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TEDxRheinMain SONDERAUSGABE

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TEDxRheinMain SONDERAUSGABE

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14:00 Registrierung

14:30 Begrüßung durch Ossi Urchs

14:45 Track 1

Chris Anderson Video Talk

Gunter DueckKomfortzone Zukunft oder Wider die Gewöhnung

Tobias DebuchFaktor „O“: Wie Orientie-rung und Transparenz das Musikgeschäft verändern

Matt Cutts Video Talk

Jon KearonTime to Kick Up A Commotion and Get Emotional About Advertising

Pause

16:45 Track 2

Mercedes BunzHow algorithms change our society

Georg SchürmannVon menschlichen Wesen und Bankwesen: Menschlichkeit als Chance und Herausforderung für eine neue Form von Bank

Dunja BurghardtFrom Outer Change to Inner Change: � e Story of Us

Nina Fischersubject2live – Live-Experience

Pause

19:00 Track 3

Michael HüblDas Ende des eigenen Autos

Loimi BrautmannMaking the city – To be or wannabe

Lyra TurnbullTrust

Marcus BrownA Change of Story

Networking

TEDxRheinMain

Termine 2012 TEDxRheinMainChange5. April 2012

TEDxYouth@RheinMain19. November 2012

www.tedxrm.de

TEDxRheinMainSubject2ChangeAgenda 02. Februar 2012

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ERSTER KONTAKT Den Wandel in unserem Leben und in unserer Gesellschaft nicht nur zu akzeptieren, sondern ihn zu begrüßen und aktiv mit zu gestalten, das vereint die Sprecher der diesjährigen TEDxRheinMain.

Und wo es um Gesellschaft, Wandel und Zukunft geht, da darf reverb natürlich nicht fehlen. Deshalb ist es nach einem Jahr reverb online nun endlich soweit – stolz präsentieren wir dir das erste gedruckte reverb Magazin!

Wer reverb kennt, der weiß: Wir verbessern die Welt mit Spaß und Punk – und das jede Woche. Wir zeigen Lösungen ohne Zeige� nger, thematisieren Probleme und zeigen, wie es sich ganz normal und doch ganz anders leben lässt.

In der gedruckten Ausgabe von reverb � ndest du eine Handvoll ausgewählter Artikel – und noch viele mehr warten online!

Passend zur TEDxRheinMain ist das Motto unseres aktuellen Online-Specials Subject2Change.

Ob Elektro-Mobilität, Crowd-funding oder Coworking: Wir schauen uns Lebensbereiche näher an, die sich momentan im Wandel be� nden und zeigen, wie sich unsere Gesellschaft verändert.

Viel Spaß beim Lesen wünscht das reverb-Team

THEMEN

Komfortzone Zukunft 4oder Wider die Gewöhnung

Für die Tonne gemacht 5

Off ene Gartentore – 5Urban Gardening in Paris

Mehr Deutschland für alle 6

Eine Wohnung to go, bitte 8

Evolution der Arbeit 10

Garten in den Wolken 12

Die Fahrradkommune 13

Liebesbrief 15

www.reverbmag.deworauf wartest du noch?

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„Heute stehen wir vor einem Umbruch durch das Internet. Die Zukunft wird glänzend, wenn wir uns radikal erneuern.“

Viele Menschen sehen das nicht so. Sie sagen eher: „Wir wissen was gut ist, wir haben viel Erfahrung. Alles ist gut so wie es ist. Jede Veränderung kann alles nur schlechter machen.“ Da spiegeln sich die uralten polaren Gegensätze zwischen Fortschrittlichen („alles zum Besseren ändern“) und Konservativen („alles ist gerade so gut, wie es sein kann“) wider.

In seinem berühmten Werk „Die Grundformen der Angst“ stellte Fritz Riemann die Angst vor der Verände-rung (Zwanghaftigkeit) der Angst vor dem ewig Gleichbleibenden (Hysterie) gegenüber. Die einen leiden körperli-chen Stress im Angesicht drohenden Wandels, die anderen ho� en auf Neu-es, weil das Neue wohl besser sein wird.

Die Liebe zur P� ege des Herge-brachten und das Streben nach Neuem sind verschiedene psychische Dispositionen. Können diese in Einklang gebracht werden?

Man müsste sich eine konkrete, allseits für gut befundene Zukunft als Vision verschreiben und zu diesem Zwecke gemeinsam Hand anlegen. „Vision & Purpose“. Das ist Arbeiten auf etwas hin!

Das ist dann auch irgendwie Wandel, oder aber auch nicht.

So etwas wie ein zukunftssicheres Fortschreiten gelingt uns nicht. Wir sind zwanghaft erzogen worden. Bereits nach wenigen Lebenstagen werden Menschen auf einen bestimmten Schlafrhythmus dressiert und mittels Regeln auf Regeleinhaltung getrimmt.

Sie werden zu Gehorsam erzogen, in der Schule seit alters her nach Betragen, Fleiß, Mitarbeit und Ordnung beurteilt – nie jedoch nach Neugier, Begeisterung, Kreativität, Charme, Humor, Energie und Abenteuerlust.

Die Grundform des jungen Deut-schen ist die der Zwanghaftigkeit. Sie wird durch das Sammeln von universitären Credit Points zum Erwerb des Bachelors weiter gehärtet.

Wenn aber jetzt der Wandel der Welt ansteht? Bauen die Ottomotoriker freudig Batterien, gehen die Festnetz-ingenieure freudig in die Funkwelt? Modernisiert man die ö� entliche Verwaltung? Fördern wir neue Bil-dungstechnologien und Innovationen?

Wir Zwanghafte scha� en es nicht, mit „Vision & Purpose“ vorfreudig der Zukunft entgegenzueilen. Wir verschlafen neue Technologien, weil wir sie nicht wollen. Wenn wir sie dann doch wollen, schimpfen wir, weil wir sie aus Amerika oder Korea bekommen und ziehen letztendlich nach. Dieses Nachziehen ist ein erzwungener Wandel nach verschlafener Zukunft.

Der tut richtig weh, weil wir zwanghaft sind und uns zu spät verändern. Manager sagen: „Wenn die Gegenwart schmerzt, ist ein schmerzhafter Wandel mit den Mitarbeitern leichter möglich. Erst dann bekommen wir sie aus ihrer Komfortzone. Es ist besser zu warten bis es fast zu spät ist. Bei Schmerzen hat Wandel endlich eine Chance.“ Unsere Manager sind auch zwanghaft!

Nichts mit „Vision & Purpose“! „Ich kann nichts entscheiden. Ich bin auch prozessgetrieben.“

Wir erziehen unsere Kinder zu Zwang-haften für eine immer gleichbleibende Zeit. Wir dressieren, trainieren, normen und vereinheitlichen.

Bei der Arbeit drillen wir Mitarbeiter, vollkommen prozessorientiert nach Vorschrift zu arbeiten.

Vorschriften als solche werden als heilige Prinzipien dargestellt, die jenseits jeder Kritik stehen. Am Jahresende wird umdisponiert. Fabelhafte neue Vorschriften kommen, die die schlechten, vormals vergöt-terten, ablösen. Und die Mitarbeiter werden wie eine Maschine umgerüstet.

„Tu jetzt das und glaub nun dies!“ Wandel nennt man dieses Umrüsten allgemein. Wandel, dem man sich freudig stellen soll.

So will ich Wandel nicht! Ich will gar keinen Wandel, nur beharrliches Ver-folgen von „Vision & Purpose“. Hören wir auf, Menschen zu Zwanghaften zu erziehen. Lassen wir es, Hysterisches zu verherrlichen. Bleiben wir in der Mitte. Versuchen wir es mit mehr Ungewöhnung, damit die Neugier, die Begeisterung, die Kreativität und die Abenteuerlust bleiben können. Bleiben können! Ja, genau, dies alles hatten wir einmal – Sie und ich.

Panta Rhei, alles fl ießt, alles ändert sich. „Subject to Change“ ist das Leitthema der TEDxRheinMain 2012. Das klingt schön, denn Wandel ist gut – das sagen so viele!

