sardinien 2004 - radventure.deradventure.de/downs/sard.pdf · immer wieder wache ich auf. die nacht...

25
SARDINIEN 2004 Ein Reisebericht von Tristan Wegner

Upload: others

Post on 29-Oct-2019

5 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: SARDINIEN 2004 - radventure.deradventure.de/downs/sard.pdf · Immer wieder wache ich auf. Die Nacht geht einfach nicht um. Um kurz vor vier Uhr ver-lasse ich meine Isomatte, um mich

SARDINIEN 2004

Ein Reisebericht von Tristan Wegner

Page 2: SARDINIEN 2004 - radventure.deradventure.de/downs/sard.pdf · Immer wieder wache ich auf. Die Nacht geht einfach nicht um. Um kurz vor vier Uhr ver-lasse ich meine Isomatte, um mich

Noch etwas schlaftrunkenstehe ich auf, begebe mich insBad und genieße die heißeDusche; wer weiß wann ichwieder Gelegenheit dazuhaben werde. Auch wenn dasHungergefühl sich noch nichteingestellt hat, schlucke ichmein Müsli und packe danachdie letzten Sachen in die biszum Platzen vollenPacktaschen. Hoffentlich fälltmir jetzt nicht noch ein etwasgroßes vergessen zu haben...Die anfängliche Gelassenheitschlägt bald in Hetze um, dergroße Zeiger der Küchenuhrnährt sich immer mehr derAbfahrtszeit der S-Bahn. Mitfliegenden Fahnen verlasse ichschließlich meine Eltern undschiebe nach kurzer Fahrt dasRad auf den Bahnhof.Entgegen kommt mir ein gan-zes Dutzend bekannterGesichter unserer Schule -man feierte wohl bis vor kur-zem die gerade begonnenenFerien.Mit der ersten Bahn des nochjungen Tages erreiche ich denHauptbahnhof und besteigeden Regionalzug. Wieder gehtes mit dem Wochenendticketder Bahn gen Süden. An daszahlreiche Umsteigen und dielange Fahrzeit habe ich michmittlerweile schon gewöhnt. Doch dafür trifft man in derBahn auch immer wieder netteMitfahrer. In meinem Fall solltemir der Tag durch eineSchaffnerin versüßt werden.Mitte vierzig, blonde Haare undder "kölsche" Dialekt. Aucheine gewisse Zerstreutheit warnicht zu übersehen.

Ab Koblenz wird derBahnverkehr in Richtung Trierauf Busse verlegt und ich sehe

mich schon mein vollbeladenesRad im Bus transportieren.Glücklicherweise erfahre ichnoch, dass trotzGleisbauarbeiten später amTag noch ein Zug auf derStrecke verkehrt.

Es dämmert bereits, als ich inBullay den Bahnsteig betrete.Der Flughafen Hahn liegtunpraktischer Weise mitten imHunsrück und um dorthin zugelangen, folge ich der erst fla-chen, dann gemächlich anstei-genden Straße ihren zahlrei-chen Windungen hinauf aufdas Hochplateau desHunsrück. Um mich herumriecht es nach Holz und es istkühl. Nach den vielen Stundenim Zug ist der holzige Geruchsehr angenehm und ich genie-ße es wieder in der Natur zusein.

Jedenfalls bis die Straße mit10% Steigung meineKonzentration von denNadelbäumen auf das kleinsteKettenblatt richtet. Ich wuchtemich Meter für Meter weiter;habe dafür aber einen tollenBlick auf die gerade über demHunsrück untergehendeSonne.In völliger Dunkelheit wage ichmich für die letzten zweiKilometer auf die"Schnellstraße" in RichtungFlughafen. An mir donnernLaster und zahlreiche Autos mitHöchstgeschwindigkeiten vor-bei und ich bete hoffentlich balddie Ausfahrt zu erreichen.

Bevor ich dasFlughafengebäude betrete undmein Rad verpacke, gelingt esmir noch an einer Tankstellezwei alte Kartons zu organisie-ren um das Fahrrad besser zu

Sardinien 2004 www.bike-travel.de.vu

Tag 131,30 km Dialog mit einer Schaffnerin:

Schaffnerin: "Hallo, wo wollen Sie denn hin"?Ich: "Nach Bullay""Wo ist denn das?""Das liegt zwischen Koblenz und Trier, so dazwischen.""Aha - und da?""Von dort fahre ich dann mit dem Rad zum Flughafen.""Aber Bullay ist nicht mehr in Deutschland, oder?""Doch, es liegt zwischen Koblenz und Trier!""Ach so! Und für den Flug, müssen sie da auch was für bezahlen?""Ja, 90€. Ich fliege mit Ryanair, da wird das nicht so teuer.""(winkt ab) Neee...nene...keine Ahnung. Ich fahr nur Bahn, mein Lebenlang schon...Und in Bullay fahren Sie dann Fahrrad?""Nein!!! Ich fliege noch weg!""Ach so, mit welcher Airline denn?""Ryanair!!!!!""Hm...kenn ich nicht. Fahre auch mein Leben lang nur Bahn. Und wohinfliegen sie nun?""Nach Sardinien""Aha.....""Das ist Italien...""Und da fahren Sie noch ganz mit dem Zug hin?""Nein! Ich fahre nach Bullay. Und von dort fahre ich zum Flughafen unddann fliege ich nach Sardinien!!!""Aha! Darum fragte ich ja, wo Bullay eigentlich liegt. Und das Plastik daums Rad haben Sie, damit es bei Regen nicht nass wird?""Nein, damit das Rad beim Flug nicht beschädigt wird...""Mann, mann...dann mal ne gute Reise!"

Page 3: SARDINIEN 2004 - radventure.deradventure.de/downs/sard.pdf · Immer wieder wache ich auf. Die Nacht geht einfach nicht um. Um kurz vor vier Uhr ver-lasse ich meine Isomatte, um mich

schützen. Geschafft von derkurzen Nacht, der langwierigenBahnfahrt und 30 Kilometernbergauf, bin ich völlig fertig mitden Nerven und könnte michfast dafür hassen mal wiedersolch eine Reise zu unterneh-men. Auf den harten Stühlen imTerminal 1 nicke ich immer wie-der ein und beschließe irgend-wann dann doch meineIsomatte auszupacken ummich auf den Boden zu legen.Immerhin bekomme ich so einbisschen Schlaf.

Sardinien 2004www.bike-travel.de.vu

Sonnenuntergang in der Eifel

Page 4: SARDINIEN 2004 - radventure.deradventure.de/downs/sard.pdf · Immer wieder wache ich auf. Die Nacht geht einfach nicht um. Um kurz vor vier Uhr ver-lasse ich meine Isomatte, um mich

Immer wieder wache ich auf.Die Nacht geht einfach nichtum. Um kurz vor vier Uhr ver-lasse ich meine Isomatte, ummich dann in den Terminal 2 zu

begeben, da diesererst jetzt öffnet.Glücklicherweise gerate ichbeim Check-In an eine jungeund etwas unerfahreneAngestellte, die mir das eineKilo Übergepäck nicht berech-net. Am Schalter neben mir,darf eine andere Angestelltegerade 6€ pro Kilo kassieren.Glück gehabt!Nach den obligatorischenSicherheitschecks, sitze ichbald im Flieger, der doch uner-wartet voll ist. Trotzdem ergat-tere ich mir einen Fensterplatzund die Boing 737-800 hebt ab.Unter mir liegt der Hunsrück inder Morgendämmerung undman sieht noch überall dieLichter der Straßen und Häuserleuchten. Dann geht die Sonneauf und wir befinden uns überder dichten Wolkendecke, dieerst über den Alpen aufreißtund einen herrlichen Blick aufdie schneebedeckten Bergefreigibt. Zum Mittelmeer hin

wird die Sicht wieder schlechterund man kann kaum dasWasser unter sich erkennen. Im Landeanflug gibt es dannmehr zu sehen: Die schneebe-deckten Berge Korsikas,Sardinien in vollem Grün, diezahlreichen kleinen Felsen, dieüber die ganze Landschaft ver-teilt sind. Am Flughafen kommt alleswohlbehalten an, auch derBenzinkocher, um den ich mir

am meisten Sorgen machte, daich mir nicht sicher war, ob mandamit so einfach durch dieSicherheitskontrollen kommt.Nach dem Auspacken desRades verlasse ich denFlughafen in die noch etwasmorgendliche Kühle undsogleich schlägt mir der typi-sche Duft entgegen, den ichimmer nur in Italienwahrnehme. Abernicht nur Italien duftet;auch viele blühendePflanzen lassenahnen, dass derFrühling hier bereits invollen Zügen ist. NachOlbia geht es auf derKüstenstraße desGolfo Aranci voran.Leider auch an eini-gen Gewerbe- undIndustriegebieten vorbei. Dannwird es aber wunderschön:Eine ruhige Straße, dahinterliegt das Meer. Alles blüht undduftet, ich genieße jeden

Atemzug. Es ist mittlerweile sowarm geworden, dass ichmeine lange Kleidung ablegeund in kurzer Hose und Trikotfahre. Auf dem Weg zur CostaSmeralda verfahre ich mich lei-der vollkommen, da eine neueStraße nicht auf meiner Karteeingezeichnet ist.Glücklicherweise finde ich baldeine Tankstelle um mir endlichBenzin für den Kocher besor-gen zu können. Mit knurrendem Magen breiteich mich in einer kleinenNebenstraße aus, packe mei-nen Kocher aus. Doch was istdas? Die Pumpe baut in derFlasche keinen Druck auf. Na,das geht ja gut los...und nun?Eine Dreiviertelstunde basteleich an der Pumpe herum umerst dann blöderweise festzu-stellen, dass sich dasPumpenleder vom Kolbengelöst hat. Als es dann jedochwieder an Ort und Stelle sitztgeht alles wunderbar und ichkomme zu einer riesigenPortion Nudeln. Irgendwie scheint es heutenicht wirklich super voran zugehen. Erst das ständigeVerfahren, dann der "kaputte"

Kocher - mittlerweile ist esschon zwei Uhr und ich haberst 20 Kilometer geschafft. Zuallem Übel biege ich dannschon wieder falsch ab undfolge einer steil ansteigenden

Sardinien 2004 www.bike-travel.de.vu

Tag 263,87 km

Page 5: SARDINIEN 2004 - radventure.deradventure.de/downs/sard.pdf · Immer wieder wache ich auf. Die Nacht geht einfach nicht um. Um kurz vor vier Uhr ver-lasse ich meine Isomatte, um mich

