persönlichkeit, schulleistungen und verhaltensstörungen

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Sozial- und Priiventivmedizin M0decine sociale et pr6ventive 22, 37-39 (1977) Pers nlichkeit, SchuHeistungen und Verhaltenssttimngen R. Ammann und H. Erne Schulpsychologischer Dienst und Abteilung ffir Sozial- und Pr~ventivmedizin, Universit~it Basel 1. Einleitung Im Anschluss an die Studie <<PersSnlichkeit und Schul- leistungen>> [1] wird in der vorliegenden empirischen Untersuchung auch das Ph~inomen der VerhaltensstS- rung zu fassen versucht. (Die gesamte statistische Ver- arbeitung erfolgt anonym.) Die grundsfitzliche Hypothese geht dabei vom Ansatz des <<labeling approach>> aus. Diese Theorie versucht das Auff~illigwerden im Verhalten generell und insbe- sondere die Diskrepanz zwischen der tats~ichlichen Verteilung und der erwarteten Normalverteilung fiber der sozialen Schichtung durch Zuschreibungsprozesse seitens der Instanzen der Sozialkontrolle zu erkl/iren. Schule und Beratungsinstitutionen sind Teile dieser Instanzen. 2. Methodik Innerhalb der Gesamtpopulation der Basler Adoles- zentenstudie wurde eine Subpopulation definiert, die gem~iss bestimmten Kriterien als auffiillig erscheint. Folgende 4 Kriterien kamen zur Anwendung: 1. Betragensbemerkung im Zeugnis 2. Unentschuldigtes Fernbleiben von der Schule (Ab- senzen) 3. Versp~itungen, die zu einem Eintrag ins Zeugnis filhren. 4. Psychologische Untersuchung beim Schulpsycholo- gischen Dienst Basel-Stadt, die foi'muliert oder dem Sinne nach zur Diagnose <<VerhaltensstSrung>> fiihrte. Zum 2. und 3. Kriterium gaben die Untersuchungen von Glueck und Glueck [2] Anlass, die berichten, dass Schuleschw~inzen und Zusp~itkommen auffiil- lige Symptome bei verhaltensgest6rten Schillern sind. Die Verteilung der Subpopulation der Verhaltensauf- f~illigen nach den 4 Kriterien ist in Tabelle I darge- stellt. Tabelle 1. Verteilung der <<auffiilligem> Schiiler gem?iss den 4 Kriterien Bet ragens- Unent schul- bemerkung digte Absen- im Zeugni s zen X X X X X X X X X X X TOTAL VerlpR-' Diagnost~- tungen zierte Ver- haltensst~- rung Anzah] Prozente 504 67,7 X 54 7, 3 X 90 12,1 X X I0 1,3 41 5,5 X 2 0,3 X 27 3,6 X X 1 O,I 4 0,5 X 5 0,7 X X 1 0,1 I 0,1 X 5 0,7 745 100,0 Besteht ein Zusammenhang zwischen dem Vorlie- gen yon Verhaltensstiirungen in der Schule und der Angehiirigkeit zu bestimmten Sozialstufen? Inwieweit bestehen dabei echte Unterschiede, mad inwieweit beeinflussen bei gleichem Verhalten die Sozialstufenangehiirigkeit und die Intelligenz eines Sch'ulers, ob dieser sis verhaltensgestiirt be- zeiclmet wild? 3. Resultate 3.1 Verhaltensauff~lligkeiten und Sozialschicht Tabelle 2 zeigt die Verteilung der verhaltensauff~il- ligen Schiller, nach den vier Definitionskriterien der AuffRlligkeit aufgeteilt, fiber den drei Sozialschichten. Es wird sichtbar, dass Verhahensst6rungen mit der Sozialschicht assoziiert sind, Versp~itungen jedoch in reziproker Weise. Tabelle 2. Verteilung der Schiller mit Verhaltensauffiilligkeiten i~ber den 3 So zialschichten l:rlterien ffnterschicht tot " 290 - 42,4Z Z sub Betragensbemer- kung tm Zeugnts 12 4,1 N= 16 Onenteehuld. Abuenzen N= 69 36 12,4 Ver|pXtungen N=126 40 13,8 Dlagnoltl- zierte Ver- h~ltensst~- rung 31 10,7 N" 63 A11e Versu pets., mindes- tens ! Krlte- rlum 92 31,7 N-220 Hlttelschtcht N tot = 329 " 48,1% mub Z 4 1,2 29 8,8 67 20,4 30 9,1 107 32,5 0berschicht N tot = 65 - ?,5% N sub X 0 O. 4 6,2 19 29,2 2 3,1 21 32,3 3.2 Verhaltensauff~lligkeiten und Persrnlichkeitsstruk- tur Wie schon im ersten Teil der Studie wurden ein In- telligenzmass und die gleichen sieben MMPI-Skalen ausgew~ihlt: Raven Matrizen, Dominance, Ego Strength, Judging Complex Behavior, Depression, Hysteria, Psychopathic Deviate, Schizophrenia. Diese acht Persrnlichkeitsmerkmale lassen sich in vier eher positive und vier eher negative unterscheiden. Im t0berblick ergeben sich folgende Zusammenh~inge mit den vier Kdteden der Verhaltensaufffilligkeiten (Tabelle 3). Die signifikanten Unterschiede und die deutliehen Tendenzen zeigen ein ~ihnliches Bild wie der erste Teil 37

