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Nur wer die Technik

beherrscht, entwickelt

Potenziale.

Sie haben in Ihrem Studium verschiedenste

Techniken kennengelernt. Vielleicht waren es

Konstruktions- oder Produktionstechniken,

vielleicht bilanzielle Techniken oder Program-

miertechniken. Aber erst das Beherrschen

einer Technik versetzte Sie in die Lage, Ihre

persönlichen Potenziale erfolgreich zu nutzen.

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Das Wort Apparatemedizin ist im allgemeinenSprachgebrauch zum Kampfwort gegen ei-

nen Medizinbetrieb geworden, in dem scheinbarnicht mehr der Mensch im Vordergrund steht,sondern die rücksichtslose Nutzung jeder heutezur Verfügung stehenden technischen Behand-lungsmöglichkeit. Sie wird allgemein als inhumanerachtet. Dieses Verdikt steht scheinbar nicht imWiderspruch zu einem großen Bedarf und einergroßen Akzeptanz der Diagnose- und Therapie-möglichkeiten, die die medizinischen Apparateeröffnen.

Hüftgelenksprothesen, Herzschrittmacher undkünstliche Augenlinsen sind Produkte der

Medizintechnik, die vielen im Alter die Lebens-qualität verbessern. Moderne bildgebende Diag-noseverfahren, endoskopische Untersuchungs-methoden und auf der Molekularbiologieberuhende Labortests haben eine Treffsicherheitbei der Diagnosestellung ermöglicht, die vor we-nigen Jahren noch unerreichbar schien.

Der medizintechnische Fortschritt baut immerauf grundlegenden naturwissenschaftlichen

Entdeckungen auf. Wo wäre die bildgebende Di-agnostik heute, hätte Wilhelm Conrad Röntgenin der 1895 von ihm entdeckten Strahlung nichtdas Potenzial für die Medizin gesehen? Im letztenJahr sind mit Paul Lauterbur und Peter Mansfielddiejenigen mit dem Nobelpreis für Medizin geehrtworden, die die gegen Ende des 2. Weltkriegsentdeckte kernmagnetische Resonanzspektrosko-pie für bildgebende Verfahren in der Medizin, dieheutige Kernspin-Tomographie, nutzbar gemachthaben.

Das deutsche Gesundheitssystem gehört, ge-messen am nationalen Bruttosozialprodukt,

zu den drei teuersten der Welt. Jahr für Jahr ver-schlingt es die unvorstellbare Summe von 140Milliarden Euro. Vermeintlich ist es der medizini-sche Fortschritt selbst, der die innere Ursachedes explosiven Wachstums des Gesundheitsbud-gets unserer Gesellschaft ist. Sind vor diesemHintergrund Investitionen in die Entwicklungneuer Technologien für die Medizin – zumal imebenfalls öffentlich finanzierten Bereich derHochschulen – überhaupt zu rechtfertigen? DieAntwort lautet eindeutig: Ja!

Eine auf die unmittelbaren Kosten fixierte Be-trachtung übersieht im Allgemeinen das kos-

tensenkende Potenzial moderner medizinischerBehandlungen. Ein Diabetiker, der mit Hilfeimmer präziserer Testgeräte seinen optimalenInsulinbedarf ermitteln kann, senkt sein Risiko

für Folgeerkrankungen wie Durchblutungsstörun-gen oder Netzhautdegeneration.

Die medizintechnische Industrie ist eine Wachs-tumsbranche. Deutschland nimmt im welt-

weiten Vergleich den dritten Platz ein und pro-duziert jährlich medizintechnische Erzeugnisseim Wert von 12,6 Milliarden Euro. Die Zahl derBeschäftigten liegt bei etwas mehr als 100.000,Tendenz steigend.

Schon der Gattungsbegriff macht deutlich, dasses sich bei der Medizintechnik um eine inter-

disziplinäre Disziplin handelt. Genau auf diesemFeld hat die in ihrer fusionierten Struktur nochjunge Universität Duisburg-Essen ein besonderesPotenzial, das man wahrlich Synergie nennen darf.

Das Universitätsklinikum Essen ist ein innova-tives medizinisches Forschungszentrum und

Klinikum, dessen exzellenter Ruf in vielen Berei-chen weit über die Landesgrenzen hinausreicht.So genießt die Essener TransplantationsmedizinWeltruf. Auf dem Campus Duisburg sind es dieIngenieurwissenschaften, insbesondere die Mikro-elektronik und Mechatronik, die in der medizin-technischen Forschung und Entwicklung führendsind. Nicht zu unterschätzen sind jedoch auch dieBeiträge der Chemie und Mathematik.

Mit der diesjährigen Ausgabe von FORUMForschung halten Sie ein Kompendium

der Forschung und Entwicklung an der UniversitätDuisburg-Essen auf dem Feld neuer Technolo-gien in der Medizin und für die Medizin in Hän-den. Die Summe der Beiträge verdeutlicht, dasssich die Universität auf diesem technologischenWachstumsfeld eindrucksvoll positioniert.

Ich danke allen beteiligten Autoren, die durchihre Artikel zum Gelingen dieses Magazins

beigetragen haben. Dem Grundgedanken vonFORUM Forschung folgend haben sie versucht,die komplizierten Sachverhalte hoch spezialisierterForschung auch für Leser ohne detaillierte Vor-kenntnisse aufzubereiten, um den angestrebtenbreiten Informations- und Know-how-Transfer ausder Universität in die Wirtschaft und Gesellschaftüberhaupt zu ermöglichen. In diesem Zusammen-hang schließt mein Dank selbstverständlich dasTeam der Transferstelle Hochschule-Praxis inDuisburg ein, das auch für diese Ausgabe desForschungsmagazins die organisatorische undredaktionelle Verantwortung trägt.

Universität Duisburg–Essen3

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Vorwort

Prof. Dr. Eckart Hasselbrink

Prorektor für Forschung,wissenschaftlichen

Nachwuchs, Transfer

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4FORUM Forschung 2004/2005

Prof. Dr. Eckart HasselbrinkProrektor für Forschung, wissenschaftlichen Nachwuchs, TransferVorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

Dr. Thomas BecksDeutsche Gesellschaft für Biomedizinische Technik im VDETrends in der Medizintechnik . . . . . . . . 8

Prof. Dr. Christoph E. BroelschPD Dr. Uta DahmenAllgemein- und TransplantationschirurgieNachwachsende Rohstoffe. Verbesserungen bei der Leberlebendspende . . . . . . . . . . . . . . 14

Prof. Dr. Matthias EppleDr. Carsten SchillerDr. Wolfgang Meyer-ZaikaOleg PrymakThea WelzelAnorganische ChemieHart wie die Natur. Knochenimplantate aus Calciumphosphat . . . . . . . . . . . . . . . 22

Prof. Dr. Raimund ErbelDr. Heinrich WienekeKardiologieWer „rostet“, lebt gesünder.Biokorrosion und Nano-Beschichtung in der Gefäßmedizin . . . . . . . . . . . . . 28

Prof. Dr. Joachim FandreyPhysiologieWenn die Luft knapp wird …Wie reagiert der Körper auf Sauerstoffmangel? . . . . . . . . . . . . . 32

Prof. Dr. Michael ForstingDr. Isabel WankeDiagnostische und Interventionelle RadiologieWenn jede Sekunde zählt …Neuroradiologische Techniken bei Schlaganfall und Hirnblutung. . . . . . . 38

Prof. Dr. Klaus GüntherInstrumentelle AnalytikHigh-Tech-Spürnasen für Hormone.Kombinierte Analyseverfahren zur Erforschung von biologisch aktiven Substanzen im Spurenbereich . . . . . . . 42

Prof. Bedrich J. Hosticka, Ph.D.Dr. Ingo KrischMikroelektronische SystemeBitte recht freundlich …Smarte Kamerasysteme in der Medizintechnik . . . . . . . . . . . . 48

Dr. Rüdiger BußDr. Andreas StöhrProf. Dr. Dieter JägerOptoelektronikEye Robot.Implantierbare elektronische Sehhilfe für Blinde . . . . . . . . . . . . . . . 52

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6FORUM Forschung 2004/2005

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Prof. Dr. Peter JungDr. Guido Horst BruckKommunikationsTechnikHandy für Hippokrates.Drahtlose Kommunikation in der Medizintechnik . . . . . . . . . . . . 56

Prof. Dr. Andrés KecskeméthyMechanikMedical Engineering.Neue Technologien der Biomechanik und Biomaterialien . . . . . . . . . . . . . . . 61

Prof. Dr. Hans-Dieter KochsDr. Gudrun StockmannsDipl.-Ing. Daniela LückeInformationstechnikTiefschlaf garantiert.Neue Technik für mehr Sicherheit bei Narkosen . . . . . . . . . . . 66

Prof. Dr. Ralf KüppersMolekulare GenetikSprechstunde im Mikrokosmos.Technische Wege zu Untersuchungen an einzelnen Zellen . . . . . . . . . . . . . . 72

Prof. Dr. Christian MayerPhysikalische ChemieVon Igeln und Haifischen.Flüssige Magnete in der Medizin. . . . . 76

Prof. Dr. Martin RumpfNumerische Mathematik und Wissenschaftliches RechnenBerechenbare Therapien.Mathematische Simulationsmodelle zur Behandlungsplanung . . . . . . . . . . 82

Dr. Thomas GasserProf. Dr. Dietmar StolkeNeurochirurgieStromstöße als Navigationshilfe.Neue Impulse für Diagnose und Behandlung von Hirntumoren . . . . . . 86

Prof. Dr. Klaus SolbachDr. Reinhard VigaElektromechanische KonstruktionWenn der Kopf macht, was er will ...Diagnosesystem für neurologische Bewegungsstörungen. . . . . . . . . . . . . . 91

Prof. Dr. Günter ZimmerDr. Hoc Khiem TrieuElektronische Bauelemente und SchaltungenKleine Technik – große Wirkung.Intelligente Miniatursysteme für die Medizintechnik . . . . . . . . . . . . 96

Dr. Beate FraßZentrum für Medizinische BiotechnologieDas Zentrum für Medizinische Biotechnologie . . . . . . 106

Titelbild:Oben: Herzkatheter-Team bei der Implantation

koronarer Stents. Quelle: Prof. Dr. Erbel, Beitrag S. 28.

Mitte: Mikroskopische Analyse. Quelle: Photodisc.

Unten: State-of-the-Art Operationssaal der Firma

Brainlab für die Neurochirurgie. Quelle: Brainlab AG,

München, Beitrag Dr. Becks, S. 8.

Hintergrund-Qelle: Photodisc.

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7Universität Duisburg–Essen

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um

HerausgeberProrektor für Forschung, wissenschaftlichen Nachwuchs, Transferder Universität Duisburg-Essen

Konzept & KoordinierungAndreas HohnTransferstelle Hochschule-Praxis der Universität [email protected]

RedaktionAndreas HohnJustus Klasen, ARTEFAKT, [email protected]

Gestaltung & Satzr a s c h . multimedia, Duisburghttp://www.rasch-multimedia.deRalf Schneider

Verlag/AnzeigenwerbungPublic Verlagsgesellschaft und Anzeigenagentur mbHMainzer Straße 31, 55411 BingenTel. 0 67 21/23 95, Fax 0 67 21/16 22 [email protected]

DruckVMK-Druckerei GmbH67590 Monsheim, Tel. 0 62 43/90 90

BildnachweisAlle Bilder ohne ausdrücklichen Copy-right-Hinweis stammen aus dem Archivdes jeweiligen Autors.

FORUM Forschung im Internet(mit Archiv aller bisherigen Ausgaben seit 1998)http://www.forum-forschung.de/

Impressum

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Global betrachtet sind die USA, Japan undDeutschland nicht nur die größten Absatzmärk-te für Medizinprodukte, sondern auch derengrößte Produzenten. Im Jahr 2002 wurden inden USA medizintechnische Waren – ohne Diagnostika – im Wert von allein 73,3 Milliar-den Euro produziert, gefolgt von Japan mit15,5 Milliarden Euro und Deutschland mit12,6 Milliarden Euro. Die Produktion von Diagnostika belief sich im gleichen Jahr in denUSA auf 8,5 Milliarden Euro und in Deutsch-land auf 1,4 Milliarden Euro. Innerhalb der Euro-päischen Union produziert Deutschland mehrals doppelt soviel medizintechnische Waren wieFrankreich, das auf Platz 2 folgt.

Die steigenden Ausgaben für Gesundheitsleis-tungen in den Industrienationen führten bei denProduzenten zu steigenden Absätzen. In denUSA konnten die Hersteller von medizintechni-schen Waren zwischen 1998 und 2001 – nur fürdiesen Zeitraum lässt sich nach heutiger Daten-lage ein Vergleich für Deutschland, USA undJapan anstellen – ihre Absatzproduktion um

fast 15 % steigern. Der entsprechende Vergleichs-wert für das gesamte Verarbeitende Gewerbe derUS-amerikanischen Wirtschaft lag lediglich beirund 2 %. In Japan gehört die Medizintechnik-industrie zu den wenigen Wirtschaftszweigen,die in diesem Zeitraum die Absatzproduktionüberhaupt steigern konnten (etwa 11 %), wo-hingegen die des Verarbeitenden Gewerbesrückläufig war (-6 %). Auch die deutschen Her-steller gehören zu den Gewinnern. Sie konntenihre Absatzproduktion zwischen 1998 und 2001um rund ein Viertel erhöhen – gegenüber 12 %beim gesamten Verarbeitenden Gewerbe.

Dieser insgesamt positiven Entwicklung derUmsatzzahlen für die deutsche Medi-zintechnikindustrie im Vergleich zudem übrigen Verarbeitenden Gewerbestehen jedoch abnehmende Marktan-teile gegenüber. Während Deutschlandim Jahr 1991 noch einen Anteil von21 % am Welthandel hatte, ging die-ser bis 2001 auf 15 % zurück. Im glei-chen Zeitraum konnten Länder wiedie USA und Irland ihre Anteile aus-bauen.

Im Jahr 2002 waren in Deutschlandmit rund 108.000 Personen knapp 2 %der Gesamtbeschäftigten in der Me-dizintechnikindustrie tätig. Mit imDurchschnitt 78 Beschäftigten pro Be-

trieb (2002) ist die Medizintechnik sehr viel stär-ker klein- und mittelbetrieblich orientiert als diegesamte deutsche Industrie mit durchschnittlich130 Beschäftigen. Doch im Gegensatz zum Ver-arbeitenden Gewerbe, in dem insgesamt die Be-schäftigung zwischen 1995 und 2002 rückläufigwar, wurden in der Medizintechnik Arbeitsplätzegeschaffen.

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rends in der Medizintechnik

Dr. Thomas Becks Deutsche Gesellschaft für Biomedizinische Technik im VDE

TDas Zusammenspiel von Medizin, Informationstechnik, Ingenieurwissenschaften, Werk-stoffwissenschaften und Zellbiologie eröffnet bislang ungeahnte Möglichkeiten in Diag-nose und Therapie. Der Transfer von Ideen aus der Grundlagenforschung in Produkte, diedem Patienten nutzen, stellt dabei hohe Ansprüche an die interdisziplinäre Arbeitsweiseverschiedener Berufsgruppen. In deren Zentrum stehen zumeist Ingenieure der Medizin-,Elektro- und Informationstechnik. Deutschland gehört zu den führenden Anbietern fürMedizintechnik und nimmt bei Abwägung verschiedener Kriterien im weltweiten VergleichRang 2 ein.

Abbildung 1: Marktverteilung nach Segmenten im Jahr 2002.Quelle: BVMed und Oppenheim Research.

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Innovative BrancheDeutsche Medizintechnikunternehmen erzielenmehr als 50 % ihres Umsatzes mit Produkten,die weniger als zwei Jahre alt sind. Folgerichtigsind die Quoten für Forschung und Entwick-lung dieser Branche mit Aufwendungen von8,2 % des Umsatzes und einem Personaleinsatzvon 8,1 % der Beschäftigten doppelt so hochwie der Industriedurchschnitt.

In den Jahren 1995 bis 2002 wurden in Deutsch-land insgesamt gut 9.300 Unternehmen gegrün-det, die in der Medizintechnik forschen, pro-duzieren oder Dienstleistungen anbieten. DieGründungen in der Medizintechnik machendamit 0,5 % aller Gründungen in Deutschlandaus. Mit 19,6 % der Gründungen liegt Nord-rhein-Westfalen vor Bayern mit 16,6 % bundes-weit an der Spitze. Besonders herausgehobeneRegionen sind hierbei die Städte und LandkreiseDüsseldorf, Köln, Recklinghausen, Essen undRhein-Sieg.

SchlüsseltechnologienVerschiedene Expertenbefragungen über wichti-ge Schlüsseltechnologien für die künftige Medi-zintechnik ergeben ein nahezu einheitliches Bild.Immer wieder werden darin Biotechnologie undGentechnik, Elektronik, Informations- undKommunikationstechnik, Mikrosystemtechnik,Neue Werkstoffe und Materialien, Nanotechno-logie, Optische Technologien, Produktions- undManagementtechnik, Zell- und Gewebetechnikgenannt. Eine genauere Analyse der Antwortenund der antwortenden Experten ergibt jedochauch folgendes Bild: Technologieexperten sindimmer bestrebt, Anwendungen für ihre Ent-wicklungen aufzuzeigen. Hier nimmt die emo-tional positiv besetzte Medizintechnik einenhohen Stellenwert ein. Klinische Forscher nen-nen oft technologische Schlagworte, die sie aufNachfrage nicht genau definieren oder erklärenkönnen.

Reale technische Fortschritte in der Medizin-technik lassen sich im Wesentlichen auf dreiBestimmungselemente zurückführen: Miniatu-risierung, Computerisierung und Molekula-risierung. Die Untersuchung der Medizintech-nik-Innovationen der vergangenen Jahre zeigtebenso wie verschiedene Technologie-Progno-sen für die Zukunft, dass Fortschritte und Neuentwicklungen immer mit der Weiterent-wicklung in mindestens einer dieser drei Fort-schrittsdimensionen verknüpft sind. Im folgen-den Abschnitt werden fünf Zukunftsthemender Medizintechnik beschrieben, die eng mit

der Weiterentwicklung der Fortschrittsdimensio-nen verbunden sind.

Systeme für Regenerative Therapien

Zell- und Gewebetechnik befasst sich mit derRegeneration und dem Ersatz geschädigter Organe und Gewebe durch Zellen. Insofern wirddarunter auch die Fortsetzung der Transplanta-tionsmedizin verstanden. Mit der Züchtung einesOrgans aus patienteneigenen Zellen verbindetsich die Hoffnung, Abstoßungsreaktionen ver-meiden zu können. Mit Hilfe technischer Sys-teme werden Zellen mit Nährstoffen versorgt,Abfallprodukte abgeführt und die Zellen durchelektrische oder mechanische Stimulation zukontrolliertem Wachstum angeregt. Bereits heutewird auf diese Weise Hautschleim hergestellt, derdem Patienten anschließend aufgestrichen wird;Gelenkknorpel wird als Nächstes folgen.

Organe der ersten Generation wie beispielswei-se die künstliche Leber werden noch längereZeit extrakorporal – also außerhalb des Körpers– eingesetzt werden, um die Zeit bis zur Trans-plantation eines Ersatzorgans zu überbrücken.Die Grundlagenforschung für gezüchtete Or-gane, die dem Patienten implantiert werden,hat jedoch bereits begonnen. Aufgrund der hohen Fallzahlen steht eine künstliche Bauch-speicheldrüse für Diabetiker dabei auf Platz 1der Wunschliste.

Vor und während der Anwendung künftiger Re-generativer Therapien werden Geräte benötigt,die spezielle Zelleigenschaften überwachen.Ebenso wichtig ist die kontinuierliche Über-wachung von Wachstum und Überleben desGewebes nach der Implantation in den Patienten.Hier werden miniaturisierte, implantierte Biosen-soren – so genannte BioMEMOS (BioMicro-ElectroMechanicalOptical Systems) – ebenso

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Abbildung 2: Vergleich der Welthandelsanteile für Medizintechnische Waren 1991(linke Grafik) und 2001 (rechte Grafik). Quelle: NIW – Niedersächsisches Institut für Wirtschaftsforschung, Hannover.

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eine wichtige Rolle spielen wie die Biomolekula-re Bildgebung, mit deren Hilfe der Erfolg Rege-nerativer Therapien überwacht werden kann.

Neue Biomaterialien werden untersucht, dieGewebe so natürlich wie möglich nachbilden.Oberf lächenmodifikationen im Nanobereich

(Biomimitecs) er-lauben dabei einenahezu perfekteVerbindung zu kör-pereigenen Zellen.Anwendungsberei-che liegen unteranderem bei Zahn-füllungen und -kro-nen, Hüft- undKnieprothesen so-wie beschichtetenGefäßstützen, dieein Leben langhalten.

Zur Anwendungam Patienten be-nötigen Regenera-

tive Therapien zudem die Unterstützung durchweitere neue Technologien wie die Mikrona-vigation im menschlichen Körper, minimal-invasive Techniken mit Mikrowerkzeugen, dieGewebe schneiden und ersetzen können, neuebildgeführte Verfahren und lokale Einbringungvon Pharmawirkstoffen.

Funktionelle und BiomolekulareBildgebung

Die Positronenemissionstomographie (PET) istheute das wichtigste Bildgebende Verfahren fürdie Biomolekulare Bildgebung. Künftige Anwen-dungen werden biomolekulare und funktionelleFragestellungen nicht-invasiv am lebenden Kör-per beantworten. Dafür sind fortgeschritteneDetektorsysteme und Verfahren zur Bildrekon-struktion ebenso zu entwickeln wie neue Son-den. PET- und Magnetresonanztomographie(MRT)-Systeme für Kleintiere werden wichtigeForschungswerkzeuge werden. Es ist heute nocheine offene Frage, ob die MRT biomolekulareInformationen von hoher diagnostischer Rele-vanz liefern wird: Hochfeldsysteme, neue spek-troskopische Verfahren und neue magnetischeMarker sind nur einige der heute diskutiertenIdeen. Fluoreszenzoptische Verfahren sind er-folgreich zur biomolekularen Bildgebung anKleintieren eingesetzt worden. Bei allen Bildge-benden Verfahren muss die räumliche und zeit-liche Bildauflösung wesentlich verbessert werden.Am Ende steht die Beantwortung der Frage, wiedie zellulär basierten Ursachen für Krankheiten

mit geringstem Aufwand gefunden werden kön-nen.

Nanomaterialien entwickeln sich zu speziellenMarkern für die Biomolekulare Bildgebung. Sogenannte „Quantum Dots“, die mit Antikörpernüberzogen sind, sammeln sich an speziellenKörperstellen und stellen funktionelle Prozesse,Enzyme etc. dar. Submikrongroße Magnetpar-tikel werden als Kontrastmittel für das MRTeingesetzt und können mittels starker externerMagnetfelder an beinahe jeden Punkt inner-halb des Körpers gelenkt werden.

In den kommenden Jahren liegt eine weiteretechnologische Herausforderung in der 4d-Bild-gebung: drei Raumdimensionen plus Zeit. Ins-besondere für die Diagnose und die Therapie-planung am schlagenden Herzen und anGelenken ist die zeitliche Auflösung von Bild-sequenzen entscheidend. Ultraschallsysteme mitSchallwandlern in Matrixanordnung, Mehrzeilen-Computertomographen mit bis zu 64 Zeilen undschnelle parallele MRT-Verfahren sind bereitsheute verfügbar, aber ihr Potenzial für neue An-wendungen in der Medizin ist noch lange nichtausgeschöpft. Bildgeführte Interventionen undminimal-invasive Chirurgie („Schlüsselloch-chirurgie“) wachsen immer weiter zusammen.Offene MRT-Systeme erlauben dem Chirurgennavigierte Eingriffe.

Die neuen bildgebenden Verfahren liefern enor-me Datenmengen, die von den Ärzten nichtmehr in der „klassischen“ Weise am Bildschirmausgewertet werden können. Neue Methodender computerassistierten Bildauswertung bis hinzu Expertensystemen sind zu entwickeln. Diessetzt unter anderem die Definition von Stan-dardpatienten voraus, um anhand der Abwei-chung vom Standard Hinweise auf Art und Ur-sache der Erkrankung zu erhalten.

Der virtuelle PatientIn den letzten Jahren ist mit der „Computer-orientierten Biologie“ oder „MathematischenPhysiologie“ ein neuer Wissenszweig entstan-den. Ziel ist das quantitative Verständnis allerfunktionellen Prozesse im menschlichen Körper.Heute werden Analysen zumeist auf der Basismakroskopischer mathematischer Modelle mitgroßen Sätzen gekoppelter Differentialglei-chungen durchgeführt. Erste erfolgreiche medi-zinische Anwendungen und Produkte für dieMedizintechnikindustrie sind in jüngster Zeitentstanden. Künftige Computermodelle desmenschlichen Körpers werden mit auf zellulärerEbene arbeitenden mikroskopischen Modellen

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Abbildung 3: Glas-Chip (links, Quelle: Hein Nixdorf Institut für Medizinelektronik, TU München) und Zellen aufeinem Silizium-Chip (rechts) werden benutzt zur präventivenFrühdiagnose, zu individuellen Wirkstofftests für Patientenund bei der Entwicklung neuer Arzneimittel.

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Der Schritt von der Ausbildung in die Arbeitswelt ist an-spruchsvoll und herausfordernd. Welchen Weg Sie für Ih-ren Einstieg bei uns wählen, liegt bei Ihnen: So ist eineerste Möglichkeit ein studienbegleitendes Praktikum, dasSie in fast allen Bereichen des Konzerns absolvieren können.Oder Sie schreiben gleich Ihre Diplomarbeit bei uns undverknüpfen auf diese Weise frühzeitig wissenschaftlicheTheorie und Arbeitspraxis. Unsere Traineeprogrammesind für Absolventen interessant, die das Diplom schon

in der Tasche haben. Für besonders qualifizierte Bewerberbieten wir zudem speziell das International GraduateProgram an: Hier bereiten wir Sie auf anspruchsvolle Auf-gaben im Group Center oder in unseren operativen Gesell-schaften vor. Nicht zuletzt gibt es auch die Möglichkeiteines Direkteinstiegs in einen konkreten Aufgabenbereich.Selbstverständlich werden Sie hier ebenfalls sorgfältigindividuell betreut, gefordert und gefördert und in laufendeProzesse mit eingebunden.

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Egal, welchen unserer Einstiegswege Sie wählen, wir bieten Ihnen in allen Bereichen des RWE Konzernsabwechslungsreiche, spannende und zukunftsträchtige Aufgaben. Sind Sie dabei? Wir freuen uns auf Sie!

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aufgebaut. Diese erlauben dann eine Analyseder wichtigen Krankheiten.

Die gemeinsame Auswertung von biomolekula-ren Bilddaten, Biosignalen (zum Beispiel EKG)und Labordaten erlaubt die Anpassung desStandardpatientenmodells an den individuellenPatienten. Am Ende wird der Arzt dann in derLage sein, das Computermodell zur Überprü-fung seiner Diagnose einzusetzen, verschiedenetherapeutische Maßnahmen zu simulieren undderen Ergebnisse mit dem Patienten zu disku-tieren. Der Operateur kann sich durch einenvirtuellen Eingriff an „seinem Patienten“ optimalauf die tatsächliche Operation vorbereiten unddiese Modelle auch für Lehr- und Trainingszwe-cke nutzen. Das Zusammenwirken von Implan-taten wie Herzschrittmachern, Dialysesystemenund Herz-Lungen-Bypässen kann simuliert unddie Systeme individuell optimiert werden.

e-HealthDie elektronische Patientenakte steht kurz vorihrer europaweiten Einführung. Die nächsteGeneration dieser Akten wird Expertenwissenbereithalten, das dem behandelnden Arzt alsZweitmeinung zur Verfügung steht und denletzten Stand des medizinischen Wissens wie-dergibt. Fehlmedikationen und Medikamenten-unverträglichkeiten können durch ein hinter-legtes Expertensystem weitgehend verhindertwerden. Internationale Standards für den Da-

tenaustausch müssen hierfür ebenso entwickeltwerden wie Verfahren zur Sicherung der Datenvor unbefugtem Zugriff.

Anonymisierte Datenbanken werden eingesetztwerden, um statistische Daten zu erheben, diedann bei der Ermittlung persönlicher Risikofak-toren und optimal angepasster Therapien helfen.Die Datenbank kann dazu benutzt werden, dasKonzept der evidenzbasierten Medizin zu ver-bessern und in Zahlen darzustellen. Neue Qua-litätsstandards für medizinische Prozesse, Ärzteund Krankenhäuser können eingeführt und Er-gebnisse miteinander verglichen werden. Auchmedizintechnische Geräte und Systeme könnenmit einer solchen Datenbank ein so genanntes„Health Technology Assessment“ durchlaufenund sowohl ihre medizinische Wirkung als auchihre Effizienz im Workflow nachweisen.

BioMEMOSBiosensoren der nächsten Generation bieten er-weiterte Möglichkeiten für die Überwachung inder Intensivpflege und für den HomeCare-Be-reich. Heute verfügbare Sensoren für den In-tensivbereich zeigen noch Schwächen bei dergenauen Messung von Herz-Kreislauf-Parame-tern und einigen Stoffwechselwerten. Gerade imHomeCare-Bereich fehlen immer noch Sensoren,die einerseits robust und zuverlässig und ande-rerseits komfortabel und einfach zu tragen sind.Im HomeCare-Bereich sind Systeme zur konti-

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Abbildung 4:State-of-the-Art Operations-saal der Firma Brainlab fürdie Neurochirurgie. Quelle: Brainlab AG, München.

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nuierlichen Kontrolle von chronisch Kranken(zum Beispiel Diabetes), für Behinderte, für Äl-tere und für Rekonvaleszenten in der Marktein-führung.

Ein stark wachsendes neues Feld bilden Senso-ren, die diagnostische Informationen über einzel-ne Zellen liefern. Auf der Grundlage elektrischer,mechanischer und optischer Messverfahren lie-fern sie Informationen über den Typ und denStatus von Zellen, die wiederum für RegenerativeTherapien eingesetzt werden können.

Mikrosysteme werden an Neuronen und Nervenangekoppelt, um Biosignale aufzunehmen oderBiosignale in Zellen und Muskeln einzuspeisen.Damit können unterbrochene Nervenfasern bei Gelähmten überbrückt werden, Hirnschritt-macher für Epileptiker und Stimulatoren für In-kontinente aufgebaut werden.

Intelligente Implantate werden Sensoren, Aktua-toren und Mikrocontroller enthalten. Implantier-te Medikamentenpumpen können beispielsweiseDiabetikern helfen, ihren Insulinpegel immerautomatisch auf dem richtigen Maß zu halten.In vielen Fällen können Systeme dieser Art überBluetooth und Mobilfunkgeräte an Notfallzen-tralen angeschlossen werden. Für Risikopatientenhaben diese Systeme dann einen absolut lebens-rettenden Charakter.

BioMEMOS helfen bei der Ermittlung von Da-ten, die früher nur aus Laboruntersuchungen zuerhalten waren. Mit so genannten „Lab-on-Chip-Systemen“ hält die „Point-of-Care-Diagnostik“Einzug. Viele Blut- und Urinwerte können mitdiesen Mikrolabors direkt und schnell am Pa-tienten analysiert werden. Auch in der Pharma-forschung ermöglichen diese Systeme eine teil-weise erhebliche Entwicklungsvereinfachung und-beschleunigung.

Deutschland hat im weltweiten Vergleich einestarke und gemeinsam mit anderen Ländern füh-rende Position in der Medizintechnik. Diesehervorragende Stellung kann kurz- und mittel-fristig nur gehalten oder ausgebaut werden, wenndie Rahmenbedingungen für Innovationenrichtig gesetzt sind. Mitentscheidend sind hierdie Akzeptanz und schnelle Einführung neuerVerfahren im heimischen Gesundheitswesenund die interdisziplinäre Arbeitsweise in derForschung. Momentan scheint die Einführungder Fallgruppenpauschalen (DRG – DiagnosisRelated Groups) innovative Verfahren in ihrerMarkteinführung jedoch eher zu verzögern. Diehistorisch gewachsene Zusammenarbeit zwischenÄrzten und Ingenieuren muss mit Blick auf die

Zell- und Gewebetechnik und dieBiotechnologie um Biologen undChemiker ergänzt werden. Hierzeichnen sich in Deutschland aller-dings „Standesbarrieren“ ab, die inden USA weit weniger zu beobach-ten sind.

Universität Duisburg–Essen

Ko n t a k tDr. Thomas Becks

Deutsche Gesellschaft fürBiomedizinische Technik im VDE(DGBMT)

Stresemannallee 1560596 Frankfurt am Main

Tel.: 0 69/63 08 208Fax: 0 69/96 31 52 19

[email protected]/dgbmt

Abbildung 5:Monitoring-System für dieÜberwachung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.Quelle: Institut für Technik derInformationsverarbeitung, UniKarlsruhe.

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Die Leberverpf lanzung ist inzwischen zu ei-nem Routineverfahren bei lebensbedrohendenLebererkrankungen geworden. Dadurch ist derBedarf an Spenderorganen erheblich gewach-

sen. Insgesamt ist die Zahl trans-plantierter Lebern in Deutsch-land in den letzten fünf Jahrenum 13 Prozent gestiegen. Trotz-dem reicht die Zahl der verfüg-baren Spenderorgane bei weitemnicht aus, um den Bedarf zu de-cken.

Während die Zahl der neu angemeldeten Patien-ten im Jahr 2003 auf über 1600 anstieg, konntenim Jahr zuvor bereits nur noch knapp 60 Pro-zent der Patienten auf der Warteliste mit einemLeichenorgan versorgt werden. Die Wartelistewird mithin zunehmend zur „Death Row“, damehr als 40 Prozent der Erkrankten sterben,ohne die Chance einer Transplantation zu er-halten. Allein die zunehmende Anwendung derLeberlebendspende ist ein Grund, dass die Ster-berate nicht noch höher liegt. Während 1996nur 1,4 Prozent aller Transplantate von leben-den Spendern gewonnen wurden, waren es2001 bereits 12,5 Prozent.

Split-TransplantationDie Leber ist mit einem durchschnittlichen Gewicht von 1500 Gramm die größte Drüse

des menschlichen Körpers. Sie ist für eine Viel-zahl von Stoffwechselprozessen verantwortlich.Besonders bemerkenswert ist die Regenerations-fähigkeit des Lebergewebes. Muss ein Teil bei-spielsweise wegen einer Verletzung oder einerTumorerkrankung chirurgisch entfernt werden,wächst das Organ innerhalb kurzer Zeit zu sei-ner ursprünglichen Größe nach. In dieser faszi-nierenden Eigenschaft der Leber liegt eine großeChance – eröffnet sie doch überhaupt erst dieMöglichkeit, eine (Teil-)Organspende von einemlebenden Spender zu bekommen.

Die Teilung von Spenderlebern (Split-Transplan-tation) bzw. die Übertragung von maßgeschnei-derten Leberteilen auf Kinder ist bereits seitlängerem erfolgreich bei Spenderorganen Ver-storbener entwickelt worden. Die gleiche Technikkann aber nun auch bei der Lebendspende zumEinsatz kommen. Wurde mit Hilfe der Lebend-spende zuerst vor allem dem bedrohlichenMangel an Spenderorganen für Kleinkinder wir-kungsvoll abgeholfen, gelang es dank der gutenErfolge dieser Methode sowie großer Erfahrungin der Technik der Splitlebertransplantation zu-nehmend, dieses Verfahren auch für die Organ-spende zwischen Erwachsenen weiterzuentwi-ckeln (Abb. 1).

Das Transplantationszentrum in Essen leistetebundesweit Pionierarbeit bei dieser Entwicklungund hat mit mehr als 100 bisher durchgeführten

FORUM Forschung 2004/200514

achwachsende RohstoffeVerbesserungen bei der Leberlebendspende

NJahr für Jahr steigt die Zahl der Menschen, die auf eine neue Leber warten. In Deutschlandstanden im Jahre 2003 1600 Patienten auf der Warteliste. Die Menge der zur Verfügunggestellten Spenderorgane – 2003 wurden 855 Organe transplantiert – hält mit diesem Bedarfnicht Schritt. Für viele Patienten ist dies gleichbedeutend mit einem Todesurteil, denn dieFunktion der Leber lässt sich – anders als bei den Nieren – nicht vorübergehend durch tech-nische Hilfsmittel ersetzen. An der Klinik für Allgemein- und Transplantationschirurgie derUniversität Duisburg-Essen wartet man nicht mehr allein auf die Organe Verstorbener. Hiersetzt man zunehmend auf die Verpflanzung von Organteilen lebender Spender.

Abbildung 1: Lebendspendeund Teillebertransplantat.Oben: Intraoperatives Bilddes gerade entnommenenlinkslateralen Segmentes. Rechts: Linkslaterales Seg-ment und rechter Leberlappenvor der Implantation.

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Leberlebendspenden mittlerweile einen gewalti-gen Erfahrungsschatz gesammelt. Im Jahr 2001wurde allein ein Viertel aller Lebendspenden inDeutschland hier vorgenommen; die Zahl derOrgane, die durch Lebendspende zur Verfügunggestellt werden, ist in Essen doppelt so hoch wieim Durchschnitt aller anderen Transplantations-zentren Deutschlands.

Denn eines ist klar: Ohne die Leberlebendspen-de ist der zunehmende Bedarf an Organennicht zu decken. Die Anzahl teilbarer Leichen-organe kann wegen der nicht immer optimalenOrganqualität nicht wesentlich gesteigert wer-den. So ist es das erklärte Ziel der Essener For-schungsgruppe um Christoph Erich Broelsch,die Leberlebendtransplantation durch fundierte

klinische und wissenschaftliche Untersuchun-gen weiter zu entwickeln, zu optimieren und zueinem allgemein akzeptierten Routineverfahrenzu machen.

Freiwilligkeit als oberstes PrinzipAuf dem Weg dahin stellt sich eine Reihe vonKernfragen – etwa die nach der Freiwilligkeitder Spende. Jede Leberlebendspende ist ein chirurgischer Eingriff an einem gesunden Menschen, der ausschließlich dem Wohle einesanderen dient. Familiäre Zwänge sowie psy-chische oder finanzielle Abhängigkeit dürfenbei der Entscheidung des Spenders natürlichauf gar keinen Fall eine Rolle spielen. Dies istvon grundlegender Bedeutung für die Akzep-tanz des Verfahrens bei Patienten und in derÖffentlichkeit.

Von ebenso großer Bedeutung ist das Opera-tionsrisiko für den Spender. Weltweit sind bis-lang immerhin acht Todesfälle von Spendernbekannt, die in engem zeitlichen Zusammen-hang zu ihrer Spenderoperation standen. Dahermuss die Sicherheit des Spenders ein absolutvorrangiges Ziel sein. Für seine Auswahl müs-sen die klinischen Kriterien wissenschaftlich

untermauert werden. Die Vernetzung und Koor-dination von klinischen und grundlagenorien-tierten Erkenntnissen ist dabei der einzige Weg,die Kompetenz und damit die Sicherheit aufdiesem Gebiet zu vergrößern und weiter zu ent-wickeln.

Selbstverständlich müssen aber auch Vorteileund Risiken der Lebendspende für den Emp-fänger im Blickpunkt stehen. Viele Vorteile derLebendspende liegen auf der Hand: Das Organwird von einem gesunden Spender unter op-timalen Bedingungen gewonnen, die Wartezeit ist minimal, der Operationstermin kann ent-sprechend den Bedürfnissen von Spender undEmpfänger geplant werden. Ein weiterer Vorteil:Bestimmte Krankheiten des Empfängers wie etwa die chronische Hepatitis B befallen nacheiner Transplantation auch das neue Spender-organ und machen so den Operationserfolg

nach kurzer Zeit zunichte.Dagegen ist das Teilorgan eines Lebendspenders, dervor der Spende durch entsprechende Impfungengezielt immunisiert wurde,im Körper des Empfängersgegen eine Neuerkrankungdeutlich besser geschützt.

Aber es gibt auch Schattenseiten des Ver-fahrens. Ein Risiko der Teilspende für den Emp-fänger liegt zum Beispiel darin, dass das Implantat aufgrund seiner geringen Größeempfindlicher auf die im Rahmen der Trans-plantation zwangsläufige „Nichtdurchblutung“(Zeit zwischen Explantation und Implantation)reagiert. Weitgehend ungeklärt ist bisher zu-dem, wie weit sich das Nachwachsen des Leber-gewebes bei Spender und Empfänger regulierenlässt und ob in dieser Phase Abstoßungsreak-tionen beim Empfänger anders verlaufen alsüblich.

