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Kokainsynthese entschlüsselt Ein wichtiger enzymatischer Schritt der Kokainsynthese wurde jetzt aufgeklärt. Funktion und molekulare Struktur des isolierten Enzyms, das zur Familie der Aldo- Keto-Reduktasen gehört, eröffnen einen neuen Blick in die Evolution pflanzlicher Tropan-Alkaloid-Stoffwechselwege ... S. 4 Insektizid-Resistenz aufgeklärt Raupen des Baumwollkapselwurms besitzen ein neuartiges Enzym aus der Gruppe sogenannter P450-Monooxygenasen, das sie resistent gegen Insektizide aus der Gruppe der Pyrethroide macht. Das enzymkodierende Gen ist eine Chimäre − kom- biniert aus Teilen zweier Vorläufergene S. 3 PULS/CE 20 Public Understanding of Life Sciences / Chemical Ecology Verhaltensstudien im „Flywalk“ Fliegen verarbeiten anziehende und abschreckende Gerüche in unterschiedlichen Hirnregionen. Das neu entwickelte Analysegerät Flywalk ermöglicht jetzt exakte Verhaltensstudien an Insekten … S. 5 Newsletter November 2012

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Page 1: PULS/CE Public Understanding of Life Sciences / …...garantieren. Auf abschreckende Düfte, z.B. Benz-aldehyd, reagieren dagegen beide Geschlechter identisch. Männchen wiederum antworten

Kokainsynthese entschlüsseltEin wichtiger enzymatischer Schritt der Kokainsynthese wurde jetzt aufgeklärt.Funktion und molekulare Struktur des isolierten Enzyms, das zur Familie der Aldo-Keto-Reduktasen gehört, eröffnen einen neuen Blick in die Evolution pflanzlicher Tropan-Alkaloid-Stoffwechselwege ... S. 4

Insektizid-Resistenz aufgeklärt Raupen des Baumwollkapselwurms besitzen ein neuartiges Enzym aus der Gruppe sogenannter P450-Monooxygenasen, das sie resistent gegen Insektizide aus der Gruppe der Pyrethroide macht. Das enzymkodierende Gen ist eine Chimäre − kom-biniert aus Teilen zweier Vorläufergene … S. 3

PULS/CE 20Public Understanding of Life Sciences / Chemical Ecology

Verhaltensstudien im „Flywalk“ Fliegen verarbeiten anziehende und abschreckende Gerüche in unterschiedlichen Hirnregionen. Das neu entwickelte Analysegerät Flywalk ermöglicht jetzt exakte Verhaltensstudien an Insekten … S. 5

Newsletter November 2012

Page 2: PULS/CE Public Understanding of Life Sciences / …...garantieren. Auf abschreckende Düfte, z.B. Benz-aldehyd, reagieren dagegen beide Geschlechter identisch. Männchen wiederum antworten

Liebe Leserinnen und Leser!

Das Max-Planck-Institut für chemische Ökologie bestand nach Fertigstellung seines Neubaus auf dem Beutenberg Campus im Jahre 2001 aus zwei Modulen, dem großen Hauptgebäude mit Büros und Laboren sowie dem östlich daran angeschlos-senen großen Gewächshaus, das man besonders in den langen dunklen Wintermonaten wegen sei-ner Beleuchtung für die Pflanzenanzucht von den Hängen im Jenaer Talkessel sehen kann.

Seit diesem Sommer nun hat das Hauptgebäu-de auch an der Westseite ein weiteres Modul bekommen, dessen Inbetriebnahme nunmehr fast abgeschlossen ist: das „Schneiderhaus“. Im Unterschied zum Gewächshaus ist dieser Anbau aber von außen nicht erkennbar, denn er befin-det sich vollständig unter der Erde. Fast 500 m2 Nutzfläche wurde unterirdisch geschaffen. Das Gebäude ist nach dem Begründer der modernen Riechphysiologie, Dietrich Schneider (1919-2008), benannt.

