qualität und wirksamkeit von ginkgobiloba-extrakt: einsatz von phytopharmaka in der demenz-therapie

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370 | Pharmazie in unserer Zeit | 31. Jahrgang 2002 | Nr. 4 Aus dem Bereich der Phytopharmaka stehen ausschließlich standardisierte Ginkgo-Extrakte (Bezeichnung EGb ® 761, LI 1370) zur symptomatischen Behandlung der Demenz (Alzheimer-Krankheit, vaskulären Demenz sowie Misch- formen aus beiden) zur Verfügung. Eine Monographie “Eingestellter Ginkgotrockenextrakt, Ginkgo extractum siccum normatum”ist im DAB 2000 ent- halten. Wissenschaftlich am besten dokumentiert ist der Extrakt EGb 761 ® , für den umfangreiche Untersuchungen zur Pharmakologie, Toxikologie und klinischen Wirksam- keit vorliegen. EGb 761 ® wird in einem hochtechnisierten, vielstufigen Extraktionsverfahren aus frisch geernteten, un- ter kontrollierten Bedingungen getrockneten Blättern von Ginkgo biloba L. gewonnen. Der größte Teil der Ginkgo- Blätter für die EGb 761 ® -Produktion wird aus eigenen Plan- tagen bezogen, so dass eine Überwachung der Anbaube- dingungen, des Erntezeitpunktes und der Lagerung ge- währleistet ist. Daher weist bereits das Ausgangsmaterial die entsprechende Qualität auf. Darüber hinaus werden die Wareneingänge auf Identität, Reinheit und Gehalt der Haupt- inhaltsstoffe chromatographisch (DC, HPLC) untersucht. Durch das Herstellverfahren von EGb 761 ® werden phar- makologisch relevante Inhaltsstoffe, wie die Ginkgoflavon- glykoside und Terpenlactone, angereichert. Unerwünschte Stoffgruppen bzw. Stoffe, die keinen Beitrag zur Wirksam- Einsatz von Phytopharmaka in der Demenz-Therapie Qualität und Wirksamkeit von Ginkgo- biloba-Extrakt WILTRUD J URETZEK | WALTER E. MÜLLER Ginkgo biloba entwickelt sich nach vielen Jahren zu einem stattlichen Baum (oben), erst bei näherer Betrachtung erkennt man die charakteristischen fächerförmigen Blätter (rechts). (Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Dr. Willmar Schwabe Arzneimittel) Qualität Aus dem Bereich der Phytopharmaka erfüllen ausschließlich standardisierte Extrakte aus den getrockneten Blättern von Ginkgo biloba die Kriterien zum Wirksamkeitsnachweis von Antidementiva. Derartige Extrakte (Bezeichnung EGb 761 ® , LI 1370) sind definiert als Trockenextrakt aus ge- trockneten Ginkgo-biloba-Blättern (Droge-Extrakt-Verhält- nis 35-67:1), extrahiert mit Aceton/Wasser, charakterisiert durch 22 bis 27 % Flavonglykoside, 5 bis 7 % Terpenlacto- ne (davon 2,8 bis 3,4 % Ginkgolide A, B und C und 2,6 bis 3,2 % Bilobalid) und höchstens 5 ppm Ginkgolsäuren [6].

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Page 1: Qualität und Wirksamkeit von Ginkgobiloba-Extrakt: Einsatz von Phytopharmaka in der Demenz-Therapie

370 | Pharmazie in unserer Zeit | 31. Jahrgang 2002 | Nr. 4

Aus dem Bereich der Phytopharmaka stehen ausschließlichstandardisierte Ginkgo-Extrakte (Bezeichnung EGb® 761, LI 1370) zur symptomatischen Behandlung der Demenz (Alzheimer-Krankheit, vaskulären Demenz sowie Misch-formen aus beiden) zur Verfügung.