Universität Duisburg–Essen15

Abbildung 2:Operationsplanung durchvirtuelle Resektion beimSpender.

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Retten durch RisikoAn der Klinik für Allgemein- und Transplanta-tionschirurgie der Universität Duisburg-Essenwird diesen zentralen Fragen in drei verschie-denen Projektbereichen nachgegangen. Der kli-nische Projektbereich A trägt den Titel „Rettendurch Risiko“. Die Leichenorganspende wird im-mer unter „Notfallbedingungen“ durchgeführt;sie ist von der niemals planbaren plötzlichenVerfügbarkeit eines Spenderorgans abhängig.Demgegenüber liegt der Vorteil der Lebend-spende in der Planbarkeit des Eingriffs nachsorgfältiger Auswahl des Spenders.

Ein wichtiges Ziel dieser Forschungsgruppe istdie Minimierung des Spenderrisikos durch Aus-wahl und Vorbereitung des optimalen Spenders.In drei Unterarbeitsgruppen geht es daher umdie psychologische und die klinisch-radiologi-sche Bewertung der Spender sowie um ihre Vor-behandlung, um den Transplantationserfolg zuverbessern.

So soll etwa in einer gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburgdurchgeführten Studie zur psychologischen Be-wertung ein optimales Spenderprofil ermitteltwerden. Denn die Lebendspende schafft einebesondere ethische und moralische Situation:

Auf eigenen Wunsch wird ein Mensch einempotenziell tödlichen Risiko ausgesetzt, um einemihm nahestehenden Mitmenschen zu helfen.Dies ist nur vertretbar, wenn er die Entschei-dung freiwillig und nach gründlicher Aufklärungtrifft, wenn sein physisches und psychisches Ri-siko bekannt und gering ist und wenn derEmpfänger mit großer Wahrscheinlichkeit vonder Spende profitiert. Projektziel ist die Mi-nimierung psychischer Risikofaktoren bei derSpende.

Passende AnatomieIn Kooperation mit dem „Centrum für Medizi-nische Diagnosesysteme und VisualisierunggGmbH" (MeVis) an der Universität Bremen beschäftigt sich eine zweite klinische Unter-gruppe mit den physischen Aspekten der Spen-derauswahl. Aus den Ergebnissen detaillierterUntersuchungen der Gefäßstruktur und der Leberlappen entsteht ein dreidimensionalesComputermodell des Spenderorgans. Mit Hilfeeines Planungsprogramms führt der Chirurgdie Entnahme des zu transplantierenden Leber-anteils beim Spender zunächst virtuell durch.Dabei können anatomisch ungünstige Verhält-nisse, die ein erhöhtes Risiko bedeuten, bei dempotenziellen Spender erkannt und dieser vonder Spende ausgeschlossen werden (Abb. 2).

FORUM Forschung 2004/200516

Abbildung 3:Verhinderung der Hepatitis BReinfektion beim Empfängerdurch Impfen des Spenders.Quelle: Transplantation 2004,copyright 2004 by LippincottWilliamsWilkins, Inc.

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Nach der Transplantation wird das Nachwachsendes Lebergewebes bei Spender und Empfängerdurch wiederholte Magnetresonanztomographienbeobachtet. Mit Hilfe der so gewonnenen Da-ten wird dann das Wachstum der Gefäße unddes Organgewebes dreidimensional dargestelltund zueinander in Beziehung gesetzt.

Die dritte klinische Untergruppe beschäftigt sich mit der bereits erwähnten Möglichkeit,den Spender eines Teilorgans vor der Spende zu impfen, um das Transplantat gegen eineInfektion durch den Empfänger zu immuni-sieren. Im Rahmen des geplanten Projektes sol-len potenzielle Lebendspender gegen HepatitisB geimpft werden, diesen Impfschutz mit dem transplantierten Organ auf den Empfän-ger übertragen und diesen so vor der ge-fährlichen Reinfektion schützen. Im Tierexperi-ment war diese Strategie bereits erfolgreich(Abb. 3). Zur Erfolgskontrolle werden Spenderund Empfänger engmaschig virologisch unter-sucht.

Resektion und RegenerationBei der Teillebertransplantation verliert derSpender einen beträchtlichen Teil des Organs.Seine Restleber, aber auch das Transplantat imEmpfänger müssen sich regenerieren, müssenwachsen, um den Stoffwechsel beider Patientenbewältigen zu können (Abb. 4). Der Projektbe-reich B beschäftigt sich unter dem Leitthema„Resektion und Regeneration“ in experimentel-

ler Weise mit dem Phänomen der Leberregene-ration bei Spendern und Empfängern.

Während der Transplantation ist das Spender-organ eine Zeit lang ohne Durchblutung. Dabeiwird die Teilleber zwangsläufig geschädigt. EineUntergruppe des Projektes sucht nach Möglich-keiten, diese so genannten Ischämie-Reperfusions-schäden zu minimieren. Dabei wird eine neue,am Institut für Physiologische Chemie der Universität Duisburg-Essen entwickelte Konser-vierungslösung im Labor und tierexperimentellerprobt (Abb. 5).

Das Nachwachsen der implantierten Teilleberregt die Immunabwehr an und verstärkt dadurchdas Abstoßungsrisiko beim Empfänger. Gleich-zeitig wirkt sich die Immunaktivierung hemmendauf die Regeneration aus. Eine zweite experi-mentelle Untergruppe will dieses Wechselspielim Labor näher erforschen. Gleichzeitig soll der mögliche Einsatz von speziellen Immun-suppressiva untersucht werden, von Medika-menten also, die die Immunabwehr unterdrü-cken.

Ein dritter Teilbereich schließlich untersucht dieMöglichkeit, die Regeneration durch den Ein-satz von Stammzellen zu verbessern. Die Trans-differenzierung, das heißt die Umwandlung vonStammzellen in Organgewebe, wird derzeit alsmöglicher Mechanismus für Regenerations-vorgänge kontrovers diskutiert. Anhand vonklinischen Proben soll die Frequenz stamm-

Universität Duisburg–Essen17

Abbildung 4:Resektion und Regeneration.Situs der Ratte vor Resektion,nach 90% Leberresektion, 7 Tage nach Resektion.

Abbildung 5:Regeneration (BrdU-Färbung) und Abstoßung (HE-Färbung).

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zellabhängiger Zellen im Lebergewebe bestimmtwerden, und zwar sowohl bei nachwachsendenImplantaten als auch nach Operationen, bei denen das Implantat – zum Beispiel bei Kin-dern – von Anfang an in der Größe passend ist.Tierexperimentell wird dabei durch Variationder Versuchsbedingungen geklärt, unter welchenBedingungen es zu einer Repopulation des trans-plantierten Organs durch Stammzellen und ihreAbkömmlinge kommt (Abb. 6).

Logistik und OrganisationFür die effiziente Koordination der klinischenProjekte ist es notwendig, die Untersuchungs-termine der Patienten aufeinander abzustimmen.Die Daten, die im Rahmen der klinischen Be-

treuung von Spendern und Empfängern anfal-len, müssen für die wissenschaftliche Auswer-tung aufbereitet, gespeichert und so verfügbargemacht werden. Der Projektbereich C1 hat dieAufgabe, diese klinische Koordination zu opti-mieren. Aufbauend auf bereits vorhandenenDatenbank- und Netzwerkstrukturen werdenEDV-gestützte Kommunikationsstrukturen ge-schaffen, die den Informationsaustausch vonklinischen und experimentellen Daten störungs-frei ermöglichen. Patientendaten aus der klini-schen Versorgung wie auch aus klinischen Stu-dien sollen allen beteiligten Forschern jederzeitzugänglich und damit nutzbar sein.

Grundlage der experimentellen Projekte sind diechirurgischen Modelle der Resektion sowie der

FORUM Forschung 2004/200518

Abbildung 6: Transdifferenzierungvon Stammzellen zu Leberzellen.Ein seltenes Ereignis, dessen Bedeu-tung kontrovers diskutiert wird.Links: Männliches Kontrollgewebemit grün f luoreszierenden Signalenin fast allen Leberzellen.

Abbildung 7:Chirurgische Modelle der70% Resektion, der 30%Teillebertransplantation undder Volllebertransplantation.

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Voll- und Teillebertransplantation an der Ratte(Abb. 7). Verantwortlich dafür ist der Projektbe-reich C2. Es handelt sich dabei um komplexeund störanfällige Tiermodelle, denen jeweils einanspruchsvoller mikrochirurgischer Eingriff zu-grunde liegt. Reproduzierbarkeit kann nur durchdie fehlerfreie und gleichförmige Durchführungdurch einen hoch qualifizierten Mikrochirurgenerzielt werden. Die Ergebnisse sämtlicher weiter-führender Untersuchungen hängen von der stan-dardisierten, qualifizierten und qualitätskon-trollierten Durchführung dieser Operationenab. Zur Visualisierung der Gefäßanatomie derLeber und darauf aufbauenden Verbesserungender operativen Technik werden Korrosionsprä-parate hergestellt (Abb. 8). Veränderungen derMikrozirkulation der Leber nach Teilresektionund Teillebertransplantation werden darüberhinaus mit der Technik der orthogonalen Pola-risationsspektroskopie (Abb. 9) verdeutlicht.

Universität Duisburg–Essen21

Abbildung 8:Visualisierung der Leberanatomiedurch Korrosionspräparate, lichtmikroskopische und rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen.(Rasterelektronenmikroskopie: Prof. Epple, Anorganische Chemie,Universität Essen).

Abbildung 9: Visualisierung derLeberdurchblutung mittels orthogo-naler Polarisationsspektroskopie.Links vor Resektion, rechts nach90% Leberresektion.

Ko n t a k tProf. Dr. Dr. h.c. mult. Christoph E. Broelsch, FACS

Direktor der Klinik für Allgemein- und Transplantationschirurgie

Universitätsklinikum Essen

Tel.: 02 01/72 3-11 00 oder -11 01Fax: 02 01/72 3-59 46

[email protected]://www.transplantation-clinic.de

PD Dr. Uta Dahmen

AG Experimentelle Chirurgie

Tel./Fax: 02 01/72 3-11 21

[email protected]

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Knochen bestehenzu 60 bis 70 Pro-zent aus Calci-umphosphat, einemanorganischen Mi-neral. Dies verleihtihnen die sprich-wörtliche Härte. DieEinbettung in dasProtein Kollagen,die zweite wesentli-che Komponente,macht den Knochenzäh und zugfest. Beider Suche nach ge-eigneten Ersatzstof-fen gilt es nicht nur,die mechanischenEigenschaften des

Knochens nachzuahmen, sie müssen darüberhinaus auch noch körperverträglich sein. Beikonsequenter Umsetzung dieser Strategie endetman zunächst bei dem Material, das nach wievor als „goldener Standard“ der Knochenersatz-mittel angesehen wird:dem patienteneigenenKnochen.

Bei der so genannten „au-togenen Knochentrans-plantation“ wird Gewebemeist aus dem Becken-knochen des Patientenentnommen und an dergewünschten Stelle ein-gepflanzt. Das Implantatwird entweder passgenauzugeschnitten oder zer-kleinert und als Granu-lat eingesetzt. Leider istdas Verfahren nicht freivon Nachteilen: Die ent-

nehmbare Menge ist begrenzt, der Beckenkno-chen wird deutlich geschwächt, viele Patientenklagen über starke Schmerzen nach dem Ein-griff. Menschliche Spenderknochen oder solchetierischen Ursprungs stellen zwar – gegebenen-falls nach entsprechender chemischer Aufberei-tung – eine weitere Materialquelle dar, doch imZeitalter von AIDS, BSE und anderen übertrag-baren Krankheiten wird diese nur ungern ge-nutzt.

Der Bedarf an Knochenersatzmitteln, die gutverträglich, mit Sicherheit frei von Krankheits-erregern und beliebig verfügbar sind, muss da-her in erster Linie durch teil- oder vollsyntheti-sche Materialien gedeckt werden. SynthetischeKnochenersatzmittel bestehen meist aus Calcium-phosphat, gleichen also in ihren chemischenBestandteilen dem natürlichen Knochenmineral.Die Zellen des Knochengewebes wachsen aufdiesen Materialien gut an, so dass das Ersatz-mittel wie eine Art Gerüst bei der Knochenneu-bildung wirkt und fest in den Knochen ein-wächst.

FORUM Forschung 2004/200522

art wie die NaturKnochenimplantate aus Calciumphosphat

HEin Stoff mit bemerkenswerten Eigenschaften: Biegsam und elastisch wie ein Metall undgleichzeitig hart wie eine Keramik. Was wie der ganz große Wurf eines Materialwissen-schaftlers klingt, ist ein alter Hut aus der Natur: Der Biowerkstoff „Knochen“. Trotz derhohen Stabilität des Knochengewebes kommt es bei Unfällen mitunter zu Brüchen. Inschweren Fällen müssen bei deren Behandlung manchmal Splitter entfernt werden, so dassKnochenmaterial fehlt. Auch nach der Entfernung von Tumoren bleiben Hohlräume imKnochen zurück. Sie werden meist mit so genannten Knochenersatzmitteln aufgefüllt, umden Heilungsprozess zu beschleunigen. Auf der Suche nach dem geeigneten Ersatzstoffkommt die Forschung immer mehr zu dem Schluss: Eigentlich ist kaum etwas so gut wie dasOriginal.

Abbildung 1: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme von Octacalciumphosphat-Kristallen.

Abbildung 2: Transmissionselektronenmikroskopische Aufnahme eines Dünn-schnittes durch menschliches Knochengewebe.

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Ständige ErneuerungDoch Calciumphosphat ist nicht gleich Calci-umphosphat (siehe „Chemiebaukasten der Na-tur“). Das natürliche Knochenmineral bestehtaus Hydroxylapatit, allerdings nicht in reinerForm. Hydroxylapatit besitzt die Fähigkeit,fremde Ionen einzulagern und dadurch von derexakten Zusammensetzung Ca5(PO4)3OH ab-zuweichen. Bei der Bildung von Knochengewe-be kristallisiert das Knochenmineral aus derKörperf lüssigkeit aus und baut viele der darinenthaltenen Ionen ein – insbesondere Carbonat(CO3

2-), das zu einigen Gewichtsprozenten imKnochenmineral enthalten ist.

Von großer Bedeutung für die Eigen-schaften des Knochenminerals ist auch,dass es sich um sehr kleine Teilchenhandelt: die Kristalle sind nur wenigeNanometer groß (1 Nanometer = 1milliardstel Meter). Derartig kleine Teil-chen besitzen im Verhältnis zu ihremVolumen eine besonders große Ober-f läche und sind dadurch leichter lös-lich als große Teilchen gleicher Zusam-mensetzung.

Im Knochengewebe sind die Kristalledes Knochenminerals in mikroskopischkleinen Fasern – so genannten Fibrillen– aus dem Protein Kollagen eingebettet(Abb. 2). Diese mineralisierten Fibrillensind zu größeren Strängen gebündelt, die wie-derum nach definierten Ordnungsprinzipienarrangiert sind. Die aufwändige Strukturierungdes Knochengewebes setzt sich in einer weite-ren, schon mit dem bloßen Auge erkennbarenHierarchieebene fort: Der Porosität des Gewebesim Knocheninneren (Abb. 3).

Die hierarchische Strukturierung des Knochen-gewebes ist nicht statisch, sondern einem stän-digen Wandel unterworfen. KnochenabbauendeZellen lösen lokal das Knochenmineral auf und

zersetzen die organischeKnochenmatrix, das Kol-lagen. Gleichzeitig bauenknochenbildende Zellendie neue Kollagenmatrixauf, in der dann wiederfrisches Knochenmineralauskristallisiert. Diese fort-währende Umstrukturie-rung hat das Ziel, dieKnochen optimal anwechselnde mechanischeBeanspruchungen anpas-sen zu können. Im Zuge

dieses dynamischen Gleichgewichtes aus Kno-chenab- und Knochenaufbau werden auch De-fekte wie zum Beispiel Brüche repariert.

So gut wie natürlichKnochenmineral lässt sich heute synthetischherstellen. Durch geeignete Verfahren wird an derUniversität Duisburg-Essen ein Calciumphos-phat produziert, das in seiner Zusammenset-zung – insbesondere hinsichtlich des Carbonat-Gehalts – und Kristallinität (Nanometer-kleineKristalle, Abb. 4) dem natürlichen Knochen-mineral nahe kommt. Die Arbeitsgruppe um

Matthias Epple verwendet dazu eine automati-sche Fällungsanlage, die eine gleich bleibendeQualität des Produktes gewährleistet.

In Abbildung 5 sind zur VeranschaulichungRöntgenpulverdiffraktogramme von natürli-chem Knochenmineral und von einem an derUniversität Duisburg-Essen synthetisierten Ma-terial gegenübergestellt. Der sperrige Begriff„Röntgenpulverdiffraktometrie“ bezeichnet da-bei eine Analysemethode, bei der die Streuungvon Röntgenstrahlen durch eine pulverförmige

Universität Duisburg–Essen23

Abbildung 3: Mikro-Computertomographie von porösem Knochengewebe,der Spongiosa.

Abbildung 4: Rasterelektronenmikroskopische (links) und transmissionselektronenmikroskopische(rechts) Aufnahmen von synthetischem Knochenmineral.

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Probe untersucht wird. Das Messergebnis, dasso genannte Diffraktogramm, gibt Aufschlussüber die Kristallstruktur und Partikelgröße derProbe. In der Abbildung wird die hervorra-gende Übereinstimmung von natürlichem undkünstlich hergestelltem Knochenmineral deut-lich.

Das künstliche Knochenmineralist wegen seines naturidentischenAufbaus sehr verträglich; Kno-chenzellen wachsen gut darauf an.Genau wie natürliches Knochen-mineral kann es von knochen-abbauenden Zellen aufgelöst wer-den. Der frei gewordene Platzkann dann durch nachwachsen-des natürliches Knochengewebeaufgefüllt werden. Nach einigerZeit sollte das künstliche Kno-chenmineral vollständig abge-baut und der Knochendefektausgeheilt sein.

Damit das künstliche Knochen-mineral vom Chirurgen in einenKnochendefekt eingebracht wer-den kann, ohne gleich wieder

vom Blut ausgeschwemmt zu werden, muss daspulverförmige Ausgangsprodukt zu Granulatoder größeren Formkörpern verarbeitet wer-den. Dies gelingt am besten durch kalt-isostati-sches Pressen. Das Pulver wird in eine Kaut-schukform gefüllt, diese fest verschlossen und ineinem Wasser-Öl-Gemisch mit mehreren tausendBar Druck komprimiert. Da das Pulver auf dieseWeise von allen Seiten gleichmäßig verdichtetwird, entstehen keine mechanischen Spannun-gen im Innern des Presslings. Dadurch entstehenbesonders stabile Formkörper (Abb. 6). DieseImplantate können problemlos mechanisch be-arbeitet werden, um ihre Form an den Kno-chendefekt anzupassen.

Individuelle KopfarbeitKnochendefekte des Schädels, wie sie zum Bei-spiel durch Unfälle oder chirurgische Eingriffeentstehen können, stellen allerdings einen Son-derfall dar. Bei ihrer medizinischen Behandlungmuss aus ästhetischen Gründen besondererWert auf eine korrekte Rekonstruktion der Schä-delform gelegt werden. Die herkömmliche Be-handlung erfolgt in solchen Fällen mit Kno-chenzement, der aus zwei Komponentenangemischt wird und dann aushärtet. Das Ma-terial wird dabei vom Chirurgen im noch wei-chen Zustand von Hand in die richtige Formmodelliert.

Ein moderneres Verfahren, das zuverlässig ästhe-tisch hervorragende Ergebnisse liefert, wurdean der Ruhr-Universität in Bochum entwickelt.Anhand eines Computertomogramms des Pa-tienten wird ein individuelles Implantat amComputer geplant und computergestützt gefer-tigt. Etabliert ist diese Methode mittlerweile für

FORUM Forschung 2004/200524

Abbildung 5: Vergleich der Röntgenpulverdiffraktogramme vonnatürlichem und synthetisch hergestelltem Knochenmineral; dieÜbereinstimmung belegt die identische Kristallstruktur und Kristall-größe beider Substanzen.

Chemiebaukasten der Natur Calciumphosphat ist nicht gleich Calciumphosphat – es handelt sich um einenOberbegriff für eine ganze Gruppe von Verbindungen, die alle aus Calcium- undPhosphat-Ionen bestehen. Die wichtigsten Vertreter sind in der Tabelle zusammen-gestellt.

Die bekanntesten Calciumphosphate und ihre chemische Zusammensetzung

Name Abkürzung Summenformel

Monocalciumphosphat-Monohydrat MCPM Ca(H2PO4)2 · H2O

Monocalciumphosphat-Anhydrat MCPA Ca(H2PO4)2

Dicalciumphosphat-Dihydrat DCPD CaHPO4 · 2 H2O

Dicalciumphosphat-Anhydrat DCPA CaHPO4

Octacalciumphosphat OCP Ca8(HPO4)2(PO4)4 · 5 H2O

alpha-Tricalciumphosphat -TCP -Ca3(PO4)2

beta-Tricalciumphosphat -TCP -Ca3(PO4)2

Hydroxylapatit HAP Ca5(PO4)3OH

Tetracalciumphosphat TTCP Ca4(PO4)2O

MCPM, DCPD, OCP und HAP lassen sich durch Fällung aus wässriger Lösungherstellen. Die Bedingungen (besonders wichtig ist der pH-Wert) entscheiden dar-über, welches dieser Calciumphosphate dabei entsteht. Abbildung 1 zeigt eine raster-elektronenmikroskopische Aufnahme von blütenartig verwachsenen OCP-Kristallen.Die Anhydrate MCPA und DCPA entstehen beim Entwässern der entsprechendenHydrate bei Temperaturen oberhalb von 100 °C. Die Tricalciumphosphate unddas Tetracalciumphosphat lassen sich dagegen nur durch keramische Brennprozessesynthetisieren.

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Universität Duisburg–Essen25

Schädelimplantate aus Titan, einem Metall, dasim Körper nicht abgebaut wird. Noch besserwären abbaubare Implantate, die sich innerhalbeines Zeitraums von einigen Monaten bis hin zuwenigen Jahren auflösen und durch nachwach-sendes Knochengewebe ersetzt werden, bis dasImplantat vollständig verschwunden ist und sichder Schädelknochen regeneriert hat.

Daher hat es sich die Forschergruppe an der Uni-versität Duisburg-Essen gemeinsam mit ihrenBochumer Kollegen zum Ziel gesetzt, die com-putergestützte Implantatfertigung auf abbauba-re Materialien zu übertragen. Zuerst musste dieFrage nach dem optimalen Material beantwortetwerden. Das synthetische Knochenmineral ist alsreine Keramik für diese Anwendung zu spröde,die Bruchgefahr der Implantate wäre zu groß.Man entschied sich – nach dem Vorbild des na-türlichen Knochens – für die Kombination dessynthetischen Knochenminerals mit einer orga-nischen Matrix. Statt des körpereigenen Pro-teins Kollagen wird hier der abbaubare Kunst-stoff Polylactid eingesetzt, der aus Milchsäureaufgebaut ist.

Für eine erfolgreiche Regeneration des Schädelsist aber nicht nur das Material, sondern auchdas geometrische Design der Implantate ent-scheidend. Das nur langsam nachwachsendeKnochengewebe steht in Konkurrenz zumschneller wachsenden Weichgewebe, das in denfreien Raum nachdrängt. Ist die Lücke erst ein-mal vom Weichgewebe ausgefüllt, so bleibt

kein Platz für die Knochenheilung. Das ist auchder Grund dafür, dass Schädeldefekte ohne me-dizinische Versorgung nicht von selbst wiederZuwachsen.

Außen hart – innen porösEin abbaubares Implantat muss also wie einPlatzhalter wirken, den Knochendefekt zumWeichgewebe hin abschirmen und so die Rege-neration des Knochens ermöglichen. Im Bereichdes Schädels geht die Knochenregeneration vonder unter dem Schädelknochen liegenden Hirn-haut aus. Das konkurrierende Weichgewebewächst dagegen von der Kopfhaut aus in denSchädeldefekt hinein. Für die resorbierbarenSchädelimplantate wurde deshalb ein Designaus zwei Schichten gewählt. Auf der zur Kopf-haut weisenden Außenseite liegt eine kom-pakte, sich nur langsam abbauende Schicht, dieden mechanischen Schutz gewährleistet und

Abbildung 7: Fertigung individuellerImplantate zur Rekonstruktion von Schädeldefekten aus einemphysiologisch abbaubaren Polymer-Calciumphosphat-Verbundmaterial.

Abbildung 6: Kalt-isostatisch gepresste Formkörper aussynthetischem Knochen-mineral für den Einsatz alsKnochenersatzmittel.

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den Defekt zur Kopfhaut hin abschirmt. Die mitder Hirnhaut in Kontakt stehende Innenseitebesteht dagegen aus einer porösen, sich schnellerabbauenden Schicht, die als Platzhalter undMatrix für nachwachsendes Knochengewebedienen soll.

Bei der Fertigung der Implantate schließlichkommt ein zweistufiges Verfahren zum Einsatz(Abb. 7). Im ersten Schritt wird die kompakteAußenschicht durch Warmpressen hergestellt,bevor dann im zweiten Schritt die poröse Innenschicht durch ein Aufschäumverfahrenaufgebracht wird. In beiden Fällen erfolgt dieVerarbeitung in individuellen Hohlformen, dieauf Basis der Computertomographie-Daten desPatienten am Computer geplant werden.

Zurzeit sind die Implantate in der tierexperi-mentellen Testphase. Die bisherigen Ergebnissesind viel versprechend. Trotzdem wird es nochmehrere Jahre dauern, bevor mit einem klini-schen Einsatz zu rechnen ist.

Sicherer Halt für künstliche Gelenke

Im Gegensatz zu Frakturen und anderen Kno-chendefekten ist der Verschleiß von Gelenkenirreparabel. Der Körper ist nicht in der Lage,defekten Knorpel im Gelenk wieder aufzubauen.Glücklicherweise gibt es Gelenkprothesen, mitdenen die Mobilität der Patienten mit großemErfolg wieder hergestellt werden kann. Bei derImplantation wird das natürliche Gelenk ent-fernt und die Prothese im Knochen verankert.Dazu wird der metallische Prothesenschaft inden Knochen eingelassen. Dieser Schaft wirdentweder mit Knochenzement verklebt oderman lässt ihn in den Knochen einwachsen. Im

letzteren Fall verwendet man Prothesen,deren Schäfte mit Calciumphosphat be-schichtet sind, denn eine solche Beschich-tung sorgt für ein gutes Anwachsen desKnochengewebes an der Prothesenober-f läche und damit für einen festen Sitzder Prothese.

Die Standardmethode für die Calcium-phosphatbeschichtung von Metallober-f lächen ist das so genannte Plasma-Spray-Verfahren. Ähnlich wie beimAutolackieren wird hier Calciumphos-phat-Pulver durch Gasdruck versprüht.Direkt hinter der Düse passiert derSprühnebel einen Lichtbogen. In demheißen Plasma des Lichtbogens schmilztdas Calciumphosphat, und beim Auftref-fen auf die zu beschichtende Oberf lächekühlen die Tröpfchen ab und erstarren

zu einer Calciumphosphat-Schicht. Jedochkönnen schwer zugängliche Stellen – zum Bei-spiel die innere Oberf läche poröser Werkstücke– mit dem Plasma-Spray-Verfahren nicht be-schichtet werden.

Ein anderes Verfahren ist das Beschichten durchEintauchen in eine übersättigte Calciumphos-phat-Lösung. Ist die Metalloberf läche durchÄtzen geeignet vorbehandelt, so scheidet sichinnerhalb von einigen Stunden eine Schicht ausCalciumphosphat darauf ab. Die einfach anzu-wendende Methode erlaubt auch die Beschich-tung schwer zugänglicher Stellen. Zudem könnenpharmazeutische Wirkstoffe schonend mit indie Schicht eingebaut werden. An der UniversitätDuisburg-Essen konnte dieses Verfahren durchOptimierung der Ätzverfahren erfolgreich anverschiedene Metalle und Legierungen ange-passt werden (Abb. 8).

FORUM Forschung 2004/200526

Abbildung 8: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme einer Calciumphosphat-Beschichtung auf Nickel-Titan-Legierung, hergestellt durchCalciumphosphat-Abscheidung aus übersättigter Lösung.

Ko n t a k tProf. Dr. Matthias EppleDr. Carsten SchillerDr. Wolfgang Meyer-ZaikaOleg PrymakThea Welzel

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1977 begann ein neues Kapitel der modernenKardiologie, als Andreas Grünzig die so genann-te „perkutane transluminale coronare Angio-plastie“ (PTCA) einführte. Bei diesem Verfahrenführt der Arzt kurzfristig einen Ballon so in eineverengte Herzkranzarterie ein, dass durch Auf-blähen des Ballons das Gefäß wieder erweitertwird. Dies führte zwar durchaus zu einigen Er-folgen, doch kommt es im Durchschnitt bei zweivon fünf Patienten nach einiger Zeit zu einerWiederverengung der Arterie, einer so genannten

Restenose – und die Pro-bleme beginnen vonvorn.

Deshalb ging man späterdazu über, in das erwei-terte Gefäß Röhrchen –so genannte Stents – aus gef lochtenem Drahtzu implantieren. Diese sollten einer Restenoseentgegenwirken (Abb. 1). Nachfolgende Studienkonnten die Überlegenheit der Stent-Implanta-tion gegenüber der alleinigen koronaren Angio-plastie belegen.

Dennoch bleibt die Restenose auch bei der Ver-wendung von Stents ein gravierendes Problem.So kann es hier als Reaktion auf das implan-tierte Stentmaterial und durch die bei der Auf-dehnung entstehende Gewebetraumatisierungebenfalls zu einer Wiederverengung des Gefä-ßes kommen. Man kann sich diesen Vorgang

als entzündliche Gewebewucherung vorstellen,die ähnliche Eigenschaften wie die Narbenbil-dung an der Haut aufweist.

Dünn und elastischZu den Faktoren, die eine Restenose begüns-tigen, gehören neben patientenbezogenen Aus-lösern wie Diabetes und neben Form und Posi-tion der Stenose auch die Eigenschaften desverwendeten Stents, dessen Material und De-sign. So haben Untersuchungen zum Beispielgezeigt, dass Patienten mit einer Nickelallergiein erhöhtem Maße zu Restenosen neigen. Diesist auf eine allergische Reaktion auf den Nickel-Anteil des üblicherweise für den Stent verwen-

deten 316L-Edelstahleszurückzuführen.

Daher ist der Gedankenahe liegend, dass man,um die Restenoserate zusenken, ein Konzept zur Stentbeschichtungentwickelt. Durch ein

solches Vorgehen lässt sich die gute Körper-verträglichkeit der eingesetzten Oberf lächen-beschichtung mit den positiven mechanischenEigenschaften des Trägermaterials – wie zumBeispiel des erwähnten Edelstahls – verbinden.Dabei muss jedoch eine möglichst dünne Be-schichtung gewählt werden, da die Dicke der

Abbildung 1: [a] Auf einenBallon aufmontierter Stent.[b] Aufweitung des Stentsdurch Aufblasen des Ballons.Man kann deutlich dieVerformung des Stents erken-nen. [c] Stent nach Erschlaf-fen des Ballons. Der Stentbehält seine Form bei undkann dadurch als Stütze desGefäßes dienen.

FORUM Forschung 2004/200528

er „rostet“, lebt gesünderBiokorrosion und Nano-Beschichtung

in der Gefäßmedizin Herz-Kreislauf-Leiden gelten als Zivilisationskrankheit und nehmen eine dauerhafte Spitzen-position unter den Todesursachen in der westlichen Welt ein. Diese traurige Bilanz hatandererseits aber auch zu größerer Sensibilität geführt und die Medizin zu eindrucksvollenFortschritten in Diagnose und Therapie motiviert. So können Verengungen der Herz-kranzgefäße, regelmäßige Frühzeichen für eine Infarktgefährdung, heute relativ gut besei-tigt werden. Leider neigen die behandelten Arterien dazu, sich alsbald erneut zu verengen– selbst wenn die Gefäßwand durch Dauerimplantate aus Metall gestützt wird. Forscherder Universität Duisburg-Essen sind dem Phänomen auf der Spur.

[a]

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Stent-Streben unmittelbare Auswirkungen aufdas Maß der voraussichtlichen Gewebewuche-rung hat. Außerdem muss die Beschichtung übereine hohe Elastizität verfügen, denn bei derAufdehnung im verengten Gefäß werden derStent und mit ihm auch die aufgebrachte Be-schichtung einer starken plastischen Verformungausgesetzt.

Zusätzlich zu diesen grundsätzlich notwendigenÜberlegungen, welche Erfordernisse die Beschich-tung eines Stents erfüllen muss, gibt es aberauch hoch interessante Chancen, die sich miteiner solchen Beschichtung ergeben. Denn dasAufbringen einer neuen Oberf läche auf koro-nare Stents erlaubt zusätzlich die Einbringungund Bindung von Substanzen, die aktiv gegenEntzündungen und Gewebewucherungen wirk-sam sind. Dient eine Beschichtung lediglichden erstgenannten Erfordernissen und damit„nur“ einer Verbesserung der Körperverträg-lichkeit, bezeichnet man diese auch als Passiv-beschichtung. Soll dagegen durch die Aufbrin-gung eines Medikaments auf die Oberf lächedirekt zum Beispiel die Neubildung von Gewe-be unterdrückt werden, spricht man von einerAktivbeschichtung.

In den letzten Jahren sind verschiedene Passiv-und Aktivbeschichtungen tierexperimentellund klinisch untersucht worden. Dabei hat sichgezeigt, dass insbesondere die Aktivbeschichtungein hohes Potenzial zur Vorbeugung gegen dieRestenose besitzt. Als Medikamente kommenSubstanzen wie Sirolimus zur Anwendung, dieauch in der Transplantationsmedizin eingesetztwerden und der Unterdrückung von Immunre-aktionen dienen. Daneben werden jedoch auch

Substanzen wie Paclitaxel verwendet, die aus derTumortherapie bekannt sind und das Gewebe-wachstum hemmen.

Potentielle Probleme mit PolymerenDiese Stoffe werden in der Regel über eine Poly-merschicht an den Stent gebunden, die einegleichmäßige Freisetzung der Medikamente be-wirkt. Doch kaum ein Fortschritt ohne neuesRisiko: Der Nachteil dieser Polymerschichten istneben ihrer nicht unerheblichen Dicke ihr ent-zündungsförderndes Potenzial.

Um den Einsatz von Polymeren völlig zu vermei-den, ist am Lehrstuhl für anorganische Chemieder Universität Duisburg-Essen eine Nano-Be-schichtung aus Aluminiumoxid entwickelt wor-den. Dieses anorganische Material verfügt übergenau die gewünschten Eigenschaften: eine hoheElastizität bei geringer Schichtdicke (Abb. 3).Darüber hinaus weist diese Beschichtung Nano-Poren auf, die eine Beladung mit Medikamentenermöglichen.

In Zusammenarbeit von Prof. Alfons Fischer(Werkstofftechnik) und der Firma Alcove Sur-faces GmbH, Gladbeck, wurden auf Grundlagedieser Forschungsergebnisse koronare Stents entwickelt, auf die die neuartige Nanobeschich-tung aufgebracht ist. Tierexperimentelle Unter-suchungen am Universitätsklinikum in Essenhaben gezeigt, dass die Beschichtung alleine undin Verbindung mit der immununterdrückendenSubstanz Tacrolimus entzündliche Reaktionenauf das Implantat deutlich reduziert. Dadurchwerden Gewebewucherungen wesentlich verrin-gert.

Universität Duisburg–Essen29

Abbildung 2:Herzkatheter-Team bei derImplantation koronarer Stents.

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Ein anderer Weg in der Stententwicklung wirddurch den Einsatz von Werkstoffen beschritten,die sich im Gewebe auflösen. Grundlage dieserÜberlegung ist die These, dass die abstützendeFunktion des Stents nur in den ersten Wochennach der Implantation notwendig ist. Danach istder Stent lediglich ein störender Fremdkörper inder Gefäßwand. Auch hat sich gezeigt, dass Stentsder Herzkranzarterien bei einer Bypass-Operati-on ein Anbinden der verpflanzten Bypass-Gefäßeerschweren.

Deshalb liegt der Gedanke nahe, Material zu ver-wenden, das sich nach einem vordefinierten Zeit-raum in der Gefäßwand auflöst. Schon Anfangder 90er Jahre wurden erste Versuche mit abbau-baren Polymeren gemacht. Im Zuge dieser Expe-rimente hat sich jedoch gezeigt, dass sich Poly-mere zwar auf lösen, aber eben auch zuschweren Entzündungen führen. Diese Reak-tion hat im Ergebnis zu keiner Abnahme, sondern einem Ansteigen der Wiederveren-gungsrate geführt.

Ermutigende ErgebnisseWie schon bei der Beschichtung, so hat sichauch hier gezeigt, dass Polymere häufig eine nurgeringe Körperverträglichkeit aufweisen. Des-halb wurden auf Basis der Idee des verstorbenenHannoveraner Kinderkardiologen Prof. GerdHausdorf Magnesiumlegierungen entwickelt, beidenen sich der Stent durch Biokorrosion auf-löst. Tierexperimente zeigen, dass es mit Auf-lösen des Stents auch noch Wochen nach derImplantation zu einer Erweiterung des Gefäß-durchmessers kommt. Erste klinische Studienan peripheren Arterien haben ähnlich ermuti-gende Ergebnisse gezeigt.

Ein weiterer Vorteil von sich auflösenden Stentsliegt in der Möglichkeit, die Koronararterienproblemlos magnetresonanztomographisch dar-

zustellen. Bei der Verwendung herkömmlicherEdelstahlimplantate kommt es dabei zu Arte-fakten. Gerade diesem Aspekt kommt bei sichschnell entwickelnden bildgebenden Untersu-chungsverfahren eine wichtige Rolle zu.

In der Klinik für Kardiologie der UniversitätDuisburg-Essen sind vom Team um RaimundErbel im August 2004 die ersten auflösbarenStents der Firma Biotronik eingesetzt worden.Die magnesiumlegierten Gefäßstützen wurdenPatienten mit Erkrankungen der Herzkranzarte-rien implantiert. Mit Ultraschalluntersuchun-gen des Gefäßinneren soll in den folgendenMonaten detailliert die genaue Reaktion derGefäßwand auf diese neuen Stents verfolgt wer-den. Weitere Untersuchungen können dann zei-gen, ob mit dieser neuartigen Technologie auchin den Herzkranzgefäßen eine wirksame Verrin-gerung der Restenose-Rate gelingt.

FORUM Forschung 2004/200530

Abbildung 3:Elektronenmikroskopische Bilder

der nanoporösen Aluminiumoxid-beschichtung.

Ko n t a k tProf. Dr. Raimund Erbel

Direktor der Klinik für Kardiologie

Universitätsklinikum Essen

Tel.: 02 01/7 23-48 01 Fax: 02 01/7 23-59 51

[email protected]://www.uni-essen.de/cardio/

Dr. Heinrich Wieneke

Tel.: 02 01/7 23-48 07

[email protected]

ProjektpartnerProf. Dr. Alfons Fischer

Werkstofftechnik II

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Sauerstoff wird durch dieAtmung in die Alveo-len, die Lungenbläschen,transportiert. Die Alveo-len sind von Kapillarenumgeben, durch die diemit dem BlutfarbstoffHämoglobin angefülltenroten Blutzellen, dieErythrozyten, strömen.Das Hämoglobin nimmtdabei Sauerstoff aus denAlveolen auf, der aufdem Weg durch die Or-gane an die Gewebe ab-gegeben wird. Eine ver-minderte Beladung desHämoglobins mit Sauer-stoff wird vom Glomuscaroticum, einem klei-nen, paarig in der Wandunserer beiden Hals-schlagadern angelegtenOrgan, erkannt, und eswird kurzfristig die Häu-figkeit und Tiefe unsererAtemzüge erhöht. DieDurchblutung der Lungewird optimiert, so dassvorwiegend gut belüftete

Bereiche zur Beladung mit Sauerstoff vom Blutdurchströmt werden. Diese Anpassungsvorgän-ge sind eine unmittelbare, aber nur kurzfristigeAntwort auf den hypoxischen Reiz. Bei Fort-dauer des Sauerstoffmangels, der auch lokal aufeinzelne Gewebeabschnitte begrenzt sein kann,wird eine mittel- bis langfristige Anpassung not-wendig. Dazu sind molekulare Antworten aufHypoxie Voraussetzung.