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Page 1: Persönlichkeit, Schulleistungen und Verhaltensstörungen

Sozial- und Priiventivmedizin M0decine sociale et pr6ventive 22, 37-39 (1977)

Pers nlichkeit, SchuHeistungen und Verhaltenssttimngen

R. Ammann und H. Erne Schulpsychologischer Dienst und Abteilung ffir Sozial- und Pr~ventivmedizin, Universit~it Basel

1. Einleitung Im Anschluss an die Studie <<PersSnlichkeit und Schul- leistungen>> [1] wird in der vorliegenden empirischen Untersuchung auch das Ph~inomen der VerhaltensstS- rung zu fassen versucht. (Die gesamte statistische Ver- arbeitung erfolgt anonym.) Die grundsfitzliche Hypothese geht dabei vom Ansatz des <<labeling approach>> aus. Diese Theorie versucht das Auff~illigwerden im Verhalten generell und insbe- sondere die Diskrepanz zwischen der tats~ichlichen Verteilung und der erwarteten Normalverteilung fiber der sozialen Schichtung durch Zuschreibungsprozesse seitens der Instanzen der Sozialkontrolle zu erkl/iren. Schule und Beratungsinstitutionen sind Teile dieser Instanzen.

2. Methodik Innerhalb der Gesamtpopulation der Basler Adoles- zentenstudie wurde eine Subpopulation definiert, die gem~iss bestimmten Kriterien als auffiillig erscheint.

Folgende 4 Kriterien kamen zur Anwendung: 1. Betragensbemerkung im Zeugnis 2. Unentschuldigtes Fernbleiben von der Schule (Ab- senzen) 3. Versp~itungen, die zu einem Eintrag ins Zeugnis filhren. 4. Psychologische Untersuchung beim Schulpsycholo- gischen Dienst Basel-Stadt, die foi'muliert oder dem Sinne nach zur Diagnose <<VerhaltensstSrung>> fiihrte. Zum 2. und 3. Kriterium gaben die Untersuchungen von Glueck und Glueck [2] Anlass, die berichten, dass Schuleschw~inzen und Zusp~itkommen auffiil- lige Symptome bei verhaltensgest6rten Schillern sind. Die Verteilung der Subpopulation der Verhaltensauf- f~illigen nach den 4 Kriterien ist in Tabelle I darge- stellt.

Tabelle 1. Verteilung der <<auffiilligem> Schiiler gem?iss den 4 Kriterien

Bet ragens - Unent s c h u l - bemerkung d i g t e Absen- im Zeugni s zen

X X X X

X X X X X X X

T O T A L

VerlpR-' D i a g n o s t ~ - tungen z i e r t e V e r -

h a l t e n s s t ~ - rung

Anzah] Prozente

504 6 7 , 7 X 54 7, 3

X 90 1 2 , 1 X X I0 1 , 3

41 5 , 5 X 2 0 , 3

X 27 3 , 6 X X 1 O,I

4 0 , 5 X 5 0,7

X X 1 0 , 1 I 0 , 1

X 5 0,7

745 1 0 0 , 0

Besteht ein Zusammenhang zwischen dem Vorlie- gen yon Verhaltensstiirungen in der Schule und der Angehiirigkeit zu bestimmten Sozialstufen? Inwieweit bestehen dabei echte Unterschiede, mad inwieweit beeinflussen bei gleichem Verhalten die Sozialstufenangehiirigkeit und die Intelligenz eines Sch'ulers, ob dieser sis verhaltensgestiirt be- zeiclmet wild?

