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Niedrigzinsen und die Gefahr der finanziellen Repression: Perspektiven für die Zukunft Niedrigzins und finanzielle Repression: Folgen für das Geschäft der Genossenschaftsbanken, Münster, 3. Juni 2013 Prof. Dr. Ansgar Belke, Universität Duisburg Essen & “Monetary Experts Panel” im Europäischen Parlament

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Niedrigzinsen und die Gefahr der finanziellen Repression: Perspektiven für die ZukunftNiedrigzins und finanzielle Repression: Folgen für das Geschäft der Genossenschaftsbanken, Münster, 3. Juni 2013Prof. Dr. Ansgar Belke, Universität Duisburg Essen & “Monetary Experts Panel” im Europäischen Parlament

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Einführung I: Umfeld

• Die (durch die Finanzkrise induzierten) hohen Schuldenquoten zwingen Staaten zu Maßnahmen des Schuldenabbaus.

• Finanzielle Repression bietet dafür Möglichkeiten: Staat entledigt sich versteckt seiner Schulden durch Gesetze, Vorschriften und Inflation.

• Sie manifestiert sich in erster Linie in niedrigen Realzinsen.

• Ein Merkmal der „neuen Normalität“ der Weltwirtschaft mit niedrigen Potenzialwachstumsraten und Zinssätzen sowie hohen staatlichen Schuldenständen („Japanische Verhältnisse“, amerikanische Fondsgesellschaft Pimco).

• Dieser Vortrag stellt dieses Charakteristikum vor und beurteilt seine empirische Relevanz.

31.05.2013Prof. Dr. Ansgar Belke

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Einführung II: Popularitäts-Zyklus

• Ausdruck "Finanzielle Repression" von Shaw/McKinnon 1973 geprägt, um deren wachstumshemmenden Effekte zu brandmarken. Beschrieb das 1945-1980 von Industrieländern verwendete Finanzmarktmodell.

• Definition: Indirekte Reduktion der Staatsschulden durch gezielte Beinflussung der Kosten der Staatsschulden, zumeist begleitet durch stetige Inflation.

• Seitdem zwar akademisches Interesse; Begriff selbst geriet aber öffentlich in Vergessenheit. Finanzmärkte wurden global liberalisiert; umfassende nationale Finanzmarktkontrollen erst einmal Geschichte.

• Seit Finanzkrise 2008 erneutes Interesse daran, wie Regierungen sich in der Vergangenheit ihrer massiven Schuldenlasten entledigten.

31.05.2013Prof. Dr. Ansgar Belke

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Einführung III: Motivation

• Faszinierende Studie von Carmen Reinhart und M. Belen Sbrancia, "The Liquidation of Government Debt", März 2011 (http://www.imf.org/external/np/seminars/eng/2011/res2/pdf/crbs.pdf)

• Durch IWF in Umlauf gebracht. Ungewöhnlich großes Interesseglobaler Investoren und Politiker.

• Schuldenrückbau ohne staatliche Insolvenz oder Hyperinflation!

31.05.2013Prof. Dr. Ansgar Belke

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Einführung IV: Japan

31.05.2013Prof. Dr. Ansgar Belke

• Institutionelle Anleger durch Regulierung gedrängt, in wenig rentable Staatsanleihen zu investieren.

• Alternative: Zinsen durch Notenbank künstlich so niedrig halten, dass Preise steigen: Inflation. Dann entwerten auch Staatsschulden.

• Japan zunächst lange Deflation. Aber aktuell sogar gezielter Einsatz der Inflation, um Schwierigkeiten entgegenzuwirken. Regierung spanntNotenbank für ihre Zwecke ein!

• Bizarrer Fall ungezügelter Repression, in dem Inflation (zunächst?) “falsche” Richtung nahm und Staatsschulden weiterwuchsen.

“Abenomics”

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Einführung IV: Japan

31.05.2013Prof. Dr. Ansgar Belke

• Trotz Ähnlichkeiten entscheidender Unterschied: Japan ist ein Land; Euroraum sind viele Länder.

• Schon für Japan jahrelange desolate Situation höchst problematisch.

• Für Europa wieder Zerreißprobe? Euro immer noch in schwächerer Situation, als der Yen es je war. Bei jedem größeren Problem kann Diskussion um Zusammenbruch der Eurozone wiederaufbranden.

• Europas Schwäche kann aber auch Vorteil sein. Denn Druck dürfte Politiker zum Handeln treiben.

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Finanzielle Repression als Ausweg I

31.05.2013Prof. Dr. Ansgar Belke

• Hohe öffentliche Schuldenniveaus sind schwierigste Hinterlassenschaft der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise. Dürften die Weltwirtschaft noch längere Zeit beschäftigen.

• Staatsschuldenkrise: rasch alternder Bevölkerung ökonomische Versprechungen gemacht, für die unter realistischen Wachstumsszenarien keine hinreichenden Ressourcen da sein werden.

• Schuldenüberhang muss aber beseitigt werden: Wachstumsbremse, Paralyse des Finanzsystems und der Kreditschöpfung.

