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Unverkäufliche Leseprobe aus: Eduardo Mendoza Der Friseur und die Kanzlerin Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen. © S.Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

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Unverkäufliche Leseprobe aus:

Eduardo MendozaDer Friseur und die Kanzlerin

Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern,

auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags

urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die

Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen

Systemen.

© S.Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

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ein star tritt auf

Es klingelte. Ich machte auf. Hätte ich es doch nie getan.Vor der Tür fuchtelte ein Postbeamter wild blickend undverwegen gestikulierend, beides in langen Jahren eisernenDrills durch unmenschliche Unteroffiziere erworben, miteinem an meinen Namen und meine Adresse gerichtetenEinschreibebrief. Bevor ich den Umschlag entgegennahm,mich auswies und die erforderliche Unterschrift leistete,versuchte ich mit dem Hinweis zu kneifen, hier wohne nie-mand dieses Namens, und hätte jemand dieses Namenshier gewohnt, so wäre er jetzt tot, und überhaupt, der Ver-storbene sei vorige Woche in Urlaub gefahren. Es half allesnichts.

Also unterschrieb ich, trollte sich der Briefträger, öff-nete sich der Umschlag (mit meiner Hilfe) und verblüfftees mich, darin eine Glanzpapierkarte zu finden, mit dermich Seine Magnifizenz, der Rektor der Universität Barce-lona, zur Investitur von Dr. Sugrañes zum Doktor honoriscausa einlud, einem auf den 4. Februar des laufenden Jah-res in der Aula dieser altehrwürdigen Lehranstalt anbe-raumten Akt. Unter dem gedruckten Text erläuterte einhandschriftlicher Zusatz, die Einladung werde mir auf aus-drücklichen Wunsch des zu Ehrenden zugestellt.

Dass sich Dr. Sugrañes trotz der seit unserer letztenBegegnung verstrichenen Zeit an mich erinnerte, war dop-pelt verdienstvoll. Zunächst, weil sich in seinem Gedächt-nis gelegentlich altersbedingte Lücken, ja Abgründe auf-

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taten. Und zweitens, weil er sich nicht nur an mich erin-nerte, sondern es voller Zuneigung tat. Ehrlich gesagt konn-ten wenige Menschen ein getreueres Zeugnis seines aus-gedehnten Berufslebens ablegen als ich, denn – falls sichder Schilderung dieser Abenteuer ein Leser anschließt, dermein Vorleben nicht kennt – in der Vergangenheit war ichungerechtfertigterweise, was jetzt nichts zur Sache tut, ineiner Strafanstalt für geistesgestörte Gesetzesbrecher ein-gesperrt, und diese Anstalt wurde auf Lebenszeit und mitunzimperlichen Methoden von Dr. Sugrañes geleitet, wes-halb es zwischen ihm und mir, kaum erstaunlich, zu gering-fügigen Missverständnissen, leichten Meinungsverschie-denheiten und einigen physischen Aggressionen kam, beidenen ich fast immer den Kürzeren zog, obwohl ich ihmeinmal die Brille zerbrach, ein andermal die Hose zerrissund ein drittes Mal zwei Zähne ausschlug.

Am wahrscheinlichsten jedoch war, sagte ich mir, nach-dem ich die Einladung wieder und wieder gelesen hatte,dass Dr. Sugrañes seine Laufbahn beschließen wollte, ohnedemjenigen zu grollen, mit dem er so lange Zeit zusam-mengelebt und dem er so viel berufliches, emotionales, japhysisches Bemühen hatte angedeihen lassen. Also nahmich in meiner Antwort die Einladung dankend an. Und dadie Veranstaltung eine feierliche und der Ort gewisserma-ßen sagenhaft war, lieh ich mir einen grauen Flanellanzugaus, der mehr oder weniger meine Größe hatte, und ver-vollständigte ihn mit einer karminroten Krawatte und eineraufplatzbereiten Nelke im Revers. Mit dieser Aufmachungglaubte ich den Nagel auf den Kopf getroffen zu haben –Pustekuchen. Kaum gelangte ich zum angegebenen Zeit-punkt unter Vorweisung der Einladung vor den Eingangdes edlen Kolosseums, schieden mich einige Saaldiener

