otto esser: gelebte verantwortung für wirtschaft und gesellschaft

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WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT ARBEITGEBERFORUM SYMPOSIUM ZUM GEDENKEN AN DEN EHRENPRÄSIDENTEN DER BDA OTTO ESSER III. ARBEITGEBERFORUM WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT, 5. Dezember 2005 Haus der Deutschen Wirtschaft, Berlin

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Otto Esser gehörte einer Generation von Unternehmern an, die den Aufbau der Sozialen Marktwirtschaft aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs aktiv gestalteten. Wie kein Zweiter verkörperte er die Tugenden, die den erfolgreichen und gewissenhaften Unternehmer ausmachen: Integrität, Glaubwürdigkeit, Kompetenz und Entschlossenheit. Otto Esser blieb dieser Linie stets treu. In der schweren Stunde nach der Ermordung von Hanns-Martin Schleyer übernahm er ohne Zögern das Amt des Arbeitgeberpräsidenten. Sein beständiger Dienst im Sinne des Interessenausgleichs an der Spitze der deutschen Arbeitgeberverbände, seine gelebte Verantwortung für Wirtschaft und Gesellschaft brachten ihm große Anerkennung und Wertschätzung ein.

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Page 1: Otto Esser: Gelebte Verantwortung für Wirtschaft und Gesellschaft

WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT

ARBEITGEBERFORUM

SYMPOSIUM

ZUM GEDENKEN AN DEN

EHRENPRÄSIDENTEN DER BDA

OTTO ESSER

III. ARBEITGEBERFORUMWIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT,5. Dezember 2005Haus der Deutschen Wirtschaft, Berlin

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WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT

ARBEITGEBERFORUM

SYMPOSIUM

»OTTO ESSER –

GELEBTE VERANTWORTUNG

FÜR WIRTSCHAFT

UND GESELLSCHAFT«

III. ARBEITGEBERFORUMWIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT,5. Dezember 2005Haus der Deutschen Wirtschaft, Berlin

Page 3: Otto Esser: Gelebte Verantwortung für Wirtschaft und Gesellschaft

3Zum Gedenken an Otto Esser – Gelebte Verantwortung für Wirtschaft und Gesellschaft

Inhalt

Vorwort»Otto Esser – Gelebte Verantwortung für Wirtschaft und Gesellschaft«Dr. Reinhard Göhner, Hauptgeschäftsführer der BDA 4

»Leitbild für Grundsatztreue und Partnerschaft« Arbeitgeberpräsident Dr. Dieter Hundt 6

Ansprache zum Gedenken an Otto Esser Dr. Otto Graf Lambsdorff, Bundesminister a. D. 10

»Markt und Moral – die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen in Deutschland« Prof. Dr. Michael Burda, Humboldt-Universität Berlin 16

Podiumsdiskussion Prof. Dr. Michael Burda, Dr. Eckart John von Freyend, Prof. Dr. Bernd Rüthers, Michael Sommer 22

Schlusswort Eggert Voscherau, Präsident BAVC 26

Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände

im Haus der Deutschen WirtschaftBreite Straße 2910178 Berlin

Briefadresse:11054 Berlin

Telefon 030/20 33-10 20Fax 030/20 33-10 [email protected]

www.bda-online.de

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5Zum Gedenken an Otto Esser – Gelebte Verantwortung für Wirtschaft und Gesellschaft

rednern aus Kirche, Wirtschaft und Politik die Gelegenheit, zur gesell-schaftspolitischen Debatte in Deutschland beizutragen.

In einer Zeit des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wan-dels ist die Prinzipientreue Essers beispielhaft. Auch heute müssen wir, an-gesichts der rapiden Veränderungen, die unser Land durchläuft, an denGrundprinzipien unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung festhalten.Doch wir können die Soziale Marktwirtschaft nur bewahren, wenn wir sieauf die veränderten Bedingungen der Gegenwart einstellen. Politik, Wirt-schaft und Gesellschaft dürfen vor notwendigen Veränderungen nicht dieAugen verschließen. Wenn wir den demografischen Wandel bewältigenund die Chancen der Globalisierung nutzen wollen, müssen wir das rich-tige Maß von solidarischer Absicherung und eigenverantwortlichem Han-deln wiederentdecken. Gleichermaßen gilt es, in Deutschland die nötigenRahmenbedingungen zu schaffen, die es Unternehmen ermöglichen, sichdem erhöhten Wettbewerbs- und Anpassungsdruck zu stellen. Nur wirt-schaftlich gesunde Unternehmen sind in der Lage, Arbeitsplätze zu erhal-ten und damit ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden.

VORWORT

»OTTO ESSER – GELEBTE VERANTWORTUNG

FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT«

Dr. Reinhard Göhner, Hauptgeschäftsführer der BDA

Otto Esser gehörte einer Generation von Unternehmern an, die den Aufbau der Sozialen Marktwirtschaft aus den Trümmern desZweiten Weltkriegs aktiv gestalteten. Wie kein Zweiter verkörper-

te er die Tugenden, die den erfolgreichen und gewissenhaften Unternehmerausmachen: Integrität, Glaubwürdigkeit, Kompetenz und Entschlossen-heit.

Otto Esser blieb dieser Linie stets treu. In der schweren Stunde nach derErmordung von Hanns-Martin Schleyer übernahm er ohne Zögern das Amtdes Arbeitgeberpräsidenten. Sein beständiger Dienst im Sinne des Interes-senausgleichs an der Spitze der deutschen Arbeitgeberverbände, seinegelebte Verantwortung für Wirtschaft und Gesellschaft brachten ihm großeAnerkennung und Wertschätzung ein. Im Gedenken an Otto Esser und zuseinen Ehren hat die BDA am 5. Dezember 2005 das III. ArbeitgeberforumWirtschaft und Gesellschaft im Haus der Deutschen Wirtschaft in Berlin veranstaltet. Diese Veranstaltungsreihe gibt seit 2004 prominenten Gast-

4 Zum Gedenken an Otto Esser – Gelebte Verantwortung für Wirtschaft und Gesellschaft

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6 7Zum Gedenken an Otto Esser – Dr. Dieter HundtIII. Arbeitgeberforum Wirtschaft und Gesellschaft

»LEITBILD FÜR GRUNDSATZTREUE

UND PARTNERSCHAFT«

Arbeitgeberpräsident Dr. Dieter Hundt

Otto Esser, der langjährige Präsident der Bundesvereinigung derDeutschen Arbeitgeberverbände, verstarb am 28. November2004. Den ersten Jahrestag seines Todes haben wir zum Anlass

genommen, diese außergewöhnliche Persönlichkeit zu ehren.

Otto Esser hat wie kaum ein anderer Unternehmer die Verantwortung fürWirtschaft und Gesellschaft gelebt. Reden und Handeln haben hier in einerPersönlichkeit zusammengefunden, wie wir es nur selten finden. Otto Esserwar ein Mann der leisen Töne, er war prinzipientreu, entschlossen undweitblickend. In seine Amtszeit – sei es als Präsident der BDA, sei es alsVorsitzender des Arbeitgeberverbandes Chemie – fielen zahlreiche schwe-re tarif- und sozialpolitische Auseinandersetzungen. Bei aller Standfestig-keit und auch notwendigen Härte in der Sache achtete Otto Esser stetsdarauf, dass die Basis für ein dauerhaftes partnerschaftliches Verhältnisnicht verloren ging.

Sehr eindrücklich hat dies der schwere Arbeitskampf in der chemischen In-dustrie 1971 gezeigt. Dem ganz persönlichen Einsatz Otto Essers war es zuverdanken, dass die Arbeitgeberseite den wirtschaftlichen Belastungen

dieses Streiks standhielt. Durch seine Verhandlungsführung sorgte er zu-gleich auch dafür, dass sich die neue Gewerkschaftsführung einem fairenund berechenbaren Partner gegenübersah. Otto Esser hat damals denGrundstein für die heute noch andauernde fruchtbare Sozialpartnerschaftin der chemischen Industrie gelegt.

Das Amt des Arbeitgeberpräsidenten übernahm Otto Esser in einer unruhi-gen Zeit und zudem in einer sehr schweren Stunde der BundesrepublikDeutschland. Als er die Nachfolge des von Terroristen feige ermordetenHanns-Martin Schleyer antrat, war das gesellschaftliche Klima, dem er sichgegenübersah, ideologisch aufgeheizt. »Kapitalismus« und »Profit« warenzu Kampfbegriffen gegen die Soziale Marktwirtschaft geworden. Unterneh-mer wurden als »Ausbeuter« diffamiert. Schwindende Wachstumsratenund die steigende Arbeitslosigkeit ließen die Bevölkerung zunehmend ander bestehenden Wirtschaftsordnung zweifeln.