KOMFORTZONE ZUKUNFT ODER WIDER DIE GEWÖHNUNG

AUTOR // Gunter Dueck TWITTER // @WILDDUECK WEB // OMNISOPHIE.COM

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In vielen Städten Europas haften Gemeinschaftsgärten, wie dem Can Masdeu in Barcelona, das Flair des Verbotenen an. Nicht so in Paris. Die Stadt fördert Bürger, die sich bisher ungenutzte Grundstücke mit Harken und Gießkannen zu eigen machen. Und so � nden sich zahlreiche Gemeinschaftsgärten in den Gässchen der französischen Hauptstadt.

NICHT ILLEGAL, SONDERN BIO SOLL ES SEIN2002 verabschiedete die Stadt Paris die Charte Main Verte. Das Programm unterstützt die Gründung von Gemeinschaftsgärten in Paris und Umgebung. Bisher haben 13 Gärten die Charte Main Verte unterzeichnet. Die Nutzung des Grundstückes ist umsonst. Dafür verp� ichten die Nutzer sich, die neuen Grün� ächen ökologisch korrekt zu bewirtschaften. Ohne Chemie, ohne Pestizide. Gedüngt wird nur mit Bio-Kompost.

Zudem müssen die Hobby-Gärtner mindestens zweimal pro Woche ihre Gartentore für Besucher ö� nen. Doch Gärtner und Bewohner des Cartiers kämen durchaus häu� ger in den kleinen grünen Oasen zusammen, erzählt Roselyne, eine der Gärtnerin-nen des Jardin Nomade im 11. Bezirk. Kinder, Rentner, waschechte Pariser und jene die es werden wollen ernten, säen, spielen und entspannen hier.

Umgeben von bunten Blumen, Tomatensträuchern, Küchenkräutern und Salatköpfen kommt man gern zusammen, um ein Feierabendbier in netter Gesellschaft zu trinken oder am Wochenende die Füße hoch zu legen.

TAG DES OFFENEN GARTENTORSIn einigen Gärten wird das jewei-lige Grundstück gemeinschaftlich bewirtschaftet, in anderen hat jeder Gärtner sein eigenes Beet. Im Jardin Nomade, im 11. Bezirk gibt es beides. Angep� anzt werden darf hier alles, was Augen- und Gaumenfreude bereitet: Obst, Gemüse, Zierp� anzen. Die Ernte dient ausschließlich dem eigenen Verzehr. Gewinne dürfen nicht erwirt-schaftet werden. Roselyne erinnert sich an das letzte Märzwochenende. Das Obst und Gemüse der Saison wurde zu Marmelade und Suppe verarbeitet und anschließend gemeinsam verspeist.

Die Gärten leben vom gemeinnützigen Engagement. Die Gärtner sind untereinander vernetzt, tauschen sich aus und planen auch gemeinsame Feste. Jedes Jahr im Spätsommer ö� nen sich alle Gartentore von Paris und jeder ist eingeladen, zur Fête des Jardins.

„Der Scanner prüft, ob die Tomaten die richtige Farbe haben. Wenn das Rot nicht stimmt, werden sie aussortiert und weggeworfen.”

Obst und Gemüse werden entsorgt, bevor sie überhaupt in den Handel kommen. Gurken, die zu krumm für die Kiste sind; Tomaten, die keiner Normgröße entsprechen, keine Normröte aufweisen; zu dicke Bananen, zu kleine Äpfel, zu lange Karto� eln, zu reife Orangen. Entsorgen, das ist am billigsten. Verfüttern? In Europa längst verboten.

Ruhig und bedacht erzählt der Film “Taste the Waste” in kleinen Episoden, warum der größte Teil des Mülls ent-steht, bevor er die Verbraucher erreicht: Weil alles Obst perfekt sein muss, weil das Gemüse schön sein muss, weil der Verbraucher jeden Makel tadelt.

Da ist der Pariser Großmarkt, auf dem achteinhalb Tonnen Orangen entsorgt werden, weil sie schon in zwei Tagen schlecht werden würden. Der japani-sche Supermarkt, der Produkte an der Frischetheke nach wenigen Stunden aussortiert. Die Bäckerei im deutschen Discounter, die verp� ichtet ist bis 18.30 Uhr volle Regale zu haben.

Mit dem Brot, das in Deutschland weggeworfen wird, könnte ganz Niedersachsen versorgt werden

Da sind aber auch amerikanische Farmer, die sich zusammengeschlossen haben und alles bio verkaufen, was der Handel nicht verkaufen will:

Für 50 Cent am Tag, soviel der Kunden essen kann. Da sind die Mülltaucher in Wien, die nur noch ihr Olivenöl im Laden kaufen; die Dach-gärtnerin in Brooklyn, der Imker über den Gipfeln Manhattans; der Bäcker, der altes Brot zum Heizen nutzt.

Sie agieren konträr zum Handel, der seine Kunden Perfektion gelehrt hat. Geschmack verkauft sich eben nicht. Vielfalt verkauft sich, und volle Regale. Dabei werden 90 Millionen Tonnen Lebensmittel jedes Jahr allein in der EU in den Müll geschmissen. Mit jedem Kilo steigt der Treibgasausstoß. Mit jedem Kilo steigen die Preise auf dem Weltmarkt, und der Hunger in den Entwicklungsländern.

Trotz dieser alarmierenden Fakten verzichtet der Film auf den erhobenen Zeige� nger. Ein jeder weiß eh, dass ihn die Mitschuld tri� t.

Einen O� -Kommentar gibt es nicht – der Film lässt Menschen zu Wort kommen, die mit dem Müllproblem kämpfen müssen, jeden Tag.

Wie Véronique Ndong aus Kamerun. Sie arbeitet bei der Pariser Tafel. „Sie würde am liebsten alles behalten,” sagt Lagerleiter Arnaud Langlais. Später wird das ihr Entlassungsgrund sein. Sie wird entlassen in eine Welt, die alles kennt, nur leere Regale nicht.

http://www.tastethewaste.com/

Paris, das Paradies für urbane Hobby-Gärtner. Kostenlos über-lässt die Stadt ungenutzte Grundstücke. Einzige Bedingung: Bio-Gemüse und zweimal pro Woche ein off enes Gartentor.

Ein Kinofi lm zeigt, wie unsere Gesellschaft mit Lebens-mitteln umgeht: „Taste the Waste” heißt die Dokumen-tation eines kranken Systems und seiner Gegner.

OFFENE GARTENTORE – URBAN GARDENING IN PARISFÜR DIE TONNE GEMACHT

AUTOR // Bebero Lehmann TWITTER // @DIEBEBEROAUTOR // Florian Siebeck TWITTER // @FLOSI

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Deutschland schrumpft. Und zwar nicht nur ein bisschen an den Rändern, dort wo Ebbe und Flut sich gute Nacht sagen, sondern in jener Größe, die ein Land doch vor allem ausmacht: seinen Einwohnern, den Menschen. Nach Vorhersagen des Statistischen Bundesamts werden im Jahr 2060 nur noch zwischen 65 und 70 Millionen Menschen in Deutschland leben. Plus, minus ein paar Zerquetschte.

Tatsächlich sind die Zerquetschten, die Herzinfarkt-, Krebs- und anderweitig Todgeplagten, die Unfall- oder gar Mordopfer, der wahre Auslöser dieses Rückgangs. Der „Sterbefallüberschuss“, also die Zahl der Verstorbenen im Verhältnis zu den Geborenen, wird sich nämlich bis dahin verdreifacht haben.

In der Statistik sieht das schon jetzt sehr negativ aus, das Glas halb leer zu sehen ist nichts dagegen: minus 180 821 steht es da für 2010 schwarz auf weiß. Ein Rückgang von 180 821 Deutschen. Eine nicht aufzuhaltende Entwicklung.

Doch das ist für sich gesehen kein Grund zur Traurigkeit – wenn man davon absieht, welche Tragödie der Tod für den Einzelnen darstellt.

