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Page 1: Rechtsgeschichte - data.rg.mpg.dedata.rg.mpg.de/rechtsgeschichte/rg18_240lerch.pdf · rischer Entwicklungen um manchen Aspekt be-reichert. Und er ermöglicht ein differenziertes Urteil

Zeitschri des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Rechts Rggeschichte

Rechtsgeschichte

www.rg.mpg.de

http://www.rg-rechtsgeschichte.de/rg18

Zitiervorschlag: Rechtsgeschichte Rg 18 (2011)

http://dx.doi.org/10.12946/rg18/240-242

Rg182011 240 – 242

Kent D. Lerch

Auruch ins 19. Jahrhundert

Dieser Beitrag steht unter einer

Creative Commons cc-by-nc-nd 3.0

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tive Strafverfolgung« setzen und damit die im19. Jahrhundert erzielten Errungenschaften ge-fährden, deutlich.

So besehen hat der hier besprochene Bandauch in seinem rechtsvergleichenden Anteil dieWirkungen vergangener und zukünftiger histo-rischer Entwicklungen um manchen Aspekt be-

reichert. Und er ermöglicht ein differenziertesUrteil darüber, ob und wieweit es sich beimheutigen deutschen Strafprozessrecht um ein»Recht Frankreichs« handelt.

Thomas Vormbaum

Aufbruch ins 19. Jahrhundert*

»A landmark series« – ein Meilenstein also,nicht weniger, soll die neue dreizehnbändigeOxford History of the Laws of England sein,will man den Worten der Oxford UniversityPress Glauben schenken. Was wie vollmundigeVerlagswerbung klingt, mag indes mehr Wahr-heit in sich bergen als erwartet. Schon der ersteerschienene, von Sir John Baker verfasste Bandzur frühen Tudorzeit war eine meisterhafte Syn-these der rechtshistorischen Forschung der letz-ten vierzig Jahre, die umfassende Darstellung,die man sich von dem Doyen der englischenRechtsgeschichte seit langem erhofft hatte.1 An-gesichts dessen schien es allerdings eher unwahr-scheinlich, dass die nachfolgenden Bände diesenhohen Standard würden halten können, vorallem diejenigen, die das 19. Jahrhundert zumGegenstand hatten: Während sich die Anstren-gungen der Disziplin in den letzten Jahrzehntendarauf konzentriert hatten, nach der traditionellgut erforschten mittelalterlichen Rechtsgeschich-te auch die frühe Neuzeit in den Blick zu nehmen,stellte die Geschichte des englischen Rechts inder Moderne im Großen und Ganzen eine terraincognita dar. Nicht nur, dass die Lehrbücher dieEntwicklungen nach der Glorious Revolutionweitgehend aussparten, auch waren sie weitge-

hend auf eine Dogmen- und Institutionenge-schichte des englischen Rechts fixiert und blen-deten soziale und ökonomische Aspekte gänzlichaus.

Lange Zeit stellten die posthum veröffent-lichten, den Zeitraum von 1832 bis 1875 ab-deckenden drei letzten Bände von Sir WilliamHoldsworths monumentaler History of EnglishLaw die einzigen nennenswerten Arbeiten zurneuesten englischen Rechtsgeschichte dar,2 bis esdann Anfang der achtziger Jahre zu einem Auf-bruch ins 19. Jahrhundert zu kommen schien:Innerhalb weniger Jahre erschienen Manches-ters Modern Legal History of England andWales 1750–1950, der wegweisende Aufsatz-band Law, Economy and Society 1750–1914und schließlich Cornish und Clarks Law andSociety in England 1750–1950.3 Allenthalbenwitterte man Morgenluft, so dass John Bakerhoffnungsvoll sagen konnte: »The nineteenthcentury is at last being opened up by legalhistorians.«4 Die Hoffnung erwies sich indesals trügerisch. Auf die erste Begeisterung sollteschon bald Ernüchterung folgen, als sich ab-zeichnete, dass es mit Überblicksbänden alleinnicht getan war. Vor allem der Mangel an origi-närer Forschung wog schwer und es zeigte sich,

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* William Cornish, StuartAnderson, Raymond Cocks,Michael Lobban, PatrickPolden, Keith Smith (Hg.),The Oxford History of the Lawsof England, Vol. XI–XIII: 1820–1914, Oxford: Oxford UniversityPress 2010, 3840 S.,ISBN 978-0-19-925883-3

1 Sir John Baker, The OxfordHistory of the Laws of England,Vol. VI: 1483–1558, Oxford2003.

2 Sir William Holdsworth,A History of English Law,Vol. XIV–XVI, London 1964–1966.

3 A. H. Manchester, A ModernLegal History of England andWales 1750–1950, London 1980,(Hg.), Law, Economy and Society,

1750–1914: Essays in the Historyof English Law, hg. von G. R. Ru-bin, David Sugerman, Abingdon1984, William R. Cornish,G. de N. Clark, Law and Societyin England 1750–1950, London1989.