Inmitten dieser massiven gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Heraus-forderungen für Deutschland trat Otto Esser 1978 an die Spitze der Bun-desvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Mit seiner ruhigen,konzentrierten und besonnenen Art hat er wesentlich zur Stabilisierungund Beruhigung des gesellschaftlichen Klimas beigetragen.

Den großen Themen seiner Zeit und Präsidentschaft begegnen wir auchheute, wenn auch in abgewandelter Form, wieder: Die Unternehmensmit-bestimmung steht nach knapp 30-jähriger Praxiserfahrung heute auf dem

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9Zum Gedenken an Otto Esser – Dr. Dieter Hundt

schwarze Schafe, die unserem Image schaden. Aber eines ist auch klar: Dieweit überwiegende Zahl aller Unternehmer und Manager in Deutschlandhandelt im höchsten Maße verantwortungsbewusst.

Auf dem heutigen III. Arbeitgeberforum Wirtschaft und Gesellschaft stehen»die sozialen Fragen des 21. Jahrhunderts« im Mittelpunkt. Vor einem Jahrhat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann,gesagt: »Viele Unternehmer, gerade im breiten Mittelstand, sorgen sich umdas Wohl ihrer Mitarbeiter, durch ihren menschlichen Umgang, aber auchdurch ihren täglichen Kampf um den Erfolg ihres Unternehmens. Ich bindankbar für die Unternehmer, die um der Menschen willen so handeln.Und es sind sehr viele.«

Auf dem II. Arbeitgeberforum im März dieses Jahres ist die Rolle der Unter-nehmen in unserer Gesellschaft Schwerpunkt gewesen. BundespräsidentKöhler sagte dabei: »In Deutschland gilt es zuweilen als moralisch verdäch-tig, Gewinn zu machen. Das ist falsch. Wer als ordentlicher UnternehmerGewinne erzielt, der hat andere von seiner Leistung überzeugt und ihnen ge-holfen. Und nur wer Gewinne erwirtschaftet, kann den Fortbestand seinesUnternehmens durch Investitionen sichern, seine Mitarbeiter weiterbe-schäftigen und zusätzliche Arbeitsplätze schaffen.«

Markt und Moral sind keine Gegensätze, sondern gehören zusammen.Wirtschaftlicher Erfolg ist die Basis unseres gesellschaftlichen Wohlstands.Ein Unternehmen, das nicht rechtzeitig die Voraussetzungen für Wachstumund Gewinne schafft, wird auch nicht in der Lage sein, Arbeitsplätze zuerhalten oder positiv zur Entwicklung unserer Gesellschaft beizutragen. Ichhalte es für außerordentlich wichtig, all jenen Kritikern, die Unternehmenvorschnell an den »Pranger der Ausbeutung« stellen, deutlich zu machen,dass Unternehmen sich zuallererst im Wettbewerb behaupten müssen. Dasseine Standortverlagerung oder, noch schmerzlicher, der Abbau von Arbeits-plätzen dazu dient, dauerhaft die Marktposition und damit auch den Bestanddes Unternehmens insgesamt zu sichern, wird leider allzu oft übersehen.

Zur Orientierung gehören Werte, die gewissermaßen die Leitplanken fürdas eigene Handeln sind. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir inDeutschland eine grundsätzliche Debatte über die Ausrichtung unsererGesellschaft brauchen. Wir brauchen eine Wertedebatte, die sich auch mitdem Unternehmerbild in Deutschland beschäftigen muss.

Unser Land braucht eine Vision – denn ein Land ohne Vision verspieltschnell seine Zukunft. Dabei sind diejenigen, die Verantwortung im Staat,in den Unternehmen, in der Gesellschaft übernommen haben, in beson-derem Maße gefordert, Beispiel und Orientierung zu geben; sie könnensich ein Beispiel an Otto Esser nehmen.

8 III. Arbeitgeberforum Wirtschaft und Gesellschaft

Prüfstand. Die europäische Einigung, die europäische Gesetzgebung unddie Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zwingen uns, die Mit-bestimmung in Deutschland zu überprüfen und einem gewandelten inter-nationalen Umfeld anzupassen.

Denken Sie auch an das 1986 entscheidende Thema »Arbeitskampfparität«und seine Bedeutung für die Funktionstüchtigkeit der Tarifautonomie ins-gesamt. Heute sind Streiks und Aussperrungen Relikte einer vergangenenEpoche unter besonderen historischen, so nicht mehr existierenden Bedin-gungen. Und deshalb diskutieren wir heute wieder die Fortentwicklung des Tarifrechts, um eine neue Balance in der modernen Tarifautonomie zuschaffen.

Erwähnen will ich auch die Arbeitszeitflexibilisierung auf betrieblicherEbene durch den Leber-Rüthers-Kompromiss nach dem schweren Arbeits-kampf 1984. Hier wurden Grundlagen für eine größere Flexibilisierung imBranchentarifvertrag und damit für die Diskussion um die betrieblichenBündnisse für Arbeit gelegt, ohne die mancher Arbeitsplatz heute schonlange verloren gegangen wäre.

Eine weitere verdienstvolle Initiative Otto Essers ist heute ebenfalls so ak-tuell wie 1982: Damals rief er die Unternehmen zu einer Ausbildungs-platzoffensive auf. Die Zukunft der jungen Menschen, ihr Eintritt in dieArbeitswelt und ihre Integration in die Gesellschaft lagen ihm am Herzen.Durch die umfassenden Anstrengungen der Unternehmer gelang es, dieHerausforderung zu meistern. Wir stehen heute mit dem Ausbildungspaktvor derselben Aufgabe – mit ähnlichem Erfolg bei vergleichbar schwierigenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und entsprechenden Mühen derUnternehmen.

»Gelebte Verantwortung für Wirtschaft und Gesellschaft« – unter diesemLeitgedanken steht unser heutiges Symposium zu Ehren Otto Essers, unddie Frage nach der Verantwortung für Wirtschaft und Gesellschaft, die er sobeispielhaft gelöst hat, stellt sich auch heute unverändert. Das belegen auchdie immer wieder aufkommenden heftigen öffentlichen Diskussionen überdie gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmern. Leider mischen sichin die notwendige Debatte nur allzu oft polemische und unsachliche Argu-mente, die dem Unternehmerbild in Deutschland insgesamt schaden. Da-bei werden die Bürgerinnen und Bürger in höchstem Maße verunsichert: Esist eben nicht einfach mit ein oder zwei Sätzen zu erklären, welchem Wett-bewerbsdruck deutsche Unternehmen heute ausgesetzt sind und wie siedarauf reagieren müssen, um Betriebe rentabel zu halten. Dass zahlreicheUnternehmen internationale Produktionsstandorte aufgebaut haben, umauch das Kerngeschäft und Arbeitsplätze in Deutschland abzusichern, wirdallzu oft unterschlagen. Und natürlich gibt es auch bei den Unternehmern

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11Zum Gedenken an Otto Esser – Dr. Otto Graf Lambsdorff10 III. Arbeitgeberforum Wirtschaft und Gesellschaft

ANSPRACHE ZUM GEDENKEN AN OTTO ESSER

Dr. Otto Graf Lambsdorff,Ehrenvorsitzender FDP, Bundesminister a. D.

Heute vor einer Woche rief mich Herr Göhner an und fragte, ob ichan Stelle von Bundeskanzler a. D. Helmut Kohl die Gedenkredeauf Otto Esser halten könne. Ich erbat mir Bedenkzeit, und das aus

zwei Gründen. Meine respektvolle Erinnerung an Otto Esser gebot eineZusage. Aber könnte ich diese Aufgabe in so kurzer Vorbereitungszeiteinigermaßen angemessen bewältigen? Und würde Helmut Kohl einver-standen sein, wenn ich ihn vertrete? Die erste Frage habe ich bejaht. Undich überlasse es dem Urteil der Zuhörer, ob das richtig war. Zur Be-antwortung der zweiten Frage habe ich im zweiten Band der Erinnerungenvon Helmut Kohl nachgelesen. Und ich komme darin ganz gut weg und so denke ich, dass er den Ersatz durch mich gutheißen würde. Jedenfallswünsche ich ihm, ebenso wie Sie es getan haben, auch von hier aus guteBesserung.