Straße. Um die Mittagszeit istes hier schon verdammt heiß -fast zu heiß. Nach einer folgen-

den Abfahrt durch dieLandschaft stelle ich erst dannfest, dass ich auf der Straßegelandet bin, die nachArzachena und nicht an dieCosta Smeralda führt. Na ja,sei's drum - fahre ich die Tourhalt anders. Und so biege ichauf eine kleine, unbefestigteStraße ein. Links und rechtsvon mir erheben sich mehrereMeter hoch dieKakteensträucher, vor mir liegtdie staubige Piste und mit ihreine felsige und schroffeLandschaft. Ich fühlte mich fastwie im Wilden Westen. DurchWind und Wetter wurden dieFelsen im Laufe derJahrhunderte immer weiter ver-formt und ausgehöhlt, sodassman Gesichter und Tiere in denFormationen zu erkennenglaubt.Über die größtenteils staubigePiste geht es bergauf in einenkleinen Ort und anschließendgleich wieder bergab. In derEbene bemerke ich zum erstenmal wie heftig der Wind heuteüberhaupt weht - denn nunkommt er von vorne. Dafürstehe ich nach ein paarKilometern auf der leicht stei-genden Straße endlich amMeer. Vor mir liegt eine kleineBucht mit ihrem türkisblauenWasser. Vor der Küste liegen

ein paar kleine Inseln. Ich drehe wieder in RichtungSüden ab und suche nach

einem Übernach-tungsplatz. EinEinwohner meint,dass es einenCampingplatz gebe.Allerdings liegt er nur10 Kilometer in dieRichtung, aus der ichgerade gekommenbin. Und ob er offenist? Aber sicher doch,der hat geöffnet. Ich

bleibe skeptisch. Zum einenwill ich nicht wieder alleszurückfahren, zum anderendürfte noch kein Campingplatzgeöffnet haben, wenn meinCampingführer recht hat.

So radele ich entlang derStraße und versu-che immer wiedereinen Platz zumwilden Campenzu finden. DasUnterfangen wirddabei schwierigerals gedacht. DieVegetation desg e s a m t e nKüstenabschnittsbesteht aus dich-ten Sträuchern, die keinenPlatz lassen um irgendwo einZelt aufzustellen. Wiesen gibtes hier auch nicht. Im Endeffektfinde ich einen kleinen abge-schiedenen Strand, weit wegvon der Straße. In der abend-lichen Kälte harre ich so langeaus, bis auch die letztenEinheimischen verschwundensind. Diese wollten alle nochdie Abendstunden am Wassergenießen. Natürlich aus demwarmen Auto heraus. Dannbaue ich mein Zelt in denDünen auf und mir fallen um 21Uhr bereits die Augen zu - ichbin todmüde. Endlich wieder

richtig schlafen.

Sardinien 2004www.bike-travel.de.vu

Page 6: SARDINIEN 2004 - radventure.deradventure.de/downs/sard.pdf · Immer wieder wache ich auf. Die Nacht geht einfach nicht um. Um kurz vor vier Uhr ver-lasse ich meine Isomatte, um mich

Am nächsten Morgen ist dasZelt klitschnass. Als gerade dieSonne aufgeht, geht am Strandjemand mit seinem Hund spa-zieren. Verdammt! Ich wolltedoch auf sein, bevor hier ande-re Leute auftauchen. Nachdem ich alles zusammen-gepackt habe versuche ichmein Fahrrad wieder einmaldurch den weichen Sand zu"schieben". Mit dem Ergebnis,dass Kette und Felgen voller

Sand sind, als ich wieder aufder Straße ankomme. Miteinem Lappen säubere ich diebeiden Teile notdürftig undfolge dann dem auf und ab derKüstenstraße. Links und rechtszur Straße stehen zahlreichepotthässliche und verlasseneFerienanlagen. Zu dieserJahreszeit ist hier alles ruhig.Auch der Supermarkt hat nochgeschlossen. Schließlichbeginnt hier die Saison frühe-stens im Mai. Nach mehreren Kilometern desHungerns finde ich endlich eineBar und leiste mir zweiCroissants sowie ein belegtesBrötchen. Das war aber auchallerhöchste Zeit! Ich hatteabsolut keine Nahrung (vonNudeln einmal abgesehen) beimir, da ich bis jetzt noch nichtzum Einkaufen kam und dieVersorgungslage bis jetzt auchdenkbar schlecht war.

In den Vororten von Olbia findeich endlich einen Supermarktund kaufe erst einmal richtigein. Und das während meinvollbepacktes Rad draußen vorder Tür steht. Ich hoffe einfach,dass niemand auf die Ideekommt mein Gepäck nachetwas wertvollem zu durchsu-chen. Vor allem nicht derStraßenhändler, welcher keine10 Meter weiter seinen Standvoller Ramsch aufgestellt hat.Über Kopfsteinpflaster derübelsten Kategorie geht es aus

der Stadt raus.Wieder am Flughafenvorbei. Nun beginntder eigentliche Weggen Süden auf der"Orientale Sarda".Diese Straße mit derNummer 125 verläuftimmer entlang derOstküste Sardiniensvon Palau im Nordenbis Cagliari ganz im

Süden der Insel.Der Wind kommt heuteungünstigerweise die ganzeZeit von vorne und so arbeiteich mich entlang der nichtbesonders reizvollen Straßevorwärts. Erst in Porto S. Páoloeröffnet sich der Blick auf eineeinsame Bucht und die Insel"Isola Tavolara". Diese Insel istgerade einmal einen Kilometerbreit und erhebt sich dement-sprechend extrem steil bis auf560 Meter.Im Ort San Teodoro irre ichumher und suche eine kleineund ruhige Straße in RichtungSüden. Dabei übersehe icheinen schlafenden Hund amStraßenrand und überfahre ihnhalb. Unter lauten Gebellspringt er auf und läuft mirhinterher. Er erschreckte sichwohl mindestens so heftig wieich mich.Keine hundert Meter weiter

wartet schon der nächste klei-ne Kläffer auf mich. Währenddas Frauchen noch hinter ihmher ruft, flitzt er schon vomGrundstück herunter und mirhinterher. Ich trete in diePedale und entkomme ich nachkurzem Sprint glücklicher-weise.Dann steigt die Straße steil anund ich schwitze in derMittagssonne tierisch. Am Passangekommen weht mir jedochwieder eine steife Brise entge-gen und ich lasse mich abwärtsrollen bevor ich mich amStraßenrand zum zweitenFrühstück niederlasse.Anschließend geht es über klei-ne Straßen durch die flacherwerdende Gegend. Nur aufeinem isolierten Hügel erhebtsich die Burg der OrtschaftPosada. Neben der Straße gibtes viele Wiesen undMöglichkeiten zumWildcampen. Da es aber nochrelativ früh am Nachmittag ist,beschließe ich ganz gemütlichbis La Caletta weiterzurollen.Dort drehe ich ein paar Rundendurch den Ort und frage einigePassanten, ob es hier vielleichteinen Campingplatz gebe.Achselzucken. Irgendwie gera-te ich auf einen einsamen Wegaußerhalb des Ortes undkomme an einem Haus vorbei,wo ein alter Herr gerade seineGartenarbeit verrichtet. Ob eshier einen Campingplatz gäbe?Keine Ahnung. Aber er will ein-mal seine Frau fragen, diekönnte so etwas vielleicht wis-sen. Die etwas zahnlose undzweifelsohne alte Frau hatjedoch auch keine Idee. Dochsie ist sehr bemüht und fragtnoch die Nachbarn. Die habenjedoch auch keinen blassenSchimmer. Trotzdem gibt sienicht auf. Wir wollen es nochbei den nächsten Nachbarn

Sardinien 2004 www.bike-travel.de.vu

Tag 378,53 km

Page 7: SARDINIEN 2004 - radventure.deradventure.de/downs/sard.pdf · Immer wieder wache ich auf. Die Nacht geht einfach nicht um. Um kurz vor vier Uhr ver-lasse ich meine Isomatte, um mich

probieren. Während die alteFrau Schritt für Schritt die hol-perige Straße langsam voran-geht, schiebe ich mein Radnebenher. "Kann ich nicht vielleicht dortlinks auf der Wiese campen?""Ja, hast du denn ein Zelt?""Aber sicher! Ein Zelt habe ich.Es wäre ja auch nur für eineNacht..."Die Antwort, die ich erhalte isttatsächlich ein "Ja". Ich kannmein Glück gar nicht fassen.Nachdem ich den beiden versi-chert habe, dass ich auch einbraver Junge bin, darf ich meinZelt aufstellen. Und falls ichduschen möchte - das Bad istgleich nebenan. Wahnsinn! Nach dem allabendlichen

Kontrollanruf bei meiner Mutterschreibe ich etwasTourtagebuch. Dann kommt diealte Dame heraus und bittetmich doch ins Haus zu kom-men. Sie hätte schließlich dasKaminfeuer vorbereitet. Ichsage nicht nein und kurze Zeitspäter sitzen wir zu dritt in derwinzigen Küche. Der Kamin,welcher die einzige Heizquelleim Haus ist, strahlt wohligeWärme ab und wir unterhaltenuns mit meinen wenigenItalienischkenntnissen. DaVichi und ihr Mann jedoch nursardisch sprechen, welchessich ein wenig vomItalienischen unterscheidet,wird die ganze Angelegenheit

etwas komplizierter. Nebenan,im winzigen Wohnzimmer, lau-fen italienische Quizshows undVichi bereitet nebenbei selbst-gemachte Nudeln zu.Schließlich ist am kommendenSonntag ein großes kirchlichesFest und dann sollen diesegegessen werden. Später kommt der Bruder mei-ner Gastgeberin mit seinerFrau vorbei. Die lebte sogar fürlängere Zeit in Belgien undkann daher ein paar Brockendeutsch. Während Kaffee auf-gebrüht wird kommen auchnoch Giovanni und seineMutter vorbei. Giovanni ist deraufgeweckte, elfjährige Enkelvon Vichi und dementspre-chend sehr an dem fremden

Gast seinerGroßeltern interes-siert. Wir unterhaltenuns über seine Schulein Genua, wo er gera-de ein bisschenEnglisch lernt undüber meine weitereRoute. Dabei sindsich alle einig, dasses viel zu weit ist umbis nach Cagliari

innerhalb einer Woche zu fah-ren. Wir werden sehen...Anschließend gibt es nochSpaghetti Bolognese und manbietet mir sogar an, dass ichauch im Haus schlafen könnte,da die Nacht sicher sehr kaltwerden würde. Ich habe großeProbleme das großzügigeAngebot zurückzuweisen, daman mir einfach nicht glaubenwill, dass der Schlafsack warmgenug ist. Am Ende ziehe ichmich gut gesättigt in mein Zeltzurück und lege mir die Decke,die ich eben noch von Vichibekommen habe alsKopfkissen unter.