Anpassung des KörpersZu einer mittelfristigen Anpassung des Körpersan Hypoxie gehört eine gesteigerte Neubildungvon Erythrozyten, also roten Blutkörperchen,die als Erythropoiese bezeichnet wird. Allge-

mein bekannt ist die Zunahme der Erythrozy-tenzahl im Blut bei längerem Höhenaufenthaltim Gebirge als Antwort auf das verminderteO2-Angebot der „dünnen“ Gebirgsluft.

Im Gewebe kann der Hypoxie durch Weitstel-lung bestehender Gefäße oder durch deren Neu-bildung, die als Angiogenese bezeichnet wird,begegnet werden. Aber auch die direkte Ener-giegewinnung in der Zelle wird umgestellt. Un-ter Normalbedingungen wird durch chemischeReduktion von Sauerstoff in den Mitochon-drien, den Kraftwerken der Zelle, der Energie-träger Adenosintriphosphat (ATP) gebildet. BeiSauerstoffmangel dagegen wird ATP anaerob,also „ohne Luft“ (Sauerstoff), durch den Abbauvon Glukose gewonnen – allerdings mitschlechterem Wirkungsgrad. Bei dauerhafterHypoxie wird deshalb die Aufnahme von Glu-kose in der Zellmembran gesteigert sowie dieVersorgung mit Enzymen für den anaerobenGlukoseabbau erhöht.

Diese „normalen“ physiologischen Anpassungs-vorgänge werden auch bei Krankheiten – insbe-sondere in bösartigem Tumorgewebe – beob-achtet. Denn in bestimmten Tumoren kann dieGefäßversorgung mit deren Wachstum nichtSchritt halten. Dadurch entstehen hypoxischeBereiche, in denen der „Missbrauch“ der eigent-lich ja sehr positiven, lebenswichtigen Antwor-ten des Körpers auf die Hypoxie von großemVorteil für den Tumor ist. Ein Teil dieser Ant-worten ist zudem in Tumorzellen durch Wirkungvon Krebsgenen verstärkt.

Hormon mit GeschichteEin Schlüssel zum besseren Verständnis der Anpassung an Hypoxie des normalen und bös-artigen Gewebes war die Aufklärung der Regu-lation der Erythropoietinbildung. Bereits 1906war erstmals die Hypothese formuliert worden,dass ein Hormon im Blut in der Lage sei, die Erythropoiese bei Höhenaufenthalt zu stei-gern. Jahrzehnte intensiver Forschung führten

FORUM Forschung 2004/200532

enn die Luft knapp wird …Wie reagiert der Körper auf Sauerstoffmangel?

WDie Zellen des menschlichen Körpers sind unbedingt auf Sauerstoff (O2) angewiesen, umzu überleben und ihre Funktionen im Organismus zu erfüllen. Ein Mangel an Sauerstoff,die so genannte Hypoxie, gefährdet Gesundheit und Leben. Unser Körper reagiert mit einerReihe von physiologischen Abwehrmechanismen auf Sauerstoffmangel. Deren genauesVerständnis eröffnet überraschende neue Therapieansätze bei der Tumorbehandlung undbei Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

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schließlich zur Identifikation von Erythropoietin(EPO). Heute wird EPO gentechnisch hergestelltund ist zur Behandlung von Krankheiten mitverminderter Erythropoiese zugelassen. Leiderhat erst der Missbrauch als Dopingmittel EPObekannt gemacht.

EPO wird beim Erwachsenen zu 85 % von denNieren und zu einem geringen Teil von der Lebergebildet. Vor der Geburt ist es genau umgekehrt.Eine vergleichbare Veränderung seiner Produk-tionsmechanismen ist bei keinem anderen Hor-mon des Menschen bekannt. Voraussetzunghierfür ist eine Umstellung der gewebespezifi-schen Genexpression. Doch sind die genauenMechanismen dieses Wechsels noch immer un-verstanden.

Anders bei den Vorgängen zur Regulation derEPO-Bildung unter Hypoxie: Abbildung 1bzeigt den wichtigen Zusammenhang zwischender Boten-RNA (mRNA), dem Produkt der Gen-expression, und dem Volumenanteil der Erythro-zyten am Blutvolumen (Hämatokrit), der als Maßfür die O2-Kapazität gilt. Die O2-Kapazität desBlutes bestimmt dabei direkt das Ausmaß derGenexpression – und zwar im gleichen Maß wieden Gehalt von EPO-Protein im Blut.

Sauerstoff steuert GenexpressionAus dem erwähnten Anstieg der EPO-Bildungbei Höhenaufenthalten ergibt sich, dass die O2-

Kapazität des Blutes nicht allein die bestim-mende Größe für die Kontrolle der EPO-Bildungist, denn die O2-Kapazität wird bei einem Höhen-aufenthalt nicht vermindert. Abbildung 2 ver-deutlicht, dass bei Höhenaufenthalt oder durcheinen verminderten Gehalt von O2 in der Ein-atemluft die Bildung von EPO ebenfalls gestei-gert wird.

Entscheidend ist ein verminderter Sauerstoff-partialdruck (PO2) im Atemgasgemisch, der zueinem Druckabfall von Sauerstoff im Gewebeführt. Abbildung 2b zeigt, dass der erhöhtenEPO-Konzentration im Blut eine ebenfalls ex-ponentiell gesteigerte Expression des EPO-Gensin den Nieren vorausgeht. Mit dem EPO-Gen lagdamit erstmals ein klassisch PO2-geregeltes Genvor, dessen Expression unter Hypoxie gesteigertwurde. Das ist um so bemerkenswerter, als dievermehrte Bildung von EPO in einer für die

Universität Duisburg–Essen33

Abbildung 1: TierexperimentelleDaten, ermittelt von der Forscher-gruppe um Joachim Fandrey. DerHämatokritwert als prozentualerAnteil des Volumens der Erythro-zyten im Blut gilt als Maß für dieSauerstoffkapazität des Blutes. A: Exponentielle Zunahme derEPO-Konzentration bei Abnahmedes Hämatokrits. B: Vorangehende exponentielleZunahme der Expression des EPO-Gens im Nierengewebe.

Abbildung 2: Abhängigkeit der Erythropoietinbildungvom PO2 im Atemgas. A: Exponentieller Anstieg derErythropoietin-Konzentration unter vermindertemPO2. B:: Erhöhte Expression des EPO-Gens in denNieren.

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Zelle ungünstigen Situation erfolgt: Um Energiezu sparen, wird unter Hypoxie die gesamte Pro-teinsynthese um 2/3 reduziert. Die Aufklärungdieser unerwarteten Antwort und der an der hy-poxieinduzierten Genexpression beteiligten Me-chanismen waren deshalb von Anfang an vonbesonderem Interesse für die Physiologie.

SchlüsselfragenAuf dem Weg zu einem tieferen Verständnis die-ses Phänomens stehen einige Schlüsselfragen imVordergrund:

1. Welches sind die O2-abhängigen Transkripti-onsfaktoren, die die Expression hypoxieindu-zierbarer Gene steuern?

2. Wie werden Veränderungen des PO2 von derZelle gemessen und in Signale umgesetzt, diedie Aktivität der Transkriptionsfaktoren ver-ändern?

3. Gibt es gewebespezifische Unterschiede in derO2-abhängigen Genexpression?

Die Beantwortung der ersten Frage ist ent-scheidend durch Forschungsarbeiten der Johns Hopkins University in Baltimore vorangetriebenworden. Durch Isolation und detaillierte Unter-suchung der regulatorischen Elemente in der DNAdes EPO-Gens konnte der Transkriptionsfaktor-komplex „Hypoxie-induzierbarer Faktor-1 (HIF-1)“identifiziert werden. Dass HIF-1 zwingende Vo-raussetzung für die O2-abhängige Bildung vonEPO ist, zeigen die von Wissenschaftlern um

Joachim Fandrey an der Universität Duisburg-Essen ermittelten Daten in Abbildung 3.

Abbildung 3a verdeutlicht dabei, dass mit derLebertumorzelllinie HepG2 ein adäquates Zell-kulturmodell vorliegt. Für die Untersuchungenist der Sauerstoffpartialdruck in der Zellkulturin unmittelbarer Nähe der Zellen mit Mikro-elektroden gemessen und dann entsprechenddem Versuchsplan abgesenkt worden. Dabei lässtsich eine exponentielle Zunahme der EPO-Pro-teinkonzentration feststellen. In Abbildung 3bist zu sehen, dass die mRNA für EPO mit zu-nehmender Schwere der Hypoxie (3 % O2 und0,1 % O2 gegenüber dem Normalwert von21 % O2) ansteigt. Ebenfalls deutlich zu erkennenist eine entsprechende Steigerung des Gehalts anHIF-1 -Protein, der O2-regulierten Untereinheitvon HIF-1, in den Zellen. Diesem Teil der Ab-bildung ist auch deutlich zu entnehmen, dassbei 21 % O2 kein HIF-1 in den Zellen nachzu-weisen ist.

Genkontrolle durch HIF-1Um jetzt die Notwendigkeit der HIF-1 -Akku-mulation für die hypoxieinduzierte EPO-Ex-pression zu zeigen, wurde mithilfe der siRNA-Methode (short interfering RNA) gezielt dieBildung von HIF-1 in den Zellen ausgeschal-tet. Der Erfolg dieses Ansatzes lässt sich im unteren Teil der Abbildung 3b erkennen, dennweder bei 3 % noch bei 0,1 % O2 ist HIF-1 inmit siRNA behandelten Zellen nachweisbar.

FORUM Forschung 2004/200534

A B

Abbildung 3: A: Hypoxie-induzierte Bildung von EPOin der HepatomzelllinieHepG2. Zunahme der EPO-Bildung bei vermindertemPO2. B: Akkumulation vonHIF-1 unter 3 % und 0,1 %Sauerstoff (unten). RelativerGehalt an Erythropoietin-mRNA bei 21 % (Normal-wert), 3 % und 0,1 % Sauer-stoff (oben). Nach gezielterReduktion von HIF-1durch siRNA fehlt derAnstieg der EPO-Expression,weil die Bildung von HIF-1 -Protein vollständigunterdrückt wird (unten).

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Unter diesen Bedingungen gibt es auch keinenhypoxieinduzierten Anstieg der EPO mRNA.

Im weiteren Verlauf der Untersuchungen zurhypoxieinduzierten Genexpression stellte sichheraus, dass HIF-1 in der Lage ist, weit mehrGene als das von EPO zu kontrollieren. So werden wesentliche Gene für die bereits vor-gestellten Anpassungsreaktionen auf HypoxieHIF-1-abhängig exprimiert. Vor allem die Gefäßreaktion ist hier zu nennen. Auch dieTransporter, die Glukose in die Zellen bringen,und die Glukose-abbauenden Enzyme zur an-aeroben ATP-Gewinnung sind HIF-1-induziert.Wichtig für die Tumorbiologie ist schließlichder Einfluss von HIF-1 auf Gehalt und Aktivi-tät von Onkogenen wie dem p53, die Kontrolledes programmierten Zelltods oder die tumor-bedingte Neubildung von Gefäßen. Aufgrundder zahlreichen Funktionen ist HIF-1 als „Mas-ter Regulator of O2 Homeostasis“ bezeichnetworden.

Kurze LebensdauerDer Akkumulation von HIF-1 unter Hypoxiekönnen prinzipiell zwei Mechanismen zugrun-de liegen: Zum einen eine vermehrte Syntheseoder zum anderen ein verminderter Abbau. In den vergangenen Jahren haben zahlreicheStudien überzeugende Befunde geliefert, dassdie O2-abhängige Kontrolle des Gehalts anHIF-1 auf der Hemmung des Abbaus unterHypoxie beruht. Unter hohem PO2 wird HIF-1 kontinuierlich synthetisiert, aber sofort wie-der abgebaut.

Dabei hat das neu gebildete HIF-1 in Anwe-senheit von O2 eine extrem kurze Lebensdauervon nur 2 bis 5 Minuten. Abbildung 4 zeigt, wieschnell HIF-1 Protein in den Zellen abgebautwird, wenn O2 nach einer 4-stündigen Hypoxie-phase zurückkehrt.

Diese kurze Lebensdauer von HIF-1 sorgt füreine hohe Dynamik im Prozess der O2-abhän-gigen Expression von HIF-1-regulierten Genen,da bei Rückkehr von O2 die Antwort auf O2-

Mangel sofort beendet wird. Andererseits führtHypoxie innerhalb weniger Minuten durch Hem-mung des Abbaus zu einer Akkumulation vonHIF-1 und einer entsprechenden Antwort derZellen.

Gewebespezifische FaktorenWie erwähnt wird das EPO-Gen neben der Regu-lation durch O2 über die HIF-1-Bindungsstelle inseiner Expression auch von gewebespezifischenFaktoren beeinf lusst. Da EPO ebenfalls im Ge-hirn gebildet wird – wenn auch in geringererMenge als in den Nieren –, war es von großem

Interesse, eine Zelllinie mit Cha-rakteristika von Nervenzellenzu etablieren, die O2-geregeltEPO synthetisieren. Dies ist mitzwei Neuroblastomlinien gelun-gen, die unter Hypoxie vermehrtEPO exprimieren. Da auch indiesen Zellen die hypoxieindu-zierte Induktion des EPO-Gensvon HIF-1 abhängt, wurde ge-zielt nach gewebespezifischenFaktoren gesucht. Bis dahin war

die besondere Rolle von HNF-4 als für die Ex-pression in der Leber absolut notwendiger Fak-tor herausgestellt worden. Ohne HNF-4 wird vonbisher als Modell verwendeten Zellen der Le-

Universität Duisburg–Essen35

A

B

Abbildung 4: HIF-1 , das während vierstündiger Hypoxie in derZelle akkumuliert ist, wird innerhalb von wenigen Minuten abgebaut,wenn der Sauerstoff zurückkehrt. Nicht-O2regulierte Proteine wie das

Tubulin bleiben in ihrem Gehalt unverändert.

Abbildung 5: Neuroblas-tomzellen der Linie SH-SY5Ybilden in Abhängigkeit von PO2 EPO (oben). Zum Vergleich ist die PO2-abhängige Bildung vonHepatomzellen der LinieHepG2 gezeigt. In beidenZelllinien geht der EPO-Bildung die PO2-abhängigeAkkumulation von HIF-1voraus, wobei nur in HepG2Zellen HNF-4 nachzuweisenist (unten).

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bertumorzelllinie HepG2 kein EPO gebildet.Deshalb ist es überraschend, dass die EPO-Expression in den neuronalen Zellen in Abwe-senheit von HNF-4 O2-abhängig möglich war(Abbildung 5b). Weder das Protein HNF-4noch die zugehörige mRNA waren nachweisbar.Die PO2-abhängige Regulation (Abbildung 5a)erfolgt also in neuronalen Zellen unabhängigvon HNF-4. HNF-4 wird in Leber- und Nieren-zellen gebildet und ist geeignet, die spezifischeExpression des EPO-Gens in diesen beiden Or-ganen zu erklären.

Unterschiede in Leber und Gehirn

Die Suche nach einem entsprechenden Faktorin Nervenzellen ist noch nicht abgeschlossen. Esgibt aber noch einen anderen wichtigen Unter-schied in der Regulation der EPO-Expressionzwischen Neuroblastom- und Hepatomzellen.Während bei sehr niedrigen PO2-Werten die Bil-dung von EPO in den Hepatomzellen schon wie-der abnimmt, wird sie in den Neuroblastomzel-len noch weiter gesteigert (Abbildung 5a). Dazupassend scheinen Neuroblastomzellen später, dasheißt erst bei tieferen O2-Konzentrationen zubeginnen, HIF-1 zu akkumulieren. Diese Be-

obachtung lässt sich als eine unterschiedlicheO2-Empfindlichkeit der EPO-Expression inter-pretieren, die vom Zelltyp abhängt. Anderer-seits werden HNF-4 und der entsprechendeFaktor in neuronalen Zellen über einen Koakti-vator mit der Bezeichnung p300 vernetzt. MitHilfe der 3-D-Rekonstruktion aus Bildern der 2-Photonenlasermikroskopie konnte nachgewie-sen werden, dass HIF-1 und p300 in beidenZellarten gleichzeitig vorhanden sind (Abbil-dung 6). Bei der in dieser Abbildung gewähltenDarstellungsform sind neben der herkömmli-chen Fluoreszenz beider Proteine im Kern (Ab-bildung 6a) die verschiedenen Bereiche gleicherIntensität nach Intensitätsstufen dargestellt(Abbildung 6b). Die Stufen entsprechen demprozentualen Anteil an der über die gesamteZelle gemessenen maximalen Fluoreszenz.Durch diese Darstellung werden Bereiche hoherFluoreszenz und entsprechend hoher Dichteder nachgewiesenen Proteine HIF-1 und p300gezielt dargestellt. Diese Bereiche sind in denZellen kolokalisiert, was in der Vergrößerung inAbbildung 6c besonders deutlich wird.

Die Identifikation der für die hypoxieinduzierteEPO-Bildung notwendigen regulatorischen DNA-

FORUM Forschung 2004/200536

A

B

C

Abbildung 6: A: Darstel-lung von HIF-1 und p300in der herkömmlichenImmunfluoreszenz. B:2-Photonenlasermikroskopie-Darstellung der Bereiche mit>30, >50, >70 und >90 %der maximalen Fluoreszenz.C: Die Vergrößerung zeigt,dass auch an den wenigenStellen > 90 % FluoreszenzHIF-1 und p300 kolokali-siert sind.

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Abschnitte hat zur Entdeckung von HIF-1 undden zellulären O2-Sensoren für die Genexpres-sion geführt. HIF-1 nimmt heute die Schlüssel-stellung in der hypoxieinduzierten Genexpressi-on ein, was sicher nicht übertrieben ist. Nebender Koordination der physiologischen Antwortauf Hypoxie im Gewebe ist HIF-1 von großerBedeutung für Entzündungsreaktionen. Unbe-stritten ist ebenfalls, dass HIF-1 in der Tumor-biologie zentrale Bedeutung hat.

Therapeutische PerspektivenDiese Erkenntnisse eröffnen neue Wege für dieTherapie von Erkrankungen. Eine therapeutischinduzierte Akkumulation von HIF-1 bei man-gelnder O2-Versorgung des Herzmuskels zumBeispiel leuchtet spontan ein und wird jetzt amPatienten erprobt. Aber auch Versuche in genauentgegengesetzter Richtung werden in der Tumor-biologie unternommen. Hier kommt es daraufan, das in bösartigen Zellen zu viel vorhandene

HIF-1 zu reduzieren, was sich derzeit noch alsschwierig darstellt. Zusammenfassend hat derZugewinn an Erkenntnis über die Antwort derGewebe auf Hypoxie in den vergangenen Jahrenunser Verständnis physiologischer, pathophy-siologischer und tumorbiologischer Zusammen-hänge so grundlegend verändert, dass auch Erwartungen an eine Nutzung zu medizinisch-therapeutischen Zwecken gerechtfertigt er-scheinen.

Universität Duisburg–Essen37

Ko n t a k tProf. Dr. Joachim Fandrey

Institut für Physiologie

Universitätsklinikum Essen

Tel.: 02 01/7 23-46 00Fax: 02 01/7 23-46 48

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Die Neuroradiologie beschäftigt sich mit derDiagnostik und Behandlung von Erkrankungendes zentralen Nervensystems. Sie hat wie kaumein anderes Fach vom technischen Fortschritt derjüngeren Vergangenheit profitiert. Die Magnet-resonanztomographie (MRT) ermöglicht nichtnur diagnostische Einblicke in die Anatomieund Pathologie des Gehirns und seiner Blutge-fäße, sondern sie erlaubt auch die Darstellungder Hirnfunktionen ohne Strahlenbelastung desPatienten. Durch die Miniaturisierung von Ka-thetern, Führungsdrähten und implantierbarenMaterialien hat sich die Neuroradiologie außer-dem zu einem wichtigen therapeutischen Fachentwickelt.

Schlaganfall – Durchblick in 40 Sekunden

Ursache eines Schlaganfalls ist meist der Ver-schluss einer hirnversorgenden Arterie. Durch dieVerbesserung der bildgebenden Diagnostik hatman in jüngerer Zeit sehr viel über den Verlaufdes Schlaganfalls dazu gelernt.

Radiologische Diagnoseverfahren müssen die vierHauptfragen des Klinikers beantworten:

1. Liegt überhaupt ein Schlaganfall durch Minder-durchblutung vor?

2. Welches Blutgefäß ist verschlossen?3. Wieviel Hirngewebe ist bereits unrettbar ge-

schädigt – und damit keiner weiteren Behand-lung zugänglich?

4. Wieviel Gewebe ist zwar bedroht, kann aberdurch eine wiedereröffnende (rekanalisierende)Therapie vor dem Zelltod bewahrt werden?

Bei einer akuten Durchblutungsstörung kommtes innerhalb weniger Minuten zum Anschwellender betroffenen Zellen. Dadurch werden die

Zwischenräume zwischen den Zellen, die Inter-zellularräume, eingeengt.

Die so genannte diffusionsgewichtete Magnetre-sonanztomographie (DWI) kann die BrownscheMolekularbewegung der Wassermoleküle zwi-schen den Zellen bildlich darstellen. Bei einemakuten Schlaganfall muss sich die Molekularbe-wegung im enger gewordenen Interzellularraumverringern, das Signal im Diffusionsbild steigtdadurch an (Abb. 1). Dieses hohe Signal zeigtdas definitiv geschädigte, nicht mehr zu rettendeGewebe. Je größer dieses Gebiet ist, um so größerist die Gefahr, durch eine rekanalisierende Thera-pie eine Blutung auszulösen.

FORUM Forschung 2004/200538

enn jede Sekunde zählt …Neuroradiologische Techniken bei

Schlaganfall und Hirnblutung

WDer Schlaganfall steht in den westlichen Ländern nach wie vor auf Platz 3 der Todesur-sachen. Mangelnde Bewegung, Rauchen, falsche Ernährungsgewohnheiten und andereFaktoren sind generell für eine Zunahme von Gefäßerkrankungen in der industrialisiertenWelt verantwortlich. Je schneller eine gezielte Notfallbehandlung beim Verschluss oderPlatzen einer Hirnarterie einsetzt, desto geringer ist das Risiko des Patienten, schwere unddauerhafte Schäden zu erleiden. Großen Anteil an der Verbesserung von Diagnostik undBehandlung hat die Neuroradiologie. Insbesondere die Magnetresonanztomographie(MRT) hat in den letzten Jahren zur Entwicklung neuer therapeutischer Konzepte beigetragen.Dabei ist das Universitätsklinikum Essen deutschlandweit eine der führenden medizinischenEinrichtungen geworden.

Abbildung 1: Diffusionsbild eines akutenSchlaganfalls. Schon wenige Minuten nachBeginn der Minderdurchblutung wird dasbetroffene Hirnareal im MR-Bild hell.

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Eine Diffusionsaufnahme des ganzen Gehirnslässt sich heute in etwa 40 Sekunden herstellen.Unmittelbar danach ist es dem Radiologen mög-lich, in weiteren zwölf Sekunden magnetresonanz-tomographisch sämtliche Blutgefäße des Halsesund der Schädelbasis darzustellen. Dadurch kannnicht nur der Verschluss einer hirnversorgendenArterie sicher diagnostiziert werden, sondern dasVerfahren gibt gleichzeitig einen Überblick überdie Blutzufuhr durch Gefäße, die parallel zurverschlossenen Arterie verlaufen – die so genann-te Kollateralversorgung des Gehirns. Außerdemkönnen eventuelle Einengungen (Stenosen) oderandere Gefäßveränderungen in der Umgebungdes Verschlusses erkannt werden.

Wird bei dieser MR-Angiographie eine Stenosean der Halsschlagader diagnostiziert, entscheidenNeurologen, Neuroradiologen und Herz-Gefäß-chirurgen gemeinsam, ob die Engstelle operativbeseitigt werden soll oder ein Kathetereingriff fürden Patienten schonender ist. Notwendig ist dieBeseitigung jedoch in jedem Fall, weil sich anStenosen Blutgerinnsel bilden, die ursächlich fürden Schlaganfall sind. Gegebenenfalls kann sogarin einem Eingriff über einen Mikrokatheter zu-nächst das verschlossene Blutgefäß im Gehirneröffnet und dann die vorgeschaltete Stenoseüber den Katheter mit einer Gefäßstütze (Stent)erweitert werden.

Interdisziplinarität ist TrumpfAm Universitätsklinikum Essen stehen für solche komplexen diagnostischen und thera-peutischen Entscheidungen rund um die Uhrinterdisziplinäre Ärzte-Teams zur Schlaganfall-behandlung bereit, um die optimale Versorgungder betroffenen Patienten zu gewährleisten.

Als letztes Untersuchungsverfahren wird beimSchlaganfall die so genannte Perfusions-MRT ein-gesetzt. Dabei wird der Durchlauf eines speziellenKontrastmittels durch die Kapillargefäße desGehirns aufgezeichnet. Das gewonnene Bild zeigtdas gesamte vom Schlaganfall betroffene Ge-webe, das als Perfusionsdefizit bezeichnet wird.Aus dem Unterschied zwischen der Diffusions-MRT, die ja nur den bereits unrettbar zerstörtenGewebeteil zeigt, und dem Perfusionsbild kannder Arzt den geschädigten Bereich erkennen, dernoch therapeutisch zugänglich ist. Diesen Sektornennt man Penumbra (lateinisch: Halbschatten).Nur die Penumbra kann erfolgversprechend miteiner rekanalisierenden, gerinnselauflösenden(thrombolytischen) Therapie behandelt werden.

Durch Mitarbeiter der verschiedenen Arbeits-gruppen am Universitätsklinikum Essen wurden

grundlegende Erkenntnisse über den Zusammen-hang von MR-Veränderungen und dem Krank-heitsbild des Schlaganfalls sowie zur Wertigkeitder Magnetresonanztomographie als Monitoring-verfahren zur Früherkennung erarbeitet und indie klinische Anwendung umgesetzt.

Zuschauen, wie das Hirn denktDoch die Magnetresonanztomographie kannnicht nur blitzschnell Informationen zum Zu-stand des Gehirns bei einem Schlaganfall liefern,sondern auch sämtliche hirnversorgenden Blut-gefäße darstellen und dreidimensionale Bilder zurOperationsplanung erzeugen. Mittlerweile kannsie auch die Funktion des Gehirns bildlich dar-stellen (vgl. auch den Beitrag „Stromstöße alsNavigationshilfe“).

Aktive Neuronenverbände verbrauchen mehrSauerstoff als ruhende Nervenzellen. Durch be-stimmte Sequenztechniken (Blood oxygen leveldependent, kurz: BOLD) ist es möglich, mit derfunktionellen Magnetresonanztomographie dieSauerstoffverteilung in den Venen des Gehirnsdarzustellen.

Eine zwingende Voraussetzung für ein funktionel-les MR-Experiment ist ein guter Vergleichswert.Zur Darstellung der motorischen Hirnregion wirdder Patient daher aufgefordert, wiederholt einevorher einstudierte Handbewegung zu machenund danach bestimmte Pausen einzuhalten. Ausder Differenz zwischen den Pausen- und denAktionsbildern lässt sich dann das Areal, das fürdie Handbewegung verantwortlich ist, berechnen.Mit ähnlichen, wenn auch etwas komplexerenExperimenten kann auch die Sprachregion dar-gestellt werden. Definierte Sprechphasen undSprechpausen lösen einander abwechselnd ab.Die kontinuierlich durchgeführte MR-Messungzeigt dann den verminderten Sauerstoffgehaltder Venen rund um das Sprachzentrum an.

Solche Untersuchungsergebnisse haben ganzkonkreten, praktischen Einfluss bei der Vorbe-reitung von neurochirurgischen Eingriffen zumBeispiel in der Nähe des Sprach- oder Bewe-gungszentrums. Zusammen mit intraoperativen

Universität Duisburg–Essen39

Abbildung 2: FunktionellesMR-Bild, erstellt beim Lesenvon Braille-Schrift durcheinen Blinden. Die aktiviertenHirnareale entsprechen demSehzentrum. Bei Blindenwird das Sehzentrum offenbargenutzt, um komplexe Tast-vorgänge für die Blinden-schrift zu optimieren.

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Navigationssystemen ist so eine exaktere Pla-nung und Ausführung der Operation möglich.

Mit den Fingern sehenIn erster Linie ist diese Methode jedoch bisherGegenstand der Forschung. Ein faszinierendesFeld ist dabei die Untersuchung der so genann-ten Plastizität des Gehirns. Darunter versteht mandie Fähigkeit von Hirnarealen, neue oder andereAufgaben zu übernehmen. Könnte man diesesPlastizitätspotenzial gezielt einsetzen, hätte dasfür Rehabilitations-Programme nach Schlagan-fällen, Verletzungen oder Tumorbehandlungenimmense Bedeutung.

Ein Forschungsschwerpunkt am Universitätskli-nikum in Essen ist die funktionelle Darstellungvon Sinnesaktivitäten. So konnte durch Unter-suchungen an Blinden festgestellt werden, dassdiese das für die visuelle Verarbeitung zuständigeHirnareal beim Tasten der Braille-Schrift nutzen(Abb. 2). Dabei wird die Sehrinde praktisch voll-ständig „umgeschult“, um das Erkennen undErfühlen der Blinden-Punktschrift Braille zu per-fektionieren. Erblindet man erst in höherem Le-bensalter, ist diese Plastizität der Hirnfunktionen

eingeschränkt. Als Folge wird die Schriftnicht mehr so perfekt erlernt wie es

bei Menschen, dieseit ihrer

Geburt blind sind, der Fall ist.

Bisher dienten diese Forschungsergebnisse weit-gehend der Erweiterung des grundsätzlichenVerständnisses von der Funktionsweise des Ge-hirns. In Zukunft wird man aber auch versuchen,diese Erkenntnisse in praktische Schulungspro-gramme umzusetzen. So kann man beispiels-weise Schlaganfall- oder Tumor-Patienten durchgeeignete Trainingsprogramme helfen, die offen-bar vorhandene Plastizität des Gehirns auchoptimal zu nutzen.

Auf Draht: Gefäßchirurgie per Katheter

Was für die Behandlung des Schlaganfalls gilt,hat auch für die Therapie des Aneurysmas Gültigkeit: Durch die Miniaturisierung von Kathetern, Steuerungsdrähten und Implanta-ten ist es heute möglich, Gefäßoperationen im

Schädelinneren durchzuführen, ohne den Schä-del selbst zu eröffnen.

Unter einem Aneurysma versteht man grund-sätzlich eine Aussackung einer Arterienwand.Durch diese Erweiterung wird das Wandgewebedünner und empfindlicher. Das Aneurysma ent-steht durch eine Kombination von erworbenenund angeborenen Faktoren. So gibt es einerseitseine familiäre Häufung von Aneurysmen, ande-rerseits spielen Bluthochdruck und Rauchen einegewichtige Rolle. Das Hauptrisiko besteht inder so genannten Ruptur: Dabei platzt dasAneurysma, und es kommt zu einer Blutung indas Schädelinnere hinein. Ein Drittel der Patien-ten verstirbt sofort, ein weiteres Drittel überlebtmit neurologischen Behinderungen.

Schon in den 60er Jahren hat man erkannt, dasses für die Patienten, die lebend das Kranken-haus erreichen, entscheidend ist, das Aneurysmamöglichst schnell zu verschließen. Bis vor weni-gen Jahren war die einzige Therapie die operativeAusclippung. Dazu wird der Schädel geöffnet,und der Neurochirurg tastet sich vorsichtig ander Hirnbasis zum Ort des Aneurysmas heran,um es dann mit einem Titanclip aus der Blutzir-kulation abzuklemmen. Die massive Schwellungdes Gehirns in der Anfangsphase der Hirnblu-

tung macht die Präparation für den Chirurgenjedoch immer schwierig, so dass jede zehnteOperation tödlich verlief.

Schon seit Mitte der 70er Jahre gab es daher Ansätze, die Blutgefäße selbst

als Weg zum Aneu-rysma zu

benutzen, um die Gefäßaussackung voninnen heraus – ohne Er-öffnung des Schädels – zuverschließen. Grundsätzlich wirdhierbei ein Zugang über die Leisten-arterie gewählt. Von dort kann ein 1,5 bis1,8 mm dünner Katheter über die Beckenarterieund die große Bauchschlagader bis in die hirn-versorgenden Blutgefäße vorgeschoben werden.

Die perfektionierte Technik erlaubt heute sogardie Herstellung von Mikrokathetern, die nur 0,4bis 0,5 mm dick sind und über feinste Drähte ge-steuert werden können. Mit solchen Mikrokathe-tern gelingt es praktisch immer, die Aneurysmender Hirnbasisarterien selektiv und schonend zusondieren und den Katheter im Zentrum desAneurysmas zu platzieren.

FORUM Forschung 2004/200540

Abbildung 3:Schemazeichnung einerArterie mit Aneurysma. Zum Schutz des Aneurysma-Eingangs wurde eine Gefäß-stütze (Stent) verwendet.Durch die Maschen diesesStents wird das Aneurysmadann mit Platinspiralengefüllt und aus der Zirkula-tion ausgeschaltet.

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Italienische RevolutionAnfang der 90er Jahre gelang dem Italiener GuidoGuglielmi die Umsetzung einer technischen Idee,die die Behandlung von Aneurysmen revolutio-niert hat. Er montierte an das Ende eines Füh-rungsdrahtes eine Platinspirale, die an einerSollbruchstelle elektrolytisch abgelöst werdenkann. Draht und Spirale werden über einen Mi-krokatheter ins Zentrum des Aneurysmas einge-führt. Über den gleichen Katheter können dannweitere Platinspiralen in das Aneurysma vorge-schoben werden, bis dieses vollständig aus derZirkulation ausgeschaltet ist (Abb. 3 und 4).

Wurden anfänglich mit dieser so genanntenCoiling-Methode nur solche Aneurysmen be-handelt, die für den Neurochirurgen besondersschwer zugänglich waren, erlaubt eine ständigverbesserte Kathetertechnik heute zunehmendauch die Behandlung chirurgisch clipbarer Aneu-rysmen auf diesem Weg. Eine an mehreren Stand-orten durchgeführte Studie zum Vergleich vonCoiling und Clipping ergab im Frühjahr 2002bereits bei der Zwischenauswertung von über2000 Fällen, dass die Resultate bei den per Ka-theter behandelten Patienten deutlich bessersind und eine „Zufallsentscheidung“ zwischenoperativer Therapie und Coiling ethisch nichtmehr vertretbar erscheint.

Am Universitätsklinikum Essen hat sich durcheine enge Kooperation von Neuroradiologie,Neurochirurgie und Neurologie in den vergan-genen Jahren das universitäre Zentrum mit dendeutschlandweit größten Behandlungszahlen vonAneurysmen im Schädelinnern entwickelt. Rundum die Uhr stehen hier Experten aller drei Dis-ziplinen bereit, um akute Hirnblutungen mit derjeweils besten, individuell auf das einzelne Aneu-rysma abgestimmten Methode zu versorgen.Gegenwärtig werden rund 70 % der Aneurys-men per Katheter behandelt, 30 % nach Öff-nung des Schädels neurochirurgisch ausgeschal-tet. Damit nimmt das Universitätsklinikum inEssen eine führende Stellung bei der minimal-invasiven Aneurysmatherapie in Deutschlandein.

Mit großem Aufwand werden die Behandlungs-ergebnisse zusätzlich wissenschaftlich ausgewer-tet und neue Erkenntnisse aus experimentellenUntersuchungen zur weiteren Verbesserung derTherapie genutzt. Die enge Verzahnung von expe-rimenteller Grundlagenforschung und klinischerAnwendung gewährleistet eine optimale Patien-tenversorgung durch einen schnellen Transfervon neuen Erkenntnissen in die klinische An-wendung.

Universität Duisburg–Essen

Ko n t a k tProf. Dr. Michael Forsting

Direktor des Instituts für Diagnostische

und Interventionelle Radiologie

Universitätsklinikum Essen

Tel.: 02 01/7 23-15 38

Fax: 02 01/7 23-59 59

[email protected]

Dr. Isabel Wanke

Leitende Oberärztin und

Leiterin der Sektion Neuroradiologie

Tel.: 02 01/7 23-15 16

[email protected]

http://www.uni-essen.de/radiologie/

Abbildung 4: Angiogrammeines Aneurysmas dervorderen Hirnarterie vor(links) und nach (rechts)endovaskulärer Ausschal-tung.

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„Xeno-Östrogene“ – so nennt man östrogen akti-ve Substanzen anthropogener Herkunft. Insge-samt zählt man dazu mehr als hundert verschie-dene Substanzen. Bekannte Stoffe sind zumBeispiel das Anabolikum Diethylstilbestrol, derPolymerbestandteil Bisphenol A, Phthalsäurees-ter, die als Weichmacher bei Kunststoffen einge-setzt werden, oder Duftstoffe wie Moschusketon,die in Waschmitteln Verwendung finden. Weiter-hin werden sehr häufig Industriechemikalien wiepolychlorierte Biphenyle (PCBs), DDT-Isomereoder Pestizide wie etwa Chlordecon und Aldrindiskutiert (Abb. 1, 2).

Wichtige IndustriechemikalienZu den mengenmäßig sehr bedeutenden Xeno-Östrogenen gehören die p-Alkylphenole. Sieentstehen durch Abbau in aquatischen Systemenaus den industriell wichtigen Alkylphenoleth-oxylaten (APEO). Bei ihnen ist die OH-Gruppedes Phenol-Rings durch Ethoxylat-Gruppen er-setzt, die den hydrophilen Teil des Moleküls bil-den. Die Alkylkette mit acht oder neun C-Ato-men bildet den lipophilen Teil des Moleküls(Abb 3). Der weltweite Bedarf an APEO liegt bei600.000 t pro Jahr mit einem Umsatzvolumenvon 600 Mio. Euro. Ein Drittel davon wird inNordamerika eingesetzt und ungefähr 80.000 t inEuropa (Abb. 4). Die APEO sind wichtige Indus-triechemikalien mit hervorragenden Tensideigen-schaften. Anwendungsgebiete sind zum BeispielHaushalts- und Industriereiniger, Dispersions-mittel in der Papierindustrie und Flotationshilfs-mittel. Außerdem sind sie Bestandteil von vielenPestizidformulierungen.

FORUM Forschung 2004/200542

igh-Tech-Spürnasen für Hormone

Kombinierte Analyseverfahren zurErforschung von biologisch aktiven

Substanzen im Spurenbereich

HHormone können schon in sehr geringen Mengen starke biologische Wirkungen auslö-sen. Deshalb müssen ihre Konzentrationen in Proben von Wasser, anderen Lebensmittelnoder Körperflüssigkeiten im Ultraspurenbereich genau zu bestimmen sein. Insbesondereso genannte Xeno-Östrogene stehen dabei immer wieder im Mittelpunkt der wissenschaft-lichen Diskussion, da sie den Hormonhaushalt von Mensch und Tier empfindlich störenkönnen. Diese Gruppe von hormon-aktiven Substanzen ist äußerst komplex zusammen-gesetzt. Ihre Bestimmung gelingt daher nur unter Einsatz der neuesten technischen Ent-wicklungen auf dem Gebiet der Instrumentellen Analytik. Duisburger Wissenschaftler ha-ben hier mit die Nase vorn bei der Entwicklung der benötigten „Spürnasen“.

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Abbildung 1:Ausgewählte Strukturen für chlorfreie Xeno-Östrogene.

Abbildung 2:Ausgewählte Beispiele für chlorhaltige Xeno-Östrogene.

Abbildung 3:Chemische Strukturen von p-Alkylphenolethoxylaten undöstrogen-aktiven p-Alkylphenolen.

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90 % der produzierten APEO sind Nonylphe-nolethoxylate (NPEO), bei denen der lipophileTeil eine Nonylkette ist. Damit sind die NPEOdie mit Abstand wichtigste Gruppe der APEO,und deshalb sind auch die Nonylphenole diebedeutendste Gruppe der APEO-Metaboliten.