Während meiner Amtszeit als Bundeswirtschaftsminister war Otto Esser derPräsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände –die volle Amtszeit. In der Bundesregierung war selbstverständlich der Ar-beitsminister sein wichtigster Gesprächspartner. Aber Otto Esser war sichder engen Zusammenhänge zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik immer

bewusst. Und so gab es häufig Begegnungen, sowohl im kleinen Kreis wieauch bei den alljährlichen Vortragsveranstaltungen der Bundesvereinigungder Deutschen Arbeitgeberverbände in der Bad Godesberger Stadthalle,die ihren herben Charme bis heute bewahrt hat. Ob im persönlichenGespräch oder in öffentlicher Rede, immer beeindruckten mich sein Ernst,seine Zurückhaltung und gleichzeitige Entschiedenheit, wenn es um dieKernfragen der auf Privateigentum gegründeten Wirtschaftsordnung, umdie Tarifautonomie oder die Sozialpartnerschaft ging. Otto Esser hielt aufDistanz. Sein Privatleben war privat. Und darauf achtete er. Wenig odernichts wurde bekannt, wie zum Beispiel nur, dass er ein Liebhaber undKenner der Burgen und Schlösser am Rhein war. Umarmungen und Trink-gelage, das war seine Umgangsform nicht. Er dürfte verwundert beobachtethaben, welche Art von Umgangsformen sich später, besonders in derBerliner Republik, entwickelt haben. Ob jetzt wieder mehr Distanz undNüchternheit angesagt ist? Es wäre gut. Jedenfalls sehe ich die Bundes-kanzlerin nicht auf Umarmungstour von Peking über Paris nach Moskau.

Folgen Sie mir bitte gedanklich in den Herbst 1977. Den Herbst, der durchdie Terrorismusattacken der Rote-Armee-Fraktion in Deutschland geprägtwar. Zuerst wurde Jürgen Ponto ermordet. Sein Nachfolger bei der Dresd-ner Bank wurde Hans Friedrichs, dem ich daraufhin im Amt des Bundes-wirtschaftsministers folgte. Meine ersten Tage der Zugehörigkeit zumKabinett verbrachte ich nahezu Tag und Nacht im Krisenstab, weil nun-mehr nicht nur Hanns-Martin Schleyer entführt worden war, sondern auchnoch ein Flugzeug der Lufthansa in Mogadischu stand, um dort mitsamt

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13Zum Gedenken an Otto Esser – Dr. Otto Graf Lambsdorff

Wir haben eben nach meiner Überzeugung keine paritätische Mitbestim-mung, obwohl dieser Begriff immer wieder fälschlicherweise verwandtwird. Und wenn jetzt zu Recht Missstände aufgezeigt werden, so liegt dasnicht an den formalen Macht- und Stimmstrukturen nach dem Gesetz, son-dern häufig an der Schieflage bei der Besetzung. Ich persönlich halte esnicht für richtig, Gewerkschaftsvertreter grundsätzlich aus Aufsichtsrätenzu verbannen. Richtig wäre es, die Belegschaften darüber entscheiden zulassen, ob sie Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat haben wollen odernicht. Die Größe von Aufsichtsräten ist ein weiteres Problem. Runden von20 Mitgliedern sind sinnlos. Hier tut eine Verschlankung Not. Aber überdie maximale Größe des Aufsichtsrats soll die Hauptversammlung der Un-ternehmen befinden.

Die Missstände auf vielen Führungsetagen sollten nicht den Blick auf diegrundlegenden Errungenschaften und auch Vorzüge des deutschen Mitbe-stimmungsmodells trüben. Es kann ein Erfolgsmodell sein. Aber täuschenwir uns nicht, ein Exportmodell, ein Exportschlager wird es ganz gewissnicht. Alle Reaktionen machen das klar. Und Sie haben mit Recht, HerrHundt, darauf hingewiesen, dass die Entwicklung in Europa uns hier zumNachdenken zwingt. Jedenfalls sollte das Kind nicht mit dem Bade aus-geschüttet werden. Modernisierung und Befreiung von Auswüchsen, das istdas Gebot der Stunde.

Die Arbeitnehmer unseres Landes sind in der harten Realität angekommen– schmerzlich oft genug. Die Führungsgremien vieler Unternehmen sind esnoch nicht immer – leider. Das gilt für Manager ebenso wie für Gewerk-schaftsführer. Die jetzt häufiger zu beobachtenden Exzesse wären OttoEsser nicht nur ein Gräuel gewesen, ich glaube, er hätte sie schlichtwegnicht verstehen können. Sein ganzes berufliches Handeln war geprägt vonder katholischen Soziallehre. Aus ihr leitete er den Glauben an die Sozial-partnerschaft ab und die Orientierung am Gemeinwohl.

Dies wird besonders deutlich bei seinem zweiten großen Thema, dem derBeschäftigung und Ausbildung junger Menschen. Durch alle seine Redenziehen sich immer wieder die Ermahnungen. Und ich zitiere: »Die Aufgabedes Unternehmers gegenüber dem Gemeinwesen erschöpft sich nicht inseiner Mitverantwortung für das Sozialprodukt oder für die Mitfinanzierungder sozialen Sicherungssysteme. Sie zeigt sich auf zahlreichen Gebietenund lediglich beispielhaft nenne ich die Berufsausbildung junger Men-schen. Die Unternehmerschaft hat ein hohes Maß an gesellschaftspoliti-scher Verantwortung bewiesen, als es ihren Anstrengungen in besondererArt gelang, nahezu allen ausbildungsfähigen und ausbildungswilligenJugendlichen eine Lehrstelle zur Verfügung zu stellen. Diese Leistungen,die gerade auch von kleineren und mittelständischen Unternehmen er-bracht wurden, sind ein Zeichen dafür, dass die Unternehmerschaft im

12 III. Arbeitgeberforum Wirtschaft und Gesellschaft

allen Geiseln gesprengt zu werden, um der Entführung Nachdruck zu ver-leihen. Keiner der damals Beteiligten wird je vergessen, wie vorsichtig unsHelmut Schmidt an die grausame Wahrheit heranführte, dass die Staats-räson vorzugehen habe. Und diese Maßstäbe gelten bis heute, so bedrück-end die Situation heute auch wieder ist. In diesen schrecklichen Wochentrat Otto Esser ohne Zögern die Nachfolge des ermordeten Hanns-MartinSchleyer als Präsident der BDA an. Gewählt wurde er dann im März 1978.

Welch ein Mut dieses so zerbrechlich wirkenden Mannes! Alle, die ihnpersönlich gekannt haben, erinnern sich an einen besonders vornehmenund verlässlichen Herrn, der ein außerordentlich leises und bescheidenesAuftreten hatte. Er wirkte mit seiner großen Höflichkeit, seiner feinen Bil-dung, seinen festen Prinzipien für damalige und erst recht für heutige Ver-hältnisse etwas altmodisch, fast möchte man sagen, unzeitgemäß.

In den neun Jahren seiner Präsidentschaft standen große und uns heutenoch tief prägende Themen zur Diskussion und Entscheidung an. HerrHundt hat einige davon erwähnt. Mitbestimmung, Ausbildung und Be-schäftigung Jugendlicher, Weiterentwicklung der Tarifautonomie, Arbeits-zeitflexibilisierung, § 116 Arbeitsförderungsgesetz. Das erforderte einenstandfesten Mann, und das war er auch.