3. Resultate

3.1 Verhaltensauff~lligkeiten und Sozialschicht Tabelle 2 zeigt die Verteilung der verhaltensauff~il- ligen Schiller, nach den vier Definitionskriterien der AuffRlligkeit aufgeteilt, fiber den drei Sozialschichten. Es wird sichtbar, dass Verhahensst6rungen mit der Sozialschicht assoziiert sind, Versp~itungen jedoch in reziproker Weise.

Tabelle 2. Verteilung der Schiller mit Verhaltensauffiilligkeiten i~ber den 3 So zialschichten

l : r l t e r i e n f f n t e r s c h i c h t t o t " 290 - 42 ,4Z

Z sub

Betragensbemer- kung tm Zeugnts 12 4,1

N= 16

Onenteehuld. Abuenzen

N= 69 36 12,4

Ver |pXtungen N=126 40 13,8

Dlagnoltl- z i e r t e V e r - h ~ l t e n s s t ~ - rung 31 10,7

N" 63

A11e Versu�9 pets . , mindes- tens ! Krlte- rlum 92 31,7

N-220

H l t t e l s c h t c h t N t o t = 329 " 48,1%

mub Z

4 1,2

29 8 ,8

67 20,4

30 9,1

107 32,5

0berschicht N t o t = 65 - ?,5%

N sub X

0 O.

4 6 ,2

19 29,2

2 3,1

21 32 ,3

3.2 Verhaltensauff~lligkeiten und Persrnlichkeitsstruk- tur Wie schon im ersten Teil der Studie wurden ein In- telligenzmass und die gleichen sieben MMPI-Skalen ausgew~ihlt: Raven Matrizen, Dominance, Ego Strength, Judging Complex Behavior, Depression, Hysteria, Psychopathic Deviate, Schizophrenia. Diese acht Persrnlichkeitsmerkmale lassen sich in vier eher positive und vier eher negative unterscheiden. Im t0berblick ergeben sich folgende Zusammenh~inge mit den vier Kdteden der Verhaltensaufffilligkeiten (Tabelle 3). Die signifikanten Unterschiede und die deutliehen Tendenzen zeigen ein ~ihnliches Bild wie der erste Teil

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Page 2: Persönlichkeit, Schulleistungen und Verhaltensstörungen

Sozial- und Priventivmedizin M6decine sociale et pr6ventive 22, 37-39 (1977)

Tabelle 3. Verhaltensau[[iilligkeiten und Pers6nlichkeitsstruktur ~

PersUnl Ich- BetraBmnl- Unent~chul- Vor|p~- kei t idimen- bem~rkung dfste Ab- t u n g e n llon ~m Zeugni| oenzen

DEFAESSION

HYSTERIA

PSYCH(} PATK[ C [}~b'

INTELLIGI~Z

I)OMINA~CE

4 - - 4 - - 4 - - 4 - - 4-- 4 -

4 - - 4 - -

- ' ~ - -~ 4 " - 4 " - 4 -

---It. - -~ i

Diagnoetf- I Ver/uchl- zs Ver- plr. mtt haltena- mindestene aufs 1 ~ r i t e r l u m