Medizinische AspekteXeno-Östrogene werden als Ursache für zahl-reiche Erkrankungen teilweise sehr kontroversdiskutiert. Sie werden zum Beispiel für Fertilitäts-störungen, Missbildungen und Krebs verant-wortlich gemacht. Das östrogene Verhalten derNonylphenole wurde bereits 1991 von Ana Sotovon der Tufts University in den USA beschriebenund ist seither von zahlreichen Forschungs-gruppen bestätigt worden. Als gesichert gilt, dassNonylphenol an den Östrogenrezeptor in tieri-schen Zellen anbindet und dann die östrogenenWirkungen auslöst.

Aufgrund ihrer großen Umweltrelevanz sind dieNonylphenole in den Anhang 10 der neuen EU-Wasserrahmenrichtlinie (EU-WRRL) aufgenom-men worden, die die Grundlage der EU-Wasser-politik der Zukunft darstellt. Hier sind 33Stoffe oder Stoffgruppen aufgeführt. Das Ver-halten dieser so genannten „prioritären Stoffe“in aquatischen Systemen ist in den kommenden15-20 Jahren besonders zu beobachten. Ein Drit-tel dieser prioritären Stoffe – darunter Nonyl-phenol – wurde als „prioritär gefährliche Stoffe“klassifiziert. Auf diese Substanzen ist daher ein

noch schärferer Focus der EU gerichtet (Abb. 5).

Schwierige AnalyseBei einigen der Verbindungen wird dieser lang-fristige „Auftrag der EU“ in der Zukunft sehrgroße Probleme mit sich bringen, da hierzu diewissenschaftlichen Grundlagen auch heute nochsehr unzureichend sind. Diese Lücke wird nurunter Einsatz von modernsten Techniken derInstrumentellen Analytik zu schließen sein, undgerade deshalb sind hier innovative Lösungsan-sätze – auch solche, die von Forschungseinrich-tungen gemeinsam mit den Geräteherstellernerarbeitet werden – besonders gefragt.

So ist zum Beispiel das nach der EU-Richtliniehochrelevante Nonylphenol aufgrund des Her-stellungsprozesses ein äußerst komplexes Iso-

Universität Duisburg–Essen43

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Abbildung 4:Weltweiter Bedarf von Alkylphenol-ethoxylaten in Kilotonnen.

Abbildung 5: Ausschnitt aus der „List of priority substances in the field of waterpolicy“ der EU vom 15.12.2001, Official Journal of the European Communities.

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merengemisch, dessen Zusammensetzung starkvom jeweiligen Produzenten abhängen kann. DieStrukturen der einzelnen Isomere sind teilweiseheute noch nicht vollkommen bekannt. Weiter-hin war bis vor kurzem völlig unklar, ob die ös-trogene Wirkung der einzelnen Isomere verschie-den ist. Darüber hinaus konnte bei der Analysevon Nonylphenolen zum Beispiel in Wässernoder Flusssedimenten durch Gaschromatographieoder Hochleistungsf lüssigchromatographie bis-her in der Regel nur die Summe aller Isomerebestimmt werden, da die Techniken entwederkeine genügende Auflösung erlaubten oder diewissenschaftlichen Grundlagen für eine isome-renspezifische Bestimmung fehlten. Allein dieAnalyse der Summe aller Isomere ist im Spu-renbereich schon eine anspruchsvolle Aufgabe,da diese Substanzen zu starken Adsorptionenan Gefäßoberf lächen neigen.

Starke UnterschiedeHier setzen die Forschungsarbeitender Chemiker um Klaus Güntheran. Zur genauen Untersuchungder östrogenen Wirkung wurdenca. 25 verschiedene Nonylphenol-isomere synthetisiert (Abb. 6) undmit einem bekannten in-vitro-Assay getestet. Hierbei handelt es

sich um einen genetisch veränderten Hefe-stamm, in den zwei Plasmide eingeschleustwurden. Das erste generiert den menschli-chen Alpha-Östrogen-Rezeptor. Wenn mandie Testsubstanz zugibt, dockt sie mehroder weniger stark an den Rezeptor an,und dieser verändert dann entsprechendseine dreidimensionale Struktur. DieserRezeptor-Komplex bindet an das zweitePlasmid an – je nachdem wie stark dieStruktur verändert wurde. Das zweite Plas-mid wiederum steuert die Bildung einesMarker-Enzyms, dessen Aktivität man an-schließend messen kann. Die enzymatischeAktivität ist in erster Näherung proportio-nal der östrogenen Wirkung der zugesetztenSubstanz (Abb. 7).

In diesem Test wurden bei den verschiede-nen Isomeren Aktivitäten gefunden, die sichbis zu einem Faktor von 40.000 unter-scheiden. Da bisher noch nicht alle Iso-mere untersucht worden sind, kann sich der

Faktor durchaus noch drastisch erhöhen. Zusam-menfassend kann man sagen, dass die östroge-ne Wirkung von Nonylphenolen sehr stark vonderen Struktur abhängt. Deshalb ist eine isome-renspezifische Analytik äußerst wichtig.

Isomerenspezifische AnalyseFür erste isomerenspezifische Analysen im Ultra-spurenbereich wurde an der Universität Duis-burg-Essen ein Verbundverfahren entwickelt, dasmit moderner eindimensionaler Kapillarsäulen-gaschromatographie arbeitet. Damit konnte mandie Nonylphenole nun in 11 verschiedene Iso-merenbereiche auftrennen und erstmals ver-schiedene Proben isomerenspezifisch untersu-chen. Hierbei war natürlich sehr interessant, obdie Isomerenmuster sehr ähnlich sind oder obsie sich stark unterscheiden. Eine gefundenegroße Variabilität in der Isomerenverteilungwürde natürlich – in Anbetracht der stark un-

FORUM Forschung 2004/200544

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Abbildung 6: Strukturenvon möglichen Nonylphenol-Isomeren.

Abbildung 7:Genetisch veränderter Hefestammzum Nachweis von östrogen-aktivenVerbindungen.

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terschiedlichen östrogenen Wirkung – in derZukunft eine isomerenspezifische Analytik beidieser Substanzklasse zwingend notwendig ma-chen.

Bei Analysen von Proben aus dem aquatischenBereich wie Oberflächenwasser, Sedimente oderBiofilme wurde selbst bei dieser relativ geringenAuflösung in 11 Isomerenbereiche eine starkeVariabilität der Isomerenverteilung festgestellt.So wurden zum Beispiel bei Biofilmen, die nurwenige hundert Meter voneinander entfernt ge-sammelt worden waren, starke Unterschiede ge-funden. Nach den ersten Ergebnissen bedeutetdies, dass hier eine isomerenspezifische Betrach-tungsweise unbedingt erforderlich ist. Dazu mussjedoch die Auftrennung der Isomere stark ver-bessert werden, da nach derzeitigen Schätzungenin umweltrelevanten Matrices etwa 50-60 ver-schiedene Isomere vorhanden sind. Dies zu lö-sen, ist Aufgabe der modernen InstrumentellenAnalytik, damit diese hochrelevante Stoffklasseder EU-WRRL in der Zukunft auf einem zeitge-mäßen wissenschaftlichen Niveau studiert undbeobachtet werden kann (Abb. 8).

Mehrdimensionale TechnikenDazu ist die Entwicklung und Anwendung vonmehrdimensionalen instrumentell-analytischenMethoden notwendig. Bei diesen Technikenwerden gaschromatographische oder flüssigchro-matographische Systeme miteinander gekoppelt.Dadurch kann die Trennwirkung enorm gestei-gert werden, und die Auftrennung vonsehr komplexen Isomerengemischen inreine einzelne Verbindungen kann soRealität werden. Durch Kombination vonSäulen mit unterschiedlichen Trenn-eigenschaften lassen sich so sehr ver-schiedene Parameter einstellen, und dasSystem kann sehr variabel auf die einzel-nen Fragestellungen bezogen optimiertwerden. Wesentlich bei diesen Techni-ken ist insbesondere das Interface, das diezwei oder auch mehr chromatographi-schen Einheiten miteinander verbindet.

Gerade in diesem Bereich sind in der Zukunftnoch innovative Entwicklungen notwendig, dieproblemorientiert mit den Geräteherstellern vor-angetrieben werden müssen.

Bei einer Tandem-Kopplung der Gaschromatogra-phie (GCxGC) kann als Interface zum Beispielein so genannter Thermal-Modulator verwendetwerden, der die eluierten Komponenten aus derersten Chromatographie fokussiert und konzen-triert, bevor sie in die zweite Trennsäule injiziertwerden. Verwendet man hierbei in der erstenDimension zum Beispiel eine polare und in derzweiten Dimension eine unpolare Säule, sokönnen mit diesem System äußerst komplexeSubstanzgemische aufgetrennt werden.

Um den Informationserhalt aus mehrdimen-sionalen chromato-

graphischen Ar-rangements

weiter zus t e i -

gern, ist es wünschenswert, zur Endde-tektion ein Massenspektrometer zu ver-wenden. Dadurch wird die Messung derMassen der Molekülionen und der spe-zifischen Fragmentionen der Analytenmöglich, und das Kopplungssystem wird um weitere Dimensionen erweitert(Abb. 9).

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Abbildung 8:Darstellung der Multikom-ponenten-Problematik beider Nonylphenol-Analytik.

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Abbildung 9:Schematische Darstellungeiner Kopplung von Tandem-Chromatographie mit derTOF-Massenspektrometrie fürdie Analytik von komplexenhormonell aktiven Molekül-ensembles.

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Aufgrund der Besonderheiten bei der mehrdi-mensionalen Chromatographie sind hierfür sehrschnelle Massenanalysatoren notwendig, die zumBeispiel 100 Spektren pro Sekunde analysierenkönnen. Dazu eignen sich insbesondere Time-of-f light-Massenspektrometer (TOF-MS), wobei dasMasse/Ladungsverhältnis der Ionen aus der Flug-zeit der Ionen in einem Rohr bestimmt werdenkann (Abb. 10). Typische Peakbreiten in einemTandem-GC-System liegen zum Beispiel im 100Millisekunden-Bereich, sodass mit schnellenTOF-MS-Analysatoren noch eine genügend großeDaten-Aufnahme pro Peak erreicht werden kann.

Große FlexibilitätDie Kopplung von mehrdimensionalen Trenn-systemen mit schneller Massenspektrometriebietet dabei größte Flexibilität und ist auch fürdas high-through-put-screening sehr gut geeignet.Neben der Chromatographie wird zukünftig si-cher auch die Kapillarelektrophorese eine Rollespielen. Bei der Auswahl der stationären Phasenkönnen dabei die unterschiedlichsten Gesichts-punkte Berücksichtigung finden. So gestattet dieKombination mit chiralen Phasen neben isome-renspezifischen Analysen auch enantiomeren-spezifische Untersuchungen, bei denen die sogenannten optischen Isomere getrennt bestimmtwerden, die oft sehr starke Unterschiede im bio-logischen Verhalten haben. Diese Begebenhei-ten sind bisher erst sehr wenig beachtet wor-den.

Durch Integration von biologischenKomponenten können die multidimen-sionalen Systeme zu hochspezifischenbiochemischen Spürnasen ausgebautwerden. Durch chemische Bindung inden Trennsäulen fixierte Rezeptormo-leküle erlauben die Selektion von Sub-stanzen in der 1. Dimension nach ihrerbiologischen Eigenschaft wie zum Bei-spiel der hormonellen Wirkung oderihrer Bindung an spezifische Antikörper.In der 2. oder auch 3. Dimension erfolgtdann eine Trennung nach anderen bio-logischen Kriterien oder nach rein phy-sikalisch-chemischen Gesichtspunkten.Als stationäre Phasen können hier sogarganze Zellen eingesetzt werden, wenndie Stabilität der Rezeptormoleküle innicht-biologischer Umgebung zu geringist. Dazu werden dann Zellen eingesetzt,die durch Genmanipulation die spe-ziellen Rezeptormoleküle vermehrt pro-duzieren. Die Palette der möglichenKombinationsmöglichkeiten bei derKopplung von mehrdimensionalenTrennsystemen mit der TOF-MS ist sehr

groß, und man darf gespannt sein, welche Inno-vationen sich hier in der Zukunft entwickelnund für bestimmte Fragestellungen etablierenwerden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Kom-binationen von mehrdimensionalen Trennsyste-men mit schneller TOF-MS-Detektion in derZukunft eine wichtige Rolle bei der Analytikvon komplexen Molekülensembles spielen wird– unabhängig davon, ob es wichtige hormonell-aktive Stoffgruppen der neuen EU-Wasserrah-menrichtlinie sind oder Substanzen aus demmedizinischen Bereich. Überall da, wo es umdie Charakterisierung und Trennung von hoch-komplexen Stoffgemischen mit starker biologi-scher Wirkung geht, werden nur diese neuen in-novativen Kopplungs-Arrangements zum Zielführen.

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Abbildung 10:Prinzip des Time-of-f light-Massenspektrometers (TOF-MS) m: Masse desIons, Z: Ladungszahl desIons, e: Elementarladung, V: Beschleunigungsspannung,D: Flugstrecke, t: Flugzeit.

Ko n t a k tProf. Dr. Klaus Günther

Fachbereich Chemie

Instrumentelle Analytik

Tel.: 02 03/3 79-33 11Fax: 02 03/3 79-21 08

[email protected]://lims.uni-duisburg.de

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NEW Journal Introducing something spicy

Thus, the areas covered by the journal are:

Bioactivity and Safety Chemistry Immunology Microbiology Nutrition Technology

Besides the regular contributions, MNF will also publish special issues devoted to current topics from one of the above-mentioned fi elds, plus annual review issues.

Upcoming topics Foodborne Intoxicants Plasticizer Diethylhexyl-

phthalate (DEHP) Dietary Fibers Antioxidant Resveratrol Tea and Cancer Prevention Xanthohumol

Readership Food chemists Microbiologists Immunologists Toxicologists Nutritional Physiologists Technologists

Further sections to be found in the journal include:

MNF Interview in which a current topic will be discussed by pertinent researchers.

MNF Education where contributions will provide basic and readily understandable information on the essentials of important facets in food and nutrition research.

MNF Reports where authorities from around the world will be invited to contribute to discussions on new policy driven legislative or regulatory issues.

The journal must be just desired by all food scientists throughout the world.

(Kikue Kubota, Ochanomizu University, Tokyo, Japan)

Editor-in-Chief:Peter Schreier, Wuerzburg, Germany

Associate EditorHans-Ulrich Humpf, Muenster, Germany

Molecular Nutrition & Food Research (MNF) is a primary research journal devoted to linking the information arising from the scientifi c disciplines involved in molecular nutrition and food research.

For more information and to get a sample copy please visit

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14250409_gu

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Wegen der sprunghaften Fortschritte in der Halb-leitertechnologie können heute leistungsfähigeMikrosysteme für verschiedene Anwendungsbe-reiche entwickelt werden. Dabei bietet dieCMOS-Technologie entscheidende Vorteile fürdie Bildsensor- und damit für die Kamera-entwicklung. Zu diesen Vorteilen gehören hoheIntegrierbarkeit, niedriger Energieverbrauch,

großer Dynamikbereich, geringe Leistungsauf-nahme und hohe Geschwin-

digkeit.

Am Duisburger Fraunhofer Ins-titut für MikroelektronischeSchaltungen und Systeme (IMS)wurden in den letzten Jahrenin Kooperation mit dem Fach-gebiet MikroelektronischeSysteme der Universität Duis-burg-Essen verschiedene Bild-

sensoren entwickelt und gefertigt sowie anschließend in Kamerasysteme für spezielleAnwendungen integriert. Dazu gehören unteranderem eine hochdynamische Kamera (Abb. 1),eine Hochgeschwindigkeitskamera und eine 3D-Kamera mit Tiefenauflösung.

Die Symbiose zwischen dem Fachgebiet Mikro-elektronische Systeme und dem IMS ermöglichtes dank einer vielfältigen Infrastruktur, Projektelückenlos von der Idee bis zum Aufbau des Pro-totyps zu begleiten. Eine wesentliche Rolle spielthierbei die hauseigene CMOS-Fertigung des IMS.

Durchblick im NebelSelbst wenn es mit Hilfe der modernen Augen-heilkunde vielfach gelingt, bei schweren Augen-erkrankungen eine teilweise Funktion der Netz-haut zu erhalten, kann diese Funktion im Falleunzureichender Belichtung nicht genutzt wer-den. Denn Veränderungen bei der Belichtung derNetzhaut, wie sie beispielsweise durch Trübungoder Vernarbung der Hornhaut oder durch eineSchrumpfung des vorderen Augenabschnitts ver-ursacht werden, können operativ nicht rück-gängig gemacht werden.

Die Ursachen können in Verätzungen,Explosionsverletzungen, chronischenEntzündungen des Augeninneren sowieder Hornhaut liegen. So ist das so ge-nannte Trachom, eine durch Virenausgelöste Bindehautentzündung mit

späterer Trübung und Vernarbung derHornhaut, noch heute die häufigste Erblin-

dungsursache in den weniger entwickelten Län-dern Afrikas und Südamerikas. Aber auch inDeutschland warten etwa 4000 Betroffene aufUnterstützung; weltweit liegt die Zahl bei schät-zungsweise sieben Millionen Menschen. DieEntwicklung einer Intraokularen Sehhilfe (IOS,vgl. auch den Beitrag „Eye Robot … Implantier-bare elektronische Sehhilfe für Blinde“) könntedie Möglichkeit bieten, die Lebenssituation dieserblinden Patienten entscheidend zu verbessern.

Und erste Schritte sind hier bereits gemacht –dank High-Tech made in Duisburg. Zur Bild-aufnahme wird bei der IOS eine Kamera ein-gesetzt (Abb. 2), die unter anderem einenCMOS-Bildsensor beinhaltet (Abb. 3). Bildauf-nahme, Bildkodierung, Bildkompression undEnergieübertragung sind so klein, dass sie alsMikrosystem in ein Brillengestell passen. Miteinem Signalprozessor werden die aufgenom-menen Bilddaten komprimiert und drahtlos zu

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itte recht freundlich...Smarte Kamerasysteme in der Medizintechnik

James Bond wäre vor Neid erblasst. Dabei war der Geheimagent Ihrer Majestät in SachenHigh-Tech mehr als verwöhnt. Pflegte Zeugmeister Q. den charmanten 007 doch mit aller-lei miniaturisiertem Techno-Schnickschnack zu versorgen – vom Raketenrucksack bis zumArmbanduhr-Funkgerät. Immer wieder brillierte der geniale Tüftler Q. auch mit Kleinst-kameras – im Füllhalter, im Schuhabsatz oder im Siegelring versteckt. In Kooperationzwischen dem Fraunhofer Institut für Mikroelektronische Schaltungen und Systeme (IMS)und dem Fachgebiet Mikroelektronische Systeme der Universität Duisburg-Essen werdenallerdings inzwischen Kameras für die Medizintechnik entwickelt, neben denen BondsAusrüstung dinosaurierhaft wirkt.

Abbildung 1:Die hochdynamische Kamera.

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dem in einer Kunstlinse ins Auge eingepflanztenMiniaturdisplay übertragen. Die empfangenenBilddaten werden einem Array aus Leuchtdiodenzugeführt. Dieses LED-Array bildet nun mitHilfe einer Mikrooptik ein einfarbiges Bild derUmgebung auf der Netzhaut des Patienten ab.Die Einbettung in Silikonkautschuk garantiertdie Verträglichkeit des Implantates.

Nachdem sämtliche Einzelkomponenten des Sys-tems entwickelt und gefertigt sind, wird derzeitdas Gesamtsystem aufgebaut und getestet. ImAnschluss folgt der Funktionsnachweis in vivo.

Prothese für die NetzhautViele Menschen verlieren durch Netzhauterkran-kungen ihr Augenlicht. Nach einer Schätzungder Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahre1997 liegt die Zahl der Patienten, die an einerfortschreitenden Netzhauterkrankung wie zumBeispiel Retinitis Pigmentosa oder Makuladege-neration leiden, weltweit bei über acht Millio-nen. Im Verlauf der Erkrankung sterben wichtigeZellverbände in der Netzhaut ab, so dass auf dieNetzhaut treffende Photonen nicht mehr inelektrische Signale umgewandelt werden können.Dennoch können selbst im Endstadium der Er-krankung die so genannten Ganglienzellen, diein der Kette der Bildvorverarbeitung hinter denPhotorezeptoren liegen, noch elektrische Signaleweiterverarbeiten. Betroffene Patienten erblindenmeist schon im mittleren Erwachsenenalter.Bisher sind alle therapeutischen Ansätze ge-scheitert.

Nach fast zehnjähriger Forschungsarbeit zeichnetsich auch in diesem Bereich inzwischen einetechnische Lösung ab. Unter maßgeblicher Be-teiligung des Fraunhofer Institutes für Mikro-elektronische Schaltungen und Systeme wurdedas Design einer komplexen, vollständig im-plantierbaren Netzhautprothese entwickelt.Das erste Glied in der Funktionskette ist eine

hochdynamische CMOS-Kamera, die den ge-samten Dynamikbereich des Alltages erfassenkann. Ein externer Sender überträgt drahtlossowohl die Stimulationssignale, die von einemSehprozessor aus den Bildsignalen berechnetwurden, als auch die Energie zum intraokularenImplantat. Das Implantat besteht aus einerEmpfangsschaltung, die in eine Intraokularlinseintegriert wird, einer f lexiblen Mikroverbin-dung und einem Stimulationschip sowie einemArray von Stimulationselektroden, die auf derNetzhautoberfläche befestigt werden und die dieGanglienzellen elektrisch innervieren. In einemletzten Schritt wird das Implantat aus Gründender Körperverträglichkeit silikonverkapselt(Abb. 4).

Im Hinblick auf spätere Implantatgenerationenwurde die Anzahl der Fertigungsschritte bereitserheblich reduziert. In zahlreichen in vivo-Testskonnte die Funktionstüchtigkeit weltweit zumersten Mal nachgewiesen werden.

Kanal-TV en miniatureHerz-Kreislauferkrankungen wie Arteriosklerose,Bluthochdruck, Herzinfarkt und Herzschwächesind immer noch die Todesursache Nr. 1 inDeutschland. Bisher ist es weltweit noch nichtgelungen, ein Diagnosegerät zu entwickeln, dasdurch das Blut hindurch die Gefäßwände deskardiovaskulären Systems mit ausreichenderAuflösung darstellen kann.

Als der Frankfurter Arzt Phillip Bozzini 1806das erste Endoskop entwickelt hat, konnte manzunächst nur durch ein Sehrohr ohne einstell-bare Linsen und mit einer Kerze als Beleuch-tung in den Körper hineinsehen. Seitdem ist

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Abbildung 3:Ein CMOS-Bildsensor in Standardausführung.

Abbildung 2:Die Kamera für die intraokulare Sehhilfe.

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die optische Technik stark vorangetrieben undauf vielfältige Anwendungen für die Unter-suchung von Körperöffnungen und Organenspezialisiert worden. Dabei wird die klassischeFiber-Endoskopie immer mehr durch die mo-derne Video-Endoskopie ersetzt, da diese einewesentlich bessere Bildauflösung und -qualitätbietet. Beide Technologien versagen jedochbeim Einsatz in den Blutgefäßen. Grund ist dieLichtstreuung an den Hämoglobinmolekülen –ein ähnlicher Effekt, wie er die Sicht im Nebelabhängig von der Tropfendichte und -größeeinschränkt. Abhilfe schafft in beiden Fällendie Beobachtung mittels eines Infrarotvideo-endoskops.

Blut wird für Strahlung im nahen Infrarot-bereich (NIR) zwischen 1,5 und 1,8 µm sowiezwischen 2,1 und 2,3 µm hinreichend transpa-rent, so dass der Einsatz einer miniaturisiertenInfrarot-Kamera Einblicke in eine bislangnur grob erfassbare Welt liefert.Die erreichbare Sichtweite beträgtim Blut immerhin ca. 12 mm.

Das zu entwickelnde Videoendos-kop besitzt einen miniaturisierten,verkapselten Kamerakopf, der auseinem oder mehreren Bildsensorar-rays, einer Optik, einer Auslese- undAnsteuerungselektronik, Schnittstellenund einer Beleuchtungseinheit aufge-baut ist. Das Bildsensorarray (oder die-arrays) soll Bildaufnahmen im NIR-Bereich ermöglichen. Die eigentlicheSignal- und Bildverarbeitungläuft in einem externen Prozes-sor mit einer bedienungsfreund-lichen Schnittstelle, bevor die

Bilder auf einem Monitor ange-zeigt werden. Der Katheter, derBildsensor, Beleuchtung undKabel durch das Gefäßsystem anden Untersuchungsort heran-führt, ist körperverträglich undsteril verkapselt (Abb. 5).

Das System, das am FraunhoferIMS in enger Kooperation mitdem Fachgebiet Optoelektro-nik und der Klinik für Thorax-und Kardiovaskuläre Chirurgie,beide Universität Duisburg-Es-sen, entwickelt werden soll, un-terstützt den behandelndenChirurgen bei der Navigationund Durchführung von schwie-rigen Eingriffen zum Beispielam Herzen. Das neuartige Di-

agnoseverfahren soll eine einfache morpho-logisch-funktionelle Bildgebung des Herz-Kreislauf-Systems an variablen Einsatzorten er-möglichen und begleitet den Arzt vor, währendund nach der Operation. Im Gegensatz zu denheutigen Standardbildgebungsverfahren leistetdieses intelligente System eine deutlich höhereAuflösung ohne ionisierende Strahlung.

Kamera zum SchluckenEine schluckbare „Kamerapille“ löst schließlichein Diagnoseproblem in der inneren Medizin.Während früher der gesamte Dünndarm nurbei chirurgischem Eingriff direkt einsehbar war,kann der behandelnde Arzt ihn nun dank derKapselendoskopie auch bei ambulanter Be-handlung vollständig erfassen.

Obwohl die Standardendoskopie per Schlauchnicht sehr schmerzhaft ist, verbindet der

Patient meist keine angenehmen Erinne-rungen damit. Eine israelische Firma hat

nun eine Kamera entwickelt, die – inte-griert in eine pillengroße Kapsel –den Patientenkomfort erheblich ver-bessern kann.

Nachdem der Patient die Kapselmit einem Durchmesser von11 mm und einer Länge von 17 mmgeschluckt hat, wandert diese durchden Magen-Darm-Trakt (Abb. 6).Dabei nimmt die Kamera fortlau-fend Bilder mit einer Frequenz von

2 Hz auf und sendet diese zu einer Empfangsstation, die derPatient an einem Gürtel trägt.Nach der Untersuchung werden

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Abbildung 4:Das Systemkonzept derepiretinalen Sehprothese.

Abbildung 5:Der Diagnostikbereich deskardiovaskulären Endoskops.

Herz

Gefäß-netz

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die Bilddaten ausgelesen und zu einem Filmverarbeitet. Anschließend wird die Kapsel aus-geschieden und nicht wieder verwendet.

Die Kapsel selbst wiegt 3,45 g und besteht auseiner Energieversorgung, einem Sender, einerLichtquelle, einer Antenne sowie einer CMOS-Kamera mit passender Optik, die über einenZeitraum von 6 Stunden Bilder sendet. Das Bild-feld der Kamera beträgt 140°. Der Abbildungs-maßstab beträgt 1:8; die minimal auflösbareObjektgröße ist 0,1 mm.

Nach Meinung der Ärzte ist der Einsatz prinzi-piell bei allen Erkrankungen des Dünndarmessinnvoll, sofern diese nicht oder nur unzu-reichend mit den herkömmlichen Methodenabgeklärt werden können. Das Spektrum derErkrankungen reicht von chronisch-entzünd-lichen Darmerkrankungen über unklare Darm-blutungen infolge von Polypen und Varizen biszu Darmkrebs. Das Verfahren ist allerdings nichtgeeignet, die konventionelle Endoskopie desMagens und des Dickdarmes zu ersetzen. Einer-seits kann dort das System nicht lange genugverweilen, andererseits ist die Auflösung mitder Kapselkamera zu schwach.

Der Wunsch der Ärzte nach Verbesserung unddie hohe Akzeptanz des Systems seitens der Pa-tienten motivieren das Fraunhofer IMS, weitereFunktionen in die Kapsel zu integrieren unddie Auflösung zu steigern. Derzeit werden imRahmen einer Studie folgende Positionen imHinblick auf Machbarkeit und Wirtschaft-lichkeit evaluiert: Steuerung und Lokalisation,Medikation, Biopsie und Robotik, Sensorikund alternative Visualisierungstechniken.

Universität Duisburg–Essen51

Ko n t a k tProf. Bedrich J. Hosticka, Ph.D.

Fachgebiet Mikroelektronische Schaltungen und Systeme

Tel.: 02 03/37 83-23 9Fax: 02 03/37 83-27 8

[email protected]

http://www.uni-duisburg.de/FB9/MES/

Dr. Ingo Krisch

Fraunhofer Institut für MikroelektronischeSchaltungen und Systeme

Tel.: 02 03/37 83-22 2Fax: 02 03/37 83-27 8

[email protected]://www.ims.fhg.de

Projekte Die DFG-Förderung zur intraokularen Sehhilfe

Das Projekt IOS ist bisher von der Deutschen Forschungsge-meinschaft über vier Jahre gefördert und neben dem FachgebietMikroelektronische Systeme der Universität Duisburg-Essen vonden folgenden Projektpartnern bearbeitet worden:

• Augenklinik der Medizinischen Fakultät der Universität Tübingen

• Augenklinik der Medizinischen Fakultät der UniversitätKöln

• Fachgebiet Optoelektronik im Fachbereich Ingenieur-wissenschaften der Universität Duisburg-Essen

• Institut für Technik der Informationsverarbeitung in derFakultät Elektrotechnik der Universität Karlsruhe

Der BMBF-Verbund Retina-Implant

Im Rahmen der dritten BMBF-Förderphase soll unter Industrie-beteiligung in einer klinischen Studie am Menschen die Qualitätder visuellen Wahrnehmung bestimmt werden. Das Forschungs-vorhaben koordiniert Dr. Arthur Messner von Dr. Schmidt Intra-okularlinsen GmbH. Die weiteren Partner in dem Projekt sindneben dem Fraunhofer IMS:

• Augenklinik der Medizinischen Fakultät der RWTH Aachen • Augenklinik der Medizinischen Fakultät der Universität

Duisburg-Essen• Institut für Werkstoffe der Elektrotechnik der RWTH

Aachen • Angewandte Physik und Biophysik der Universität Marburg• Institut für Pathologie der RWTH Aachen • BYTEC GmbH in Stolberg• Thomas RECORDING GmbH in Gießen

Abbildung 6:Der Weg der schluckbaren Kamerapille.

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Die deutsche Gesetzgebung definiert Blindheitmit einer Sehschärfe von nicht mehr als 2%und/oder einem Gesichtsfeld von nicht mehrals 5°. Hochgradige Sehbehinderung bestehtbei einer Sehschärfe von 2 bis 5%. Im Schärfen-bereich von 5 bis 33 Prozent spricht man voneiner Sehbehinderung. Das statistische Bundes-

amt zählte 1993 fast 250.000 sehbehinderte Per-sonen, davon mehr als 40.000 hochgradig Seh-behinderte und ca. 130.000 Blinde. Pro Jahrkommen etwa 17.000 Erblindungen und 50.000Sehbehinderungen dazu, wobei 40% der Betrof-fenen jünger als 65 Jahre sind. Furchtbar für dieBetroffenen, teuer für die Gemeinschaft: DieFolgekosten für Blindengeld, Frühberentung undRehabilitation summieren sich pro Jahr auf rundeine Milliarde Euro.

Die häufigsten Ursachen für eine Erblindungsind nach einer Studie aus dem Jahr 1992 Ma-kuladegeneration (15,4%), Grüner Star (15,2%),extreme Kurzsichtigkeit (11,9%) und RetinitisPigmentosa (10,3%). Zum Vergleich macht dieNetzhautablösung lediglich 2,1% aus, der GraueStar 4,5%. Zusätzlich zu den zuvor beschriebe-nen Augenerkrankungen erblinden jährlich al-lein in Deutschland mehrere tausend Personendurch Unfälle. Hauptursache sind hier explosi-ons- oder verätzungsbedingte Schädigungen des

vorderen Augenabschnitts, insbesondere derHornhaut (Abb. 1). Durch die meist irrever-sible Trübung wird das einfallende Licht ge-streut und absorbiert. Eine scharfe Abbildungüber den optischen Apparat des Auges auf dienoch intakte Netzhaut ist nun nicht mehrmöglich.

In Deutschland liegt die Zahl der Betroffenenbei etwa 4.000, weltweit zwischen sechs undsieben Millionen Menschen, wobei die Ursa-chen neben den bereits erwähnten unfallbe-dingten Schädigungen auch in einer chroni-schen intraokularen Entzündung oder in einerHornhautentzündung (Trachom) liegen. SolcheKrankheitsfälle treten zum Beispiel in den weni-ger entwickelten Ländern Afrikas und Latein-amerikas, aber auch im Mittleren Osten und inSüdostasien auf. Weltweit ist das Trachom im-mer noch eine der Haupterblindungsursachen.

Tasten im NebelDie Schwere der Erblindung für die Betroffe-nen soll Abbildung 2 illustrieren. Hier ist dieoptische Wahrnehmung einer normalsichtigenund einer sehbehinderten Person beim Über-queren einer Straße dargestellt. Der Sehein-druck im rechts dargestellten Fall beschränkt sichauf das kontrastarme Empfinden von hellen und

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ye RobotImplantierbare elektronische Sehhilfe für Blinde„Blinde werden wieder sehen und Lahme wieder gehen.“ So die Überschrift eines Artikelsvom 7. August 1995 in der Tageszeitung DIE WELT. In einem Interview stellte damalsProfessor Dr. Rolf Eckmiller von der Uni Bonn seine Zukunftsvisionen von lernfähigenProthesen für blinde oder (querschnitts-)gelähmte Menschen vor. Denn die Neurotechno-logie setzt heute die technischen Fortschritte der Informationstechnik – insbesondere derMikrosystemtechnik – erfolgreich in der Medizintechnik ein. Eine besondere Herausfor-derung stellen Augenimplantate dar, die erblindeten Menschen ein gewisses Sehvermögenzurückgeben sollen. In diesem Bereich gehört die Universität Duisburg-Essen zu den Pionieren der Forschung.

Abbildung 1: Schädigungendes vorderen Augenabschnittsnach (links) Explosion und(rechts) Verätzung. (Quelle:Universitäts-Augenklinik Köln).

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dunklen Flecken; Konturen sind kaum zu er-kennen. Bei noch schwereren Verletzungenkann teilweise nicht einmal mehr zwischen Tagund Nacht unterschieden werden, die Personensind absolut blind.

Die moderne Augenheilkunde hat viele Fort-schritte bei der Transplantation sowohl vonSpender-Hornhäuten als auch von künstlichenHornhäuten gemacht. Trotzdem ist in vielen Fäl-len diese klassische Behandlungsmethode nichtanwendbar, weil Spenderhornhäute vielfach in-nerhalb weniger Wochen nach der Transplanta-tion erneut eintrüben, künstliche Hornhäutenach heutigem Kenntnisstand nicht dauerhafttransplantierbar sind und in besonders schwerenFällen oft keine mechanische Fixierung einesTransplantates möglich ist.

Um Menschen mit getrübter Hornhaut zumin-dest einen gewissen Seheindruck zurückzugeben,wird zurzeit in einem interdisziplinären Projekteine so genannte intraokulare Sehhilfe (IOS)entwickelt. Beteiligt an den Arbeiten sind nebenden Wissenschaftlern am Zentrum für Halblei-tertechnik und Optoelektronik (ZHO) der Uni-versität Duisburg-Essen auch Mediziner der Uni-versitäts-Augenkliniken Tübingen und Aachensowie Physiker und Ingenieure des Fraunhofer-Instituts (FhG-IMS, vgl. auch den Beitrag „ Bitterecht freundlich ... Smarte Kamerasysteme inder Medizintechnik“) in Duisburg und Forscherder Universität in Karlsruhe.

Anatomische GrundlagenFür die Entwicklung einer intraokularen Sehhilfeist zunächst das prinzipielle Verständnis derFunktionsweise des menschlichen Auges wichtig.Abbildung 3 zeigt hierzu schematisch den hori-zontalen Meridionalschnitt des rechten mensch-lichen Auges.

Am Beispiel der Wahrnehmung des Buchsta-bens A kann der optische Weg durch das Augeleicht nachvollzogen werden: Das ins Auge ein-

fallende Licht wird im Normalfall durch die kon-stante Brechkraft der Hornhaut und die variableBrechkraft der Linse auf der Netzhaut gebündelt.Im Zentrum der Netzhaut auf der Sehachse ge-legen, befindet sich die so genannte macula lutea(gelber Fleck), ein kreisförmiger, etwa 2,5 bis 3Millimeter großer, grubenförmiger Punkt. Innerhalb dieser Grube, der so genannten foveacentralis, sind die meisten Photorezeptoren –insbesondere die für das Farbsehen verantwort-lichen Zapfen – vorhanden. Zum Rand hinnimmt die Konzentration von Zapfen stark ab,während die der Stäbchen, deren Zuständigkeitim Kontrastsehen und in der Bewegungswahr-nehmung liegt, wächst.

Das menschliche Auge kann also lediglich imBereich der Macula in einem Sehwinkel von etwa3 Grad scharf sehen, während die Peripherievornehmlich der Erkennung von Bewegungenund der Orientierung im Raum dient. Der sogenannte „blinde Fleck“ liegt peripher bei etwa15° in Richtung Nase und wird durch die Axone,also die Ausgänge der neuralen Ganglienzell-schicht, gebildet. Dort befinden sich aber keinerlei Photorezeptoren. Die Unfähigkeit desAuges, an diesem Ort etwas zu erkennen, wirddurch höhere Funktionendes visuellen Kortex imGehirn ausgeglichen.

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Abbildung 2: OptischeWahrnehmung bei (links)normalsichtigen Personen, (rechts) Personen mit getrüb-ter Hornhaut. (Quelle: Deutsche RetinitisPigmentosa Vereinigung e. V.).

Abbildung 3: Anatomie des menschlichen Auges.

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Biochemische KaskadeWie entsteht nun der Seheindruck? Licht fällt(zum Beispiel in Form des Buchstabens „A“) aufdie Netzhaut, die aus mehreren Schichten be-steht. Die Photonen durchdringen die transpa-renten Nervenzellschichten und werden im hin-teren Teil der Netzhaut durch das SehpigmentRhodopsin in den Photorezeptoren – also denStäbchen und Zapfen – absorbiert. Dies löst eineKaskade biochemischer Prozesse aus mit demResultat einer Änderung der Membranspannungin der Rezeptorzelle. Von hier findet über einekomplex vernetzte neurale Struktur die weitereSignalverarbeitung bis zu den Ganglienzellenstatt, deren Ausgänge den Sehnerv bilden undsomit die Verbindung zum visuellen Kortex imGehirn darstellen.

Das menschliche Auge ist in der Lage, einenHelligkeitsbereich von etwa 100 Dezibel abzu-decken – das entspricht in etwa dem Unter-schied zwischen einer mondlosen sternenklarenNacht und gleißendem Sonnenlicht im Som-mer. Man unterscheidet dabei abhängig vonder vorliegenden Beleuchtungsstärke zwischenzwei Zuständen: Dem Tages- oder Farbsehen(photopisch) und dem Schwarzweiß- oderNachtsehen (skotopisch). Beim photopischenSehen sind vornehmlich die Zapfen aktiv, während beim skotopischen Sehen die Stäb-chen dominieren.

Für die Erzeugung eines künstlichen Bildes aufder Netzhaut sollte die Beleuchtungsstärke imBereich von einigen hundert Lux liegen, wasden natürlichen Beleuchtungsverhältnissen amTag bei bedecktem Himmel im Winter ent-spricht. Die Auswahl der Farbe des zu erzeu-genden künstlichen Bildes sollte ebenso nach

physiologischen Gesichtspunkten erfolgen.Zwar ist die spektrale Empfindlichkeit desmenschlichen Auges im Grünbereich bei einerWellenlänge von 555 Nanometer am höchsten;jedoch zeigen Untersuchungen bei nachtblin-den Personen, dass orangefarbene Filter zu einerKontrasterhöhung führen. Bei niedrigen Beleuch-tungsstärken, bei denen ein hohes Kontrast-empfinden anzustreben ist, bietet sich alsoLicht im orangefarbenen Bereich des optischenSpektrums (etwa bei 590 Nanometer) für einekünstliche Sehprothese an.