Ich war an der Ausformulierung des Mitbestimmungsgesetzes 1976 inharten Verhandlungen mit den Sozialdemokraten für die damalige FDP-Fraktion federführend beteiligt. Besonders hart war der Widerstand gegendie Forderung nach einem Doppelstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzen-den. Aber nur so konnte nach unserer Überzeugung ein enteignungs-gleicher Eingriff vermieden werden. Die letzte Entscheidung muss dem An-teilseigner bleiben. Das überzeugte dann auch das Bundesverfassungs-gericht, das gleich zu Beginn der Amtszeit Otto Essers zur Frage der Unter-nehmensmitbestimmung angerufen worden war. Ich habe diesen Gangzum Verfassungsgericht für aussichtslos gehalten. Die konzertierte Aktionwurde von den Gewerkschaften abgesagt. Das war kein großer Verlust,weil sie ohnehin zu einem Ritual erstarrt war und aus ihr nichts mehr her-auskam. Die Klage wurde dann abgewiesen. Aber das Gericht hat im Er-gebnis eben doch eindeutig aufgezeigt, wo die Grenzen der Einschränkungder unternehmerischen Freiheit liegen. Und Otto Esser kommentierte dasso: »Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass das Mitbestim-mungsgesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist, und wir werden dieseEntscheidung selbstverständlich respektieren. Wegen der in dem Urteil vor-genommenen Grenzziehung kann die Entscheidung nicht als verfassungs-rechtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung für eine weitergehende ge-werkschaftliche Mitbestimmungsvorstellung verstanden werden.« Und ananderer Stelle sagte er: »Die Entscheidung hat damit die Ordnungsfunktiondes Eigentums marktwirtschaftskonform festgestellt.«

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15Zum Gedenken an Otto Esser – Dr. Otto Graf Lambsdorff

Das ist weder Zufall noch Vernachlässigung wesentlicher Elemente. Zieljeder Sozialpolitik ist und bleibt der Schutz des Einzelnen gegen Risiken,gegen die zu schützen seine eigenen Kräfte nicht ausreichen. DieserSchutz kann nur durch solidarisches Verhalten von Gemeinschaften erfol-gen und er wird auf Dauer nur gegeben und angenommen werden können,wenn er als gerecht empfunden wird. In diesem so verstandenen Gerech-tigkeitsmoment liegt ein hohes Maß an Verantwortung der Solidargemein-schaften, Verantwortung aber auch für den Staat in Gesetzgebung, Recht-sprechung und Verwaltung. Der einzelne Bürger, ob als steuerzahlenderStaatsbürger oder als Leistungsempfänger, wird bewusst oder unbewusstseine Verantwortung von einer möglicherweise sehr subjektiv empfunde-nen Gerechtigkeit abhängig machen. Freiheit bleibt ein wesentliches Zielaller Sozialpolitik. Es kann einfach nicht Zielvorstellung und Leitbild derSozialpolitik sein, möglichst viele oder gar alle Menschen durch möglichstvielfältige und hohe Sozialleistungen von staatlicher Wohlfahrt abhängigzu machen, ihnen immer mehr eigene Verantwortung zu nehmen undschließlich den alles umfassenden Sozialstaat zu schaffen. Im Gegenteil«,führt Esser weiter aus, »Sozialpolitik sollte dem einzelnen Menschen vordem Hintergrund gesicherter Existenz Hilfe zur Freiheit geben, das heißtzur individuellen Freiheit und damit auch zur persönlichen Verantwor-tung.« Er beendete diesen Gedankengang mit den Worten: »Es ist höchsteZeit, einem solchen Zusammenhang von Sozialpolitik, Freiheit und Verant-wortung mehr Gewicht in aller staatlichen und nichtstaatlichen Sozial-politik zu geben.«

Diese Worte sind gewiss nicht nur in meinen Ohren Musik. Hier spricht einMann, der sich als mitverantwortliches Mitglied der Gemeinschaft ver-stand. Heute würde man sagen, als aktiver Teil der Zivilgesellschaft. DiesesVerantwortungsbewusstsein führte Otto Esser dazu, die Funktion desEhrenamtes in unserer Gesellschaft zu bejahen. Sein ganzer Berufs- undLebensweg war von der Bereitschaft gekennzeichnet, nicht nur die Ge-winn- und Verlustrechnung seines Unternehmens zu sehen, sondern sichauch den ehrenamtlichen Herausforderungen der deutschen Wirtschaft zustellen – als Bürger unseres Gemeinwesens, als ein Mann, der in Verant-wortung für Wirtschaft und Gesellschaft gelebt hat.

Ich gratuliere den Veranstaltern zu dem Motto dieses Symposiums zum Ge-denken an Otto Esser und wünsche uns allen eine anregende Diskussion.

14 III. Arbeitgeberforum Wirtschaft und Gesellschaft

Interesse der jüngeren Generation, im Interesse der Gesellschaft, im Inte-resse der Glaubwürdigkeit unserer Ordnung bereit ist, unter großem undnicht nur bedeutendem finanziellem Einsatz, jungen Menschen beruflicheChancen zu eröffnen.«

Hier klingt Esser tatsächlich etwas altmodisch für unsere Ohren, die nurnoch an Kostenminimierung im internationalen Wettbewerb gewöhnt sind.Aber falsch sind die Worte deshalb noch lange nicht. Mit Recht hob er dieHaltung der kleinen und mittleren Unternehmen hervor. In den Großunter-nehmen sah das oft anders aus. Ich erinnere mich an die völlig unange-messene Erhöhung der Ausbildungsvergütung im Haustarif der VolkswagenAG mitten in die Kampagne für mehr Ausbildungsplätze hinein. Otto Esserredete nicht nur, er handelte auch. Er versprach 50.000 zusätzliche Lehr-stellen, was ihm viel Kritik aus den Unternehmen eintrug. Aber das Ergeb-nis sprach für seine Überzeugungskraft. Die Zahl 50.000 wurde nur ganzknapp verfehlt.

Wenn es Not tat, dann konnte Otto Esser die tarifpolitische Auseinander-setzung in aller Härte mittragen. Darunter das Beispiel aus der Chemie-industrie, das Herr Hundt bereits erwähnt hat. Der Arbeitskampf in derMetallindustrie in Baden-Württemberg im Jahre 1984 war ein anderes her-ausragendes Beispiel. 13 lange Wochen wurde gestreikt. Aber am Ende wardas Ergebnis der Anfang einer flexiblen Arbeitszeitregelung. Was heuteselbstverständlich ist, musste 1984 noch erkämpft werden. Otto Esser hatteeinen erheblichen Anteil daran. Die Tarifautonomie blieb erhalten und dieSozialpartnerschaft hat dieser Arbeitskampf nicht zerstört. Das waren fürEsser wesentliche Gesichtspunkte.

Bei der Auseinandersetzung um § 116 Arbeitsförderungsgesetz trug diePolitik, vor allem die damalige Koalition, selbstverständlich die Hauptlast.Es handelte sich um eine Gesetzesänderung. Bundestag und Bundesratmussten zustimmen. In meiner Zeit als Abgeordneter habe ich nur einmalerlebt, dass die Bannmeile um das Gebäude des Bundestages in Bonndurch die Polizei geschützt werden musste. Bei dieser Auseinandersetzungstanden Otto Esser und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber-verbände zuverlässig auf Seiten der Bundesregierung und der damaligenKoalition. Das war verständlich, denn es entsprach auch ihrer Interessen-lage. Es entsprach aber auch dem ordnungspolitischen Leitbild, dass beieinem Arbeitskampf nicht unbeteiligte Dritte geschädigt werden sollen.

Otto Esser dachte in Ordnungen der Verantwortung. So stellte er seineAbschiedsrede als Präsident der BDA unter das Motto »Sozialpolitik in Frei-heit und Verantwortung«. Er führte darin aus, und ich zitiere wiederum:»Vielleicht wird mit einer gewissen Verwunderung vermerkt, dass in derFormulierung des Themas die Worte Solidarität oder Gerechtigkeit fehlen.

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16 17Zum Gedenken an Otto Esser – Prof. Dr. Michael BurdaIII. Arbeitgeberforum Wirtschaft und Gesellschaft

Adam Smith 1776 in seinem Werk »Reichtum der Nationen« auf das Para-doxon aufmerksam gemacht, dass die Habgier des Einzelnen dem Ge-meinwohl diene:

»In einer zivilisierten Gesellschaft ist der Mensch ständig und in hohemMaße auf die Mitarbeit und Hilfe anderer angewiesen, [...] wobei er jedochkaum erwarten kann, dass er [diese Hilfe] allein durch das Wohlwollen derMitmenschen erhalten wird. Er wird sein Ziel wahrscheinlich viel ehererreichen, wenn er deren Eigenliebe zu seinen Gunsten zu nutzen verste-ht, indem er ihnen zeigt, dass es in ihrem eigenen Interesse liegt, dies fürihn zu tun, was er von ihnen wünscht. [...] Nicht vom Wohlwollen desMetzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essenbrauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen.«