Eine Monographie “Eingestellter Ginkgotrockenextrakt,Ginkgo extractum siccum normatum” ist im DAB 2000 ent-halten. Wissenschaftlich am besten dokumentiert ist derExtrakt EGb 761®, für den umfangreiche Untersuchungenzur Pharmakologie, Toxikologie und klinischen Wirksam-keit vorliegen. EGb 761® wird in einem hochtechnisierten,vielstufigen Extraktionsverfahren aus frisch geernteten, un-ter kontrollierten Bedingungen getrockneten Blättern vonGinkgo biloba L. gewonnen. Der größte Teil der Ginkgo-Blätter für die EGb 761®-Produktion wird aus eigenen Plan-tagen bezogen, so dass eine Überwachung der Anbaube-dingungen, des Erntezeitpunktes und der Lagerung ge-währleistet ist. Daher weist bereits das Ausgangsmaterialdie entsprechende Qualität auf. Darüber hinaus werden dieWareneingänge auf Identität, Reinheit und Gehalt der Haupt-inhaltsstoffe chromatographisch (DC, HPLC) untersucht.Durch das Herstellverfahren von EGb 761® werden phar-makologisch relevante Inhaltsstoffe, wie die Ginkgoflavon-glykoside und Terpenlactone, angereichert. UnerwünschteStoffgruppen bzw. Stoffe, die keinen Beitrag zur Wirksam-

Einsatz von Phytopharmaka in derDemenz-Therapie

Qualität undWirksamkeit von Ginkgo-biloba-ExtraktWILTRUD JURETZEK | WALTER E. MÜLLER

Ginkgo biloba entwickelt sich nach vielen Jahren zu einemstattlichen Baum (oben), erst bei näherer Betrachtung erkennt man die charakteristischen fächerförmigen Blätter(rechts). (Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Dr. Willmar Schwabe Arzneimittel)

QualitätAus dem Bereich der Phytopharmaka erfüllen ausschließlichstandardisierte Extrakte aus den getrockneten Blättern vonGinkgo biloba die Kriterien zum Wirksamkeitsnachweisvon Antidementiva. Derartige Extrakte (Bezeichnung EGb761®, LI 1370) sind definiert als Trockenextrakt aus ge-trockneten Ginkgo-biloba-Blättern (Droge-Extrakt-Verhält-nis 35-67:1), extrahiert mit Aceton/Wasser, charakterisiertdurch 22 bis 27 % Flavonglykoside, 5 bis 7 % Terpenlacto-ne (davon 2,8 bis 3,4 % Ginkgolide A, B und C und 2,6 bis3,2 % Bilobalid) und höchstens 5 ppm Ginkgolsäuren [6].

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keit leisten und die Verträglichkeit mindern, werden abge-trennt bzw. ihr Anteil im Extrakt verringert oder entfernt;dazu gehören z.B. langkettige Kohlenwasserstoffe und Po-lysaccharide und vor allem die toxikologisch bedenklichenGinkgolsäuren, für die DNA-schädigende und tumorpro-movierende, allergene sowie zytotoxisch-neurotoxische Ei-genschaften nachgewiesen wurden. Laufende Inprozess-kontrollen während der einzelnen Stufen des Herstel-lungsverfahrens sowie Endkontrollen gewährleisten einegleichbleibende Qualität des Extraktes. Da Zusammenset-zung und Qualität von Extrakten wesentlich vom Herstell-verfahren bestimmt werden, können unterschiedlich her-gestellte Ginkgo-Extrakte nicht als identisch bezeichnet werden und Unterschiede in Wirkungen, Wirksamkeit und Verträglichkeit aufweisen.

WirksamkeitGinkgo-Spezialextrakte wirken multifaktoriell, d.h. sie übenvielfältige pharmakologische Effekte aus, die auf verschie-denen Ebenen der bei dementiellen Erkrankungen komplexablaufenden pathologischen Prozesse ansetzen können.Tierexperimentell wurden Radikalfängereigenschaften, PAF(platelet activating factor)-Antagonismus, Neuroprotektion(Membranprotektion, Steigerung der Hypoxietoleranz, an-tiischämische Eigenschaften, Hemmung des Hirnödems,Schutz vor Läsion zerebraler Strukturen, Hemmung vonApoptose), Beeinflussung des zentralen cholinergen Sys-tems, Verringerung altersbedingter Defizite der Neuro-transmission, Verbesserung von Gedächtnisleistung undLernvermögen sowie hämodynamische, vaskuläre und hä-morheologische Eigenschaften nachgewiesen [1]. An einemfür die sporadisch auftretende Alzheimersche Erkrankungals geeignet geltenden Tiermodell wurde gezeigt, dass EGb 761® den bei der Ratte durch die intrazerebroven-

trikuläre Injektion von Streptozotocin parallel hervorgeru-fenen Störungen sowohl der Kognition und des Verhaltensals auch des zerebralen Energiestoffwechsels entgegenzu-wirken vermochte [2].