Sardinien 2004www.bike-travel.de.vu

Page 8: SARDINIEN 2004 - radventure.deradventure.de/downs/sard.pdf · Immer wieder wache ich auf. Die Nacht geht einfach nicht um. Um kurz vor vier Uhr ver-lasse ich meine Isomatte, um mich

Bevor ich von meinenGastgebern zum Milchkaffeeingeladen werde, hüpfe ich

noch schnell unter die Duscheim etwas dreckigenBadezimmer. Früher muss daseinmal das Gästehaus gewe-sen sein in dem wohl auch dieTochter einmal lebte.Heute wird es nichtmehr gebraucht undist dementsprechendetwas herunterge-kommen.Als ich meine Sachenz u s a m m e n p a c k e ,kommt noch einmalGiovanni vorbei umsich bei mir zu verab-schieden. Ich weißgar nicht wie ich mich bei denbeiden Sarden für ihre gren-zenlose Gastfreundschaftbedanken soll. Immer wiederdanke ich und die Antwort istjedes mal ein simples "Niente" -gern geschehen. Eigentlich istes fast schade diese nettenMenschen wieder zu verlas-sen. Ich habe sie tatsächlichrichtig lieb gewonnen in derkurzen Zeit.Dann mache ich mich wiederauf den Weg und beradele diekleine Straße nach Siniscola.An einem kleinen Grundstückgewinne ich mal wieder einenSprint gegen die heranrasen-

den Hunde - das Herz pochttrotzdem. In Siniscola beginntdann eine knackige Steigungund meine Knie fangen tat-sächlich wieder an zu schmer-

zen, da ich sie mirgestern unglücklicher-weise in der Hockesitzend verdrehthatte.Mit gedrosselterGeschwindigkeit kur-bele ich im kleinstenGang die kaum befah-rene Straße bergauf.Es ist schon jetzt heißund die Kurven wollenkaum enden, was

eigentlich auch kein Wunderist: Schließlich liegen mehr als800 Höhenmeter auf nur 15Kilometern vor mir. An einerAbzweigung dann das Schild

"Strada interrota" - Straßeunterbrochen. Na super...dassoll doch wohl nicht heißen,dass die Straße nicht befahrbarist? Der Straßenverlauf lässtsich kilometerlangverfolgen, da diesedirekt am Berghangangelegt ist. KeinAuto. Nicht dasgeringste Anzeichen,dass die Straßebenutzbar ist. Aberjetzt wieder sechs-hundert Höhenmeterbergab zu fahren istirgendwie auch nichtbefriedigend. Ich riskiere es.

Bis jetzt hat es immer irgend-wie geklappt. Während dieSteigung weiter die Kräfteraubt, schweift der Blick überzahlreiche Autowracks dieneben mir im tiefen Abgrundverrosten. Die Leitplankeschaut auch recht neu aus...In der Ferne ragt ein weitererHöhenzug auf und ich füllemein Wasser an einemBrunnen auf, welcher in eineralten Ruine zu finden ist. Dannkommt mir endlich das ersteAuto entgegen und ich werdevon den Bauarbeitern angefeu-ert, welche die Straße erneu-ern. Ein Erdrutsch hatte hiervor einigen Wochen die gesam-te Straße mitgerissen.Mittlerweile ist eine Spur wie-der befahrbar. Gegen Mittag erreiche ich dasdreihundert Meter tiefer gele-gene Lula und werde von dengerade vom Schulbus ausge-setzten Kindern wie einNationalheld gefeiert. Alle wol-len sie mich grüßen, alle brül-len sie begeisternd anfeuerndeParolen. Überaus verständlich,wann kommt auch mal ein voll-bepackter Reiseradler vorbei?Über zahlreiches auf und abbahne ich mir meinen weiterenWeg in Richtung Dorgali. Aneiner Auffahrt (wo auch sonst?)vernehme ich lautes Bellen.Zwei Hütehunde kommen aufeiner eingezäunten Weide auf

mich zugerast. Ich gebe

Sardinien 2004 www.bike-travel.de.vu

Tag 478 km

Page 9: SARDINIEN 2004 - radventure.deradventure.de/downs/sard.pdf · Immer wieder wache ich auf. Die Nacht geht einfach nicht um. Um kurz vor vier Uhr ver-lasse ich meine Isomatte, um mich

Vollgas und freue mich auf ihreblöden Gesichter, wenn siemerken werden, dass ein Zaunzwischen ihnen und dem mut-maßlichen Spielzeug liegt. EinBlick nach hinten. Die Biesterquetschen sich gerade unterdem Drahtzaun hindurch. DieStraße steigt. DasHerz pocht.Ungeahnte Kräftewerden plötzlich frei.Die Hunde sind groß.Sie sind weiß undkräftig. Und ver-dammt schnell! Nunaber los!! Erst sind siebeide hinter mir, dannneben mir. Dann einerlinks. Der andererechts. In Gedankensehe ich schon den erstenHund, wie er sich in meineTasche beist und mitschleifenlässt.

Irgendwann drehen die beidenglücklicherweise ab. Puh! Jetztgeht es erst einmal bergab undanschließend nach italienischer

Straßenbaumanierwieder steil bergauf.Der Pulsschlag gehtrunter. Vor mir liegtein einsames Schafauf der Straße. Dasfinde ich irgendwielustig. Was wohl soein einzelnes Schafhier macht? Ich begin-ne schon zu überle-

gen, wie sich das ganze foto-grafisch festhalten lässt. Dochdann springt das Schaf plötz-lich auf und...bellt! Scheiße,verdammte! Das gibt's dochnicht. Zwei nervende Hundeinnerhalb von weniger als 3Minuten. Wo bin ich denn hier

gelandet? Bevor ichvom Rad springe,bringe ich mit einerVollbremsung etwasGummi auf den

Asphalt. DerHund belltnoch einpaar Mal und läuftdann den Berghanghoch. Als ich mir auchwirklich sicher seinkann, dass er ver-schwunden ist wageich mich weiter. Nicht,dass der dich nachhernoch von oben

anspringt und niederreißt...beidiesen Tieren weiß man janie...Die Straße steigt weiter. Keinenhalben Meter neben mir

raschelt etwas im Gebüsch.Schon den nächsten, auf deneinsamen Radfahrer lauern-den, Hund vermutenderschrecke ich mich so heftig,dass ich fast vom Rad falle.Dann fliegen drei aufge-schreckte Vögel in die Luft.Entwarnung. Die Nerven liegentrotzdem blank.

Gegen Nachmittag versucheich einen Platz zumWildcampen zu finden undscheitere kläglich. Jede Wieseist eingezäunt oder von einemhohen Steinwall umgeben.Oder es steht eben ein Hunddrauf.Ich kapituliere für heute undgehe ins Bed&Breakfast inDorgali. Dafür, dass ich mich inder Nebensaison befinde, darfich immerhin noch stolze 25Euro abdrücken.

Sardinien 2004www.bike-travel.de.vu

Page 10: SARDINIEN 2004 - radventure.deradventure.de/downs/sard.pdf · Immer wieder wache ich auf. Die Nacht geht einfach nicht um. Um kurz vor vier Uhr ver-lasse ich meine Isomatte, um mich

Am Morgengibt es frische Brötchen sowieMilchkaffe und ich nutze dieGelegenheit mit dem Besitzerund drei Kletterern aus BonnSmalltalk zu betreiben.Anschließend will ich nochetwas Geld abheben, doch dieTür zum Bankautomaten lässtsich mit meiner Karte nicht öff-nen. Verdammt!!Und das, wo ichnach der teurenÜbernachtungkaum einen Centim Portemonneehabe. Als derh i l f s b e r e i t eWachmann mirerläutert, dassdie Karte mitd e mMagnetstreifennach oben ein-geführt werdenmuss öffnet sichdie Tür seltsa-merweise doch. Wie peinlich.Dabei war sogar eine großeZeichnung neben dem Schlitzangebracht. Vielleicht bin ichnoch nicht ganz wach.

Die Straße, welche aus süd-licher Richtung aus Dorgali her-ausführt ist wieder die Nr. 125,die Orientale Sarda. Diesezieht sich entlang desGebirgsrückens, welcher daseinzige Hindernis zwischendem Meer und mir darstellt.Neben der Straße fällt die

Landschaft fast senk-recht ab und geht inein liebliches Tal über.Das Licht ist zu so frü-her Stunde wunder-schön. Im Tal wird vielLandwirtschaft betrie-ben und die Feldergleichen einemFlickenteppich. Hierund dort steigt noch

Rauch aus denKaminen derHäuser. Vor mirtaucht schonwieder ein Hundauf der Straßeauf, welcher sichaber gleich ver-zieht, als icha n h a l t e .N e u e r d i n g shabe ich einpaar kleinereSteine in denTrikottaschen.Nur zurSicherheit. Man

weiß ja nie. Die gestrigenHundebegegnungenmüssen meinePsyche wohl mitge-nommen haben.

Die Straße steigt rela-tiv gemütlich und ichbin überrascht, dassauf diesr alsHauptstraße klassifi-zierten Route so gutwie gar kein Verkehrist. Der Flickenteppich im Talwird kleiner und kleiner, sodass

sich bald zu meiner rechteneine tiefe Schlucht im mirg e g e n ü b e r l i e g e n d e nGebirgszug auftut. Die Gola suGorruppu ist mit 300 Metern dietiefste und engste SchluchtSardiniens und dementspre-chend beliebt bei Wanderern.

Diese Schlucht gehört bereitszum Gennargentu, dem höch-sten Gebirge und Dach derInsel. Zu diesem gehört auchder höchste Gipfel Brcu. Spinamit 1829 Metern. Hier oben istdie Landschaft ist ein absoluterTraum und bald erreiche ichden Pass Genna Silana auf

1017 Metern. Plötzlich kreuzteine Familie wilder Schweine

Sardinien 2004 www.bike-travel.de.vu

Tag 553,92 km

Page 11: SARDINIEN 2004 - radventure.deradventure.de/downs/sard.pdf · Immer wieder wache ich auf. Die Nacht geht einfach nicht um. Um kurz vor vier Uhr ver-lasse ich meine Isomatte, um mich

laut grunzend die Straße.Damit hatte ich nun gar nichtgerechnet und so bleibt mirnichts anderes übrig als ihnenverdutzt hinterher zu schauen.