Der geschäftsführende Direktor unseres Hau-ses, Bill Hansson, Leiter der Abteilung Evolutio-näre Neuroethologie, ist äußerst zufrieden. Die beiden Windtunnelanlagen zur Erforschung des geruchsgesteuerten Verhaltens von Motten, Fliegen und anderen Insekten sind betriebsbereit (siehe Abbildungen links), und auch zwei soge-nannte „Flywalk“ Apparaturen haben bereits zu Ergebnissen beigetragen, die in diesem Heft als Research Highlight auf Seite 5 vorgestellt werden.

Mehrere Anzuchtkammern und Präparationsräu-me ermöglichen jetzt umfangreiche Experimente zur Neurophysiologie von Insekten und die Beob-achtung ihres Verhaltens unter verschiedensten, experimentell nachgestellten Umgebungsbedin-gungen

Ob das Institut noch weitere Module bekommen wird, ist nicht sicher. An Ideen mangelt es kei-neswegs. Allerdings wird auf dem Beutenberg Campus der Platz knapp, denn das Tal, in dem das prosperierende Jena sich so malerisch ausbreitet, hat seine natürlichen Grenzen: die Berge.

Einen schönen, kühlfrischen und sonnigblauen Winter wünscht

Jan-W. Kellmann

Nach dem Begründer der modernen Riechphysiologie und

somit einem der Wegbereiter der chemischen Ökologie,

Dietrich Schneider, wurde das neue Gebäude benannt.

Links: Im Windtunnel wird das Flugverhalten einer Mot-

te nach Einleiten eines Duftes aufgezeichnet. Oben: Im

Windtunnel-Modell wird die Quelle des Duftes von der

Fliege angesteuert. Grafik: Alexandra Schmidt/MPI-CE.

Jan-W. Kellmann

Unterirdische Forschungs-einheit nimmt Betrieb auf

PULS/CE 20

Newsletter November 2012 | Editorial

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Solupta nusae volut abo. Dolut omnimi, sunt officimusant od eriamen

PULS/CE 20

Oben: Die Raupen des Schädlings He-

licoverpa armigera sind auf der ganzen

Welt gefürchtet. Sie haben ein enorm

breites Wirtsspektrum: Rund 200 ver-

schiedene Pflanzenarten können den

Raupen zum Opfer fallen. Das Insekt

zählt zu den am weitesten verbreiteten

Schädlingen. Fast 30% aller weltweit

sich im Einsatz befindenden Insek-

tizide, Bt-Toxine genauso wie Pyre-

throide, werden jährlich gegen den

Kapselwurm gerichtet. Unten: Nicole

Joußen bei der Fütterung von Faltern

des Baumwollkapselwurms.

Fotos: Nicole Joußen, Angela Over-

meyer, MPI -CE.

Originalveröffentlichung:

Joußen, N., Agnolet, S., Lorenz, S.,

Schöne, S. E., Ellinger, R., Schneider,

B., Heckel, D. G. (2012). Resistance

of Australian Helicoverpa armigera

to fenvalerate is due to the chimeric

P450 enzyme CYP337B3. Proceedings

of the National Academy of Sciences

of the United States of America, 109,

15206-15211.

PULS/CE 203

Insektizid-Resistenz aufgeklärt Pyrethroide, Wirkstoffe, die auf Verbindungen des Insektengifts Pyrethrum basieren, werden seit Jahrzehnten im Obst-, Gemüse- und Acker-bau gegen Schädlinge eingesetzt. Allerdings werden seit 1983 Resistenzen des Baumwoll-kapselwurms Helicoverpa armigera gegen das besonders effektive Pyrethroid Fenvalerat beob-achtet. David Heckel, seit 2004 Leiter der Abtei-lung Entomologie, hatte 1998 das Gen für eine P450-Monooxygenase im Erbgut der Insekten identifiziert. Nicole Joußen aus David Heckels Abteilung hat sich jetzt dem Fenvalerat-resis-tenten Stamm „TWB“ von Helicoverpa armigera gewidmet. Sie konnte diejenige P450-Monooxy-genase identifizieren, die Pyrethroid-Resistenz hervorruft, indem sie herausfand, dass von ins-gesamt sieben P450-Enzymen nur das mit der Be-zeichnung CYP337B3 die Fenvalerat-Moleküle in 4‘-Hydroxyfenvalerat umbaut. Die resistenten Raupen vertragen deshalb die 42-fache Menge an Fenvalerat im Vergleich zu nichtresistenten Tieren. Die Wissenschaftlerin stellte zudem fest, dass auch der in Deutschland zugelassene Wirk-stoff Esfenvalerat von CYP337B3 unschädlich gemacht wird. Das Enzym ist auf besondere Wei-se in den resistenten TWB-Raupen entstanden: durch einen Prozess, den Genetiker „Inäquales