Die Wirksamkeit von Ginkgo-Spezialextrakten bei de-mentiellen Syndromen ist belegt und umfangreich doku-mentiert [3 – 12]. Behandlungserfolge werden sowohl beiprimär degenerativer Demenz (Alzheimer-Krankheit) alsauch bei vaskulärer Demenz erzielt. In älteren Studien lauteten die Einschlussdiagnosen z.B. “Hirnleistungs-störungen”, “hirnorganisches Psychosyndrom” oder “zere-brovaskuläre Insuffizienz”. In neueren Studien erfolgte die

AU S ZU G AU S D E R DA B - M O N O G R A PH I E

|Eingestellter Ginkgotrockenextrakt – Ginkgo extractum siccum normatum

Definition:Eingestellter Ginkgotrockenextrakt wird hergestellt aus den getrockneten Blättern vonGinkgo biloba L. Er enthält mindestens 22,0 und höchstens 27,0 Prozent Flavonoide, berechnet als Flavonoidglykoside mit einer mittleren Molmasse von Mr 756,7, sowiemindestens 5,0 und höchstens 7,0 Prozent Terpenlactone, davon 2,8 bis 3,4 Prozent alsGinkgolide A, B und C und 2,6 bis 3,2 Prozent als Bilobalid.

Herstellung:Der Extrakt wird aus getrockneten und zerkleinerten Blättern von Ginkgo biloba L. unterVerwendung von Aceton 60 % (m/m) und eines mehrstufigen Extraktionsverfahrensnach einem für Trockenextrakte in der Monographie Extrakte (Extracta) beschriebenenVerfahren hergestellt. Das Verhältnis von Droge zu Extrakt beträgt 35 bis 67 zu 1.

Eigenschaften:Aussehen: Hellgelbbraune bis gelborange, pulverförmige oder pulverisierbare MasseGeschmack: Bitter

A B B . 2 Weib-liche Blüten-stände von Ginkgo biloba

G I N K G O - B I L O B A - E X T R A K T E | PH A R M A Z EU T I S C H E B I O LO G I E

A B B . 1 Männliche Blütenstände von Ginkgo biloba

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ren Studien berücksichtigt. Laut Monographie der Kom-mission E [6] ist der Extrakt indiziert “zur symptomatischenBehandlung von hirnorganisch bedingten Leistungsstörun-gen im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzeptesbei dementiellen Syndromen mit der Leitsymptomatik Ge-dächtnisstörungen, Konzentrationsstörungen, depressiveVerstimmung, Schwindel, Ohrensausen und Kopfschmer-zen. Zur primären Zielgruppe gehören Patienten mit de-mentiellem Syndrom bei primär degenerativer Demenz, vas-kulärer Demenz und Mischformen aus beiden.”

Stellvertretend für die zu Ginkgo-Spezialextrakten vor-liegenden Studien seien zwei großangelegte placebo-kontrollierte Doppelblindstudien an über 500 Patienten aus-führlicher beschrieben [7, 8], die hinsichtlich Studien-design, Durchführung und statistischer Auswertung denaktuellen Anforderungen zum Wirksamkeitsnachweis vonAntidementiva entsprechen.

In einer 24-wöchigen placebokontrollierten Doppel-blindstudie mit vorgeschalteter 4-wöchiger Placebo-Run-in-Phase wurde die Wirksamkeit von EGb 761® (240 mg/Tag p.o.) bei 216 Patienten mit leicht- bis mittelgradiger De-menz vom Alzheimer-Typ oder mit Multiinfarkt-Demenz geprüft. Die Diagnosestellung erfolgte entsprechend denKriterien des DSM-III-R. Hauptzielkriterium war der AnteilResponder nach 24-wöchiger Therapie. Für den Wirksam-keitsnachweis auf den drei empfohlenen Beurteilungs-Ebe-nen wurden die validierten Untersuchungsverfahren Clini-cal Global Impressions (CGI, Item 2) zur Einschätzung desklinischen Gesamteindrucks, der Syndrom-Kurz-Test (SKT)zur Beurteilung der kognitiven Funktionen Aufmerksamkeitund Erinnerungsvermögen sowie die Nürnberger Alters-Beobachtungsskala (NAB) zur Erfassung der Alltagsbewälti-gung eingesetzt. Als klinisch relevante Veränderungen wur-den definiert: Beim Item 2 CGI die Zustandsänderung in“viel besser” oder “sehr viel besser”, im SKT die Abnahmeum mindestens 4 Punkte und in der NAB die Abnahme ummindestens 2 Punkte. Eine Therapie-Response wurde bei 28 % der mit EGb 761® und bei 10 % der mit Placebo be-handelten Patienten verzeichnet. Der Gruppenunterschiedwar mit p < 0,005 statistisch signifikant. Bezüglich des Items2 CGI wurde bei 32 % der EGb 761®-Patienten und bei 17 % der Placebo-Patienten eine Besserung des klinischenGesamteindrucks beobachtet. Im SKT kam es bei 38 % dermit EGb 761® und bei 18 % der mit Placebo behandelten Patienten zu einer Leistungssteigerung. 33 % der EGb 761®-Patienten, und 23 % der Placebo-Patienten zeigten eine bessere Alltagsbewältigung in der NAB. Die Verum-Placebo-Unterschiede waren bei SKT und Item 2 CGI mit jeweils p < 0,05 statistisch signifikant [7]. Eine Reanalyse bestätig-te auch für die Patientengruppe mit stärkerer Krankheits-ausprägung die Überlegenheit von EGb 761® im Vergleichzu Placebo [9].