Denn realistisch gesehen heißen weniger Menschen auch: mehr Platz, mehr Zugang zu ö� entlichen Einrichtungen (wie Unis), mehr Natur, weniger Straßen, Stress, Konkurrenzkampf. Weniger Ressour-cenverbrauch – total, nicht pro Kopf.

DEUTSCHLANDS NEUES IMAGEDie Entwicklung in Deutschland steht nämlich in krassem Gegensatz zu dem, was sich in den ärmsten Ländern der Welt abspielt: Die wachsen und wach-sen und wachsen so sehr – weit über ihre bescheidenen Verhältnisse – dass die UNO bis 2050 von 9,1 Milliarden Menschen ausgeht (die 7-Milliarden-Marke ist schon geknackt).

Das rasante Bevölkerungswachstum gilt seit Jahren als das Schlüsselproblem der Zukunft: Lebensraum, Acker� ä-chen, Wasser, Energie – der Kampf um diese lebenswichtigen Dinge könnte zu großem menschlichen Leid führen.

Deutschland könnte dagegen geradezu eine Insel der Seligen werden. Die mit der nachhaltigen Geburtenquote, die Jahr für Jahr mehr Deutschland für immer weniger Deutsche zur Verfügung hat.

So wie die Schweiz mit ihrem Motto „klein aber fein“ gut gefahren ist, könnte das Land über die peinliche „Du bist Deutschland“-Kampagne ein vollkommen neues, nachhaltiges Image legen. Natürlich mit interactive-cross-socialmedia-stu� , Testimonials, Gütesiegel und allem was dazugehört.

VIELE ALTE, WENIG JUNGEDoch Nachhaltigkeit, dieses furchtbar schwammige Wort, lässt einen an geschlossene Kreisläufe denken und E� zienz. Und da fängt es an, kni� ig zu werden. Denn die Statistik hält noch ein paar unangenehme Fakten bereit: 2060 werden – je nach Szenario – bis zu einem Drittel der Einwohner über 65 sein; ein Siebtel womöglich sogar über 80.

Jeder weiß: Das führt nach dem der-zeitigen Generationenvertrag zu vielen Menschen auf der Empfängerseite, während die Verdienerseite immer dün-ner besiedelt ist. Es wirft böse Fragen auf; zum Beispiel, ob die teuersten und wahrscheinlich blödesten zehn Tage im Lebens eines Menschen denn wirklich den ganzen Aufwand wert sind.

Und dann noch das Problem mit den „falschen Geburten“, die diese pessimistische Statistik wenigstens ein bisschen abfedern. Denn die sind ja, zumindest wenn man einer gewissen politischen Couleur angehört, nur „kleine Kopftuchmädchen“ oder ander-weitig „aussichtslose“ Nachkommen.

Quasi geboren, um die Hand aufzuhalten. Denn „die Guten“ wollen ja keine Kinder mehr kriegen, die dann ordentliche Berufe lernen und ordentlich Steuern zahlen.

BLICKT DEM DEMOGRAFISCHEN TIGER INS AUGEEs sind also politisch höchst gefährliche Feststellungen und äußerst unange-nehme Entscheidungen, die getro� en werden müssten, um das alles ins Lot zu bringen und sogar noch zu nutzen.

Doch weil 2060 noch so lange hin ist, dass von der heutigen Truppe höchstens der Bundespräsident noch ein Gehalt beziehen wird, hat man den Tatsachen nicht unbedingt mutig ins Auge geblickt. Stattdessen wurde nervös geblinzelt und geho� t, dass nach dreimal Augen schließen und ein bisschen Elterngeld die Probleme von ganz allein verschwinden würden.

Da es sich von der heimischen Couch leicht auf den Trainer schimpfen lässt, habe ich ganz selbstlos fünf unerhört populistische Ideen niedergeschrieben, mit denen man Deutschland ruck-zuck zum demogra� sch nach-haltigsten Land auf diesem Planeten machen könnte. Und wie das bei solchen Handlungsempfehlungen ist, sind natürlich alle Angaben ohne Gewähr auf Sozialverträglichkeit, Umsetzbarkeit oder gar Erfolg.

AUTOR // Rebecca Sandbichler TWITTER // @GENICKSTARRE

Entgegen des globalen Trends werden die Deutschen immer weniger.Doch das ist kein Grund zur Traurigkeit. Denn diese de-mografi sche Sonderstellung ist auch eine Chance.

MEHR DEUTSCHLAND FÜR ALLE

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1. Robo, der beste Freund des Deutschen: Viele Alte im Land sorgen für einen hohen Bedarf im Bereich der P� ege, der von jungen Arbeitskräften gar nicht mehr erledigt werden kann. Ziel muss sein, Senioren so lange wie möglich so rüstig wie möglich zu erhalten. Darum sollte Deutschland jetzt auf den Zug aufspringen und im großen Stil in Robotik investieren. Staatlich geförderte Hausroboter halten vereinsamte Senioren geistig beweglich und assistieren ihnen bei den täglichen Erledigungen. Ö� entliche Kurse wie „Sport mit Robo“ locken diese Senioren aus ihren Wohnungen raus in die Parks, wo sie Gleichgesinnte tre� en und sich körperlich � t halten. Dank der � orierenden, deutschen Robo-terindustrie kann in vielen Bereichen des ö� entlichen Lebens künstliche Intelligenz eingesetzt werden. Noch mehr als heute werden schwere und gefährliche Arbeiten, die jahrelang Männer im besten Alter dahingera� t haben, von Robotern erledigt.

2. WGWF – die Wohngemein-schaftswohnenförderung: Trotz sinkender Einwohnerzahl, gibt es bis 2025 eine steigende Zahl von Privathaushalten. Natürlich ganz und gar nicht nachhaltig, dass jeder für sich alleine wohnt und so insgesamt mehr Ressourcen verbraucht werden (wer schon mal als Single beim Discounter war, kennt zum Beispiel die Familienpackungs-Problematik). Darum braucht es eine neue Initiative für die WG. Kampagnen einerseits und natürlich ein kleines � nanzielles Incentive: Quotenregelungen und Steuervorteile für WG-freundliche Vermieter und einkommensabhängige Mietförderungen für Haushalte ab vier Personen. Altersgemischte WGs erhalten zusätzliche Förderungen, wenn ein Mitglied ganz oder teilweise

gep� egt wird. Hier schlägt man mehrere Fliegen mit einer Klappe, die Folgen sind kaum abzusehen: Weniger Einzelhaushalte, indirekte Großfamilienförderung, staatliche Verkuppelung von WG-Mitbewoh-nern, weniger Single-Selbstmorde an Feiertagen … – wunderbar.

3. Seniorenexport in den Son-nenschein: Menschen über 67, die auswandern und sich verp� ichten, bis ans Ende ihres Lebens nicht mehr in Deutschland sesshaft zu werden oder Leistungen zu beziehen, bekommen je nach Rentenanspruch eine Einmalzahlung von 30.000 Euro aufwärts (böse Zungen nennen sie Abwrackprämie). So könnte in ein paar Jahren der Überhang der Babyboomer-Generation etwas ausgeglichen werden.

Ähnlich wie bei früheren Gastar-beiterdeals, wie man sie mit der Türkei geschlossen hat, kooperiert man diesmal mit Spanien. Die leerstehenden Feriendörfer, die wegen der Finanzkrise von den Briten nicht mehr gekauft wurden, werden zu Altersresidenzen im Florida-Stil umgebaut. Im Gegenzug können die spanischen Arbeitslosen sich als P� eger und/oder Erbschleicher verdingen.