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von den übrigen Teilnehmern, führten mich in ein elen-des Kabäuschen und befahlen mir im Kasernenhofton,mich auszuziehen. Als ich nur noch die Socken am Leibetrug, steckten sie mich in einen grünen Nylon-Kranken-hauskittel, vorn geschlossen und hinten mit einigen Bän-dern zusammengehalten, so dass die Gesäßbacken mit al-lem Drumherum zu sehen waren. In dieser Aufmachunggeleiteten sie mich mehr gewaltsam als gutwillig in einengroßen, dicht besetzten Prachtsaal und hießen mich einPodium erklettern, neben dem in Toga und Barett Dr. Su-grañes referierte. Mein Auftritt löste erwartungsvollesSchweigen aus, das der Vortragende brach, um mich alseinen der schwierigsten Fälle eines ganz der Wissenschaftgewidmeten Lebens zu präsentieren. Einen Zeigestock aufmich richtend, beschrieb er meine Ätiologie mit einerFülle an Verfälschungen. Wiederholt versuchte ich michgegen seine Anschuldigungen zu wehren, aber vergebens:Sowie ich den Mund öffnete, übertönte das Gelächter desPublikums meine Stimme und damit meine stichhaltigenArgumente. Dem Geehrten jedoch wurde respektvoll ge-lauscht; die Fleißigsten machten sich Notizen. Glücklicher-weise endete der Vortrag bald. Nachdem er einige für michschmachvolle, die Anwesenden aber ergötzende Episodenerzählt hatte, verfolgte mich Dr. Sugrañes zur Krönungseiner Darlegungen mit einem Klistier durch die ganzeAula.

Am Ende dieses stark beklatschten Teils des akade-mischen Akts wurde der frischgebackene Doktor honoriscausa von anmutigen Masteranwärterinnen mit Rosen-blättern beworfen und ich ins Kabäuschen zu meinen Klei-dern zurückgeführt. Zu meiner größten Überraschung trafich hier auf einen ehemaligen Sanatoriumskollegen, den ich

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seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, dessen Bild ich aberunauslöschlich in mir trug: Romulus der Schöne.

Als ich in die oben erwähnte medizinische Strafanstalteingeliefert wurde, befand sich Romulus der Schöne schonetwas über ein halbes Jahr dort und hatte bereits den Re-spekt der anderen Internierten gewonnen und sich dieFeindschaft von Dr. Sugrañes eingehandelt. Ich handeltemir bald letztere ein und gewann niemals erstere. Romuluswar jung und hatte sehr gefällige Züge – er sah dem da-mals auf dem Gipfel seiner Kunst und Schönheit stehendenTony Curtis außerordentlich ähnlich. Tony Curtis zu glei-chen kann positiv oder negativ sein, je nachdem. In einerIrrenanstalt indessen ist es nicht von Belang, doch Romu-lus hatte nicht nur ein hübsches Gesicht und eine athle-tische Konstitution, sondern auch ein elegantes Auftreten,ein sanftes Benehmen, er war intelligent und äußerst dis-kret. Von seinem Vorleben wusste niemand etwas, aber dieGerüchte schrieben ihm unglaubliche Missetaten zu. An-fänglich mied er meine Gesellschaft, und ich suchte nichtdie seine. Eines Nachmittags versuchte Luis Mariano Mo-reno Barracuda, ein Ganove aus dem Saal B, der sich alsder Zorro, Tschu En-lai und die Espasa-Enzyklopädie aus-gab, ohne dass diese Zuschreibungen oder gar ihre Häu-fung irgendwie gerechtfertigt gewesen wären, mir meinVesperbrot zu stibitzen. Wir beschimpften uns, und wegeneines Kantens Brot verpasste mir der andere eine TrachtPrügel. Romulus der Schöne mischte sich ein, um Friedenzu stiften. Nach der Friedenstiftung hatte Luis MarianoMoreno Barracuda einen gebrochenen Arm, ein halbesOhr weniger und Nasenbluten. Wir wurden beide in dieStrafzelle gesteckt und Barracuda ins Krankenzimmer, daser in der Überzeugung verließ, außer den obengenannten