Praktische UmsetzungEinen Ansatz für die technische Umsetzungdieser Anforderungen in ein implantierbaresMikrosystem zeigt Abbildung 4. Eine hochdy-

namische CMOS-Mi-niaturkamera, platziertauf einem Brillenge-stell, nimmt Bilder derUmgebung mit einerWiederholrate von min-destens 25 Hertz auf.Diese Bilder werdenmit Hilfe eines Signal-prozessors in Echtzeitdigitalisiert und ko-diert. Anschließend er-folgt die drahtlose, hierinfrarote Übertragungder digitalen Bildinfor-mationen zu einem Im-plantat, das sich in einerKunstlinse im Auge be-findet. Die Energiever-sorgung des Implanta-

tes wird ebenfalls drahtlos – zum Beispiel mitelektromagnetischer Induktion – realisiert. DasImplantat beinhaltet neben dem Signal- undEnergieempfänger auch ein Miniaturdisplay,welches über eine geeignete Mikrooptik dasempfangene Kamerabild auf die Netzhaut pro-jiziert.

In enger Kooperation zwischen dem Zentrumfür Halbleitertechnik und Optoelektronik unddem Duisburger Fraunhofer-Institut wurde dasin Abbildung 5 dargestellte unverkapselte Im-plantat realisiert. Es besteht aus einer kerami-schen Trägerplatine, auf deren Vorder- undRückseite verschiedene optoelektronische Bau-elemente und integrierte Silizium-Schaltungenuntergebracht sind.

Die der getrübten Hornhaut zugewandte Vorderseite des Implantats beinhaltet eine amäußeren Rand erkennbare Empfangsspule, die

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Abbildung 4:Systemkonzept der intra-okularen Sehhilfe (IOS).

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zusammen mit dem Kondensator und demEnergieempfängerchip eine konstante Ver-sorgungsspannung von 3,3 Volt bei einer Ausgangsleistung von 10 Milliwatt liefert. DerDatenempfängerchip mit integrierter Photo-diode ist zusammen mit dem Chip für die Takt-rückgewinnung (PLL) verantwortlich für denEmpfang der infrarot übertragenen digitalenBildinformationen. Zurzeit ist das System aus-gelegt für Datenübertragungsraten bis 2 Mega-bit pro Sekunde.

Der PLL-Chip erzeugt aus dem empfangenenDatensignal einen entsprechenden Takt zumBetrieb sämtlicher Digitalbausteine im Implan-tat. So kann auf einen sonst üblichen, jedochstromhungrigen Quarz-Baustein als Taktgene-rator verzichtet werden. Die der Netzhaut zuge-wandte Rückseite des Implantats beinhaltet denin CMOS-Technik realisierten Display-Treiberund das darauf montierte 32x32-Leuchtdioden-Array (LED-Display). Der Display-Treiber de-kodiert die vom Datenempfänger geliefertenSignale und generiert die elektrischen Strömezum Betrieb der einzelnen Leuchtdioden imDisplay. Das LED-Display besteht aus insgesamt1024 Leuchtdioden mit einer Größe von jeweilseinem hundertstel Quadratmillimeter. Jede ein-zelne Diode zeigt bei einem eingeprägten Stromvon 80 Mikroampere eine Lichtstärke von 0,6Candela pro Quadratmeter, woraus sich eineausreichende Helligkeit ergibt.

Blinde werden sehen …Der Einsatz eines solchen IOS-Systems lässt einenSeheindruck erwarten, wie er in Abbildung 6gezeigt ist. Man erkennt, dass ein solches Dis-play schon heute prinzipiell in der Lage ist, den

Seheindruck entscheidend zu verbessern, sodass Konturen und auch größere Objekte er-kannt werden können. Dies ist ein wichtigerSchritt zur Erhöhung der Lebensqualität seh-behinderter Menschen.

Der Test der Einzelkomponenten ist inzwischenabgeschlossen. In naher Zukunft steht nun alsprimäres Ziel die erfolgreiche Demonstrationder gesamten Funktionskette innerhalb des Implantates an. Anschließend werden von den medizinischen Partnern in Tübingen und Aachen mit technischer Unterstützung ausDuisburg entsprechende tierexperimentelle Untersuchungen vorgenommen, bevor eine klinische Studie an freiwilligen Betroffenen be-ginnen kann. Weitere geplante Arbeiten zurtechnischen Verbesserung des Systems betreffeninsbesondere die Erhöhung der Auflösung des Displays und den Einsatz von mehrfar-bigen, zum Beispiel organischen Leuchtdioden.Damit ließen sich dann nicht nur orange ein-gefärbte Graustufenbilder, sondern auch kon-trastreiche Farbbilder auf die Netzhaut proji-zieren.

Universität Duisburg–Essen55

Ko n t a k tDr. Rüdiger BußDr. Andreas StöhrProf. Dr. Dieter Jäger

ZHO/Optoelektronik

Tel.: 02 03/3 79-23 41 oder -11 80Fax: 02 03/3 79-24 09

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http://www.oe.uni-duisburg.de

Abbildung 5: Vorderseite undRückseite des realisierten unverkap-selten Implantats im Größenver-gleich mit einer 1-Eurocent-Münze.

Abbildung 6:Originalbild (oben) und zuerwartender Seheindruckunter Verwendung des 32x32-LED-basierten Mikro-Displays(unten).

Weiterführende Informationen:

http://www.iova.net

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Hippokrates hätte zweifellos einHandy gehabt. Das Urbild desHeilkundigen (Abb. 1), Nach-fahre des Heilgottes Asklepios,wusste bereits im antiken Griechenland: Der persönlicheKontakt und die ständige, sys-tematische Beobachtung desKranken gehören zu den wich-tigsten ärztlichen Tätigkeitenfür Diagnose und erfolgreicheTherapie. Um das Jahr 400 vorChristus bedeutete das ärztli-che Anwesenheitspf licht – amBeginn des 21. Jahrhundertskönnen die modernen Schülerdes Hippokrates die drahtloseKommunikation zur Weiterent-wicklung und Verbesserung vonDiagnose- und Therapieverfahren nutzen. Arztund Patient erreichen eine intensive Gemeinsam-keit – nichts anderes bedeutet der Begriff Kom-munikation – zur Wiederherstellung und Ver-besserung des Wohlbefindens.

Drahtlose Kommunikation in der Medizin er-öffnet bereits heute – und sicherlich noch erheb-lich stärker in der näheren Zukunft – Einsatz-möglichkeiten in verschiedenen Bereichen.Dazu zählen sowohl

• die Verwendung drahtlos kommunizierenderSensoren außerhalb und innerhalb des Kör-pers als auch

• der Einsatz der drahtlosen Kommunikationbei der Administration von medizinischenEinrichtungen.

Eine Reihe der hier diskutierten Ideen ist bereitsRealität geworden, anderes mutet – noch – etwasfuturistisch an. Sicher ist: Das Potenzial, das in derKombination von drahtloser Kommunikation

und Medizin liegt, ist heute beiWeitem noch nicht ausgeschöpft.

Funksprüche aus dem Körperinneren

Funksensoren kombinierenFunkgeräte mit Messfühlernund stellen eine wichtige Gruppeder medizintechnischen Einsatz-möglichkeiten von drahtloserKommunikation dar. Dabei kön-nen die Funkgeräte unterschied-lich ausgelegt sein: Zum einenkönnen sie für drahtlose Tele-kommunikation, also Funk überweite Strecken, zum anderen fürKurzstreckenfunk ausgerüstetsein – oder aber beide Variantenvon Funksystemen kombinieren.

Drahtlose Telekommunikation findet auf derBasis fest vorgegebener Standards statt. WichtigeBeispiele solcher Funkstandards sind

• GSM (Global System for Mobile Communi-cations), mit dem die heutige zweite Handy-Generation im D- und E-Netz arbeitet, und

• UMTS (Universal Mobile Telecommunicati-ons System), der neue digitale Mobilfunk-standard der dritten Generation.

Kurzstreckenfunksysteme sind für Funkstreckenmit einer Länge von wenigen Zentimetern biseinigen zehn Metern ausgelegt. Auch hier gibtes internationale technische Standards wiezum Beispiel Bluetooth und Funk-LANs (Wire-less Local Area Networks). Daneben werdenaber auch passive Transponder wie zum Bei-spiel batterielose RFID (Radio Frequency Iden-tification) sowie aktive Transponder eingesetzt.Die erstgenannten Funksysteme überbrückenin der Regel längere Funkstrecken als die

FORUM Forschung 2004/200556

andy für HippokratesDrahtlose Kommunikation

in der MedizintechnikEin chronisch Kranker befindet sich auf einer Dienstreise im Ausland. Plötzlich erhält er ei-ne SMS: „Ihre Blutwerte haben sich akut verschlechtert. Sie müssen Ihre Medikamenten-dosis anpassen. Bitte Rückruf!“ Ein Schlaganfallpatient erleidet plötzlich während einereinsamen Wanderung einen weiteren Anfall und fällt leblos zu Boden. Wenig später landetwie bestellt ein Rettungshubschrauber und bringt die überlebensnotwendige Hilfe. ScienceFiction? Nicht für die Kommunikationstechniker der Universität Duisburg-Essen. Sie habenes sich zum Ziel gesetzt, die drahtlose Kommunikation in den Dienst von Arzt und Patientzu stellen.

Abbildung 1:Hippokrates von Kos.

H

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Transponder, die selbst in der Regel keinem festvorgegebenen Standard folgen, sondern fürdie jeweilige Anwendung speziell entworfenwerden.

Als Sensoren kommen Thermometer, Barometer(Druckmesser), Hygrometer (Feuchtigkeitsmesser)und Magnetfeldsensoren in Frage. In der Medi-zin werden Thermometer zur Messung der Kör-pertemperatur eingesetzt. Barometer in verschie-denen Ausführungen können zur Messung desBlutdrucks, des Augendrucks oder des Hirn-drucks verwendet werden. Hygrometer erlaubenunter anderem die Messung der Hautfeuchtigkeit,und mit Magnetfeldsensoren lässt sich die rela-tive Lage des Sensors und dessen Trägers zumErdmagnetfeld bestimmen. Denkbar sind auchchemische Sensoren, die zum Beispiel die aktu-elle Zusammensetzung des Blutes ermitteln.

Toter Mann als LebensretterSolche Kombinationen von Funksystemen undSensoren erweitern die medizinischen Möglich-keiten in vielfältiger und interessanter Weise.

Das so genannte „Totmann-Handy“ etwa – somorbide der Name auch klingen mag – soll Lebenretten. Es kombiniert drahtlose Telekommuni-kation, zum Beispiel über ein GSM-Handy, miteinem Magnetfeldsensor und setzt automatischeinen Notruf ab, wenn das Handy für die Dauereiner vorherbestimmten Zeit seine Lage nichtverändert hat. Wird ein Patient, der ein solches„Totmann-Handy“ trägt, aufgrund eines Notfalls– zum Beispiel einer Ohnmacht – bewegungs-unfähig oder hat ein Bergsteiger einen Unfall,so leitet das System in beiden Fällen die Ret-tungsmaßnahmen ein.

Ein anderes Beispiel: Ein Jogger trägt eine Funk-sensor-Armbanduhr, die Blutdruck- und Puls-messung mit einen Bluetooth-Sender kombiniert.Während des Laufens werden in regelmäßigenAbständen Blutdruck und Puls gemessen, dieMeßwerte per Bluetooth an das mitgeführteGSM-Handy übertragen und von diesem perSMS an eine Patientendatenbank gesendet. DieArmbanduhr funktioniert durch Berührung, al-so durch direkten Hautkontakt mit dem Träger,und vernetzt dessen Körper mit der Kommuni-kationswelt. Die gerade geschilderte Anwendungentstammt dem allgemeinen Szenario eines sogenannten Körpernetzes (BAN, Body Area Net-work), bei dem Körper und Kleidung einesMenschen mit verteilt angebrachten, drahtloskommunizierenden Endgeräten versehen wer-den und so ein lokales Netz mit kleinsten Ab-messungen realisiert wird (Abb. 2).

Als letztes Beispiel seiendrahtlos kommunizierendeSensor-Implantate genannt.So könnte bei einem anGrünem Star leidenden Patienten die Linse des er-krankten Auges durch einekünstliche Linse ersetzt werden,die mit einem kleinen passiven Trans-ponder und einem integrierten Druckmes-ser ausgerüstet ist. Die batteriebetriebene Abfra-geeinrichtung wird in die Brille des Patientenintegriert und ermittelt durch Abfrage per Funkin vorher festgelegten Zeitabständen den Augen-druck. Die ermittelten Druckwerte könnten dannin der Abfrageeinrichtung gespeichert und spä-ter beim Arzt ausgewertet werden. Verfügt dieAbfrageeinrichtung über einen Bluetooth-Sen-der, so gäbe es sogar die Möglichkeit, die ermit-telten Druckwerte laufend per Handy an einePatientendatenbank zu übermitteln.

Keine Chance dem Großen Bruder

Drahtlos kommunizierende Sensor-Implantatebieten zweifellos einen großen Mehrwert fürDiagnose und Therapie. Sie werfen aber auchFragen auf. Die Akzeptanz solcher Implantatewird maßgeblich von der biologischen Verträg-lichkeit bestimmt sein. Sie dürfen den Körperweder kurz- noch langfristig belasten oder schä-digen. Die Entwicklung geeigneter Implantatkons-truktionen und die Erarbeitung von Kriterienzur Gewährleistung der biologischen Verträg-lichkeit sind wichtige Arbeitsgebiete in der Me-dizintechnik.

Medizinisch eingesetzte Funksensoren müssendarüber hinaus aber auch zwei weiteren Anfor-derungen genügen: Zum einen müssen sie zu-verlässig funktionieren, richtig messen und dieDaten ausfall- und fehlerfrei übermitteln. Diesstellt besonders hohe Anforderungen an dieDienstgüte (Quality of Service, QoS) der Funk-

Universität Duisburg–Essen57

Abbildung 2:„Body Area Network“ (BAN)Der Mensch ist Mittelpunktdes BAN; Accessoires wieOhrringe, Halskette undBrille, aber auch Videokamera,Personalausweis und Mobil-telefon sind drahtlos lokalvernetzte Kommunikations-einrichtungen.

(Quelle: www.ist-wsi.org)

Abbildung 3: Am Lehrstuhl für KommunikationsTechnik erstellte Entwick-lungsumgebung zur Untersuchung neuartiger Sender-Empfänger-Technik fürKurzstreckenfunksysteme, zum Beispiel nach dem Bluetooth-Standard.

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einrichtungen. Zum anderen müssen sie die Ver-traulichkeit der übermittelten Daten, die Au-thentifizierung und Datenverschlüsselung sicher-stellen, um sensible, personenbezogene Datenvor unbefugtem Zugriff zu schützen.

Mit Notebook zur VisiteEine weitere wichtige Anwendung, die heute be-reits umgesetzt wird, ist der Einsatz von drahtloslokal vernetzten Endgeräten wie Notebook-Computern und PDAs (Personal Digital Assis-tants) in medizinischen Einrichtungen. Hierzubenötigt man ein auf den Klinikbetrieb zuge-schnittenes Netz, wie es in vielen Betrieben an-derer Branchen seit langem Standard ist. LokaleNetze werden in der Regel mit einem Funk-LAN-Standard betrieben. Ein Beispiel ist dasauf WiFi (Wireless Fidelity) IEEE 802.11b ba-sierende MedLAN (Medical Local Area Net-work)-System. Ein solches drahtloses lokalesKliniknetz erlaubt den komfort-ablen Zugriff auf zentrale Da-tenbanken und Krankenblätterebenso wie die Online-Überwa-chung der Lebensfunktionen vonPatienten. Das Krankenhausper-sonal hat dadurch – zum Bei-spiel in Notfällen – schnellenZugriff auf die Krankengeschich-te von Patienten und kann daherdie Therapiemaßnahmen opti-mieren.

Die bereits im Zusammenhangmit Funksensoren erwähntenForderungen nach• biologischer und damit auch

elektromagnetischer Verträg-lichkeit

(Stichwort Elektrosmog), • hoher Dienstgüte und • absoluter Vertraulichkeitmüssen natürlich auch in drahtlosen lokalenNetzen für medizinische Einrichtungen erfülltwerden. Dies ist beim erwähnten MedLAN-System der Fall.

Ganzheitliche ForschungDer Lehrstuhl für KommunikationsTechnik derUniversität Duisburg-Essen, geleitet vom Phi-lipp-Reis-Preisträger Peter Jung, betreibt seit sei-ner Gründung im Juni 2000 anwendungsorien-tierte Forschung auf dem Gebiet der drahtlosenNachrichtensysteme. Die Forschungsarbeitenbetreffen1. das Entwickeln neuartiger Sender- und

Empfängertechniken für Kurzstreckenfunk-systeme (Funk-LANs, Bluetooth) sowie fürdrahtlose Nachrichtensysteme der drittenGeneration (3G), wie beispielsweise UMTS(Universal Mobile Telecommunications System), und zukünftiger Generationen„Beyond 3G“ (B3G);

2. das Erarbeiten von „Software Defined Radio”(SDR)-Konzepten für mobile Endgeräte(Handys, Notebooks) und die Umsetzungdieser Konzepte in Prototypen;

3. das Weiterentwickeln bestehender und dasEntwerfen neuartiger Protokolle für heutigeund zukünftige drahtlose Nachrichtensyste-me – etwa im Hinblick auf Einhaltung derbenutzerbestimmten Dienstqualität;

4. das Entwickeln neuartiger sowie das Opti-mieren existierender Anwendungen für draht-lose Endgeräte (Stichwort „Cross Layer Opti-mization“).

Das Arbeitsgebiet 1 hat im Besonderen die Ent-wicklung kleiner, f lexibler und energiesparen-

FORUM Forschung 2004/200558

Abbildung 5: Am Lehrstuhl für KommunikationsTechnik entwickel-ter Software Defined Radio (SDR)-Demonstrator zur f lexiblen Reali-sierung der Übertragungstechnik in der drahtlosen Telekommunikati-on nach dem UMTS-Standard.

Abbildung 4: Am Lehrstuhl für KommunikationsTechnik entwickelteRealisierung einer neuartigen Sender-Empfänger-Technik für den Bluetooth-Standard.

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der Funkeinrichtungen zum Ziel, wie sie bei-spielsweise für Funksensoren erforderlich sind.Abbildung 3 und Abbildung 4 zeigen eine amLehrstuhl für KommunikationsTechnik ent-wickelte und dort zum Einsatz kommende La-borplattform.

Arbeitsgebiet 2 behandelt den Entwurf von f le-xibel programmierbaren Funk-Modems für diedrahtlose Telekommunikation, zum Beispiel fürUMTS und die zukünftigen Varianten mobilerFunknetze. In Abbildung 5 ist ein Überblick eines am Lehrstuhl für Kommunikations-Technik erstellten SDR-Prototypen gezeigt.

Das dritte Arbeitsgebiet betrifft unter anderemUntersuchungen zur Sicherstellung der Dienst-güte in drahtlosen Funksystemen, zu denendrahtlose lokale Funknetze und die drahtloseTelekommunikation gehören.

Das Arbeitsgebiet 4 schließlich behandelt dieEntwicklung von mobilen Multimediaanwen-dungen zum Übertragen vertraulicher Inhalte.Abbildung 6 zeigt einen am Lehrstuhl im Ar-beitsgebiet 4 eingesetzten PDA.

So sehr, wie Hippokrates ein Handy gut hättegebrauchen können, beziehen sich die Arbeitenam Lehrstuhl für KommunikationsTechnik aufdie Grundsätze des Hippokrates – nämlich aufdie von ihm eingeführte ganzheitliche Diagnoseund Therapie in der Medizin, die durch eine ho-listische Herangehensweise gekennzeichnet ist.

Abbildung 6: Personal DigitalAssistant (PDA) mit Funk-schnittstelle und am Lehrstuhlfür KommunikationsTechnikentwickelter Anwendungssoft-ware zur optimierten Über-tragung von Internet-Seiten.

Ko n t a k tProf. Dr. Peter Jung

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Dr. Guido Horst Bruck

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Die Fusion der Universität Duisburg-Essenbietet die außerordentliche Chance, durch diesynergetischen Potenziale aus der Kombinationvon Ingenieurwissenschaften, Medizin und Na-turwissenschaften einen bedeutenden Beitrag indieser Richtung zu leisten. Hierdurch kann esgelingen, ingenieurwissenschaftliche Methodender Mechatronik, der Materialforschung undder Konstruktion derart mit medizinischenFragestellungen der Unfallchirurgie und der allgemeinen Chirurgie, der Orthopädie, der Kardiologie, der Physiologie sowie der organischen und an-organischen Chemie zu kom-binieren, dass neue bzw. optimierte Produkte undVerfahren zur Verbes-serung der Behand-lung von Verletzungendes Bewegungsappa-rates und der inner-organischen Krank-heitsbilder – insbe-sondere des Herz-Kreislauf-Systems – ent-stehen.

Interdisziplinärer Ansatz

Das breite Bild eines solchen interdis-ziplinären Zusammenspiels ist in Abbil-dung 1 wiedergegeben. Die für die konkreteBehandlung von Patienten notwendigen Ein-griffe der Medizin im Rahmen der Orthopädie,der Unfallchirurgie und der Kardiologie werdenvorbereitet durch aktuelle Methoden der Inge-nieurwissenschaften, die die Komponenten aufihre Funktionalität, ihre Langlebigkeit und ihrepatientenspezifische Eignung überprüfen undoptimieren. Hierbei spielen Fragestellungen der

Festigkeit (Kontinuumsmechanik), der Gestal-tung (Produkt Engineering), des Materials(Werkstoffe) sowie des Zusammenspiels mitmessbaren Größen (Mechatronik) eine ent-scheidende Rolle. Flankiert werden diese Ver-fahren durch die Untersuchung der Wechselwir-kungen der eingesetzten Therapieformen mitdem menschlichen Organismus, die mit Metho-

den deranorganischen Chemie, der Physiologie undphysiologischen Chemie sowie der Mathematikund Physik ermöglicht wird. Insgesamt wirddamit eine Basis geschaffen, um die Patienten-versorgung unter Einsatz der neuesten Techno-logien und wissenschaftlichen Erkenntnisse zuverbessern.

Universität Duisburg–Essen61

edical EngineeringNeue Technologien der Biomechanik

und Biomaterialien

MBiomechanik und Biomaterialien gehören zunehmend zum festen Repertoire der medizini-schen Versorgung. Ziel ist hierbei, Eingriffe in den menschlichen Körper zu optimieren,bessere und sanftere Therapieformen zu entwickeln und insbesondere Prothesen und Im-plantate durch moderne Methoden der Ingenieurwissenschaften zu verbessern. Anwendungenreichen von der Verwaltung und Verarbeitung patientenspezifischer Daten über die Ent-wicklung neuer prothetischer Komponenten bis hin zur Vorbereitung von chirurgischen Ein-griffen und der nachoperativen Patientenversorgung mit Medikamenten. Dadurch sind Ärztebesser in der Lage, kurz-, mittel- und langfristige Folgen von therapeutischen Maßnahmeneinzuschätzen und neue, optimierte Therapieformen zu entwickeln, mit denen die medizi-nische Versorgung der Bevölkerung verbessert werden kann.

Abbildung 1:Zusammenspiel von

neuen Technologien derBiomechanik und Biomate-rialien zwischen Ingenieur-,Natur- und Medizinwissen-schaften.

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IntelligenterWirbelsäulensimulator

Beispiel einer biomechanischen Anwendung imBereich der Messtechnik ist ein mechatronischerBewegungssimulator für die Halswirbelsäule. Die„Hexaspine“ genannte Einheit besteht aus einerMiniplattform, welche über neuartige Antriebs-systeme (f luidic muscles von Festo) mit einemPC gesteuert wird. Das System spiegelt dasKraft-Bewegungsverhalten der anatomischen Ein-heiten dann wie im realen Fall wider.

Im Rechner werden aus patientenspezifischenDaten die anatomischen Wechselwirkungenzwischen Bewegungen und Kräften berechnetund den Aktuatoren der Parallelplattform über-mittelt. Diese erzeugen dann über Regler die glei-chen Kräfte, die innerhalb der menschlichenWirbelsäule auftreten. Dadurch kann der Arzt dieFolgen von chirurgischen Eingriffen zuvor amErsatzmechanismus testen. Zudem können mitdem Gerät gezielt Messversuche durchgeführtwerden, welche die komplexen Parameter imBewegungssystem einzeln und präziser ermittel-bar machen. Durch die Apparatur wird die An-zahl von anatomischen Versuchen minimiert unddie Reproduzierbarkeit der Experimente verbes-sert, wodurch neue Prüfstandsmethoden derProthetik und der Implantattechnik entstehen.Ein weiteres Anwendungsgebiet ist die Verwen-dung der ungeregelten Miniplattform (Einsatzvon Federn anstatt von fluidic muscles) als Hals-element von Crash-Test-Dummies zur realisti-schen Nachbildung der auftretenden Belastun-gen in Crash-Versuchen. Das Projekt, gefördertdurch die Deutsche Forschungsgemeinschaft,soll in drei Jahren abgeschlossen werden.

Gläserne BeineEin weiteres Projekt betrifft die Behandlung vonKindern mit spastischer Diparese. Bei diesemSyndrom ist die Bewegungsfähigkeit der Beinegestört. In Zusammenarbeit mit dem Landes-krankenhaus Graz, Abteilung Kinderchirurgie,wird untersucht, wie chirurgische Eingriffe mitHilfe der Computersimulation verbessert wer-den können (Abb. 3). Ziel ist es hierbei zu ermit-teln, welche Muskeln bzw. Sehnen um welchen Betrag verkürzt werden müssten, um die Streck-stellung zum Beispiel des Fußes zu normali-sieren und einen normalen Gang zu ermög-lichen, der anschließend durch geeignetephysiotherapeutische Maßnahmen verfeinertwerden kann.

Der erste Schritt beinhaltet die Rekonstruktiondes Kraftf lusses sowie die Änderungen der Mus-kellängen innerhalb der Beine der Patienten aufder Grundlage der gemessenen Kräfte am Bodenund der Lage der Beine, die durch Infrarot-kameras ermittelt wird. Das Ergebnis ist eine3D-Animation von „gläsernen Beinen“, überdie der Arzt – wie bei einem virtuellen Mikroskop– in das Innere der Anatomie hineinschauenkann. Die Ergebnisse dieses Arbeitsschritteswerden bereits erfolgreich in der Diagnostik ein-gesetzt: Operative Methoden lassen sich voraus-planen, und der Erfolg der Therapie lässt sichfeststellen (Abb. 4).

Blick in die ZukunftIn einem weiteren Schritt wird nicht nur dasVorhandene analysiert, sondern auch das Zu-

künftige vorhergesagt. Die bisheri-gen Operationsmethoden gehenvon Erfahrungswerten aus. Wie je-doch ein spezifischer Patient auf dieOperation reagiert, wird erst nachdem Eingriff sichtbar. Um diese Si-tuation zu verbessern, stellen sichÄrzte ein System vor, mit dem sichFragen vorab beantworten lassen wie:Wie wird sich ein Patient bewegen,wenn ein gewisser Muskel um zumBeispiel 2 cm verkürzt oder verlän-gert wird? Durch die Simulationkönnte ein solcher Blick in die Zu-kunft ermöglicht werden.

Zur Beantwortung dieser Fragestel-lung bedarf es der Lösung der „di-rekten Dynamik“, also der Berech-nung der resultierenden Bewegungaufgrund der Muskelkräfte innerhalbdes Beines. Das Schwierige hierbei

FORUM Forschung 2004/200562

Abbildung 2: Prinzip eines mechatronischen Bewegungssimulators für die Halswirbelsäule.

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ist nicht die mechanische Seite. Vielmehr liegtdas Problem darin, dass die Verteilung vonKräften auf die einzelnen Muskeln bis heuteungewiss ist und dass auch die Regelungs-gesetze hinter den neurologischen Signalen, mitdenen die Muskeln aktiviert werden, unbe-kannt sind. Hier zeichnen sich Ergebnisse ab,die in naher Zukunft eine Prädiktion ermögli-chen könnten. Mit aufwändigen numerischenMethoden werden systematische Variationender Verteilung der Muskelkräfte mit Hilfe vonmodernen Optimierungsalgorithmen so langedurchgeführt, bis die Simulation ähnliche Er-gebnisse liefert wie die Messung. Es zeigt sich,dass aufgrund allgemeiner Hypothesen (Mini-mierung des Gesamtmetabolismus, Minimie-rung der Verlustanstrengung bei antagonisti-schen Muskeln) realistische Werte vomAlgorithmus berechnet werden. Das Problemzurzeit hierbei: die hohen Rechenzeiten (bis zudrei Wochen für eine Gangbewegung) und dieSchwierigkeit, Voraussagen für die Kraftvertei-

lungen mit Messungen zu vergleichen. Dennim Gegensatz zu einem mechanischen System wiezum Beispiel einer Radaufhängung kann man mitMenschen keine „Testfahrten“ mit Messinstru-menten im Inneren fahren. Erste Vergleiche zwi-schen Simulation und Messung (Formelkasten„Vorwärtsdynamik und Optimierung“) zeigen gu-te Ergebnisse. Das Projekt wird seit circa 2 Jahrenvom Landeskrankenhaus Graz und einem be-kannten Pharmahersteller gefördert. Es soll inetwa 2 Jahren abgeschlossen werden.

KinematischeBewegungsanalyse

Die Bedeutung und Notwendigkeit von wichtigenKomponenten des menschlichen Bewegungsap-parates werden oft nur dann erkannt, wenn dieseversagen. Bei der Umwendbewegung des Unter-armes etwa findet eine fein abgestimmte Dre-hung eines Knochens (der Speiche) um den anderen (die Elle) statt. Heilen die Knochennach einer Fraktur mit Fehlstellungen – dasheißt, sind sie nach dem Heilprozess nicht mehr„gerade“ –, dann können sie einander bei derDrehung berühren, wodurch die Umwendbe-wegung eingeschränkt ist (Abb. 5). Solche Ein-schränkungen der Funktionalität sind äußerstungünstig für die Patienten, da gewöhnlicheAlltagstätigkeiten schwer bis unmöglich gemachtwerden können.

Universität Duisburg–Essen63

Ziel: Reproduktion von gemessenen Gelenkwinkelverläufenmittels vorwärts-dynamischer SimulationMathematische Problemstellung: Minimierung einer „Kosten-funktion“ unter gleichzeitiger Reduktion von CPU-ZeitModellbildung: Erweiterung des biomechanischen Skelettmodellsder unteren Extremität durch ein mathematisches Muskelmodell(Hill, 1938) mit Kraftgesetz

Designparameter: Einflussnahme durch Wahl geeigneter An-satzfunktionen für die Muskelaktivierung, zum Beispiel glatterExponentialansatz (6 Parameter pro Muskel)

Prinzipielle Vorgehensweise: Wiederholte Integration der Bewe-gungsgleichungen für Sätze von Designparametern zur Bestim-mung von AktivierungsprofilenKostenfunktion: Vergleich der Abweichung von gemessenemSoll- und simuliertem Ist-Winkel-Verlauf

Offene Problematik: Anwendung auf den gesamten Muskel-apparat und Reduktion von Rechenzeiten (derzeit ca. 3 Wo-chen)

Vorwärtsdynamik und Optimierung

Abbildung 4: Dreidimensionales Computermodell zur Bewegungs- und Kraftananalyse der menschlichen unteren Extremität.

Abbildung 3: ErschwertesGangbild einer Patientin mitspastischer Diparese.

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Frakturen im Bereich des Unter-armes zählen mit 20 % zu denhäufigsten Extremitätsfrakturenim Kindesalter und sind meistauf Stürze auf die ausgestreckteHand zurückzuführen. Für die Be-handlung der Unterarmschaft-fraktur im Kindesalter stehenoperative und konservative Ver-fahren zur Auswahl. Nach bei-den Therapieformen verbleibenallerdings funktionelle Defizite,die meist die Umwendbewegungdes Unterarmes betreffen (Abb. 6).In der Hoffnung, diese Funkti-onsdefizite zu vermeiden, sinddiese Frakturen in jüngster Zeithäufiger operativ behandeltworden. Während bis zu Beginnder 90er Jahre die Operations-rate im Durchschnitt 3 - 7 %

betrug, weisen neuere Studien einen Anteil anOsteosynthesen, also operativen Knochenkor-rekturen, von bis zu 22 % aus. Jede Operationist jedoch gerade für Kinder eine besondere Be-lastung – ganz abgesehen davon, dass in Zeitenkritischer wirtschaftlicher Ressourcen Operatio-nen grundsätzlich auf ihre Notwendigkeit undihren Umfang zu hinterfragen sind.

Zoom auf das ProblemDaher ist es sinnvoll, den Zusammenhang zwi-schen Achsenfehlstellung und Bewegungsein-schränkung rechnerisch voraussagbar zu machen.Dadurch könnten Mediziner besser die Wirkun-gen der Therapien abschätzen und auf diesesWissen gestützt die bestmögliche auswählen. Fürdas Rechnermodell lassen sich auf der einen SeiteStrukturprogramme, so genannte Finite-Element-Modelle, einsetzen, mit denen das gesamte Sys-tem als Zusammenschluss von kleinsten Ein-heiten betrachtet wird, von denen jede miteinfachen Mitteln gelöst werden kann. DieserAnsatz ist jedoch viel zu komplex, um in Echt-

zeit gelöst zu werden, und es besteht das zusätz-liche Problem, die vielen für die mathematischeModellierung erforderlichen Parameter über-haupt nicht messen zu können.

Auf der anderen Seite weiß man aus der analogenBehandlung von technischen Komponenten wieFahrzeugen, Fluggeräten oder Schwerlastmanipu-latoren, dass man für viele Effekte Ersatzmodelleerstellen kann, die in ihrer Funktionalität geradedie richtige „Zoom-Einstellung“ des gegebenenProblems darstellen: Sie sind noch so einfach, umeine schnelle Berechnung zu gestatten, aber be-reits so detailliert, dass keine wesentlichen Effek-te vernachlässigt werden. Solche Ersatzmodelle zufinden, ist ein Problem, das nur mit Erfahrungund durch den Vergleich zwischen Simulationund Messung gelöst werden kann.

Am Labor für Biomechanik des Lehrstuhls Me-chanik der Universität Duisburg-Essen wird inKooperation mit Unfallchirurgen und Ortho-päden an den Uni-Kliniken Graz und Heidel-berg ein kinematisches Ersatzmodell für dieNachbildung der Umwendbewegung des Unter-armes entwickelt. In einer ersten Phase der Ar-beit ging es darum, einen Ersatzmechanismuszu „erfinden“, der die Bewegungen der Elleund Speiche als Ganzes genau genug wieder-gibt. Erstaunlicherweise ergab sich, dass für diekorrekte Realisierung der Umwendbewegungkleinste Dislokationen der Elle gegenüber demOberarmknochen stattfinden müssen, so dassdas „klassische“ Modell des Scharniergelenksam Ellenbogen durch die Simulation widerlegtwird. Dies hat unter anderem Auswirkungenauf den Entwurf von Ellenbogenprothesen, dieim Falle der Gestaltung als exaktes Scharnierge-lenk zu Einschränkungen in der Umwendbewe-gung führen müssen.

Systematisches AusprobierenIn einer zweiten Phase werden die elastischenEigenschaften innerhalb der Umwendbewe-gung mit Hilfe von Magnetresonanz-Tomogra-phien untersucht (Abb. 7). Die Idee hierbei ist,in den Körper „hineinzuschauen“, ohne diesenaufschneiden zu müssen. Hierbei benutzt mandas gleiche Beobachterprinzip, mit dem zumBeispiel in der Regelungstheorie Schwingungenan den Flügeln eines Flugzeuges durch Mes-sung der Kräfte am Flansch reproduziert wer-den: Durch Kenntnis der Modellstruktur ist esmöglich, aus der Messung weniger Parameter

FORUM Forschung 2004/200564

Abbildung 6: Beispiel eines Defizits bei der Umwend-bewegung des Unterarmes aufgrund einer Fehlstellung:Der rechte Unterarm kann nicht mehr in die Horizon-tale nach innen gedreht werden.

Abbildung 5: Beispiel einerFehlstellung der Unterarm-knochen nach einer Fraktur.

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über die Zeit auf die Werte vieler anderer un-sichtbarer „innerer“ Parameter zu schließen. DasBeobachterprinzip besteht darin, die Werte die-ser inneren Parameter im Modell so lange zuvariieren, bis die Simulation das gleiche Verhal-ten wie die Messung zeigt. Der berühmte Rege-lungstechniker David Lünberger hat in densechziger Jahren des letzten Jahrhunderts ge-zeigt, dass dann auch eine gute Schätzung fürdie tatsächlichen Parameter vorliegt. Obwohl esmathematisch gesehen auch „unbeobachtbare“Systeme gibt (das heißt, die Anzahl und Art derMessgrößen reicht nicht aus, um genügend Da-tenmaterial zur Erkennung der inneren Größenzu liefern), ist dies beim vorliegenden Systemnicht der Fall. Die Simulation liefert also hiereine Art „numerisches Mikroskop“, mit dem –über eine Art virtuelle Welt – in die Struktur-eigenschaften des Körpers hineingeschaut wer-den kann.

ImFal l eder Un-terarmbe-wegung „be-obachtet“ mandie Steifigkeitswer-te an den Gelenkendadurch, dass man dieStellung der Knochen aufgrund angenommenerSteifigkeitswerte simuliertund diese mit den tatsäch-lichen vergleicht. DurchVeränderung dieser Stei-f igkeitswerte verändertsich die Lage der Kno-chen, so dass man schließlich durchsystematisches „Ausprobieren“ – mathematischgeschieht dies durch leistungsstarke Optimie-rungsbibliotheken – zu den gesuchten Wertengelangt. Erste Versuche zeigen eine gute Über-einstimmung der gemessenen und simuliertenWerte, wobei die in Duisburg entwickelten Me-thoden zur Parameterbestimmung durch Simu-lation bereits an mehreren Stellen (darunterauch am MIT) angewandt werden.

Universität Duisburg–Essen65

Ko n t a k tProf. Dr. Andrés Kecskeméthy

Lehrstuhl für Mechanik

Tel.: 02 03/3 79-33 44Fax: 02 03/3 79-24 94

[email protected]

ProjektpartnerProf. Dr. SteinwenderOA Dr. ZwickPriv. Doz. Dr. Weinberg

Universitätsklinik für Kinderorthopädie und Chirurgie, Graz, Österreich

Prof. Dr. EwerbeckDr. Kasten

Orthopädische UniversitätsklinikHeidelberg

Stryker Howmedica GmbH, Duisburg Abbildung 7:Computergestützte Rekonstruk-tion der Umwendbewegung:Die Lage der Unterarmkno-chen wird mit Hilfe einesmechanischen Ersatzsystemsund dessen Anpassung an Scansaus der Magnetoresonanz-Tomographie vorausgesagt.

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Durch die Einführung der Äthernarkose bei chirurgischen Eingriffen im Jahre 1846 ge-lang es erstmals, Operationen schmerzfreidurchzuführen. Gleichzeitig begannen die bisheute noch nicht abgeschlossenen Bemühun-gen, das Phänomen Narkose richtig zu beur-teilen. Der amerikanische Anästhesist Arthur

E. Guedel definierte 1937 „klinische Zeichen“,mit deren Hilfe eine genaue Charakterisierungund Steuerung der Äthernarkose in vier Sta-dien möglich wurde. Guedel beobachtete dazuAtmung, Pulsveränderung, Augenbewegungensowie Reflex- und Muskelaktivität des Patien-ten.

FORUM Forschung 2004/200566

iefschlaf garantiertNeue Technik für mehr

Sicherheit bei Narkosen

T„Alptraum im OP – Patientin erlebte Eingriff bewusst mit!“ Mit solchen oder ähnlichenSchlagzeilen versorgt die Sensationspresse mit schöner Regelmäßigkeit ihre Klientel. DerGrusel ist garantiert, denn die Vorstellung, während einer Operation aus der Narkose zu er-wachen, alle Vorgänge wahrzunehmen, sich aber nicht artikulieren zu können, gleicht in derTat einem Horrorszenario. Statistisch gesehen kann es bei jährlich rund 7 Millionen Ein-griffen in Deutschland 7.000 bis 14.000 Patienten treffen – mit manchmal lebenslangenFolgen in Form von Schlaflosigkeit, Alpträumen, Depressionen bis hin zur Suizidgefahr.Forscher der Universität Duisburg-Essen arbeiten an Möglichkeiten, die Narkose besserüberwachen zu können.