4--

4 - - ,4-- 4 - - 4--- 4--- ,~--

4 - - 'e--

der Untersuchung. Die dutch unsere Kriterien deft- nierten auffiilligen Schiller erscheinen aufgrund der MMPI-Skalen und des Intelligenzmasses als negativer im Gegensatz zu den ~Unauff~illigen>>. Sie erscheinen deutlich soziale Normen iiberschreitend (Psychopathic Dev.) und im Verhalten bizarrer und ungewShnlicher (Schizophrenia). Gleichzeitig kann man sie als weniger intelligent, weniger dominant und weniger sicher im Sinne von <<social sensibility>> charakterisieren. Es er- gibt sich somit eine Pers6nlichkeitsstruktur, die deut- lich zeigt, dass der ~etikettierte~ SchiJler negativere Ziige an sich hat als der <<unauff~illige>~. Von hohem Interesse ist, dass sich Teile dieses negativen Pers6n- lichkeitsbildes mit Resultaten aus den Untersuchun- gen von Redl und Winemann [3] decken. Beide konnten zeigen, dass die defektive Symptomatik (in- trapsychisches Korrelat zum Erscheinungsbild der Verwahrlosung) nebst anderem durch die beiden Fak- toren der mangelnden Bew~iltigungstechniken filr be-

Tabelle 4. Standardisierte T-Werte tier Persi~nlichkeitsmerkmale fiir bestimmte Populationen

lastende Situationen und ungeniigende Sensibiligit konstituiert wird. Ersteres entspricht unseren Varia- beln Intelligenz, Dominance und Ego Strength. Das zweite liegt nahe bei der Variabeln JC Behavior.

Tabelle 4 zeigt, dass derjenige Schiller, der im Sinne unserer Kriterien ausf~illt (sofem er nicht schon der Unterschicht angeh6rt oder eine untere Schule be- sucht), eine ~ihnliche Pers6nlichkeitsstruktur aufweist wie diese unteren Gruppierungen. Fiir diejenigen Schiller, die bereits zu diesen unteren Gruppierungen geh6ren, ist das Pers6nlichkeitsbild noch negativer, sofern sie als verhaltensauffiillig deklariert sind. Dies soil mit Tabelle 5 demonstriert werden. Sie umfasst lediglich das Kriterium ~diagnostizierte Verhaltensst6- rung>> und trifft filr Unterschichtsangeh6rige zu. Die Richtungen der Unterschiede der Mittelwerte der Per- s6nlichkeitsvariabeln sind eindeutig. Einige von ihnen sind zudem gesichert. (Die Verh~iltnisse sind ftir die andern Kriterien analog.)

Tabelle 5. Diagnostizierte Verhaltenssti~rung bei Unterschichtange- h6rigen

Perm~nllch- keltsdimension

Rohwerte

R l c h t u n g U-Test der Diffe- (Alpha ) r e n z

INTELLIG~'Z DOMIFANCE EO0 STRENGTH .7C BEHAVIOR ~--.

Gruppe ohne Cruppe m l t V e r h s l t e n s a u f - V e r h a l t e n s - f ~ l l i g k e i t a n a u f f M l l i g -

N " 259 kelten N - 31

47.4 43,6 [6,1 15.o 4 3 , 7 4 3 , 0 23.8 23,O

25.0 24~ 22,) 22,5 23,8 25.1 32,6 34,1

DEPRESSION HYSTERIA PSYCHOPATHIC DEV SCHIZOPHRENIA

.01

. 01

.86 �9 2 r)

-I~ .16 I~ .56

.03

.18

Ih'TELLICENZ

DOMINANCE

EGO STRENGTH

JC BEHAVIOR

DEPRESSION

HYSTERIA

PSYCHOPATtIIC DEV

S C H I Z O P H R E N I A

42,0

47,3

47,5

45,5

52,4

54,1

54,4

53,9

47,0

49,2

49,1

47,7

51,1

51,5

51,6

51,2

57,4

52,4

52,5

54,4

47.4

46, I

46.9

47,5

56,9 50,7

51,8 48,2

50,1 49,3

56,2 49,5

49.1 50.4

47,0 5 0 , 6

4 8 . 2 5 1 , 0

4 8 , 9 50,7

46,9

48,

48,8

48,0

51.7

51,0

52.3

52,1

1 Die Symbole in den Feldern geben die Signifikanz (oder Tendenz) der Unterschiede der Mittelwerte der Schiilergruppen mit und ohne Verhaltensauffiilligkeiten an. Das Pfeilsymboi bedeutet: Richtung: nach links = hSherer Wert fiir die Gruppe mit Verhal-

tensautfiilligkeiten nach rechts = h6herer Wert fiir die Gruppe ohne Ver- haltensauff~illigkeiten