4 John H. Baker, Two Decades ofEnglish Legal History, in: ZNR 8(1986), 43 ff., 45.

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dass die Erschließung des gelobten neuen Landesschwieriger war als angenommen: »Research inthe raw sources, however, is daunting and hasuntil very recently been largely avoided.«5

Seither sind zwar viele rechtshistorische Ar-beiten zum 19. Jahrhundert entstanden, dochhandelt es sich überwiegend um kleinere Auf-sätze und selten nur um Monographien. DasFeld ist unübersichtlich, zersplittert, und für ei-nen Außenstehenden kaum zu durchschauen.Schon aus diesem Grunde sind die drei neuestenBände der Oxford History of the Laws of Eng-land ein großer Gewinn: Hier findet man alleszusammengetragen, was in den letzten Jahrzehn-ten an rechtshistorischen Studien erschienen ist.Damit aber nicht genug, haben die sechs Autoreneine ebenso umfassende wie in die Tiefe gehendeDarstellung des englischen Rechts von 1820 bis1914 vorgelegt. Der erste der drei Bände, Vol. XI,befasst sich mit dem englischen Rechtssystem:Auf eine ausführliche, von William Cornish,Michael Lobban und Keith Smith verfasste Ein-leitung »English Law in an Industrializing Socie-ty«, welche sich mit den Rechtsquellen und demRechtsdenken der Periode auseinandersetzt,folgt der von Stuart Anderson bearbeitete Ab-schnitt »Public Law«, der die Gesetzgebung, dieZentral- und Lokalverwaltung sowie das Ver-hältnis von Staat und Kirche untersucht, bevorPatrick Polden in den beiden Abschnitten »TheCourts of Law« und »The Legal Professions«das englische Gerichtssystem vor und nach denJudicature Acts von 1873, die in Solicitors undBarristers ausdifferenzierte Anwaltschaft und diesich nur aus letzteren rekrutierende Richter-schaft abhandelt. Vol. XII, der zweite Band, hatdas Privatrecht zum Gegenstand: Stuart Ander-son beschreibt im Abschnitt »Property«, wiedas Sachenrecht inmitten einer sich änderndenGesellschaft weitgehend unverändert blieb, wäh-

rend Michael Lobban in den Abschnitten »Con-tract«, »Commercial Law« und »Tort« auf-zeigen kann, welche Wandlungen das vorhernur in Grundzügen ausgearbeitete Vertrags-und Handelsrecht wie auch das in unzähligeAktionen aufgesplitterte Deliktsrecht im Verlaufdes 19. Jahrhunderts erfuhren. Die Rechtsgebie-te, welche die größte Dynamik entfalten sollten,werden schließlich im dritten Band, Vol. XIII,unter dem Motto »Fields of Development« be-handelt. Keith Smith untersucht in »CriminalLaw« die vielfältigen Reformen des Straf- undStrafprozessrechts, Raymond Cocks widmet sichin »Statutes, Social Reform, and Control« denArmengesetzen, dem Bildungs- und Gesund-heitswesen und dem Bau- und Planungsrecht,während William Cornish sich in den Abschnit-ten »Labour Law«, »Law of Persons« und »Per-sonality Rights and Intellectual Property« mitdem Arbeitsrecht, dem Familienrecht sowie demPatent- und Wettbewerbsrecht beschäftigt – al-lesamt Rechtsgebiete, die tiefgreifenden Verän-derungen ausgesetzt waren.