Crossing Over“ nennen. Treten im Verlauf der Zellkernteilung ähnliche DNA-Sequenzen mitein-ander in Kontakt, führt dies zu neuen Kombinatio-nen. Dabei gehen auf einem DNA-Strang geneti-sche Informationen verloren und auf dem anderen kommt es zur Neueinfügung oder gar Verdopplung der genetischen Botschaften. Dieser natürliche Vorgang ist bedeutend in der Evolution von Gen-familien − so wie jetzt im Fall von CYP337B3 im TWB-Stamm des Baumwollkapselwurms beob-achtet. Mit diesem Ergebnis wurde erstmals eine Insektizidresistenz vermittelnde Mutation auf-gedeckt, die durch „Crossing Over“ entstanden ist. Die Wissenschaftler entdeckten auch, dass sich CYP337B3 aus Teilen der für die Landwirt-schaft „ungefährlichen“ Gene B1 und B2 zusam-mensetzt. Die spezielle Kombination aus Teilen dieser Vorläufergene im chimären B3-Gen ist für die Fähigkeit des daraus resultierenden P450-En-zyms verantwortlich, das Insektizid zu binden, zu hydroxylieren und so zu entgiften.

Resistenzen gegen Pflanzenschutzmittel sind ein natürlicher Vorgang, der nicht gestoppt, jedoch durch sinnvollen Einsatz von Wirkstoffen oder anderen pflanzenschützenden Maßnahmen, wie z.B. Fruchtfolgen, begrenzt werden kann. [JWK]

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Kokapflanzen mit dem wissenschaftlichen Namen Erythroxylum coca wurden schon vor rund 8000 Jahren von südamerikanischen Völkern kultiviert, die die Kokablätter wegen ihrer stimulierenden und hungerstillenden Eigenschaft anbauten. Das in den Blättern enthaltene Kokain gehört zu den bekanntesten Drogen weltweit. Bisher war al-lerdings nicht bekannt, wie Pflanzen das Alkaloid bilden. Alkaloide sind natürliche, stickstoffhaltige Verbindungen, die auf den menschlichen Organis-mus unterschiedlich stark wirken. Dazu gehören Substanzen wie Atropin, Koffein, Nikotin, Mor-phin und Kokain. Das Pupillen erweiternde Atro-pin und das Rauschgift Kokain zählen zur Gruppe der sogenannten Tropan-Alkaloide, die sich che-misch durch zwei miteinander verbundene 5- und 7-gliedrige Ringe auszeichnen.

Die Kokainbiosynthese wurde seit rund 40 Jah-ren nicht mehr untersucht. Jedoch ist ein ent-scheidender Schritt der Biosynthese von Atropin, das in der Tollkirsche vorkommt, bekannt. Zur Atropin-Biosynthese bedarf es der Umwandlung einer Ketogruppe in einen Alkoholrest, der dann im allerletzten chemischen Schritt verestert wird.

