rede des herrn ministerpräsidenten kai uwe von kassel aus anlaß der 34. tagung der deutschen...

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KAI UWE vo~ tIAss~L : 34. Tagung der Deutschen Gesellschaft ffir Gyn/~kologie 587 Referat VI Rede des Herrn Ministerpriisidenten KAI EWE YoN HASSEL aus Anlall der 34. Tagung der Deutschen Gesellschaft fiir GyMikologie. Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren! An reich ergeht h/iufig die Bitte, e~was zum Thema ,,Entwieklungs- hilfe" zu sagen. Die Grfinde, die daffir angegeben werden, sind vielf~Itig. Zum einen werde ieh angesproehen als Ministerpr/~sident eines Bundes- landes, zum anderen als Mann aus der Po]itik, der sieh seit langem Gedanken fiber die anstehenden Probleme und die zweekm/iBigsten Wege ffir deren L6sung macht. Uberwiegend aber ergeht die Bitte einfaeh an den Iterrn v o ~ I-IASSEL, dem seine Jugend w~hrend des ersten Weltkrieges in einem Lande, das heute zu den sog. Entwicklungs- li~ndern z/~hlt, und dem berufliehe Erfahrungen in den 5 Jahren vor dem zweiten Weltkrieg -- ieh bin yon Beruf Tropenlandwirt und Kaufmann -- sowie wiederholte Studienreisen in der alten I-Ieimat ein besonderes persSnliches Verhaltnis zu diesen L/~ndern und Einblick in deren Sorgen und N6te vermittelt haben. Dies -- und nicht der Umstand, dab die Entwicklungshilfe zum Thema des Tages avanciert zu sein seheint -- ist es auch, was reich ermutigt, den immer wieder an reich ergehenden Einladungen zu folgen und selbst zu Gremien zu sprechen, deren Aufgaben- und Interessenbereich dem meinen so entfernt zu liegen scheint. Es ist in der Tat das erste Mal, dab ich reich mit meinen Ausf/ihrungen an einen medizinischen KongreB und speziell an einen Kreis yon Gyngkologen wende. Es ist andererseits jedoch eine Erfahrungstatsaehe -- Ihre Fachko]legen, die bereits draugen waren, werden mir das best/~tigen -- dag in der Entwicklungshilfe jede Einzel- mal~nahme, wenn sie sinnvoll und erfolgreieh sein sell, in gr6Beren Zusammenhs gesehen werden und unendlieh viele Umst/~nde beriieksichtigen muB, deren Kenntnis daher aueh dem Faehmediziner zum Nutzen gereicht. Sie in wenigen Worten zu umreil]en, sell das Ziel meines kurzen Referates sein. Wenn wit yon ,,Entwicklungshilfe" sprechen, mfissen wir uns zu- n/~chst darfiber klarwerden, wie es zu dem Problem Entwicklungshilfe gekommen ist. Lassen Sie mich bier gleich einer leider h~ufig anzu- treffenden Auffassung entgegentreten, daI~ n~mlich die Entwicklungs- hilfe eine Begleiterscheinung des kalten Krieges sei. Diese Auffassung fibersieht, verdeckt und erschwert zugleich die Erkenntnis der tieferen Ursachen, die in der ungeheuren technischen und zivilisatorischen und damit sozialen Entwicklung unseres Zeitalters begrfindet sind und die vor fast keinem ~Vinkel der Erde haltgemacht hat. Als weltweites Sozialproblem w~re das Problem der Entwicklungshilfe auch dann auf

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Page 1: Rede des Herrn Ministerpräsidenten Kai Uwe Von Kassel aus Anlaß der 34. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie

KAI UWE vo~ tIAss~L : 34. Tagung der Deutschen Gesellschaft ffir Gyn/~kologie 587

Referat VI

Rede des Herrn Ministerpriisidenten KAI EWE YoN HASSEL aus Anlall der 34. Tagung der Deutschen Gesellschaft fiir GyMikologie.

Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren!