Der knappe Überblick verrät bereits, welchherkuleische Aufgabe die Autoren auf sich ge-nommen und bewältigt haben. Angesichts des-sen kann man ihnen nur schwer vorwerfen, sichauf England beschränkt und nicht auch nochversucht zu haben, den Einfluss des CommonLaw auf die vielen Dominions und Kolonien desenglischen Empire darzustellen, was ihre An-strengungen ansonsten in eine Sisyphusarbeithätte ausarten lassen. Angemerkt sei nach alldem Lob aber doch, dass die Darstellung inerster Linie eine Dogmen- und Institutionen-geschichte des englischen Rechts ist, was dieAutoren in ihrem »Manifest« betitelten Vorwortauch konzedieren: »These volumes do not seekto provide a social history of the law, or examineclosely the impact of law on society. Rather, they

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Lerch, Aufbruch ins 19. Jahrhundert

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5 Baker (Fn. 4) 46.

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seek to offer primarily a history of the law itself,focusing on its institutions and doctrines, andconsidering how these changed in response tochanges in the wider world« (lix). Das ist be-dauerlich, bei dem derzeitigen Stand der rechts-historischen Forschung zum 19. Jahrhundertaber wohl letztlich unvermeidlich. Die Arbeit

künftiger Generationen von Rechtshistorikernsollte damit zumindest gesichert sein. Die dreiBände halten mithin, was die Werbung ver-spricht: Sie sind in der Tat ein Meilenstein.

Kent D. Lerch

Was ist das Publikum?*

Was ist ein Autor? – diese Frage hat MichelFoucault 1969 gestellt. Während der Autor alsReferenzfigur in der Literaturtheorie in den letz-ten Dekaden des 20. Jahrhunderts an Einflussverloren hat, übt er im Autorrecht oder Copy-right heutzutage eine sehr einflussreiche Funk-tion aus. In der Geschichte des Copyrights giltdas 18. Jahrhundert als die Periode der glorrei-chen Schöpfung und das Statue of Anne von1710 als mystifizierter Ursprung. Während die-ser Zeitraum in der Historiographie des Copy-rights große Aufmerksamkeit erfahren hat, ist dieEntwicklung im 19. Jahrhundert stark unterbe-lichtet geblieben. Zu Unrecht, wie Brad Shermanund Lionel Bently in ihrer Studie zur Geschichtedes Geistigen Eigentums für Großbritannien undCatherine Seville für den angelsächsischen Raumgezeigt haben, denn dieser Zeitraum und nichtdas 18. Jahrhundert ist die Inkubationsphaseeines modernen Copyrights.1 Diese Position wirdvon Isabella Alexander weiterentwickelt, wobeisie die Perspektive verschiebt und nicht wie bis-her üblich den Autor, sondern das Publikum,genauer gesagt: das public interest, ins Zentrumihrer Analyse von Rechtsprechungs- und Gesetz-gebungsprozessen rückt.

Public interest ist ein Konzept, auf das imRecht und in der Ökonomie ganz selbstverständ-lich zurückgegriffen wird, auch in den jüngstenDebatten um die Zukunft des Copyrights. DieseSelbstverständlichkeit stellt Alexander in Frageund untersucht die Gebrauchsweisen von publicinterest durch diverse Interessengruppen wieRechtsanwälte, Gesetzgeber, Richter, Bibliothe-kare, Autoren, Wissenschaftler, Fabrikanten undParlamentarier und die mannigfaltigen Funktio-nen, welche diesem Konzept bei der Entwicklungdes Copyrights vom ausgehenden 18. Jahrhun-dert bis zum Imperial Copyright Act von 1911zukamen.

Public interest gibt es nicht, zumindest nichtals einheitliches, überzeitliches Konzept, so dasVerdikt Isabella Alexanders. In diesem Sinnkönnte man public interest als Kampfbegriffbezeichnen, der von divergierenden Interessenmobilisiert wird. Beispielsweise von den Biblio-theken, die im 19. Jahrhundert auf eine Durch-setzung des legal deposit drängten und dabei mitder Förderung der allgemeinen Bildung argu-mentierten. Dabei hatten sie ein lesendes, gebil-detes, akademisches Publikum vor Augen, dasauch die Autoren umfasste. Demgegenüber wur-

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Dommann, Was ist das Publikum?

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* Isabella Alexander, CopyrightLaw and the Public Interest in theNineteenth Century. Oxford:Hart 2010. XXIV, 320 p, ISBN978-1-84113-786-5

1 Brad Sherman, Lionel Bently,The Making of Modern Intellec-tual Property Law: The BritishExperience, 1760–1911, Cam-bridge etc. 1999; CatherineSeville, The Internationalisationof Copyright Law. Books, Bucca-neers and the Black Flag in theNineteenth Century, Cambridgeetc. 2009.