Die Umwandlung der Ketogruppe wird in der Tollkirsche durch ein Enzym aus der Gruppe der Dehydrogenasen/Reduktasen (short-chain de-hydrogenase/reductase − SDR) katalysiert. Jan Jirschitzka, Doktorand in der Gruppe um John D’Auria, bestimmte daher im Genom der Ko-kapflanze SDR-ähnliche Gensequenzen. Diese wurden kloniert, exprimiert und auf Enzymaktivi-tät getestet. Da hierbei jedoch nicht das Vorläu-fermolekül des Kokains gebildet wurde, blieb dem Wissenschaftler nur der klassische biochemische Weg: Aus Extrakten von Kokablättern reicherte er die dort enthaltene Enzymaktivität an, reinigte das entsprechende Protein und isolierte nach Teil-sequenzierung des Polypeptids das dazugehörige Gen. Die Ergebnisse der Untersuchungen über-raschten: Die Umwandlung der Ketogruppe zu ei-nem Alkoholrest erfolgt in Kokapflanzen durch ein ganz anderes Enzym als in der Tollkirsche, näm-lich durch eine Aldo-Keto-Reduktase, Methylec-gonon-Reduktase (MecgoR) genannt. Sowohl das MecgoR-Gen als auch das MecgoR-Enzym sind besonders aktiv in ganz jungen Blättern der Ko-kapflanze, jedoch nicht in Wurzeln. Atropin hinge-gen wird ausschließlich in der Wurzel der Tollkir-sche synthetisiert und nachfolgend in die grünen Organe transportiert. Auf der Grundlage all dieser Ergebnisse folgern die Wissenschaftler, dass der Tropan-Alkaloid-Stoffwechsel in Kokapflanzen und der Tollkirsche vollkommen unabhängig von-einander entstanden sind. [JWK]

PULS/CE 20

Newsletter November 2012 | Research Highlight

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Oben rechts: Kokapflanze (Erythroxy-

lum coca) und die molekulare Struktur

des Kokains (grau: Kohlenstoff, blau:

Stickstoff, rot: Sauerstoff, weiß: Was-

serstoff). Kokain kann bis zu zehn Pro-

zent des Trockengewichts von jungen

Blättern ausmachen, eine Menge, die

kaum von anderen Alkaloiden in Pflan-

zen erreicht wird.

Unten: Die Mitglieder der Arbeits-

gruppe Biochemie und Evolution der

Tropanalkaloid-Biosynthese: Teresa

Docimo, Gregor Schmidt, John D’Auria,

Jan Jirschitzka. Fotos: MPI-CE

Originalveröffentlichung:

Jirschitzka, J., Schmidt, G., Reichelt,

M., Schneider, B., Gershenzon, J.,

D‘Auria, J. (2012). Plant tropane

alkaloid biosynthesis evolved

independently in the Solanaceae and

Erythroxylaceae. Proceedings of the

National Academy of Sciences of the

United States of America, 109(26),

10304-10309.

Kokainsynthese entschlüsselt

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Verhaltensstudien im „Flywalk“

PULS/CE 205

Drosophila in einer Glasröhre des

Flywalk. Das neu entwickelte Analy-

segerät ermöglicht exakte Verhaltens-

studien an Insekten.

Foto: Markus Knaden, MPI-CE

Originalveröffentlichungen:

Knaden, M., Strutz, A., Ahsan, J.,

Sachse, S., Hansson, B. (2012). Spatial

representation of odorant valence in an

insect brain. Cell Reports, 1, 392-399.

Steck, K., Veit, D., Grandy, R., Badia,

S. B. i., Mathews, Z., Verschure, P.,

Hansson, B., Knaden, M. (2012). A

high-throughput behavioral paradigm

for Drosophila olfaction - the Flywalk.

Nature Scientific Reports, 2: 361.

Aufnahmen des Gehirns (hier: Antennallobus) einer riechenden Fruchtfliege. Links: Aktive Glomeruli,

dargestellt durch farbiges Aufleuchten, nach Gabe eines abschreckenden Duftes (Linalool). Rechts:

Aktive Glomeruli nach Applikation eines Lockstoffes (3-Methylthio-1-Propanol). Es zeigt sich, dass

abschreckendes Verhalten in seitlich angeordneten Hirnarealen, anlockendes Verhalten in mittigen

Bereichen erzeugt wurde. Aufnahme: Antonia Strutz, MPI-CE.

