Singen und Sprechendes Alpsegens erfahren. In ähnlicher Weisehaben Teile der sogenannten alten ..Käsform",bestehend aus (dem Brett).(Holzmantel) und Tropfkübel, als Wurst-, Fleisch-und Käsebrettchen oder als Folie derTüchli" eine Umbiegung ins oder

erlebt, aber die (Sauer-tanse), das Gefäß, in welchem das Brechen desKäsewassers vollzogen wird, die aparten Sehotten-kübel und Milchnäpfe und schließlich die reichenAssortimente der zuweilen verziertenschuefle" (Rahmschöpfer) und die schönen Rahm-eimer mit den Schnäbeln werden glücklicherweisenoch immer erzeugt, gebraucht und verlangt

. . .Kleinere stilvolle Gebrauchsgegenstände aus deTWerkstatt de* Weißküfers, die nie Mode waren unddeshalb auch nie aus der Mode kommen werden,sind die Melkeimer, die aus denendem Vieh das Salz verabreicht wird, die sogenann-ten jene kleinen Holzschiffchen, die manzum Vorknoten der Schnüre um die Heuhlachenverwendet, dann die sogenannten ..Mötteli", diehenkellosen, schönen Holzgefäße, und endlieh die..Chäshölzli". und ..Chästürmli".

welche das Ablaufen des Wassen aus derKäsemasse beschleunigt und geregelt werden solL

Besuch bei einem Modelbildhauer

Auch der Appenzellische Holzbildhauer HeinsXcff. dessen Vorfahren um 1400 aus dem st. galli-schen Rheintal eingewandert sind, hat sich einenguten Namen gemacht, und zwar als Schnitzer vonModeln für Biber. Lebkuchen und Mitgroßer leichtigkeit und großenteils ohne jede Vor-lage gelingt

es ihm. die Holzformen im Negativ aus-zuschneiden. Auch hier begegnen uns die beliebten\ orwürfe HUs dem Sennenleben, daneben aber auchKrippenbilder, Heiligenfiguren, heraldische undmehr landschaftlich inspirierte Motive.

Drs Kunsthandwerk scheint den rVwr\hn«>;rndieses saubern und sympathischen Hauptort«** imBlut zu üocrn. und selbst die süßen und mehrephemeren Darstellungen des Zuckerbäckers undKonditors Willy h'aßlrr tracer noch einen Ahclsnader Formsicherheit seiner Verwandten und Namens-vettern. Abschließend sei wenigstens stichwort-artig auf die phantasievollen Arbeiten »torappenzellischen Bauernmalerei, einschließlich <;$<;>;r

farbensatten rhrvcrschalungvn. sowio auf ö.-.j»Tätigkeit der appenzell!:«* SiilH.Ts-chiuusie un,jStickerinnen

Neue Zürcher Zeitung vom 21.10.1952