In einer Langzeitstudie über 52 Wochen mit placebo-kontrolliertem doppelblindem Design wurde die Wirksam-keit von EGb 761® (120 mg/Tag p.o.) bzw. Placebo an 236Patienten mit leichter bis mittelgradiger Demenz bei Alz-

G I N KG O B I LO BA

|„… Ist es ein lebendig Wesen, das sich in sich selbst getrennt, sind es zwei, die sich erle-sen, dass man sie als Eines kennt. …“ (Johann Wolfgang von Goethe) beschreibt einenBaum, den man als einzigen, noch lebenden Vertreter in die ansonsten ausgestorbeneKlasse der Ginkgoopsida eingruppiert. Durch Fossilfunde kann man die Klasse bis ins Un-terperm (vor knapp 300 Millionen Jahren) nachweisen, ihre hauptsächliche Verbreitungwar während des Mesozoikums. Somit ist Ginkgo biloba als “lebendes Fossil” zu betrachten.

Die Ginkgoopsida gehören wie z.B. auch die Nadelbäume zu den Gymnospermae, denPflanzen, die zwar Samen hervorbringen, diesen jedoch nicht mit einer Frucht schützendumhüllen. Als Kulturbaum Chinas und Japans wurde Ginkgo biloba vor dem Aussterbenbewahrt und findet sich heute weltweit wieder in Gartenanlagen und Parks. Der som-mergrüne, stark verzweigte Ginkgo-biloba-Baum ist zweihäusig (diözisch), das heißt, esgibt männliche und weibliche Exemplare. Die männlichen Blütenstände ähneln Hasel-nusskätzchen (Abb. 1), die weiblichen Blüten sitzen terminal mit zwei Samenanlagen aufeinem langen Stiel (Abb. 2). Allerdings entwickelt sich meist nur eine Anlage zum Samen.Während bei den meisten Samenpflanzen die Befruchtung direkt nach der Bestäubungstattfindet, kann dies bei Ginkgo biloba zeitlich durch Monate getrennt sein. Ein fleischi-ger und bei Reifung intensiv nach Buttersäure riechender Samenmantel schützt den Sa-men und täuscht damit die Ausbildung einer pflaumenartigen Frucht vor (Abb. 3, 4).Wegen des unangenehmen Geruchs der Scheinfrüchte werden überwiegend männlicheBäume durch Stecklinge vermehrt und in den Gartenanlagen angepflanzt. Der eigent-liche Samen ist ein holziger Steinkern mit einem zweiblättrigen Keimling und einem stärkehaltigen Nährgewebe. In China und Japan werden die Samenkerne wegen ihresStärkegehaltes in gerösteter Form gegessen.

Charakteristisch sind die fächerförmigen Bätter mit der gabeligen Nervatur, derenBlattfläche besonders bei älteren Bäumen mehr oder weniger tief eingeschnitten sind(Abb. 5). Dieser Einschnitt ist auch für die Namensgebung (biloba = zweilappig) verant-wortlich.

Rohstoff für die Herstellung der Ginkgo-Präparate sind die grünen, noch nicht gelb gefärbten Blätter, die bei den kultivierten, strauchartig wachsenden Pflanzen maschinellgeerntet werden.