4. Führerschein, Rauchen, Alkohol – frühestens ab 30: Es sind gerade die jungen, kraftstrotzenden Männer bis 25, die zum ungünstigsten Zeitpunkt aus dem Leben gerissen werden: von ihrer eigenen Dummheit. Weil sie zu schnell fahren, oder betrunken, oder beides. Oder weil sie sich prügeln, beziehungsweise andere ver-. Die Zahl der Unfall- und Verbrechenstoten in diesem Alter muss reduziert werden, denn hier gilt es, volkswirtschaftlich gesehen, „sunk costs“ zu minimieren. Man stelle sich vor, so ein testosteron-gesteuerter Junge würde nicht gleich nach dem staatlich teuer erkauften Abi sein erstes Auto gegen die Leitplanke fahren, sondern stattdessen mit der Bahn zum Praktikum. Besser für die Umwelt und für das langfristige Steuer-aufkommen. Daher – bis auf beru� iche begründete Ausnahmefälle – lieber kein Führerschein für Postpubertierende.

Alkohol und andere schnelle Töter sollten für Arbeitsfähige überhaupt ganz gestrichen werden und bestenfalls erst im hohen Alter erlaubt werden. Der Seniorenüberschuss im Land schlüge sich so auch weniger auf die allgemeine Stimmung nieder: Weil sie so lange aufs Komasaufen warten mussten, spielen die Alten lieber bis zum Abwinken im Park Rollator-Flunkyball, als sich in die Angelegen-heiten der Jungen einzumischen.

5. Kibbuz à la Mecklenburg-Vorpommern: Das große demogra� -sche Problem liegt im Verhältnis von Steuerzahlern zu Transferleistungsemp-fängern. Dieses ist bereits jetzt alles andere als ausgeglichen, mit künftig immer weniger Arbeitenden und mehr Alten wird das Ungleichgewicht sich noch verstärken. Man könnte natürlich unaufhörlich das Rentenalter erhöhen oder Hartz-IV-Sätze regelmäßig um ein paar Euro kürzen, doch das führt zu Unmut oder gar Unruhen. Stattdessen nutzt Deutschland am besten den vielen, neu gewonnen Platz und setzt auf großzügig angelegte Selbstversor-ger-Kommunen. Schwer vermittelbare, aber arbeitsfähige Hartz-IV-Empfänger, Alte und Asylwerber leben mietfrei in bunten Dorfgemeinschaften, die sich – mit kleinen Zuschüssen für Kleidung, Medikamente und das Übliche – fast ausschließlich selbst versorgen.

Hier wird vor allem auf eine Wiederbesiedelung von Land� ucht-Gebieten in Ostdeutschland gesetzt. Die Kommunen erhalten große Gestaltungsspielräume, es könnten Subkulturen und Sozialprojekte entstehen, die wiederum interessant für junge, abenteuersüchtige Europareisen-de sind. Motto: Zuerst nach Berlin ins Berghain und dann mal ein bisschen im Osten „Deutsche-Dörfer-Springen“ mit Freiwilligenarbeit und allem drum und dran. Nach und nach werden diese Gegenden so gentri� ziert, dass es zu einer Rücksiedelungswelle von Hipsters aus dem Westen kommt.

HACH, DEUTSCHLAND, BIST DU NACHHALTIG

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Eine Spurensuche.Wir sollten eine Reise wagen. Jetzt gleich. Sagen wir, es geht in das Jahr 2022.

7.00 Uhr: Sanfte Klangschaltöne klingen durch das Schlafzimmer. Ausgesendet vom Interaktivbildschirm. Dabei scheint die Sonne durch die Fenster aus Photovoltaik-Glas, die Jalousien gehen automatisch nach oben. Nach dem Aufstehen kann gleich das Wetter gecheckt werden, wie auch die aktuelle Verkehrslage in der Stadt über die Live-Sky-Cam.

Ah, das intelligente System hat sich unsere individuellen Bedürfnisse gemerkt! Schnell den Ka� ee interaktiv bestellt, während sich automatisch der aktuelle Energiebedarf einstellt. Personalisierte Klimaanpassung, ganz intelligent! Nachrichten werden im Bad direkt auf dem Spiegelglas angeschaut und rasch blinkt die erste E-Mail auf dem Display auf.

Huch, Zähneputzen nicht vergessen! In der Küche spuckt die Arbeitsplatte aus Glas Kochrezepte aus oder lädt zur ersten Vidoekonferenz ein. Alles synchronisiert mit dem intelligenten Smartphone. Bedürfnisorientiert projiziert es den aktuellen Tagesplan neben die Müslizubereitung.

„A day made of glass“ der Corning Incorporated: das Wohnszenario von morgen? Da muss es doch noch mehr geben!

EIN PLUS FÜR ENERGIE

Einsteigen und weiter geht‘s zurück in das Jahr 1994. Geburtsjahr von Heliotrop, dem Plusenergiehaus in Freiburg. Ein Spitzenreiter in Sachen Rundum-Verträglichkeit.

Deshalb bewohnt der Energie-Architekt Rolf Disch das auf rotierende Fundamente gebaute Haus mit einem sich selbst verwaltendem Energiekon-zept gleich selbst. Damit wenden wir uns maximal der Sonne zu: Für eine vollendete Energieauslastung werden die Solar-Module high-endet gesteuert.

Das bringt mehr Energie, als ver-braucht werden kann und daher auch enorme Einspeisungspotenziale ins regionale Strom-Netz. Auch innen geht es heiß her: Die integrierte Kompos-tieranlage recycelt die Abfallprodukte seiner Bewohner im stillen Kämmer-lein. Global betrachtet: sehr verdaulich! Gut gestärkt kann es also weiter gehen: voran nach morgen über heute.

AUF DEM WASSER DEM KLIMAWANDEL TROTZENWir reisen nach Hamburg, März 2011. Auf dem Weg hören wir die neuesten Projektionen in Sachen Klimawandel: Für den Zeitraum 2040 kündigen Klimaforscher eine massive Zunahme an Niederschlägen an.

Damit steigt nicht nur die Notwen-digkeit der Anpassung, sondern auch die allgemeine Wassermenge an.

Wir starten einen Besuch auf den Floatinghomes im Hamburger City-Sporthafen und können uns einen passgerechten Typ (von B- bis D-Type), je nach Raumbedürfnis, aussuchen.

Wassertauglich leben. Wer will da nicht gleich auch mit dem eigenem Büro einziehen? Also wird es schwer, uns mit Blick auf die Elbe wieder loszureißen. Doch, das nächste Ziel ist nicht weniger attraktiv: Auf in die Niederlande! Dort gibt es wassermobiles Wohnen nicht erst seit gestern, doch auch Re� exe für innovative Raumnutzung von morgen.

HAUS AUF HAUS, AUF TRADITION GEBAUTMai, 2010. Wir entdecken den neues-ten, holländischen Clou: Hier entsteht gerade die architektonische Liason von Tradition und Moderne eines Wilfried van Winden (WAM architecten), der eine p� � ge Antwort auf die Frage nach Raum und Größe im wachsen-den, urbanen Dschungel bietet.

Dann kann schonmal aufgestapelt werden und dies im traditionell holländischen Stil. Mit Blick auf die helldunkelgraugrünrote Fassade wird uns bewusst: In Zukunft muss an Quadratmetern gespart werden!

DAS HAUS WÄCHST MIT

Wir landen, gleich heute, in Ober-leichtersbach, Werkstandort von Hanse Haus und denken: Jetzt wird es eng! Das winzige, im warmen Holz-Look verschalte Rotorhaus aus der Feder des „Design-Papstes“ Luigi Colani bietet mehr, als zunächst augenscheinlich wird: Die 36 qm Grund� äche lassen sich über ein in der Mitte des Hauses gelagertes Drehelement unkompliziert auf 70 qm erweitern. Soll es gerade das Wohn- oder Schlafzimmer sein? Maximale Raumauslastung bei Minimalmeter. Allerdings doch eher wieder etwas für Solisten.

Wenn es ein bisschen mehrgenerativ sein soll, dann lohnt ein Aus� ug nach Denver, Colorado. Vielleicht im Jahr 2020. Dort könnte das Weave Urban Housing stehen, heute auf Entwurfsebene des Team von Meridian 105 Architecture. Wir betreten ein Sozialwabensystem mit � exiblen Räumen und variablen Wänden.

