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Probst / Grevers / Iro Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde Extrait du livre Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde de Probst / Grevers / Iro Éditeur : MVS Medizinverlage Stuttgart http://www.editions-narayana.fr/b3734 Sur notre librairie en ligne vous trouverez un grand choix de livres d'homéopathie en français, anglais et allemand. Reproduction des extraits strictement interdite. Narayana Verlag GmbH, Blumenplatz 2, D-79400 Kandern, Allemagne Tel. +33 9 7044 6488 Email [email protected] http://www.editions-narayana.fr

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Probst / Grevers / IroHals-Nasen-Ohren-Heilkunde

Extrait du livreHals-Nasen-Ohren-Heilkunde

de Probst / Grevers / IroÉditeur : MVS Medizinverlage Stuttgart

http://www.editions-narayana.fr/b3734

Sur notre librairie en ligne vous trouverez un grand choix de livres d'homéopathie en français,anglais et allemand.

Reproduction des extraits strictement interdite.Narayana Verlag GmbH, Blumenplatz 2, D-79400 Kandern, AllemagneTel. +33 9 7044 6488Email [email protected]://www.editions-narayana.fr

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6 Kopfspeicheldrüsen

6.1 Klinisch relevante, topographischeAnatomie der Kopfspeicheldrüsen

Die Kenntnis der funktionellen und der topographischenAnatomie der großen Kopfspeicheldrüsen ist eine unab-dingbare Voraussetzung für das Verständnis der Speichel-drüsenerkrankungen hinsichtlich Diagnostik und Therapie.

6.1.1 Überblick

Zu unterscheiden sind 3 paarige große (Abb. 6.1) undmehrere hundert solitäre, kleine, in der Mund- und Ra-chenschleimhaut verteilte Speicheldrüsen:I Glandula parotidea (Ohrspeicheldrüse): größte Kopf-

speicheldrüse, sondert vorwiegend seröses Sekret abI Glandula submandibularis (Unterkieferspeicheldrüse):

sondert seromuköses Sekret abI Glandula sublingualis (Unterzungenspeicheldrüse):

sondert mukoseröses Sekret ab

I kleine Speicheldrüsen (Abb. 6.2): man unterscheidetGlandulae labiales der Lippenschleimhaut, Glandulaepalatinae der Gaumenschleimhaut, Glandulae lingualesder Zunge, Glandulae buccales der Wangenschleimhautund Glandulae pharyngeae der Rachenschleimhaut: siesondern vorwiegend muköses Sekret ab.

6.1.2 Glandula parotidea

Synonym: Ohrspeicheldrüse, ParotisLage: Die Glandula parotidea senkt sich zwischen aufstei-gendem Unterkieferast und Mastoid in die Fossa retro-mandibularis. In einer subkutanen Pseudokapsel liegt siedem M. sternocleidomastoideus und dem hinteren Bauchdes M. digastricus an.Bindegewebskapsel: Die subkutane Pseudokapsel ausdichtem Bindegewebe stellt keine eigentliche Trenn-schicht dar, sondern geht in die Haut und in die Glandulaparotidea selbst über. Die kaum dehnbare Kapsel kann bei

aus: Probst u. a., Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (ISBN 9783131190338) © 2008 Georg Thieme Verlag KG

M. buccinator

Glandula parotis mitkleiner akzessorischerDrüse undStenon-Gang

Glandula sublingualis

M. masseter

Caruncula

Glandulasubmandibularis mit

Processus sublingualisund Wharton-Gang

N. facialis

Abb. 6.1 Große Kopfspeichel-drüsen

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akuten Parotisschwellungen zu starken Schmerzen füh-ren. Sie ist gegen kaudal und medial weniger dicht, so dasssich Entzündungen und Tumoren in Richtung Flügelgau-mengrube und Spatium parapharyngeum entwickelnkönnen (sog. Hantel- bzw. Eisbergtumor, s. Abb. 6.5).Ductus parotideus (Stenon-Gang): Der etwa 6 cm langeAusführungsgang verlässt die Drüse im vorderen oberenDrittel und zieht über den M. masseter nach vorne (s.Abb. 6.1). Er biegt um den Vorderrand des Muskels unddurchquert den M. buccinator und die Wangenschleim-haut. Seine Öffnung liegt gegenüber dem zweiten oberenMolaren und zeigt leicht erhabene Ränder.

Der N. facialis unterteilt die Parotis mit seinem Pesanserinus in einen lateralen und einen medialen Anteil(im Klinikjargon ist auch vom oberflächlichen bzw. late-ralen und vom tiefen Lappen die Rede, ohne dass es imengen anatomischen Sinn Lappen gibt). Bei der Parotis-chirurgie muss dieser anatomischen Besonderheit Rech-nung getragen werden. Der N. facialis wird an seinemStamm aufgesucht und präpariert. Die Spitze des Tragus-knorpels zeigt hierbei in der Tiefe häufig die Lage desFazialisstammes an und wird deshalb auch als Pointerbezeichnet. Die operative Entfernung der Parotisanteilelateral des Nervenfächers bezeichnet man als laterale Pa-rotidektomie. Hilfreich bei der Parotischirurgie ist daselektrophysiologische Monitoring des N. facialis.

Medial des Nervenfächers liegen Äste der A. carotisexterna (A. temporalis superficialis, A. transversa faciei)und Venen, die der V. jugularis interna zufließen.

Der Lymphabfluss der Glandula parotidea erfolgt übermehrere intra- und periglandulär gelegene Lymphknoten

in die submandibulären und tiefen jugulären Lymphsta-tionen.Innervation: Die sekretorische Innervation der Glandulaparotidea erfolgt aus dem Kerngebiet des Nucleus saliva-torius inferior, der über den N. glossopharyngeus via N.tympanicus und N. petrosus minor Fasern in das Ganglionoticum entsendet. Nach der dortigen Umschaltung lagernsich die sekretorischen Fasern dem N. auriculotemporalis(V3) an und ziehen in die Drüse (s. Abb. 16.4, S. 284).

6.1 Klinisch relevante, topographische Anatomie der Kopfspeicheldrüsen

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Glandulaelabiales

Glandulaepalatinae

Glandulaepharyngeae

Glandulaelinguales

Glandulaebuccales

Abb. 6.2 Kleine Kopfspeicheldrüsen

Exkurs: Embryologie, Fehlbildungen und Anomalien

EmbryologieDie großen Kopfspeicheldrüsen entstehen aus ektodermalen An-lagen beim Kopfdarm zwischen der 4. und 8. Embryonalwoche. Dasumgebende Mesenchym trennt die Drüse ab, es kann Lymphkno-tenanlagen einschließen. Die Ausführungsgänge werden ab der22. Embryonalwoche durchgängig.FehlbildungenAplasien, Hypoplasien, Gangatresien: Eine Aplasie aller Speichel-drüsen ist extrem selten. Fehlbildungen sind auch für einzelneSpeicheldrüsen selten. Gangatresien betreffen vorwiegend die Glan-dula submandibularis, es können sich Zysten bilden.Dystopien, akzessorische und aberrierende Speicheldrüsen: Dys-topien sind Verlagerungen regelrecht aufgebauter Speicheldrüsen,

z. B. eine Verlagerung der Glandula parotidea vor den M. masseter.Akzessorische Speicheldrüsen sind Anhängsel an die großen Kopf-speicheldrüsen mit Anschluss ans Gangsystem und voller Funktions-tüchtigkeit. Sie sind am häufigsten im Bereich der Glandula paroti-dea zu finden (s. Abb. 6.1). Aberrierende Speicheldrüsen sind hete-rotope Speicheldrüsenanlagen ohne Gangsystem und ohne funk-tionelle Bedeutung. Sie kommen am häufigsten in der seitlichenHalsregion, im Zahnfleischbereich und selten im Mittelohr vor. Eskönnen sich daraus auch Speicheldrüsentumoren entwickeln.Dysgenetische Zysten und Ektasien: Diese Fehlbildungen der Aus-führungsgänge müssen von erworbenen, ähnlichen Veränderungenunterschieden werden. Sie können zu rezidivierenden Entzündun-gen prädisponieren.

Exkurs: Frey-Syndrom

Nach Eingriffen in der Regio parotidea entsteht praktisch regelmä-ßig das so genannte Geschmacksschwitzen, aurikulotemporale Syn-drom bzw. Frey-Syndrom: Bei Nahrungsaufnahme kommt es zumSchwitzen der Haut in der Parotisregion.Ursache hierfür ist eine Fehlregeneration operativ durchtrenntersympathischer sudomotorischer Nerven mit parasympathischensekretorischen Nerven des N. auriculotemporalis. Ein nahrungsbe-dingter Sekretionsreiz über den Parasympathikus löst dann die Akti-

vität der Schweißdrüsen aus. Möglich ist diese Wechselwirkungzwischen Sympathikus und Parasympathikus nur deshalb, weil derSympathikus im Bereich der Schweißdrüsen ebenso wie der Para-sympathikus auf den Neurotransmitter Acetylcholin zurückgreift.Vor Eingriffen an der Parotis muss über diese harmlose, aber lästigeFolge aufgeklärt werden. Erforderlichenfalls kann eine Therapie mitlokalen Antiperspiranzien oder Botulinumtoxin erfolgen.

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6.1.3 Glandula submandibularis

Synonym: UnterkieferspeicheldrüseLage: Die Glandula submandibularis liegt im Trigonumsubmandibulare zwischen den beiden Bäuchen des M.digastricus und dem Unterkiefer. Die Drüse umfasst U-förmig den hinteren Rand des M. mylohyoideus. Der äu-ßere Teil der Drüse ragt individuell verschieden stark überdas Dreieck hinaus und wird von der äußeren Halsfaszieüberzogen. Die Drüsenloge verbindet somit die sublin-guale Etage mit der hinteren Etage des Mundbodens.Infektionen können sich auf diesem Weg ausbreiten(Mundbodenphlegmone, -abszess).Ductus submandibularis (Wharton-Gang): Der etwa 5 cmlange Ausführungsgang zieht mit dem Processus sublin-gualis der Drüse in die sublinguale Etage des Mundbodensund unter der Schleimhaut nach ventral. Er überkreuztdabei den N. lingualis (Abb. 6.3) und mündet neben demFrenulum linguae in die Caruncula sublingualis.Nerven und Gefäße: Der N. lingualis liegt nicht nur demAusführungsgang eng an, er verläuft unmittelbar kranialam Drüsenkörper als Knie vorbei und gibt dort die Nervenzum Ganglion submandibulare ab. Inferiomedial derDrüse verläuft der N. hypoglossus. Die A. und V. facialisumfassen den dorsalen Anteil der Drüse. Der Ramus mar-ginalis des N. facialis verläuft nahe dem Rand des Unter-kiefers und ist daher bei der Submandibulektomie gefähr-det, insbesondere, wenn der Hautschnitt zu nahe am Un-terkieferrand geführt wird und scharfe Haken zum Einsatzkommen.

Der Lymphabfluss der Drüse mündet in Lymphknotenim lateralen und dorsokaudalen Bereich der Drüse, in dieauch die Lymphabflüsse des Gesichtes und der Mund-höhle münden. Im Gegensatz zur Glandula parotidea hatdie Glandula submandibularis keine intraglandulärenLymphknoten. Bei operativer Behandlung der Lymphab-flussgebiete im Halsbereich (Neck dissection, s. S. 303)muss je nach Lokalisation des Primärtumors (z. B. anterio-rer Mundboden) die Glandula submandibularis mit ent-fernt werden, um auch periglanduläre Lymphknoten zuerfassen.Innervation: Die parasympathischen sekretorischen Fa-sern entstammen dem Nucleus salivatorius superior, la-gern sich als N. intermedius dem Nervus facialis an undziehen zum Ggl. geniculi, von dort als Chorda tympaniweiter zum Ganglion submandibulare, in dem die Um-schaltung erfolgt. Von dort ziehen die sekretorischen Fa-sern mit dem N. lingualis in die Drüse (s. Abb. 14.1, S. 264).