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Abbildung 1: Parameter für dieAuswertung spontaner EEG-Signale.

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Um die Muskeln während einer Operationzuverlässig zu entspannen, mussten demPatienten große Mengen des Gases verab-reicht werden. Bewusste Wahrnehmungenwährend der Operationen waren dadurchso gut wie ausgeschlossen. Der Vorteilwurde allerdings mit dem recht hohenRisiko erkauft, überhaupt nicht mehr ausder Narkose aufzuwachen.

Diese Gefahr sank mit der Einführungspezifischer Medikamente, die die Muskel-erschlaffung gezielt herbeiführen, und derdamit verbundenen Möglichkeit, die zuverabreichende Menge des Narkosegaseszu reduzieren: Die Vergiftungsgefahr sank,die Qualität der Operationen nahm zuund die Patienten erwachten schneller ausder Narkose. Guedels klinische Zeichen zurBeurteilung des Narkosezustandes verlo-ren in diesem Kontext jedoch an Gültig-keit, und die Zahl der Berichte über in-traoperative Wachheit stieg an.

Unsicheres VerfahrenDie heutige so genannte balancierte Kom-binationsnarkose beruht auf der selektivenBeeinflussung der Teilkomponenten Hyp-nose (Ausschaltung des Bewusstseins undVerhinderung von Erinnerung), Analgesie(Schmerzausschaltung) und Areflexie (Aus-schaltung der Reflexe) durch verschiedeneMedikamente. Folgerichtig müsste man diedrei Einzelkomponenten getrennt überwa-chen, um die Narkose wirksam zu steuern.

Beim üblichen Monitoring überwacht derAnästhesist die Vitalfunktionen Blutdruck,Herzfrequenz, Schweiß- und Tränenproduktion,Atmung, Sauerstoffsättigung des Blutes, Pupillen-größe und Reflexe. Gleichzeitig kontrolliert erdie Konzentration des Narkosegases. Gemeinsamvermitteln diese Werte einen Gesamteindrucküber den Effekt der Narkose. Die Ausschaltungvon Reflexen kann so zuverlässig überwacht undgesteuert werden. Für die gezielte Überwachungder beiden anderen Teilkomponenten – derAnalgesie und der Hypnose – ist diese Art desMonitorings dagegen nicht ausreichend. Im Klar-text: Wachheit und Schmerzempfindung könnendurch die Standardverfahren nicht zuverlässigidentifiziert und verhindert werden.

Bei der Entwicklung moderner Methoden zurÜberwachung und Beurteilung des hypnotischenZustands von Patienten muss berücksichtigtwerden, dass man die intraoperative Wachheitin vier Stufen unterteilt:

• keine Wachheit;• intraoperative Wachheit ohne Erinnerung;• intraoperative Wachheit mit unbewusster Er-

innerung;• intraoperative Wachheit mit bewusster Erin-

nerung.So konnte zum Beispiel intraoperative Wachheitmit unbewusster Erinnerung im Rahmen vonStudien nachgewiesen werden. Probanden, denenwährend der Narkose die Geschichte von Ro-binson Crusoe vorgelesen wurde, konnten sichunmittelbar nach der Operation an nichts Außer-gewöhnliches erinnern; sie assoziierten jedochmit dem Stichwort „Freitag“ spontan den Romanvon Daniel Defoe.

Klicken gehört zum GeschäftDas Standardmonitoring könnte sinnvoll umdie Überwachung der elektrischen Aktivität des

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Abbildung 2: Akustischevozierte Potenziale – Mittei-lung von kurzen EEG-Abschnitten (Sweeps) zurGenerierung von identifi-zierbaren AEP-Signalen.

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Gehirns – dem Zielorgan der Narkose – wäh-rend der Operation erweitert werden. Mit Hilfevon an der Kopfhaut befestigten Elektrodenwerden bei diesem Verfahren das Elektroenze-phalogramm (EEG) und so genannte akustischevozierte Potenziale (AEP) des Patienten aufge-zeichnet. Das EEG beschreibt die spontane Hirn-aktivität, wogegen AEP-Signale die Antwort desGehirns auf akustische Außenreize darstellenund Auskunft darüber geben, wie und ob diesenoch verarbeitet werden.

Dabei wird dem Patienten über einen Kopfhörerin regelmäßigen Abständen ein Klickgeräuschvorgespielt. Jeder Klick löst im Gehirn eine Re-aktion aus, die sich als Impulsantwort im EEGbemerkbar macht. Da das Gehör der menschlicheSinn ist, der bei einer Narkose am längsten aktivbleibt und beim Erwachen als erster wieder zu-rückkehrt, kann es zur Bestimmung der Narkose-tiefe herangezogen werden.

Eine wichtige Größe bei der Verarbeitung spon-taner EEG-Signale, die sich je nach Tiefe derNarkose ändert, ist die Frequenz. Durch dieÜberlagerung verschiedener zufallsabhängigerKomponenten ist das EEG-Signal sehr komplex;das erschwert unter OP-Bedingungen eine visu-elle Auswertung. Für die Überwachung benötigtman daher Verfahren und Methoden, die eineüberschaubare Zahl an Werten ausgeben undempfindlich auf narkosebedingte Veränderungenreagieren. Im Idealfall sind diese auch nochrobust gegenüber Unterschieden von Patient zuPatient.

Ein Beispiel für einen solchen Parameter ist die sogenannte Medianfrequenz. Sie teilt die Gesamt-leistung des EEG-Signals in zwei gleichgroßeFlächen. Mit zunehmender Narkose vergrößertsich der Anteil tiefer und verkleinert sich derAnteil hoher Frequenzen im EEG, was mit der

Abnahme der Medianfrequenz verbunden ist(Abb. 1).

Paradoxe MessergebnisseKlinische Studien haben jedoch gezeigt, dassfür die typische klinische Umgebung, in der eine Kombination von Anästhetika zum Einsatz kommt und unterschiedliche Narkose-ziele verfolgt werden, die Möglichkeiten sol-cher EEG-Parameter begrenzt sind. Parado-xerweise kann es zum Beispiel bei Wachheit zu einem Abfall der Medianfrequenz kom-men. Ein Goldener Standard der Analyse desspontanen EEG für die Überwachung der Narkosetiefe konnte noch nicht gefunden wer-den.

Aber zurück zu den AEP-Signalen: Zu ihrer Er-fassung und Auswertung ist notwendig, dass dasEEG und die „Triggerzeitpunkte“, zu denen dieKlicks abgespielt werden, synchron aufgezeich-net werden. Die hirnelektrische Reaktion aufdas Klicken hat eine im Verhältnis zum EEGsehr geringe Amplitude und ist im spontanenEEG nicht sichtbar. Um die Signale zu identifi-zieren, werden sie durch Mittelung extrahiert(Abb. 2). Der dadurch gewonnene Signalverlaufbesteht aus einer Folge von Wellenbergen und -tälern, den so genannten Peaks. Sie repräsentie-ren die verschiedenen Stationen, die der akusti-sche Reiz auf seinem Weg von der Ohrmuschelbis zur Hirnrinde durchläuft.

Die Beurteilung der Peaks erfolgt derzeit in denmeisten Fällen visuell. Weil die gemittelten AEP-Signale je nach Anzahl der bei der Mittelungverwendeten EEG-Abschnitte (Sweeps) und we-gen Schwankungen in der Signalqualität sehrvariieren und vom erwarteten prototypischenSignalverlauf abweichen können, lässt sich einegewisse Unschärfe in der Auswertung nicht ver-meiden. Abbildung 3 zeigt beispielhaft an einemrealen AEP-Signal (rot), dass die visuellen Markie-rungen oft nicht eindeutig sind, wenn das realevom erwarteten Signal (blau) stark abweicht.

Grundsätzlich wird das AEP-Signal in dreiKomponenten unterteilt:

• Das frühe AEP (FAEP) in den ersten zehnMillisekunden wird hauptsächlich durch denHirnstamm hervorgerufen und repräsentiertden Prozess der Reizumwandlung und derfrühen Übertragung.

• Das mittlere AEP (MAEP) zwischen der zehn-ten und hundertsten Millisekunde wird pri-mär von der akustischen Hirnrinde generiertund hat sich zur Beurteilung der Narkose

FORUM Forschung 2004/200568

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Abbildung 3: Abweichungzwischen realem (rot) underwartetem (blau) AEP-Signal.

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bewährt. Abbildung 3 zeigt die übliche Bezeichnung der MAEP-Peaks. Es konnte ge-zeigt werden, dass das Vorliegen eines drei-welligen Signalverlaufs bzw. einer kurzen Nb-Latenz einen Hinweis auf intraoperativeWachheit liefert.

• Das späte AEP (SAEP) im Zeitraum von derhundertsten bis zur tausendsten Millisekundespiegelt die neuronale Aktivität bei der Asso-ziation wider. Es zeigt im Wachzustand großeVarianz, da es stark von der individuellen

Reizverarbeitung und von kognitiven Prozes-sen beeinf lusst ist.

Zehn Jahre KooperationZwischen dem Institut für Informationstechnikder Universität Duisburg-Essen und der Klinikfür Anaesthesiologie am Klinikum rechts derIsar der Technischen Universität München be-steht seit 1994 eine enge Forschungskooperation.Sie beschäftigt sich mit der Entwicklung von

Universität Duisburg–Essen69

Bei der Wavelet-Transformation (WT) wird ein Signal durcheine zuvor definierte Menge zueinander „ähnlicher“ Teilsignaleangenähert. Das Ergebnis besteht aus Koeffizienten, die denAnteil des jeweiligen Teilsignals am Signal beschreiben. DieTeilsignale sind Varianten eines einzigen Grundsignals – desso genannten Mother-Wavelets –, die durch Anwendung zweierOperationen aus diesem entstehen:

• Dehnung oder Streckung (Modifikation der Frequenzin-formation, die durch das Teilsignal beschrieben wird);

• Verschiebung (Modifikation des zeitlichen Auftretens desGrundsignals [Zeitinformation]).

Bei einer speziellen Form der WT, der so genannten Diskre-

ten Wavelet-Dekomposition (DWD), werden die Teilsignale sofestgelegt, dass sie eine linear unabhängige Menge des betrach-teten Signalraums bilden und somit redundante Informationenwegfallen. Bei der DWD wird eine Gruppierung der Teilsignalein Level vorgenommen, die jeweils alle Teilsignale zusammen-fasst, die durch dieselbe Dehnungs- bzw. Streckungsoperationentstanden sind. Dies bedeutet, dass in einem Level alle Teil-signale betrachtet werden, die dieselbe Frequenzinformationliefern, jedoch zeitlich gegeneinander verschoben sind. Aufdiese Weise erhält man Frequenz-Informationen, die auf dieZeit bezogen sind. Die Level, die einer hohen Frequenz ent-sprechen, umfassen eine Vielzahl von Teilsignalen und liefernsomit eine gute Zeitauflösung. Entsprechend ist die Zeitauf-lösung in Leveln niedriger Frequenzen gering.

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Expertenwissen „Wavelet-Transformation“

Auflösungseigenschaft der DWD und Zerlegung eines Beispielsignals in 4 verschiedene Frequenzbereiche, die entstehen, wenn man dieKoeffizienten eines DWD-Levels rücktransformiert. Durch das erste Level wird der Bereich der höchsten Frequenzen repräsentiert.

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Verfahren und Algorithmen zur Narkoseüber-wachung, insbesondere zur Erkennung vonWachheit. Gemeinsam haben die Mitglieder bei-der Arbeitsgruppen an einem EU-BIOMED-Projekt und einem von der Bayerischen For-schungsstiftung geförderten Projekt mitgewirkt.Beide Projekte sind inzwischen abgeschlossen.

Ein Schwerpunkt der Zusammenarbeit besteht inder Entwicklung, Konfiguration und Prüfungunterschiedlichster Signalverarbeitungsverfahren,die eine automatische Quantifizierung der EEG-bzw. AEP-Signale unter realen klinischen Bedin-gungen ermöglichen. Dabei werden auch Ver-fahren berücksichtigt, die von dem klassischenfrequenzbasierten Ansatz abweichen (Abb. 4).

So wurde zum Beispiel eine Online-Signalverar-beitungssoftware entwickelt, die zusammen miteinem handelsüblichen Vitalmonitor und einemherkömmlichen EEG/AEP-Erfassungsgerät eineMonitoring-Einheit bildet. Diese kann im OPeingesetzt werden und liefert einen direktenVergleich eigener Verfahren mit schon bestehen-den EEG-Parametern und den Vitalfunktionen(Abb. 5).

Ein Schwerpunkt der Duisburger Arbeitsgruppeum Hans-Dieter Kochs liegt in der automatischenAnalyse von AEP-Signalen. Neben der primärenAufgabe der Bestimmung geeigneter Signalpara-meter, die eine automatische Beurteilung erlau-ben, werden auch Verfahren zur Prüfung undQualitätsverbesserung der Signale entwickelt.Klinische Studien an der Technischen Universi-

tät München und deren Auswertung an der Uni-versität Duisburg-Essen haben gezeigt, dass dieso genannte Wavelet-Transformation als spezielleZeit-Frequenz-basierte Analyse ein besonders ge-eignetes Verfahren zur Beschreibung von AEP-

Signalen darstellt, das bisherigen Methodenüberlegen ist (vgl. Info-Kasten).

Computational IntelligenceEin weiterer Forschungsschwerpunkt ander Universität Duisburg-Essen im Rah-men dieser Kooperation liegt in der Ent-wicklung und Anwendung von Metho-den aus dem Bereich der Computational

Intelligence (CI), die sich an Vorbildernaus der Natur orientieren. Solche Metho-

den sind für die Fragestellungen im Rahmender Kooperation besonders geeignet, da sie

selbständig aus Beispieldaten lernen und ohneausdrücklich eingegebenes Vorauswissen einenInformationsverarbeitungsprozess generieren –zum Beispiel die Zuordnung von gemessenenoder berechneten Werten zu Patientenzustän-den.

Die bekanntesten Methoden der CI entstam-men den Bereichen „Evolutionäre Algorithmen“,„Fuzzy Logik“ und „Neuronale Netze“. Diekorrespondierenden Vorbilder aus der Natur sind„natürliche Evolution“, „menschlicher Schluss-folgerungsprozess mit der Fähigkeit, unscharfeBegriffe verarbeiten zu können“ und „Informa-tionsverarbeitung im menschlichen Gehirn“. Inder Duisburger Arbeitsgruppe werden Systemeentwickelt, die Methoden der Fuzzy Logik undder Neuronalen Netze kombinieren. Ziel ist dieBestimmung geeigneter Signalverarbeitungsver-fahren bzw. relevanter Parameter sowie die Ent-wicklung eines Mechanismus, der gemesseneSignale Patientenzuständen zuordnen kann.

Die Projektpartner in München untersuchenMethoden des Data Minings, die ebenfalls ausBeispieldaten neues Wissen generieren. Die Be-sonderheit dieser Methoden besteht darin, dassgroße Datenmengen, die in Datenbanken ge-speichert sind, verarbeitet werden können. Sokonnten zum Beispiel durch Anwendung vonMethoden aus dem Bereich der Rough Set- undder Fuzzy-Theorie Regeln zur Zuordnung vonberechneten EEG-Parametern zu Patientenzu-ständen abgeleitet werden.

Prüfstein PraxistestIm Verlauf der langjährigen Zusammenarbeitmit der Technischen Universität München wur-den geeignete Kommunikationswege zwischen

FORUM Forschung 2004/200570

Abbildung 4:Verfahrensklassen zur auto-matischen Quantifizierungvon EEG- und AEP-Signalen.

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den verschiedenen Disziplinen aufgebaut. Dieumfassende klinische Erfahrung der bayerischenPartner und die Kontinuität der Kooperationerlaubt es, die komplexen Aufgaben in verschie-dene Teilprobleme zu zerlegen und diese mitentsprechenden klinischen Studien zu lösen.Die Ergebnisse können dann sukzessive zur Ge-samtlösung zusammengesetzt werden. Auf dieseWeise konnten verschiedene Verfahren zur Ana-lyse von spontanem EEG und AEP entwickeltwerden. Erste Erfolge bei der automatischenDetektion von Wachheit, der Beurteilung derSignalqualität und der Signalfilterung bestätigendie gewählten Ansätze. Der Praxistest der ent-wickelten Verfahren mittels der Online-Signal-verarbeitungssoftware – integriert in die obenbeschriebene Monitoring-Einheit – und die an-schließende Optimierung der Verfahren sinddie nächsten wichtigen Meilensteine.

Universität Duisburg–Essen71

Abbildung 5: Monitoring-Einheit zur Narkoseüberwa-chung im Operationssaal.

KontaktProf. Dr. Hans-Dieter KochsInstitut für Informationstechnik

Tel.: 02 03/3 79-22 04

[email protected]

Dr. Gudrun Stockmanns

Tel.: 02 03/3 79-21 60

[email protected]

Dipl.-Ing. Daniela Lücke

Tel.: 02 03/3 79-36 20

[email protected]

ProjektpartnerProf. Dr. E. Kochs

Klinik für AnaesthesiologieKlinikum rechts der Isar Technische Universität München

Tel.: 0 89/41 40-42 91

[email protected]

Dr. Gerhard Schneider

Tel.: 0 89/41 40-2684

[email protected]

Dipl.-Math. D. Jordan

Tel.: 0 89/41 40-62 91

[email protected]

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Die Forschungsgruppe um Ralf Küppers vomInstitut für Zellbiologie in Essen interessiert sichbesonders für die so genannten B-Lymphozyten,die auch als B-Zellen bezeichnet werden. Dabeihandelt es sich um weiße Blutzellen, die auf dieProduktion von Antikörpern spezialisiert sind.

Antikörper sind Proteine, die gezielt an Fremdstoffen – zum Beispiel Krankheitser-regern – andocken und diese zerstören. Des-halb spielen B-Zellen eine sehr wichtige Rollebei der Bekämpfung von Infektionen. Darüberhinaus schützen sie den Körper vor Erkrankun-gen bei erneutem Kontakt mit einem Erreger,der bereits einmal erfolgreich bekämpft wurde.Dieses Phänomen ist allgemein als Immun-

schutz oder Immunität bekannt. B-Zellen fin-den sich nicht nur im Blut, sondern auch ingroßer Zahl in den Lymphknoten, der Milz, denRachenmandeln und anderen Organen des Im-munsystems.

Um Antikörper gegen praktisch alle möglichenFremdkörper bilden zu können, hat sich eineinzigartiger Mechanismus entwickelt: Die Geneder Antikörper liegen in unseren Chromosomenals zahlreiche kleine Teilstücke vor, die bei derEntwicklung einer B-Zelle im Knochenmark injeder Zelle individuell zusammengesetzt werden.Diesen Vorgang nennt man V-Gen-Umlagerung(Abb. 1). Dadurch wird jede B-Zelle mit einemeinzigartigen Antikörper ausgestattet; Tochter-zellen tragen nach einer Teilung den gleichenAntikörper.

Durch Vergleich der Antikörpergene verschie-dener B-Zellen kann also deren Verwandschafts-verhältnis bestimmt werden. B-Lymphozyten dergleichen Mutterzelle tragen deren Antikörper-gene, wogegen B-Zellen anderer Abstammungeben auch andere Antikörpergene aufweisen.Dieses Wissen kann genutzt werden, um dasVerhalten von B-Zellen im Verlauf einer Immun-reaktion zu untersuchen, aber auch, um B-Zellenzu charakterisieren, die zu Tumorzellen gewor-den sind.

Die guten ins TöpfchenSollen Zellen näher in Augenschein genommenwerden, die in bestimmten Zellverbänden imGewebe liegen oder die sehr selten sind, aberdurch so genannte Marker dargestellt werden

FORUM Forschung 2004/200572

prechstunde im Mikrokosmos

Technische Wege zu Untersuchungen an einzelnen Zellen

SDer Körper des Menschen ist ein komplizierter Bausatz. Er setzt sich aus ungefähr 70Billionen Einzelteilen zusammen: Zellen, zwischen 10 und 100 millionstel Metern klein,unterschiedlich in Form und Funktion, hoch spezialisiert und miteinander wechselwirkend.Manche regenerieren sich ständig, manche tun dies nicht. Treten in diesem MikrokosmosStörungen auf, wird der Mensch krank. Zur Erforschung vieler biologischer und bio-medizinischer Fragen ist es nötig, einzelne Zellen zu isolieren oder eine größere Zahlgleichartiger Zellen zu konzentrieren. Ziel derartiger Untersuchungen ist zum Beispielein besseres Verständnis von Krebserkrankungen. Forscher der Universität Duisburg-Essensind auf diesem Weg mit neuen Untersuchungsmethoden einen wesentlichen Schritt weitergekommen.

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Abbildung 1: Im Verlauf derB-Zellentwicklung findenUmlagerungsprozesse derAntikörpergene zur Bildungeines Antikörpers statt.Antikörper bestehen aus zweischweren und zwei leichtenKetten, die etwa die Formeines „Y“ annehmen. Gezeigtist exemplarisch die Umlage-rung einer Kappa-Leichtkette,bei der das V 2-Gensegmentan das J 2-Gensegmentumgelagert wird. Die reife B-Zelle prägt dementsprechendV 2-J 2-Leichtketten aus.

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können, wäre es ideal, diese Zellengezielt zu isolieren, um sie dannmolekular untersuchen zu können.Bereits vor einigen Jahren hat dieEssener Forschergruppe eine Metho-de entwickelt, um aus dünnen Ge-webeschnitten, die exakt eine Zell-lage dick sind, mit Hilfe feinsterGlaskapillaren einzelne Zellen zugewinnen. Unter dem Mikroskopwerden die etwa 10 MillionstelMeter kleinen Lymphozyten bei400-800facher Vergrößerung ausdem Zellverband gelöst und in ei-nem Plastikröhrchen für die weitereAnalyse gesammelt. Diese Methodenennt man Mikrodissektion.

Die gewonnenen Zellen werdenmit einer weiteren Kapillare auf-gesogen und für die folgende Un-tersuchung in ein Reagenzgefäßumgefüllt – eine mühsame Metho-de, die einiges manuelles Geschickerfordert. Inzwischen bieten aller-dings mehrere Hersteller Gerätean, die mit Hilfe von LaserenergieZellen aus Gewebeschnitten iso-lieren können. Bei dem heute verwendeten Typ(PALM, Bernried) wird zunächst das Gewebedirekt um die zu isolierende Zelle mit einemdünnen Laserstrahl entfernt (Abb. 2). In einemzweiten Schritt wird der Laserimpuls entwederunter der Zielzelle gebündelt oder auf einen klei-nen Gewebesteg gerichtet, den man im erstenSchritt stehen lassen kann. Durch die Energiewird die freigelegte Zelle nun hochkatapultiertund in einer Auffangvorrichtung für die weiteremolekulare Untersuchung gesammelt.

Kopien über KopienWenn genetische Eigenschaften einzelner Zellenuntersucht werden sollen, so stellt sich das großeProblem, dass die jeweiligen Gene nur in zwei –oder in bestimmten Fällen sogar nur in einer –Kopie(n) vorliegen: Eine vererbt vom Vater, dieandere von der Mutter. Zu wenig Ausgangsmate-rial, um zum Beispiel die Gensequenz, also dieAbfolge der Genbausteine, bestimmen zu kön-nen. Dazu muss der Genabschnitt zunächst deut-lich vermehrt werden – um das Einbillionenfa-che! Eine solche Vermehrung ist durch die sogenannte Polymerasekettenreaktion möglich ge-worden. Dabei werden bestimmte Reaktions-zyklen vielfach wiederholt; im Idealfall verdop-pelt sich die gewonnen Menge DNS bei jedemSchritt (Abb. 3). Die Methode ist extrem anfälligfür kleinste Verunreinigungen durch Fremd-DNS

und muss deshalb mit höchsterSorgfalt durchgeführt werden.

Dem Tumor auf der Spur

Das Hodgkin-Lymphom ist einebösartige Tumorerkrankung, diemeist in den Lymphknoten auf-tritt. Jedes Jahr erkranken etwa2000 Menschen in Deutschlandneu an diesem Tumor. Die Krank-heit weist eine bemerkenswerteBesonderheit auf: Die Zellen, dieschon lange als die eigentlichenKrebszellen dieser Erkrankungvermutet werden, machen nur einen kleinen Anteil aller Zellenim Tumorgewebe aus (meist weni-ger als 1%). Zudem haben diese sogenannten Hodgkin- und Reed-Sternberg (HRS)-Zellen eine Gestalt und ein Muster vonOberflächenmolekülen, die keineranderen Zelle im gesunden Kör-per entsprechen. Daher war dereigentliche Ursprung dieser Zel-len und sogar die Frage, ob dieHRS-Zellen tatsächlich die Tumor-

zellen des Hodgkin-Lymphoms darstellen, langeungeklärt.

Um zu klären, ob die HRS-Zellen möglicherwei-se von B-Zellen abstammen, haben die EssenerWissenschaftler in enger Kooperation mit derArbeitsgruppe von Prof. Martin-Leo Hansmann(Universität Frankfurt) und Prof. Klaus Rajewsky(früher Köln, jetzt Boston, USA) einzelne HRS-Zellen von mehreren Hodgkin-Patienten mit Hil-fe der Mikrodissektionsmethode isoliert. Nach Ver-mehrung durch die Polymerasekettenreaktionwurden die Proben auf das Vorliegen von Anti-körper-Genumlagerungen untersucht. Tatsächlichkonnten in fast allen untersuchten Fällen solcheGenumlagerungen identifiziert werden. Damitwar der Nachweis erbracht, dass die HRS-Zellenvon B-Lymphozyten abstammen.

Zudem entdeckten die Forscher um Ralf Küp-pers, dass die HRS-Zellen eines Patienten jeweils

Universität Duisburg–Essen73

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Abbildung 2: Laser-Mikro-dissektion einer HRS-Zelle(rot angefärbt). In a) ist derSchnitt vor Isolierung zusehen, in b) nach Freilegungder Zelle und in c) nachKatapultierung der Zelle in einen über den Schnittpositionierten Deckel (nichtzu sehen).

Abbildung 3: Mit derPolymerasekettenreaktionkönnen Abschnitte derErbsubstanz, der DNS,milliardenfach vermehrtwerden. Kurze DNS-Stücke,so genannte Oligonukleotide(kurze Pfeile), werden sogewählt, dass sie den Bereich,der vermehrt werden soll,f lankieren. Durch Zugabeeines Enzyms, das DNSsynthetisiert (einer so ge-nannten DNS-Polymerase),werden die an die Ziel-DNAgebundenen Oligonukleotideverlängert, und der DNS-Abschnitt wird so verdoppelt.

a

b

c

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identische Antikörper-Genumlagerungen tragen,was sie als Nachkommen einer einzigen entarte-ten B-Zelle charakterisiert. Somit haben dieseUntersuchungen auch endgültig nachgewiesen,dass die HRS-Zellen tatsächlich die Tumorzel-len des Hodgkin-Lymphoms sind.

Dieses Wissen ist von großer Bedeutung für einbesseres Verständnis dieser Krebserkrankung. Nunkann gezielt nach Unterschieden zwischen nor-malen B-Zellen und den HRS-Zellen gesuchtwerden, um nachzuvollziehen, wie es zur Ent-wicklung dieses Lymphoms kommt. Zudem kannmit der Mikrodissektionsmethode in HRS-Zellennach genetischen Schäden in Genen gesuchtwerden, die möglicherweise für die bösartigeEntartung der HRS-Zellen verantwortlich sind.

Leuchtende ZellenEine heute häufig genutzte Methode zur Er-fassung und Isolierung von Lymphozyten undanderen weißen Blutzellen ist die so genannteDurchflusszytometrie. Oberflächenmoleküle aufZellen können mit Antikörpern spezifisch mar-kiert werden. Die Antikörper wiederum lassensich mit Fluoreszenzmolekülen chemisch kop-peln (Abb. 4). In einem Durchflusszytometerleuchten die Fluoreszenzmoleküle in einem Laserstrahl auf; Zellen, die einen Antikörper gebunden haben, verraten sich also durch einLichtsignal, das von einer Messeinheit regis-triert wird. Zudem werden bei dem Messvor-gang auch Informationen über die Größe unddie Form der Zellen gewonnen.

Weiterentwickelte Durchflusszytometer könnenZellen nicht nur vermessen, sondern auch sor-tieren. Dabei werden Zellen, die zum Beispielfür einen bestimmten Marker positiv sind, nach

der Messung in kleine Flüssigkeitströpfcheneingeschlossen, die dann aus dem Hauptstromin Auffanggefäße abgelenkt werden. Auch klei-ne Untergruppen von Zellen lassen sich da-durch in hoher Reinheit für spezifische Unter-suchungen isolieren. Am Essener Institut fürZellbiologie stehen zwei derartige Sortiergerätezur Verfügung. Die Messung und Sortierungläuft so schnell ab, dass pro Stunde bis zu 10Millionen Zellen isoliert werden können.

Auch in FarbeAntikörper können mit verschiedenen Fluores-zenzfarbstoffen gekoppelt werden, die jeweilsin einer anderen Farbe aufleuchten. So lassensich Zellpopulationen mit einem ganzenCocktail von Antikörpern gleichzeitig anfär-ben, so dass eine sehr detaillierte Analyse ihres

Phänotyps möglich ist. Dabei können auch spe-zielle Subpopulationen erkannt werden, die sichdurch die Ausprägung einer bestimmten Kom-bination von Oberf lächenmarkern – also durchbestimmte Farbkombinationen – definieren.

Die Duisburg-Essener Forscher arbeiten zum Bei-spiel an der genauen Charakterisierung von B-Zell-Populationen aus dem peripheren Blut desMenschen und nutzen dabei die Durchflusszy-tometrie zur Charakterisierung dieser Zellen. Frü-here Untersuchungen haben ergeben, dass sichdie menschlichen B-Zellen im Blut durch Kom-bination von drei Oberf lächenmarkern in vierUntergruppen unterscheiden lassen. Die Markerhaben die Bezeichnung IgD, IgM und CD27.IgM und IgD sind zwei der insgesamt fünf Klassen von Antikörpern (neben ihnen gibt esnoch die Marker IgG, IgE und IgA). Bei CD27handelt es sich um einen so genannten Ober-f lächenrezeptor, der auf einigen Lymphozytenausgeprägt wird.

Traditionell wurde angenommen, dass IgM- undIgD-positive B-Zellen „naive“ B-Zellen sind, dieneu gebildet wurden und noch keinen Kontaktzu Fremdstoffen bzw. Krankheitserregern hatten.Demgegenüber gelten B-Zellen, die andere An-tikörperklassen ausprägen (also IgG-, IgE- oderIgA-positiv bzw. IgM- und IgD-negativ sind) alsGedächtnis-B-Zellen. Solche B-Zellen haben be-reits eine Immunreaktion durchlaufen und sindnun als langlebige Zellen an einem Immunschutzvor einer Neuerkrankung mit dem gleichen Er-reger beteiligt.

Durch die Dreifachfärbung mit IgM, IgD undCD27 konnte die Forschungsgruppe zeigen, dassdie IgM- und IgD-positiven B-Zellen nochmalsin zwei Untergruppen zerfallen: Solche, die

FORUM Forschung 2004/200574

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Abbildung 4: Zur durch-f lusszytometrischen Analysevon Zellen werden die Zellenmit Antikörpern verbunden,die spezifisch an bestimmteOberf lächenmoleküle auf denZellen binden. An die Anti-körper sind Fluoreszenzmole-küle gekoppelt, die unterLaserlicht auf leuchten (links).Die Zellen wandern in einemFlüssigkeitsstrom mit hoherGeschwindigkeit hintereinan-der durch eine Düse. Wennsie dabei einen Laserstrahlpassieren, leuchten die Zellen,die einen Fluoreszenz-markier-ten Antikörper gebundenhaben, auf. Dieses Signal wirdvon einem Detektor aufge-nommen und dann in einemComputer weiter verarbeitet(rechts).

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CD27-negativ, und solche, die CD27-positivsind.

Weiterführende Untersuchungen haben gezeigt,dass die CD27-positive Untergruppe Charakte-ristika von Gedächtnis-B-Zellen aufweist unddaher wahrscheinlich auch Gedächtnis-B-Zellenanstatt – wie bisher vermutet – „naive“ B-Zellenrepräsentiert. Da auch die IgG-, IgA- oder IgE-positiven Gedächtnis-B-Zellen CD27-positiv sind,scheint CD27 der erste allgemeine Marker fürGedächtnis-B-Zellen zu sein. Da es bei einer Rei-he von immunologischen Erkrankungen zu einerVerschiebung in der Zusammensetzung der B-Zell-Population im Blut kommt, kann die genaueTypisierung solcher Veränderungen neue Ein-blicke in die Krankheitsabläufe geben.

ZukunftsmusikMikrodissektionsme-thode und Durchfluss-zytometrie haben sichals wichtige Werkzeugein der Immunologie,Hämatologie und Pa-thologie erwiesen. Zur-zeit arbeitet eine Reihevon Wissenschaftler-gruppen an der Etab-lierung von Methoden,um aus mikrodissezier-ten Zellen auch diemRNS – die Boten-Nukleinsäure – zu untersuchen, die die von einer Zelle ausgeprägten Gene repräsentiert.Dies stellt eine große technische Herausforde-rung dar, weil die mRNS relativ instabil ist. Von einer detaillierten Charakterisierung derGen-Ausprägungsmuster werden wichtige neueEinblicke in die spezifischen Eigenschaften der Zellen erwartet. Dies wird nicht nur für die Untersuchung normaler Zellen bedeutsamsein, sondern auch bei Krebserkrankungen wiezum Beispiel dem Hodgkin-Lymphom wahr-scheinlich entscheidende neue Erkenntnisse liefern.

Wie gezeigt erlaubt die Durchflusszytometriedurch die Mehrfachfärbung eine detaillierte Ana-lyse der Zusammensetzung spezifischer Zellpo-pulationen. Dies ist im immunologischen Be-reich nicht nur für Untersuchungen zu denFunktionen spezifischer Zellpopulationen desgesunden Menschen wichtig. Hier sind in Zu-kunft auch Erkenntnisse über die Rolle definier-ter Zell-Subpopulationen bei Krankheiten – zumBeispiel bei Autoimmunerkrankungen – zu er-warten.

Universität Duisburg–Essen75

Ko n t a k tProf. Dr. Ralf Küppers

Abteilung Molekulare GenetikInstitut für Zellbiologie (Tumorforschung)

Universitätsklinikum Essen

Tel.: 02 01 / 7 23-33 84 oder -33 85 (Sekr.)

Fax: 02 01 / 7 23-33 86

[email protected]://www.uni-duisburg-essen.de/home/fb/ifz/startseite/de_index.shtml

ProjektpartnerProf. Dr. M.-L. Hansmann

Universität Frankfurt/Main

Abbildung 5: Humaneperiphere B-Zellen einesgesunden Blutspenderswurden mit vier Antikörpern(gegen IgM, IgD, CD27 undCD23) gefärbt, die jeweils mit einem anderen Fluores-zenzfarbstoff gekoppelt waren,und im Durchf lusszytometeranalysiert. Oben ist dieFärbung für IgM und CD27dargestellt. Die CD27-positi-ven Zellen (grün dargestellt)sind in der Abbildung untenrechts in ihrer Ausprägung für IgM und IgD gezeigt. ImHistogramm unten links istfür drei B-Zell-Subpopulatio-

nen jeweils die Stärke derAusprägung des Oberf lächen-moleküls CD23 zu sehen. Eswird deutlich, dass sich die„naiven“ B-Zellen, die IgM-,IgD-, CD27-positiven B-Zellenund die klassengewechseltenB-Zellen (IgM-, IgD-negativ)in der Ausprägung von CD23unterscheiden. Entlang der X- und der Y-Achse nimmtjeweils die Ausprägungsstärkeder untersuchten Markerexponentiell zu.

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Auf den ersten Blick gleichen Magnetofluideeiner dunklen Tinte: Eine tiefschwarze, merk-würdig zäh fließende Flüssigkeit. Das ändert sich,sobald ein einfacher Magnet in die Nähe dieserFlüssigkeit gebracht wird. Die schwarze Massewird von dem Magneten angezogen, kriecht da-bei Behälterwände hinauf und erscheint plötzlichstarr und unbeweglich. Bei stärkeren Magnetfel-dern bilden sich zudem seltsame sta-chelartige Strukturen heraus – eine finger-

hutgroße Menge Magnetofluid erscheint plötz-lich wie ein kleiner Igel (Abb. 1).

Dies ist im Wesentlichen eine Folge der magneti-schen Kräfte, die zwischen den Teilchen in einemMagnetofluid wirken. Die Flüssigkeit bestehtaus einer Vielzahl von kleinen magnetischenPartikeln – häufig Eisen oder Eisenoxid –, diein einem Medium wie zum Beispiel Wasseroder Petroleum aufgeschlämmt werden. Dieeinzelnen Partikel haben dabei einen Durch-messer von nur etwa fünf Nanometern. In einemMagnetfeld werden sie magnetisiert und prägenmit ihrem Verhalten das äußere Erscheinungs-bild der Flüssigkeit. Sie verleihen dem Magneto-f luid also nicht nur die dunkle Farbe, sondernsie sind es auch, die bewirken, dass es von einemMagneten überhaupt angezogen werden kann.

In einem starken Magnetfeld verhält sich dieFlüssigkeit ähnlich einer Portion Eisenfeilspäne.Um die Magnetpole herum bilden sich strahlen-förmige „Fäden“, die mit zunehmender Entfer-

nung zum Magneten auseinander fächernund damit den auseinan-

der strebendenFeldlinien

FORUM Forschung 2004/200576

on Igeln und HaifischenFlüssige Magnete in der Medizin

VMagnete begegnen uns täglich auf Schritt und Tritt: Als Zettelhalter am Schwarzen Brett,an Schranktüren, in der Zündung unserer Autos oder an den Bits unseres Akkuschraubers.Magnete kennen wir als feste, zumeist metallische Gegenstände, die andere Festkörper auszum Beispiel Eisen oder Nickel anziehen. Flüssige Magnete scheinen dieses traditionelleBild in Frage zu stellen. Tatsächlich aber beruht das zum Teil überraschende Verhaltender so genannten Magnetofluide auf den selben vertrauten Kräften. Ihre besonderen Eigen-schaften verleihen den Magnetofluiden nicht nur eine ganz eigene Ästhetik – sie qualifi-zieren sie auch für vielfältige neue Anwendungen im medizinischen Bereich.

Abbildung 1:Magnetof luid im

Magnetfeld. Am Poldes Magneten (oben)

bildet die magnetischeFlüssigkeit typische

strahlenförmige„Stacheln“ aus

(mit freundlicher Geneh-migung von Ars Electro-

nica Center: „ProtrudeFlow“ von S. Kodama

und N. Takeno).

Abbildung 2: Anschauliche Darstellung zur Struktureines Magnetof luids in einem magnetischen Feld.

Die Abstoßung zwischen benachbarten Magnetteil-chen bewirkt zusammen mit dem Einf luss der

Oberf lächenspannung die Bildung der typischen„Stacheln“ an der Oberf läche.

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folgen. Grund hierfür istdas Wechselspiel zwischenmagnetischer Anziehungund Abstoßung: DiePartikel werden vomMagneten angezogen,doch da sie gleichsin-nig gepolt sind, stoßen be-nachbarte Teilchen einander ab. Dadurch werden die charakteristischen Sta-cheln der Flüssigkeit gebildet. Die Oberflächen-spannung der Flüssigkeit sorgt als dritte Kraftdafür, dass direkt benachbarte Teilchen anei-nander „kleben“ und die Stacheln eine gewisseminimale Größe aufweisen (Abb. 2).