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auch Jessye Norman zu sein. Unterwegs zur Zelle flüstertemir Romulus zu: Homo homini lupus. Ich dachte, er er-teile mir die Absolution. So was kann in einem Irrenhausschon mal vorkommen. Später erfuhr ich, dass er ein be-lesener Mann war. Das Eingeschlossensein und die damitverbundenen Kaltwassergüsse zeitigten eine nachhaltigeFreundschaft zwischen uns. Trotz des Unterschieds in Cha-rakter und Bildung verband uns der Umstand, dass wiruns beide aufgrund gerichtlicher Willkür hinter Schlossund Riegel befanden. Zu jener Zeit war Romulus mit einerSchönheit verheiratet, die ihn oft besuchte und ihm Le-bensmittel, Zigaretten (früher wurde noch geraucht), Bü-cher und Zeitschriften mitbrachte. Essen und Zeitschrif-ten teilte er mit mir im Wissen, dass er nicht mit einerGegenleistung rechnen durfte – mich besuchte keiner. Alser einmal grundlos und aus purer Aversion eines Vergehensbeschuldigt wurde, leistete ich Bürgschaft für sein gutesBenehmen. Das trug uns erneut die Strafzelle ein. DieÜbereiltheit, mit der man uns aus dem Sanatorium entließ,und das geringe Interesse aller, den Aufenthalt daselbstzu verlängern, verwehrten uns ein Abschiednehmen, wiees unter Kameraden geboten gewesen wäre. Als wir unszum letzten Mal gesehen hatten, waren wir in Unterhosen.Jetzt, viele Jahre später, trafen wir uns wieder, und ichwar immer noch in Unterhosen. Er dagegen trug einengutgeschnittenen Anzug aus blauem Tuch, eine gestreifteKrawatte, einen waldgrünen Lodenmantel und blankge-wienerte Mokassins. Auch sein gefälliges Aussehen hatteer nicht eingebüßt, ja, er glich immer noch Tony Curtis,doch genau wie diesem merkte man auch ihm die Anstren-gung an, so zu bleiben, wie er war.

Wir verschmolzen in herzlicher Umarmung, und dabei

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glitt sein Toupet zu Boden. Nach diesem peinlichen Augen-blick und der Mitteilung, er sei als Ersatzmann zur In-vestiturzeremonie geladen worden, erkundigte er sich nachmeinem Ergehen, seit wir uns zum letzten Mal gesehenhätten. Bevor ich antwortete, fragte ich rein höflichkeits-halber nach seinem Ergehen. Da ich mittlerweile fertig an-gezogen war, seufzte er und sagte:

«Ach, mein Freund, meine Geschichte lässt sich nichtin einigen Minuten zusammenfassen. Aber wenn du Zeit,Lust oder die Güte hast, sie dir anzuhören, und dich vonmir zu einem Imbiss einladen lässt, werde ich sie dir aus-führlich erzählen.»

Erfreut willigte ich in den Vorschlag ein, denn nichtsbereitete mir eine größere Freude, als unsere alte Freund-schaft wiederaufzunehmen. Unbemerkt verließen wir dasgelehrte Haus und gingen in eine nahe Speisewirtschaft.Romulus bestellte eine Portion Sardellen, für sich ein GlasWeißwein und für mich eine Pepsi. Es rührte mich, dass ersich noch an mein Lieblingsgetränk erinnerte. Nachdemwir bedient worden waren, setzte er zur Schilderung desletzten Teils seiner bewegten Biographie an.

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was romulus der schöne erzählte