I. Zündorf (Frankfurt)

A B B . 3 Meistentwickelt sichnur eine der beiden Samen-anlagen zurScheinfrucht.

Diagnosestellung entsprechend den im Diagnostischen undStatistischen Manual (DSM-III-R) bzw. in der internationalenKlassifikation der Krankheiten (ICD-10) genannten Kriteri-en sehr viel genauer; die aktuellen Empfehlungen zum Wirk-samkeitsnachweis von Antidementiva wurden in den neue-

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A B B . 4 ReifeSamen sehenAprikosen rechtähnlich, sind aber nur Scheinfrüchte.

TA B . 1 E RG E B N I S S E F Ü R D I E PR I M Ä R E N Z I E LVA R I A B L E N , I N T E N T-TO -T R E AT- AU S W E R T U N G [ 8 ]

Alle Diagnosen (N=309)EGb 761®-Gruppe -0,1 (-0,8 bis 1,0) [136] -0,06 (-0,13 bis 0,01) [138] 4,2 (4,1 bis 4,4) [155]Placebogruppe -1,5 (0,4 bis 2,5) [138] -0,08 (0,01 bis 0,14) [132] 4,2 (4,1 bis 4,3) [154]

Differenz zwischen -1,4 (-2,7 bis 0,0) -0,14 (-0,23 bis -0,04) 0,0 (-0,1 bis 0,2)den Behandlungsgruppen

p-Wert -0,04 -0,004 0,77

Alzheimer-Krankheit (N=236)EGb 761-Gruppe -0,2 (-1,2 bis 0,8) [104] -0,09 (-0,16 bis -0,02) [104] 4,2 (4,1 bis 4,4) [120]Placebogruppe -1,5 (0,3 bis 2,6) [103] -0,09 (0,02 bis 0,17) [101] 4,2 (4,1 bis 4,4) [116]

Differenz zwischen -1,7 (-3,2 bis -0,2) -0,19 (-0,28 bis -0,08) 0,0 (-0,2 bis 0,2)den Behandlungsgruppen

p-Wert -0,02 <0,001 0,21

Mittlere Veränderung gegenüber CGIC-Score, dem Ausgangswert (95 %-Kl) [n] MittelwertADAS-Cog GERRI (95 %-Kl) [n]

G I N K G O - B I L O B A - E X T R A K T E | PH A R M A Z EU T I S C H E B I O LO G I E

heimer-Krankheit und an 73 Patienten mit vasku-lärer Demenz entsprechend den Diagnosekriteriendes DSM-III-R und ICD-10 geprüft. Der Studie ging eine 14-tägige Placebo-Run-in-Phase voraus. Mit drei Zielgrößenwurden die Veränderungen auf den drei klinisch relevantenPrüfebenen erfasst: Die Skala Clinical Global Impression ofChange (CGIC) diente der Beurteilung des klinischenGesamteindrucks, die Alzheimer's Disease Assessment Sca-le-Cognitive Subscale (ADAS-Cog) der Beurteilung des kog-nitiven Leistungsvermögens und die Geriatric Evaluationby Relative's Rating Instrument (GERRI) der Beurteilungdes Sozial- und Alltagsverhaltens.

Sowohl in der Intent-to-treat- als auch in der Per-proto-col-Auswertung ergaben sich statistisch signifikante Unter-schiede zugunsten von EGb 761®. Bei der Intent-to-treat-Analyse zeigte sich die kognitive Leistung in der Verum-gruppe mit einer Zunahme von 0,1 Punkten in derADAS-Cog praktisch unverändert, in der Placebogruppe miteiner Zunahme von 1,5 Punkten merklich verschlechtert.Der Therapiegruppenunterschied war statistisch signifikant(p = 0,04). Beim Alltagsverhalten kam es in der Verum-gruppe mit einer Abnahme um -0,06 Punkte im GERRI-Score zu einer leichten Verbesserung, in der Placebogrup-pe hingegen mit einer Zunahme um 0,08 Punkte zu einerVerschlechterung; auch bei diesem Beurteilungsparameterergab sich für EGb 761® ein statistisch sicherbarer Vorteil (p = 0,004). In der Subgruppe der Patienten mit Demenzbei Alzheimer-Krankheit war der Effekt unter EGb 761® imVergleich zum Gesamtkollektiv noch stärker ausgeprägt(ADAS-Cog: p = 0,02, GERRI: p < 0,001). Bei der Beurteilungdes klinischen Gesamteindrucks (CGIC) wurde zwischenbeiden Behandlungsgruppen kein Unterschied festgestellt(Tab. 1).