Nebenprodukt der RaumfahrtAbgesehen von ihrer Eignung für hübsche Ex-perimente und ästhetisch anspruchsvolle Prä-sentationen bieten Magnetofluide auch Ansatz-punkte für viele praktische Anwendungen. Siewurden ursprünglich für die Weltraumfor-schung entwickelt, um Flüssigkeiten in derSchwerelosigkeit beherrschbar zu machen. In-zwischen werden sie wegen ihrer besonderenmagnetischen Eigenschaften zum Beispiel inLautsprechern, als f lüssige Dichtungen, alsSchmierstoffe für hoch beanspruchte Lager, fürelektromagnetische Pumpen und zum Bau spe-zieller Sensoren eingesetzt.

Auch im Bereich der medizinischen Diagnostikund Therapie eröffnen Magnetofluide interes-sante Möglichkeiten, die überwiegend erst an-satzweise erschlossen sind. Eine ebenso einfachewie faszinierende Idee ist etwa die lokale Anrei-cherung und gezielte Freisetzung eines Medika-mentes unter Verwendung von Magnetfeldern:Pharmazeutische Wirkstoffe werden in Nano-kapseln eingeschlossen, die an ihrer Oberf lächemit den magnetischen Teilen des Magnetofluidsbelegt sind. Injiziert man diese Kapseln in dieBlutbahn, so kann man sie durch das Anlegeneines äußeren Magnetfelds in einem gewünsch-ten Bereich des Körpers anreichern (Abb. 3).Nach mehreren Passagen durch die Blutbahnerreicht man, dass immer mehr Nanokapselnund damit auch immer mehr Wirkstoff an der ge-wünschten Stelle „hängen“ bleiben. Durch dieseMethode kann die Dosis des Wirkstoffs deutlichverkleinert werden, das Risiko unerwünschterNebenwirkungen sinkt. Dem kommt außerdementgegen, dass die hier eingesetzten Magneto-f luide aus gut verträglichen Komponenten wiezum Beispiel Eisenoxid und Wasser bestehen.Diese können im Körper des Patienten entwederleicht abgebaut oder selber wieder magnetischentfernt werden.

Temperatur gegen TumoreEin anderer viel versprechender Ansatz ist dieVerwendung von Magnetofluiden für die Hoch-temperaturbehandlung (Hyperthermie) in derKrebstherapie. Dabei werden die magnetischenPartikel zunächst gezielt in das Tumorgewebeeingelagert. Anschließend wird ein magneti-sches Wechselfeld angelegt, bei dem die Polungdes Magneten laufend mit hoher Frequenz umge-schaltet wird (Abb. 4). Das blitzschnelle Hin- undHerschalten erzwingt eine schnelle Bewegungder Teilchen, die – ähnlich wie in einem Mikro-wellenherd – zu einer deutlichen Erwärmung desumgebenden Gewebes führt. Auf diese Weisekann Tumorgewebe gezielt überhitzt und zer-stört werden.

Zunehmende Bedeutung gewinnen Magneto-f luide auch in der Diagnostik. Die gesamte Me-thode der Kernspintomographie (oder MagneticResonance Imaging, kurz MRI) beruht schließ-

Universität Duisburg–Essen77

Abbildung 4: Anwendung von Magnetof luidenzur lokalen Überhitzung von Tumorgewebe(Hyperthermie). Ein magnetisches Wechselfeldzwingt die im Tumor angereicherten Partikel desMagnetof luids zu ständiger Bewegung, wodurchWärme erzeugt wird.

Abbildung 3: SchematischeDarstellung der lokalenWirkstoffanwendung mitmagnetisch markiertenNanokapseln. Die Kapseln(rechts) enthalten denWirkstoff und sind an ihrerOberf läche mit den Teilcheneines Magnetof luids beschich-tet. Durch äußere Einwirkungeines Magnetfelds (links)können die Kapseln imZielgewebe angereichertwerden.

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lich darauf, dass bestimmte Atomkernespektroskopisch erkannt und in einemmagnetischen Feld lokalisiert werden

können. Ein Computer kanndann aus diesen

Informationenein dreidimen-sionales Bild zusammenset -zen. Anders alsdie klassischeRöntgenunter-suchung kommtdiese Methodeohne energie-reiche Strahlungaus und ist deswegen be-sonders scho-nend für den Patienten.

Da diese Methodeauf den magnetischen

Eigenschaften der Materieberuht, können Magnetofluide

damit schon in den geringstenMengen nachgewiesen werden.Sie eignen sich deshalb als idealesKontrastmittel für die Kernspin-

tomographie. Jedes magnetische Teilchen einesMagnetofluids verzerrt das magnetische Feld inseiner Umgebung in einer charakteristischenArt und Weise. Abbildung 5 zeigt eine typischeFeldverteilung in der Umgebung von fünf mag-netischen Nanopartikeln.

Der Dämpfung auf der SpurAm Institut für Chemie der Universität Duis-burg-Essen hat die Arbeitsgruppe um ChristianMayer nun rechnergestützte Verfahren ent-wickelt, um die Feldverteilung und die damit

verbundene Änderung eines Kernspin-Signals zusimulieren. Die Feldverteilung spiegelt sich imso genannten Frequenzspektrum des f lüssigenMediums wider, das bei der Kernspinresonanzzur Abbildung des Gewebes genutzt wird. DasFrequenzspektrum einer Flüssigkeit, die sich inder Umgebung von Magnetofluid-Partikeln be-findet, weist eine sehr typische Form auf, diean eine Haifischflosse erinnert (Abb. 6).

Bewegt sich nun ein Molekül durch dieses auf-fällig verzerrte Feld, so erfährt das Signal in derKernspintomographie eine sehr ausgeprägteDämpfung (Relaxation), die durch das in Duis-burg entwickelte Verfahren genau berechnetwerden kann. Die mit einer Diffusionsbewe-gung der Moleküle verbundene Änderung desFrequenzspektrums ist, abhängig von der Ge-schwindigkeit, in Abbildung 7 dargestellt.

Der praktische Nutzen dieser sehr theoretischenÜberlegung liegt in der Möglichkeit, beim Ein-satz von Magnetofluiden die Umgebung eineseinzelnen magnetischen Partikels zu markieren.Zudem bietet die Methode die Möglichkeit,Bewegungsvorgänge auf molekularer Ebene zuuntersuchen. Durch einfache Auswertung derLinienform kann direkt das Diffusionsverhaltenin der Umgebung des magnetischen Partikelsbeobachtet werden. So lassen sich zum Beispielgroße von kleinen Molekülen unterscheidenoder die Fließeigenschaften des f lüssigen Um-gebungsmediums messen.

Abbildung 8 zeigt als Beispiel eine Messung anGlyzerin bei zwei verschiedenen Temperaturen.Die Frequenzspektren, die bei +25° und –30°Celsius aufgenommen wurden, unterscheidensich deutlich in ihrer Linienbreite (Abb. 8links). Mit Hilfe der erwähnten Simulations-methode können die gemessenen Spektren reproduziert werden (Abb. 8 rechts), wobeiman genaue und zuverlässige Informationen

über die Beweglich-keit der Glyzerinmo-leküle erhält. Dies gilt für rein statisti-sche Bewegungen wiedie Diffusion ebensowie für def inierte und komplexe Bewe-gungsmechanismen,die zum Beispiel dieOrganellen einer le-benden Zelle odermembrangebundeneProteine kennzeich-nen.

FORUM Forschung 2004/200578

Abbildung 5: Verteilung der Feldstärke in derUmgebung von fünf Partikeln eines Magneto-f luids in einem äußeren Magnetfeld H.

Abbildung 6: Frequenzspektrum inForm einer Haifischf losse, das sich

aus der Überlagerung der Anteilevon konzentrischen Kugelschalen

um ein magnetisches Partikel ergibt.

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Successful solutions

with

no

artificial

ingredients.

We call it the essence of innovation.

unlocking possibilities

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Bilder aus der ZelleFür den Einsatz dieser Methode im medizini-schen Bereich ist die Integration der Magneto-f luid-Partikel in bestimmte Bauelemente einerZelle von großer Bedeutung. Die Feldverzerrungim Kernspin-Signal sollte möglichst definiert inder Umgebung einer Zelle erfolgen, so dass dasErgebnis als Resultat eines Bewegungsvorgangsinnerhalb der Zelle interpretiert werden kann.Dies wäre also eine Art von Kernspinresonanzauf mikroskopischer Ebene, mit der Strukturenund Bewegungen untersucht werden könnten,die sich im Zellinneren in einer Größenord-nung von tausendstel Millimetern abspielen.

Dazu müssten zunächst magnetische Partikelan vordefinierten Stellen einer lebenden Zelleangebracht werden können. Im Rahmen desSonderforschungsbereiches 445 hat die Univer-sität Duisburg-Essen hierzu Vorversuche unter-nommen, die die Integrationsfähigkeit magneti-scher Partikel in eine Zellmembran belegen.

Abbildung 9 zeigt magnetische Teil-chen mit einem Durchmesser von 6Nanometern. Sie sind in eine Schichteingelagert, die in ihrem chemischenAufbau und ihrer übergeordnetenStruktur der Membran einer Zellegleicht.

Die Teilchen liegen innerhalb derSchicht in einer Ebene, sind dort leichtbeweglich und lassen sich durch einvon außen angelegtes Magnetfeld in re-gelmäßigen Strukturen anordnen. Einesolche Anordnung ruft innerhalb derZelle eine definierte Verzerrung derFeldstärke hervor, die die Bewegungs-vorgänge in der Zelle sichtbar machenwürde. Möglicherweise ist dies ein ersterSchritt zu einer Methode, mit der einesTages Vorgänge in lebenden Zellen be-obachtet werden könnten. Auch wenn

die Bildgebung dabei nur in einer sehr primitivenForm möglich wäre, eröffnet dieser Ansatz dochvöllig neue Perspektiven bei der Aufklärung vonintrazellulären Diffusions- und Bewegungspro-zessen.

FORUM Forschung 2004/200580

Abbildung 7: Veränderung des Frequenzspektrums von Molekülen in der Umgebungmagnetischer Teilchen bei unterschiedlich schneller statistischer Bewegung (Diffusion).

Abbildung 8: Gemessene (links) und errechnete (rechts) Frequenz-spektren für Glyzerin in Gegenwart eines Magnetof luids. Aus den Simulationsrechnungen lassen sich genaue Kennwerte für die molekulareBewegung des Glyzerins gewinnen.

Abbildung 9: Elektronenmikroskopische Auf-nahme von magnetischen Teilchen mit einemDurchmesser von 6 Nanometern in einer Schicht,die in ihrer chemischen Zusammensetzung einerZellmembran gleicht. Die Teilchen sind innerhalbder Schicht beweglich und können im Magnet-feld regelmäßige Strukturen bilden.

Ko n t a k tProf. Dr. Christian Mayer

Physikalische Chemie

Tel.: 02 03/3 79-33 17Fax: 02 03/3 79-35 22

[email protected]

http://relaxation.uni-duisburg.de/main.html

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Die Modellentwicklung durchläuft dabei übli-cherweise mehrere Verfahrensschritte:• Am Anfang steht die computerunterstützte

Segmentierung der relevanten Körperbereiche(zum Beispiel der Organe und ihres Aufbaus)teilweise am Bildschirm per Hand und teil-weise mit automatischen Segmentierungsme-thoden der digitalen Bildverarbeitung.

• In einem zweiten Schritt folgt basierend auf denSegmentierungsergebnissen die Generierungvon Oberflächennetzen. Ein Oberflächennetzist eine vereinfachte Darstellung in Form einerGitterstruktur, wie man sie auch von Grafik-programmen des heimischen PC kennt.

• In der dritten Stufe werden die umschrie-benen Organvolumina mit dreidimensiona-len Gitterstrukturen gefüllt, um nicht nurdie Oberf lächen, sondern auch den Inhaltder Struktur zu beschreiben.

• Am Ende steht schließlich in einem letztenSchritt die eigentliche Computersimulationder physikalischen und chemischen Prozesse.

Dieses Verfahren birgt jedoch mehrere gravieren-de Nachteile. Vor allem der zweite und dritteSchritt sind für komplizierte reale Gebiete immernoch nicht ohne intensive ärztliche Hilfestellungdurchzuführen. Die dreidimensionalen Gitter ausder Gittergenerierung sind typischerweise unstruk-turiert und erlauben kaum eine Realisierung wirk-lich schneller Simulationsalgorithmen. Insbeson-dere sind effiziente Mehrgitterverfahren zunächstnicht einsetzbar. Eine individuelle Simulation istsomit kaum möglich. Die Aufbereitung von Bild-daten für eine Simulation dauert oft Wochen.

Nachteile vermeidenNeue Methoden, wie sie durch die DuisburgerMathematikarbeitsgruppe von Martin Rumpfvor allem in Zusammenarbeit mit einer anderenGruppe um Stefan Sauter in Zürich entwickelt

werden, ermöglichen die konsequente Vermei-dung der genannten Nachteile. Hierbei werdenvorbereitende Verfahren der mathematischenBildverarbeitung mit neuen Finite Elemente-Methoden zur Simulation kombiniert. FiniteElemente-Methoden sind generell solche, beidenen die physikalischen Größen wie zum Bei-spiel Temperatur oder Deformation aus räumlicheingegrenzten, einfachen Funktionen zusammen-gesetzt werden (vgl. Info-Kasten „Problemange-passte Finite Elemente-Methoden“). BesondereMerkmale dieses Vorgehens sind die Verwendungeinfacher Würfelgitter sowie der völlige Verzichtauf eine Generierung von Oberf lächennetzenund eine dreidimensionale Vernetzung dieserGitter wie in der zweiten und dritten Stufe derherkömmlichen Simulationsverfahren.

Stattdessen werden lokal an den Rändern vonanatomischen Strukturen – wie zum Beispiel vonKnochen und Organen – dem physikalischenProblem angepasste Finite Elemente-Basisfunk-tionen konstruiert. Probleme mit mehreren Ska-len werden auch als solche in der Simulationdirekt abgebildet. Der Einsatz von so genanntenMehrgittermethoden erlaubt sehr effiziente Si-mulationen. Es können dabei sehr einfach Fini-te Elemente-Gitter verwendet werden, die dortfein sind, wo es interessante Effekte aufzulösengilt, und grob dort, wo wenig geschieht.

ModellbeispieleDieser neue Ansatz soll anhand von zwei Beispie-len näher vorgestellt werden. Bei einer bestimm-ten Lebertumortherapie wird Tumorgewebe durcheine Hochfrequenzsonde sehr stark aufgeheiztund zerstört. Neben der Temperaturdiffusionim Gewebe kommt es aber durch die Dränage-systeme der Leber – also durch Arterien, Venenund Gallengänge – auch zu einem entscheiden-

FORUM Forschung 2004/200582

erechenbare TherapienMathematische Simulationsmodelle

zur BehandlungsplanungDie zuverlässige Planung medizinischer Eingriffe ist bei immer raffinierteren, zunehmendminimalinvasiven Operations- und Therapiemethoden entscheidend für den Erfolg derBehandlung. Eines der Ziele ist dabei die individuell auf den Patienten abgestimmte Simu-lation von Prozessen in dessen Körper im Verlauf einer bestimmten Behandlung. Dazuist es zunächst erforderlich, Knochen, Muskeln und vor allem innere Organe exakt in ihrerGeometrie und in ihrem Aufbau zu erfassen und die relevanten physikalischen Parameterzu ermitteln. Zugeschnitten auf die physikalischen und auch chemischen Prozesse kannman dann versuchen, ein mathematisches Modell aufzubauen und schließlich mit Simu-lationsmethoden dieses auf einem Rechner umzusetzen.

B

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Die Konstruktion problemangepasster Basisfunktionen ist dasKernstück des neuen Ansatzes. Hat man es zum Beispiel (wiein Abb. 1) in zwei Dimensionen grob skizziert mit zwei unter-schiedlich wärmeleitenden Gewebetypen zu tun (im grün mar-kierten Bereich ist die Leitfähigkeit deutlich höher als im gel-ben Bereich), so erwartet man eine zeitlich sich veränderndeWärmeverteilung, die diese Leitfähigkeiten widerspiegelt.

Insbesondere weiß man, dass die Wärmeverteilung auf Schnit-ten über die Gebietsränder hinweg durch bestimmte Knickecharakterisiert ist. Man wählt nun ein beliebiges Finite-Element-Gitter, welches zunächst die Zerlegung des Gebiets gar nichtberücksichtigt, und betrachtet darauf einen klassischen Finite-Elemente-Ansatz.

In der Nähe von inneren Schnittf lächen, also dort, wo dieLeitfähigkeiten springen, passt man nun die Feingitter-Basis-funktionen der Problemstellung an – das heißt, man „baut“Basisfunktionen (vgl. Schnitte in Abb. 1), welche die charak-teristischen Knicke aufweisen, die man auch für die gesuchteWärmeverteilung erwartet. Aus diesen Feingitterbasisfunktionenkann man nun eine Hierarchie von Basisfunktionen ableiten,die alle problemangepasst sind und eine effiziente Berechnungder Lösung mit Mehrgitterverfahren erlauben. In Abbildung 1ist eine solche Grobgitter-Basisfunktion im Schnitt zu sehen,die über mehrere innere Schichtgrenzen hinweggeht. DieserKonstruktionsansatz ist nicht nur für skalare Größen wie eineWärmeverteilung, sondern auch für vektorwertige Größen wieelastische Deformationen möglich.

Die typischen Gitter, mit denen man so effizient auch kom-plexe Geometrien wie die Leber oder Wirbelknochen auflösenkann, sind zur Zeit solche aus 255x255x255 Würfelzellen unddamit circa 16 Millionen Freiheitsgraden für die diskrete Wärme-verteilung. Mit fortschreitender Auflösung der medizinischenBilddaten wird man aber bald Probleme mit bis zu einer Mil-liarde Unbekannten handhaben können.

Problemangepasste Finite Elemente-Methoden

Abbildung 1: Simulation von Gewebe mit unterschiedlicher Wärme-leitung (links). Rechts oben und unten Schnittdarstellung von Feingit-ter- und Grobgitter-Basisfunktionen.

Abbildung 3: Elastische Deformation einer realen Probe aus einem Schafknochen (links). Überhöhte Darstellung einer Scherung (Mitte) undeiner Torsion (rechts) mit farblicher Darstellung der Spannungsverteilung auf der Oberf läche der Knochenmikrostruktur (Knochengeometrie: In-stitut für Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik, Universitätsklinikum Ulm).

Abbildung 2: Zeitliche Entwicklung der Temperaturverteilung nacheiner starken Aufheizung (links in rot zu sehen) auf Schnitten durchein Lebermodell (rechts).

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den Temperaturtransport, der die erfolgreicheZerstörung von Tumorgewebe vor allem in derNähe von Gefäßsystemen negativ beeinf lusst.Auch hier soll auf einer durch Bilddaten aufge-lösten Feinstruktur eine valide Simulation ver-schiedener Therapie-Szenarien durchgeführt (vgl.Info-Kasten „Therapieplanung bei Leberkarzino-men“) und effizient simuliert werden.

Hieraus erhofft man sich Rückschlüsse, ob bei ei-nem bestimmten Therapie-Szenario der Tumorvollständig zerstört werden kann, wie dazu dieSonde oder auch mehrere Sonden zu platzierensind und ob – und wenn ja: welche – Blutgefäßezeitweise abgeklemmt werden müssen. Vor allemdie letzte Frage ist häufig von entscheidender Be-deutung, da der Wärmeabtransport über das Ge-fäßsystem zu einer Kühlung auch von Tumor-gewebe nahe von Gefäßwänden führt, so dass diekritische Temperatur nicht erreicht wird.

Um die elastischen Eigenschaften und dasBruchrisiko von osteoporotischen Wirbelsäu-lenknochen analysieren zu können, gilt es, denKnochen nicht als homogenen Körper zu inter-pretieren, sondern die gesamte Feinstruktur imKnocheninnern in Simulationsrechnungen zuberücksichtigen (vgl. Info-Kasten „Risikoab-schätzung bei Osteoporose“). Gerade beikrankhaften Degenerationserscheinungen wieder Osteoporose ist dies von entscheidenderBedeutung. Auch hier erlauben moderne FiniteElemente-Methoden, die in der Lage sind, dieMikrostruktur des Knochens aufzulösen, effek-tive und schnelle Rechnungen. Mit fortschrei-tender Technik der Bildgebung wird es in weni-gen Jahren möglich sein, in vivo, also direkt imKörper des Patienten, Bilddaten zu sammelnund individuelle Risikoabschätzungen aufzu-stellen. Auf deren Grundlage können dann fun-diert Therapien ausgearbeitet werden.

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Bei vielen Tumorerkrankungen – vor allem in der Leber,Lunge und den Nieren sowie bei Knochenkarzinomen – erlaubt die Diagnose oft keine chirurgische Entfernung der Geschwulst aufgrund ihrer Größe oder wegen des All-gemeinzustands des Patienten. Hier wurden lokale und mi-nimalinvasive Techniken als alternative Behandlungsformenentwickelt. Bei der Behandlung mit einer so genanntenTemperaturablation versucht man, das Tumorgewebe durchein lokales Aufheizen des Gewebes zu zerstören. Hierzukann man fokussierten Ultraschall oder einen Laser verwen-den. Eine weitere sehr effektive Möglichkeit ist das Einfüh-ren einer Hochfrequenz-Radio-Sonde in den Körper. Dabeiwird das Gewebe mit einer induzierten hohen Stromdichtebis auf Temperaturen von circa 100° C aufgeheizt. Wo inder Umgebung der Sonde welche Temperaturen ereichtwerden, hängt von sehr vielen physikalischen und chemi-schen Effekten ab:• Nur feuchtes Gewebe leitet den Strom hinreichend gut;

andererseits werden aber durch die eingebrachte Wärmeweite Teile des Gewebes ausgetrocknet.

• Es ist vor allem der sich bildende Dampf, der bei Kon-densation an anderen Stellen zu starker Aufheizungführt.

• Durch die Erhitzung koaguliert Eiweiß und ändert damitseine physikalischen Eigenschaften.

• Vor allem Organe wie die Leber sind durchzogen vonGefäßsystemen wie Arterien, Venen und Gallengängen.Als Reaktion auf die Überwärmung versucht der Körper,durch erhöhten Durchfluss durch diese Gefäße Wärme abzu-leiten. Dies beeinträchtigt unter Umständen entscheidend denTherapieerfolg.

Im Interesse des Patienten muss bei einem solchen Eingriff sichergestellt werden, dass der Tumor vollständig zerstört wird.Dazu muss im gesamten Tumorgewebe eine kritische Tempera-

tur überschritten werden. Es ist heute nicht möglich, währendder Therapie den Erfolg verlässlich von außen zu überprüfen.Deshalb ist eine effektive und effiziente Simulation von großerBedeutung. Hier eröffnet sich für die Mathematik in der Mo-dellierung und bei der Entwicklung von Algorithmen ein viel-fältiges und spannendes Arbeitsfeld.

Therapie-Planung bei Leberkarzinomen

Abbildung 4: Abgebildet ist ein Tumor (rot) in der Leber, in den dreiHochfrequenzsonden eingeführt sind. Eine transparent dargestellteIsof läche der Temperatur zeigt den Bereich der Leber, in dem eine kriti-sche Temperatur während der Behandlung überschritten wird(Quelle: MEVIS Planungsumgebung, Bremen).

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Arbeiten im NetzwerkMathematik ist bei der Entwicklung von Mo-dellen für komplexe Prozesse im menschlichenKörper ein unerlässliches Werkzeug. Erst moder-ne numerische Methoden erlauben zunehmenddie effektive und effiziente Simulation solcherModelle zur zukünftigen Planung von Thera-pien. Solche Arbeiten sind aber nur im Netz-werk mit anderen Disziplinen – vor allem derMedizin und unter anderem auch der Biome-chanik – und anderen Mathematikern möglich.Die Arbeitsgruppen von Martin Rumpf undStefan Sauter arbeiten hier eng zusammen mitHans-Joachim Wilke und Peter Augat vom Un-fallchirurgischen Forschungsinstitut der Univer-sität Ulm, Bernhard Meyer und Carlo Schaller

von der Universitätsklinik Bonn und Heinz-OttoPeitgen vom Forschungsinstitut MEVIS in Bre-men sowie Dietmar Kröner aus Freiburg.

Universität Duisburg–Essen85

Ko n t a k tProf. Dr. Martin Rumpf

Fachgebiet Numerische Mathematik

und Wissenschaftliches Rechnen

Tel.: 02 03/3 79-29 14

Fax: 02 03/3 79-13 23

[email protected]

http://numerik.math.uni-duisburg.de/

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Dekade vomJahr 2000 bis zum Jahr 2010 der Verbesserung von Diagnose-und Behandlungsverfahren von Krankheiten des muskulo-ske-letalen Systems gewidmet. Insbesondere osteoporotischer Kno-chenschwund und das dabei erhöhte Risiko einer Knochen-fraktur ist ein ernst zu nehmendes Problem in unsereralternden Gesellschaft. Von Osteoporose Betroffene leiden un-ter einer Verminderung der Knochendichte und einer fort-schreitenden Qualitätsminderung der Knochensubstanz, oftbegleitet von einer schmerzhaften Schwächung des Skelettsund einer hohen Anfälligkeit für Knochenbrüche. Besondersbetroffen ist auch die Wirbelsäule. Rund ein Drittel der Frauenzwischen 60 und 70 Jahren und sogar zwei Drittel der Frauenüber 80 leiden unter dieser Krankheit. Die Diagnose von Os-teoporose beruht bislang auf einer Bestimmung der Knochen-masse unter Verwendung von Röntgenstrahlen.

Wünschenswert wäre eine individuelle Prognose des Risikos füreinen Bruch. Ein solches Risiko hängt aber von der Zusam-

mensetzung des Knochenmaterials selbst und vor allem vominneren architektonischen Aufbau des Knochens ab. Die heuti-gen Methoden zur Schätzung eines osteoporotischen Fraktur-risikos berücksichtigen diese strukturellen und architektoni-schen Eigenschaften jedoch nicht oder nur unzureichend. DieZusammensetzung eines menschlichen Knochens, wie zumBeispiel eines Rückenwirbels, ist durch einen relativ harten äu-ßeren Mantel (Compacta) und einen weichen, mikrostruktu-rierten, schwammartigen inneren Anteil (Spongiosa) gekenn-zeichnet. Heute ist es möglich, mit modernen bildgebendenVerfahren – zurzeit noch in vitro, bald aber wohl auch in vivo– die dreidimensionale Struktur des komplexen Knochenauf-baus zu erfassen. Eine herausfordernde Aufgabe für die Mathe-matik ist es nun, mit modernen Methoden eine effiziente undzuverlässige Simulation der Elastizität solcher Knochenstruktu-ren sicherzustellen. Dies wird dann eine bessere Risikoabschät-zung ermöglichen und damit den Arzt bei der Wahl des Zeit-punkts für einen therapeutischen Eingriff und in derEntscheidung für eine bestimmte Therapieform unterstützen.

Risikoabschätzung bei Osteoporose

Abbildung 5: Zwei Schnitte einer Mikro-CT-Aufnahme eines menschlichen Wirbelknochens, die deutlich die Mikrostruktur des Knochen-aufbaus zeigen (Quelle: Neurochirurgische Klinik, Universität Bonn). Rechts daneben Geometrie des Knochenaufbaus an Hand einer kleinen Probe(Quelle: Institut für Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik, Universitätsklinikum Ulm).

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Die Erforschung des Gehirns weist mancheÄhnlichkeiten mit einer Expedition in ein un-bekanntes Land auf. Hier wie dort habendie Reisenden die vormalige „terraincognita“ kartographiert. EinErgebnis ist die so genanntesomatotope Ordnung des

Hirnmantels, die einembestimmten oberf lächlichenHirnareal eine bestimmte Funktionzuweist. In Abbildung 1 ist diese Funk-tionslandschaft näherungsweise abgebildet unddurchnummeriert. Die Ziffern beziehen sich aufdie histologischen Untersuchungen von Korbi-nian Brodman (1868-1916) – daher spricht manbei den einzelnen Gebieten auch von Brod-man-Arealen (BA).

Der Bereich, der Kraft und Sensibilität der Ex-tremitäten in der jeweils gegenüberliegendenKörperhälfte steuert, heißt Zentralregion. Diesesauch als sensomotorischer Kortex bezeichneteAreal ist durch die Ziffern 1, 2 und 3 gekenn-zeichnet. Es lässt sich leicht vorstellen, dass einTumor durch Verdrängung oder Zerstörungdieser Zentralregion deren Funktion stark be-einträchtigen kann.

Im Prozess der Behandlung einer solchen Er-krankung gilt es, bereits vor der chirurgischenEntfernung des Tumors mehr Informationenüber die Lagebeziehung zwischen Tumor und

Zentralregion zu erhalten. Mit dem Verfahrender funktionellen Magnetresonanztomo-graphie ist es heute möglich, die Funk-

tionszentren des Gehirns auf für den Patienten schonende

Weise darzustellen. Dabeiwird die Veränderung derSauerstoffsättigung imGewebe aktiver Hirn-areale sichtbar ge-macht. Die speziellefMRT-Sequenz wird

auch als BOLD (bloodoxygen level dependent) -Sequenz

bezeichnet.

Höherer SauerstoffverbrauchUm die Funktionszentren des Gehirns mit derfunktionellen Magnetresonanztomographie sicht-bar zu machen, muss der Patient ein spezifi-sches Funktionsmuster – ein so genanntes Pa-radigma – aktiv auslösen. So erkennt der Arztim fMRT zum Beispiel erst dann das Sprach-zentrum, wenn der Patient es bei der Untersu-chung durch Lesen oder durch das Bilden vonSynonymen aktiviert. Denn der Sauerstoff-verbrauch nimmt in dem aktiven Areal erkenn-bar zu und lässt sich optisch darstellen. Gleichesgilt für die Zentralregion, die etwa bei be-wussten Fingerbewegungen des Kranken sicht-bar wird.

Ein solches Funktionsmuster, das ein bewusstesZutun des Patienten erfordert, wird aktives Para-digma genannt. Allerdings müssen zu seinerDurchführung motorische Fähigkeiten des Pa-tienten erhalten geblieben sein – eine Vorausset-

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tromstöße alsNavigationshilfe

Neue Impulse für Diagnose und Behandlung von Hirntumoren

SDie Behandlung von Hirntumoren stellt Arzt und Patient oft vor schwere Entscheidungen,da die Entfernung der Geschwulst unmittelbaren Einfluss auf Lebensqualität und -erwartungdes Erkrankten haben kann. Von entscheidender Bedeutung sind oft die Lage des Tumorszu benachbarten wichtigen Hirnarealen, seine Größe und die Art seines Wachstums. Zurmöglichst genauen Positionsbestimmung wird heute vermehrt die so genannte funktio-nelle Magnetresonanztomographie (fMRT) eingesetzt (siehe auch den Beitrag „Wenn jedeSekunde zählt ...“). Bei dieser Untersuchung ist normalerweise die aktive Mitarbeit desErkrankten erforderlich. Was aber, wenn der Patient dazu aus gesundheitlichen Gründenbereits nicht mehr in der Lage ist?

Abbildung 1: Vereinfachte Darstellung der Hirnfunktions-zentren und der Brodmann-Areale. Die Zentralregion, auch

als primärer sensomotorischer Kortex bezeichnet, ist durch die Ziffern 1, 2 und 3 gekennzeichnet.

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Abbildung 2: Blockschaltplan der technischen Einzelkomponenten.Die Generatorfunktion wird mitu=f(t) beschrieben. Die elektro-magnetische Abschirmung dergesamten stromführenden Leiterdurch Erdung gewährleistet Sicher-heit und eine störungsfreie Daten-erhebung.

zung, die nur sehr selten gegeben ist. Oft sindPatienten mit Hirntumoren nämlich halbseitiggelähmt oder haben ein getrübtes Bewusstsein.

Da der Funktionserhalt der Zentralregion je-doch essentiell für die Lebensqualität ist, hat dieVisualisierung dieses Funktionszentrums außer-ordentliche Bedeutung für den Erfolg einerOperation. Was also kann getan werden? DieLösung wäre ein passives Paradigma – also einVerfahren, das ohne die Mitarbeit des Erkrank-ten auskommt –, durch das ausnahmslos alleTumorpatienten in den Genuss einer verbes-serten Operationsplanung und -durchführungkämen.

Neurochirurgen der Universität Duisburg-Essenist nun in enger Kooperation mit Radiologenund Ingenieuren mit der Spezialisierung Mess-und Regelungstechnik die Entwicklung eines sol-chen Verfahrens gelungen. Neben den bereitsbeschriebenen Vorteilen ermöglicht es zusätz-lich noch die Funktionsanalyse der Zentralregionvon Patienten bei Operationen in Vollnarkose.Das Paradigma beruht auf der Einleitung einesdefinierten elektrischen Reizes am Hand- undFußgelenk des Patienten. Die durch diesen Reizverursachte Aktivitätssteigerung in dem zuge-ordneten Areal der Zentralregion wird anschlie-ßend unter Nutzung des BOLD-Effektes optischdargestellt.

Aufwändige AbschirmungEin besonderes Problem liegt bei diesem Verfah-ren allerdings in der Auslösung des notwendigenReizes durch Strom. Denn dabei entsteht un-weigerlich ein eigenes elektromagnetisches Feld,das die Ergebnisse der Magnetresonanztomo-graphie verzerren würde. Deshalb ist eine auf-wändige Abschirmung erforderlich. Besonders

hervorzuheben sind eine speziell angefertigteElektrodenabschirmung sowie ein masseabge-schirmter Koaxialleiter, der den elektrischen Reiz-impuls vom Generator zum Patienten leitet.

Oberflächenelektroden, die am Hand- und Fuß-gelenk des Patienten angebracht sind und demzu untersuchenden Hirnareal gegenüberliegen,stellen die Reizkopplung zum Nervus media-nus am Handgelenk und zum Nervus tibialisam Fußgelenk her. Abbildung 2 stellt die Kopp-lung zwischen Reizstromgenerator und Patientschematisch dar. Die Elektrode am Handgelenkmuss aufgrund ihrer Nähe zur Hochfrequenz-spule des MRT mit einer besonderen Abschirm-röhre isoliert werden.

Der zeitliche Ablauf des Paradigmas, die Reiz-amplitude und die Reizfrequenz wurden in einerVersuchsreihe mit 13 Personen bestimmt. Wie

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Abbildung 3: Oberf lächenelektrode zur Stimulation des Nervus medianus am Hand-gelenk (a). Die Abschirmungsröhre (b) (Kupferlegierung) wird zur Messung geschlossen.

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schon auf der Basis vontierexperimentellen Studienvermutet, erwies sich eineReizfrequenz von 3 Hertzals optimal. Als Reizampli-tude wurde der so genannteSchwellenwert festgesetzt –also die Reizintensität, beider eine Aktivierung dermotorischen Nervenfaserngerade eben beginnt.

Ferner wurde die Abfolgedes Paradigmas festgelegt.Sie beginnt mit der Da-tenerhebung in der Ruhe-phase, worauf sich ab-wechselnd vier Reiz- unddrei weitere Ruhephasenanschließen. Die fMRT-

Untersuchungszeit beträgt circa sechs Minuten.Danach folgt eine statistische Analyse der Da-ten, die auf einer Subtraktion der Datensätzeaus der Reizphase von denen der Ruhephaseberuht. Hirnareale, bei denen sich die Signal-intensität unter Reizung verändert, werden so-mit – je nach Anpassung der statistischenSchwellenwerte – sichtbar. Die Dateninhaltewerden anschließend mittels weiterer aufwändi-ger Softwareanalysen (für Experten: SPM99,mni2tal und Tailarach Daemon Client) in ihrerRichtigkeit bestätigt.

Beispiele aus der PraxisAuf die Probandenstudie, in der bei zwölf von13 Personen die Zentralregion eindeutig identi-fiziert wurde, folgte eine Untersuchung an Pa-tienten. Dabei wurden zwölf Patienten mit Hirn-tumoren vor dem operativen Eingriff mit demneuen Verfahren untersucht. Fünf von ihnenwurden nach dem Eingriff nochmals mittelsdieses Paradigmas analysiert. Mehr als die Hälftewäre aufgrund einer Halbseitenlähmung und derEinschränkung ihrer Wachheit nicht eigenstän-dig in der Lage gewesen, an einer konventionel-len fMRT-Untersuchung mit aktivem Paradigmateilzunehmen. In diesem Fall konnten bei denPatienten sogar zu 100 % vor der Operation dieZentralregion und ihre Lagebeziehung zum Hirn-tumor identifiziert werden.

Zwei Fallbeispiele mögen beispielhaft die Trag-weite des Verfahrens für den klinischen Einsatzbelegen:

• Ein 60jähriger Patient mit Nierenzellkarzinombemerkte eine isolierte Lähmung der rechtenHand. Die Magnetresonanztomographie

zeigte eine kleine Krebsmetastase in der Zen-tralregion. Unter Einsatz des neu entwickeltenpassiven Paradigmas verdeutlicht die funktio-nelle Magnetresonanztomographie die engeBeziehung zwischen Tumor und dem funktio-nellem Hirngewebe, das als Handareal bezeich-net wird (Abb. 4). Dies erklärte die isolierteSchwäche der Hand. Unter Kenntnis diesesBefundes folgte die operative Entfernung desbösartigen Tumors. Nach der Operation bil-dete sich die Lähmung zurück.

• Bei einem 36jährigen Patienten wuchs ein bös-artiger Hirntumor in enger Beziehung zurZentralregion. Der Erkrankte war vor derOperation halbseitig gelähmt. Die mit Hilfeder fMRT-Untersuchung gewonnenen Infor-mationen über die Lagebeziehung zwischendem zystischen Hirntumor und der Zentral-region (Abb. 5) führten zu einer Änderungdes ursprünglich geplanten Operationsweges.Dadurch gelang es, bei der Operation dieZentralregion unversehrt zu lassen. Nach derOperation war bei dem 36jährigen keineLähmung mehr nachweisbar. Eine späterefMRT-Analyse (Abb. 6) bestätigt den Funkti-onserhalt der Zentralregion (gelb); zudem istdie nach der Tumorentfernung entstandeneHöhle zu erkennen.

FORUM Forschung 2004/200588

Abbildung 5: Statistische Kartierung (Verfahren:SPM) der Aktivierung durch die simultaneelektrische Reizung des Nervus medianus undNervus tibialis bei einem Patienten (Fall 2) mit inder Zentralregion lokalisiertem bösartigen Hirntumor. Zeile I zeigt die niedrigauf lösendenfunktionellen MRT-Sequenzen in axialer, sagitta-ler und coronarer Schichtführung. In Zeile IIwurden die funktionellen Bildinformationen miteinem hochauf lösenden Datensatz fusioniert. Derursprünglich geplante operative Zugangsweg (a)wurde anhand dieser Untersuchung zwecksFunktionserhalt verändert (b).

Abbildung 6: Postoperative Untersuchung vonFall 2 mit erhaltenem sensomotorischen Kortex.Angrenzend ist die Tumorhöhle erkennbar.

Abbildung 4: StatistischeKartierung (Verfahren: SPM)der Aktivierung durch diesimultane elektrische Reizungdes Nervus medianus undNervus tibialis bei einemPatienten (Fall 1) mit imHandareal lokalisierter Metas-tase eines Nierenzellkarzi-noms (a). Das Handareal (b)liegt in unmittelbarer Nähedes Tumors. Das Fußareal istmit (c) gekennzeichnet. DieSkala rechts unten dokumen-tiert die relative Aktivierungs-intensität der Bildpunkte.

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Internationales PatentDas neue Verfahren stellt ein fundamentales,neuartiges passives Paradigma der funktionellenMagnetresonanztomographie dar, das auch beifunktionseingeschränkten oder narkotisierten Pa-tienten angewandt werden kann. Die sofortigeVerfügbarkeit der Bildinformation sowie diehohe Sensitivität und Selektivität dieser Unter-suchung für die Zentralregion machen den sinn-vollen klinischen Einsatz möglich.

Zudem wurde hiermit ein robustes und standar-disierbares Instrument für die wissenschaftlicheAnalyse der Zentralregion entwickelt. So wurdedas Verfahren bereits mit Erfolg zur neurowis-senschaftlichen Funktionsuntersuchung blinderMenschen angewandt. Die Methode stellt auchein grundlegendes Paradigma der Funktionsun-tersuchung in OP-gebundenen Magnetresonanz-tomographen dar.