Bei einer längeren Abfahrtkomme ich immer wieder anfrei umherlaufendenZiegenherden vorbei und errei-che später Urzulei, von wo ausich meine Reise in RichtungTalana über eine winzig kleineStraße fortsetze. Nach einemlängeren Downhill folgt derberüchtigte starke Anstieg undich begegne Hunderten vonZiegen, die sich jedoch alsäußerst scheu erweisen undsich jedem Fotoapparat entzie-hen. Da die Straße nach Villagrandemit einem dicken Schild undder Aufschrift "Strada chiusa",Straße geschlossen, versehenist, nehme ich die Umleitung in

Richtung Villanova. Auf meinerKarte ist die Straße ab derHälfte der Strecke jedoch als"schwer befahrbare Straße"

eingezeichnet. Nun,wir werden sehen...Ehrlichgesagt ist dieStraße eher imMoment schwerbefahrbar - jedenfallsfür mich. Über sechsKilometer windet sichdie Straße in zahlrei-chen Serpentinen mitstetigen 10% gen

Himmel. Schnell klackt dasSchaltwerk im ersten Gang unddie Pausen werden immer häu-figer. Doch der Blick wird vonKurve zu Kurve, vonHöhenmeter zu Höhenmeter,immer grandioser. 15 KilometerLuftlinie weiter istbereits Arbatax, wel-ches vor allem wegenseiner roten Felsenbei Touristen berühmtgeworden ist. UndArbatax liegt an derKüste. Endlich kannman seine Höhe ein-mal richtig sehen. Ichsehe denMeeresspiegel, überdem ich mich schließlich 1070Meter befinde, als ich am PassBucca e Tomanu ankomme.Die Anstrengung hat sichgelohnt! Der Blick ist bezau-bernd. Unter mir liegen dieHäuser winzig klein; auch

Menschen undStraßen sind kaumauszumachen. Selbstdie Berge zur Küstehin liegen weit untermir. Ich habe fast dasGefühl im Flugzeugzu sitzen.Und das Schönste ist,dass hier oben allesflach und fast vegeta-tionslos ist. Die

Entscheidung steht schnellfest. Einen besseren Über-nachtungsplatz werde ich nichtfinden können. Neben mir quie-

ken wieder ein paar wildeSchweine im Unterholz und mitder Dämmerung baue ich meinZelt im Sichtschutz einigerSträucher auf. Am Abendschaue ich noch lange in denSternenhimmel und träumeherum. Ich liebe Übernachtun-gen an einsamen Orten!

Sardinien 2004www.bike-travel.de.vu

Page 12: SARDINIEN 2004 - radventure.deradventure.de/downs/sard.pdf · Immer wieder wache ich auf. Die Nacht geht einfach nicht um. Um kurz vor vier Uhr ver-lasse ich meine Isomatte, um mich

Die Nacht im Zelt ist wie erwar-tet recht kalt und am nächstenMorgen sind Zelt und Rad mit

einer dünnen Eisschicht über-zogen.Ich habe mir den Wecker extrazeitig gestellt, da ich denSonnenaufgang von hier obensehen will. Nach demZeltabbau sitze ich noch eineWeile am Aussichtspunkt undgenieße die erstenSonnenstrahlen des noch jun-gen Tages. Unter mir zieht sicheine dichte Wolkendecke hin.Ich erlebe zum ersten Maleinen Sonnenaufgang mitFahrrad über den Wolken. Was

für ein herrliches Gefühl! Über die winzige Straße, diegerade einmal eineinhalbAutobreiten breit ist, radele ichdurch die karge Landschaft

weiter. Es geht langebergab und vor mirragen die höchstenGipfel desGennargentu auf. Anden felsigen Hängenkleben teilweise nocheinige Schneefelder. Achtung: Auch wenndie Straße in derKarte als "schwerbefahrbahr" einge-zeichnet ist, dieseInformation stimmtschon lange nichtmehr.

In Villanova decke ichmich mitLebensmitteln ein unddie Blicke zahlreicherkleiner Schulkinderhaften auf mir.Während ich vor demGeschäft mein erstesFrühstück einnehme,werde ich von denvielen alten, ganz inschwarz gehülltenFrauen gegrüßt, dieihre Enkel zur Schulebringen. Entlang einerkleinen Straße geht

es zum Lago Alto diFlumendosa, wo sich selbigeentlang des Seeufers immerauf und abwärts schlängelt. Da der See auf über 800Metern Höhe liegt, ist hier obennoch nicht der Frühling ange-brochen und die Landschaftsieht noch sehr winterlich undrauh aus.Die leicht ansteigende Straßeohne erwähnenswertenVerkehr verläuft später entlangeines Gebirgsrückens. Mehrerehundert Meter unter mir hat

sich der größte FlussSardiniens, der FiumeFlumendosa, seinen Wegdurch das Gebirge gegraben.Die Strecke gehört eindeutig zueiner der Schönsten aufSardinien - so viel ist sicher.Neben mir das tiefe Flusstal,dahinter liegen gleich die teil-weise noch mit etwas Schneebedeckten Gipfel desGennargentu. An zahlreichen Kühen undPferden führt die Straße weiterbis zum Pass Genna e Medau,hinter dem es viel bergab gehtund das Flusstal nicht mehreinzusehen ist. An einerAbzweigung fahre ich inRichtung Ussassai, es gibtauch noch eine Straße nachSeui. Auch diese ist noch nichtin meiner Karte eingezeichnet.Meine Straße steigt mit mehrals zehn Prozent an und ichträllere lauthals einige Lieder,die mir gerade einfallen.Irgendwie muss man sich beidieser Schufterei ja ablenken.Und andere Menschen habeich schon seit Stunden nichtmehr gesehen "Old McDonaldhad a farm..."Anschließend geht es weiter inRichtung Ussassai. Von hierhat man einen wunderbarenBlick über den Landstrich derOgliastra, der durch vieleschroffe und isoliert stehendeFelsbrocken gekennzeichnetist.In Ussassai kommen mir wie-der zahlreiche Schulkinder ent-gegen. Der Schulbus hat siegerade abgesetzt. Alle lachenund freuen sie sich. EinigeMeter weiter ist eine großeMenschenmenge zusammen-gekommen. Die Straße ist halbblockiert. Kurze Zeit späterweiß ich auch warum. Mittenauf der Straße liegt ein kleinerSchuljunge. Bewusstlos. Der

Sardinien 2004 www.bike-travel.de.vu

Tag 692,97 km

Page 13: SARDINIEN 2004 - radventure.deradventure.de/downs/sard.pdf · Immer wieder wache ich auf. Die Nacht geht einfach nicht um. Um kurz vor vier Uhr ver-lasse ich meine Isomatte, um mich

Kopf voller Blut. Der Arm nachhinten gedreht. Vor ihm stehtein Auto quer auf der Straße.Am Straßenrand sitzt seineMutter. Sie weint und schluchztmarkerschütternd. Ich sehe zu,dass ich an dem Anblick vor-beikomme. Ein paar Metermuss ich erst einmal anhalten.Verkehrsunfälle sind nie einschöner Anblick, wenn dabeidann auch noch Kinder zuSchaden kommen ist man dochsehr emotional berührt unddenkt unweigerlich einmal wie-der darüber nach, wie schnelles einen selbst auch treffenkann.Nachdem ich meinen Helm

enger geschnallt habe, geht eslange und steil bergab. Nur umanschließend in italienischerManier wieder steil bergauf zugehen. Dann überholt michirgendwann derKrankenwagen. Die Straße steigt noch längeran und als ich oben ankomme

habe ich einen wunderschönenBlick auf das vor mir liegendeTal. Tief unten ist der Fluss,mehr als achthundert Meterhöher die Gipfel. An derGebirgswand klebt die StadtGairo. Serpentinenreich windetsich die Straße erst ins Tal undanschließend wieder genausohoch zur Stadt.In Ulassai nehme ich mir einHotel, da es zum Wildcampenkeinerlei Möglichkeit gibt.Schließlich fällt die Straße zurLinken steil ab, während sie zursteil Rechten steil ansteigt.Als es dunkel wird, schlendereich etwas durch die kleinstenGassen der Stadt und ein klei-

ner Junge sprichtmich an.

"Du bist kein Italiener,oder?"

"Nein. Bin ich nicht.Ich bin Deutscher"

"Was heißt Si aufDeutsch?"

"Si? Das heißt: ‚Ja'."

"Coool! Danke!"

Wir reden noch kurz und ermöchte mich am liebsten gleichmit zu seiner Clique schleppen,aber ich habe tierischenHunger und bestelle mir in

einer Pizzaria meinAbendessen. Am Nebentischsitzen zwei Italiener. Der eineträgt einen deutschenMillitäranzug, der andere isstgerade Pizza. Als die beidenmich ansprechen und fragen,wo ich herkomme, stellt sichheraus, dass einer der beidenfür vier Jahre in Bielefeld gear-beitet hat. Dementsprechendkann er auch Deutsch spre-chen. Nach tiefgründigenGesprächen wie "InDeutschland gibt es viele hüb-sche Frauen" und "In welcherLiga spielt der HSV mittlerwei-le?", gibt er mir eine Cola aus. Solche kleinen Dörfer sindwirklich nett. Da spricht es sichinnerhalb kürzester Zeit herum,dass ein Fremder da ist.Schließlich ist das im März jaauch noch recht ungewöhnlich.Am nächsten Morgen bekom-me ich vor der Abreise vomHotelbesitzer einen Kaffe spen-diert und als ich ihn frage, wiedas Wetter in den nächsten Tagwird, bietet er mir an, dass wirja mal eben schnell ins Internetgehen könnten. Nach diversenWindowsproblemen darf ichsogar noch meine Mails abru-fen und ich erfahre, dass es in2 Tagen regnen soll. Na klasse!Anschließend will mir derBesitzer noch einen zweitenKaffe ausgeben, aber ich lehnedankend ab, da ich los möchte.