Die Schließung der Anstalt hatte Romulus den Schönen ineine so missliche Lage versetzt wie die anderen Insassenauch, eingeschlossen den Protokollanten dieser ursprüng-lich mündlichen Erzählung. Dank seinen Geistesgaben,dem Zufall und der Fürsorge anderer fand er trotz seinerVorstrafen bald eine nicht nur ehrliche, sondern auch eh-renwerte Arbeit als Pförtner eines herrschaftlichen Hausesim nicht weniger herrschaftlichen Bonanova-Viertel. Dortveredelte der tägliche Umgang mit wohlerzogenen Men-schen seine Manieren; gelegentliche Geschenke bessertenseinen Hausrat auf. Nach drei Jahren wurde er von derEigentümergemeinschaft entlassen, da man die Ausgabenreduzieren wollte. Mittellos und ohne die Möglichkeit, zuwelchen zu kommen, jedoch nicht entmutigt, beschloss er,einen Bankkredit zu beantragen, um damit ein Geschäftaufzuziehen. Ein schöner Anzug und ein gutes Benehmenöffnen die wichtigen Türen, heißt es – sogleich wurde erherzlich von Dr. Villegas empfangen, dem Leiter der vonihm ausgewählten Bankfiliale. Bei den in der Pförtnerlogegeleisteten Diensten hatte er die Unterschriften der Ma-gnaten in seinem Haus kennengelernt. Er legte Bürgschaf-ten mit den gefälschten Unterschriften der reichsten vonihnen vor und suchte um einen Kredit nach, dessen Ausar-beitung mehrmaliges Erscheinen in der Filiale erforderte.Als er ihm schließlich gewährt wurde, kannte Romulus derSchöne die Raumaufteilung und das Wesen und Verhalten

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des Personals bis ins kleinste Detail. Mit dem Kredit be-sorgte er sich zwei Pistolen, zwei riesige Aktentaschen undzwei Sturmhauben. Er kaufte alles doppelt, da er für seineOperation einen Gehilfen benötigte. Bei der Wahl beginger einen Fehler.

Der Erwählte hieß oder nannte sich Johnny Pox, stamm-te aus dem Ausland, war neu in der Stadt und unbeschol-ten, ernsthaft, methodisch und guter Dinge. Er machteBodybuilding, trank und rauchte nicht und konsumiertekeine Drogen. Widerspruchslos stimmte er dem Vorschlag,dem vorgesehenen Ablauf und dem ihm bei der Verteilungder Beute zufallenden Anteil zu. Am Vorabend entwende-ten sie ein 125er-Motorrad und parkten es vor dem Ein-gang der Bankfiliale, um nach getanem Überfall damit dasWeite zu suchen. Romulus der Schöne hatte keinen Führer-schein, schon gar nicht für Zweiräder, aber sein Komplizewar ein versierter Motorradfahrer.

An diesem Punkt der Erzählung unterbrach ich ihn, ummeiner Verwunderung Ausdruck zu geben: Es wollte mirselbst angesichts so widriger Umstände nicht in den Kopf,dass sich Romulus zu einer Missetat dieses Kalibers ver-stiegen hatte.

«Pah», sagte er, «heutzutage ist Bankraub ein Kinder-spiel.» Und amüsiert über meine erstaunt-hingerisseneMiene, fügte er hinzu: «In der modernen Welt ist klin-gende Münze eine Reliquie. Sämtliche Transaktionen, obgewichtig oder unbedeutend, werden mit der Kreditkarteoder online getätigt. Natürlich mit Ausnahme schwarzerOperationen, aber die laufen nicht über die Bank oder zu-mindest nicht über die Stadtteilfilialen. Jedenfalls habendie Banken in ihren Geldschränken nur eine geringe Mengein bar, und folglich lohnt sich Bankraub nicht mehr. Diebe

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nehmen lieber Juwelierläden oder Privatwohnungen aus.Die Banken wiederum haben in ihrer Wachsamkeit nach-gelassen – es zahlt sich für sie nicht mehr aus, bewaffneteWachleute einzustellen. Der Geldschrank steht immer of-fen, und der Alarm ist ausgeschaltet. Die Videokamerassind zur Decke gerichtet und die Angestellten davon über-zeugt, dass sie im Zuge des Personalabbaus von einem Tagauf den anderen auf der Straße stehen können, und sokommt es ihnen gar nicht erst in den Sinn, ihr Leben zuriskieren, indem sie Widerstand leisten.»

Wieder unterbrach ich ihn und fragte, welchen Sinn esdennhabe, füreinesomagereBeuteeineBankauszurauben.

«Alles ist relativ», meinte er. «An einem guten Tag kannman mit wenig Anstrengung und ohne jedes Risiko gutund gern zweitausend Euro rausholen. Mit zwei Überfäl-len pro Monat kommt man gradeso durch.»

Alles war so verlaufen, wie Romulus der Schöne es ge-plant hatte, doch im letzten Augenblick scheiterte derÜberfall an etwas Unvorhergesehenem, ebenso Nichtigemwie Alltäglichem: am Faktor Mensch.