• Bisheriges Mantra: “Inflation, Staatsinsolvenz oder Stagnation” (Carmen Reinhart, Spiegel-Interview 2013). Jemand muss leiden.

• Lösung der Eurokrise war aber bisher so schwierig, da keiner Leiden akzeptieren wollte (jüngstes Beispiel Zypern).

• Möglichkeiten, die Schulden auf fiskalisch nachhaltiges Niveau zurückzuführen?

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Finanzielle Repression als Ausweg II

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• Methoden des Schuldenabbaus - Erhöhung des realen BIP-Wachstums, expliziter Ausfall der Schulden, strikte Sparmaßnahmen (fiskalische Anpassungen /Austerität) oder überraschende Inflationierung - schwierig zu erreichen, durch Rückkopplungseffekte kontraproduktiv oder politisch unerwünscht.

• Beispiel: Heraussparen aus den Schulden funktioniert nicht, wenn dies die großen Industriestaaten der Welt gleichzeitig versuchen, also keine ausgabefreudigen Abnehmer für die Waren mehr bleiben.

• Maßnahmen finanzieller Repression dagegen subtilere und intransparente Art des Schuldenabbaus ohne die Notwendigkeit von Hyperinflation/Staateninsolvenz. Carmen M. Reinhart, Jacob Funk Kirkegaard, Financial Repression: Then and now, VoxEU, März 2012, 90%-Grenze unerwähnt.

• Lassen sich in vier Gruppen unterteilen.

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Varianten der finanziellen Repression

31.05.2013Prof. Dr. Ansgar Belke

Lautlose Schuldenreduktion kann geschehen durch:

• Direkte oder indirekte Deckelungen der Zinssätze (vor allem auf Schuldverschreibungen staatlicher Emittenten).

• Maßnahmen, die Inlandsinvestoren an den heimischen Kapitalmarkt binden (Kapitalverkehrskontrollen, regulatorische Regelungen, die den Portfolios institutioneller Investoren einen „home bias“ aufzwingen)

• Steuern, die alternative Anlageinstrumente verteuern (Transaktionssteuer auf Aktien, Verbot des Goldbesitzes)

• Maßnahmen, die einen direkten oder indirekten staatlichen Einfluss auf Finanzinstitute implizieren (makroprudenzielle Regulierung).

C. Reinhart, M. Belen Sbrancia, 2011, Box 1, S. 4.

Verbunden mit stetiger, nicht zu hoher Inflationsrate, die lautlose realeEntschuldung erleichtert. Auf inländische Verschuldung gerichtet!

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Ziel der finanziellen Repression I

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• Friktionen auf Finanzmärkten: Regierungen schaffen repressives Umfeld für Finanzmärkte. Zuweisung finanzieller Mittel, die in weniger regulierten Finanzsystemen anderen Akteuren vorbehalten wären.

• Maßnahmen, die es den Staaten erlauben, Schuldtitel zu niedrigeren Zinsen als ohne diese Friktionen zu emittieren. C. Reinhart et al.: Financial Repression Redux, in: Finance & Development, 2011.

• Staatsschulden können „weg inflationiert“ werden, da eine künstliche Senkung der Nominalzinssätze im Zusammenspiel mit Inflation es den Staaten ermöglicht, ihre (auf inländische Währung denominierten) realen Refinanzierungskosten zu verringern. A. Giovannini, M. De Melo: Government Revenue from Financial Repression, in: American Economic Review, 83. Jg. 1993, S. 954.

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Ziel der finanziellen Repression II

31.05.2013Prof. Dr. Ansgar Belke

• Immer wenn “gefangene Investoren Staatsanleihen kaufen, zahlen sieeine versteckte Subvention/Steuer an die Regierung: erlaubt diesereine Senkung des Schuldenstands.

• Anleihen-Guru Bill Gross (PIMCO) nennt solche Maßnahmen "Taschendiebstahl".

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Empirische Evidenz I

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• Literatur bislang noch knapp, wird vom Team Reinhart/Rogoff in ihren bahnbrechenden Studien über Finanzkrisen bestritten. C. Reinhart, M. Belen Sbrancia, 2011 und C. Reinhart, K. Rogoff: This Time is Different: Eight Centuries of Financial Folly, Princeton 2009.

• Empirisches Charakteristikum für Vorliegen von finanzieller Repression: negative Realzinsen (plus Ersparnis durch niedrigere als übliche Sollzinsen).

• Finanzielle Repression u.a. staatlich erzwungene Investitionen von Finanzintermediären in Staatsanleihen, die Nominalzinsen künstlich senken und bei hinreichend hoher Inflationsrate negativ werden lassen.

• Abgrenzung zu Maßnahmen, die die Stabilisierung der Konjunktur und des Finanzsystems zum Ziel haben und die ebenfalls eine Senkung der Realzinsen implizieren, schwierig.

• So zählen an den Finanzmärkten auch die Monetisierung der Staatsschuld und unkonventionelle Maßnahmen der Geldpolitik im Rahmen einer quantitativen Lockerung zu Financial Repression. A. Wöhrmann: Yield Trap – The Effects of Financial Repression, in: DWS CIO View, Nr. 2/2012, S. 2/6-4/6.