Sardinien 2004www.bike-travel.de.vu

Page 14: SARDINIEN 2004 - radventure.deradventure.de/downs/sard.pdf · Immer wieder wache ich auf. Die Nacht geht einfach nicht um. Um kurz vor vier Uhr ver-lasse ich meine Isomatte, um mich

Draußen ist es schweinekaltund die ganze Stadt ist in eineeinzige Wolke gehüllt. DieLuftfeuchtigkeit liegt bei hun-

dert Prozent. Während ichmein Rad bepacke bestauntder Besitzer neugierig meinRad. Vorallem dieHydraulikbremsen faszinieren

ihn. Wie denn die Bremsenfunktionieren würden?Hydraulisch. Mit Öl. Das begei-stert ihn sichtlich und er rufteinem Freund zu "Hey, dieBremsen von dem Deutschenfunktionieren glatt mit Öl!". SeinGegenüber schüttel jedoch nurden Kopf und murmelt etwaswie "Jaja...die Deutschen".Dann geht es endlich los. Ander Abzweigung nach Jerzu hatman noch einmal einen schö-nen Blick auf Ulassai, welchesam steilen Hang klebt und voneinem kargen Felsen überragtwird. Eigentlich wollte ich heute wei-

ter durch die Berge fahren.Aber irgendwie hatte ich heutegar keine Lust mich anzustren-gen und so zog ich eine flacheEtappe vor. Nach zahlreichenKehren bergab erreiche ich den

Pass Genna e Cresiaauf 267 Metern."Cagliari 100 Km"weist mir ein Schildden Weg. So weit istdas ja gar nicht mehr.Plötzlich kommt mireine Idee. Wie wärees, wenn ich es heutenoch bis Cagliarischaffe? Das wäredoch mal eine

Herausforderung! Zumal ichdann einen Tag sparen würdeund die Costa del Sud noch imSonnenschein erleben könnte,bevor am nächsten Tag der

W e t t e r u m s c h w u n gkommt. Da die Straße über dienächsten dreißigKilometer die ganze Zeitleicht abfällt und zudemgut ausgebaut ist, treteich gehörig in diePedale und setze meineganze Energie in eine

Durchschnittsgeschwindigkeitvon dreißig Kilometer proStunde um. Ich bin wie beses-sen von demGedanken Cagliarinoch zu erreichen.Um mich herum istwieder der Frühlinga u s g e b r o c h e n .Blühende Wiesen undBäume, links undrechts der StraßeKakteensträucher undein paar lieblicheBerge zu beidenSeiten des Tals. Die Strecke istkein landschaftliches Highlightaber zum Kilometerfressen

ideal. Dann geht mein Tacho zumhundersten Mal auf dieserReise wieder aus! Grrrr!! Nachder Reise kaufe ich mir endgül-tig einen neuen. Das habe ichmir bis jetzt jedes malgeschworen, aber doch nieumgesetzt.Gegen Mittag erreiche ichMuravera, habe bereits 60Kilometer auf dem Tacho undkaufe in einer TabachheriaPostkarten. 10 Euro? Für 6Postkarten und Briefmarken?Als ich noch einmal auf denKassenbeleg schaue kommtmir das ganze doch etwas spa-nisch vor. Ich gehe noch einmalin den Laden und frage nach,wie viel eine Postkarte kostet."50 Cent". Aber wie kann esdann sein...? Der Verkäuferschlägt die Hände über seinemKopf zusammen. Er hatte in derEile die Karten glatt zwei malabgerechnet...Anschließend kommen wirbeide sogar noch ins Gesprächund in einem Englisch-Italienisch-Mix unterhalten wiruns über das wie, warum undwohin dieser Radreise. Dannkommt noch ein Freund dazuund der Ladenbesitzer erzähltvon einem anderen Freund, dergerade in Australien umher-reist. In just diesem Moment

bringt der Postbote eine Kartedes besagten Freundes unddie Freude ist groß. Zum

Sardinien 2004 www.bike-travel.de.vu

Tag 7105 km

Page 15: SARDINIEN 2004 - radventure.deradventure.de/downs/sard.pdf · Immer wieder wache ich auf. Die Nacht geht einfach nicht um. Um kurz vor vier Uhr ver-lasse ich meine Isomatte, um mich

Abschluss bekomme ich vomBesitzer noch einen kleinenSardinienaufkleber für meineRadtaschen geschenkt. An der Küste mache ich meinerstes richtiges Frühstück undmache mich dann auf denWeg, um den letztenGebirgszug vor Cagliari zuüberqueren. Die Landschaft istwie immer sehr nett. Schroffe,rote Felsen säumen dieSchlucht in der die Straße ver-läuft. Leider ist etwas mehrVerkehr und mir begegnenzahlreiche Motorradfahrer. DerWeg zum Pass auf 426 Meternwird im Endeffekt doch nochsehr beschwerlich. Nach demVerheizen der Kilometer amMorgen merke ich meine Beinedoch ziemlich.Nach der Abfahrt ist mal wiederkeine Möglichkeit zumWildcampen zu finden, als ichaber an einer Bar frage und dieEhefrau des Besitzers diesementsprechend zuzwinkert, darfich mein Zelt auf dem steinigenBoden hinter dem Restaurantaufstellen. Was ich wieder fürein Glück habe!

Sardinien 2004www.bike-travel.de.vu

Page 16: SARDINIEN 2004 - radventure.deradventure.de/downs/sard.pdf · Immer wieder wache ich auf. Die Nacht geht einfach nicht um. Um kurz vor vier Uhr ver-lasse ich meine Isomatte, um mich

Am nächsten Morgen ist vomPersonal niemand anwesend,sodass ich mich nicht einmalverabschieden kann.Mittlerweile bin ich nur nochwenige Kilometer von Cagliari

entfernt und begebe mich überdiverse Straßen mit teilweiseviel Verkehr in die Innenstadt.Welch ein Glück, dass heuteSonntag ist. Ich möchte nichtwissen, was hier sonst für einChaos geherrscht hätte.Den Bahnhof finde ich ohneProbleme und kaufe mir ein

Ticket für die Bahn, da ich es inden wenigen verbleibendenTagen nicht schaffe werde, wie-der in den Norden der Inselzurückradeln zu können.Als ich wieder losfahre, stelleich fest, dass verdammt wenigLuft im vorderen Schlauch ist.So ein Mist aber auch.Anscheinend hatte sich derFlicken, mit dem ich ein Locham Morgen geflickt hatte, wie-

der etwas abgelöst. Da die Luftnur langsam entwich, pumpteich nur auf und begab michdann auf die vierspurigeStraße, welche aus der Stadtherausführte. Es herrschtesehr viel Verkehr und ich rette-te mich die meiste Zeit auf dem

Seitenstreifen derStraße. Links derStraße war gleich dasMeer, rechts von mireine morastigeLandschaft mit vielenWasserflächen, aufdenen zahlreicheFlamingos nachNahrung suchten.Neben demVerkehr stö-

ren allerdings auchdie zahlreichenFabriken undRaffinieren, die dasLandschaftsbild umCagliari herum ver-schandeln. Spätergerate ich ausVersehen auf die

a u t o b a h n -ähnliche Straße ent-lang der Küste. Linksein Lärmschutzwall.Rechts einLärmschutzwall. Wodiese einmal durch-brochen sind, hat maneinen netten Blickzurück auf die Buchtvon Cagliari. Es könn-te so schön sein.

Wenn man sich die zahlreichenSchornsteine und den Gestankder Chemie einmal wegdenkenwürde.In Pula schmeiße ich meinenBenzinkocher an und mir platztmeine Nudeltüte, sodass dieNudeln sich in meiner gesam-ten Packtasche verteilen.Hmpf!Ab Pula hat sich seltsamer-weise der gesamte Verkehr in

Luft aufgelöst und ich bin wie-der alleine auf der Straße, diean zahlreichen Feriendörfernvorbeiführt. Dann geht zweigt der Weg inRichtung Chia ab. DieseStraße führt entlang der Küsteder Costa del Sud, der südlich-sten Küste Sardiniens. In derzunächst flachen Landschaftbläst mir sogleich ein heftigerWind entgegen. Ich glaube fastauf der Stelle zu stehen.Spätestens als es dann mitmehr als sieben Prozent berg-auf geht. Als ich oben ankom-me, hat man einen wunder-schönen Blick auf die Küste.

Nur wenige Häuser stehen amfelsigen Küstenrand und in derFerne lässt sich ein weißerStrand mit türkisblauemWasser ausmachen. Boah! Ichbin völlig hin und weg. Wer essich leisten kann hier ein Hauszu haben, der hat es wirklichgeschafft, denke ich, währendes wieder steil bergab geht.Dann führt eine winzige, unbe-festigte Straße zum SpiaggaTuerredda, der Bucht, die ichvorhin von weitem gesehenhabe. Ich lasse es mir unterkeinen Umständen nehmenden Strand aus der Nähe zusehen. Der Sand ist wirklichrichtig schön fein und weiß, dasWasser schillert in den ver-schiedensten Blau- undTürkistönen, vor der Küste liegteine kleine felsige Insel. Es ist

Sardinien 2004 www.bike-travel.de.vu

Tag 8100 km

Page 17: SARDINIEN 2004 - radventure.deradventure.de/downs/sard.pdf · Immer wieder wache ich auf. Die Nacht geht einfach nicht um. Um kurz vor vier Uhr ver-lasse ich meine Isomatte, um mich

einfach nur herrlich! Einigemutige Menschen baden sogarschon.

Dann geht es immer wiedersteil bergauf und anschließendsteil bergab. Und das mehrereKilometer lang. Doch dafür wirdman mit unglaublichenAusblicken über die gesamteKüste entlohnt. Mir gefällt eshier unten tausend Mal besser,als an der weitaus bekannterenCosta Smeralda. Vorallem gibtes hier so gut wie gar keine

Häuser. In der Ferne ist das CapoTeulada zu erkenne, der süd-lichste Zipfel Sardiniens. DerSüden Sardiniens ist übrigensauch weiter von Rom als vonTunis entfernt. So langsam senkt sich dieSonne in Richtung Horizontund es wird Zeit sich einenÜbernachtungsplatz zusuchen. Ich fahre sechshundertMeter eine unbefestigteSchlaglochpiste zu einemAgriturismo, nur um von den

Besitzern zu erfahren,dass geschlossen ist. "Auchkeine Möglichkeit fürs Zelt?" "Nein. Aber es gibt dreiKilometer weiter einenCampingplatz."Also geht es dieSchlaglochpiste zurück zurStraße und ich fahre zumCampingplatz. Innerlich stelleich mich aber schon darauf ein,dass er wie alle anderenCampingplätze geschlossenist. Als ich ankomme ist aller-dings das Tor offen. Welch ein

Glück. Ich fahre wie-der über eine unbefe-stigte Piste nocheinen knappenKilometer, bis ich amCampingplatz an sichankomme. Auch hiersind alle Tore geöff-net. Da hab ich doch

tatsächlich einmal Glückgehabt."Tut mir leid, der Campingplatzist geschlossen. Aber sie sindnicht der erste heute". Ist jaauch kein Wunder, wenn ihr

alle Tore offenlasst, denke ichim Stillen bei mir.Aber in Pulagäbe es einenCampingplatz."Und wie weitsoll der wegsein?" "Naja, ichdenke mal so 50Kilometer."