Das Gesicht in den Sturmmasken verborgen, das Mo-torrad vor der Bankfiliale in Stellung, in der einen Handeine Plastiktüte, in der anderen die Pistole – so betratenRomulus der Schöne und Johnny Pox das Lokal, als geradekein Kunde darin war. Wortlos füllten die Angestellten dieTüten mit Scheinen und Münzen, während der Filialleiter(Señor Villegas) seine Untergebenen zur Kooperation an-hielt, um ein Blutbad zu verhindern. In weniger als einerMinute war der Überfall vollzogen. Beim Hinausgehenblieb Johnny Pox vor der Auslage eines sechsteiligen Por-zellanservices stehen und fragte, ob sie das nicht auch mit-nehmen sollten.

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«Nein», sagte Romulus, «der Plan sieht vor, dass wiruns unverzüglich aus dem Staub machen.»

«Aber, Menschenskind, hast du gesehen, was für ein Ge-schirr, Romulus? Göttlich, göttlich!»

«Das ist nicht der Moment, sich zu outen, Johnny.»Hier mischte sich Señor Villegas ein und erklärte, das

Geschirr sei ein Geschenk für die, die eine Sechs-Monate-Einlage von über zweitausend Euro leisteten.

«Ach», seufzte Johnny, «und woher soll ich so viel Geldnehmen?»

«Wenn Sie mir den Vorschlag gestatten, Señor Pox»,sagte Señor Villegas, «so können Sie es aus der Plastiktütenehmen. Und denken Sie daran, dass Sie das Geld mitsamtdem Zins in sechs Monaten wieder abheben können. Daseinzige Problem besteht darin, dass das Geschäft eini-ger Formalitäten bedarf. Hier arbeiten wir nicht einfachdrauflos. Hier pflegen wir einen persönlichen Umgang mitden Kunden. Fragen Sie nur Don Romulus, dem wir kürz-lich ein Darlehen gewährt haben, oder fragen Sie die Leute,die sich in diesem Moment vor dem Eingang drängen, umdem Überfall beizuwohnen.»

Eine Stunde später standen Romulus der Schöne undJohnny Pox vor dem Richter. Johnny wurde wegen Zugehö-rigkeit zu einer bewaffneten Bande verurteilt, doch weil ernichts Böses getan hatte, wurden ihm mildernde Umständezugebilligt, und er stand gleich wieder auf der Straße.Romulus wurde zu einer Haftstrafe von zwanzig Jahrenverknurrt. Angesichts dessen, dass er schon vorher in einerIrrenanstalt eingesessen hatte, verfügte das Gericht seineEinweisung in eine Institution gleicher Natur. Da diese In-stitutionen der Sozialversicherung angehörten, wartete ernun schon mehrere Monate auf einen freien Platz.

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«Die können jeden Moment anrufen», sagte er abschlie-ßend, «und das geht mir, ehrlich gesagt, sehr gegen denStrich. Ich bin an die Freiheit gewöhnt, du verstehst schon.Wenn ich bloß ein bisschen Geld hätte, würde ich irgend-wohin verduften. Aber ich bin vollkommen blank.» Erseufzte, schwieg einen Augenblick und sagte dann in ver-ändertem Ton: «Nun, ich will dich nicht mit meinem Kum-mer belasten. Erzähl von dir. Wie geht’s dir denn so?»

«Sehr gut», antwortete ich.Die Wirklichkeit sah freilich ganz anders aus, aber die

Geschichte meines armen Freundes hatte mich trauriggestimmt, und ich mochte seinen Kummer nicht noch ver-größern mit der Schilderung meiner eigenen Nöte. Nacheinigen abenteuerlichen Gehversuchen, die ich seinerzeitschriftlich festgehalten habe, führte ich seit ein paar Jah-ren einen Damensalon, den in letzter Zeit mit bewunde-rungswürdiger Regelmäßigkeit nur ein Caixa-Angestellteraufsuchte, um die Rückstände bei der Abzahlung meinerKredite einzufordern. Die Krise hatte in der tüchtigen so-zialen Schicht gewütet, auf die mein Geschäft ausgerich-tet war, nämlich die der armen Teufel, und zum Gipfelallen Unglücks gaben die wenigen Frauen, die noch nichtkahl waren und über Geld verfügten, dieses in einemvor kurzem gegenüber dem Salon eröffneten chinesischenWarenhaus aus, wo Glasperlen, Trödel und anderer Firle-fanz zu Schleuderpreisen verkauft wurden. Da dieses Wa-renhaus überdies der beste Kunde der Caixa war, hattees keinen Sinn, ihm die Schuld in die Schuhe zu schie-ben, um Aufschub bei der Abzahlung von Krediten zuerbitten, die es mir nur mit Mühe und Not erlaubten,den Laden offenzuhalten und alle Jubeljahre etwas zuessen.