In Zusammenarbeit mit Kollegen aus Portugal und Spanien haben Forscher aus der Abteilung Evoluti-onäre Neuroethologie eine Apparatur entwickelt, die Duftstoffe automatisch in einen Luftstrom abgibt und dabei das Verhalten von Insekten filmt und auswertet. Das System Flywalk besteht aus Glasröhren, Luftströmungs-Regulatoren und einer Videokamera. Je Versuchsreihe können fünfzehn Tiere auf bis zu acht verschiedene Duftsignale hin getestet werden. Flywalk erlaubt neben dem Ein-satz einzelner Geruchsstoffe auch die Applikation von Duftmischungen. Außerdem können Duftpul-se unterschiedlicher Länge und Konzentration ver-abreicht werden. Der hohe Durchsatz und lange, automatisierte Messzeiten − bis zu acht Stunden können die Tiere im Flywalk verweilen − erlauben statistisch auswertbare Messergebnisse.

Versuche mit Fruchtfliegen zeigten beispielswei-se, dass Weibchen im Gegensatz zu Männchen mehr von typischen Nahrungsdüften wie Ethyl-azetat angezogen werden − ein Verhalten, das auf die Suche nach einem optimalen Eiablageplatz zielen könnte, um dem Larven-Nachwuchs nach dem Schlüpfen sofort ausreichend Nahrung zu garantieren. Auf abschreckende Düfte, z.B. Benz-aldehyd, reagieren dagegen beide Geschlechter identisch. Männchen wiederum antworten posi-tiv auf den Geruch unbegatteter Weibchen: Wird die Luft, die die jungfräulichen Weibchen um-gibt, in Flywalk geleitet, wandern die Männchen stromaufwärts. Hingegen werden die männlichen Fliegen vom Duft bereits begatteter Weibchen nicht mehr angezogen, da diesen mit cis-Vaccenyl Azetat ein abschreckender Duft anhaftet. Mit diesem Duft „markiert“ ein Männchen während der Begattung das Weibchen, verhindert so eine

weitere Befruchtung durch konkurrierende Männ-chen und sichert so die Verbreitung seiner Gene.

In einer weiteren Studie haben die Wissenschaft-ler die Aktivität sogenannter Projektionsneuro-nen im Gehirn von Fruchtfliegen gemessen. Diese befinden sich im Riechzentrum der Fliegen, dem Antennallobus. Tests mit sechs besonders at-traktiven und sechs besonders abschreckenden Duftkomponenten, ausgewählt aus insgesamt 110 überprüften Stoffen, ergaben, dass ähnlich wie bei Mäusen und Menschen attraktive und abschreckende Düfte jeweils in einer bestimmten Gehirnregion verarbeitet werden. Die Funktion des Insektengehirns gleicht somit der des Säu-gergehirns mehr als bisher angenommen. Da die Aktivität von Projektionsneuronen bereits eine Art „Interpretation“ eingehender Duftsignale dar-stellt, scheinen sich Beurteilungen wie „gut“ oder „schlecht“, die letztendlich das Verhalten der Fliegen steuern, schon sehr früh im Fliegengehirn auszubilden. [JWK]