Ein Lösungssystem, welches zum einen vielen Menschen Lebensraum bieten kann und sich gleichsam � exibel den Nutzungsbedürfnissen anpasst. Auf futuristische Weise � nden wir die Prinzipien der Natur und des Organischen in moderne Lebensraumplanung integriert. Wir lernen: Es ist Kreativität gefragt!

Wie werden wir in Zukunft wohnen? In interaktiven, räumlich fl exiblen Waben, auf engstem Raum in einem Wohnei oder in einem mobilen Rucksackhaus?

EINE WOHNUNG TO GO, BITTE

AUTOR // Daniela Riess TWITTER // @SPELLARTIST WEB // SPELLART.COM

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SCHNAPP DIR DENURBANEN QUADRATMETER

So geht es weiter nach China im Jahr 2010. Wir besuchen den pekinger Architekturstudent Dai Haifei. Dieser hat sich im Zuge der eigenen Wohnungsnot gedacht: Aus weniger, mach mehr! So erfand er das Wohnei aus Bambus und Sandsäcken. Das gibt‘s bereits für umgerechnet 730 Euro zu haben. Mit Solarmodul. Ein mutiger A� ront an Fragen, wie: Wem gehört der urbane Quadratmeter?

Auf der Rückreise nach Deutschland, in das Jahr 2005, entdecken wir den Campus der micro-compact-homes in München, gleich neben dem Stadt-park, in bester Lage. Für Studierende mit studentischer Beteiligung in einem Projekt von Richard Horden einem Professor für Gebäudelehre an der TU München und den Architekten Lydia Haack/John Höpfner ent-wickelt. Wenn es jetzt noch mobil sein könnte! Denken wir uns. Und starten durch in das Jahr 2003.

DIE IDEE: MIT DEM EIGENEM HAUS AUF DEM RÜCKEN UNTERWEGS SEINDas stellt uns der Designer Werner Aisslinger vor. Für ca. 89.000 Euro ist er zu haben, der gemeinsam mit den Architekten Achim Aisslinger und Andreas Bracht entwickelte Loftcube.

Häuser nach dem „Plug-In-Prinzip“ eines USB-Sticks.

Zurück nach 2011, brennen uns vor allem zwei Dinge auf den Nägeln: Ökologie und Nutzung regenerativer Energien. Bei Nach-frage bekommen wir den Fincube präsentiert, die Weiterentwicklung des Prototypen. Komme, was wolle, diese Häuser sind rasch abgebaut und anderorts wieder montiert.

Naturverbunden und mobil-funktional leben? Kein Problem! Das bietet auch nomadhome aus Österreich. Hochgradiges Design bei einer CO²-gerechten Lebensweise. Wer will sich da noch festlegen, wenn es sogar die Sonnenterasse zum Mitnehmen gibt? Ästhetische Lösungen für Risiken der Zukunft? Selbst das Business wurde bedacht: Für eine „Workstation“ mit Stil ist sicher noch Platz – sei es auf dem Dach eines Wolkenkratzers.

KULTURRECYCLING UND MÖGLICHKEITEN-STÖBERN

Beim Besuch, September 2004, wiederum in München, begegnen wir genau diesem: Das Rucksackhaus der a.ka. ingenieure. Hochhaus meets Skulptur zum Wohnen. An die Außenwand eines bestehenden Gebäudes anmontiert, wird temporäres Wohnen bei Ausnutzung bereits vorhandener Baustrukturen möglich. Angehangen, sozusagen.

DAS SIND AUCH WIR, AUCH, WENN FÜR UNS DAS ENDE DER KLEINEN ZEITREISE ERREICHT IST. FÜR ZU HAUSE GIBT ES NOCH DEN BLICK IN DIE DIGITALE STÖBERKISTE DER GRUPPE THE ARCHIGRAM ARCHIVAL PROJECT. HIER WERDEN MÖGLICHKEITEN EINER ARCHITEKTUR DER ZUKUNFT BEREITS SEIT DEN 70‘ERN GESAMMELT.

WEITERLESEN

Lenz, Verena et al (2009): Häuser mit Zukunft: Variable Grundrisse für fl exible Wohnformen. München:http://bit.ly/yWO1GO

Wissenswertes über das Wohnei:http://bit.ly/ypDXRR

Mini-Häuser zum verlieben:http://bit.ly/bxHsML

Demografi scher Wandel unserer Gesellschaft in Zahlen:http://bit.ly/wcc6bE

Das Waben-Haus in sechs Bildern:http://bit.ly/zeihUz

Das Erste erklärt wie mobiles Wohnen der Zukunft aussieht:http://bit.ly/xoAyja

Diese Häuser sind überall zu Hause: http://bit.ly/yQH7Ep

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AUTOR // Daniel Kraft TWITTER // @DANIELKRAFT WEB // IFRIDGE.COM TED // TED.COM/SPEAKERS/DANIEL_KRAFT.HTML

PHASE I: INDIVIDUELLE KÖRPERLICHE ARBEITZur ersten Phase, geprägt durch individuelle körperliche Arbeit, beispielsweise in alten Tagen ein Bauer mit einfachen Werkzeugen, gehört auch die standardisierte industrielle Arbeit, zum Beispiel in der Fertigung im Fahrzeug- und Maschinenbau. Diesen Arbeiten liegt primär körperliche Bewegung zugrunde, um ein Arbeitsergebnis zu erreichen. Je in-dustrialisierter eine Gesellschaft, desto geringer der Anteil körperlicher Arbeit.

PHASE II: INDIVIDUELLE GEISTIGE ARBEITTypische kaufmännische Aufgaben, wie sie Sachbearbeiter oder Berater verrich-ten, sind individuelle geistige Arbeiten. Die Körperlichkeit beschränkt sich darauf, anwesend zu sein, eine Tastatur oder andere Geräte zu bedienen. Die-sen Arbeiten liegt eine Denkleistung zugrunde, keine körperliche Heraus-forderung. Ein Zahnarzt benötigt zwar handwerkliches Geschick, seine Arbeitsleistung besteht jedoch darin, einen Zahn zu versorgen, nicht in der Kraft den Bohrer zu halten.

Industrienationen wie Deutschland oder Italien haben nach der industriel-len Revolution einen erneuten Wandel durch Automatisierung erfahren. England, einst das Mutterland der Industrialisierung, hat sich hingegen direkt in eine Dienstleistungsge-sellschaft gewandelt. Aufstrebende Nationen wie China zeigen uns heute, wie die Evolutionsphasen der Arbeit parallel verlaufen können. Das Land ist gleichzeitig globaler Fertigungsstandort als auch Innovationszentrum.

PHASE III: SOZIALVERNETZTE ARBEITBei der sozialvernetzten Arbeit treten körperliche, jedoch mehrheitlich geis-tige Anforderungen auf. Oft wird hier der Begri� Wissensgesellschaft genutzt, eine Beschreibung, die jedoch zu kurz greift. Die Herausforderung liegt in der Besonderheit der Vernetzung. Tradi-tionell sind dies Führungspersonen, die Expertise im zugrunde liegenden Geschäft mitbringen müssen, deren Leistung allerdings darin besteht, das Zusammenspiel verschiedener Ressourcen zu gewährleisten. Durch die digitale Vernetzung der Arbeitswelt werden alle Menschen vernetzt.

Dies – ein grundsätzlich wünschens-werter Zustand – stellt den einzelnen jedoch vor große, auch emotionale Herausforderungen. Beziehungen, Gefühle und Be� ndlichkeiten gewin-nen in der Arbeitswelt an Bedeutung. Es genügt nicht mehr, der „Beste” zu sein. Heute müssen wir Leistung im Netzwerk erbringen, was oft als soziale Kompetenz beschrieben wird. Wenn viele Menschen zusammenarbeiten, wird jedoch deutlich, wie gering diese Kompetenz häu� g ausgeprägt ist. Und dass es keine systematische Betrachtung im wirtschaftlichen Kontext gibt.