An reich ergeht h/iufig die Bitte, e~was zum Thema ,,Entwieklungs- hilfe" zu sagen. Die Grfinde, die daffir angegeben werden, sind vielf~Itig. Zum einen werde ieh angesproehen als Ministerpr/~sident eines Bundes- landes, zum anderen als Mann aus der Po]itik, der sieh seit langem Gedanken fiber die anstehenden Probleme und die zweekm/iBigsten Wege ffir deren L6sung macht. Uberwiegend aber ergeht die Bitte einfaeh an den Iterrn v o ~ I-IASSEL, dem seine Jugend w~hrend des ersten Weltkrieges in einem Lande, das heute zu den sog. Entwicklungs- li~ndern z/~hlt, und dem berufliehe Erfahrungen in den 5 Jahren vor dem zweiten Weltkrieg - - ieh bin yon Beruf Tropenlandwirt und Kaufmann - - sowie wiederholte Studienreisen in der alten I-Ieimat ein besonderes persSnliches Verhaltnis zu diesen L/~ndern und Einblick in deren Sorgen und N6te vermittelt haben. Dies - - und nicht der Umstand, dab die Entwicklungshilfe zum Thema des Tages avanciert zu sein seheint - - ist es auch, was reich ermutigt, den immer wieder an reich ergehenden Einladungen zu folgen und selbst zu Gremien zu sprechen, deren Aufgaben- und Interessenbereich dem meinen so entfernt zu liegen scheint. Es ist in der Tat das erste Mal, dab ich reich mit meinen Ausf/ihrungen an einen medizinischen KongreB und speziell an einen Kreis yon Gyngkologen wende. Es ist andererseits jedoch eine Erfahrungstatsaehe - - Ihre Fachko]legen, die bereits draugen waren, werden mir das best/~tigen - - dag in der Entwicklungshilfe jede Einzel- mal~nahme, wenn sie sinnvoll und erfolgreieh sein sell, in gr6Beren Zusammenhs gesehen werden und unendlieh viele Umst/~nde beriieksichtigen muB, deren Kenntnis daher aueh dem Faehmediziner zum Nutzen gereicht. Sie in wenigen Worten zu umreil]en, sell das Ziel meines kurzen Referates sein.

Wenn wit yon ,,Entwicklungshilfe" sprechen, mfissen wir uns zu- n/~chst darfiber klarwerden, wie es zu dem Problem Entwicklungshilfe gekommen ist. Lassen Sie mich bier gleich einer leider h~ufig anzu- treffenden Auffassung entgegentreten, daI~ n~mlich die Entwicklungs- hilfe eine Begleiterscheinung des kalten Krieges sei. Diese Auffassung fibersieht, verdeckt und erschwert zugleich die Erkenntnis der tieferen Ursachen, die in der ungeheuren technischen und zivilisatorischen und damit sozialen Entwicklung unseres Zeitalters begrfindet sind und die vor fast keinem ~Vinkel der Erde haltgemacht hat. Als weltweites Sozialproblem w~re das Problem der Entwicklungshilfe auch dann auf

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588 KAI UWE yON I-IAssEL:

uns zugekommen, wenn es keinen politisch-weltanschaulichen Gegensatz zwischen West und Ost g/ibe.

Die technische Entwicklung des letzten Jahrhunderts hat die Welt ,,kleiner" gemacht; hat die einzelnen Teile der Welt r~umlieh enger zusammengeffihrt.

Die wirtschaftliehe Entwicklung hat eine enge wirtschaftliche Ver- flechtung Mler Teile zur Folge gehabt.

Klimatisehe, Bev61kerungs- und sonstige Faktoren haben jedoch eine regional &uBerst untersehiedliche Entwicklung bewirkt, als deren Ergebnis wir heute eine Reihe wirtsehaftlich hoch entwickelter Lander, die sog. Industrienationen, nnd eine l%eihe weniger entwickelter L/~nder, die sog. Entwicklungsl/~nder, antreffen.

Die Bedeutung dieser Entwieklung erhellt sich aus der Tatsache, dal~ in den ,,Entwicklungsl/~ndern" Afrikas, Asiens und Sfidamerikas heute etwa eine Milliarde Menschen leben, also ein gutes Drittel der gesamten Erd- bev61kerung, und dab ihre Einwohnerzahlen in einem MM]e steigen, das bei weitem den Bev61kerungszuwachs der Industrienationen fibersteigt.