Die Arbeitsgruppe der Universität Duisburg-Es-sen hat bereits erste Einsätze der intraoperativenFunktionsuntersuchung mit Erfolg absolviert.Mit dem Verfahren ist es somit erstmals möglich,auch während eines neurochirurgischen Eingriffsdie Zentralregion mittels der Magnetresonanz-tomographie optisch darzustellen. Weiterführen-de Untersuchungen sollen nun klären, ob undin welcher Form sich die Narkose auf die Un-tersuchungsmethode auswirkt.

Für die vorgestellte technische Abschirmung deselektrischen Reizes hat die Arbeitsgruppe eininternationales Patent angemeldet.

FORUM Forschung 2004/200590

Ko n t a k tDr. Thomas GasserProf. Dr. Dietmar Stolke

Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie

Universitätsklinikum Essen

Tel.: 02 01/7 23-12 01

Fax: 02 01/7 23-59 09

[email protected]

www.uni-essen.de/neurochirurgie

ProjektpartnerProf. Dr. Michael Forsting

Direktor des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie

Universitätsklinikum Essen

Tel.: 02 01/7 23-15 38

[email protected]

http://www.uni-essen.de/radiologie/

(vgl. Beitrag „Wenn jede Sekunde zählt …“)

Prof. Dr.-Ing. habil V. Hans

Institut für Mess- und Regelungstechnik

Tel.: 02 01-18 32 99 7

[email protected]

http://www.mrt.uni-essen.de/

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Deutschlandweit gibt es mehr als 6.000 reineTorticollis-Fälle. Dabei beschreibt der Begriffseiner Bedeutung nach nur ein Symptom, nichtaber die Ursache der zu Grunde liegenden Er-krankung. Diese kann angeborenoder in späteren Jahren erworbensein. Torticollis ist nur selten psy-chisch bedingt; in der überwiegen-den Zahl der Fälle hat das Leidenorganische Ursachen. MuskuläreFehlbildungen und Tonien – alsoSpannungsfehlzustände, Knochen-und Wirbeldeformationen sowiegehör- und gesichtssinnbedingteKompensationsreaktionen – sinddie häufigsten Ursachen. Nebenoperativen Eingriffen kommen inder Therapie – alternativ oder un-terstützend – Krankengymnastik,Bewegungstherapie und orthopädi-sche Hilfsmittel zur Anwendung.

Für die Diagnose und Therapie-überwachung sind bisher keineVerfahren bekannt, die über diesubjektive Beurteilung durch denbehandelnden Arzt und eine ein-fache mechanische Vermessunghinausgehen. Ein sensorgestütztes Mess- undAufzeichnungssystem soll nun die Basis für ei-nen objektiven, quantitativen Vergleich vonVerlauf und Intensität der Krankheit ermögli-chen.

Zwanzig MuskelpaareAn der Bewegung des Kopfes und des Halsessind insgesamt zwanzig antagonistische, also

entgegengesetzt wirkende Muskelpaare beteiligt.Sie verleihen Kopf und Hals ihre große Beweg-lichkeit. Von den Grundbewegungen unterschei-det man bei Torticolliserkrankungen:

• Den Rotatorischen Torticollis, der durch eineKopfdrehung um eine vertikale, parallel zumRumpf ausgerichtete Achse charakterisiertist. Dies ist die häufigste Form.

• Den Laterocollis. Diese Form ist gekenn-zeichnet durch eine seitliche Neigung desKopfes auf die Schulter. Kombinationen ausrotatorischem und Laterocollis bilden diezweithäufigste Verlaufsform.

• Retro- und Anterocollis, die sich in einem

Universität Duisburg–Essen91

enn der Kopfmacht, was er will ...

Diagnosesystem für neurologischeBewegungsstörungen

WIn Deutschland sind etwa 80.000 Menschen jeden Alters von neurologischen Bewegungs-störungen betroffen. Diese motorischen Fehlfunktionen, Dyskinesien genannt, äußernsich durch Zittern, Bewegungshemmungen oder Blockaden – und das sowohl einzeln alsauch in Kombination. Das wohl bekannteste Leiden, bei dem alle Arten von Dyskinesienauftreten können, ist die Parkinsonsche Krankheit. Dyskinesien, die die Bewegung desKopfes betreffen, werden oft mit dem lateinischen Sammelbegriff „Torticollis“ (verdrehterHals) bezeichnet. Forscher der Universität Duisburg-Essen arbeiten an Verfahren, diewesentlich dazu beitragen können, Diagnose und Therapieüberwachung der davon betrof-fenen Patienten zu verbessern.

Abbildung 1: Bewegungs-achsen des Kopfes.

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frontalen Nicken des Kopfes nach hintenoder vorne zeigen. Diese Form tritt seltenerauf.

Die Fehlbewegungen sind nur durch die phy-siologischen Beweglichkeitsgrenzen desmenschlichen Kopfes limitiert. Ein Messsystemmuss demnach für die Kopfdrehungsbewegun-gen einen Bereich von etwa 90° nach links undrechts erfassen können, für das seitliche Neigeneinen Winkelbereich von beidseitig etwa 45°und für die Nickbewegungen einen asymmetri-schen Winkelbereich von etwa 60° nach vorneund etwa 45° nach hinten.

Ein technisches System zur getrennten Erfassungder genannten Kopfbewegungen erfordert eineverteilte räumliche Anordnung der Systemkom-ponenten, da die Lage des Kopfes nicht ohneBezug zu einem anderen Objekt bzw. zu be-kannten Bewegungsrichtungen erfasst werdenkann. In der Umsetzung führt das zu einem mitdem Kopf des Patienten beweglichen Sensorsystemauf der einen und einem ortsfesten Versorgungs-,Auswertungs-, Referenz- und Visualisierungssys-tem auf der anderen Seite.

Die Bestimmung von Position und Lage einesKörpers kann auf zwei verschiedene Arten erfol-gen: Absolut, also durch eine stetige oder exem-plarische Positionsbestimmung durch direkte Ab-stands- und Winkelmessung bezogen auf einenin seiner Lage bekannten Referenzpunkt, oderinkremental bzw. differenziell. Darunter verstehtman eine Positionsberechnung auf der Basis ste-tig oder exemplarisch gemessener Bewegungs-

werte (Wegänderung, Geschwindigkeit, Beschleu-nigung) in Bezug auf einen zu Beginn der Mes-sung bekannten Referenzpunkt. Es werden alsojeweils die Bewegungsänderungen quasi aufad-diert, um die aktuelle Position zu bestimmen.

Komplizierte KoordinatensystemeDie Messgenauigkeit bei der Absolutmessung iststets konstant; bei differenziellen und Inkremental-systemen können sich dagegen Messfehler imungünstigsten Fall mit zunehmender Messdauersummieren. Andererseits ist dieses Verfahrenmeist einfacher lösbar oder erfordert in einigenFällen sogar keinen direkten mechanischen Bezugzum externen Referenzsystem, zum Beispiel beimso genannten seismischen Beschleunigungsaufneh-mer. Dies ist oft von entscheidendem Vorteil.Bei der Untersuchung der Kopfbewegung handeltes sich in erster Näherung um reine Rotations-bewegungen.

Dabei können sich bis zu drei verschiedene Ko-ordinatensysteme ergeben (Abb. 1). Bestimm-bar werden die Drehwinkel durch Verschiebungdes jeweiligen lokalen Koordinatensystems ent-lang der Ursprungsvektoren Ri zu einem wei-teren gemeinsamen Bezugskoordinatensystem.Die Winkel (Nickwinkel), (Neigewinkel)und (Kopfdrehwinkel) ergeben sich dann als Rotationen um die drei kartesischen Ko-ordinatenachsen, die notwendig sind, um diekorrespondierenden Achsen von lokalem undBezugskoordinatensystem in Deckung zu brin-gen.

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Abbildung 2: Neigungs-sensor – Funktionsprinzipund Einbau im Rahmenhelm.

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Ist das Bezugskoordinatensystem ortsfest imRaum, dann ist die Lage des Kopfes absolut be-stimmt und damit unabhängig von Bewegun-gen des Rumpfes. Befindet es sich dagegen inoder an einem bewegten Körperteil (zum Bei-spiel dem Rumpf), dann wird die Kopflage rela-tiv zur Lage dieses Körperteils bestimmt. Dieskommt den Anforderungen einer Torticollis-Untersuchung aus medizinischer Sicht ammeisten entgegen.

Helm auf zur UntersuchungDie zuverlässige Befestigung medizinischer Un-tersuchungsgeräte am Kopf ist nicht einfach.Bisherige Lösungen reichen von der Brille biszum Pflaster mit zum Teil sehr unterschiedlichenBefestigungskonzepten. Die wichtigsten Grund-voraussetzungen sind eine schnelle Befestigungund Entfernung, genaue Positionierbarkeit undguter Halt, lageunabhängige Funktion und risi-kolose Nutzung. Bei der Umsetzung entschie-den sich die Duisburger Forscher für eine Artoffenen Helm – ein System mit kombiniertklemmendem und einhüllendem Befestigungs-prinzip.

Ein derartiger Rahmenhelm bietet ausreichendeEin- und Anbaumöglichkeiten für Sensoren undElektronik. Eine für die Messgenauigkeit wich-tige sichere Fixierung erfolgt durch eine Vier-punkt-Abstützung an Stirn, Nacken sowie ring-förmig um beide Ohren. Die Bewegungsfähigkeitdes Kopfes wird dabei nicht eingeschränkt. DieVerkabelung liegt im Helmrahmen, die Verbin-dung zum stationären Auswertungssystem er-folgt drahtlos per Bluetooth-Verbindung. Auchhierdurch wird die Bewegungsfähigkeit nicht re-duziert.

Bei aufrechter Körperhaltung während der Mes-sung ist die Neigungsmessung durch ein so ge-nanntes Inklinometer, einen schwerkraftbasiertenNeigungssensor, die einfachste Form der Lage-erfassung. Ein Bezugspunkt ist hier automatischdurch die Wirkrichtung der Schwerkraft zumErdmittelpunkt – also nach unten – gegeben.Inklinometer arbeiten entweder mit einem ineinem Rahmen frei beweglich aufgehängten Lotoder einer in einem Behälter eingeschlossenenFlüssigkeit. Die Neigung des Lots oder des Flüs-sigkeitsspiegels wird in Bezug zum umgebendenGehäuse gemessen.

Universität Duisburg–Essen93

Abbildung 3: Seilzugsensorenzur Messung der Drehbewe-gungen des Kopfes – Anbrin-gung im Messhelm.

Abbildung 4: Die einzelnen Komponenten des Systems und ihre Verbindung.

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Im vorliegenden Fall wird ein zweiachsig messen-des Widerstands-Sensorprinzip auf Basis einerleitenden Flüssigkeit eingesetzt (Abb. 2). Dergezeigte Sensor hat in beiden Neigungsrichtun-gen einen Messbereich von etwa 75° mit einermaximalen Messgenauigkeit von 0,003°.

Die Sensorfunktion beruht auf der neigungsab-hängigen Volumenverschiebung einer elektrischleitenden Flüssigkeit zwischen jeweils zwei Elek-troden, wodurch eine Variation des elektrischenWiderstands bewirkt wird. Durch geeignete, gegenüberliegende Anordnung der Elektrodenergeben sich für jede Neigungsrichtung zwei ge-gensinnig veränderliche elektrische Teilwider-stände mit einem zentralen Mittenabgriff.

Der schwierige DrehDer Sensor kann sowohl Nickbewegungen nachvorne und hinten als auch seitliche Neigebewe-gungen des Kopfes messen, nicht aber Drehbe-wegungen bezogen auf den Rumpf. Außerdemführt prinzipbedingt eine Neigung des Rumpfesnach vorn oder zur Seite zu einem Messfehler,da sich dadurch auch ohne Kopfbewegung dieNeigung des Sensors ändert. Um die noch feh-lende Drehung des Kopfes zu erfassen und diegenannten Fehlerrisiken zu minimieren, benötigtman einen weiteren Sensor mit einem anderenMessprinzip.

Zur Erfassung der Kopfdrehung hat man sichfür das Prinzip der Triangulation entschieden, al-so für die Abstandsmessung (und gegebenenfallsgleichzeitige Winkelmessung) zu zwei definiertenPunkten. Dazu werden zwei so genannte Seilzug-sensoren am Rahmenhelm angebracht. Jedervon ihnen ist mit einem für die Dauer der Mes-sung am Nacken des Patienten angebrachtenBezugspunkt (Ankerpunkt) verbunden (Abb. 3).

Seilzugsensoren sind handelsübliche Bauele-mente, die aus einer drehbar gelagerten Trom-mel mit Federantrieb bestehen. Die Trommel-

welle ist mit einem Mehrgangpotentiometer ver-bunden, einem mechanisch verstellbaren elek-trischen Widerstand. Auf die Trommel ist einSeil gewickelt. Wird dieses gegen die Federspan-nung ausgezogen, dreht sich die Trommel, wo-durch sich proportional zur Auszugslänge derelektrische Widerstand des Sensors verändert.Beim Nachlassen des Messseils spult der Feder-antrieb dieses wieder auf die Trommel auf, sodass das Messprinzip in beiden Richtungenfunktioniert.

Ordnet man zwei dieser Sensoren wie in Abbil-dung 3 gezeigt am Rahmenhelm mit einer Seil-aufhängung am Rumpf an, so lässt sich aus denbeiden messbaren Auszugslängen auf den Kopf-drehwinkel schließen.

Treten neben den Drehbewegungen zusätzlicheNick- und Neigebewegungen auf, so bewirkendiese ähnliche Seilauszüge wie eine Kopfdrehung– würden mithin das Messergebnis verfälschen.Da eine rechnerische Korrektur wegen ihrerKomplexität in der diagnostischen Anwendungnicht praktikabel erschien, musste ein geeignetesKompensationsverfahren gefunden werden, dasden Ansprüchen der messtechnischen Praxis un-ter klinischen Bedingungen genügt.

Auswertung per ComputerFür die Signalauswertung und -darstellung kannein handelsüblicher PC eingesetzt werden, derüber eine drahtlose Schnittstelle (Bluetooth) ver-fügen muss und auf dem eine spezielle Mess-software installiert ist. Alle weiteren Komponen-ten des Messsystems befinden sich integriert imbzw. am Messhelm und umfassen neben denbereits beschriebenen Sensoren die notwendigenAuswerteschaltungen zur Signalanpassung undFehlerkompensation, einen Mikrocomputermit Bluetooth-Schnittstelle zur Digitalisierung,Informationsaufbereitung und Signalübertragungsowie die für einen mobilen Betrieb notwendigenBatterien (Abb. 4).

FORUM Forschung 2004/200594

Abbildung 5: Benutzeroberf läche der Systemsoftware.

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Die Nick- und Neigebewegungen können direktdurch die entsprechenden Berechnungsgleichun-gen bestimmt werden, sofern die erforderlichenKalibrierparameter des Sensors zur Verfügungstehen. Für die genaue Quantifizierung der Dreh-bewegung würde aber, wie bereits erläutert, eineReihe von Parametern benötigt, die von Patientzu Patient und von Messung zu Messung unter-schiedlich sind und vor jeder Messung erneutaufwändig bestimmt werden müssten.

Unter Verzicht auf eine erhöhte Messgenauigkeitund mit eingeschränktem Winkelmessbereichist mit Hilfe eines Linearisierungsansatzes jedocheine wesentlich einfachere Signalauswertung mög-lich. In einem Kalibriervorgang vor der eigentli-chen Messung werden Sensormesswerte bei be-stimmten Positionen des Kopfes aufgenommenund zu Parametern für Näherungsfunktionen undFehlerkorrekturfaktoren verarbeitet. Der Benutzerwird dabei programmtechnisch durch einen sogenannten Kalibrierungsassistenten unterstützt.

In der Natur abgeschautNoch anwenderfreundlicher, weil rückwirkungs-frei – und damit ohne spürbare Kraftrückwirkungdurch die Seilzugsensoren – wird das System,wenn erst die neueste Idee der Duisburger For-scher umgesetzt sein wird, an der derzeit mitHochdruck gearbeitet wird. Hierbei macht mansich zur Erfassung der Kopfdrehung die Orien-tierung des Magnetfeldes der Erde zu Nutze.Dieses extrem schwache Feld ist mit modernenSensoren nach Richtung und Stärke messbar underlaubt bei geeigneter Anwendung eine Orien-tierung des Kopfes im Raum, wie dies auch be-kanntermaßen von Tieren wie Zugvögeln undWalen zur Navigation genutzt wird. Mit einemersten Demonstrator nach diesem Messprinzipkonnten bereits wichtige Erfahrungen für denpraktischen Einsatz dieser Technik gewonnenwerden.

Benutzerfreundliche OberflächeDie Bedieneroberfläche des Messsystems erlaubtaußer der Anzeige aller Winkelmomentanwerteauch das Aufzeichnen, Speichern, Drucken undWiederaufrufen des zeitlichen Verlaufs derMesswerte. Eine Nulllageninitialisierung (ab-hängig von der genauen Helmlage am Kopf) istneben der Sensorkalibrierung für alle Achsenjederzeit möglich (Abb. 5).

In ersten klinischen Anwendungen des Systemsan etwa 100 Probanden konnten erstmals charak-teristische Merkmale von Torticolliserkrankungenbeziffert werden. Es zeigte sich, dass in einigen

Fällen sehr geringe Kopfdrehraten mit großerKonstanz auftreten, die bei herkömmlichen Un-tersuchungsmethoden nicht oder nur ungenaudiagnostizierbar gewesen wären. Der Nachweis si-mulierter Erkrankungen zum Beispiel auch beimhäufig nach Unfällen diagnostizierten Schleuder-trauma kann sich erstmals auf wertmäßig be-kannte Bewegungsmerkmale stützen. Auch stelltdas System eine objektive Möglichkeit zur Therapiekontrolle dar.

Universität Duisburg–Essen

Ko n t a k tProf. Dr. Klaus SolbachDr. Reinhard Viga

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Die Mikroelektronik hat den Weg zu immerkleineren Strukturgrößen zuerst beschritten:Prozessoren mit Gigahertz-Taktfrequenz verleihenLaptops heute ein Leistungsprofil, das vor fünf-zig Jahren auch mit raumfüllenden Anlagennicht zu erreichen war. Ähnlich dramatischeEntwicklungen vollziehen sich in den letztenbeiden Jahrzehnten in der Mikrosystemtech-nik.

Hier werden inzwischen Sensoren und Aktorenverwirklicht, die kleiner sein können als die Brei-te eines menschlichen Haares. Hundertmillio-

nenfach eingesetzt, verrichten Beschleunigungs-sensoren heute im Automobil ihren Dienst, umbei einem Unfall den Airbag auszulösen. InProjektoren lenken über eine Million Mikro-spiegel auf einer Fläche von kaum vier Qua-dratzentimetern das Licht im Takt der digitalenBits auf die Leinwand.

Diese Fortschritte haben natürlich längst auchihren Weg in die Medizintechnik gefunden.Höchstintegrierte Mikrosysteme auf kleinstemRaum werden realisiert. Mit Hilfe der Mikro-techniken werden erstmalig Strukturen herge-stellt, die auf ähnlicher Längenskala mit derBiologie – zum Beispiel auf Zellebene – wech-selwirken können (Abb. 1).

Intelligente LösungenGanze Sensor- und Aktorsysteme mit inte-grierter Signalverarbeitung werden mittlerweile so

stark miniaturisiert, dass sie im-plantierbar werden. Mit teilweisedrahtloser Energie- und Daten-verbindung zum Messen, Steuernund Regeln dienen intelligentemedizintechnische Implantateund Prothesen der Diagnostik,Therapie, Rehabilitation unddem Ersatz gestörter Körper-funktionen. Das Attribut „intel-ligent“ wird dabei sowohl imSinne einer intelligenten Lösungals auch im Sinne einer Intelli-genz der Informationstechnikverstanden. Solche Mikrosystemesind nun in der Lage, durch Mi-krosensoren ihre Umwelt wahr-zunehmen, diese Informationenvor Ort mit Hilfe der Signalver-

arbeitung auszuwerten und dann durch Mikro-aktoren entsprechend zu reagieren.

In Anbetracht der wachsenden Kosten in der Pa-tientenversorgung und des großen Bedarfs an mo-dernen Behandlungsmethoden werden intelligen-te medizintechnische Lösungen immer wichtiger.

FORUM Forschung 2004/200596

leine Technik – große Wirkung

Intelligente Miniatursysteme für die Medizintechnik

KVor fast vierzig Jahren fuhren in dem Science Fiction-Streifen „Die phantastische Reise“verkleinerte Menschen in einem mikroskopischen U-Boot durch den Blutkreislauf einesPatienten, um ein tödliches Blutgerinnsel zu beseitigen. Die Realität hat die Utopie von1966 mittlerweile zu 50 Prozent eingeholt: Das U-Boot gibt’s längst – nur die Menschenentziehen sich hartnäckig der Verkleinerung. Mit Hilfe der Mikrosystemtechnik treibenheute hochspezielle U-Boote und Kapseln durch den menschlichen Körper, um dort sub-tile Eingriffe oder Messungen vorzunehmen. Auch an der Universität Duisburg-Essenwird an diesem aufregenden Kapitel der Medizintechnik geschrieben.

Abbildung 1: Dimensionenin der Mikrostrukturtechnik –wo Technik und Biologie sichbegegnen.

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In Deutschland leben Hunderttausende Quer-schnittsgelähmte, pro Jahr erleiden 200.000 Men-schen einen Schlaganfall und ebenfalls mehrerehunderttausend Menschen werden Opfer be-handlungsbedürftiger Schädel-Hirn-Verletzungen.Alters- und stoffwechselbedingte Erkrankungenführen zudem bei drei bis vier Millionen Men-schen zu Blasen- und Darminkontinenz. Nebendiesen neurologischen Erkrankungen tragen vorallem auch Herz- und Gefäßkrankheiten zumAnwachsen der Patienten mit gestörter Organ-funktion bei. Kaum anders ist es bei Störungendes Seh- und Hörvermögens.

Für alle diese Menschen können moderne medi-zintechnische Implantate und Prothesen – zumBeispiel Herzschrittmacher, Gehörimplantateund Hirnstimulatoren – eine wesentliche Steige-rung der Lebensqualität darstellen. Danebensenken die neuen Entwicklungen die Behand-lungskosten und fördern die frühzeitige Wie-dereingliederung in das Arbeitsleben.

Eingebautes EKGDie medizinische Diagnostik verlangt nach im-mer genauerer Kenntnis der inneren Vorgängeund Zustände des menschlichen Organismus.Die direkte Bestimmung diagnostischer Werte„vor Ort“ erfordert dabei den Einsatz mikro-elektronischer Schaltungen, die die Daten lokalaufbereiten und störungssicher aus dem Körperübertragen.

Das vom Forscherteam um Günter Zimmer ent-wickelte so genannte „mixed-signal ASIC“ spielteine zentrale Rolle in einem implantierbarenSystem zur Messung von EKG, Elektrolyt-beschaffenheit und Muskelelastizität am trans-

plantierten Herzen zur Früherkennung von Ab-stoßungsreaktionen. Eine externe Steuereinheitweckt das Implantat per Funkimpuls, durch denein Gleichstromwandler eingeschaltet wird. Nacheinem Systemselbsttest fordert das Implantat übereine Funkschnittstelle ein Kommando von derexternen Steuereinheit an, führt eine der ge-nannten Messungen durch und sendet das Ergeb-nis an die Steuereinheit. Der behandelnde Arztmuss nicht persönlich anwesend sein, da dieMessergebnisse leicht per Modem übertragenwerden können. Damit ist das System ideal fürdie Dauerüberwachung im Heim des Patientengeeignet (Abb. 2).

Die Hauptziele bei dieser Entwicklung wareneine lange Lebensdauer der Apparaturen bei mög-lichst kleinen Abmessungen. Gleichzeitig wurdeeine kurze Entwicklungszeit angestrebt. Die ge-wählte Umsetzung als Mikrokontrollersystemerlaubt zudem die Auslagerung zahlreicher Sys-temfunktionen in Software.

Sensoren im AugeDie Augenkrankheit Glaukom ist auch als „Grü-ner Star“ bekannt. Dabei führt eine dauerhafteErhöhung des Augeninnendrucks nach undnach zur Zerstörung des Sehnervs und damitzur Erblindung. Für eine optimale Behandlungist die möglichst genaue Kontrolle des Drucks er-forderlich. Herkömmliche Messgeräte sind meiststationär und erfordern die Anwesenheit desPatienten in Praxis oder Klinik. Für ein besseresVerständnis des Krankheitsverlaufs und eine in-dividuell angepasste Behandlung ist jedoch diedauernde Messung unter normalen Lebens-bedingungen im gewohnten Umfeld des Er-krankten notwendig.

Universität Duisburg–Essen97

Abbildung 2: Mikrokontrol-lersystem zur Erkennung vonGewebeabstoßungsreaktionennach Herztransplantation.

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Abbildung 6: Prinzipdes kapazitiven Drucksensors.

Günter Zimmer und sein Team haben auchhierfür eine Mikrosystemlösung entwickelt. DasSystem besteht aus einem implantierbaren Trans-ponder mit integriertem Drucksensor und einemtragbaren Lesegerät mit angeschlossener An-tenne. Der Transponder ist in einer Kunstlinseeingekapselt und wird darin in den Linsensackdes Auges implantiert (Abb. 3).

Das Lesegerät besteht aus einer Sendestufe, dieden Transponder mit Energie versorgt. Diese wirdüber die in eine Brille eingebaute Antennenstufeals Magnetfeld abgestrahlt, aus dem der Trans-ponder durch Induktion die zum Betrieb nötigeSpannung entnimmt (Abb. 4). Dadurch kommtder implantierte Transponder ohne aktive Ener-giequelle aus.

Der eingebaute Drucksensor nimmt seine Arbeitauf, sobald sich das Implantat in Reichweitedes Magnetfeldes befindet. Die Messdaten wer-den digital aus dem Auge auf das Lesegerätübertragen. Dort nimmt eine Empfangsstufedie Informationen auf, und diese werden in einerdigitalen Steuereinheit zwischengespeichert.Am Ende einer Messphase wird das Lesegerätmit einem PC verbunden, und die gesammeltenDaten fließen über eine serielle Schnittstelle zurDarstellung und Auswertung durch den Arzt inden Computer.

Dieses batterielose, implantierbare System ist einParadebeispiel für die Innovationskraft der Mi-krosystemtechnik. Sie wirkt hier in zweifacherHinsicht: Miniaturisierung in der Größe undMinimalisierung des Energiebedarfs. Ohne dieseEigenschaften wäre das System nicht realisierbar.Beide Anforderungen wurden durch die Technikdes integrierten kapazitiven Drucksensors inOberf lächenmikromechanik erfüllt.

Kleiner Sensor – große WirkungIn Abbildung 5 ist erkennbar, dass die kreisrun-den Drucksensormesszellen (rechts vergrößertdargestellt) nur einen Bruchteil der Fläche auf dem mit 2,4 x 2,4 mm bereits sehr kleinenChip einnehmen. Die winzigen Messzellen sindim Grunde miniaturisierte Plattenkondensatoren(Abb. 6), deren Plattenabstand sich unter Druck-einwirkung von außen ändert. Die Fähigkeit eines Kondensators, Ladungen zu speichern,hängt unmittelbar von diesem Plattenabstandab. Diese als Kapazität bezeichnete Größe istsomit ein Maß für den außen anliegendenDruck.

Durch Einbringen von Fremdatomen in Silizium,in der Chipfertigung als Dotierung bezeichnet,

FORUM Forschung 2004/200598

Abbildung 3: Implantierbares System zur kontinuierlichen Überwachung des Augeninnendrucks.

Abbildung 4: Prinzip der induktiven Kopplung – Energieübertra-gung zwischen zwei Spulen.

Abbildung 5: Integrierter Drucksensor zur Überwachung des Augen-innendrucks.

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kann die elektrische Leitfähigkeit des Materialsgezielt eingestellt werden. Im vorliegenden Fallwird mit Hilfe von Phosphor-Dotierung die alsn+-Gebiet gekennzeichnete untere Elektrode elek-trisch leitend gemacht. Die obere Elektrode be-steht aus einem ca. 1 µm dünnen polykristallinenSilizium-Film; der dazwischen liegende Hohl-raum ist dünner als 1 µm. Die Prozessschrittezur Herstellung der Drucksensormesszellen sindzum CMOS-Prozess kompatibel, der für dieRealisierung von hochintegrierten Schaltungenverwendet wird. Dadurch ist es möglich, Mess-zellen und Schaltung gemeinsam auf einem Chipunterzubringen.

Durch die Miniaturisierung sind die Kapazitätender Druckmesszellen in der Größenordnung eines Pico-Farad (1·10-12 F) sehr klein. Dadurchbeträgt der gesamte Leistungsbedarf für den inte-grierten Sensor nur ca. 200 µW. Dies ist die not-wendige Voraussetzung, um batterielose Trans-ponder zu realisieren.

Solche Drucksensortransponder eignen sichauch zur Messung des Blut-, Blasen- oder Darm-drucks – ohne damit alle weiteren Einsatzmög-lichkeiten erschöpfend aufzuzählen. Denn siewerden auch bei vielfältigen technischen An-wendungen erfolgreich eingesetzt – zum Beispielbei der drahtlosen Reifendrucküberwachungvon LKW.

Hören trotz TaubheitMikroaktoren erlauben es, aktiv Einfluss auf ihreUmgebung zu nehmen. Mit so genannten Stimu-lationselektroden kann zum Beispiel Muskel- undNervengewebe elektrisch stimuliert werden. Aus-fälle in der Signalverarbeitung des Nervensystemskönnen so technisch überbrückt werden, wie dasBeispiel eines so genannten Cochlea-Implantatszeigt. Cochlea-Implant-Systeme oder Ohrprothe-sen geben nach einer Operation und einer an-

schließenden Rehabilitationsphase völlig taubenMenschen ein Hörvermögen mit zumeist aus-reichender Sprachverständlichkeit zurück. Siesind ein bypassartiger elektronischer Ersatz für diedefekten Signalverarbeitungsorgane im Mittel-und/oder Innenohr.

In dem entwickelten Cochlea-Implant-Systemwird das über ein Mikrofon gewandelte Sprach-signal einem Sprachprozessor zugeführt. DerSprachprozessor ahmt dabei in vereinfachterWeise die Funktion der frequenzanalysierendenHörschnecke des Ohres (Cochlea) nach. Die sogewonnenen Energie- und Frequenzparameterdes Sprachsignals werden einem Hochfrequenz-Trägersignal aufmoduliert. Dieses Trägersignalgelangt über eine Sendespule durch die Haut zueiner hinter dem Ohr implantierten Empfänger-Stimulator-Kapsel. Das Trägersignal dient nebender Übertragung der analysierten Sprachsignal-parameter auch zur Energieversorgung der ge-samten Implantatelektronik.

Auch hier konnte die Elektronik monolithisch ineinem CMOS-ASIC integriert werden (Abb. 7).Über das Empfängerteil gelangen die Sprach-signalinformationen zu einem Steuerprozessor,der über digital einstellbare Stromquellen dieReizströme auf 16 in einer Knochenschichtoberhalb der Cochlea eingepflanzte Elektrodenleitet. Die Stromquellen mit den Elektrodenstellen somit die Aktoren des Mikrosystemsdar. Die Reizströme von 1 – 500 µA stimulierendie noch intakten Nervenenden. Hierdurch

Universität Duisburg–Essen99

Abbildung 7: Cochlea-Implantatmit Empfängereinheit.

Abbildung 8:Retina Implant-System.

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werden beim Patienten reproduzierbare Hör-eindrücke erzeugt.

Die heutige Cochlea-Implant-Technologie ermög-licht es, dass mehr als die Hälfte der erwachse-nen Anwender Sprache ohne Lippenlesen ver-stehen kann; zwei Drittel von ihnen könnensogar telefonieren. Kindern ermöglicht dasHören mit einem Cochlea-Implantat das Er-lernen von Sprache. Bei frühzeitiger Implanta-tion (das heißt während des 2. Lebensjahres) istein Regelschulbesuch häufig möglich.

Visionäre Technik für BlindeAls Anfang der 90er Jahre die ersten Ideen aufkamen, ein Retina-Implantat als Sehprothesefür Blinde zu entwickeln, war dies im Wort-sinn ein „visionäres“ Vorhaben. Mikroelek-troden sollten anstelle des Gehörnervs wiebeim Cochlea-Implantat nun die noch intaktenGanglienzellen einer defekten Netzhaut (Re-tina) stimulieren.

Analog zum Mikrophon beim Cochlea-Implan-tat nimmt eine Kamera Bilder aus der Umgebungdes Nutzers auf. Diese optischen Informationenwerden mit Hilfe eines Signalprozessors in ent-sprechende Stimulationsparameter umgerechnet.Damit wird die ausgefallene Informationsverar-beitung von den Photorezeptoren und den ers-ten nachgeschalteten Nervenzellschichten in derRetina überbrückt. Die Daten wie auch dieEnergie werden durch eine induktive Kopplungwie bei der Augeninnendruckmessung drahtloszum Implantat übertragen. Der Empfänger be-findet sich auch hier in der Linse. Von dort auswerden decodierte Daten und Energie über einMikrokabel zum Stimulator mit den nachge-schalteten Mikroelektroden weitergeleitet. Dortwerden gezielt kleine Stimulationsströme von1 – 100 µA an die Ganglienzellen und Axoneabgegeben, um einen Seheindruck im Gehirn zuerzeugen (Abb. 8).

Seit 1995 arbeiten das „Fraunhofer Institut Mikro-elektronische Schaltungen und Systeme“ unddie Universität Duisburg-Essen in dem interdis-ziplinären EPI-RET-Konsortium zusammen mitPartnern aus der Medizin, Biophysik, Neuro-informatik und der Mikroassemblierungstechnikan der Verwirklichung des Retina-Implantats. Esist inzwischen gelungen, das weltweit erste voll-ständig implantierbare System zu realisieren(Abb. 9). Im Tierexperiment konnte bewiesenwerden, dass die gesamte Informationskette vomSender bis hin zum visuellen Kortex im Gehirngeschlossen werden kann.

Trotz erster ermutigender Erfolge ist es immernoch ein weiter Weg bis zur Realisierung einesProdukts für den Patienten im klinischen Alltag.Dennoch: Was vor beinahe zehn Jahren als Visi-on begonnen wurde, erscheint nun erstmalig inseiner Realisierung zum Greifen nahe. Die Fiktionvon gestern ist heute bereits reale Ingenieur-kunst.

FORUM Forschung 2004/2005100

Ko n t a k tProf. Dr. Günter Zimmer

Institut für Mikroelektronik und Mikrosystemtechnik

Fachgebiet Elektronische Bauelemente und Schaltungen

Tel.: 02 03/37 83-11 0

Fax.: 02 03/37 83-29 9

[email protected]://www.uni-duisburg.de/FB9/EBS

Dr. Hoc Khiem Trieu

Fraunhofer Institut Mikroelektronische Schaltungen und Systeme

Tel.: 02 03/37 83-16 0Fax: 02 03/37 83-26 6

[email protected]://www.ims.fhg.de

Abbildung 9: Weltweit erstesvollimplantierbares Retina-Implantat mit Funktions-nachweis im Tierexperiment.

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102FORUM Forschung 2004/2005

Das Zentrum für Medizinische Biotechnologie wurde Anfang 2003

als zentrale wissenschaftliche Einrichtung der Universität Duisburg-

Essen gegründet. Es ist eine interdisziplinäre Institution, an der

besonders die Medizin und die Naturwissenschaften – und hier

vor allem die Biologie – beteiligt sind. Durch die Besetzung zu-

sätzlicher Professuren im Bereich Biomedizin (Mikrobiologie, Bio-

chemie und Entwicklungsbiologie) wurde eine kompetente wis-

senschaftliche Basis für das Zentrum sicher gestellt.

Die Forschungsschwerpunkte am ZMB wurden so gewählt, dass

interdisziplinäre, zukunftsweisende Projekte verwirklicht werden

können. Bei der Wahl der Schwerpunkte wurde darauf geachtet,

dass die bereits bestehenden Kompetenzen in der biomedizinischen

Forschung eingebunden werden und die neuen Arbeitsgruppen

sich in fachlicher Expertise und Lehrerfahrung ergänzen. Auf diese

Weise wird die wissenschaftliche Zusammenarbeit und die Ausbil-

dung des wissenschaftlichen Nachwuchses in Biologie und Medizin

unterstützt und weiter intensiviert. Das ZMB bietet dafür die orga-

nisatorische und konzeptionelle Plattform.

Einer der Forschungsschwerpunkte im ZMB ist die experimentelle

Krebsforschung, für die es bereits umfassende Kompetenzen an

der Hochschule gibt. Erforscht werden in diesem Bereich die ge-

netische Kontrolle der Tumorentstehung sowie Mechanismen der

Metastasierung und Tumorprogression. Weitere Forschungs-

schwerpunkte sind neue Techniken zum Gewebe- und Organersatz,

die Basis der molekularen Erkennung bei Protein/Protein-Wechsel-

wirkungen und die Gesetzmäßigkeiten biologischer Regelnetzwerke.

Neben der Organisation wissenschaftlicher Forschung ist die

Einrichtung und Betreuung von Bachelor-/Masterstudiengängen

eine der Hauptaufgaben des ZMB. Im neuen Bachelorstudien-

gang „Medizinische Biologie“ konnten sich zum Wintersemester

2004/2005 erstmalig Studierende einschreiben. Die Akzeptanz des

neuen Studiengangs ist überwältigend; insgesamt bewarben sich

575 Interessenten, das heißt auf einen Studienplatz kamen 23

Bewerber.

Das Zentrum für Medizinische Biotechnologie

Das Zentrum für Medizinische Biotechnologie

Das Zentrum für Medizinische Biotechnologie

KontaktZentrum für MedizinischeBiotechnologie

Dr. Beate Fraß(Geschäftsführerin)

Tel.: 02 01/1 83-36 70

Fax: 02 01/1 83-36 72

[email protected]/zmb

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droxybenzoat), Natriumsalz und Propyl (4-hydroxybenzoat), Natriumsalz.

Anwendungsgebiete: Übelkeit, Brechreiz und Erbrechen bei Therapie mit Zytostatika und Strahlentherapie. Zur Prophylaxe von

Übelkeit, Brechreiz und Erbrechen nach Operationen (nur Zofran® 8 mg Zydis® Lingual).

Gegenanzeigen: Nicht anzuwenden bei Überempfi ndlichkeit gegen Ondansetron oder einen der Inhaltsstoffe, Kindern unter 2 Jahren und in

der Stillzeit. Sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung ist erforderlich während der Schwangerschaft, besonders während der ersten 3 Monate. Vorsicht ist

geboten bei Patienten mit schwerer Beeinträchtigung der Darmmotilität. Zofran® 4 mg / 8 mg Zydis®Lingual soll nicht von Patienten mit Phenylketonurie angewendet

werden, da der Süßstoff Aspartam zu Phenylalanin verstoffwechselt wird.

Nebenwirkungen: Häufi g Kopfschmerzen. Wärmegefühl, Flush und Schluckauf. Gelegent-lich Erhöhungen von Leberwerten ohne Krankheitszeichen. Bei einigen Patienten Verstopfung.

Patienten mit Anzeichen einer subakuten Darmobstruktion sollten nach Gabe des Arzneimittels überwacht werden. Einzelfälle von Krampfanfällen und möglichen Extrapyramidalreaktionen wie

akute, krisenhafte Störungen der Augenbewegungen mit Blickabweichung/Störung der Muskel-spannung ohne nachweisliche dauerhafte klinische Folgen. Sehr selten - manchmal schwerwiegende

- Überempfi ndlichkeitsreaktionen einschließlich Anaphylaxie, die unmittelbar nach Einnahme von Zofran 4 mg Zydis Lingual auftreten können. Anaphylaxie kann lebensbedrohlich sein. Überempfi ndlichkeitsreaktionen

wurden auch bei Patienten beobachtet, die diese Erscheinungen mit anderen selektiven 5-HT3-Antagonisten ge-zeigt haben. In seltenen Fällen Brustschmerz mit oder ohne ST-Streckensenkung im EKG, Blutdruckabfall, Bradykar-

die und Arrhythmie. Aufgrund des Gehalts an Methyl (4-hydroxybenzoat), Natriumsalz und Propyl (4-hydroxybenzoat), Natriumsalz (Parabene) können bei entsprechend veranlagten Patienten Überempfi ndlichkeitsreaktionen auftreten (siehe

Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung und Warnhinweise). Verschreibungspfl ichtig. Stand: September 2004

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