Seit Adam Smith besteht eine der zentralen Aufgaben der Nationalöko-nomie darin zu erklären, ob und inwieweit man diese Habgier bremsen,kanalisieren oder zügeln soll. Damals gab es bereits große Diskussionenum die Ethik, die durch eine gerechtere, markt- und leistungsorientierteVerteilung entsteht – Smith hat damit sogar seine Theorie der »MoralSentiments« begründet. Nur: Später fingen die moralischen Philosophenan, über die Verteilung des Wohlstands zu diskutieren. John Rawls fragte,ob es uns gleichgültig sein könnte, in welchem System wir leben, wenn wirwüssten, in einem System gäbe es viel mehr Ungleichheit im Allgemeinenals im anderen, ohne über unser individuelles Schicksal Bescheid zuwissen. Der Schleier der Ignoranz würde schon einige von uns bewegen,

»MARKT UND MORAL –

DIE GESELLSCHAFTLICHE VERANTWORTUNG

VON UNTERNEHMEN IN DEUTSCHLAND«

Prof. Dr. Michael Burda, Humboldt-Universität Berlin

Nach der Ermordung von Hanns-Martin Schleyer hat Otto Esserehrenhaft und mit großem persönlichem Opfer die Führung derArbeitgebervertretung zu einem äußerst schwierigen Zeitpunkt

übernommen. Damals wie jetzt wird von der Wirtschaft viel erwartet; es istangemessen, dass man diese Gedächtnisfeier zu Ehren Otto Essers alsAnlass nimmt, zu fragen, welche Verantwortung die Wirtschaft in solchschwierigen Zeiten trägt. Meine Ausführungen drehen sich um zweiFragen. Die erste lautet: Was hat die Wirtschaft mit Moral zu tun? Diezweite wird lauten: Was hat die Wirtschaft mit Verantwortung zu tun?

Zur ersten Frage: Was hat die Wirtschaft mit Moral zu tun? Vielleicht nur wenig. Denn was ist »Wirtschaft«? Wirtschaft hat zunächst mit der Entstehung, der Nutzung und der Bewirtschaftung knapper Ressourcen zutun. Diese Aktivitäten werden in der Regel, aber müssen nicht unbedingt,in privaten Wirtschaftsunternehmen stattfinden, wo nicht Moral, sondernwirtschaftlicher Erfolg die Oberhand zu haben scheint. Dennoch hat uns

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19Zum Gedenken an Otto Esser – Prof. Dr. Michael Burda

Produkte ummünzen und dafür Mitstreiter und Mitarbeiter suchen. In die-sem Sinne erhalten die Wirtschaftsunternehmen erst jetzt den Respekt derdeutschen Gesellschaft, den sie immer verdient haben – als die einzig wirk-liche, langfristig taugliche Quelle von Arbeitsplätzen. Umso mehr ist derRespekt vor den kleinen und mittelständischen Unternehmen gefragt, auswelchen die Großunternehmen entstehen. Für mich ist das leuchtende Bei-spiel in Deutschland Werner von Siemens, der 1847 mit Professor Halske ineinem Hinterhof in Kreuzberg die »Telegraphen-Bauanstalt von Siemens &Halske« gründete, ein Unternehmen, das später Hunderttausende beschäf-tigen würde.

Doch obwohl die Wirtschaft, und nicht etwa der Staat, die nachhaltigeQuelle von Arbeitsplätzen ist, werden jene Unternehmen kritisiert, die ineiner anscheinend unaufhaltsamen Welle von Entlassungen, Schließungenund Produktionsverlagerungen dem deutschen Standort den Rücken keh-ren. Wie kann das etwas mit Verantwortung zu tun haben?, fragt man sich.

Vielleicht hat das damit sogar sehr viel zu tun. Die Wirtschaft handelt nichtin einem rechtsfreien Raum, sie handelt auch nicht in einem rechenschafts-freien Raum. Die Verantwortlichkeiten der Wirtschaft sind eigentlich sehrklar definiert, sowohl juristisch und legalistisch als auch implizit und un-ausgesprochen. Hierzu möchte ich zwischen zwei Formen der Verant-wortung unterscheiden: Verantwortung im Geschäft und Verantwortung inder Gesellschaft.

Zum Ersteren: Wirtschaft heißt Wirtschaften, Mehrwert schaffen, Geld ver-dienen. Die Eigentümer eines Unternehmens erwarten, dass sich Managerden bestmöglichen Einsatz ihres Kapitals ausdenken und ihn durchführen.Es steht außer Zweifel, dass die Verantwortung gegenüber den Kapital-gebern bzw. Anteilseignern zu den Kernverantwortungen der Wirtschaft ge-hört. Verantwortung gegenüber den Kunden dürfte allen klar sein, dennKundenbeziehungen basieren auf Vertrauen, welches zum größten Teilnicht explizit in einem Vertrag steht. Ebenso zählt auch die Verantwortunggegenüber den Mitarbeitern dazu. Werner von Siemens hat sich bereitsEnde des 19. Jahrhunderts sehr für das Wohl und die Absicherung seinerMitarbeiter eingesetzt. War das Unsinn, was Siemens damals gemacht hat?Wurde er von anderen Zielen als der bloßen Gewinnmaximierung geleitet?Was ist heute anders?

Siemens hat sich aus Geschäftskalkül für diese Wohltaten entschieden –um die Arbeitnehmer besser zu stellen und dadurch das Unternehmen aufdem Wachstumskurs zu halten. Ihm ist diese Strategie nachweislich ge-lungen. Aber in einer globalisierten Welt des verschärften Wettbewerbsmüssen solche nicht unmittelbar der Fortführung und der Existenz desUnternehmens dienenden zusätzlichen Verantwortungen kürzer treten.

18 III. Arbeitgeberforum Wirtschaft und Gesellschaft

jenes System zu wählen, welches weniger Ungleichheit zulässt, als derungezügelte Markt erzeugt.

Heutzutage wird die »Totalökonomisierung der Gesellschaft« beim Um-gang mit den Problemen der Gegenwart beklagt. Philologen haben sogarden ökonomisch sinnvollen Begriff »Humankapital« zum Unwort des Jahresgekürt – eine Verunglimpfung meiner Wissenschaft. Doch das grundsätz-liche Problem in Deutschland ist eher ein akuter Nachholbedarf an Öko-nomisierung. Die Konflikte der Gesellschaft waren schon immer von derNatur her ökonomisch, sie haben meist mit dem Maximieren von Gewinn,mit dem Egoismus und mit der Rationalität zu tun. Nur: In den vergange-nen Jahrzehnten wurden diese Wirtschaftsthemen immer wieder von denführenden Köpfen der Gesellschaft als »sekundär« oder sogar vulgär abge-tan – verglichen mit anderen, vermeintlich höheren Werten.

Fakt ist, dass Deutschland seit dem wundersamen Wiederaufbau nach demZweiten Weltkrieg, und im Lichte der Zwänge zum Wachstum und Auf-holen, den Fragen der Verantwortung des Unternehmens und des Unter-nehmertums weitgehend aus dem Weg gehen konnte. In Zeiten des stetswachsenden Wohlstands Westdeutschlands konnte man sich eher aufVerteilungsfragen konzentrieren. In Zeiten der goldenen 60er Jahre, als dasWirtschaftswachstum in Deutschland real bis 10 % jährlich betrug, habensich Politiker mit sozialen Aufgaben wie dem sozialen Netz, der Mitbestim-mung, dem Kündigungsschutz und anderen Errungenschaften beschäftigenkönnen.

Jetzt ist die Lage aber anders. Heute lautet die Herausforderung: Wirt-schaftswandel, Strukturwandel, Globalisierung. Die Menschen spüren denneuen Wettbewerb, der durch die Deregulierung, die deutsch-deutscheWiedervereinigung, den europäischen Binnenmarkt, die Osterweiterungund den Zuzug von 2 Milliarden Arbeitskräften auf dem globalen Welt-markt entstanden ist. Es ist nicht unmoralisch, vor diesen unaufhaltsamenZwängen Acht zu geben; es ist eher unmoralisch, sich davor zu verstecken.Es ist vor allem verwerflich, dass Politiker aller Parteien den einfachenMenschen nach Jahrzehnten aufgestauter Wirtschaftsprobleme erst jetztreinen Wein einschenken. Offenbar hat der politische Markt für Wirtschafts-politik in den letzten 30 Jahren massiv versagt. Nur so kann man denAnstieg der Arbeitslosigkeit von 2 % in den 60er Jahren auf mehr als 11 %gegenwärtig erklären.