Nicht nur, dass ich durch denOrt schon heute Nachmittaggefahren bin, nein, sehen dieLeute denn nicht, dass ich miteinem vollbepackten Fahrradda bin? Wie soll ich denn maleben auf die schnelle fünfzigKilometer fahren?Leicht angefressen fahre ichdie ganzen Kilometer wiederzurück zur Hauptstraße undbeschließe nach Teulada zufahren. Dort soll es angeblichein einziges Hotel geben. Gibtes auch. Kostet aber dannauch nur 26 Euro pro Nacht.Frühstück natürlich nicht inbe-griffen. Ich schlucke einmalkräftig und nehme an. Wasbleibt mir anderes übrig?Schließlich wird es bald dunkel.Am Abend gehe ich dann nochessen und schleppe mich die

endlos langeTreppe in denersten Stock hoch.Ich kann einfachnicht mehr. JederMuskel tut mirb e i mTreppensteigenweh. Und dasZimmer ist auchnicht geheizt. Wiein keinem Hotel

bis jetzt. Ruhig Blut. Erst ein-mal ins Bett gehen und schla-fen. Morgen sieht alles besseraus. Keine drei Minuten späterbin ich eingeschlafen.

Sardinien 2004www.bike-travel.de.vu

Page 18: SARDINIEN 2004 - radventure.deradventure.de/downs/sard.pdf · Immer wieder wache ich auf. Die Nacht geht einfach nicht um. Um kurz vor vier Uhr ver-lasse ich meine Isomatte, um mich

Am nächsten Morgen quäle ichmich die Treppe runter. Sogarbeim Runtergehen sind meineBeine schwer wie Blei. Nachden obligatorischen Einkäufen

mache ich mich auf den Wegnach Santadi. Die Straße steigtgleich mittelmäßig an und ichmuss sofort eine Pausemachen. Heute geht absolutgar nichts. Beim Aufstehenschien wenigstens noch dieSonne - jetzt ist der Himmelkomplett zugezogen. DerWetterbericht sollte rechtbehalten. Langsam, ganz lang-sam und unmotiviert fahre ichdie Straße weiter. Es ist unge-wohnt kühl heute und bei denAbfahrten friert man sofort. Beiden Auffahrten schwitzt mansich hingegen zu Tode. Es istgenau das Wetter, für das eskein Patentrezept bezüglichder Bekleidung gibt.Mehr schlecht als recht errei-che ich Santadi und der Blickschweift über die trübeLandschaft. Ein bisschenerinnert es mich heute ansAlpenvorland. Aber vielleichtauch nur, weil wir da einen Taghatten, wo das Wetter genausowar.Dann geht es weiter nachAcquacadda. Die Straße sollüber zehn Kilometer nur ein-hundert Höhenmeter steigen.Das müsste ja eigentlich zu

bewältigen sein. Leider vergaßich bei diesem Gedanken, dassStraßen in Italien nicht etwagleichmäßig steigen sondernimmer wieder auf und abgehen, sodass nur am Endeeine Höhendifferenz von ein-

hundert Meternerreicht wird.Im nächsten Ort ste-hen dann vier Frauenneben der Straße undunterhalten sich hit-zig. Plötzlich sehensie mich angeradeltkommen und plötzlich- von einer Sekundeauf die nächste - istRuhe zwischen den

vier Damen. Stattdessen verfol-gen mich ihre neugierigenBlicke. Anscheinend kommenhier nicht so viele Radfahrervorbei. Überhaupt ist mir aufgefallen,dass viele Leute einemNachschauen, aber meist nichtgrüßen. Wenn man dann selbstdas Eis bricht und mit "Ciao"grüßt wird aber immer freund-lich zurückgegrüßt.Nach einer langen Abfahrtmache ich in einemkleinen Waldstück inder Nähe einerBurgruine Pause. Daich recht gut in derZeit bin beginne ichPostkarten undTourtagebuch zuschreiben. Plötzlichkommen zwei kleine,streunende Hundangelaufen und bet-teln. Da sie michwenigstens nicht anbellen, wieihre Kollegen bis jetzt, kann ichmich dazu durchringen jedemein halbes Brötchen zuzuwer-fen. Dieses verschwindetsogleich in deren Mäulern undschon kommt ein dritter Hunddahergelaufen. Wenn man

erste einmal anfängt...dannkommen sie alle...Während ich weiterschreibelegen sich die drei Hunde sichvor mir hin und schauen mir zu.Da es später sehr schwarz vonWesten hochzieht, mache ichmich wieder auf den Weg undsehe zu in RichtungDecimomannu zu fahren, daich von dort aus den Zug inRichtung Norden nehmen will. Als ich am Straßenrand einePause mache, werde ich gleichvon einem Bauern verscheuchtund darauf hingewiesen, dassich ja nicht auf die Idee kom-men sollte hier wild zu campen.Ups.Ich fahre nach Decimomannuhinein und frage einen jungenMann nach Hotels hier in derNähe. Ihm tut es sehr leid, dasser mich enttäuschen muss, daes in der Umgebung absolutkeine Herbergen oder Hotelsgibt. Aber ich könnte es ja malbei der Natobasis in der Näheversuchen, da gäbe es vieleDeutsche. Damit ist mir nichtwirklich geholfen...Als ich ihm meine weiteren

Pläne schildere, meint er ichsoll doch heute schon den Zugnehmen, da ich in jedem ande-ren Ort sicher mehr Hotelsfinde als hier.Ich beherzige seinen Ratschlagund begebe mich zumBahnhof. Draußen hat es

Sardinien 2004 www.bike-travel.de.vu

Tag 975,22 km

Page 19: SARDINIEN 2004 - radventure.deradventure.de/downs/sard.pdf · Immer wieder wache ich auf. Die Nacht geht einfach nicht um. Um kurz vor vier Uhr ver-lasse ich meine Isomatte, um mich

begonnen stark zu stürmenund schließlich beginnt es zuschütten. Es ist richtigesWeltuntergangswetter.Nur zu gut habe ich noch dieSzene im Kopf, als Christianund ich es beinahe nichtgeschafft hätten vor der Abfahrtdes Zuges in diesen einzustei-gen, da der Zugbegleiter dieTüren schon schließen lies.Dementsprechend hektischwird mein Einsteigen, welchesauch noch von einigenJugendlichen laut gröhlend mitihrem Fotohandy festgehaltenwird. Zu allem Übel lasse ichmeinen Spanngurt auch nochauf dem Bahnsteig liegen.Dann rollt der Zug los und alsder Schaffner meine Fahrkartekontrolliert, bittet er mich dochbeim nächsten Halt dasFahrrad ganz ans andere Endedes Zuges zu bringen, da damehr Platz sei. Na super! Nochmal so viel Stress. Doch derSchaffner ist sehr freundlich,hilft mir beim Ein- undAusladen und so kann ich imEndeffekt doch eine ruhigeZugfahrt genießen. InMacomer angekommen, sinddie beiden ersten Hotels, beidenen ich anfrage tatsächlichausgebucht. Mit allem hätte ichgerechnet. Aber nicht damit,dass ein Hotel um dieseJahreszeit ausgebucht ist. Daes sonst keine weiteren Hotelsgibt, bleibt mir nichts anderesübrig als ins drei Sterne Hotelzu gehen. Das wird teuer...Aber ich bin überglücklich, alsich endlich ins Bett fallen kann.Dieses mal ist sogar geheizt.Am Abend gibt es "Il signoredegli anelli" zu deutsch, "DerHerr der Ringe" im Fernsehenund ich bin überrascht, wieviele Szenen in der italieni-schen Fassung enthalten sind,in der deutschen jedoch gar

nicht auftauchen.

Sardinien 2004www.bike-travel.de.vu

Page 20: SARDINIEN 2004 - radventure.deradventure.de/downs/sard.pdf · Immer wieder wache ich auf. Die Nacht geht einfach nicht um. Um kurz vor vier Uhr ver-lasse ich meine Isomatte, um mich

Ich beschließe am nächstenTag einen Ruhetag einzulegen.Eigentlich ist es ja Quatsch vorder letzten Etappe noch einenRuhetag einzulegen.Uneigentlich aber eine sehrkluge Entscheidung, da dasWetter heute aus Sturm undständigen Regen- oderHagelschauern besteht.Außerdem bin ich nach denvergangenen Etappen einfachtotal fertig, was sich auch inmeiner depressiven Laune amVortag äußerte.So verbringe ich den Tag aufmeinem Hotelzimmer. Bei demnasskalten Wetter bin ich kaumvor die Tür zu bekommen. Nurzum Einkaufen muss es einmalsein und ich komme mit blau-gefrorenen Händen und nas-sem Rad wieder im Hotel an. Um die Zeit umzubringenschreibe ich meinTourtagebuch, döse undschaue Fernsehen. SogarMcGyver gibt es und nebenKommissar Rex wurde mitCobra 11 eine weitere deutscheFernsehserie ins Italienischeübersetzt. Auch wenn ich nor-malerweise kein Freund desFernsehens bin, tut es gut ein-fach einmal abzuschalten.Später baue ich meinVorderrad aus und untersuchees im Hotelzimmer. Anstatt desabgelösten Flickens, wie ichvor zwei Tagen noch vermute-te, war ein neues kleines Lochim Schlauch dazugekommen.Also Flicken drauf und alleswieder eingebaut.Am Abend gab es dannAmerican Pie 2. Doch nach derHälfte des Films war ich zumüde, um weiter zu sehen undging schlafen. So ging ein sehrentspannender Tag zu Ende.