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«Ja», sagte Romulus, «man braucht dich bloß anzu-schauen.»

Danach widmete er seine ganze Aufmerksamkeit denSardellen, als wäre mit dieser Bemerkung die Aufarbei-tung unserer beider Leben abgeschlossen, so dass wir einneues Thema anschneiden konnten. Doch ich kannte ihngenau und war überzeugt, dass er bloß Zeit gewinnenwollte, um zur Sache zu kommen. Tatsächlich beendete ernach einer Weile sein schmatzendes Schlingen, trank denWein aus, wischte sich mit der Serviette Lippen und Fingerab, schaute mich aus halbgeschlossenen Augen an undsagte:

«Was ich dir vorhin erzählt habe, das mit dem Überfallund so, das ist allgemein bekannt, Zeitung und Fernsehenhaben darüber berichtet. Aber was ich dir jetzt sagenwerde, muss unter uns bleiben. Ich habe volles Vertrauenin deine Diskretion.»

«Ich würde sie lieber gar nicht erst anwenden müssen,Romulus, erzähl mir keine Geheimnisse.»

«Na, komm schon, um unserer Freundschaft willen»,fiel er mir ins Wort. «Mit irgendjemandem muss ich überdiese Dinge reden, und ich weiß, dass ich mit dir genausorechnen kann wie früher. Also pass auf. Vorhin habe ichgesagt, dass ich nicht ins Gefängnis will. In meinem Alterwürde ich das nicht überstehen. Also habe ich beschlossenzu fliehen. Brasilien scheint mir ein guter Ort zu sein: an-genehmes Klima, Weiber und Fußball. Aber ohne Geldkann ich nicht abhauen. Darum habe ich dich gefragt …Nein, nein, keine Bange, ich werde dich nicht anpumpen.Ich ahne schon, wie deine finanzielle Lage aussieht. InWirklichkeit …»

Er senkte die Stimme, beugte sich vor, bedeutete mir mit

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einem Handzeichen, es ihm gleichzutun, und als unsereKöpfe über dem leeren Teller zusammensteckten, fuhr erflüsternd fort:

«Ich habe einen Coup geplant. Etwas Sensationelles.Ohne Risiko, ohne großen Aufwand, ohne unangenehmeZufälle. Alles ist vorbereitet. Nur die Mannschaft fehlt mirnoch. Wie sieht’s aus?»

«Du machst mir einen Vorschlag?»«Natürlich», rief er frohgemut.«Du irrst dich in der Person, Romulus. Zu so etwas

tauge ich nicht. Ich bin bloß ein Damenfriseur, dazu nochohne Kundschaft.»

«Na komm, wen willst du denn hinters Licht führen?Haben wir uns etwa eben erst kennengelernt? Du bist dergewiefteste Dieb in dieser Wahnsinnsstadt. Du warst schonimmer ein Meister: verschwiegen, penetrant, tödlich. Inder Anstalt hat man dich ‹das giftige Fürzchen› genannt,hast du das vergessen?»

Die Erwähnung dieses ehrenvollen Spitznamens erfülltemich einen Augenblick mit nostalgischem Stolz. Aber dieErfahrung hat mich gelehrt, Schmeicheleien mehr zu fürch-ten als Drohungen, so dass ich in die Gegenwart zurück-kehrte und sagte:

«Danke, Romulus, aber ich lehne die Einladung immernoch ab. Sei mir nicht böse. Natürlich habe ich nichts vondem gehört, was du mir gesagt hast. Wir haben nicht ein-mal hier Tapas gegessen und etwas getrunken. Das nur,falls ich gefragt werde. Bei mir werde ich immer voller Zu-neigung an diese Begegnung denken. Ich wünsche dir dasAllerbeste.»