In diesem Moment scheint erst wahrgenommen zu werden, woher Wohl-stand und Wachstum überhaupt kommen. Die Entstehung der Wertschöp-fung und die Schaffung von Arbeitsplätzen sind auf die Taten Einzelnerzurückzuführen, die nach dem Trieb der ökonomischen Selbstverbesserunghandeln. Hierbei geht es vor allem um die Gründer, die neue Ideen in

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21Zum Gedenken an Otto Esser – Prof. Dr. Michael Burda

investieren. Als Eigentümer finden sie es gar nicht so unerträglich, wenn dieUnternehmen ihren ursprünglichen Auftrag der Gewinnmaximierung er-füllen. Für diese Menschen ist der unternehmerische Erfolg der persönlicheGewinn, denn mit solchen Wertpapieren sind die privaten Rentenfondsabgesichert.

Die Globalisierung läutet einen Konflikt der Kulturen der Unternehmenein. Aber sie läutet – was viel wichtiger ist – auch ein Zeitalter ein, in demStakeholder-Values von einer schrumpfenden Minderheit der Kapitalgeberund Arbeitnehmer in der globalen Wirtschaft eingefordert werden. Die Ver-fügungsrechte der Eigentümer von Unternehmen setzen sich überall inEuropa, mit den fallenden Grenzen, wieder durch. Die zunehmende Kapi-talmobilität der Globalisierung bedeutet eine tektonische Verschiebung derMachtverhältnisse zugunsten des Kapitals und zuungunsten der Arbeit.Diese Verschiebung kann man seit den 80er Jahren weltweit beobachten,in Deutschland etwa seit der Wiedervereinigung. Man könnte sie als Spie-gelbild jener Machtverschiebung sehen, die in den 60er und 70er Jahrenweg vom Kapital hin zur Arbeit stattfand.

Deutschland sitzt derzeit zwischen den Stühlen – es will keine Aktien- undAnalystenkultur, wie sie in den USA oder Großbritannien herrscht. Den-noch ist die Ära der Universalbanken eindeutig vorbei, denn die deutschenBanken wollen dieses Modell nicht mehr. Anscheinend besitzen derzeitweder Shareholder noch Stakeholder ausreichende Macht, um Managerwirksam zur Rechenschaft zu ziehen. Es gibt die Gefahr, dass es gerade indieser Zeit am Zwang zur Verantwortung mangeln könnte, der für das Zielder Fortführung des Unternehmens angemessen wäre.

Für mich ist die Verantwortung der Wirtschaft – und vor allem der Wirt-schaftsverbände – in folgender Hinsicht deutlich: In Deutschland wird esim Wesentlichen darauf ankommen, die Bürger über die wachsendenGefahren und Chancen der Globalisierung ehrlich und rechtzeitig zu infor-mieren, ohne dabei die Risiken zu leugnen. Es wird zu den größten Verant-wortungen der Wirtschaft in der heutigen Zeit gehören, die Öffentlichkeitkreativ auf diese neuen, existenziellen Herausforderungen vorzubereitenund die gesellschaftlichen Kräfte für die Überwindung der Probleme zumobilisieren.

20 III. Arbeitgeberforum Wirtschaft und Gesellschaft

Siemens konnte sich üppige Entlohnung und Zusatzleistungen für seineArbeitnehmer leisten, weil sein Unternehmen eines der erfolgreichstenUnternehmen der industriellen Revolution war. Heutzutage sieht die Lageanders aus, denn Siemens konkurriert rund um den Globus um die Erhal-tung seines Kerngeschäfts und um seine Innovationen, die neue Märkteeröffnen. Daher darf es nicht überraschen, wenn global agierende deut-sche Unternehmen gleichzeitig steigende Gewinne und schrumpfende Be-schäftigung im Inland nachweisen.

Allerdings ist Verantwortung nicht nur juristisch und legalistisch. Sie istauch eine subjektive Wahrnehmung. Die Wirtschaft wird von der Gesell-schaft nicht immer so wahrgenommen, wie sie wahrgenommen werdenmöchte. Unternehmen werden gesehen als:

Quelle von Arbeitsplätzen, aber auch mit der eher paternalistischen alswirtschaftlichen Verantwortung für die Inhaber dieser Arbeitsplätze, Nutznießer der Infrastruktur, die zur Finanzierung herangezogen wer-den sollten, aber auch Partner des Staates, um Gemeinnütziges bereit-zustellen, Aus- und Weiterbilder von Arbeitnehmern, aber auch Abnehmer vonHumankapital, das in den Schulen und Universitäten produziert wird,Aufklärer, aber auch Interessenvertreter.

Wie können Wirtschaftsunternehmen, groß oder klein, diesen offenbarüberzogenen und teilweise widersprüchlichen Erwartungen gerecht wer-den? In den kommenden Jahren werden viele dieser impliziten Verträgeeinfach gebrochen. Es ist eine Entwicklung, die man in den 80er Jahren inden Vereinigten Staaten mit der Welle von Unternehmensübernahmen hatbeobachten können. Damals wurden mit Hilfe von Investmentbanken rie-sige Konzerne wie RJR-Nabisco und US-Steel geschluckt. Letztendlichhaben viele Arbeitnehmer in den USA ihre sozialen Errungenschaften ver-loren. In Europa kommt es derzeit, mit etwas Verzögerung, zu ähnlichenEntwicklungen. Die Initiativen der EU-Kommission und der Parlamente be-legen die wachsende Sorge, dass die Globalisierung das gesamte sozialeNetz in Europa zerreißen könnte.

Man würde in anderen europäischen Ländern wie in Dänemark, den Nie-derlanden oder Finnland allerdings keine ernsthafte politische Auseinan-dersetzung über die Rolle ausländischer Investoren in der nationalen Wirt-schaft führen – geschweige denn über Heuschrecken – wie hierzulande.Mir schweben zwei Erklärungen vor: Erstens sind die Steuern in jenenLändern viel höher und progressiver ausgestaltet als in Deutschland, sodass die »gefühlte« Ungerechtigkeit kleiner ausfällt. Zweitens ist die Mehr-heit der Arbeitnehmer in diesen Ländern mittlerweile zu Investoren gewor-den, da sie für ihre Rente vorsorgen müssen und deshalb in den Aktienmarkt

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22 23Zum Gedenken an Otto Esser – PodiumsdiskussionIII. Arbeitgeberforum Wirtschaft und Gesellschaft

Dr. Bernd Rüthers, und der DGB-Vorsitzende Michael Sommer. Moderiertwurde die Podiumsdiskussion vom freien Journalisten Dr. Hugo Müller-Vogg.

Am Anfang der Diskussion stand die Frage, ob der Abbau von Arbeitsplät-zen prinzipiell unmoralisch sei. Dabei betonte Herr Sommer, dass mannicht alle Unternehmen über einen Kamm scheren dürfe. Es gebe sehr vieleverantwortungsbewusste Unternehmer in Deutschland, aber auch Aus-wüchse, über die man reden müsse. Herr Prof. Rüthers legte dar, dass derAbbau oder die Verlagerung von Arbeitsplätzen nicht ein moralisches Fehl-verhalten der Wirtschaft, sondern Resultat einer fehlerhaften Wirtschafts-und Tarifpolitik sei. Die Verkürzung der Arbeitszeit ohne Kürzung der Löh-ne habe dazu geführt, dass Arbeit in Deutschland zu teuer geworden sei.Die moderaten Lohn- und Tarifabschlüsse der letzten fünf Jahre, die auchzu einer deutlich verbesserten Arbeitszeitflexibilisierung und Lohndifferen-zierung geführt hätten, zeigten dagegen in eine neue, viel versprechendeRichtung.

Aus diesen Äußerungen lässt sich zunächst der Schluss ziehen, dass öffent-liche Kritik an Unternehmen und ihrem Handeln immer auch die wirt-schaftspolitischen Rahmenbedingungen berücksichtigen muss. Diese Sichtwurde von Herrn Prof. Burda unterstützt, der darauf verwies, dass jeneLänder, die in den vergangenen 20 Jahren in Europa die Arbeitszeit amdeutlichsten verkürzt hätten, nun über die höchste Arbeitslosigkeit verfüg-ten. Insofern seien die Ergebnisse verfehlter Wirtschaftspolitik heute deut-lich sichtbar.