In der Per-protocol-Auswertung zeigte sich in der ADAS-Cog bei den mit EGb 761® behandelten Patienten mit einerAbnahme um 0,3 Punkte eine leichte Verbesserung der kog-nitiven Fähigkeiten im Vergleich zum Studienbeginn,

während bei den mit Placebo behandelten Patienten mit ei-ner Zunahme von 2,1 Punkten eine deutliche Verschlech-terung dokumentiert wurde. Der Gruppenunterschied warstatistisch signifikant (p = 0,005). Die Alltagskompetenz derPatienten in der EGb 761®-Gruppe war bei Studienende ge-stiegen (GERRI: Abnahme um 0,09 Punkte) und hatte sichin der Placebogruppe verringert (GERRI: Zunahme um 0,1Punkte); auch bei diesem Parameter war der Gruppen-unterschied zugunsten von EGb 761® statistisch sicherbar(p = 0,002). Bezüglich der CGIC ergaben sich keineTherapiegruppenunterschiede.

50 % der mit EGb 761® behandelten Patienten erzieltenin der ADAS-Cog eine Verbesserung um mindestens 2 Punk-te, 27 % um 4 oder mehr Punkte. Dagegen kam es in derPlacebogruppe nur bei 29 % der Patienten zu einer Ver-besserung um mindestens 2 Punkte und bei 14 % um 4 odermehr Punkte. Eine Krankheitsprogression (ADAS-Cog ≥ +2)zeigten 31 % der mit EGb 761®, aber 46 % der mit Placebobehandelten Patienten (Gruppenunterschied: p = 0,005). InBezug auf die GERRI wurden 37 % der Patienten in der Ver-umgruppe und 23 % der Patienten in der Placebogruppe alsgebessert eingestuft (Gruppenunterschied: p = 0,003) [8].

In einer Analyse wurden publizierte Wirksamkeitsstu-dien mit Acetylcholinesterasehemmern (Tacrin, Donepezil,Rivastigmin, Metrifonat) oder EGb 761® bezüglich der Relevanz ihrer Ergebnisse bei der Alzheimer-Krankheit miteinander verglichen. In die Untersuchung wurden nurrandomisierte placebokontrollierte Doppelblindstudien mit Parallelgruppendesign ohne Enrichment oder Kom-binationstherapie mit 24 bis 30 Wochen randomisierter Be-handlung einbezogen. Als Kriterien für einen direkten Ver-gleich dienten die Patientenmerkmale bei Studienbeginn,die Veränderungen der kognitiven Subskala der Alzheimer'sDisease Assessment Scale (ADAS-Cog) unter Therapie, Ver-zögerung der Krankheitssymptomatik, Responderraten undAbbrecherquoten. Es fanden sich keine wesentlichen Un-terschiede in der Wirksamkeit der einzelnen Substanzen.

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Mit Acetylcholinesterasehemmern und EGb 761® wurdengleichartige Verzögerungen der Krankheitssymptomatikund ähnliche Verum-Placebo-Differenzen der Responderra-ten erzielt. [10, 11].

Die WHO erkennt Ginkgo biloba als Antidementivumin der ab Januar 2000 gültigen neuen ATC-Klassifikation an.Unter “Antidementia drugs”, Code “N06D”, ist Ginkgo bi-loba (N06DX) zusammen mit den Acetylcholinesterase-hemmern (N06DA) aufgelistet.

Sowohl in klinischen Prüfungen als auch in derlangjährigen Anwendung in Klinik und Praxis hat sich Gink-go-Spezialextrakt als gut verträglich erwiesen.

ZusammenfassungAus dem Bereich der Phytopharmaka stehen ausschließlichstandardisierte Ginkgo-Extrakte (Bezeichnung EGb 761®, LI1370) zur symptomatischen Behandlung der Demenz (Alz-heimer-Krankheit, vaskulären Demenz sowie Mischformenaus beiden) zur Verfügung. Die Extrakte werden in einemhochtechnisierten, vielstufigen Extraktionsverfahren herge-stellt, wobei pharmakologisch relevante Inhaltsstoffe (Gink-goflavonglycoside, Terpenlactone) angereichert und uner-wünschte Stoffgruppen bzw. Stoffe, die keinen Beitrag zurWirksamkeit leisten oder die Verträglichkeit mindern (z.B.Ginkgolsäuren), abgereichert werden. Ginkgo-Spezialextrak-te besitzen ein multifaktorielles Wirkprofil, das u.a. Radikal-