Research Highlight | Newsletter November 2012

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Obwohl die meisten der an unserem Institut un-tersuchten Schadinsekten Pflanzenfresser sind, die ihre Nahrung zerkauen, gibt es viele andere herbivore Insekten, die Pflanzensaft saugen, wie z.B. Blattläuse, weiße Fliegen, Thripse und Zika-den. Auch die saugenden Insekten richten im Gar-tenbau und in der Landwirtschaft einen enormen Schaden an. In unserer Arbeitsgruppe untersu-chen wir mit der Erbsenblattlaus (Acyrthosiphon pisum) einen Organismus, dessen Genom voll-ständig sequenziert ist. Erbsenblattläuse saugen an einer ganzen Reihe von Wirtspflanzen aus der Familie der Hülsenfrüchtler. Sie sind ein Arten-komplex aus verschiedenen Rassen, die jeweils eine deutliche Präferenz für bestimmte Pflanzen, wie z.B. die Luzerne, den Rotklee oder die Erbse entwickelt haben. Wir möchten herausfinden, was diese Spezialisierung auf unterschiedliche Wirtspflanzen verursacht hat. Die Spezialisierung wird als erster Schritt zur Bildung neuer Arten ge-sehen, denn die Wirtstreue führt auch zu einer se-lektiven Partnerwahl, die den Genfluss zwischen den Wirtsrassen reduziert.

Die Spezialisierung der Erbsenblattläuse ergibt sich vermutlich aus ihrer Nahrung. Obwohl das Phloem der Pflanze freie Aminosäuren und hohe Konzentrationen an Zuckern enthält, werden dort auch sekundäre Stoffwechselprodukte angerei-chert, deren Gehalt von der jeweiligen Pflanzenart abhängt. Einige dieser Sekundärmetabolite aus Hülsenfrüchtlern, wie etwa Saponine in Luzerne oder Alkaloide in weißen Lupinen, haben eine starke Wirkung auf die Entwicklung der Blattläu-se. Der Effekt der Wirtspflanzenchemie auf die Spezifität der Erbsenblattlaus-Wirtsrassen ist bislang jedoch nicht erforscht.

Das Ziel meines Projektes ist die Identifizierung der chemischen Substanzen im Phloem von Lu-zerne, Rotklee, Gartenerbse und Ackerbohne, die bei der Nutzung als Wirtspflanzen von Erbsen-blattlausrassen eine Rolle spielen. Dazu ermitteln wir zuerst die Unterschiede im Phloem dieser ver-schiedenen Pflanzenarten. Zusätzlich werden die Unterschiede im Honigtau (den Ausscheidungen) der vier Blattlausrassen, die auf jeder der vier Wirtspflanzen gefressen haben, bestimmt. An-schließend werden wir die relevanten Pflanzen-inhaltsstoffe isolieren und reinigen, um sie den Blattläusen in einer künstlichen Diät anzubieten. Mit Hilfe der EPG-Technik (Electrical Penetration Graph) können wir das jeweilige Fressverhalten der Blattläuse untersuchen. Diese Informationen ermöglichen Rückschlüsse auf den Einfluss der Pflanzeninhaltsstoffe auf die Wirtspflanzenpräfe-renz der Erbsenblattläuse. Möglicherweise eröff-nen diese Pflanzeninhaltsstoffe neue Strategien zur natürlichen Reduzierung von Blattlausbefall in der Landwirtschaft. Carlos Fernando Sánchez Arcos

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Achtung Blattläuse!

Carlos Fernando Sánchez Arcos aus

Kolumbien ist Doktorand der Interna-

tional Max Planck Research School

(IMPRS). In seinem Promotionsprojekt

in der Abteilung Biochemie (Arbeits-

gruppe von Grit Kunert) widmet er sich

der Abwehrchemie von Hülsenfrücht-

lern sowie der Rassenbildung von Erb-

senblattläusen durch Anpassung an

unterschiedliche Wirtspflanzen.

Foto: MPI-CE

Newsletter November 2012 | IMPRS -Projekt

PULS/CE 20

Erbsenblattläuse (Acyrthosiphon pisum) saugen den Phloemsaft aus dem Stängel einer Erbsenpflanze.