6.1.4 Glandula sublingualis

Synonym: UnterzungenspeicheldrüseDie Glandula sublingualis liegt im vorderen Mundbo-

denbereich submukös auf dem M. mylohyoideus, der In-nenfläche der Mandibula anliegend und lateral vom Duc-tus submandibularis (s. Abb. 6.3). Ausführungsgänge kön-nen in den Ductus submandibularis oder als kleine Gängedirekt in die Schleimhaut münden.

Die sekretorische Innervation erfolgt auf dem gleichenWeg wie bei der Gl. submandibularis beschrieben (s.Abb. 14.1).

6.2 Funktionell-morphologischeund physiologische Grundlagender Kopfspeicheldrüsen

Als weitere Grundlage für das Verständnis von Störungender Speicheldrüsenfunktion werden der gemeinsame his-tologische Aufbau der Drüsen, die physiologischen Funk-tionen des Speichels und die klinischen Begriffe der Sekre-tionsstörung erläutert.

6.2.1 Histologischer Aufbau

Alle Speicheldrüsen weisen ein gemeinsames Bauprinzipauf: Drüsenazini sind mit einem Speichelgangsystem ver-bunden (Abb. 6.4). Die Azini und das Gangsystem sind inein Drüsenmesenchym eingebettet, das Bindegewebe,Blut- und Lymphgefäße, Lymphgewebe und Nervenfasernenthält.

DrüsenaziniDie Drüsenazini bilden den Primärspeichel mit Enzymen(u. a. Amylase) und Sialomuzinen. Nach dem Anteil der

6 Kopfspeicheldrüsen

aus: Probst u. a., Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (ISBN 9783131190338) © 2008 Georg Thieme Verlag KG

Zungenbändchen

Caruncula

Glandula sublingualis

Ductussubmandibularis(Wharton-Gang)

N. lingualis

Abb. 6.3 Ductus submandibularisÜbersicht der enoralen topographischen Anatomie der Glandulasublingualis und des Ductus submandibularis

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6.2 Funktionell-morphologische und physiologische Grundlagen der Kopfspeicheldrüsen

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Abb. 6.4 Bauprinzip der Speicheldrüsen a seriöse Drüse, b muköse Drüse, c gemischte Drüse

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gebildeten Menge von Enzymen und Muzinen unterschei-det man verschiedene histologische Typen:I seröse Drüsen: vorwiegend Enzymproduktion (z. B.

Glandula parotidea)I muköse Drüsen: vorwiegend Muzinproduktion (z. B.

Glandulae palatinae)I gemischte Drüsen (z. B. Glandulae submandibularis und

sublingualis).

Zu den Drüsenazini gehören Myoepithelzellen, die denAzinus netzartig umgeben und ihn infolge ihrer Kontrak-tilität ausdrücken können.

Bei den gemischten Drüsen finden sich muzinöse undseröse Azini. Den muzinösen Azini können seröse Azini alsv. Ebnersche Halbmonde bzw. Endkappen aufsitzen.

SpeichelgangsystemDas Speichelgangsystem oder duktale Funktionssystem istkein passives Transportsystem, sondern in ihm findenwesentliche Veränderungen des Primärspeichels statt. Inden kurzen Schaltstücken werden Muzine sezerniert undElektrolytkonzentrationen reguliert. Die anschließendenStreifenstücke können schnell und aktiv Flüssigkeit sezer-nieren. Es folgt das interlobuläre Gangsystem, das denSpeichel nur noch wenig verändert und vorwiegendtransportiert.

6.2.2 Zusammensetzung des Speichels

Die Kopfspeicheldrüsen produzieren dauernd eine ge-wisse Menge Speichel. Die Produktion ohne äußereEinflüsse wird Ruhesekretion genannt und hängt wahr-scheinlich mit der Grundaktivität der Nuclei salivatoriizusammen. Äußere und innere Einflüsse, insbesonderedie Nahrungsaufnahme und damit zusammenhängendeStimulationen wie Kaubewegungen, Gerüche usw. kön-nen die Sekretionsrate wesentlich steigern. Es kommtzur Reizsekretion, die für die Glandula parotidea etwa 4-bis 5-mal höher als die Ruhesekretion ist (Tab. 6.1).

Alle Kopfspeicheldrüsen zusammen produzieren etwa500–1000 ml Speichel pro Tag, wobei viele Faktoren wieKlima, Flüssigkeitszufuhr, Ernährung, Alter und Ge-schlecht diese Menge beeinflussen (Tab. 6.2). Die Spei-chelproduktion wird vorwiegend durch parasympa-thisch-cholinerge Reize gesteuert. Sympathische Reizetragen aber über α- und β1-adrenerge Rezeptoren zurSteuerung, vor allem der α-Amylase, bei.

6.2.3 Physiologische Funktiondes Speichels

Ernährung und VerdauungNeben Befeuchtung und Kühlung der Nahrung emulgiertund löst der Speichel Nahrungsbestandteile und trägt sozum Schmecksinn bei. Er erhöht mit seinen Glykoprotei-nen die Gleitfähigkeit des Bolus für den Schluckakt. Daseigentliche Verdauungsenzym ist die α-Amylase, ein stär-kespaltendes Enzym, das vorwiegend aus der Glandulaparotidea stammt.

Protektive FunktionenMenge und Zusammensetzung des Speichels haben ent-scheidenden Einfluss auf das mikrobiologische und anor-ganische Milieu der Mundhöhle. Es spielen mechanischeReinigung (Spülung) sowie die Sekretion von Enzymen(Lysozym, Muramidasen, Peroxidasen) und Immunglobu-linen (vor allem IgA) eine Rolle.

Die Speichelproduktion ist für die Zähne und eine ge-sunde Mundschleimhaut notwendig.

ExkretionKörpereigene und fremde Stoffe können im Speichel aus-geschieden werden. Klinisch wichtig ist die Ausscheidunggewisser Ionen (Jod, Fluor) und von Viren, die den Speichelzu einem infektiösen Sekret machen können (Poliomyeli-tis, Hepatitis B, Epstein-Barr, Zytomegalie, Coxsackie, Ra-bies, HIV, Mumps, HHV 6, 7 und 8). Die Ausscheidung vongenetisch determinierten Glykoproteinen mit einem Anti-genitätsverhalten, das dem AB0-System ähnlich, aber vonihm unabhängig ist, kann von forensischer Bedeutungsein. (Bei der in der Kriminalistik häufig angewendeten„Speichelprobe“ wird hingegen eine DNA-Analyse vondurch Bürstenabstrich gewonnenen Epithelzellen vorge-nommen.)

6 Kopfspeicheldrüsen

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Tab. 6.1 Ruhesekret vs. Reizsekret

Ruhesekret Reizsekret

Herkunft überwiegend aus derGlandula submandibula-ris, sublingualis und denkleinen Speicheldrüsen

überwiegend aus derGlandula parotidea

Konsistenz relativ mukös eher serös

Inhalt Muzine, wenig Enzyme Enzyme, weniger Muzine

pH 5,5–6 7,6–7,8

Tab. 6.2 Beeinflussung der Speichelproduktion

Hypersalivation Hyposalivation

akute Entzündungen der Drü-sen und der Mundschleimhaut

Depression

Nahrungsreize, Säuren, Vergif-tungen (Quecksilber, Arsen,Blei), Übelkeit, Schwanger-schaft

chronische Entzündungen derDrüsen, Dehydratation, Maras-mus, Bestrahlung

Parasympathikomimetika (z. B.Pilocarpin, Muscarin, Nikotin),Jodid, Bromid, Fluorid, Curare,Theophyllin, Coffein

Anticholinergika bzw. Para-symphatikolytika (z. B. Atropin,Scopolamin, Glykopyrrolat),α-Rezeptoren-Blocker (z. B.Phentolamin), β-Rezeptoren-Blocker (z. B. Propranolol), An-tihistaminika, Antihypertensiva(z. B. Clonidin, Reserpin), Psy-chopharmaka (z. B. Antide-pressiva, Neuroleptika), Ober-flächenanästhetika

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SekretionsstörungenStörungen der Speichelproduktion, des Transports unddes Verbrauchs können zu Veränderungen der Speichel-qualität und -quantität führen. Allgemein werden solcheStörungen als Dyschylie bezeichnet. Mehrere Begriffewerden für einen vermehrten Speichelfluss gebraucht,die nicht immer scharf voneinander getrennt werden(Tab. 6.3). Bei der Sialorrhö muss die Menge des Speichels,anders als bei der Hypersalivation, nicht vermehrt sein.Sie kann vor allem bei Kindern mit zerebraler Parese zueinem bedeutenden pflegerischen Problem werden.

Die Erkrankung, die aus einer ausgeprägten Hyposali-vation entsteht, wird entweder als Xerostomie (Mundtro-ckenheit) oder Sicca-Syndrom (Konjunktiva und andereSchleimhäute mitbetroffen) bezeichnet. Sie geht oft mitsehr quälenden Beschwerden einher.

6.3 Klinische Untersuchung,bildgebende Verfahren undBiopsie der Kopfspeicheldrüsen

Häufig kann eine Speicheldrüsenerkrankung bereits auf-grund einer genauen klinischen Untersuchung einer Ent-zündung oder einem Tumor zugeordnet werden. Zur wei-teren Diagnostik werden primär der Ultraschall, sekundärauch CT und MRTeingesetzt. Insbesondere bei Tumoren istdie pathohistologische Untersuchung für die Therapiepla-nung unerlässlich.

6.3.1 Klinische Untersuchung

AnamneseEs ist besonders zu achten auf:I Allgemeinerkrankungen, besonders Stoffwechselstö-

rungen (z. B. Diabetes mellitus und andere Endokrino-pathien), die einen allgemeinen Einfluss auf die Spei-cheldrüsen ausüben können

I Einnahme von Medikamenten (Antihypertensiva, Psy-chopharmaka; s. Tab. 6.2)

I frühere Erkrankungen, Eingriffe oder Therapien (Ra-diotherapie, Radiojodtherapie) im Bereich der Drüsenund Mundhöhle

I Erkrankungen des rheumatologischen FormenkreisesI Hyper- und Hyposalivation sowie Sialorrhö- oder Sicca-

Syndrom (s. Tab. 6.3).

InspektionEs werden die Drüsen von außen (periaurikuläre undsubmandibuläre Region), die Mundhöhle und die Tonsil-lenregion inspiziert. Auch die Gesichtsmotorik (N. facialis)soll geprüft werden.Von außen: Normalerweise kann nur die flache Kontur derGlandula submandibularis im Trigonum submandibularebei zart bedeckender Haut erkannt werden, eine normale

Glandula parotidea ist nicht sichtbar. Eine Masseterhyper-trophie kann eine Vergrößerung der Glandula parotideavortäuschen. Die Unterscheidung gelingt leicht durch Zu-sammenbeißen der Zähne. Dadurch wird der M. masseteraktiviert, was sowohl inspektorisch als auch palpatorischerfasst werden kann.Mundhöhle: Beurteilung der Ausführungsgänge (Whar-ton- und Stenon-Gang) mit ihren Öffnungen (Rötung,Schwellung). Der Speichel- oder Sekretfluss, spontanoder nach Massage der entsprechenden Drüse, ist einwichtiger Parameter, der zwischen Obstruktion, Entzün-dung und Normalbefund unterscheiden lässt (Speichelklar oder Sekret fehlend, flockig, eitrig, blutig).Tonsillenregion (Abb. 6.5): Die parapharyngeale oder Ton-sillenregion kann durch Schwellung der tiefen Anteile derGlandula parotidea vorgewölbt werden.

! Bei Veränderungen der Glandula parotidea, besonders beitumorösen Veränderungen, soll die Funktion des N. facialisim Seitenvergleich immer untersucht und festgehalten werden.

PalpationEine normale Glandula parotidea ist kaum zu palpieren.Die Glandulae submandibularis, sublingualis und die Aus-führungsgänge werden bimanuell palpiert (Abb. 6.6). Be-fundparameter sind Größe von Veränderungen in Zenti-meter, Konsistenz, Oberflächenprofil, Dolenz, Verschieb-lichkeit gegen Unterlage und Haut.