Wir nahmen meinen Bauern- und seinen Lodenmantelvom Garderobenständer, und er griff sich noch den Schal

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eines vertrauensseligen Gastes. Es war stockdunkle Nachtgeworden, und ein kalter Wind pfiff, als wir uns auf derStraße umarmten und jeder seines Weges ging.

Nach dieser Begegnung war ich verwirrt und vollerSorge. Ich fragte mich, ob ich mich nicht bestimmter hätteverhalten sollen, sei es mit dem Versuch, Romulus voneinem Projekt abzubringen, das ich mir undurchführbarund höchst riskant ausmalte, sei es, indem ich ihm in seinermisslichen Lage meine Hilfe anbot. Aber was konnte ichschon tun? In meinen jungen Jahren war ich, wie erwähnt,ein gesichtsloser Übeltäter gewesen: ungeschickt, ängstlichund phantasielos. Mit der Zeit kam zu diesen Gaben nochdie Niederträchtigkeit, als Polizeispitzel Schlimmeres ver-hindern zu wollen, doch es war verlorene Liebesmüh. Ro-mulus der Schöne war das genaue Gegenteil: talentiert,ehrgeizig, beherzt und voller Berufsstolz. Er beschränktesich nicht wie so viele andere darauf, von einem großenkünftigen Coup nur zu träumen, sondern plante ihn bis indie kleinsten Einzelheiten und führte ihn dann aus, ohnesich von der Gefahr oder den Mühen abschrecken zu las-sen. Ob es ihm schließlich gelang oder nicht, ist ein ande-res Kapitel.

Einmal, vor vielen Jahren in der Besserungsanstalt, er-zählte er mir, wie er versucht hatte, sein sogenanntes capo-lavoro zu schaffen, und es auch beinahe zustande gebrachthätte. Zwar war er kein Fußballfan wie ich, doch er wusstehaargenau, welche Emotionen dieser Sport auslöst, und sokam er auf die Idee, die Barça-Stammformation zu ent-führen und von jedem Klubmitglied ein Lösegeld von zehnPeseten zu fordern, womit er über eine Million verdienenwürde, ohne dadurch jemanden in den Bankrott zu trei-ben. Der Plan sah vor, auf einer ihrer Reisen das Flugzeug

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der Spieler und ihrer Betreuer in seine Gewalt zu bekom-men. Da er nicht nur über Phantasie, sondern auch einbeträchtliches handwerkliches Geschick verfügte, entwarfund baute er aus Holz, Plastik und Metall einen Spiel-zeugmüllwagen, den man auseinandernehmen und zu ei-nem 67er Smith-&-Wesson-Revolver, Kaliber 38, umbauenkonnte, zwar ebenfalls ein Spielzeug, aber höchst effizient.Als das Artefakt nach monatelanger Arbeit fertig war,brachte er das Datum in Erfahrung, an dem die Fußball-mannschaft reisen musste, kaufte ein Ticket für denselbenFlug und ging mit der Lastwagen-Pistole an Bord, ohneVerdacht zu erwecken. Nach dem Start und nachdem derFlugkapitän das Anschnallzeichen ausgeschaltet hatte,klappte er den Klapptisch herunter und begann den Last-wagen umzubauen. Der Flug war unruhig, und die Nervo-sität besorgte den Rest: Als der Sinkflug zum FlughafenSantander begann, wo Barça gegen die lokale Mannschaft(Racing) anzutreten hatte, lagen viele Teile des Lastwagensnoch verstreut auf dem Klapptisch, und einige kullertenzwischen den Schuhen der Passagiere umher. Die Stewar-dess beschwor ihn, den Tisch hochzuklappen und seineRückenlehne senkrecht zu stellen, und Romulus bliebkaum noch Zeit, die restlichen Teilchen einzusammelnund einzustecken.