PODIUMSDISKUSSION ZU

»MARKT UND MORAL – ÜBER DIE

GESELLSCHAFTLICHE VERANTWORTUNG VON

UNTERNEHMEN IN DEUTSCHLAND«

Prof. Dr. Michael Burda, Humboldt-Universität BerlinDr. Eckart John von Freyend, Vorstandssprecher Walter-Raymond-StiftungProf. Dr. Bernd Rüthers, Vorstand Stiftung Demoskopie AllensbachMichael Sommer, Vorsitzender DGB

Moderation: Dr. Hugo Müller-Vogg

»Markt und Moral – über die gesellschaftliche Verantwortungvon Unternehmen in Deutschland« – diesem Thema wid-mete sich die Podiumsdiskussion des III. Arbeitgeberforums

Wirtschaft und Gesellschaft. Teilnehmer waren der Ordinarius der wirt-schaftswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, Prof.Dr. Michael Burda, der Vorsitzende der Walter-Raymond-Stiftung, Dr. EckartJohn von Freyend, der Vorstand der Stiftung Demoskopie Allensbach, Prof.

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25Zum Gedenken an Otto Esser – Podiumsdiskussion

Ethik entstanden, die die Leute wirklich nicht mehr akzeptieren. Das hatdann auch weniger mit der reinen Kapitalrendite zu tun, sondern mit dem,was sich mit diesem Begriff der Kapitalrendite alles verbindet.«

Herr Dr. John von Freyend betonte, dass sich die Öffentlichkeit nicht dar-über im Klaren sei, was passiere, wenn ein Unternehmen zu Lasten seinerWettbewerbsfähigkeit auf den Abbau von Arbeitsplätzen verzichten würde:»Dann muss man fragen, was täte es, wenn es sich im Weltmarkt gegen-über seinen Wettbewerbern weiter verschlechtern würde? Wie viel Arbeit-nehmer müsste es dann entlassen?« Deutlich wurde, dass der interna-tionale Wettbewerbsdruck deutsche Unternehmen heute früher zu Maß-nahmen greifen lässt, die den Handlungsspielraum und die Überlebens-fähigkeit des Unternehmens stärken, auch wenn dies im ungünstigsten Fallden Abbau von Arbeitsplätzen mit einschließt.

Dass die Bewertung politischer und unternehmerischer Entscheidungenganz wesentlich von dem individuellen Verständnis des Begriffes »SozialeGerechtigkeit« abhängt, wurde von allen Teilnehmern der Podiumsdis-kussion bestätigt. Herr Sommer definierte soziale Gerechtigkeit mit demSatz »Sozial ist, wenn jeder menschenwürdig leben kann«, räumte aberzugleich ein, dass es durchaus unterschiedliche Auffassungen zu diesemThema geben könne. Herr Prof. Rüthers bemerkte dazu: »Sozial ist ein Wort,das mit beliebigem Inhalt füllbar ist. Mir ist es nie gelungen, eine allgemeinverbindliche Definition für ›Gerechtigkeit‹ zu finden. Ich habe festgestellt,dass es je nach Gruppen, nach Herkunft, nach Kulturen, nach weltan-schaulichen Vorverständnissen geprägt ist. Das heißt, wir haben, und dasist das Wesensmerkmal einer freiheitlichen Gesellschaft, eine Pluralitätkonkurrierender Gerechtigkeitsbegriffe. Das heißt also, jeder bringt ausseiner Prägung seine Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit mit.«

24 III. Arbeitgeberforum Wirtschaft und Gesellschaft

Die Frage, inwieweit Kritik an unternehmerischen Entscheidungen Aus-druck mangelnder Kommunikation und Transparenz zwischen Wirtschaftund der Öffentlichkeit sei, rückte anschließend in den Mittelpunkt derDebatte. Herr Dr. John von Freyend machte deutlich, dass die Anforderun-gen an die Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen deutlich gestiegenseien, diesen Anforderungen aber in allen größeren Unternehmen nachge-kommen werde: »Ich glaube, mehr Offenheit, als es im Augenblick gibt,mehr Zeit, die wir für die Kommunikation des Unternehmens nach außenaufwenden, gab es noch nie.«

Herr Prof. Rüthers wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nichtnur Unternehmen ihre eigenen Ziele erklären müssten, sondern dass Politikund Wirtschaft der Öffentlichkeit gegenüber auch die Aufgabe und dieFunktionsweise der deutschen Volkswirtschaft besser darzustellen hätten:»Die Vermittlung der Funktionsweisen der Marktwirtschaft ist weit imRückstand. Und dazu trägt natürlich auch die gegenwärtige Situation amArbeitsmarkt maßgeblich bei. Es ist nicht gelungen, dieses Wirtschaftssys-tem, das alternativlos ist, wenn man Wohlstand will, der Bevölkerung plau-sibel zu vermitteln.«

Herr Prof. Burda machte anschließend deutlich, dass das amerikanischeWirtschaftswachstum ein Beispiel dafür sei, wie durch einen entschlosse-nen Ausbau des Dienstleistungssektors neue Arbeitsplätze entstehen undabwandernde Arbeitsplätze ersetzt werden könnten. Der Behauptung, die-ser Ausbau habe in den Vereinigten Staaten zu einer Zunahme der Armuttrotz Arbeitsplatz, dem so genannten Working-Poor-Phänomen, geführt, tratBurda entschieden entgegen. Die Akzeptanz eines Wirtschaftssystems stei-ge mit seiner Fähigkeit, Arbeitsplätze zu schaffen. Darüber hinaus müssteder Öffentlichkeit klar gemacht werden, dass unternehmerische Entschei-dungen, die die Rendite eines Unternehmens erhöhen und auf diese Weiseausländische Investoren anlocken, aus betriebs- und volkswirtschaftlicherSicht zu begrüßen sind: »Ob Sie es mögen oder nicht, es ist so. Die inter-nationalen Investoren schauen auf eine Rendite. Und dabei handelt es sichnicht um so genannte Heuschrecken, sondern um milliardenschwere pri-vate Pensionsfonds. Ist die Rendite in Deutschland zu niedrig, fließen dieseGelder woandershin. Wenn Deutschland diese Kapitalquelle anzapfenkann, um die dringend nötige Modernisierung durchzuführen, wäre dasein Gewinn für das Land.«

Der DGB-Vorsitzende Sommer widersprach in diesem Zusammenhang derVorstellung einer zu engen Anlehnung an das amerikanische Vorbild undwarnte vor einer Überbetonung des so genannten Shareholder-Values:»Diese Debatte hat ja auch ihren Grund darin, dass Deutschland mittler-weile in vielfacher Hinsicht angloamerikanischen Einflüssen gegenübernicht nur offen ist, sondern sich ihnen hingegeben hat. Und so ist eine

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26 27Zum Gedenken an Otto Esser – Eggert VoscherauIII. Arbeitgeberforum Wirtschaft und Gesellschaft

Charakteristisch für das Denken und Wirken Otto Essers ist sicher seinerfolgreiches Handeln anlässlich des Streiks in der chemischen Industrieim Jahre 1971 – zum damaligen Zeitpunkt der erste Streik nach 50 ruhigenJahren und bis heute der einzige. Herr Dr. Hundt hat es in seinen Er-öffnungsworten bereits anklingen lassen: Unter der Führung Otto Essersgelang es den Arbeitgebern nicht nur, die Streiks zusammenbrechen zulassen – die Sozialpartner in der chemischen Industrie fanden in der Folgeauch zu einer dauerhaften Form des Miteinanders, um die uns so mancheandere Branche heute noch beneidet.

Diese Entwicklung war keineswegs selbstverständlich und einfach; dieGegner saßen auf Arbeitgeber- wie auf Arbeitnehmerseite und diskredi-tierten diese Form der Sozialpartnerschaft als »Harmonisiererei«. Letztlichhaben sich jedoch Weitblick und Verantwortungsbewusstsein durchgesetzt.In diesem Sinne verstand Otto Esser und verstehe auch ich heute Sozial-partnerschaft. Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften suchen nach derbesten Lösung, um die langfristigen Ziele der Unternehmen mit den Inte-ressen der Mitarbeiter zu vereinen. Es gehört zum Geschäft, dass es beidiesem Einigungsprozess gelegentlich zu Auseinandersetzungen oder auchSpannungen kommt. Aber am Ende wissen beide Seiten, dass sie nur ge-meinsam ihr Ziel erreichen können. Die chemische Industrie ist mit diesemKurs einer »großen Koalition« – oder besser »großen Kooperation« – in derVergangenheit gut gefahren, und wir werden ihn in der Zukunft auch imgegenseitigen Einvernehmen fortsetzen.