Die intra- und periglandulären sowie die zervikalenLymphknoten werden immer mituntersucht.

6.3 Klinische Untersuchung, bildgebende Verfahren und Biopsie der Kopfspeicheldrüsen

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Tab. 6.3 Begriffe für die Bezeichnung von Sekretionsstörungen

Störung Symptome

Dyschylie allgemeine Störung der Speichelse-kretion/-produktion

HypersalivationSynonyme: Hypersialie,Ptyalismus

vermehrter SpeichelflussUrsachen: s. Tab. 6.2

Sialorrhö pathologisches Abfließen des Spei-chels aus dem Mund („Sabbern“,„Drielen“) Ursachen sind Schluck-störungen bei:I neurologischen Erkrankungen

(Morbus Parkinson, Bulbärpara-lyse, Epilepsie, Myasthenia gravis,Zerebralparese)

I mechanischen Hindernissen(Pharynxtumoren/Ösophagusob-struktion)

HyposalivationSynonyme: Hyposialie,Sialopenie

verminderter SpeichelflussUrsachen: s. Tab. 6.2

Asialie kein Speichelfluss

Xerostomie Trockenheit der Mundschleimhaut

Sicca-Syndrom Trockenheit der Mund- und andererSchleimhäute (Konjunktiva, Geni-talschleimhäute)

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6.3.2 Bildgebende Verfahren

Ultraschalluntersuchung: Sie hat sich als wenig belasten-des und aufschlussreiches Verfahren für die Diagnostikder Speicheldrüsen erwiesen. Es können das normaleDrüsenparenchym, entzündliche Prozesse mit oder ohneEinschmelzungen, Tumoren, Lymphknoten, Steine undein Aufstau des Gangsystems abgegrenzt werden

(Abb. 6.7). In der Regel wird die Ultraschalluntersuchungals erstes bildgebendes Verfahren eingesetzt. Es kann mitder Feinnadelbiopsie kombiniert werden.Röntgen-Übersichtsaufnahmen: Wegen Überlagerungensind konventionelle Leeraufnahmen des Mundbodens,der Glandula submandibularis und der Glandula parotideaselten indiziert. Konkremente müssen, um radiologischnachweisbar zu sein, einen ausreichenden Kalkgehalt auf-weisen und mindestens 2–3mm groß sein.Sialographie: Die Kontrastmitteldarstellung der Ausfüh-rungsgänge nach Katheterisierung ergibt die genauesteDarstellung der Gangsysteme der Glandulae parotideaund submandibularis. Wegen möglicher Komplikationen(Infektion, Abszessbildung, Extravasat) und durch denEinsatz des Ultraschalls, der Computertomographie (CT)und der Magnetresonanztomographie (MRT) wird die frü-her wichtige Sialographie heute nur noch selten durchge-führt. Zu den möglichen Indikationen gehören der Nach-weis von kleinen Steinen in den Ausführungsgängen, Ano-malien der Ausführungsgänge, Sialadenosen und chroni-schen Entzündungen.

! Die Sialographie ist bei akuten Entzündungen kontraindiziertund bei anderen Speicheldrüsenerkrankungen allenfalls sekun-där indiziert.

Computertomographie (CT) und Magnetresonanztomo-graphie (MRT): Prozesse der Speicheldrüsen, die mit derAnamnese, der Palpation und dem Ultraschall nicht hin-reichend abgeklärt werden können, müssen mit der MRToder mit der CT untersucht werden. Dies trifft vor allemfür Tumoren und Raumforderungen zu, die die Drüsen-grenze überschreiten oder die tiefen Anteile der Glandulaparotidea betreffen (Abb. 6.5). Die MRT ist der CT bei der

6 Kopfspeicheldrüsen

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Mastoid

N. facialis

Glandulaparotis

Unterkiefer

Tonsille

Tumor

a

b

Abb. 6.5 Tiefer Parotistumora Tumor der tiefen Parotisanteile, der zu einer Vorwölbung derTonsillenregion führen kann (sog. Eisbergtumor).b Darstellung eines Eisbergtumors im MRT.

Glandulasublingualis

Glandulasubmandibularis

Lymphknoten

Abb. 6.6 Palpation des MundbodensBimanuelle Palpation der Glandula submandibularis.

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Diagnostik von Tumoren der Speicheldrüsen wegen deshöheren Weichteilkontrasts überlegen (Abb. 6.9a–c).

SialoendoskopieDie Inspektion der großen Ausführungsgänge (Stenon-und Wharton-Gang) kann auch mit speziellen Endosko-pen erfolgen. Diese werden unter Lokalanästhesie, ggf.nach Dilatation der Papillen eingeführt. Die Endoskopieerfolgt unter Spülung des Ganges, sie erlaubt die Erken-nung von Schleimpfropfen, Konkrementen oder Stenosen.Es können auch therapeutische Interventionen wie eineGangdilatation oder die Entfernung eines Konkrementesmittels Schlinge oder Laserzertrümmerung durchgeführtwerden.

BiopsieFeinnadelaspirationsbiopsie: Die Feinnadelaspirations-biopsie, kurz FNB, hat sich als risikoarmes, kaum belasten-des Verfahren in der präoperativen Diagnostik von Spei-cheldrüsenschwellungen erwiesen. Es kann damit auchMaterial für bakteriologische Untersuchungen gewonnenwerden. Tiefer liegende Prozesse können ultraschallge-steuert punktiert werden. Sensitivität und Spezifität derFNB sind allerdings nicht sehr hoch.

Die wichtigste Komplikation der FNB ist eine Sekundär-infektion durch die Punktion, weshalb eine sterile Arbeits-weise für die FNB notwendig ist.

In speziellen Fällen (z. B. ausgedehnte Tumoren) kannauch eine Grobnadelbiopsie erfolgen, wobei hierbei po-tenziell Stichkanalmetastasen und Fazialisschädigungenvorkommen können.

6.3 Klinische Untersuchung, bildgebende Verfahren und Biopsie der Kopfspeicheldrüsen

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a b

Abb. 6.7 Ultraschall der Speicheldrüsen.a Großer Speichelstein im Wharton-Gang mit distaler Schallauslöschung und gestautem Wharton-Gang (Sonografiebefund und Schema).b Gut abgrenzbarer Tumor in der Glandula parotidea mit farbdopplersonographischer Darstellung der Vaskularisation.

nasal

dorsal

Tonsille

rechteGlandulaparotis

V. jugularisinterna

M. sterno-cleidomastoideus

Oberkiefer

M. masseter

Mandibula

M. pterygoideus

linke Glandulaparotis

Abszess

A. carotisexterna

A. carotisinterna

rechts links

Abb. 6.8 Glandula parotidea mit AbszessComputertomographie mit anatomischer Begleitskizze eines Abszesses der Glandula parotidea links. Axiale Schichtung auf Höhe des hartenGaumens. Weichteilfenster nach Kontrastmittelgabe.

127

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Probebiopsie und intraoperativer Schnellschnitt: Nicht-entzündliche Raumforderungen der großen Speicheldrü-sen sollten in aller Regel komplett und ohne Verletzungder Tumorkapsel entfernt werden, wobei je nach histopa-thologischem Befund auch Teile der Drüse bzw. die komp-lette Drüse, bei Malignomen auch die regionären Lymph-knoten entfernt werden müssen bzw. sollten. Insoweitsind präoperative Probebiopsien in aller Regel entbehr-lich, zumal das Risiko einer Fazialisverletzung besteht. DasErgebnis der intraoperativen Schnellschnittdiagnostikhilft bei der Entscheidung zur Erweiterung der Operation(Komplettierung der Drüsenentfernung, Neck dissection).Bei generalisierten Speicheldrüsenveränderungen (z. B.myoepitheliale Sialadenitis = Sjögren-Syndrom) kann dieBiopsie einer kleinen Speicheldrüse der Unterlippe einehistologische Diagnose ergeben, wobei es hier zur Ver-letzung von sensiblen Nervenästen des N. trigeminus

kommen kann und die Sensitivität nur gering ist. DieAussagekraft der offenen Parotisbiopsie ist weitaus höherund ist trotz des höheren operativen Aufwandes zu be-vorzugen.

6.4 Überblick: DiagnostischeÜberlegungen und Vorgehen beiSpeicheldrüsenschwellung

Erkrankungen der Kopfspeicheldrüsen zeigen sich häufigin einer ein- oder beidseitigen Schwellung der Drüse(n).Eine solche Schwellung führt zu differenzialdiagnostischenÜberlegungen, bei denen Anamnese, klinische Untersu-chung, bildgebende Verfahren und Biopsie wichtig sind(s. Kapitel 6.3, S. 125). Dieses Kapitel gibt einen Überblicküber die sinnvolle „Zusammenschaltung“ der diagnosti-schen Möglichkeiten in der Praxis (s. hierzu auchKapitel 6.7, S. 138).

Schwellungen einer oder mehrerer Speicheldrüsen kön-nen durch Gangobstruktionen, Entzündungen und Tumo-ren verursacht werden. Eine sorgfältige Anamnese undder körperliche Untersuchungsbefund gestatten meisteine Differenzialdiagnostik, aus der sich die weiterendiagnostischen Maßnahmen ergeben. Besonders wichtigist dabei der klinische Verdacht auf einen malignen Tu-mor. Die Abb. 6.10 fasst wichtige klinisch-differenzial-

6 Kopfspeicheldrüsen

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a

b

c

Abb. 6.9 Glandula parotidea mit TumorMagnetresonanztomographie mit anatomischer Begleitskizze einesMukodermoidkarzinoms. a koronare, b und c axiale Schichtung.

chronischeSchwellung

StaseSialolithiasis

dolentgerötet

einseitig

akute eitrigeSialadenitis

viraleSialadenitis

Zyste oderallergischeReaktion

SialadenoseImmunsial-

adenitis

chronischeSialadenitis

Tumor

beidseitig

einseitig

diffus

dolentdiffus

beidseitig

wenigdolent

umschrieben

diffus

bei Nahrungs-aufnahme

zunehmend

akuteSchwellung

konstant

Abb. 6.10 Akute und chronische Speicheldrüsenschwellung

128

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diagnostische Schritte zusammen. Die allgemeinen Labor-untersuchungen sind für die Unterscheidung zwischenEntzündung und Tumor ebenfalls hilfreich. Erhöhte Leu-kozytenzahl, BSG oder CRP sprechen für eine Entzündung.Tumoren der Speicheldrüsen führen im Allgemeinen nichtzu Veränderungen der Routineblutuntersuchungen. Eineeher seltene Ausnahme stellt eine durch Tumorobstruk-tion hervorgerufene Stase und eine daraus entstehendeInfektion dar.

Nach der klinischen Untersuchung ist in der Regel dienächste diagnostische Maßnahme eine Ultraschallunter-suchung. Es lassen sich damit Veränderungen des Gang-systems nachweisen und/oder eine nähere Charakterisie-rung einer Schwellung erreichen, wie beispielsweise dieAbgrenzung von Zysten gegen solide Prozesse. Die so vor-liegende Information erlaubt meist eine Diagnose oder dieEinleitung weiterer gezielter diagnostischer Schritte, wiesie in Abb. 6.11 angegeben sind.

Die endgültige Diagnose einer Drüsenschwellung wirdgelegentlich erst im Rahmen der operativen Therapie er-reicht.Dies trifft vor allem für Tumoren zu. Klinisch äußernsich Tumoren durch eine mehr oder weniger schmerzlose,meist einseitige Schwellung und Knotenbildung. Es gilt,gutartige von malignen Tumoren zu unterscheiden.Für einen gutartigen Tumor sprechen:I langsames Wachstum (Monate bis Jahre)I schmerzloser, weicher oder prall elastischer und gut

verschieblicher KnotenI keine Zeichen von Tumorinfiltration in das umliegende

GewebeI keine weiteren Symptome.Für einen malignen Tumor sprechen:I schnelles Wachstum (Wochen bis Monate)I nicht verschieblicher, gelegentlich schmerzhafter Kno-

ten

I Zeichen der Tumorinfiltration in Muskeln, Haut oderNerven (insbesondere Fazialisparese (Abb. 6.12) und

I Lymphknotenvergrößerungen.