Foto: Jan-Peter Kasper (mit freundlicher Genehmigung)

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Pflanzen bilden kurz nach Angriff eines Fraßfein-des Jasmonsäure, ein Hormon, das die Verteidi-gung gegen Insekten in Gang setzt, sodass gif-tige Stoffe wie Nikotin oder Verdauungshemmer in den Blättern akkumulieren. Wissenschaftler der Abteilung Molekulare Ökologie haben jetzt herausgefunden, dass Zwergzikaden die Verteidi-gungsbereitschaft von Tabakpflanzen aufspüren können. Funktionieren die auf Jasmonat basieren-

den Signalketten, lässt das Insekt sofort von der Pflanze ab und testet andere Pflanzen. Ist jedoch das hormonelle Meldesystem in einer Pflanze gestört und damit ihre Bereitschaft zur Abwehr gehemmt, schlagen die Schädlinge zu. Die Zwerg-zikaden können als „Spürhunde“ eingesetzt wer-den, um in natürlich gewachsenen Populationen versteckte Pflanzen mit defekten Jasmonat-Sig-nalsystemen aufzufinden und zu erforschen.

Forscher der Abteilung Evolutionäre Neuroetho-logie haben herausgefunden, dass das Riech-vermögen von Einsiedlerkrebsen im Vergleich zu Fruchtfliegen unterentwickelt ist. Im Gegensatz zu Fruchtfliegen, die verschiedenste Duftmolekü-le in der Luft aufspüren können, erkennen Krebse nur wenige Düfte. Das in ihren Antennen erzeug-te elektrische Signal und die Verhaltensreaktion ist jedoch deutlich stärker, wenn sich die Duft-stoffe in feuchter Luft befinden. Die Molekular-

biologie der Geruchswahrnehmung von Krebsen und Fliegen erlaubt Einblicke in die Evolution des Riechens nach dem Übergang des Lebens vom Wasser zum Land.Originalveröffentlichung:

Krång, A.-S., Knaden, M., Steck, K., Hansson, B. (2012).

Transition from sea to land: olfactory function and con-

straints in the terrestrial hermit crab Coenobita clypeatus.

Proceedings of the Royal Society of London. Series B:

Biological Sciences, 279 (1742), 3510-3519.

Wissenschaftler der Abteilung Molekulare Ökolo-gie konnten anhand von Freilandstudien an wil-dem Tabak nachweisen, dass dessen indirekte Abwehr von Fraßfeinden, hervorgerufen durch Abgabe von Duftstoffen zur Anlockung von Raub-insekten, die Anzahl der Schädlinge reduziert und gleichzeitig die Blütenbildung steigern kann. Biologische Schädlingsbekämpfung kann also dank natürlicher Abwehrmechanismen von Pflan-zen die landwirtschaftlichen Erträge nachweis-lich verbessern. Die Ergebnisse erschienen in der neuen Open Access-Fachzeitschrift eLife.

Originalveröffentlichung:

Schuman, M., Barthel, K., Baldwin, I. T. (2012). Herbi-

vory-induced volatiles function as defenses increasing

fitness of the native plant Nicotiana attenuata in nature.

eLife, 1: e00007.

Eine Raubwanze wird durch grüne

Blattduftstoffe angelockt und vertilgt

daraufhin ein Tabakschwärmer-Ei.

Die Pflanze hat sich so indirekt ihres

Fraßfeindes entledigt. Copyright: Merit

Motion Pictures, Winnipeg, Manitoba,

Kanada

PULS/CE 20

News | Newsletter November 2012

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Studie in neuer Fachzeitschrift eLife zeigt erstmals, dass natürliche Schädlingsbekämpfung durch Raubinsekten Pflanzenfitness steigert

Feuchte Luft steigert Geruchswahrnehmung bei Einsiedlerkrebsen

Tabak signalisiert angreifenden Zikaden Verteidigungsbereitschaft

Erwachsener Einsiedlerkrebs der Art

Coenobita clypeatus. Deutlich zu sehen

sind die beiden Antennenpaare. Foto:

Katrin Groh, MPI-CE

Originalveröffentlichung:

Kallenbach, M., Bonaventure, G., Gilar-

doni, P. A., Wissgott, A., Baldwin, I. T.

(2012). Empoasca leafhoppers attack

wild tobacco plants in a jasmonate-

dependent manner and identify jasmo-

nate mutants in natural populations.

Proceedings of the National Academy

of Sciences of the United States of

America, 109(24), E1548-E1557.