Sardinien 2004 www.bike-travel.de.vu

Tag 106 km

Page 21: SARDINIEN 2004 - radventure.deradventure.de/downs/sard.pdf · Immer wieder wache ich auf. Die Nacht geht einfach nicht um. Um kurz vor vier Uhr ver-lasse ich meine Isomatte, um mich

Nun stand also schon die letzteEtappe an. Bevor ich aufbrechegeht noch einmal ein kräftiger

Hagelschauer nieder. DasWetter scheint heute nicht bes-

ser als gestern zu werden. DieWolken hängen pechschwarzam Himmel, es ist extrem kalt,der Wind pustet mit sechsWindstärken aus West - der

Richtung, in die es heutegehen wird...Dick eingemummelt in allenKlamotten, Handschuhenund Mütze mache ich michauf den Weg die anfänglicheSteigung zu überwinden. Dann befinde ich mich aufeiner Art Hochebene. DieStraße zieht sich stur gerade-aus und der Wind pustet mirohne Gnade entgegen. Daich Vorgestern erst in derDunkelheit Macomer erreich-te, sehe ich heute auch zumersten mal die umliegendeLandschaft, welche sich sehrvom Süden und OstenSardiniens unterscheidet.Die Landschaft ist viel sanftergeschwungen, dieVegetation ist karg undgeduckt. Und ein paarSteinwälle grenzen unter-schiedliche Besitztümer von-einander ab. Bevor die Straße bis aufMeereshöhe abfällt, bietetsich noch ein schönesPanorama auf Bosa. VomDach eines verlassenenBunkers aus dem ZweitenWeltkrieg schweift der Blickvon der kurvenreichenStraße bergab bis zu deralten Burg, welche den Ortüberragt. Da es entlang dernun folgenden vierzigKilometer langenKüstenstraße keine Orte,geschweige dennEinkaufsmöglichkeiten gibt,decke ich mich noch schnellin einemLebensmittelgeschäft ein undnehme mir dann die leicht

steigende Straße vor. DieBewölkung ist mittlerweile stark

aufgelockert und imWindschatten ist schon wiederrichtig heiß in der ganzen dik-ken Kleidung.Dann habe ich den ersten Blickauf die Küste. Unglaublichschön! Die Sicht ist klar, derWind pustet mir von der Seeentgegen, die Sonne scheintwieder und der Blick schweiftüber die schroffe Küstenlinienach Süden. Über eine langge-zogene Steigung entferne ichmich langsam vomMeeresspiegel, wodurch sichimmer wieder wunderschöneBlicke auf die Klippen ergeben.Am Ende der kräftezehrendenSteigung kann man bis nachAlghero und zum Capo Cacciagucken. Dann geht es typi-scherweise immer steil bergaufund -ab, bis Alghero hinter eini-gen Kurven zum Vorscheinkommt. Durch die hässlicheNeustadt kurve ich mindestenseine Stunde lang um mir einHotel zu suchen. Fehlanzeige.Das einzige zwei Sterne Hotelhat geschlossen. Das dreiSterne Hotel will 45 Euro füreine Nacht von mir haben. Diespinnen ja wohl!! Irgendwanngebe ich entnervt auf undbeschließe zum Flughafen zufahren. Dann muss ich meinenmorgigen Ruhetag wohl dortabsitzen. Schade aber auch.Glücklicherweise gibt es imFlughafen jedoch eineTouristeninformation, die mireine Liste mit den geöffnetenHotels zukommen lassen kann.Darunter ist auch eineJugendherberge gleich imnächsten Ort Fertilia aufge-führt. Na wunderbar! Nachsechs Kilometern erreiche ichFertilia, checke ein und geneh-mige mir erst einmal eine Cola- Das hab ich mir verdient! DasZiel ist nach achthundertKilometern erreicht!

Sardinien 2004www.bike-travel.de.vu

Tag 11101 km

Page 22: SARDINIEN 2004 - radventure.deradventure.de/downs/sard.pdf · Immer wieder wache ich auf. Die Nacht geht einfach nicht um. Um kurz vor vier Uhr ver-lasse ich meine Isomatte, um mich

Am nächsten Morgen treibtmich der knurrende Magen ausdem Bett und nach einerDusche gehe ich Frühstücken.Am Nebentisch höre ich zwei

Reisende miteinander Deutsch

sprechen und klinke michgleich einmal ein. Die Freudeist groß, dass noch einDeutscher in derJugendherberge ist. DasEhepaar ist auch mit Ryanairhier und will noch etwas die

Insel erkunden. Da kannich nun natürlich jedeMenge Tipps geben undso sitzen Rigobert undich noch einige Zeitzusammen. Das netteGespräch dauert voral-lem dadurch an, dass wirbeide unsere Liebe zuFahrradreisen entdec-ken. Nachdem wir unse-

re Emailadressenausgetauscht und unsverabschiedet haben,packe meine Kameraein und schwingemich aufs Rad umAlghero zu erkunden.Schließlich hatte mirRigobert die Altstadtdoch sehr ans Herzgelegt, da ich vorherüber die HässlichkeitAlgheros (derNeustadt wohlge-merkt) schimpfte. Mit Rückenwind undohne Gepäck spuleich die sechsKilometer in die Stadtmit einerGeschwindigkeit vonf ü n f z i gStundenki lometerninnerhalb wenigerMinuten ab. EinigeRennradfahrer schau-ten in der Tat sehrverdutzt...Da ich nun auch einenStadtplan besaß, fandich mich in den vielenkleinen urigenGassen gut zurechtund schlenderte eini-

ge Stunden durch die äußerst

schöne Altstadt. Den restlichen Tag verbrachteich bereits damit zu packen undmir am Supermarkt in FertiliaKartons für die Verpackungmeines Rads zu organisieren.Am Abend des Tages kamenzwei Wanderer aus Ohio undzwei aus Deutschland zu mirins Zimmer. Stephan undPhillip waren mit demRucksack für eine Woche hierund wir unterhielten uns überdas Übliche wohin und woher.Aber auch die Ausrüstungwurde durchdiskutiert. Als ich am Abend noch Essengehe, sitzen neben mir amTisch wieder zwei Deutsche.Schnell ist ein Gespräch zu denbeiden aufgebaut und wirunterhalten uns über Italienganz im allgemeinen. Am Endekommt dann auch noch heraus,dass ein Bekannter desMannes mit dem Tandem durchSüdamerika gefahren ist unddabei über das InternetMitfahrer suchte. Lustigerweisewar ich schon einmal auf des-sen Internetseite und kannteihn daher auch. Wie dasInternet die Welt dochzusammenschweißt...Nachdem ich mich verabschie-det habe, genieße ich noch ein-mal den Blick auf Alghero beiNacht und gehe danach schla-fen.Am nächsten Tag verläuft derFlug nach Frankfurt problemlosund unter leichten Schnee-schauern radle ich an denRhein um dort in den Zug inRichtung Heimat zu steigen.

Sardinien 2004 www.bike-travel.de.vu

Tag 1212 km

Page 23: SARDINIEN 2004 - radventure.deradventure.de/downs/sard.pdf · Immer wieder wache ich auf. Die Nacht geht einfach nicht um. Um kurz vor vier Uhr ver-lasse ich meine Isomatte, um mich

Unterkünfte Die Gelegenheiten zumWildcampen sind meinesErachtens relativ unterschied-lich auf Sardinien. Während imNordosten und in den flacherenGebieten zahlreiche dichtgewachsene Sträucher (ital:Macchie) das Zeltaufstellenhäufig unmöglich machen, wirdes in den Höhenlage desGennargentu kein Problemsein einen Zeltplatz zu finden.Jedoch wird man gerade dortseine Schwierigkeiten habeneinen ebenen Platz für sein Zeltzu finden. Es lohnt sich bereitsbei der Reiseplanung dieTopografie der Landschaftanhand der Straßenkartegenaustens zu bestimmen, obeine Straße eventuell entlangeines Steilhanges verläuft.

Ist man außerhalb der Saisonunterwegs bleibt einem auchnoch die Möglichkeit am Strandzu campen. Offiziell ist diesesjedoch immer verboten.

In den mittleren bis tiefenLagen ist die Situation leiderhäufiger die, dass Wiesen voneiner Steinmauer oder einemZaun umgeben mit verschlos-senem Tor umgeben sind,sodass manchmal ein wildescampen über Kilometer nichtmöglich ist.Gute Stellen zum Wildcampenfinden sich allerdings häufigdort, wo Flüsse durch eineEbene fließen. Auch hier lohntim Vorfelde das genaueKartenstudium.

Jedoch gibt es auch weiterhindie Möglichkeit privat unterzu-kommen. Einmal kam ich aneiner Bar unter, durfte dort

mein Zelt im Garten aufschla-gen. Ein anderes mal war esmir gestattet das Zelt im Garteneines Ehepaares aufzuschla-gen - Fragen lohnt sich also.Vorallem dann, wenn man sichin ländlichen Gebieten befin-det.

Wer außerhalb der Saison reistund glaub auf Campingplätzenund Agriturismi unterzukom-men, der wird sich leider damitabfinden müssen, dass diesefrühestens ende April, anfangMai eröffnen.

Will man also nicht zelten, sobleibt einem nur die Möglichkeitins Hotel zu gehen. Diese lie-gen preislich deutlich in deroberen Kategorie. So lagen diePreise für ein Hotelzimmer ineinem einfachen Ort zwischen20 und 26 Euro für ein zweiSterne Hotel. Frühstück istdabei in den meisten Fällennicht ingebegriffen. Jedochlohnt es sich auch nicht denAufpreis von meist 3-4 Eurofürs Frühstück zu zahlen, daman dann häufig nur einenKaffe sowie ein eingeschweiß-tes pappiges Brötchen mitAufstrich ausEinmalpackungen bekommt.Ebenfalls sollte man sich darangewöhnen, dass es in denHotels außerhalb der Saisonsehr kalt werden kann, dadiese in der Regel keineHeizungen besitzen. Ich bindas eine oder andere mal nachder mehr oder weniger kaltenDusche direkt unter dieBettdecke gekrochen um wie-der warm zu werden. Fazit: DieHotels bieten wenig Luxus fürviel Geld.

Dementsprechend sind die fünfJugendherbergen aufSardinien eine günstige

Alternative: Alghero: Jugendherbergeliegt in Fertilia, 6 Kilometer vomFlughafen entfernt und ideal alserste Übernachtungsmöglich-keit, wenn man mit Ryanair an-oder abreist. 14€ p.P.