Von diesem Misserfolg ließ er sich nicht entmutigen: Inden Stunden zwischen der Ankunft und der Rückreise derSpieler setzte er sich auf eine öffentliche Bank gegenüberdem El-Sardinero-Stadion und übte sich in der Zusam-mensetzung der Waffe, bis er alle Handgriffe perfekt be-herrschte. Er hatte Glück und bekam einen Platz in derMaschine, in der die Mannschaft nach dem Spiel zurück-flog. Es war schon dunkle Nacht und das Licht in der Ka-

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bine nicht sehr hell, und wie schon bei der Anreise wurdedas Flugzeug von Böen geschüttelt. Trotzdem gelang esihm, den Lastwagen rechtzeitig zu zerlegen und zum Re-volver umzubauen. Allerdings war bei dem Gerüttel keinePräzisionsarbeit möglich – der Pistolenlauf schaute nachoben, der Abzug fehlte, und das Ganze sah eher nach Gieß-kanne als nach sonst etwas aus, doch in den Händen einesentschlossenen Mannes konnte die gewünschte Wirkungnicht ausbleiben. Romulus zauderte nicht: Er zog ein Tuchaus der Tasche, öffnete den Sicherheitsgurt und stand auf.Da er vergessen hatte, den Tisch hochzuklappen, erhielt ereinen kräftigen Schlag in den Magen. Gekrümmt, mit dereinen Hand das Taschentuch über den unteren Teil des Ge-sichts, mit der anderen den Revolver haltend, schritt erentschlossen durch den Gang und rief:

«Aus dem Weg! Aus dem Weg! Keine Bewegung, und eswird Ihnen nichts geschehen!»

Die Passagiere duckten sich mit Schreckensgesten und-schreien in ihren Sitzen und bedeckten das Gesicht mitden Händen oder der Bordzeitschrift Ronda Iberia. Im Nustand er vor dem Cockpit, riss die Tür auf, drang mit Ge-brüll ein und schloss die Tür wieder hinter sich. Da merkteer, dass er in seiner Hast die falsche Richtung eingeschla-gen hatte und in die Hecktoilette eingedrungen war. Überden Lautsprecher gab der Pilot die Anweisungen für dieLandung auf dem Flughafen El Prat durch. Wütend undmit zitternden Händen zerlegte er die Pistole wieder, ver-steckte einmal mehr die Teilchen in den Hosentaschen undverließ sein Gefängnis. Im Gang stieß er auf keinen Gerin-geren als Andoni Zubizarreta, der ihn im Namen der gan-zen Mannschaft fragte, ob es ihm wieder besser gehe. Ernickte, bedankte sich, entschuldigte sich bei Passagieren

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und Stewardessen mit dem Hinweis, er sei bei den Turbu-lenzen plötzlich unpässlich geworden, und beschloss, dieAusführung seines Plans auf später zu verschieben. Wei-tere Unannehmlichkeiten, etwa verhaftet, wegen eines frü-heren Vergehens verurteilt und ins Sanatorium gesteckt zuwerden, zwangen ihn, das Vorhaben auf unbestimmte Zeitzu vertagen, doch seine Entschlossenheit schwand ebensowenig wie seine Überzeugung, dass, wären da nicht einoder zwei mit der Erfahrung leicht zu korrigierende ge-ringfügige Details gewesen, die Entführung ein voller Er-folg gewesen wäre, der ihm Reichtum und Ruhm verschaffthätte. Bis er wieder in Freiheit war, hatten sich die Sicher-heitsmaßnahmen auf den Flughäfen sehr verschärft, undBarça reiste unter anderen Bedingungen. Von diesem epi-schen Projekt blieben nur die Frustration seines Schöpfersund die Bewunderung derer, die wie ich die Schilderungaus seinem Munde hörten.

Wieder zu Hause, hatte ich bereits beschlossen, dassmeine Haltung gegenüber Romulus’ Vorschlag die richtigewar. Ehrlich gesagt war ich in all den Jahren, die vergangenwaren, seit mich meine Fehltritte ins Sanatorium geführthatten, nie mehr auf die Idee gekommen, eine Straftat zubegehen. Ich war nicht nur rehabilitiert und hatte derGesellschaft meine Schuld zurückgezahlt, sondern durftemich rühmen, ein vorbildlicher Bürger zu sein. Für nichtsauf der Welt hätte ich meine Freiheit oder gar meine Hautaufs Spiel gesetzt. Für nichts auf der Welt außer für Romu-lus den Schönen.

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