1 PIeil pro Feld: = hohe Tendenz 2 P[eile pro Feld: = Signifikanz (p _< 0.05) 3 1Weile pro Feld: = Signifikanz (p <_ 0.01)

3.3 Verhaltensauffiilligkeiten, Pers6nlichkeitsstruktur und Schulleistungen Ausgehend von den gefundenen Zusammenh~ingen im ersten Teil der Studie zielt die n~chste Frage nun danach, wie die Zusammenh~inge von Pers6nlichkeits- struktur und Schulleistungen fiir Verhaltensgest6rte aussehen. Wir beschr~inken uns an dieser Stelle auf die Resultate des Kriteriums 4 (SPD Diagnose) und dieje- nige der auff~illigen Schiller in mindestens einem Kri- terium (Tabelle 6).

Tabelle 6. Pers6nlichkeitsstruktur, Schulzensuren und Verhaltens- auffiilligkeit ( Korrelationskoeffizienten zwischen Persi~nlichkeits- merkmalen und Notendurchschnitt)

Pers.-Merkmale Gesamtpo- Verhaltensge- SPD-Diagnose

pulatlon stdrte mlt mind. ] Kriterlum

INTELLIGENZ +.13 -.03 -,13

DOMINANCE +.14 +.06 +.12

~O STRENGTH +.09 +.IO +.O8

JC BEHAVIOR +.II +.O5 +.17

DEPRESSION - . 1 2 -,05 -.lO

HYSTERIA -.O8 -.O3 +.01

PSYCHOPATHIC DEV -.17 -.09 -.09

SCHIZOPHRENIA -.13 -.05 -.O1

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4. Diskussion Die Resultate sind im Hinblick auf die Hypothese schlfissig. Aus der Ffille der Resultate seien folgende interessante Interpretationen angefiihrt. Generell verlaufen die Zusammenh~inge parallel zu denjenigen, die im ersten Teil mit der gesamten Ado- leszentenpopulation gefunden wurden. Auch filr die Gruppe der Verhaltensaufffilligen trifft zu, dass die Schulzensuren mit erwiinschten, resp. nicht erwilnsch- ten Pers6nlichkeitsmerkmalen einhergehen. Zwei Ausnahmen sind bemerkenswert: - Das Merkmal ~<Intelligenz>> verh~lt sich anders als

in der gesamten Adoleszentenpopulation. Die Kor- relation ist negativ, d.h. die Intelligenz wird often- sichtlich besonders hervorgehoben. Wir vermuten, dass die Schule filr die Population der Verhaltens- auff~lligen generell dieselben Mechanismen der Zensurierung (unerwilnschte PersiSnlichkeitsmerk- male bestraft, erwiinschte bekr~iftigt) zur Anwen- dung bringt, der Intelligenz abet besondere Bedeu- tung beimisst. Sofern ein intelligenter Schiller Ver- haltensauff~illigkeiten zeigt, wird die Etikettierung besonders stark. Offensichtlich erwartet die Schule von diesem Merkmal eine Korrektur der uner- wfinschten Pers6nlichkeitsmerkmale. Um so ent- t~iuschter scheint sie, wenn dies dann nicht eintrifft Dieser Sachverhalt trifft sich sehr gut mit pragmati- schen Erfahrungen aller Beratungsdienste, die ilber- einstimmend dahin lauten, dass intelligenzm~ssig schwache Schiller lange in der Schule mitlaufen, sofern sie nicht von ihrer Pers6nlichkeit und ihrem Verhalten her zu Kritik Anlass geben. Umgekehrt wird bei intelligenten Schillern viel rascher negativ geurteilt, sofern sie durch unerwilnschte PersSnlich- keitszilge und Verhaltensweisen charakterisiert sind.

- Ebenso gehen psychologische Beratungsdienste vor. Wir vermuten, dass filr sie, neben der Intelligenz, vor allem der Faktor <<social sensibility)~ eine bedeu- tende Rolle spielt. Einem Schiller wird dann das <<Label~ verhaltensgest6rt zugesprochen, wenn er fiber wenig <<social feeling~ und schlechte Schulzen- suren verffigt.