EVOLUTION DER ARBEITIndustriearbeiter walzen neben Hochöfen den Stahl. Die Arbeit ist schweißtreibend. Ein Versicherungs-kaufmann sitzt in einem klimatisierten Büro, konzentriert starrt er in seinen PC. So verschieden die Aufgaben – so verschieden die Arbeit. Vereinfacht kann man von drei Phasen der Arbeit sprechen die sich nacheinander entwickelt haben, heute jedoch alle parallel in unserem täglichen Leben existieren. Von der Evolution der Arbeit können wir lernen, welche neuen Herausforderungen auf uns warten.

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AUTOR // Daniel Kraft TWITTER // @DANIELKRAFT WEB // IFRIDGE.COM TED // TED.COM/SPEAKERS/DANIEL_KRAFT.HTML

DAS DORF – CHANGE BACK TO THE FUTUREJede Phase erfordert es, in den beru� ichen Kontext integriert zu werden. Während der Industrie-alisierung verbesserten sich die Arbeitsbedingungen, um körperliche Leistungen dauerhaft zu erhalten. Auf dem Weg in die Wissensgesellschaft optimieren wir nun die Arbeits-bedingungen an der Schnittstelle zwischen Körper und Geist: Beispiels-weise steigern bessere Bildschirme die Konzentrationsfähigkeit. Aber wie bewältigen wir die Herausforderungen einer vernetzen Gesellschaft?

Die sozialvernetzte Arbeit erfordert eine ursprünglich alltägliche Kompetenz: das Miteinander.

Wie dies funktionieren kann, erkennen wir am Beispiel eines abgelegenen Dorfs, in dem Bewohner auf sich angewiesen sind und keine externen Dienste in Anspruch nehmen können. Entsprechend entwickelt sich ein komplexes soziales Gefüge. Je stabiler dieses Gefüge ist, desto besser geht es dem Einzelnen.

Demnach müsste sich unsere Arbeitswelt zu einem Dorf wandeln, in welchem jeder mit jedem ver-bunden ist und das gesamte System betrachtet wird. Vernetzung und

Echtzeitverbindungen machen dies längst möglich. Der menschliche Faktor wurde bisher allerdings unzurei-chend adressiert. Dieser „Change“ ist eine enorme Herausforderung für die Gesellschaft und für jeden Einzelnen.

Muss ich daran teilhaben oder kann ich mich entziehen? Ist unser Bildungs-system geeignet, Kindern diese Vernet-zungskompetenz näher zu bringen?

Persönlich bin ich der Meinung, dass wir Antworten auf diese Fragen � nden und die Herausforderungen meistern werden. Die Vorteile überwiegen. Sicherlich haben wir einen steinigen Weg vor uns. Historisch betrachtet haben wir diesen Weg bereits mehrfach beschritten. Aus Bauern wurden Arbeiter. Aus Fließbandarbeitern wurden Produktionsteams. Und aus Wissensarbeitern werden Kompetenz-netzwerke entstehen! Diesen Verände-rungsprozess erfolgreich zu adressieren, entwickelt sich zu einer überlebens-wichtigen strategischen Aufgabe.

IN DER PHYSIK IST ARBEIT DAS SKALARPRODUKT AUS KRAFT UND WEG: WENN AUF EINEN KÖRPER AUF DER GERADEN STRECKE VOM PUNKT A ZUM PUNKT B EINE KONSTANTE KRAFT WIRKT, DANN WIRD AM KÖRPER DIE ARBEIT VERRICHTET.

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Bis 2050 wird die Weltbevölkerung einen neuen Höchststand von 9,2 Milliarden Menschen erreicht haben, prognostiziert die UN. Etwa 120 Prozent der Fläche Brasiliens würden wir zusätzlich für den Anbau von Lebensmitteln benötigen, wenn wir so weitermachen wie bisher. Land, das wir so nicht zur Verfügung haben. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht: Wer will schon so weitermachen wie bisher?

DAS AKTUELLE SYSTEMIST ZU UNSICHERLandwirte, Architekten, Wissenschaft-ler zerbrechen sich schon seit Jahren darüber den Kopf, wie der Ackerbau der Zukunft aussehen könnte.

Einige von ihnen sind zum Schluss gekommen, dass der Acker, wie wir ihn kennen, der Vergangenheit angehört: „Dürre, Flut und andere unvorherseh-bare, extreme Naturgewalten können aus dem Traum eines Bauern innerhalb von Minuten einen Albtraum machen. Hagel zerstört regelmäßig den Weizen kurz vor der Ernte; Heuschrecken fressen Getreide blitzschnell zu Boden und Krankheiten von P� anzen vernichten milliardenschwere Ernten“, sagt der emeritierte New Yorker Professor Dickson Despommier.

Die Verschwendung wertvoller Ressourcen und die Risiken, die mit traditionellem Ackerbau verbunden sind, seien einfach zu groß, � ndet der Biologe: „Jeder Tag ist anders: Bauern

leben immer noch in der Angst vor dem Schlimmsten und ho� en auf das Beste. Was hält uns also davon ab, uns einer vollkommen kontrollierbaren Strategie der Landwirtschaft zuzuwen-den? Nämlich der des Innen-Anbaus?“

MEHR ALS GESTAPELTE TREIBHÄUSERDespommier ist einer der wichtigsten Befürworter des „Vertical Farming“. In seinem gleichnamigen Buch erläutert der Professor, wie die nächste Agrar-Revolution der Geschichte aussehen könnte. Das Prinzip ist simpel: Wenn immer mehr Menschen in den Städten leben, sollte auch ihre Nahrung in den Häusern dort produziert werden.

So entfallen nicht nur Transporte und unnötige Treibhausgase, sondern auch der Nährwert der Lebensmittel wäre durch die kurzen Wege besser. Und durch den Anbau in einem kontrollierten, geschützten Umfeld wüssten die Konsumenten auch genau, was in ihrer Tomate, ihrem Apfel oder ihrem Salatkopf drin ist.

Dennoch mutet die Idee des „Vertical Farmings“ zuerst wenig natürlich an: Despommiers „Vertical Farms“ arbeiten – im Gegensatz zu anderen Entwürfen – immer mit Höhe. Das ist einerseits mit seiner New Yorker Herkunft begründet, wo die Mieten unerschwinglich sind, aber auch mit dem Ursprung seiner Idee.

Mit Studenten einer Vorlesung zu „Ökologie und Gesundheit“ hatte er sich intensiv mit Dachgärten beschäftigt. Bald merkten sie, dass selbst alle Dächer der Millionen-metropole nicht ausreichen würden, um die Menschen zu versorgen.

So entstand die Vision von den grünen Hochhäusern: In hochtechnisierten, biophysisch inspirierten Wolkenkrat-zern könnten Stockwerk für Stockwerk verschiedene Sorten Gemüse, Obst aber auch kleinere, e� ziente Lebe-wesen wie Fische kultiviert werden.

ARBEIT, ESSEN, ERHOLUNG – ALLES IN EINEM

„Vertical Farming“ orientiert sich an den nachhaltigen Nahrungsketten der Natur, bei denen es keine Verschwendung von Ressourcen gibt. Wasser, P� anzenabfälle und Kot würden in einem geschlossenen Kreislauf verwertet werden.

Auch die Stadt würde einen Teil ihres Abfalls an die „Vertical Farms“ liefern. Im Umkreis dieser grünen Hochhäuser könnten neue Arbeitsplätze entstehen und die Stadtmenschen nicht zuletzt auch Naherholungszentren hinzugewinnen.

Viele derzeit existierenden Entwürfe und Projekte zu dieser städtischen Form der Landwirtschaft sehen nämlich vor, dass die Gebäude

ö� entlich zugänglich sind und als grüne Oasen dienen.

Der Gedanke dahinter ist auch ein pä-dagogischer: „Ich bin persönlich davon überzeugt, dass man die Produktion von Nahrung näher an die Menschen heranbringen muss – dorthin, wo sie leben und arbeiten“, sagt Myer Harrell, ein Architekt, der mit seinen Kollegen im Auftrag des New Yorker Bürgermeisters an einem „Vertical Farming“-Konzept gearbeitet hat.

„Wenn sie es sehen, anfassen, riechen und schmecken können, wird das mit dem Mythos auf-räumen, dass Essen billig ist.“

BESCHEIDEN BLEIBENHarrells Firma „Weber � ompson“ er-dachte für die Stadt Newark ein relativ niedriges, einfaches Gebäude mit einer großzügigen Forschungseinheit. Denn „Vertical Farming“ ist bisher nur ein Konzept, eine Idee. Die technischen Voraussetzungen seien zwar gegeben, betonen die Experten, doch die theore-tischen Grundlagen wurden noch nicht genügend in die Praxis umgesetzt.

Darum sagt Harrell: „Wir glauben, dass man mit Vertical Farming klein beginnen muss. Es ist unser Weg, das Risiko gering zu halten und sich zuerst wirklich tiefergehend mit der Fragestellung zu befassen, wie eine ‘Vertical Farm‘ funktionieren kann.

Monokultur, Kunstdünger, Genmais: Der Mensch hat den Ackerbau optimiert, aber er bleibt fehlerhaft. „Vertical Farming“ könnte die nächste Agrar-Revolution sein.

GÄRTEN IN DEN WOLKEN

AUTOR // Rebecca Sandbichler TWITTER // @GENICKSTARRE

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Wir müssen bescheiden bleiben; im Wissen, dass wir es beim ersten Mal nicht gleich richtig machen werden.“

Aktuell sieht es – trotz einiger Initiativen in San Francisco oder New York – derzeit nicht danach aus, als würde der erste Schritt für die nächste Revolution der Landwirtschaft von den Amerikanern ausgehen.

WENN LAND UND WASSER KNAPP SINDEs sind momentan vor allem die Arabischen Emirate an „Vertical Farming“ interessiert, bei denen Geld keine Rolle spielt; denen es aber an fruchtbarer Erde und Wasser mangelt: Qatar, Abu Dhabi und Dubai haben Despommier alle schon eingeladen. „Die müssen etwa 90 Prozent ihrer Lebensmittel importieren. Darum sind sie alle mit der Frage beschäftigt, woher ihr Essen kommen soll und ob es sicher ist. Also denken sie über Alternativen nach.“ Aber auch die Niederlande, Schweden und Großbritannien sowie asiatische Länder wie Indien, China oder Korea liebäugeln mit seiner Vision der sicheren Landwirtschaft.

Despommier glaubt, dass die ersten funktionierenden „Vertical Farms“ in den nächsten zwei bis drei Jahren entstehen werden. „Wir müssen unser Konzept der Nahrungsbescha� ung von Grund auf ändern, wenn wir nicht eine weitere, missglückte Spezies dieser Erde sein wollen.“

HÄNGT DIE FAHRRÄDER

Velib – die befreiten Fahrräder: Unter diesem optimistischen Namen startete am 15. Juli 2007 der französische Werbekonzern JCDecaux in Paris sein Fahrradverleihsystem.

Nach einem Jahr waren von den ursprünglich 7000 Fahrrädern 3000 gestohlen worden. Man fand sie an Straßenlampen aufgeknüpft, in die Seine geworfen oder in die Fremden-legion der Fahrräder zwangsverp� ichtet in weit von Paris entfernte Orte wie Brasov und Bukarest in Rumänien oder in Containern, die nach Nord-afrika verschi� t werden sollten.

JCDecaux, die zuvor in Lyon mit ihrem Velo’v Fahrradverleihsystem keine solchen Vandalismusprobleme hatten, ließen sich davon nicht beein-drucken: Bis 2009 wurden insgesamt 20.600 Fahrräder aufgestellt (von denen 16.000 wegen Vandalismus und Diebstahls repariert oder ersetzt werden mussten). Der Kampf um die Freiheit der Fahrräder, so scheint es, geht weiter.

THE TRAGEDY OF THE COMMONSDer ungewöhnlich hohe Verlust durch Vandalismus wurde von den Velib-Kritikern als Musterbeispiel für die Tragödie der Allmende, auch Tragedy of the Commons, angeführt. Öko-nomen bezeichnen damit folgendes Phänomen: Wird eine frei verfügbare, aber grundsätzlich begrenzte Ressource

von allen unreguliert und nur nach Maßgabe des Eigeninteresses aus-genutzt, dann wird die limitierte Ressource bis zur Neige ausgebeutet – auch wenn das dem langfristigen Interesse aller widerspricht, weil dann irgendwann für alle nichts mehr da ist.

Nimmt man den Fischbestand der Weltmeere als Beispiel, so heißt das: Jeder � scht soviel wie er kann, bis es keine Fische mehr gibt. Dass diese Tragödie Realität ist, zeigt die Über-� schung der Weltmeere. Für unsere Fahrräder bedeutet das vor allem: Was uns nicht gehört, ist nichts wert. Aber ist das wirklich der Grund, warum in Paris Fahrräder gehängt werden?

AUTONOME FAHRRÄDERRyan Rzepecki ist anderer Meinung: Er sagt, Paris hat „class issues“ – also Klassenkon� ikte. Rzepecki ist einer der Gründer von Social Bicyles – kurz SoBi – in New York.

Die Firma hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Leihfahrräder von den bisher obligatorischen Verleihsta-tionen zu befreien. SoBi Fahrräder sollen autonom sein, mit eigenem, solarstromgespeistem Buchungs- und Schlosssystem, das man über eine Smartphone-App entsperren kann.

Anfangs fühlte sich die Idee ganz simpel an: Pack einfach ein bisschen Mobiltechnologie ins Fahrrad, und Hey presto! hat man das autonome Verleihfahrrad SoBi.

Fahrradverleihsysteme sind ein Trend in Städten weltweit: zugleich ein Geschäft und ein Beispiel für soziales und nachhaltiges Wirtschaften –und ein unerwarteter Gradmesser für unsere Gesellschaft.

DIE FAHRRADKOMMUNE

AUTOR // Günther Mulder

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Drei Jahre später ist aus der einfachen Idee ein komplexes Projekt geworden, mit drei Softwareebenen, die online alles steuern, und Fahrrädern, die sich natürlich auch mit Vandalismus auseinandersetzen müssen.

Zwar hat das Rad ein ziemlich gutes Schloss und ist mit dem eingebauten GPS jederzeit au� ndbar, aber: selbst das beste Schloß kann geknackt werden.

Also soll auch Communityarbeit die Welt für die Fahrräder etwas sicherer machen. Wenn die Leute das Gefühl haben, das System gehört ihnen, schützen sie es auch vor Übergri� en. O� enheit für Feedback der Nutzer soll dabei helfen. Die Nutzungsdaten will man ebenfalls der Ö� entlichkeit und den Stadtplanern zugänglich machen.

Vor kurzem haben Social Bicycles ihr erstes SoBi-Fahrrad von ihrem taiwanesischen Hersteller bekommen. Und ab Sommer 2012 soll das Projekt auf die Straßen von New York gebracht werden – genauso wie das folgende, kommunale Projekt bei uns hier in Good Old Germany.

THINK GLOBAL, DRIVE LOCALSeit August 2011 ist in Mainz MVG-meinRad in der Testphase: Ein Projekt, für das die Mainzer Verkehrsgesellschaft 2009 den Förderpreis des Bundes-wettbewerbs „Innovative ö� entlichte Fahrradvermietsysteme“ gewonnen hat.

Projektleiterin Tina Smolders, die schon vor Heirat und Job als erfolgreiche Radrennfahrerin ein besonderes Verhältnis zum Velo p� egte, macht deutlich, was das Projekt von anderen abhebt.

Da sind zum einen natürlich die Fahrräder: Die von Nick Lobnitz entworfenen Paper Bicycles, die von der schweizer Firma Velobility für den Einsatz als Verleihfahrräder hergestellt werden, kommen bereits in der Testphase sehr gut an.