fängereigenschaften, neuroprotektive Effekte und Effekte aufaltersbedingte Defizite der Neurotransmission umfasst, unddas die rationale Basis für die klinische Anwendung bei de-mentiellen Erkrankungen bildet. Die Wirksamkeit von Ginkgo-Spezialextrakten bei der Demenz wurde in placebokontrol-lierten Doppelblindstudien nachgewiesen. Besonders hervor-zuheben sind zwei mit dem Ginkgo-Spezialextrakt EGb 761®

durchgeführte großangelegte Studien an über 500 Patientenmit leichter bis mittelgradiger Demenz bei Alzheimer-Krank-heit und vaskulärer Demenz, die den aktuellen Anforderungenzum Wirksamkeitsnachweis von Antidementiva entsprechen.

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[12] Oken, B.S., Storzbach, D.M., Kaye, J.A.: The efficacy of Ginkgo bilobaon cognitive function in Alzheimer disease. Arch. Neurol. 55 (1998),1409-1415.

A B B . 5 DiefächerförmigenBlätter haben einen mehr oderweniger tiefenEinschnitt in derBlattfläche. (Abdruck mitfreundlicher Genehmigung der Dr. WillmarSchwabe Arzneimittel)

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G I N K G O - B I L O B A - E X T R A K T E | PH A R M A Z EU T I S C H E B I O LO G I E

AutorenDr. med. Witrud Juretzek (geb. 1941); 1961 bis 1967Studium der Humanmedizin in Bonn, Freiburg undMünchen; 1968 Promotion; 1970 Approbation; seit1972 in der Abteilung Forschung und Entwicklungder Fa. Dr. Willmar Schwabe GmbH in Karlsruhe,verantwortlich für den Bereich Medizin der ZentraleArzneimittelzulassung

AnschriftDr. med Wiltrud JuretzekZentrale Zulassung/ Arzneimittelzulassung MedizinDr. Willmar Schabe GmbH & Co.Willmar-Schwabe-Str. 476227 [email protected]

Prof. Dr. Walter E. Müller (geb. 1947); 1968 bis 1974Pharmaziestudium in Frankfurt und Mainz; Promo-tion in Mainz; bis 1978 Ausbildung zum Fachphar-makologen in Mainz und an der Johns Hopkins Uni-versity, Baltimore; 1980 Habilitation für das FachPharmakologie und Toxikologie in Mainz; 1983 bis1989 Leiter des Psychopharmakologischen Laborsam Zentralinstitut für Seelische Gesundheit inMannheim; dort 1989 Berufung zum Professor fürPsychopharmakologie und Abteilungsleiter; seit1997 Ordinarius und Direktor des Pharmakolo-gischen Institutes für Naturwissenschaftler an derUniversität Frankfurt.

AnschriftProf. Dr. Walter E. MüllerPharmakologisches Institut für NaturwissenschaftlerMarie-Curie-Str. 960439 Frankfurt

E I N E AU S WA H L I N T E R E S SA N T E R I N T E R N E TA D R E S S E N Z U M T H E M A D E M E N Z |www.deutsche–alzheimer.de Deutsche Alzheimer Gesellschaft. e.V.

www.alzheimer-bawue.de Alzheimer-Gesellschaft Baden-Württemberg

www.alzheimerforum.de Alzheimer Angehörigen Initiative e.V.; Informations- und Kommunikationsplattform zum Thema Demenz

www.demenz-ratgeber.de Ratschläge für Angehörige und Betreuer zum Umgang mitDemenz-Kranken

www.demenz-spektrum.de Demenz-Spektrum; enthält Fachartikel zu medizinischen, sozialen und psychologischen Themen

www.dsl-alzheimer.de Deutsche Seniorenliga: Informationen zu Symptomen, Ursachen, Diagnose, Therapie bei Demenz

www.hirnliga.de Hirnliga e.V.

www.mas.or.at Verein Morbus Alzheimer Syndrom (M.A.S.) unterstützt Angehörige

www.vetera.de/info009.htm Alzheimer Selbsthilfegruppen in Deutschland; Liste mit Kontaktadressen

www.werner-saumweber.de/alzheime/fragen.htm Alzheimer-Gesellschaft München; Fragen und Antworten; die wichtigsten Informationen