! Eine Fazialisparese bei einem Tumor in der Gl. parotidea deutetfast immer auf einen malignen Tumor hin.

Die Lokalisation eines Speicheldrüsentumors kann eben-falls Hinweise zur Differenzialdiagnose eines Tumors ge-ben.

! 80 % der Tumoren der Kopfspeicheldrüsen sind in der Gl. pa-rotidea lokalisiert, etwa 10 % in der Gl. submandibularis und10 % in den anderen Speicheldrüsen.

Lediglich etwa 20 % der Tumoren in der Glandula paroti-dea sind maligne, während bei Tumoren in den anderenSpeicheldrüsen in mindestens der Hälfte der Fälle miteinem Malignom gerechnet werden muss.

! Beim Vorliegen eines Tumors gilt: je kleiner die Speicheldrüse,umso höher die Wahrscheinlichkeit für ein Malignom.

Tumoren können zytologisch mit der FNB in etwa 80% derFälle näher charakterisiert werden. Dabei spricht der po-sitive Nachweis von malignen Zellen mit großer Wahr-scheinlichkeit für das tatsächliche Vorliegen eines malig-nen Tumors. Andererseits schließt das Fehlen von malig-nen Zellen in der FNB ein Malignom nie vollständig aus.Letztlich ist also nahezu immer die vollständige operativeEntfernung der Raumforderung mit pathohistologischerUntersuchung erforderlich.

6.4 Überblick: Diagnostische Überlegungen und Vorgehen bei Speicheldrüsenschwellung

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Operation mitSchnellschnitt-untersuchung

MRTEndoskopie

umschriebeneSchwellung

MRT

Verdacht auf Malignomoder großen Tumor

Verdacht aufgutartigen Tumor

evtl.FNB und MRT

oder CT

evtl. FNB

FNB

Biopsie

MRToder

oder

diffuseSchwellung

Einschmelzung/Zyste

Konkrement/Gangektasie evtl.

evtl.

2. Ultraschall-untersuchung

1. Anamnese,Inspektion,

Palpation

Abb. 6.11 Stufendiagnostik von Speicheldrüsenerkrankungen

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6.5 Nichtentzündliche Erkrankungenund Verletzungen der Kopf-speicheldrüsen

In diesem Kapitel werden Veränderungen der Speichel-drüsen dargestellt, die keine primäre Entzündung undkeinen Tumor darstellen. Die wichtigsten sind: Sialolithia-sis, Sialadenosen und Verletzungen.

6.5.1 Sialolithiasis

Synonym: Speicheldrüsensteinengl.: sialolithiasis, calculus disease

Definition: Konkrementbildung im Ausführungsgangsys-tem oder im Parenchym einer Speicheldrüse.

Epidemiologie: Es sind hauptsächlich Erwachsene im 2.–4. Lebensjahrzehnt und vermehrt das männliche Ge-schlecht (2 : 1) betroffen. Die Inzidenz einer behandlungs-bedürftigen Sialolithiasis wird mit 30–60/Million angege-ben. Bei Sialolithiasis-Patienten findet sich keine signifi-kante Häufung von anderen Steinerkrankungen (Harn-blase, Gallenblase).

Lokalisation: 60–70% der Parotissteine und etwa ein Drit-tel der Submandibularissteine sind im Ausführungsganglokalisiert, über 50% der Submandibularissteine befindensich im Drüsenhilus.

! Speichelsteine finden sich zu 70 –80 % in der Glandula sub-mandibularis und zu etwa 20 % in der Glandula parotidea. Zueinem geringen Prozentsatz finden sich Steine in den kleinenSpeicheldrüsen oder der Glandula sublingualis.

Ätiopathogenese: Speichelsteine sind sekundäre Verkal-kungen von „Speichelpfropfen“ aus angereicherten orga-nischen Speichelinhalten (Speichelmuzine). Eine Mikro-verkalkung kann zu vermehrter Speichelstase und zumAusfallen organischer Substanzen führen.

Symptome: Die Nahrungsaufnahme oder andere gustato-rische Reize führen zu einer oft sehr schmerzhaftenSchwellung der betroffenen Drüse („Speichelsteinkolik“).Daneben kann ein stauungsbedingter „Tumor salivaris“bestehen. Die Stase kann zu einer Infektion des Ausfüh-rungsganges und der Drüse führen, die als primäres odersekundäres Symptom vorhanden sein kann (s. „AkuteSialadenitis“, S.133).

Diagnostik: Im Gangsystem der Glandula submandibularislassen sich Steine oft bimanuell palpieren. In der Ultra-schalluntersuchung zeigen sich typischerweise eine dor-sale Schallauslöschung und eine Aufweitung des Gangsys-tems proximal des Steins (Abb. 16.3 a). Etwa 70% derSteine sind röntgendicht, vorwiegend diejenigen derGlandula submandibularis. Die Ultraschalldiagnostik hatallerdings die radiologische Diagnostik einschließlich derSialographie fast vollständig abgelöst.

6 Kopfspeicheldrüsen

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a b

Abb. 6.12 Fazialisparese bei SpeicheldrüsentumorMukoepidermoidkarzinom der rechten Glandula parotidea mit Fazialisparese, die eine Tumorinfiltration des Nervs anzeigt.

130

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Differenzialdiagnose: Eine Obstruktion des Ausführungs-ganges von außen, z. B. durch Zahnprothese oder Tumor,stellt die häufigste Differenzialdiagnose dar. Selten sindPhlebolithen, sehr selten verkalkte Lymphknotentuberku-lome.

Komplikationen: Infektion (akute Sialadenitis) und Abszessder Submandibular- oder Parotisloge.

Therapie: Die Therapie des Speichelsteinleidens folgt fol-gendem Algorithmus:I Bei symptomatischer Erkrankung erfolgt zunächst über

drei Monate eine konservative Behandlung mit Sialo-goga (z. B. saure Bonbons, Kaugummi etc.) und (nichtsteroidalen) Antiphlogistika. Akute Sialadenitidenmüssen zusätzlich antibiotisch behandelt werden, abs-zedierende Erkrankungen bedürfen der Operation.Hilfreich kann auch eine Dilatation des Ausführungs-gangs sein.

I Mittels der Gangendoskopie können Steine unter Zu-hilfenahme von Schlingen und Körbchen geborgenwerden.

I Submandibularissteine: Von enoral palpable Steinewerden mittels Gangschlitzung des Wharton-Gangsentfernt, danach wird der eröffnete Gang beidseits mitder Mundhöhlenschleimhaut vernäht, so dass eine „of-fene Rinne“ entsteht (sog. Marsupialisation [Abb.6.13 b]); nicht palpable Steine und Steine im Parenchymkönnen durch eine extrakorporale Stoßwellenlitho-tripsie behandelt werden. Erweisen sich diese Maß-nahmen als nicht ausreichend, verbleibt die Subman-dibulektomie als definitive Lösung.

I Parotissteine: Eine Gangschlitzung des Stenon-Gangsist wegen seines anatomischen Verlaufs und Aufbauskontraindiziert, eine vorsichtige Dilatation ist möglich.Somit ist die extrakorporale Stoßwellenlithotripsie, ggf.auch mehrmals, die Behandlungsmethode der Wahl.Nur selten ist eine Parotidektomie erforderlich.

6.5 Nichtentzündliche Erkrankungen und Verletzungen der Kopfspeicheldrüsen

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a

Konkrement

N. lingualis

Wharton-Gang

b

131

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6 Kopfspeicheldrüsen

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Exkurs: Speicheldrüsenzysten

Zysten der Speicheldrüsen müssen gegen Tumoren und chronischeEntzündungen abgegrenzt werden. Man kann verschiedene Formenunterscheiden:Dysgenetische Zysten: Diese primären, durch eine Fehlentwicklungentstandenen Zysten müssen von sekundären, erworbenen unter-schieden werden. Dysgenetische Zysten kommen am häufigsten inder Glandula sublingualis und ihren Ausführgängen vor, wo sieRanula („Fröschlein“, wegen ähnlichem Aussehen wie die Kehlblaseeines Frosches) genannt werden (Abb. 6.14). Bei entsprechenderGröße kann eine Ranula die Zungenbeweglichkeit behindern undSchluck- oder Sprechstörungen verursachen. Eine Infektion kannebenfalls auftreten. Die Therapie besteht in der operativen Marsu-pialisation. Dysgenetische Zysten der Glandula parotidea könnensich vor allem im Kindesalter entzünden.Speichelgangzysten kommen vorwiegend in der Glandula paroti-dea vor. Als Komplikation kann eine Infektion auftreten.Mukozelen und Retentionszysten der kleinen Speicheldrüsen:Verletzungen von kleinen Speicheldrüsen können zu Schleimaustrittins Gewebe und dort zur Bildung einer Pseudozyste führen. Gang-obstruktionen führen zu echten Zysten (= Retentionszysten) miteiner Epithelauskleidung. Beide Formen kommen vorwiegend inder Unterlippenschleimhaut vor. Man soll immer auch an die Mög-lichkeit einer Tumorbildung der kleinen Speicheldrüsen denken, vorallem bei Lokalisation am Gaumen.

Lymphoepitheliale Zysten entstehen wahrscheinlich aus Lymph-follikeln und kommen deshalb vorwiegend in der Gl. parotidea vor.Histologisch zeigen sie Lymphgewebe in der Zystenwand. SolcheZysten kommen bei HIV-Infektionen besonders häufig, beidseitsund bei jüngeren Patienten vor.

6.5.2 Sialadenosen

engl.: sialadenosis

Definition: Als Sialadenose wird eine nichtentzündliche,symmetrische Schwellung der großen Kopfspeicheldrü-sen bezeichnet, die durch eine systemische, oft unbe-kannte Ursache hervorgerufen wird. Die Glandulae paro-tideae sind am häufigsten betroffen.

Pathogenese: Eine Sialadenose kommt vor bei:I dystroph-metabolischen Störungen wie chronischem

Alkoholismus, ibs. alkoholische LeberzirrhoseI Vitaminmangel, Proteinmangel, Anorexia nervosa, Bu-

limie, ZöliakieI Endokrinopathien: z. B. peri- und postmenopausal,

Diabetes mellitus, Nebennierenerkrankungen, Schild-drüsenfunktionsstörungen

I neurogene Störungen: z. B. Medikation mit Anticholi-nergika, Ethambutol, Phenothiazinen; Schwermetall-vergiftungen.

Es handelt sich um eine Sekretionsstörung, vermutlichdurch eine Neuropathie der vegetativen (sympathischen)Speicheldrüseninnervation bedingt. Histologisch bzw.elektronenmikroskopisch zeigen sich pralle, mit Sekret-granula angefüllte, vergrößerte Azinuszellen.

Symptome: Es besteht eine schmerzlose, meist symmetri-sche und von der Nahrungsaufnahme unabhängigeSchwellung. Nicht selten besteht auch eine Xerostomie.

Diagnostik: Der klinische Befund einer symmetrischen,schmerzlosen Schwellung der Speicheldrüsen beidseitsist typisch. Eine MRT-Untersuchung und/oder eine Fein-nadelbiopsie kann bei zweifelhaften klinischen Befundenangezeigt sein.

Differenzialdiagnose: Es müssen alle Formen der chroni-schen Sialadenitis ausgeschlossen werden. Weniger häu-fige Differenzialdiagnosen sind die Masseterhypertrophieoder die Adipositas mit Fetthypertrophie in der Drüse.

Therapie: Therapiert wird die Grundkrankheit, eine spezi-fische Therapie der Sialadenose ist nicht möglich. Pilocar-pin und Sialogoga können probatorisch zum Einsatz kom-men. Eine operative Verkleinerung der Drüse kann auskosmetischen Gründen erwogen werden.

6.5.3 Verletzungen

Penetrierende oder stumpfe GewaltDirekte scharfe oder stumpfe Verletzungen betreffen vorallem die Glandula parotidea, deren Lage weniger ge-schützt ist als die der Glandula submandibularis. Es istwichtig, Verletzungen des Drüsenparenchyms allein vonsolchen des Ausführungsgangsystems oder des N. facialiszu unterscheiden.

! Jede offene Speicheldrüsenverletzung muss chirurgisch revi-diert werden.

Blutungen: Blutungen im Bereich der Glandula parotideasind nicht lebensbedrohend und können meist primär mitKompression versorgt werden. Koagulationen, Setzen von

Abb. 6.14 Seltener Befund einer Ranula beidseits.

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Klemmen oder Ligaturen ohne genaue Übersicht (N. fa-cialis) müssen unterlassen werden.Gangverletzungen: Eine Gangverletzung kann bei Verlet-zungen im vorderen Drittel der Drüse vorliegen. Fallsmöglich, soll eine mikrochirurgische End-zu-End-Anasto-mose über einem feinen Kunststoffkatheter durchgeführtwerden. Als Alternative kann ein Einnähen des Gang-stumpfes in die Schleimhaut mit Bildung eines Neo-Osti-ums vorgenommen werden.Verletzungen des N. facialis: s. Kapitel 14.2, S. 266. EineSofort- oder Frühversorgung ist anzustreben.

PneumoparotisAls Spezialfall eines Traumas kann das retrograde Einbla-sen von Luft in den Stenon-Gang angesehen werden. Dieskommt bei Überdruck in der Mundhöhle zustande, wiez. B. bei forcierter Maskenbeatmung oder Glas-, Trompe-ten- und Luftballonblasen. Es kommt zu passagerenSchmerzen im Bereich der Glandula parotidea. Ein Haut-emphysem ist palpatorisch selten nachzuweisen. Einespezifische Therapie ist nicht nötig, die Luft resorbiertsich rasch oder tritt durch den Gang wieder aus.

6.6 Entzündliche Erkrankungender Kopfspeicheldrüsen(Sialadenitiden)

Die Entzündung einer Speicheldrüse führt gewöhnlich zurdiffusen Schwellung der gesamten Drüse. Tab. 6.4 gibteinen Überblick über die Sialadenitiden, die sowohl akutals auch chronisch auftreten. Als Ursache kommen infrage:virale Infektionen, bakterielle Infektionen, autoimmune Er-krankungen, Strahlenexposition.

6.6.1 Akute Sialadenitiden

Akute virale Sialadenitis; Parotitis epidemicaBei den akuten viralen Entzündungen der Kopfspeichel-drüsen können verschiedene Erreger nachgewiesen wer-den. Selten sind das Zytomegalie- (s. S.134), Coxsackie-,Influenza- und HI-Virus. Häufigster viraler Erreger ist dasMumpsvirus, das ursächlich verantwortlich für die imFolgenden näher besprochene Parotitis epidemica ist,die vorwiegend, aber nicht ausschließlich im Kindesaltervorkommt.

Synonyme: Mumps, Ziegenpeter, Tölpel, Ohrmückchenengl.: mumps

Der Erreger der Parotitis epidemica ist das Mumpsvirusaus der Familie der Paramyxoviren (ss-RNA-Virus). DasVirus wird mit dem Speichel, dem Urin und der Mutter-milch ausgeschieden (Tröpfchenübertragung), die Infek-tion der großen Speicheldrüsen erfolgt hämatogen, dieInkubationszeit beträgt 12–25 (zumeist 16–18) Tage.20–50% der Erkrankungen verlaufen inapparent und die

Infektion hinterlässt eine lebenslange Immunität. Anste-ckungsgefahr besteht im Intervall von 3–7 Tagen vor bis 9Tage nach Ausbruch der Symptome.

Symptome: Typisch ist eine diffuse, schmerzhafte undakute Schwellung der erkrankten Drüsen mit teigigemÖdem („Hamsterbacken“). Häufig ist zuerst eine Glan-dula parotidea, wenige Tage später die Halslymphknoten,die andere Seite und die Glandulae submandibulares be-fallen. Die Gangmündungen sind gerötet und leicht ge-schwollen, das Sekret ist nicht eitrig. Es ist meist nur ge-ringes Fieber vorhanden, in 30% der Fälle keines. Respi-ratorische Infektsymptome können vorkommen. Im Nor-malfall heilt die Infektion in 1–2 Wochen ab.

Starke Kopfschmerzen, Meningismus, Schwindel, Ho-denschwellungen und Bauchschmerzen deuten auf Kom-plikationen hin.

Diagnostik: Die Diagnosestellung erfolgt aufgrund der kli-nischen Untersuchung. Die Serum-Amylase ist häufig er-höht, ein zusätzlicher Anstieg der Serum-Lipase sprichtfür eine begleitende Pankreatitis. Der serologische Anti-körpernachweis oder gar der Erregernachweis im Spei-chel ist nur in zweifelhaften Fällen notwendig.

Differenzialdiagnose: Es muss vor allem an eine zervikaleLymphadenitis anderer Ursache oder an eine akute eitrigeParotitis gedacht werden. Seltener sind eine chronisch-rezidivierende Parotitis, ein dentogener Infekt bzw. Abs-zess, eine Sialolithiasis oder ein Tumor.

6.6 Entzündliche Erkrankungen der Kopfspeicheldrüsen (Sialadenitiden)

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Tab. 6.4 Übersicht über die Sialadenitis

akute Sialadenitis

Viral

I MumpsI Zytomegalie (s. S. 134)I Coxsackie-, Echo-, Parainfluenzaviren, Influenza

Bakteriell

I akute purulente ParotitisI obstruktive (Elektrolyt-)Sialadenitis

chronische Sialadenitis

chronisch rezidivierende Parotitischronisch rezidivierende Sialadenitis der Glandula submandi-bularis, Küttner-Tumor (chronisch sklerosierende Sialadenitis)StrahlensialadenitisImmunsialadenitisI myoepithelial (Sjögren-Syndrom)I epitheloidzellig (Heerfordt-Syndrom, s. S. 135)

infektiös-granulomatöse Sialadenitis (s. S. 135)I Tuberkulose, atypische MykobakteriosenI AktinomykoseI LuesI Katzenkratzkrankheit

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Komplikationen: Ein pathologischer Liquorbefund und einebegleitende seröse Meningitis (15%) sind relativ häufig.Schwere, seltenere Komplikationen sind die Meningoen-zephalitis mit bleibenden Hirnnervenlähmungen, die Or-chitis (25–50% während und nach der Pubertät) und dieLabyrinthitis. Es kann zu einer meist einseitigen Ertau-bung kommen (vor Einführung der Impfung war Mumpsdie häufigste Ursache der einseitigen Ertaubung im Kin-desalter). Pankreas und Ovarien (Oopharitis) könnenebenfalls befallen sein. Die früher geäußerte Vermutung,dass Mumps einen Diabetes mellitus Typ I auslösenkönne, gilt als widerlegt.

Therapie: Die Therapie ist symptomatisch: Analgetika,Flüssigkeitszufuhr, Speichelanregung durch Sialogoga.

Prophylaxe: Eine generelle Mumpslebendimpfung wirdempfohlen (MMR- bzw. MMRV-Impfung ab dem elftenLebensmonat).

Exkurs: Zytomegaliesialadenitis

Die zweithäufigste virale Sialadenitis wird durch das Zytomegalie-virus hervorgerufen (engl.: cytomegalovirus, salivary gland inclusiondisease). Das sialotrope Virus befällt die Speicheldrüse meist ohneentzündliche Zeichen und wird mit dem Speichel ausgeschieden.Die häufig perinatal erworbene Infektion kann inapparent verlaufenoder sich in sehr verschiedenen, von den Speicheldrüsen unabhän-gigen Symptomen äußern, u. a. in einer Schallempfindungs-Schwer-hörigkeit. In späteren Lebensabschnitten tritt die Infektion meist beiImmunschaden auf und führt zu systemischen Symptomen, die derMononukleose ähnlich sind.

Akute bakterielle Sialadenitisengl.: acute suppurative sialadenitis

Ätiologie und Pathogenese: Von der eitrigen Infektion istvorwiegend die Glandula parotidea bei reduziertem All-gemeinzustand und ungenügender Flüssigkeitszufuhr be-troffen (marantische Parotitis). Ist die Glandula subman-dibularis betroffen, ist die Ursache meist obstruktiv (Sia-lolithiasis, schlecht sitzende Zahnprothese) oder dento-gen.

Der Erreger ist hauptsächlich Staphylococcus aureus.Streptokokken, Haemophilus influenzae und andereKeime kommen vor. Fast immer liegt ein aszendierenderInfekt bei reduziertem Speichelfluss vor. Allgemeine In-fektionsdispositionen wie Diabetes mellitus oder Immun-schwäche sowie schlechte Mund- und Zahnhygiene sowieExsikkose begünstigen das Auftreten einer bakteriellenSialadenitis.

Symptome: Es besteht eine schmerzhafte, diffuse Schwel-lung der betroffenen Drüse. Die Haut über der Drüse kanngerötet sein, bei Gewebeeinschmelzung kann eine Fluk-tuation auftreten (Abb. 6.15). Die Mündungen der Ausfüh-rungsgänge sind gerötet und geschwollen. Spontan odernach Massage entleert sich trübes Sekret oder Eiter. Eskann eine Kieferklemme bestehen.

Diagnostik: Die Diagnose wird aufgrund des typischenPalpations- und Sekretbefundes bei entsprechender Vor-erkrankung gestellt. Mittels Sonographie muss die Frageeiner abszedierenden Entzündung geklärt werden. BeiTherapieversagen sollte eine Erregerbestimmung mit Re-sistenztestung erfolgen.

Differenzialdiagnose: Ein dentogener Infekt kann zu ähn-lichen Befunden führen, seltener auch ein Gehörgangsfu-runkel mit präaurikulärem Abszess oder eine Lympha-denitis (vor allem bei Sialadenitis der Glandula subman-dibularis).

Therapie: I. d. R. heilt die Erkrankung unter der Gabe vonAntibiotika, Analgetika (nichtsteroidale Antiphlogistika),Rehydrierung, Anregung der Speichelproduktion und ei-ner guten Mundpflege ab. Bildet sich ein Abszess, wird dieParotis parallel zu den Ästen des N. facialis inzidiert.

6 Kopfspeicheldrüsen

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Abb. 6.15 ParotisabszessAkut eitrig abszedierende Parotitis mit Spontanperforation nachaußen.

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Exkurs: Marantische Parotitis (Fallbeispiel)

Deutschland durchlebt im Sommer 2005 mehrere Wochen Sonnen-schein mit Tageshöchsttemperaturen um 36 °C. Die 88-jährige,geistig noch rege Emma K. ist wegen einer beidseitigen Gonar-throse kaum noch gehfähig und lebt in einer betreuten Wohnanlagefür Senioren. Frau K. wird werktags von der Altenpflegerin FlorenceN. besucht. Diese bemerkt am Montag eine rechtsseitige, über-wärmte, stark druckdolente Schwellung der Regio parotidea, FrauK. ist schläfrig und antwortet auf Fragen nur mit unverständlichenWortfetzen. Florence verständigt den Notarzt, der angesichts desaus dem Stenon-Gang austretenden Eiters die Diagnose einer ma-rantischen Parotitis stellt und Frau K. ins Krankenhaus einweist. Inder Aufnahmestation werden folgende Laborwerte erhoben: Na+

121 mmol/l, Cl- 81 mmol/l. Die Therapie erfolgt mit der vorsichtigenintravenösen Zufuhr von Elektrolytlösung; zudem werden das Anti-biotikum Ampicillin/Sulbactam und das Analgetikum Ibuprofen ver-abreicht. Nach zwei Tagen ist Frau K. wieder voll orientiert underzählt, dass sie am Wochenende zuvor mangels Durstgefühls nurinsgesamt 4 Tassen Kaffee und eine Flasche Limonade getrunkenhabe. Die Parotisschwellung klingt nach vier Tagen ab. Zusammenmit Frau K. befinden sich sechs weitere Patienten mit der gleichenDiagnose auf der Station.

Nekrotisierende SialometaplasieSynonym: Speicheldrüseninfarkt

Benigne, spontan abheilende Erkrankung vorwiegendder kleinen Speicheldrüsen unklarer Ätiologie. Pathohis-tologisch kommt nicht selten die Fehldeutung als Malig-nom (Plattenepithelkarzinom, Mukoepidermoidkarzi-nom) vor.

6.6.2 Chronische Sialadenitiden

Chronisch rezidivierende Parotitisengl.: chronic recurrent sialadenitis

Pathogenese: Die Entstehung des rezidivierenden, bakte-riellen Infektes der Glandula parotidea, der häufig imKindesalter, aber auch bei Erwachsenen vorkommt, istunklar. Kongenitale Gangektasien werden als ein prädi-sponierender Faktor vermutet. Da sich histologisch einemassive lymphoplasmazelluläre Infiltration zeigt, ist auchan eine immunologische Genese zu denken.

Symptome: Es tritt eine meist einseitige oder alternie-rende, selten beidseitige Parotisschwellung auf, die z. T.sehr schmerzhaft ist. Der Speichel ist milchig, körnig odereitrig. Oft besteht eine Kieferklemme. Die Attacken wie-derholen sich in unterschiedlichen Zeitabständen. Im In-tervall sind die Patienten subjektiv symptomfrei, die Glan-dula parotidea kann nach mehreren Entzündungsepiso-den induriert sein.

Bei Kindern verschwindet die Symptomatik meist(>50%) während der Pubertät. Bei Erwachsenen könnenlangwierige Verläufe beobachtet werden, bei denen esdurch narbige Obliterationen des Parenchyms zum Nach-lassen und Versiegen der Speichelproduktion und damitzum Nachlassen der Symptome kommt.

Diagnostik: Die Diagnosestellung erfolgt durch die Anam-nese und den klinischen Verlauf. In der Regel besteht einnormales Sonogramm im Intervall. Die nur selten indi-zierte Sialographie kann das Bild des „belaubten Baumes“zeigen (Ausführungsgänge mit Ektasien der Azini undEndstücke).

Differenzialdiagnose: Im Erwachsenenalter kann die Ab-grenzung zur weniger häufigen Immunsialadenitisschwierig sein und eine Probebiopsie notwendig machen.Eine Immunsialadenitis soll hauptsächlich bei Frauen aus-geschlossen werden.

Komplikationen: Abszessbildung.

Therapie: Die Schübe werden wie die akute bakterielleParotitis behandelt. Im Intervall sollten Sialogoga gegebenund eine regelmäßige Drüsenmassage durchgeführt wer-den, Corticosteroide sind ebenfalls wirksam. Bei Kindernist das Vorgehen ausgesprochen konservativ. Bei Erwach-senen, seltener bei Kindern, kann eine Parotidektomienotwendig werden, die in diesen Fällen schwierig istund mit einem erhöhten Risiko einer Schädigung des N.facialis einhergeht.

Exkurs: Andere Formen der chronischen Sialadenitis

Epitheloidzellige Sialadenitis und Heerfordt-Syndrom: Bei derSarkoidose der Speicheldrüsen ist v. a. die Gl. parotidea ein- oderbeidseitig betroffen, die eine mittelderbe, konstante Schwellungzeigt. Neben dem Drüsenparenchym können auch intraglanduläreLymphknoten befallen sein. Ein Befall der kleinen Speicheldrüsen istmöglich. Schmerzen sind relativ gering ausgeprägt, es ist keine odernur eine leichte Sialopenie vorhanden. Die Diagnose wird durch eineProbebiopsie gestellt. Die Abgrenzung zur Tuberkulose ist notwen-dig. Zur Therapie werden Corticosteroide eingesetzt.Ein gleichzeitiger Befall von Augen (vorwiegend Uvea) und Speichel-drüsen wird als Heerfordt-Syndrom (Febris uvea-parotidea subchro-nica) bezeichnet. Es treten dabei oft Paresen zerebrospinaler Ner-ven, besonders des N. facialis, auf.Tuberkulose: Die Tuberkulose der Speicheldrüsen ist selten. Eswerden vor allem die intraglandulären Lymphknoten befallen, weni-ger das Drüsenparenchym. Die Diagnose wird bakteriologisch und/oder pathohistologisch gestellt. Die Therapie erfolgt mit Tuberku-lostatika.Sonstige chronische Sialadenitiden: Die Aktinomykose mit har-ter, schmerzloser Schwellung und typischer, livid-rötlicher Hautver-färbung muss in der Differenzialdiagnose berücksichtigt werden. Siekann in der Umgebung der Glandula parotidea oder submandibu-laris vorkommen und die Drüse sekundär miteinbeziehen. Insge-samt ist sie selten.Eine Lues der Speicheldrüse ist sehr selten, muss aber bei granulo-matöser Sialadenitis ausgeschlossen werden.Bei HIV-Infektionen tritt relativ häufig eine symmetrische Vergrö-ßerung der Speicheldrüsen auf (HIV-salivary gland disease). Es fin-den sich insbesondere lymphoepitheliale Zysten der Glandula paro-tidea beidseits und Patienten mit AIDS können Sjögren-ähnlicheSyndrome mit ausgeprägter Xerostomie aufweisen.

6.6 Entzündliche Erkrankungen der Kopfspeicheldrüsen (Sialadenitiden)

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Chronisch rezidivierende Sialadenitis der GlandulasubmandibularisSynonyme: chronisch sklerosierende Sialadenitis, Kütt-ner-Tumorengl.: sclerosing sialadenitis

Definition: Es handelt sich um die häufigste Form derchronisch-entzündlichen Sialadenitis, die meist im Zu-sammenhang mit Obstruktion und Sialolithiasis auftritt.Im Endstadium kann eine tumorähnliche, permanenteSchwellung der Drüse vorhanden sein.

Pathogenese: Eine veränderte Zusammensetzung desSpeichels, meist verbunden mit Obstruktion der Ausfüh-rungsgänge, ist der hauptsächliche pathogenetische Fak-tor der Entzündung.

Symptome: Derbe Schwellung der Glandula submandibu-laris, die eine von der Nahrungsaufnahme abhängige, akutschmerzhafte Vergrößerung zeigt. Das Endstadium, der„Küttner-Tumor“, ist eine derbe, konstante und wenig do-lente Vergrößerung der Drüse, die palpatorisch nurschwer von einer Neoplasie abgegrenzt werden kann.

Diagnostik: Sie erfolgt durch die Ultraschalluntersuchungund den Nachweis einer Obstruktion. Die MRT ist nur beikomplizierten Fällen notwendig. Die Feinnadelbiopsiezeigt entzündliche Veränderungen. Die Exstirpation derDrüse hat sowohl diagnostischen als auch therapeuti-schen Charakter.

Differenzialdiagnose: Obstruktion der Ausführungsgängeaus anderen Gründen wie z. B. von außen durch Tumoren,Zysten oder Veränderungen in der Mundhöhle und imGang selbst durch Steine oder viskösen Speichelpfropfsind zu unterscheiden. Es soll immer auch an die Mög-lichkeit von Lymphknotenmetastasen, vor allem von Plat-tenepithelkarzinomen der Mundhöhle gedacht werden.Die Abgrenzung zu einem dentogenen Abszess kannschwierig sein. Selten sind die Aktinomykose und dieTuberkulose.

Therapie: Der akute Schub wird mit Antibiotika, Schmerz-mitteln und Antiphlogistika behandelt. Eine Exstirpationder Drüse ist oft notwendig (Abb. 6.16).

Myoepitheliale Sialadenitis und Sjögren-Syndromengl.: Sjögren’s syndrome, benign lymphoepithelial lesion

Definition: Autoimmun bedingte, chronische Sialadenitismit allmählichem Versiegen der Speichelproduktion. Eskann ein Sicca-Syndrom entstehen (Abb. 6.17). Das se-kundäre Sjögren-Syndrom (Hendrik Sjögren, Augenarzt,1899–1986, Schweden) schließt neben der myoepithelia-len Sialadenitis eine Keratoconjunctivitis sicca (vermin-derte Tränensekretion) und Erkrankungen des rheumati-schen Formenkreises ein (rheumatoide Arthritis, Lupuserythematodes, Polymyositis, Sklerodermie), beim primä-ren Sjögren-Syndrom fehlt eine assoziierte rheumatologi-sche Erkrankung.

Pathogenese: Die myoepitheliale Sialadenitis ist nach derrheumatoiden Arthritis die zweithäufigste Autoimmuner-krankung. Es bilden sich Antikörper gegen Antigene desSpeichelgangepithels. Die Drüse zeigt histologisch eineParenchymatrophie, interstitielle lymphozytäre Infiltra-tion und myoepitheliale Zellinseln.

Symptome: Es sind vorwiegend postmenopausale Frauen(m:w=1:9) betroffen. Die Glandula parotidea ist beidseitsteigig, diffus und kaum dolent geschwollen. Im Endsta-dium besteht eine Drüsenatrophie. Häufig liegt ein Sjög-ren-Syndrom mit Xerostomie, Keratoconjunctivitis siccaund begleitender rheumatischer Erkrankung vor. DasSicca-Syndrom zeigt sich durch quälende Mundtrocken-heit, Infekte der Mundschleimhaut und Kariesbefall derZähne.

Diagnostik: Es sind unspezifische Entzündungszeichen wieeine erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit vorhanden.Subspezifitäten antinukleärer Antikörper (Ro = SS-A, La= SS-B) können in 75–95% nachgewiesen werden. Dieselten indizierte Sialographie stellt nur das Gangsystem

6 Kopfspeicheldrüsen

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N. lingualis

Glandulasubmandibularis

M. digasticus

ligierterAusführungs-gang

N. hypo-glossus

Ramusmarginalismandibulaedes N. facialis

A. facialis

V. facialis

M. stylo-hyoideus

Abb. 6.16 Exstirpation der Glan-dula submandibularisDarstellung der operativen Entfer-nung der linken Glandula subman-dibularis. Bei der Operation könnender N. lingualis, der Ramus margi-nalis mandibulae des N. facialis oderder N. hypoglossus gefährdet sein.

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dar („entlaubter Baum“). Eine Probebiopsie der kleinenSpeicheldrüsen der Lippe, die in etwa 60–70% mitbefal-len sind und dann typische, histologische Veränderungenzeigen, ist wegen häufig falsch-negativer Befunde nurbedingt sinnvoll. Es ist vielmehr einer Probebiopsie ausder Glandula parotidea der Vorzug zu geben.

Komplikationen: Häufige Komplikationen sind die chro-nisch rezidivierende Parotitis sowie die Folgen der Sialo-penie (Candida-Mukositis, Karies) und der vermindertenTränensekretion (Ulzerationen, Infektionen). Achtung:Gehäuft entwickeln sich Non-Hodgkin-Lymphome (Risiko44-fach erhöht!).

Therapie: Eine immunsuppressive Therapie erfolgt nur imRahmen der rheumatischen Erkrankungen. Sonst ist dieTherapie symptomatisch mit Ersatz des fehlenden Spei-chels („künstlicher Speichel“) und der Tränenflüssigkeit.Zur Speichelanregung wird die Gabe von 3×5mg/d Pilo-carpin versucht.

Strahlensialadenitisengl.: radiation sialadenitis

Pathogenese:Eine externe Bestrahlung oder Radio-Jod-Be-handlung (Jod wird in den Speicheldrüsen ausgeschieden)führt zu einer Entzündung der Speicheldrüsen mit Atro-phie und passagerer oder bleibender Mundtrockenheit.Bei Dosen unter 15Gy ist die Schädigung reversibel. Hö-here Dosen führen zu irreversibler Schädigung mit indi-viduell verschiedener Teilerholung. Es kommt vor allemzu einer Schädigung der serösen Drüsenazini mit quanti-tativer Verminderung und qualitativer Veränderung desSpeichels. Die Folgen des Sicca-Syndroms sind Karies undSchleimhautentzündungen.

Symptome: Es treten Xerostomie, Zungenbrennen, häufigkombiniert mit Hypo- oder Ageusie auf. Es kann sich dasVollbild eines Sicca-Syndroms entwickeln. Gewisse Erho-lungen auch über Jahre sind möglich. Oft bleiben aberquälende Beschwerden.

Therapie: Versucht werden symptomatische Maßnahmenwie Anregung der Speichelproduktion (z. B. Pilocarpin3×5 mg/d), „künstlicher Speichel“ oder häufiges Befeuch-ten (z. B. Salbeitee).

6.6 Entzündliche Erkrankungen der Kopfspeicheldrüsen (Sialadenitiden)

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a

b

c

Abb. 6.17 Sjögren-Syndroma Schwellung der Glandulae parotidea rechts und der Glandulaesubmandibulares beidseits bei Sjögren-Syndrom.b Zunge mit Glossitis bei Sicca-Syndrom.c Befund in der Sonographie: wolkige Auflockerung der Glandulaparotidea mit echoreichen Septen und echoarmen Inseln.

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6.7 Tumoren der Kopfspeicheldrüsen

Ungefähr 70 % der Speicheldrüsentumoren sind gutartig.Ob ein Tumor benigne oder maligne ist, lässt sich in derRegel durch Anamnese, Inspektion und Palpation vermu-ten (siehe Kapitel6.4, S. 128). Zunächst werden die häu-figsten Tumoren näher beschrieben, die übrigen selte-neren sind in Tab. 6.6 mit aufgeführt.

6.7.1 Benigne Tumoren

Allgemeines zu Abklärung und TherapieDiagnostik: Das Auftreten eines schmerzlosen, weichenoder prall elastischen und gut verschieblichen Knotensin der Speicheldrüse ohne weitere Symptome deutet aufeinen gutartigen Speicheldrüsentumor hin. Die Sonogra-phie ist das Bild gebende Verfahren der Wahl, MRT und CTbleiben sonographisch nicht zu klärenden Fragestellun-gen vorbehalten.

Therapie: Die Gewinnung einer Biopsie und die Therapieerfolgen i. d. R. in einem Schritt. Die Therapie der gutarti-gen Speicheldrüsentumoren besteht in der vollständigenEntfernung, ggf. mit einem Saum gesunden Gewebes, dasonst die Gefahr eines lokalen Rezidivs deutlich erhöht ist.Das Exzisionspräparat liefert das Material für die intra-operative Schnellschnitt- und die definitive pathohistolo-gische Diagnose.

Da die meisten Tumoren in der Glandula parotidealokalisiert sind, ist die sog. „laterale Parotidektomie“ derhäufigste Eingriff bei gutartigen Speicheldrüsentumoren:zunächst wird der Stamm des N. facialis aufgesucht, umvon dort ausgehend die Drüsenanteile lateral des Nerven-fächers zu exzidieren. Damit können die meisten gutarti-

gen Tumoren entfernt und gleichzeitig der N. facialis mithoher Sicherheit erhalten werden. Als Alternative stehtbei geeigneter Tumorlokalisation (z. B. kaudaler Anteil deslateralen Parotis„lappens“) die partielle Parotidektomiezur Verfügung, bei der der N. facialis nicht dargestelltwird.

! Die Möglichkeit einer zeitweisen oder dauernden Schädigungdes N. facialis besteht aber bei jedem Parotiseingriff und derPatient muss darüber vor der Operation aufgeklärt werden.

Pleomorphes Adenomalte Bezeichnung: Mischtumorengl.: pleomorphic adenoma, benign mixed tumor

Trotz histologischer Polymorphie ist die epitheliale Na-tur des pleomorphen Adenoms erwiesen. Es ist das häu-figste Adenom der Kopfspeicheldrüsen und kommt v. a. inder Glandula parotidea vor (Abb. 6.18 a). Frauen sind häu-figer betroffen als Männer. Der Tumor ist i. d. R. von einerPseudokapsel umgeben. Selten, aber für die Behandlungwichtig, sind multilokuläre Tumoren.

Symptome: Es besteht ein meist einseitiger, schmerzloser,derber oder knotiger, gut verschieblicher Speicheldrüsen-tumor ohne Zeichen für Malignität.

Diagnostik: Bei kleinen und oberflächlichen Tumoren ge-nügen zur Abklärung Anamnese, Inspektion, Palpationund Ultraschall. Die FNB (s. S.127) kann relativ häufigein pleomorphes Adenom nachweisen. Bei größeren Tu-moren, insbesondere bei retromandibulärer Ausbreitung,geben CT oder besser MRT Auskunft über Tumorausdeh-nung und Lokalisation. Die definitive Diagnostik erfolgtam Operationspräparat.

Therapie: Partielle oder laterale Parotidektomie, bei Tumo-ren des tiefen Lappens komplette Parotidektomie, in be-sonderen Fällen (Eisbergtumoren) auch transorales Vor-gehen nach Tonsillektomie.

Prognose: Bei fachgerechter Tumorexzision ist die Prog-nose gut, bei intraoperativer Eröffnung des Adenoms kannes durch Tumorzellaussaat noch nach Jahren zu multiplenAdenomknötchen („Impfmetastasen“) kommen, die sehrschwer zu behandeln sind. Eine frühzeitige Operationauch von kleinen Tumoren muss empfohlen werden, dadamit die Entfernung des Tumors und die Erhaltung desN. facialis einfach sind. Bei großen Tumoren kann beidesschwierig sein. Ein relevantes Risiko besteht in derEntartung eines pleomorphen Adenoms, das Karzinomex pleomorphem Adenom hat eine vergleichsweiseschlechte Prognose (Abb. 6.19 und Exkurs).

6 Kopfspeicheldrüsen

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Abb. 6.18 Pleomorphes Adenom, das von der Glandula paro-tidea ausgeht.

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6.7 Tumoren der Kopfspeicheldrüsen

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a b

c

Abb. 6.19 Karzinom (a + b) auf derBasis eines langjährigen pleomor-phen Adenoms der Glandula sub-mandibularis mit Lungenfiliae beid-seits (c).

Exkurs: Fallbeispiel: Benigner Parotistumor

Anamnese: Eine 52-jährige Frau sucht den Arzt wegen einesschmerzlosen Knotens unterhalb des rechten Ohres auf. Die Patien-tin gibt an, dass der Knoten „immer etwa gleich groß“ sei, abervielleicht doch eine langsame Größenzunahme bestanden habe. DiePatientin fühlt sich sonst gesund.Befund: Bei der Untersuchung kann ein prall elastischer, gegen Hautund Unterlage verschieblicher Knoten von etwa 2,5 cm Durchmes-ser unterhalb des Ohrläppchens getastet werden. Der Knoten ist vorallem von hinten sichtbar und liegt über dem dorsalen Anteil desaufsteigenden Unterkieferastes. Der übrige Palpationsbefund istunauffällig, es sind insbesondere keine Lymphknoten zu tasten.Die Otoskopie ist normal. Enoral lässt sich bei Massage der Glandulaparotidea normaler Speichel aus dem Stenon-Gang nachweisen. DieFazialisfunktion ist symmetrisch.Weitere Abklärung: Bei der Ultraschalluntersuchung wird eine solideRaumforderung in der Glandula parotidea beschrieben. WeitereVeränderungen oder vergrößerte Lymphknoten werden nicht ge-funden. Als nächstes wird eine FNB durchgeführt. Der Pathologebeschreibt Zellen eines gutartigen Adenoms, wahrscheinlich einespleomorphen Adenoms.Aufklärung: Der Patientin wird die operative Entfernung des Tumorszusammen mit der Resektion der lateralen Glandula parotidea emp-fohlen.Sie wird über die Verletzungsgefahr des N. facialis, aber auch überdie steigende Gefahr bei wachsendem Tumor und die seltene Ent-

wicklung eines Karzinoms aufgeklärt. Wegen der Durchtrennungder Hautnerven (N. auricularis magnus) ist nach der Operationeine gewisse Gefühllosigkeit der Wange und der Ohrmuschel mög-lich. Als Spätfolge kann sich gelegentlich nach einigen Monaten eineSchweißsekretion über der Glandula parotidea beim Essen einstellen(gustatorisches Schwitzen, Frey Syndrom oder aurikulotemporalesSyndrom).Therapie: Die Patientin entschließt sich zum vorgeschlagenen Ein-griff. Sie wird stationär eingewiesen und die Operation erfolgt inAllgemeinnarkose. Dabei wird die Funktion des N. facialis währendder Operation dauernd mit einer Elektromyographie überwacht.Diese Überwachung erleichtert das Auffinden des Nervenstammes,über dem der Tumor liegt. Dem Stamm folgend, werden die Ästedes N. facialis dargestellt, die medial des Tumors verlaufen. Es wirdeine laterale Parotidektomie durchgeführt, und der im Drüsenge-webe liegende Tumor wird vollständig mit seiner Kapsel und demumgebenden Gewebe entfernt. Die Schnellschnittuntersuchung be-stätigt das vermutete pleomorphe Adenom. Es wird eine Lasche(Drainage) in das Resektionsgebiet eingelegt und die Wunde ver-schlossen. Postoperativ zeigt die Patientin keine Veränderung derFazialisfunktion, die Drainage wird am 2. postoperativen Tag ent-fernt und die Patientin wird bei guter Wundheilung am 4. post-operativen Tag entlassen.

ZystadenolymphomSynonym: Warthin-Tumor, Albrecht-Arzt-Tumorengl.: Warthin’s tumor, papillary cystadenoma lympho-matosum

Definition: In der Regel am Parotisunterpol lokalisiertes,häufigstes monomorphes Adenom und zweithäufigsterTumor der Glandula parotidea. Es tritt in 90 % der Fälle

bei Männern auf und kann gelegentlich doppelseitig vor-handen sein.

Pathogenese: Es wird eine Tumorbildung von Drüsenepi-theleinschlüssen in Lymphknoten angenommen. Entspre-chend hat der Tumor eine epitheliale und eine lymphoideStroma-Komponente. Möglicherweise spielen auch bishernicht charakterisierte Viren eine Rolle.

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Symptome: Der typische Patient ist ein über 60-jährigerMann (häufig Raucher) mit relativ weicher, indolenterSchwellung des Parotisunterpols, die zum Teil knotig seinkann. Es bestehen keine Schmerzen und keine funktio-nellen Ausfälle. In etwa 10% ist beidseits ein Tumor vor-handen.

Diagnostik: Die Feinnadelpunktion hilft beim Zystaden-olymphom in der Regel nicht weiter. In der Sonographiekönnen typischerweise eine oder mehrere zystischeRaumforderungen beobachtet werden. Die definitive his-tologische Diagnose erfolgt anhand des Resektats.

Differenzialdiagnose: Eine Abgrenzung gegen Lymphomein der Glandula parotidea und lymphoepitheliale Zysten(bei HIV) kann schwierig sein. Speichelgangzysten undbranchiogene Zysten können ebenfalls mit einem Zysta-denolymphom verwechselt werden.

Therapie: Die Therapie besteht in der lateralen bzw. kom-pletten Parotidektomie, in Einzelfällen kann auch eineextrakapsuläre Dissektion erwogen werden. Beim typi-schen klinischen Befund kann mit der Therapie zugewar-tet werden.

Prognose: Gut, keine Entartung, selten Beschwerden. AlsKomplikation kann sich eine Zyste infizieren.

6.7.2 Maligne Tumoren

Allgemeines zu Ätiologie, Abklärung und TherapieKlinische Zeichen für einen malignen Speicheldrüsentu-mor wurden auf S.129 erläutert. Im Gegensatz zu denPlattenepithelkarzinomen der oberen Luft- und Speise-wege (s. S. 336) sind für Speicheldrüsenmalignome keineeindeutigen exogenen Noxen bekannt. Mit einer Inzidenzvon 1–2/100 000 handelt es sich um sehr seltener Tumo-ren. Die klinische Ausbreitung der malignen Tumoren dergroßen Speicheldrüsen wird nach der TNM-Klassifikation(Tab. 6.5) angegeben.

Diagnostik: Der Verdacht auf einen bösartigen Tumor lässtsich oft durch eine FNB erhärten. Bei klinischem Verdachtauf einen malignen Speicheldrüsentumor sollte mit einerMRT oder CT die Tumorausdehnung (Infiltration vonNachbarsturkturen) bestimmt werden. Die Funktion desN. facialis sollte elektrophysiologisch untersucht werden.

Die Gewinnung des Präparates für eine definitive histo-logische Diagnose hängt eng mit der Therapieplanung zu-sammen und kann diese ihrerseits entscheidend beein-flussen. Intraoperativ können Gefrierschnitte vom Patho-logen beurteilt werden. Da diese Schnellschnittuntersu-chungen nicht immer eindeutig sind, wird einzweizeitiges operatives Vorgehen besonders dann not-wendig, wenn der N. facialis reseziert werden muss.Über den definitiven Therapieplan wird in diesem Fallerst nach einer endgültigen histologischen Diagnostikder operativen Tumorbiopsie entschieden.

Therapie: Das grundsätzliche Therapiekonzept der malig-nen Speicheldrüsentumoren besteht in einer vollständi-gen operativen Entfernung des Tumors einschließlich derDrüse und der regionären Lymphknoten, ggf. gefolgt voneiner postoperativen Radiotherapie. Eine grundsätzlicheResektion des Nervus facialis bei Parotiskarzinomen (sog.radikale Parotidektomie) ist häufig nicht erforderlich,vielmehr kann bei regelrechter präoperativer Nervfunk-tion und fehlender Infiltration des Nerven eine nerven-erhaltende, komplette Parotidektomie erfolgen. Sofern beiNervinfiltration eine Nervenresektion erforderlich ist,sollte gleichzeitig die Rekonstruktion erfolgen bzw. zu-mindest geplant werden. Je nach Tumorausdehnung istevtl. auch eine subtotale Entfernung von Schläfenbein,Mandibula, und/oder Haut, mit konsekutiver plastischerRekonstruktion notwendig.

Exkurs: Komplikationen der Chirurgie der großenSpeicheldrüsen

Glandula parotidea:I vorübergehende Fazialisparese (durch Dehnung des Nerven bei

Kontinuitätserhalt, Neurapraxie)I bleibende Fazialisparese (Axonotmesis, Neurotmesis), insbeson-

dere bei MalignomchirurgieI Speichelfistel (Therapie: lokal Tetrazyklin oder Botulinumtoxin)I Frey-Syndrom (s. S. 121)Glandula submandibularis:I vorübergehende oder bleibende Parese des R. marginalis mandi-

bulae n. facialisI vorübergehende oder bleibende Parese des. N. lingualisI vorübergehende oder bleibende Parese des N. hypoglossusI Speichelfistel

Mukoepidermoidkarzinomengl.: mucoepidermoid carcinoma

Definition: Das Mukoepidermoidkarzinom ist hauptsäch-lich in der Glandula parotidea und den kleinen Speichel-drüsen des Gaumens lokalisiert. Es ist der häufigste ma-

6 Kopfspeicheldrüsen

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Tab. 6.5 TNM-Klassifikation

T 1 Tumor 2 cm oder weniger in größter Ausdehnung, ohneextraparenchymale Ausbreitung

T 2 Tumor mehr als 2 cm, aber nicht mehr als 4 cm ingrößter Ausdehnung, ohne extraparenchymale Aus-breitung

T 3 Tumor mehr als 4 cm in größter Ausdehnung und/odermit extraparenchymatöser Ausbreitung

T 4a Tumor infiltriert Haut, Unterkiefer, äußeren Gehörgang,N. facialis

T 4b Tumor infiltriert Schädelbasis, Processus pterygoideusoder umschließt A. carotis interna

N s. S. 304

M 0 kein Anhalt für Fernmetastasen

M 1 Fernmetastasen vorhanden

M X keine Aussage zu Fernmetastasen möglich

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ligne Tumor der Kopfspeicheldrüsen und kann auch beijungen Patienten auftreten.

Pathogenese: Man unterscheidet hoch differenzierte(„low-grade tumor“ entsprechend geringgradiger Maligni-tät, etwa 75 % der Fälle) und schlecht differenzierte („high-grade tumor“ entsprechend hochgradiger Malignität, etwa25% der Fälle) Tumoren. Der Differenzierungsgrad be-stimmt die Prognose, gering differenzierte Tumoren ha-ben eine wesentlich schlechtere Prognose als hoch diffe-renzierte. Die Metastasierung erfolgt primär lymphogen,seltener auch hämatogen (Lungenmetastasen).

Symptome: Der Tumor beginnt mit einer indolentenSchwellung (s. Abb. 6.12). Je nach Malignitätsgrad tretenfrüher oder später Schmerzen, Fazialisparese und Lymph-knotenmetastasen auf.

Diagnostik: s. S.125.

Differenzialdiagnose: s. Tab. 6.6

Therapie: Primäre Operation im Sinne einer kompletten,nur erforderlichenfalls radikalen Parotidektomie bei Tu-moren der großen Speicheldrüsen. Beim high-grade Tu-mor ist die homolaterale Neck dissection als obligat anzu-sehen, beim low-grade Tumor kann bei sonographischfehlendem Metastasenverdacht auf eine Neck Dissectionevtl. verzichtet werden. High-grade Mukoepidermoidkar-zinome werden in der Regel einer postoperativen Radio-therapie unterzogen.

Mukoepidermoidkarzinome der kleinen Speicheldrü-sen werden lokal reseziert. Bei high-grade Karzinomensind eine Neck Dissection und eine postoperative Strah-lentherapie indiziert.

Prognose: Sie ist stark vom Differenzierungsgrad abhän-gig. Bei low-grade-Tumoren beträgt die 5-Jahres-Überle-bensrate über 90 %.

Azinuszellkarzinomengl.: acinic cell carcinoma

Definition: Vorwiegend in der Glandula parotidea wach-sender Tumor, der lokal infiltriert und eine geringe Ten-denzzuMetastasenbildung zeigt.Das Prädilektionsalter ist40–60 Jahre, Frauen sind häufiger betroffen als Männer.

Pathogenese: Wie beim Mukoepidermoidkarzinom kön-nen verschiedene Differenzierungsgrade unterschiedenwerden. Meist handelt es sich aber um relativ hoch diffe-renzierte Tumoren. Der Tumor bildet azinäre und duktaleAnteile. Es lassen sich PAS-positive Granula und Amylasenachweisen.

Symptome: Sie sind durch lokales Tumorwachstum undInfiltration bedingt.

Diagnostik: s. S.125.

Differenzialdiagnose: Histologisch müssen diese Tumorenvor allem gegen das Adenokarzinom und gegen das ade-noidzystische Karzinom abgegrenzt werden.

Therapie: s.Mukodermoidkarzinom.

Prognose: Bei vollständiger Resektion gut (5-Jahres-Über-lebensrate 75%).

Adenoidzystisches KarzinomVeralteter Name: Zylindromengl.: adenoid cystic carcinoma

Definition: Die Klinik ist durch einen sehr unterschiedli-chen Verlauf und durch eine perivaskuläre und perineu-rale Infiltration gekennzeichnet. Der Verlauf kann relativlangsam sein, Lymphknotenmetastasen können vorkom-men. Die hämatogene Metastasierung, bevorzugt in dieLungen, steht im Vordergrund. Es kommen aber auchfoudroyante Verläufe mit rascher Rezidivierung und mithämatogen weit gestreuten Metastasen vor.

Histologie: Es zeigt sich ein relativ gutartiges, hoch diffe-renziertes Erscheinungsbild, das nicht über die klinischeBösartigkeit dieses Tumors hinwegtäuschen darf. Manunterscheidet solide, kribriforme und tubuläre Typen,die möglicherweise eine gewisse Beziehung zur Prognosezeigen.

Symptome: Sie sind von der Lokalisation abhängig. LokaleInfiltration führt zu Schmerzen oder Nervenlähmungdurch eine typische, frühzeitige perineurale Infiltrationdes Tumors.

Diagnostik: s. S.125. Es müssen zusätzlich hämatogeneMetastasen der Lunge und des Skeletts gesucht werden.

Therapie: Die Therapie erfolgt operativ, da der Tumor nurgering auf hohe Strahlendosen reagiert. Der Wert einesultraradikalen Eingriffes mit Opferung wichtiger Struktu-ren (N. facialis, Schläfenbein, A. carotis) ist wegen deslangsamen Wachstums und der häufigen Metastasierungumstritten und muss im Einzelfall festgelegt werden. Ab-hängig vom oft langsamen Wachstum der Metastasenkann eine Operation auch beim Vorliegen von Lungen-metastasen indiziert sein.

Prognose: Abgesehen von einzelnen foudroyanten Verläu-fen wächst der Tumor im Allgemeinen langsam, es kommtjedoch selten zu einer Dauerheilung. Die 5-Jahres-Über-lebensrate beträgt 75%, die 10-Jahres-Überlebensrateaber nur 30%.

6.7 Tumoren der Kopfspeicheldrüsen

aus: Probst u. a., Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (ISBN 9783131190338) © 2008 Georg Thieme Verlag KG

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Andere Karzinome und maligne TumorenDie übrigen Formen maligner Tumoren kommen alle ins-gesamt selten vor und treten wie die meisten Tumoren

vorwiegend in der Glandula parotidea auf. Die Prognoseist in der Regel eher ungünstig. Diese Tumoren sind inTab. 6.6 zusammengefasst.

6 Kopfspeicheldrüsen

aus: Probst u. a., Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (ISBN 9783131190338) © 2008 Georg Thieme Verlag KG

Tab. 6.6 Übersicht über die benignen und malignen Tumoren der Speicheldrüse

Name des Tumors Häufigkeit* Verlauf und Prognose zusätzliche Merkmale

benigne TumorenepithelialenUrsprungs

pleomorphes Adenom 40–50 % gute Prognose meist in der Glandula parotidea,Entartung im zeitlichen Verlauf

Zystadenolymphom 15 % keine Entartungen monomorphes Adenom, meist inder Glandula parotidea, kannbeidseits auftreten; zu 90 % sindMänner betroffen

andere monomorpheAdenome (z. B. Speichel-gangadenom)

5 % gute Prognose

maligne TumorenepithelialenUrsprungs

Mukoepidermoidkarzinom 5 % vom Differenzierungsgrad abhän-gig low-grade: 5-Jahres-Überle-bensrate 90 %

meist in der Glandula parotideaoder den kleinen Speicheldrüsendes Gaumens

Azinuszellkarzinom 2–3 % 5-Jahres-Überlebensrate 75 % bei Frauen häufiger, meist in derGlandula parotidea

adenoidzystisches Karzi-nom

3 % 5-Jahres-Überlebensrate 75 %10-Jahres-Überlebensrate 30 %

in 70 % der Fälle von den kleinenSpeicheldrüsen ausgehend, peri-vaskuläre und perineurale Infilt-ration

Adenokarzinom 2–3 % ungünstige Prognose

Karzinom im pleomorphenAdenom

5 % ungünstige Prognose entsteht bei 3–5 % der unbehan-delten pleomorphen Adenome

Plattenepithelkarzinom 2 % ungünstige Prognose Unterscheidung zu intraglandu-lären Lymphknotenmetastasennotwendig

polymorphes low-gradeAdenokarzinom

1 % meist in kleinen Speicheldrüsenentsteht aus Schaltstück

undifferenziertes Karzi-nom

3 % ungünstige Prognose

benigne TumorennichtepithelialenUrsprungs

Lipome 1–2 % gute Prognose meist in der Glandula parotidea,problemlose Entfernung

Hämangiome/ Lymphan-giome

2 % Lymphangiome rezidivieren oft

maligne TumorennichtepithelialenUrsprungs

Sarkome

Lymphome

< 1 %

1–2 %

ungünstige Prognose

wie andere Lymphome vorwiegend Non-Hodgkin-Lym-phome; Assoziation mit Sjögren-Syndrom

* % aller Speicheldrüsentumoren

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