Die Problematik der Entwieklung liegt vor Mlem darin, dab das wirtsehaftliehe Wachstum der Entwicklmlgsl/~nder dem steigenden Bev61kerungsdruck nicht entspricht und dal3 daraus soziMe Spannungen weltweiten AnsmaBes erwaehsen. Ein Beispiel m6ge dieses verdeutlichen :

Die L/~nder raeiner ostafrikanischen Heimat - - Tanganyika, Kenya, Uganda, Sansibar - - z/~hlen heute 21 Mill. Afrikaner, dazu eine hMbe Million Asiaten, Araber, Europ/~er. Die Bev61kerungskurve spricht fiir 1980 yon 31 Mill., ffir 2000 yon 42 Mill. Afrikanern.

Der unvorstellbar niedrige Lebensstandard yon DM 120,-- je ATop/ und Jahr setzt bis 2000 eine Verdoppelung des SoziMproduktes voraus, um ihn fiberhaupt auf der gegenwgrtigen H6he zu hMten!

Die Problematik wird vertieft durch die Tatsache, dab der soziMe Abstand zwischen den Industrienationen und den Entwicklnngslgndern - - trotz der bereits geleisteten Hilfe - - nicht kleiner, sondern znngchst noch gr61~er wird.

Das soziMe Gefglle zwischen den Industrielgndern anf der Nordhglfte und den Entwicklungslgndern auf der Sfidhglfte der Erde verschgrft sich also; es ents~eht ein Nord-Sfid-Gegensatz, der auf lange Sicht gefghrlicher Ms der Ost-West-Gegensatz werden kann. Erschwerend wirkt noch die zunehmende Diskrepanz der soziMen Schiehtung in den Entwicklnngslgndern selbst.

Die Gefahren einer heraufziehenden soziMen l%evolution unvorstell- baren weltweiten AusmaBes mfissen nnbedingt durch eine organisehe soziMe Entwieklung in den Entwicklungslandern aufgefangen werden.

Wie k6nnen wir das erreiehen ? Welehe Mittel sollen wir anwenden ?

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34. Tagung der Deutsehen Gesellschaft fiir Gyn/~kologie 589

Diesc Fragen richtig zu beantworten, ist fiir uns deswegen schwer, well die Aufgabe, Entwieklungshilfe zu leisten, neu auf uns zugekommen ist. Wir Deutsche haben seit 1918 keine Kolonien mehr besessen. Zwei Weltkriege und die Ausweisung fast aller Deutschen haben die mensehliehen und sonstigen Bande zu vielen der Lander zerrissen, denen wit heute unsere Hilfe zuwenden m/issen. Der totale Zusammen- brueh naeh dem zweiten Weltkrieg und der innere Aufbau unseres Landes haben zun~ehst unsere ganze Aufmerksamkeit beansprueht und lange Zeit unsere wirtsehaftlichen und finanziellen Krgfte gebunden. Je tz t gilt es, ErJahrungen zu sammeln und aus /remden und eigenen Fehlern zu lernen.

Die Erfahrungen, die wit beim Wiederaufbau unseres eigenen Landes gewonnen haben, k6nnen uns dabei nur wenig nfitzen, denn : Wir besaBen ein Menschenpotential, reich an Wissen und K6nnen. Was wir brauchten, war nut Kapital , um Arbeitspl~tze und Beseh/iftigungsm6gliehkeiten zu schaffen. Darum konnten uns die Amerikaner mit ihrem Marshall- Plan so wirksam he]fen.

Bei den in den meisten Entwieklungsl/~ndern v611ig anders gelagerten Verh~ltnissen mug aueh die Entwieklungshilfe anders ansetzen, denn dort gibt es weder Kapital noeh ausgebildete Mensehen. Diese Erkenntnis verdanken wir nicht zuletzt den Amerikanern, die bisher die Haupt las t der Entwieklungshilfe getragen haben, die im/ ibr igen fiir ihre umfang- reiehe I-Iilfe bei weitem nicht den Dank geerntet haben, den sie ver- dient h~tten.

Aus ihren Erfahrungen k6nnen wir den SehluB ziehen, dab materielle Hilfe allein nicht ausreieht, den Lebensstandard der Entwicklungsl/inder zu heben. Wir kSnnen auch feststellen, dab die Vermittlung teehnischen Wissens und K6nnens a]lein nicht genfigt, um die 1V[ensehen in den Entwieklungsl~tndern in die Lage zu versetzen, ihre Entwieklungs- probleme zu 15sen.

Neben die technisehe und faehliehe Ausbildung mug die Bildungs- aufgabe, eine Erziehung zu eigenem, selbst/tndigem Urteil, zu Freiheit im Denken und zum verantwortliehen t landeln treten.

Die Menschen in den EntwiekIungsl~ndern m~ssen in die Lage versetzt werden, die Spannungen, die mit der Entwicklung ihrer Sozial- s trnktur auftreten, zu fiberwinden und innerlich zu verkraften.

Wir miissen also dazu beitragen, dab das Bildnngsfundament und das SoziMgef/ige tragf/thig gemacht werden f/ir Belastungen, die sieh aus dieser Entwieklung ergeben. Wir mfissen helfen, dab in den Entwiek- lungsl~tndern tragbare und gesellsehaftspolitiseh ausgeglichene Verh~tlt- nisse erzielt werden.

Dieser mit ,,Sozial-, Ausbildungs- und Bildungshilfe" umrissenen neuen Aufgabenstellung wollen wit nns in Zukunft mit besonderer

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590 KAI UwE v o ~ I~ASSEL:

Sorgfalt widmen. Denn eine durchgreifende und l~ngerfristig wirkende Ver/~nderung ist, so haben wir erkannt, nur mSglich, wenn die Menschen die notwendigen Voraussetzungen ftir die Entwicklung erfitllen kSnnen. Folgerichtig wollen wir in Zukunft unsere MaSnahmen auch mehr auf Zusammenarbeit und Partnerschafl abstellen und weniger den ]-Iilfe- gedanken betonen.

In der praktischen Nutzanwendung bedeutet das - - um nur die Auswirkungen fiir einen Sie besonders interessierenden Bereich heraus- zugreifen - - , dal] es nieht genfigt, mit Hilfe deutschen Geldes Kranken- h~user in den Entwicklungsl~ndern zu errichten, da6 es auch nicht geniigt, diese mit den fortschrittlichsten Einrichtungen zu versehen und vor/ibergehend, vielleicht f/ir 1 oder 2 Jahre, mit einem Stab deutscher J~rzte, Schwestern und Pfleger zu besetzen. Einrichtungen wie diese dfirfen nicht ein Leben in ,,splendid isolation" fiihren, sondern miissen zum integrierenden Bestandteil des neuen Sozialgefiiges im Entwieklungs- land werden. Sie mfissen vor allem eine St/Rte der Beratung und der Ausbildung und Bildung im weitesten Sinne des Wortes sein und eine Tie]en- und Breitenwirkung entfalten, durch die ein tragf/~higes ,,ein- heimisehes" Fundament ffir den dauerhaften Weiterbestand gesehaffen wird. Die Errichtung einer Krankenstation niitzt nichts, wenn - - wie es heute noeh weitgehend gesehieht - - die jungen Frauen unter dem Einfluf3 ihrer Familien ihrer Entbindung im Busch, betreut vom alten Medizinmann, entgegensehen miissen. Das eine - - die Erriehtung der Krankenstation - - ist nur erfolgreich, wenn das andere - - die Erziehung, die tteranfiihrung der Afrikaner an diese neue Welt - - gelingt, wenn man aueh eine Hilfestellung zur PersSnliehkeitsbildung einbezieht.

Viel kSnnen wir auf diesem Gebiet - - so meine ich - - yon den Einriehtungen der ehristhchen Missionen und Kirchen in Ubersee lernen, von denen praktiseh seit Jahren mit Erfolg und unter Einsatz relativ ger[nger Mittel das praktiziert wird, was sich die Bundesrepublik jetzt als erstes Ziel ihrer Entwieklungspolitik gesetzt hat.

Ffir den engeren Bereieh der berufliehen und faehliehen Ausbildung darf ich noch eine sehr wiehtige Erfahrung anfiihren, die wir aus den ersten Jahren unserer Mitarbeit auf dem Gebiet der Entwieklungshilfe gewonnen haben: Bislang wurden Stipendien zur Verffigung gestellt, mit denen jungen Menschen aus diesen L/s eine Ausbildung an Hoehsehulen in Deutschland oder anderen L~ndern ermSglieht werden sollten. Die I-IerauslSsung aus ihrer tteimat, den Bindungen ihrer Heimat in jungem Alter ffihrte aber sehr h~ufig zu grol~en Schwierig- keiten. Sie fanden sich hier nicht zureeht, fiihlten sieh verlassen, gerieten in Schwierigkeiten aller Art oder wollten sparer nieht so recht zur/ick, strebten vor allem nieht in den Beruf, ffir den sie hier ausgebildet wurden, sondern zielten auf einen Posten in der Politik, tunlichst

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- - vielleieht etwas /ibertrieben formuliert - - als Minister. Zumindest droht sehr stark die Gefahr, dab so ein akademisehes Proletariat ent- steht. Die sinnvollste Ausbildung erscheint uns daher die, die in der heimischen Umgebung vermittel t wird. Dcshalb wird wohl der Schwer- punkt der Ausbildungsmafinahmen, der zungchst sehr weitgehend in der Bundesrepnblik lag, in Zukunft mehr und mehr in die Entwicklungsliinder selbst verlegt werden, wobei die Mal~nahmen in der Bundesrepublik zunehmend auf eine Weiterbildung bereits qualifizierter Fachkrgfte besehr~nkt werden sollten.

Das Land Sehleswig-I-Iolstcin geht daher so weit, Stipendien aueh zum Besuch yon Universitgten und ttoehsehulen draul3en in den Entwicklungsl/~ndern zur Verffigung zu stellen. Gedaeht ist ferner an die Erriehtung yon Forsehungsstgtten draul3en - - z. B. einer Wirbeltier- forsehungsstgtte in Tanganyika - - , ffir die die Universitgt Kiel eine langfristige Verantwortung tibernehmen wiirde.

J~hnliehe ,,partnerschaflliche LSsungen" sind aueh ffir die Erriehtung mediziniseher Ausbildungsst~tten in Entwieklungsl~ndern angeregt worden - - ieh erinnere an die Vorsehl/~ge Ihres Kollegen, Herrn Dr. F6LLMEI~ - - , die ich ffir sehr gut ha re , weil sie sowohl den wesentlichen Beratungs- und Ausbildungsfunktionen gerecht werden als aueh die sehr wesentlichen personellen und nieht minder wiehtigen finanziellen Bindungen langfristig sicherstellen.

Als letztes m5ehte ich noeh eine allgemein bedeutsame Erkenntnis erwahnen; die Erkenntnis n/~mlich, dal~ der Staat immer nur in be- grenztem Mage in der Lage sein wird, die weltweiten Aufgaben der Entwieklungshilfe zu bew/iltigen. Dazu bedarf es stets aueh - - und zwar in sehr groBem Umfange - - privater Leistungen und Initiative. Das ist wichtig tfir die Auswahl der Mittel, die wir jeweils einsetzen. Die Bundesregierung wird daher in Zukunft den Grundsatz befolgen: 0ffentliehe Mittel vor allem ffir teehnisehe ttilfe sowie soziale und wirtschaftliehe Infrast ruktur ; private Mittel ffir den Aufbau yon Produktionssts

Das reeht bedeutsame Handicap, das darin besteht, dab bier dureh- weg nicht mit schnell sichtbaren Erfolgen zu reehnen ist, miissen wir nach M5glichkeit iiberwinden, ebenso wie das im allgemeinen mit Investi t ionen in Entwicklungslgndern verbundene relativ grol~e Risiko.

Ich kann bier nieht auf Einzelheiten eingehen, m6ehte aber doeh erw~hnen, dab Geduld und Verst~ndnis mit zu den wiehtigsten Kapitalien gehSren, die es bei der Entwieklungshilfe einzusetzen gibt. Das gilt auch f/it diejenigen, denen es angesiehts der Summen, die bier aus- gegeben werden, nieht sehnell genug mit der Entwicklungshilfe vor- angeht, oder fiir die Zweifler und Krit iker vom anderen Extrem, denen es mit der Entwieklungshilfe ,,zu weir" geht. Die letzteren m5ehten

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592 KAI UwE vo~ I-I~tssEI~:

die Gelder lieber erst verwenden, um in der Bundesrepublik alles in Ordnung zu bringen. Sie vergessen, dab die Anfgaben der Entwieklungs- hilfe keinen Aufsehub dulden, dag sonst eine unanfhaltsame fort- sehreitende Entwieklung eines Tages einfaeh fiber uns hinweggehen wird. I m fibrigen maehen sieh diese aueh gar keine Vorstellung darfiber, wie es eigentlieh draugen aussieht und wie es - - im Vergleieh dazu - - eigentlieh uns geht. Wenn sie ein bil3ehen die Nasen heraussteeken wfirden, wfirden sie sehr sehnell beseh/~mt sehweigen.

Ungeaehtet der Schwierigkeiten, die einer Popularisierung unserer Entwieklungshilfe yon der Saehe her entgegenstehen, und trotz gewisser Meinungssehwankungen in der 0ffentliehkeit, nieht zuletzt infolge vul- g/~rer Sehlagworte in der Boulevardpresse - - ieh erinnere nur an das berfihmte , ,Goldbett" - - , wird die Entwieklungshilfe in der Bundes- regierung yon alien maggebliehen Stellen eindeutig als eine die Welt umspannende Aufgabe und Verpflichtung anerkannt, und es sind aueh erfreuliehe Anzeiehen ffir eine waehsende Beffirwortung der Entwiek- lungshilfe in der deutschen 0ffentliehkeit festzustellen. Diese Beffir- wortung umfal~t sowohl die bilaterale I-Iilfe, die yon Land zu Land gegeben wird und ffir die nieht zuletzt ein gr613erer , ,Publicity-Effekt" sprieht, als aueh die multilaterMe ttilfe, die die Bundesrepublik in der ' Form yon Beitr~gen an internationale Institutionen und Fonds gibt und der besondere Bedeutung ffir die L6sung yon Aufgaben zukommt, die die tIilfskraft einzelner Geberl/~nder fibersteigen wfirden.

Naeh dem Gesamtum/ang der geleisteten Hil/e steht die Bundes- republik heute an vierter Stelle hinter den Vereinigten Staaten, Grog- britannien und Frankreieh. Von den bilateralen Leistungen Deutseh- lands entfielen auf Afrika 1 Mrd., Lateinamerika 3,9 Mrd., Asien 3,3 Mrd., auf europ/~isehe L/tnder des Mittelmeerraumes 2,6 Mrd. und auf sonstige Entwieklungsl~nder 1,4 Mrd. DM.

Lassen Sie mieh bei dieser Gelegenheit authentiseh sagen, dag wir keine Mark ffir Pal/~ste, Autos, goldene Betten oder ghnliehes ausgeben. Soweit wit teehnisehe Hilfe geben : Sehulen, Krankenh/~user, Forsehungs- st~tten, Stipendien usw., sind es Gesehenke, alles andere - - und das ist ein Vielfaehes der teehnisehen Hilfe - - sind Anleihen, fiber die in jedem einzelnen Fall, ffir jedes einzelne Projekt verhandelt, dutch Experten geprtift wird, Laufzeiten, Zinsen, Tilgungen festgelegt werden. Die Zahlen ffir die Entwieklungshilfe der gesamten Welt belaufen sieh auf ein Vielfaehes dieser Summen. Etwa 95% stammen davon aus dem Westen, 5% arts dem Obstbloek. Ffir die n/tehsten 10 Jahre wfirden naeh amerikanisehen Sehgtzungen rd. 70 Mrd. Dollar = 280 Mrd. DM ben6tigt, um eine Steigerung des Sozialproduktes je Kopf der Be- v61kerung um nut 2% j~hrlieh zu erm6gliehen. Man mag fiber die

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34.Tagung der Deutschen Gesellschaft fiir Gyn~kologie 593

Bedeutung und l~iehtigkeit derartiger Seh~itzungen streiten. Sie geben dennoeh eine Vorstellung yon den Gr613enordnungen, um die es hier geht.

Ein sorgf/~Itiger Rechner - - i ch erinnere mich nicht mehr, wer es war - - hat einmal darauf hingewiesen, diese Summen z. B. in eine weltweite Aktion der Geburtenbeschr/~nkung investiert, kSnnten das Problem der Entwieklungshilfe yon einem anderen Winkel her sehr wirksam 16sen. Ohne mieh mit dieser Anregung identifizieren zu wollen, erw/~hne ieh sie nur, weil sie in gewissem Sinne in Ihren ,,Zust~ndigkeitsbereich" fgllt. Als Gyn/ikologen wissen Sie ja aber auch, welehe praktischen und sonstigen - - in diesem Falle ethischen - - Schwierigkeiten solchen PatentlSsungen entgegenstehen.

Noeh hat wohl keiner das Patentrezept ftir die LSsung des welt- weiten Problems der Entwicklungshilfe gefunden. Was wir tun kSnnen is~ nur, dab wir - - ]eder in seinem Bereich - - weiter naeh geeigneten Wegen und Mitteln suchen.

Archiv f. Gyn~kologie, Bd. 198 (Kongrel3bericht) 3 8