SCHLUSSWORT

Eggert Voscherau, Präsident BAVC

Es ist keine ganz einfache Aufgabe, das zusammenfassende Schluss-wort zu sprechen – insbesondere dann nicht, wenn so illustre Rednerund eine in hohem Maße anregende Podiumsdiskussion vorangegan-

gen sind. Wir haben uns heute hier versammelt, um der Persönlichkeit OttoEssers zu gedenken und seine Verdienste zu würdigen.

Otto Esser war nicht nur Arbeitgeberpräsident und als solcher Nachfolgervon Hanns-Martin Schleyer. Insgesamt 13 Jahre, von 1965 bis 1978, war erauch Präsident des »Arbeitsringes der Arbeitgeberverbände der ChemischenIndustrie«, wie der Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) früher hieß.Noch heute sind in der politischen Ausrichtung und in der Arbeit des BAVCjene Prinzipien spürbar, die Otto Esser zeit seines Lebens mit Nachdruckverkörpert hat: ein klares, eindeutiges Bekenntnis zur Sozialpartnerschaft,Verhandlungsbereitschaft mit Standhaftigkeit in der Sache, verbunden miteiner Politik der ausgestreckten Hand. Wir haben Otto Esser sehr viel zu ver-danken, und ich bin stolz, als Präsident des BAVC dieses Erbe fortführen zudürfen.

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29Zum Gedenken an Otto Esser – Eggert Voscherau

Für uns Unternehmer geht es um Wirtschaft und Gesellschaft. Hier ist imÜbrigen kein Gegensatz zu sehen, Wirtschaft und Gesellschaft stehen sichnicht gegenüber, sondern bedingen sich gegenseitig. Aber, und das willauch ich noch einmal betonen, ein Unternehmen, das keine Gewinneerzielt, nützt keiner der beiden Seiten.

Nach allen theoretischen Überlegungen in der Wissenschaft und vor allemnach den praktischen Erfahrungen wissen wir: Die zentrale Verantwortungdes Unternehmers liegt in der Existenzsicherung seines Unternehmens.Denn ohne Unternehmen gibt es keine Produkte, auch keine Arbeitsplätzeoder Steuereinnahmen. Der Unternehmer ist der Organisator, der Mittelund Wege für die Überwindung der Knappheit findet. Und in der Erfüllungdieser Aufgabe liegt die zentrale, die erste gesellschaftliche, das heißt so-ziale Verantwortung des Unternehmers.

Ich halte es für eine unserer wichtigsten und lohnendsten Aufgaben, diesegrundlegenden Zusammenhänge in das öffentliche Bewusstsein zu bringenund dort zu halten. Herr Dr. Hundt hat in seiner Rede darauf hingewiesen,dass bereits frühere Arbeitgeberforen sich dieser Aufgabe gewidmet haben.Sollten wir auch mit der heutigen Veranstaltung einen Beitrag dazu geleis-tet haben, wäre dies voll und ganz im Sinne Otto Essers.

Standhaftigkeit in der Sache, Verlässlichkeit und Partnerschaftlichkeit imUmgang miteinander – meine Damen und Herren, Otto Esser hat uns ge-zeigt, wie wir Unternehmer die Zukunft gestalten können. Ich bin froh,seinem Beispiel zu folgen.

28 III. Arbeitgeberforum Wirtschaft und Gesellschaft

Doch die Sozialpartnerschaft allein ist keine Garantie, dass wir alleHerausforderungen der Zukunft meistern können und werden. Um diesozialen Fragen des 21. Jahrhunderts bewältigen zu können, brauchen wirauch Mut und Weitblick, Ehrlichkeit und Verantwortungsbewusstsein – dashaben alle Redner und Podiumsteilnehmer heute eindrucksvoll bestätigt.

Die Globalisierung der Wirtschaft beschert uns allen eine Fülle neuerChancen und Möglichkeiten – sofern wir die Chancen sehen und nutzenkönnen. Denn mit der weltweiten Arbeitsteilung sind auch neue sozialeFragen aufgetaucht, oder besser: die »alten« sozialen Fragen im neuen Ge-wand. Die Diskussionen um Teilhabe, Verantwortung und Gerechtigkeit,das hat auch der heutige Tag gezeigt, haben eine neue Dimension erreicht.In der Öffentlichkeit stehen schon seit langem immer weniger die Chancenals vielmehr die Risiken der Globalisierung im Vordergrund. Dabei gehörtDeutschland als stark exportorientiertes Land bislang eindeutig zu den Ge-winnern des globalen Wettbewerbs.

Die Globalisierung ist keine Naturkatastrophe, vor der wir in einen Schutz-raum fliehen müssen und auch nicht sollten. Nicht mit Zähneklappern,sondern mit Optimismus meistern wir diese neuen Herausforderungen.

Natürlich darf dabei nicht verschwiegen werden, dass nicht alle Verände-rungen, die wir jetzt bewältigen müssen, problemlos umzusetzen sind. DerAufbruch zu neuen Ufern, das Ändern alter Gewohnheiten ist nie ganz ein-fach. Aber eines ist deutlich: Es ist unser aller und auch unsere gemeinsameVerantwortung, diesen Wandel anzugehen und zu gestalten. Die Fragenach der Rolle und der Verantwortung des Unternehmers stellt sich in einerglobalisierten Wirtschaft vielleicht schärfer und eindringlicher als je zuvor.Auch wenn Ton und Richtung der Debatte manchmal alles andere als posi-tiv zu bewerten sind, so halte ich es dennoch für wichtig und richtig, diesesThema öffentlich zu diskutieren.

Die Reden und die heutige Podiumsdiskussion haben gezeigt, dass dieDebatte um den Verantwortungsbereich der Unternehmer mit Klärungen inder Sache beginnen muss. Hier sind alle gesellschaftlichen Akteure undauch die Medien gefragt. Ökonomische und ethische Prinzipien schließensich keineswegs aus – auch das hat unsere Podiumsrunde noch einmaldeutlich werden lassen.

Unternehmer tragen dabei zunächst die unmittelbare Verantwortung fürihren Betrieb, sie müssen sich dem weltweiten Wettbewerb stellen undsich auf veränderte Rahmenbedingungen einlassen. Denn eines ist auch klar:Die beste Unternehmensethik nützt nichts, wenn die Insolvenz und damitder Verlust aller Arbeitsplätze droht! Auch dies haben die vorangegan-genen Reden, dies hat die Podiumsdiskussion mehr als deutlich gemacht.

Page 17: Otto Esser: Gelebte Verantwortung für Wirtschaft und Gesellschaft

30 31Arbeitgeberforum Wirtschaft und GesellschaftArbeitgeberforum Wirtschaft und Gesellschaft

26. Oktober 2004Haus der Deutschen Wirtschaft, Berlin

»REFORMEN OHNE

SOZIALE GERECHTIGKEIT?«

ARBEITGEBERFORUMWIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT

I. ARBEITGEBERFORUM

WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT

»Reformen ohne soziale Gerechtigkeit?«

Arbeitgeberforum Wirtschaft und Gesellschaft – »Reformen ohne soziale Gerechtigkeit?«Dr. Reinhard Göhner

Werte und Wandel »Welche Orientierung erwartet die Wirtschaft von den Kirchen?« Arbeitgeberpräsident Dr. Dieter Hundt

Profilschärfung oder Konzentration auf das Kerngeschäft »Was kann die Kirche von der Wirtschaft lernen?« Kardinal Karl Lehmann

Die Kirchen als sozialer Dienstleister»Zwischen sozialpolitischem Reformdruck und dem Anspruch christlicher Nächstenliebe« Bischof Dr. Wolfgang Huber

2. ARBEITGEBERFORUMWIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT,15. März 2005Haus der Deutschen Wirtschaft, Berlin

WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT

ARBEITGEBERFORUM

BUNDESPRÄSIDENT

HORST KÖHLER

»DIE ORDNUNG DER FREIHEIT«

II. ARBEITGEBERFORUM

WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT

Bundespräsident Horst Köhler

»Die Ordnung der Freiheit«

VorwortArbeitgeberpräsident Dr. Dieter Hundt

»Die Ordnung der Freiheit« Bundespräsident Horst Köhler

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Impressum

Bundesvereinigung der Deutschen ArbeitgeberverbändeBreite Straße 2910178 Berlinwww.bda-online.de

Konzept & Gestaltung Nolte | Kommunikationwww.nolte-kommunikation.de

Fotografiephotothek.net GbR

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