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www.ice.mpg.dewww.ice.mpg.de

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Impressum: PULS/CE erscheint zweimal jährlich auf der Homepage des MPI für chemische Ökologie und kann auch kostenlos abonniert werden. Die Verteilung erfolgt elektronisch als PDF, auf Wunsch werden gedruckte Exemplareverschickt. Herausgeber: MPI-CE, Jena. Geschäftsführender Direktor: Prof. Dr. Bill S. Hansson (viSdP).Redaktion: Dr. Jan-W. Kellmann, Forschungskoordination • Angela Overmeyer M.A., Presse- und ÖffentlichkeitsarbeitISSN: 2191-7507 (Print), 2191-7639 (Online)

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Newsletter November 2012 | News & Events

50 Jahre nach Erscheinen des berühmten Buches von Rachel Carson Der stumme Frühling und dem damit verbundenen Beginn der ökologischen Be-wegung gibt David G. Heckel in der Zeitschrift Science einen Überblick über den aktuellen Stand der Resistenzentwicklung von Schadinsekten ge-gen Pflanzenschutzmittel. In den 50 Jahren seit

Erscheinen von Carsons Bestseller sind über 450 Gliederfüßerarten gegen mindestens ein Pestizid resistent geworden. Allerdings gibt es inzwischen einen Paradigmenwechsel im Bezug auf den Um-gang mit diesem globalen Problem ...Originalveröffentlichung: Heckel, D. H. (2012). Insecticide

resistance after Silent Spring. Science, 337, 1612-1614.

David G. Heckel über Insektizidresistenzen 50 Jahre nach dem Öko-Bestseller „Der stumme Frühling“

Bill S. Hansson in die Academia Europaea gewählt

David Heckel. Foto: Norbert Michalke

Bill Hansson. Foto: Norbert Michalke

© Danny Kessler

Am Donnerstag, den 25. April 2013, findet auf dem Beutenberg Campus bereits zum vierten Mal der Forsche-Schüler-Tag statt. Das MPI für chemische Ökologie lädt alle Schülerinnen und Schüler ab der 10. Klasse ein, die Forschung an Wechselwirkungen zwischen Pflanzen, Insekten und Mikroben hautnah zu erleben und mit den Wissenschaftlern Laborexperimente durchzuführen. Ein detailliertes Programm wird voraussichtlich ab Februar 2013 erhältlich sein.

Vom 19. Oktober bis 14. Dezember 2012 ist im Max-Planck-Institut für chemische Ökologie eine Aus-stellung mit Aquarellen des Leipziger Künstlers Hans-Joachim Wiesner aus den Zyklen NATUR & FORM und ANALOGIEN & REDUKTIONEN zu sehen. Sie ist montags von 12.00 bis 16.00 Uhr und dienstags bis freitags von 13.00 bis 15.00 Uhr für Besucher geöffnet. Mit dieser Kunstausstellung knüpft das MPI an eine Tradition an, die auf dem Beutenberg Campus mit dem Namen Hans Knöll verbunden ist: Dieser baute als Leiter des ehemaligen Zentralinstituts für Mikrobiologie und experimentelle Thera-pie (ZIMET) eine Kunstsammlung auf und stellte so eine Verbindung von Kunst und Wissenschaft her.

Bill S. Hansson, Direktor der Abteilung Evolu-tionäre Neuroethologie und derzeit geschäfts-führender Direktor des MPI-CE, wurde in die Academia Europeae gewählt. Diese europäische Forschervereinigung wurde 1988 von Wissen-schaftlern aus Großbritannien, Frankreich, Italien, Schweden, Deutschland und den Niederlanden

als gesamteuropäisches Gremium gegründet, das die Meinungen und Ideen von Wissenschaftlern aus ganz Europa zum Ausdruck bringt. Die Akade-mie hat weit mehr als 2000 Mitglieder, darunter mehr als 40 Nobelpreisträger.

http://www.acadeuro.org/

Veranstaltungstipps: