prävention in der hausarztpraxis · partizipative entscheidungsfindung entscheidungshilfen...

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23.05.2018 1 Prävention in der Hausarztpraxis Institut für Allgemeinmedizin, Dr. med. Maximilian Philipp Frankfurt am Main, 23.05.2018 Lerninhalte Was ist Prävention? Welche Voraussetzungen müssen Früherkennungsmaßnahmen erfüllen? Beispiel: Darmkrebsscreening Wie sollte im hausärztlichen Alltag mit präventiven Maßnahmen umgegangen werden? Partizipative Entscheidungsfindung Entscheidungshilfen Beispiel: ARRIBA Arbeitsbereich Ausbildung

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23.05.2018

1

Prävention in der

Hausarztpraxis

Institut für Allgemeinmedizin, Dr. med. Maximilian Philipp

Frankfurt am Main, 23.05.2018

Lerninhalte

Was ist Prävention?

Welche Voraussetzungen müssen Früherkennungsmaßnahmen erfüllen?Beispiel: Darmkrebsscreening

Wie sollte im hausärztlichen Alltag mit präventiven Maßnahmen umgegangen werden?Partizipative Entscheidungsfindung

EntscheidungshilfenBeispiel: ARRIBA

Arbeitsbereich Ausbildung

23.05.2018

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Was ist Prävention?

Prävention  zielt  darauf  ab,  eine  gesundheitliche  

Schädigung zu verhindern,  weniger  wahrscheinlich   zu   

machen   oder   zu   verzögern.

Quelle: IQWIG ‐ https://www.iqwig.de/de/methoden/methodenpapier.3020.html

Arbeitsbereich Ausbildung

Was ist Präventionsmedizin?

Bei der Präventionsmedizin geht es darum, individuelle 

Risikofaktoren des Menschen (genetische 

Prädisposition/familiäre Belastung, individuelle 

Lebensweise und Lebensumstände etc.) zu analysieren, 

um gesundheitskonformes Verhalten zu fördern.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Nährstoffmedizin und Prävention (DGNP) ‐ https://www.dgnp.de/wir‐

ueber‐uns/definition‐der‐praeventionsmedizin.html

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Ziele der Prävention

Krankheitsentstehung verhindern

Krankheiten frühzeitig erkennen

Krankheiten bewältigbar machen

Vorzeitige Rente verhindern

Pflegebedürftigkeit verhindern bzw. hinauszögern

Arbeitsbereich Ausbildung

Primärprävention - Definition

Bei der Primärprävention geht es um den Erhalt der Gesundheit 

bzw. Vorbeugung von Krankheiten. Sie setzt ein, bevor eine 

Schädigung, Krankheit ... eintritt und sucht nach den Ursachen 

und Risikofaktoren, die dazu führen könnten. Sie richtet sich an 

jeden gesunden Menschen. 

Quelle: DGNP ‐ https://www.dgnp.de/wir‐ueber‐uns/definition‐der‐praeventionsmedizin.html

Arbeitsbereich Ausbildung

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Primärprävention - Beispiele

Impfungen

Trinkwasserhygiene

Einsatz von Kondomen

Gesundheitsförderung: Bewegungsprogramme, 

Stressvorbeugung

Vermeidung von Übergewicht, übermäßigem 

Alkoholkonsum, Rauchen, Mangel‐/ Fehlernährung

Quellen: https://www.dgnp.de/wir‐ueber‐uns/definition‐der‐praeventionsmedizin.html & 

https://www.iqwig.de/de/methoden/methodenpapier.3020.html

Arbeitsbereich Ausbildung

Sekundärprävention - Definition

Bei der Sekundärprävention geht es um die Früherkennung ... 

einer Erkrankung. Sie dient dazu eine Schädigung, Krankheit ... 

frühzeitig zu erkennen bzw. dafür zu sorgen, dass der Verlauf 

einer Krankheit sich nicht verschlimmert bzw. chronifiziert

wird. 

Quelle: DGNP ‐ https://www.dgnp.de/wir‐ueber‐uns/definition‐der‐praeventionsmedizin.html

Arbeitsbereich Ausbildung

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Sekundärprävention - Beispiele

Aufdeckung symptomloser Erkrankungen bei scheinbar 

Gesunden: 

Z. B. Krebsfrüherkennungsuntersuchungen (Test auf okkultes 

Blut, Zervixabstrich)

Screening auf Gestationsdiabetes

Neugeborenenscreenings

Quellen: https://www.dgnp.de/wir‐ueber‐uns/definition‐der‐praeventionsmedizin.html & 

https://www.iqwig.de/de/methoden/methodenpapier.3020.html

Arbeitsbereich Ausbildung

Tertiärprävention - Definition

Maßnahmen, die nach Auftreten einer Krankheit (mit 

entsprechenden Symptomen/ Folgen) die weitere 

Verschlechterung verhindern oder abbremsen oder die 

Häufigkeit von Komplikationen reduzieren sollen. 

Quellen: https://www.dgnp.de/wir‐ueber‐uns/definition‐der‐praeventionsmedizin.html & 

https://www.iqwig.de/de/methoden/methodenpapier.3020.html

Arbeitsbereich Ausbildung

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Tertiärprävention - Beispiele

Gabe von ASS, Betablocker, Statine nach Herzinfarkt

Blutverdünnung nach Schlaganfall bei VHF

Herz‐ und Diabetesgruppen

Rehabilitationsmaßnahmen nach schweren Erkrankungen, 

Unfällen, Malignomen

Quellen: https://www.dgnp.de/wir‐ueber‐uns/definition‐der‐praeventionsmedizin.html & 

https://www.iqwig.de/de/methoden/methodenpapier.3020.html

Arbeitsbereich Ausbildung

Quartärprävention – Definition & Beispiele

Maßnahmen die verhindern, dass eine Überversorgung mit 

Gesundheitsleistungen stattfindet, die für die Patienten 

potentiell schädlich ist. 

‐ keine antibiotische Therapie bei viralen Infekten

‐ keine Bildgebung bei unkomplizierten Rückenschmerzen

Quellen: DEGAM‐Leitlinie Medikamentenmonitoring (AWMF‐Registernr. 53/037)

Arbeitsbereich Ausbildung

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Wann ist Früherkennung sinnvoll? (1)Wilson JMG, Jungner G, WHO. Principles and practice of screening for disease: Geneva : World Health Organization, 1968

1. The condition sought should be an important health problem. 

2. There should be an accepted treatment for patients with recognized disease. 

3. Facilities for diagnosis and treatment should be available. 

4. There should be a recognizable latent or early symptomatic stage. 

5. There should be a suitable test or examination. 

6. The test should be acceptable to the population. 

7. The natural history of the condition, including development from latent to declared 

disease, should be adequately understood. 

8. There should be an agreed policy on whom to treat as patients. 

9. The cost of case‐finding (including diagnosis and treatment of patients diagnosed) should 

be economically balanced in relation to possible expenditure on medical care as a whole. 

10. Case‐finding should be a continuing process and not a "once and for all" project. 

Arbeitsbereich Ausbildung

Wann ist Früherkennung sinnvoll? (2)Wilson JMG, Jungner G, WHO. Principles and practice of screening for disease: Geneva : World Health Organization, 1968

1. Die gesuchte Krankheit sollte ein wichtiges Gesundheitsproblem sein. 

2. Es sollte eine akzeptierte Behandlung für Patienten, bei denen die Erkrankung 

diagnostiziert wurde, geben. 

3. Die technischen Möglichkeiten für Diagnose und Behandlung sollten verfügbar sein. 

4. Es sollte ein latentes oder frühes symptomatisches Stadium erkennbar sein. 

5. Es sollte ein geeignetes diagnostisches Verfahren oder körperlichen Untersuchungsbefund 

geben. 

6. Der Test sollte für die Bevölkerung akzeptabel sein. 

7. Der natürliche Krankheitsverlauf, einschließlich der Entwicklung vom latenten Stadium bis 

hin zur aktiven oder symptomatischen Krankheit, sollte angemessen verstanden werden. 

8. Es sollte Einigkeit darüber herrschen, welche Patienten behandelt werden. 

9. Die Kosten (einschließlich Diagnose und Behandlung von diagnostizierten Patienten) sollten 

im Verhältnis zu möglichen Ausgaben für die medizinische Versorgung insgesamt 

ausgewogen sein. 

10. Die Früherkennung sollte ein fortlaufender Prozess sein und kein "ein für allemal" –Projekt.

Arbeitsbereich Ausbildung

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Wann ist Früherkennung sinnvoll? (3)

http://www.aerzteblatt.de/archiv/126279/Screening‐Teil‐19‐der‐Serie‐zur‐Bewertung‐wissenschaftlicher‐Publikationen

Arbeitsbereich Ausbildung

Beispiel: Darmkrebsscreening

In Deutschland durch gesetzliche Krankenversicherung empfohlen und 

erstattet:

Ab 50 bis 54 Jahre: Jährlich Okkultbluttest (ab 01.04.17: iFOBT)

Ab 55 Jahren: Entweder: alle 10 Jahre Koloskopie –

insgesamt 2 ODER alle 2 Jahre Okkultbluttest

Arbeitsbereich Ausbildung

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Erkrankungsrisiko Darmkrebs

Im Alter von……in den nächsten 10 Jahren

Frauen Männer

…45 Jahren 3 von 1.000 4 von 1.000

…55 Jahren 8 von 1.000 12 von 1.000

…65 Jahren 14 von 1.000 24 von 1.000

RKI – Zentrum für Krebsregisterdaten: „Krebs in Deutschland 2011/2012“ (Datenbasis 2012)

Arbeitsbereich Ausbildung

Nutzen Okkultbluttest (gFOBT)

OhneFrüherkennung

MitFrüherkennung

jährlich

MitFrüherkennung

alle 2 Jahre

Verstorbenan Darmkrebs

7 4 6

Nicht verstorbenan Darmkrebs

993 996 994

Verstorben an anderen Krebserkrankungen

56 54 54

Gesamtzahl der verstorbenen Personen (alle Todesursachen)

210 209 210

Nicht verstorben 790 791 790

Beobachtungszeitraum: 10 Jahre; Alter der Teilnehmer: 45‐80 JahreSteckelberg A/Mühlhauser I (2011) Darmkrebs‐Screening. 

https://www.gesundheit.uni‐hamburg.de/gesundheit/darmkrebsscreening.htmlArbeitsbereich Ausbildung

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Risiken Okkultbluttest (gFOBT)

Keine Risiken durch Durchführung des Tests

Risiko durch Konsequenzen falscher Testergebnisse

1000 Personen 

mit positivem 

Testergebnis,

falsch‐positiv: 

900 von 1000 

falsch‐negativ:  1 von 1000

(Altersgruppe 50‐59 Jahre)

Arbeitsbereich Ausbildung

Steckelberg A/Mühlhauser I (2011) Darmkrebs‐Screening. https://www.gesundheit.uni‐hamburg.de/gesundheit/darmkrebsscreening.html

Nutzen Koloskopie

bis zu 95 von 100 Darmkrebserkrankungen werden entdeckt

Entdeckung in früheren Tumorstadien

Entfernung von Polypen verhindert die Entstehung von Darmkrebs

Steckelberg A/Mühlhauser I (2011) Darmkrebs‐Screening.

ZI: Projekt Wissenschaftliche Begleitung von Früherkennungs‐Koloskopien in Deutschland Berichtszeitraum 2014. 12. Jahresbericht, Version 2

IQWiG: Abschlussbericht Einladungsschreiben und Entscheidungshilfe zum Darmkrebs Screening, 2016

Arbeitsbereich Ausbildung

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Risiken Koloskopie

Etwa die Hälfte der untersuchten Personen hat bis zu 7 Tage nach der 

Untersuchung Blähungen, Bauchschmerzen, Durchfall, Blutungen, 

Kreislaufprobleme oder Völlegefühl

Von 10.000 Teilnehmern erleiden etwa…

…12‐24 eine schwere Blutung

…3‐4 eine Perforation

…3‐6 kardiopulmonale Ereignisse

2014: 3 berichtete Todesfälle bei rund 427.000 TN unmittelbar 

während/nach der Untersuchung (Todesursache: Herzinfarkt, 

Herzstillstand)

Arbeitsbereich Ausbildung

Steckelberg A/Mühlhauser I (2011) Darmkrebs‐Screening

ZI: Projekt Wissenschaftliche Begleitung von Früherkennungs‐Koloskopien in Deutschland Berichtszeitraum 2014. 12. Jahresbericht, Version 2

IQWiG: Abschlussbericht Einladungsschreiben und Entscheidungshilfe zum Darmkrebs Screening, 2016

Aufklärungspflicht

Danach ist der Behandelnde verpflichtet, den Patienten über 

sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. 

Dazu gehören ... insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu 

erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre 

Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im 

Hinblick auf die Diagnose oder Therapie. 

Aufklärungspflichten nach BGB § 630e

Arbeitsbereich Ausbildung

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Arbeitsbereich Ausbildung

IQWiG: Abschlussbericht Einladungsschreiben und Entscheidungshilfe zum Darmkrebs Screening, 2016

Prävention im hausärztlichen Alltag

Prävention ist eine Herausforderung:

• Interesse wecken

• Patienten aufklären, informieren

• Realistisches „Produkt“ anbieten

Arbeitsbereich Ausbildung

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Prävention im hausärztlichen Alltag

Wann findet Prävention im hausärztlichen Alltag statt?

Check‐up Untersuchungen/ U‐/J‐Vorsorge

Impfungen/Reisemedizinische Beratung

Beratungsanlässe chronische Erkrankungen

Beratungsanlässe akute Erkrankungen

Immer?

Arbeitsbereich Ausbildung

Prävention im hausärztlichen Alltag

Wie werden präventive Maßnahmen im hausärztlichen Alltag 

umgesetzt?

Information

Kosten‐/Nutzen‐Analyse

Realistische Ziele

Gemeinsame Entscheidungsfindung

Arbeitsbereich Ausbildung

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Modelle medizinischer Entscheidungsfindung

PaternalistischesModell

PartizipativeEntscheidungsfindung

(PEF)

Informations‐modell

Arzt alleine Patient alleine

Entscheidung wird getroffen undVerantwortung getragen vom…

Autonomie des Patienten

Arbeitsbereich Ausbildung

Partizipative Entscheidungsfindung

http://www.barmer‐gek.de/barmer/web/Portale/Versicherte/Rundum‐gutversichert/Infothek/Wissenschaft‐Forschung/Publikationen/Gesundheitswesen‐aktuell‐2012/10‐Dirmaier‐Haerter‐2012,property=Data.pdf

Arbeitsbereich Ausbildung

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Praktische Umsetzung

Mitteilen, dass eine Entscheidung ansteht

Gleichberechtigung der Partner betonen

Über Wahlmöglichkeiten informieren

Über Vor ‐ und Nachteile der Optionen informieren

Verständnis, Gedanken und Erwartungen erfragen

Präferenzen ermitteln

Gemeinsame Entscheidung

Vereinbarungen zur Umsetzung der Entscheidung treffen

Modifiziert n. Härter 2004

Arbeitsbereich Ausbildung

ARRIBA (http://www.arriba-hausarzt.de)

Aufgabe gemeinsam definieren

Risiko subjektiv besprechen

Risiko objektiv messen, berechnen

Information des Patienten über Präventionsmöglichkeiten

Bewertung der Präventionsmöglichkeiten

Absprache über weiteres Vorgehen

Arbeitsbereich Ausbildung

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Fallbeispiel: Herr Süß

61 Jahre alt, verheiratet, drei erwachsene Kinder

Außendienstmitarbeiter einer Firma der Chemiebranche

Bekannter Diabetes mellitus Typ II 

Mäßiges Übergewicht

Familienanamnese unauffällig

keine Dauermedikation

Nikotinabusus

Blutdruck: 156/104 mmHg

Labor:  Ges.‐Cholesterin 195 mg/dL

HDL‐Cholesterin 34 mg/dL

HbA1c  7,8 %

Arbeitsbereich Ausbildung

ARRIBA als Risikorechner in der Praxissoftware

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Darstellung des kardiovaskulären Risikos

Arbeitsbereich Ausbildung

Darstellung des kardiovaskulären Risikos

Arbeitsbereich Ausbildung

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Auswirkungen von Präventionsmaßnahmen: Rauchstopp

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Auswirkungen von Präventionsmaßnahmen: Rauchstopp und Behandlung mit ASS

Arbeitsbereich Ausbildung

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Einigung über weiteres Vorgehen

ASS 100 mg / Tag 

Metformin 1000 mg / Tag 

an jedem Wochenende macht Herr Süß einen längeren Spaziergang mit seiner Frau (bei jedem Wetter!) 

er denkt über einen Rauchstopp nach, kann sich allerdings noch nicht konkret entschließen 

Erneute Besprechung in drei Monaten

Arbeitsbereich Ausbildung

Zusammenfassung

Prävention findet auf unterschiedlichen Ebenen statt (primär, 

sekundär, tertiär und quartär)

Präventionsmaßnahmen müssen auf Nutzen und Risiken genau 

überprüft werden

Patienten haben bei jeder medizinischen Maßnahme eine 

Wahlmöglichkeit und sollten bestmöglich informiert werden

Möglichkeiten der praktischen Umsetzung in der hausärztlichen 

Praxis sind die Partizpative Entscheidungsfindung und Software‐

basierte Entscheidungshilfen wie ARRIBA

Arbeitsbereich Ausbildung

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!