Weitere Herbergen befindensich in:CastelsardoBosaSan VitoMuravera

Hotels in Alghero (auch geöff-net in der Nebensaison):

* Normandie tel. 079 975302

** San Francescotel. 079 980330

*** Mistral tel. 079 951828

WetterAngeblich soll Sardinien imMärz schon sehr schön undstabil sein. Dass das Wetterschön war, kann ich eindeutigbestätigen. Ob es stabil war,darüber bin ich mir nicht ganzsicher. Denn wenn man denWetterbericht in den Wochenvorher und nachher verfolgthat, schien ich mir die einzigewirklich schöne Woche dortunten herausgesucht gehabtzu haben. Scheint die Sonne, wird esschon im März an der Küstezwischen 16 und 23 Gradwarm. In den Höhenlagen desGennargentu ist es jedochdeutlich kühler und über 1.000Metern Höhe gibt es in derNacht auch noch Frost. Schlägtdas Wetter jedoch um, kann essehr sehr ungemütlich werden.Eine Kaltfront kann über Nacht

Sardinien 2004www.bike-travel.de.vu

Länderinfos Sardinien

Page 24: SARDINIEN 2004 - radventure.deradventure.de/downs/sard.pdf · Immer wieder wache ich auf. Die Nacht geht einfach nicht um. Um kurz vor vier Uhr ver-lasse ich meine Isomatte, um mich

nasskaltes Wetter mitsich brin-gen, sodass es einem ohneHandschuhe schier unmöglichist zu fahren.Jedoch vermute ich, dass esnur dieses Jahr dort unten nichtganz so gut war. Eine deutchesEhepaar berichtete mir, dassdas Wetter in den letzten drei-ßig Jahren über Ostern immerschon sehr gut und warm war.Ein bisschen Glück gehört alsodazu, wenn man um dieseJahreszeit hinunter fährt,jedoch ist dieWahrscheinlichkeit besseresWetter als in Deutschlandanzutreffen doch sehr vielhöher.Die Insel des Windes. So hatteich Sardinien in Gedankenschon für mich getauft; bis ichirgendwann tatsächlich einSchild mit diesem Titel sah. Ichkann mich an kaum einen Tagerinnern, an dem ich keinenkräftigen Wind hatte. Und ver-rückterweise kam er jedes malvon vorne. Während meineRoute mich gen Süden führte,brachte der lebhafte Südwinddie warme Luft aus Afrika mit,als ich nach Westen fuhr, hatteich gegen sechs Windstärkender Kaltfront zu kämpfen. DieBehauptung "La Sardegna ésempre il vento" - Auf Sardinienist immer Wind, sah ich also lei-der bestätigt.

Fahrrad&TechnikAuf dieser Tour bin ich glückli-cherweise von den meistenPannen verschont gebliebenund so hatte ich nur zweiPlatten zu flicken.Fahrradgeschäfte habe ichunterwegs nicht gesehen, hatteaber auch nie direkt nach wel-chen gesucht. In den größerenOrten, wie Alghero, Olbia oderCagliari werden sich aber mit

Sicherheit welche finden las-sen, da der Radsport in Italienbekanntlich ja Nationalsport ist.Dennoch sollte man nicht ver-gessen, dass Sardinien relativdünn besiedelt ist und damitder nächste Fahrradladenschon einmal weiter weg seinkönnte.

TierweltAuf Sardinien gewöhnt mansich relativ schnell daran, dassin den ländlichen Gebietenhäufig Tiere auf der Straße ste-hen. In der Regel sind esSchafe, Ziegen, Kühe oderwilde Pferde, die Autos undRadlern den Weg versperrenund deren Blicke denFremdling neugierig verfolgen. Auch mit wenig Glück wird esden meisten möglich sein eineFamilie wilder Schweine zusehen. Laut grunzend kündi-gen diese sich an, wenn sie mitihren Ferkeln durchs Unterholzstreifen. Jedoch handelt es sichbei den Tieren nur um einewilde Form von Schweinen -keinesfalls um Wildschweine.Leider musste ich ein paarunangenehme Erfahrungen mitwilden bzw. Hütehundenmachen. Einige wenige jagtenmich laut bellend, den anderenging ich aus dem Weg, indemich gleich anhielt, wenn ich siesah und diese sich dann glük-klicherweise auch schnell ver-zogen.

StraßenverhältnisseFür Radreisen empfiehlt sichwie für ganz Italien die Kartevon Kümmerly&Frey imMaßstab 1:200 000.Informationen überStraßenzustand, Entfernungen,wichtige Steigungen undHöhenangaben sind vorhan-den. Über Vegetation gibt die

Karte keinen Aufschluss.Leider ist negativ anzumerken,dass die derzeit erhältlicheKarte für Sardinien vonKümmerly&Frey nicht mehr aufdem neusten Stand ist. So feh-len einige Straßen in der Kartegänzlich.Mit einiger Übung lässt sichdafür voraussagen, welcheStraßen nur wenig befahrensind. Glücklicherweise sind dasauf Sardinien fast alle. Nochmehr als in Italien (Festland),scheinen kaum Autos unter-wegs zu sein. Selbst größereregionale Verbindungsstraßensind meist nur schwach bismäßig befahren. Ausnahmenbilden höchstens die rot einge-zeichneten und vierspurigenNationalstraßen. Interessanterweise gibt esnoch ein paar Straßen, dienicht asphaltiert sind. Auch inkleineren Ortschaften sind eini-ge Seitenstraßen nicht befe-stigt. Ein Bild, welches eher anBulgarien als Italien erinnert.Die Oberfläche dieser Straßenist in den meisten Fällen abergut und sie stellen eine netteAbwechslung zum Asphalt dar.ReisezeitWährend der März schon schö-nes Wetter aufzeigen kann, istimmer noch ein gewissesRestrisiko gegeben. Von daherist der Mai sicherlich die besteReisezeit. Im Sommer wird esauf Sardinien sehr heiß, dieeinzigen kühleren Orte sollendie höher gelegenen Teile desGennargentu sein. Des weite-ren klettern die Preise mit derbeginnenden Hauptsaisonselbst in den kleinen Hotels insUnermessliche.

MenschenWie immer traf ich viele interes-sante und nette Menschen auf

Sardinien 2004 www.bike-travel.de.vu

Page 25: SARDINIEN 2004 - radventure.deradventure.de/downs/sard.pdf · Immer wieder wache ich auf. Die Nacht geht einfach nicht um. Um kurz vor vier Uhr ver-lasse ich meine Isomatte, um mich

der Tour. Das begann bereitsim Zug mit der etwas verwirrtenSchaffnerin und endete in derJugendherberge in Fertilia mitden Wanderern ausDeutschland und den USA.Auch die in einfachenVerhältnissen lebende Familie,welche mich in ihrem Gartencampen ließ und sich in rühren-der Gastfreundschaft um michkümmerte, wird kaum inVergessenheit geraten.Ansonsten waren alleMenschen sehr hilfsbereit undbemüht mir zu helfen, aberauch sehr interessiert, warumich gerade hier auf Sardinienunterwegs war und wo ich nochlang fahren wolle.Eine etwas negative Sache istmir jedoch aufgefallen: In zweiGeschäften wurde ich jeweilsbeschissen. In einem kleinenLebensmittelmarkt fand ichzwei Tage später auf derRechnung einen Artikel im Wertvon zwei Euro, den ich garnicht gekauft hatte und in einerTabaccheria wurden mir diePostkarten doppelt abgerech-net. Ich will das jetzt nicht pau-schal abhandeln, jedoch würdeich es nicht für ausgeschlossenhalten, dass in derNebensaison versucht wirdbeim "dummen Touristen"abzukassieren.

LandschaftLandschaftlich hat Sardinienviele interessante Orte aufzu-bieten. Das Staunen begannbereits beim Landeanflug aufOlbia. Große Felsmassive undzahlreiche, über die Landschaftverstreuten Steine prägten dasLandschaftsbild desNordwestens, der Gallura. Die

Landschaft ist wirklich eine dersehenswertesten und gernehätte ich noch den MonteLimbara besichtigt, der mit sei-nen 1400 Metern aus demFlugzeug sehr imposant aus-sieht. Highlights sind weiterhin dieStraße entlang des Monte Albo(bei Siniscola) sowie die StraßeSS 125 von Dorgali über die"Genna Silana" auf 1017 MeterHöhe bis nach Arbatax. DieseRoute führt entlang einesGebirgskamms und ist (außer-halb der Saison) kaum befah-ren. Dabei eröffnen sich immerwieder herrliche Blicke auf dasTal und die tiefe Schlucht "Golasu Gorruppu".Auch wenn im Gennargentuder Frühling im März noch nichtEinzug gehalten hat, ist es aufjeden Fall einen Abstecherwert. Den "Lago Alto diFlumendosa" fand ich aller-dings nicht besonders berau-schend. Das mag aber in derTat daran gelegen haben, dasshier noch nichts blühte und dieLandschaft etwas kahl war.Ansonsten gibt es aber einesehr einsame und schöneStraße von eben diesem Seenach Ussassai (eingezeichnet)bzw. Seulo (diese Straße ist inden Karten nicht eingezeichnetist, aber existiert).Auch die Landschaft derOgliastra ist sicherlich einenBesuch wert und besondersschön ist es in der Gegend umzwischen Jerzu und Ulassai.Hier verläuft die Straße entlangeines hohen Bergrückens, dieDörfer kleben förmlich an derBergwand. Zusätzlich prägenisolierte große schroffe Felsendas Landschaftsbild.Folgt man der SS125 weiternach Süden ist die Landschaftnichts besonderes mehr. Erstab Muravera, wenn die Straße

durch den Sárrabus inRichtung Cagliari führt, wird eswieder netter, da die Straßehier zwischen roten Felsen undeinem Flusstal ansteigt.Wie ich unterwegs hörte, sollauch die südwestliche Küsteum Villasimius sehr schön sein.Die Gegend um Cagliari istabsolut nichts besonderes undsollte nach Möglichkeit gemie-den werden. Selbst Cagliari ansich habe ich nicht fürbesonders schön empfunden.Während östlich derHauptstadt noch viele Felderanzutreffen sind, ist der Westenim Dreieck Cagliari - Pula (ander Küste) - Decimomannu vollmit hässlicher, stinkenderIndustrie. Dafür gibt es in densumpfigen Gebieten der Küste,westlich Cagliaris, vieleFlamingos zu sehen.Ein weiteres absolutesHighlight ist die Costa del Sud.Auch wenn die Straße sehranstrengend ist wird manimmer wieder für die Strapazenmit wunderschönen Blicken auftürkisblaues Wasser, weißenStrand und die schroffeKüstenlinie entlohnt. Derschönste Strand dort unten istübrigens der "SpiaggaTueredda", der einem mit sei-nem türkisblauen, klarenWasser glatt vergessen lässtnoch in Italien zu sein.Von der Costa del Sud inRichtung Norden bis Iglesiashat die Landschaft hingegennichts besonderes mehr zu bie-ten hat. Eine der schönstenEcken liegt dann aber nochganz im Nordwesten. Dabeihandelt es sich um die berühm-te Küstenstraße von Bosa nachAlghero. Über vierzig Kilometereröffnet sie immer wieder herr-liche Panoramen über dieschroffe Küstenlandschaft.Sehr lohnenswert!

Sardinien 2004www.bike-travel.de.vu