Neben der stufenlosen Schaltung der NuVinci Nabe bekommen die Räder ein besonderes Gepäckträgersystem und eine unverwechselbare Nase: mit ihr kuppeln die Räder über ein System aus Kugel und Feder an die Verleihstationen an. Auf diese Weise soll ein Schlag gegen das Fahrrad nicht den Rahmen schädigen, sondern über die Kupplung abgefedert werden.

Die Verleihstationen sind ihrerseits solarstrombetrieben und können daher kurzfristig und � exibel auf und wieder abgebaut werden – weil sie keinen Anschluss ans Stromnetz brauchen.

Zusammen mit dem für eine Stadt wie Mainz beträchtlichen geplanten Umfang von 120 Stationen mit 1000 Fahrrädern auf 200.000 Einwohner ergibt das ein besonderes Konzept. Die Idee, so Tina Smolders, ist nämlich, den bestehenden ö� entlichen Nahverkehr gezielt durch Verleihfahrräder zu ergänzen.

Diese Idee, die es den Mainzern möglichst einfach machen soll, abgasarm durch ihre Stadt zu kommen, erfordert komplexe Planung: Verkehrs-ströme müssen von Verkehrsplanern analysiert, Wegbeziehungen und Pendlerwege erforscht werden. Und anschließend gilt es, das ausgeklügelte Stationssystem durch Verteilungs-fahrten so auszugleichen, dass überall ausreichend Fahrräder stehen.

So ein System muss, wenn es für die Mainzer ist, auch mit den Mainzern ausgestaltet werden. Dafür stehen der kommunale Betrieb ebenso wie die O� enheit für das Feedback der Nutzer – wofür unter anderem ein eigenes Webportal geplant ist.

Sicher auch ein Grund, warum Vandalismus bis auf eine Ausnahme kein wirkliches � ema war. So setzt das Projekt schon ganz prag-matisch Ideen um, die anderwärts publikumswirksam mit bunten Vorträgen, Büchern und Webseiten unters Volk gebracht werden…

MESH THE COLLABORATIVE CONSUMPTION

Denn natürlich gibt es schon eine Bewegung zum � ema – oder eigentlich zwei. Lisa Gansky propagiert mit � e Mesh gleich eine „neue Art, sein Geschäft zu betreiben“.

Mesh-Firmen, so Gansky, nutzen Daten und Social Networks um Menschen so miteinander zu verbin-den, dass sie ihre Dinge und Dienst-leistungen ganz einfach miteinander teilen können: Damit jeder Zugang zu dem hat, was er braucht, ohne es besitzen zu müssen. Natürlich gibt es dazu ein Buch und ihren TED-talk kann man sich auch anschauen.

Rachel Botsman hat dafür den Begri� des Collaborative Consumption geprägt, auch zu haben als Buch und TED-talk. Ihre Mission: Teilen soll hip und cool werden und so einen Weg weisen aus der Falle des verschwenderischen Hyperkonsums.

Sie – oder ihre Bewegung – beschreibt die explosive Ausbreitung traditionellen teilens, tauschens, leihens, mietens, leihens und schenkens, das neu erfunden wurde durch die neuen, vernetzenden Technologien.

Beide Frauen propagieren ein System der Reputation und des Vertrauens unter gleichen, werfen aber soziale Fragen eher auf, als sie zu beantworten.

Denn die O� enheit des Teilens wird nicht immer von allen positiv aufgenommen – vor allem, wenn sie nur scheinbar ist – wie das Beispiel der Pariser Velib zeigt.

Hier hat der Soziologe Bruno Marzlo� nämlich eine Form sozialen Protests ausgemacht. Die ganzen zerstörten Fahrräder, berichtet er der New York Times, das sei eine Revolte der oft armen und sozial ausgeschlossenen Pariser der Vororte gegen die „Bobo“, die trendige bourgeoise Bohème des glamourösen Paris, für die das Fahrradverleihsystem gemacht sei.

Was aber zu tun ist, damit nicht weiter Fahrräder gehängt und Autos angezündet werden, weil Teile der Gesellschaft sich ausgeschlossen fühlen – darüber kann man ja mal bei einem Fahrradaus� ug auf dem Leihfahrrad nachdenken.

AUTOR // Günther Mulder TWITTER // @GMULDER WEB // GMULDER.DE

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Diese Ausgabe wurde ermöglicht durch die freundliche Unterstützung unserer Freunde und Partner:

BEITRÄGE DIESER AUSGABEGünther Mulder macht in Interaction Design, User Experience Design und Text: als Freelancer und bei newscookie.com. Außerdem schreibt er über Sachen, die er interessant � ndet – und andere ho� entlich auch. Er lebt in Mainz und ist Nullfünfer.

Bebero Lehmann ist eine echte kölsche Frohnatur. Nachdem sie im Sommer 2010 ihren Bachelor in Germanistik und Ge-schichte absolvierte, packte sie das Fernweh. Sie siedelte um, von Darmstadt nach Paris, um mit dem Masterstudium in Neuerer Geschichte zu beginnen. Seither lernt sie das Belle Vie kennen.

Rebecca Sandbichler hat schon vieles ausprobiert: Sie hat Drehbücher für Kurz� lme geschrieben und Regie geführt, ein monatliches Studentenmagazin mitgegründet, in Online-Redaktionen wie faz.net oder derstandard.at gearbeitet, bei NEON den Magazinjournalismus hautnah erlebt und zuletzt das mehrsprachige Bookazine CIRCUS weltweit verö� entlicht.

Florian Siebeck liebt Bäume und Papier. Er liebt die Umwelt und seine Viel� iegerkarte. Dennoch gerät der studierte Online-Journalist und passionierte Blattmacher nur in einen kleinen Zwiespalt: Er glaubt eh nicht daran, dass die Erde noch ein paar hundert Jahre Menschentum überstehen wird. Na gut. Vielleicht, wenn wir uns alle etwas anstrengen. Dann p� anzt er jetzt mal weiter Fichten, der CO2-Bilanz wegen.

Daniela Riess, multimedialinguale Vielseiterin. Autorin, Texterin, (Online-)Journalistin, Medienpädagogin, Kommunikations- & Social-Media-Beraterin, dabei auch Dozentin und Trainerin; an der Schwelle zwischen Journalismus, Bildung, Kunst & Kultur, Wissenschaft und dem freien Markt, mit starker Netza� nität für alle Lebenslagen. Mag Nachhaltigkeit und Sozialgedanken.

Gunter Dueck ist Professor für Mathematik, Philosoph und ehemaliger CTO der IBM Deutschland. Im Jahr 2011 hat ihn die Computerwoche auf der Liste der 100 ein� ussreichsten IT-Personen geführt.

Daniel Kraft Managing Partner bei ifridge & Company, ist Förderer und Ideengeber für Unternehmer und Wachstums� rmen und unterstützt Menschen bei der Verwirklichung ihrer Unternehmensziele. Daniel spricht regelmäßig zu Entwicklungen des digitalen Arbeitsplatzes und den Voraussetzungen für erfolgreiches Unternehmertum.

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Impressum

Herausgeber: Reverb Magazine c/o Hakuhodo Deutschland GmbH Hanauer Landstr. 222-224 60314 Frankfurt am Main, Germany

Kontakt: [email protected]

V.i.S.d.P: Felix Schrader Redaktion: Stefanie Langer, Sebastian Rudolph, Anke Schuhardt, Jan Stockmann

Autoren dieser Ausgabe: Gunter Dueck, Daniel Kraft, Bebero Lehmann, Günther Mulder, Daniela Riess, Rebecca Sandbichler, Florian Siebeck

Gestaltung: Marco Bahn, Faruk Basar, Judith Eskens, Michael Hazkiahu, Alex Schukowski, Stefanie Schwanke Druck & Druckunterlagen: Pinguin Druck GmbH, Berlin

Das Magazin und alle in ihm enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Herausgebers strafbar.

© 2012 reverb magazine.

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