Abschliessend ist festzustellen, dass die vom Ansatz des labeling approach ausgehende Hypothese in wesentlichen Teilen best~itigt werden konnte. Verhal- tensgest6rte Schiller geh6ren zu (<unterem) Populatio- nen oder tendieren stark zu deren Verhalten. Es ist anzunehmen, dass dies eine Folge des ~<labelings)~ der Schule und ihr affilierter Institutionen ist. Der Problematik unseres theoretischen Ansatzes, bei dem ein komplexes Geschehen auf wenige Dimensio- nen reduziert wird, sind wir uns bewusst. Wir ziehen es aber vor, selektiv operationale Dimensionen und damit pr~izis definierte, also objektive, zu verwenden,

statt der vermeintlich <<umfassenden F/ille~ unbe- stimmter, unklar definierter und subjektiv gef~rbter. In der Folge meinen wir auch nicht, die Entstehung von VerhaltensstSrungen allgemein erklfirt zu haben, glauben jedoch, einen wichtigen Teil zum Verst~indnis von verhaltensgestSrten Schiilem beitragen zu k6n- nen. Es scheint erwiesen, dass die Schule dazu neigt, unter anderem auch solche Kinder als (~verhaltensge- st6rt)~ zu bezeichnen, die ihrer Erwartung im Hinbliek auf die Pers6nlichkeitsstruktur nicht entsprechen. Fiir uns Psychologen nicht sehr erfreulich ist die Tatsache, dass psychologische Beratungsdienste an diesem <<labeling~) mitbeteiligt sind.

Zusammen~ssung Im Rahmen der Adoleszentenstudie Basel-Stadt wird das Ph~i~o- men der VerhaltensstSrung untersucht. Es zeigt sich, dass Verhal- tensgestSrte iiberwiegend der Untcrsehicht und untern Schultypen angehSren. Sofern sie zu andern Schichten oder Schultypen gehS- ren, zeigen sie in ihrer Pers6nlichkeitsstruktur jedoch geh~iuft Merkmale und Verhaltensweisen dieser unteren Populationen. lm weiteren kann der theoretische Ansatz des ~labeling approach~ verifiziert werden. Schule und Beratungsdienste stellen sich dabei als wirksame Teile der Instanzen der Sozialkontrolle dar.

R6sum~

Personnalit6, rendement scolaire et troubles de comportemenL Un des ph6nom~nes examin6s darts le cadre de la recherche des adolescents de B~le-Ville est le trouble de comportement. On cons- tate que radolescent touch6 de troubles de eomportement appar- tient surtout h la classe sociale infdrieure alnsi qu'au type seolaire inf6rieur. S'il fait partie d'une autre classe sociale ou d'tm autre type scolaire, sa structure de la personnalitd pr6sente en haut degr6 les marques et les comportement de cette classe inf6rieure. En outre, la thdorie du ~dabeling approach~> peut &re v6rifi6e. Puisque r6cole et les offices m6dico-psychologiques font partie des institutions de contr61e social les plus importantes, ils contribuent considdrable- ment h ce rdsultat.

Summary

Personality, achievement and behaviour disorders. In the framework of the Basle Adolescence-Study, students with indications of behaviour disorders were the subject of a special analysis. The greater part of them belonged to the lower social class and frequented the intellectually less demanding branches of the school system. Even where this was not the ease their personality profile showed the characteristics of the lower class populations. The theoretical base of the ~labelling approach~ could be verified~ School and Counselling Service proved to be efficacious parts of the system of social control.

Literatur [1] Ammann R., und Erne, H., PersSnlichkeit und Schulleistungen,

Sozial- und Pr~iventivmed. 21, 215/216 (1976). [2] Glueck S., und Glueck, E., Jugendliche Rechtsbrecher, Stuttgart

1963. [3] Redl, F., und Winemann, D., Kinder die hassen, Freiburg 1970.

Adresse der Autoren Dipl. Psych. R. Ammann, Schulpsychologischer Dienst Basel-Stadt, Gartenstrasse 112, CH-4052 Basel, und Dr. phil. H. Erne, Ahtei- lung ffir Sozial- und Pr~iventivmedizin der Universit~it Basel, St. Alban-Vorstadt 19, CH-4052 Basel.

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