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Empirische Evidenz II

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• Deka Bank/FAS, Angriff auf das Vermögen, 26. Mai 2013

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Empirische Evidenz III: Kommentar zu Kater/FAS

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• Umfassende Studie zur Quantifizierung der finanziellen Repression gibt es nicht, da Ressourcen- und Datenaufwand erheblich.

• Lediglich Bruttoeffekte negativer Realzinsen (also nur eines Teils finanzieller Repression).

• Erste Eindrücke über einzelne Komponenten der Geldvermögens der privaten Haushalte.

• Keine Zweitrundeneffekte oder Gegeneffekte auf der Kreditseite.

• Interesse eher: welche Komponenten des Geldvermögens zurzeit von negativer realer Rendite betroffen? Nur Bargeld und Sichteinlagen.

• Als negativer Realzins gut ein Prozent angenommen. ÜberschlägigeSchätzung!

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Empirische Evidenz IV

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• Giovannini und de Melo (1993) berechnen das Ausmaß finanziellerRepressions-Steuer für 24 Emerging Markets von 1974 bis 1987.

• Finanzielle Repression überschreitet 2% des BIPs in 7 Ländern und istfür 5 Länder sogar größer als 3%.

• Für 5 Länder (Indien, Mexiko, Pakistan, Sri Lanka und Zimbabwe) repräsentiert sie etwa 20% des gesamten Steueraufkommens.

• Spitzenreiter Mexiko: 6% des BIP, 40% der Steuereinnahmen!Giovannini, A., de Melo, M., Government Revenue from Financial Repression, American Economic Review, Vol. 83, No. 4, 1993, S. 953-963.

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Historie der finanziellen Repression I

31.05.2013Prof. Dr. Ansgar Belke

• Indikator „negative Realzinssätze“: zwei Muster bei Häufigkeit und Ausmaß finanzieller Repressions-Steuer in jüngerer Wirtschaftsgeschichte:

Gruppe 1• Niveau der Realzinssätze auf Staatsschuldtitel im Zeitraum unmittelbar nach dem

Zweiten Weltkrieg im negativen Bereich. • Australien, Belgien, Frankreich, Italien, Japan, Südafrika, die USA und Großbritannien. • 1957- 1968: finanzielle Repression ließ deutlich nach, 1970er: leichte Zunahme. • Nach dem Zweiten Weltkrieg hohe Schuldenquoten. Anreize für Regierungen, zum Abbau

der Kriegsschulden auf finanzrepressive Maßnahmen zurückzugreifen.

Gruppe 2• Argentinien, Indien, Irland und Schweden. DIE Fallstudie klassischer Repression ist

Argentiniens Staatspleite und Schulden-Umstrukturierung 2001. • Nutzten finanzielle Repression in der Vergangenheit fast permanent als Instrument zum

Schuldenabbau bzw. der Defizitfinanzierung. • Finanzielle Repression unmittelbar nach dem Krieg am größten, wenn auch weniger

deutlich ausgeprägt als bei den Ländern der Gruppe 1.

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Historie der Finanziellen Repression II

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• Finanzielle Repression von 1945 bis 1980 weltwirtschaftlich signifikantes Phänomen; nicht nur von einkommensschwächeren Ländern zum Schuldenabbau genutzt.

• Erleichtert wurde sie nach dem 2. Weltkrieg bis Anfang der 1970er Jahre durch das Bretton-Woods-System.

• System fixer Wechselkurse half im Zusammenspiel mit den bereits existierenden Finanzmarktregulierungen aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg bei der finanziellen Repression, da das Bretton-Woods-System aufgrund der „Impossible Trinity“ (der gleichzeitigen Existenz einer unabhängigen Geldpolitik, freier Kapitalmärkte und eines fixen Wechselkurses) Kapitalverkehrskontrollen bedeutete.

Carmen M Reinhart, Jacob Funk Kirkegaard, Financial Repression: Then and Now, VoxEU, 26 March 2012.

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Historie III: Die Phase vor 1945

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• Liberale Kapitalmarktregulierung und internationale Kapitalmobilitäterreichten vor 1. Weltkrieg ihren Höhepunkt. Goldstandard.

• Schuldenberge des 1. Weltkriegs im wesentlichen durchStaatsbankrotte und Umschuldung beseitigt.

• Die Große Depression, gefolgt vom 2. Weltkrieg, beendeten das “Laissez-faire banking” endgültig.

• Was dann folgte, wurde in den Schlagzeilen der Tagespresse und den Tutaorials für Investoren nie explizit beschrieben: Regierungennutzten zu Inflation neigendes Papiergeld (“Fiat money”) stattEdelmetall-gedeckter Währungen, die vor den 30ern die Norm waren.

• Auch Schaffung eines Netzes von Regeln und Regulierungen, um Sparer und institutionelle Investoren zu zwingen, zu Zinssätzenunterhalb der Inflationsrate zu investieren.

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Historie der finanzellen Repression IV

31.05.2013Prof. Dr. Ansgar Belke

• Jedes Jahr verringerte Inflation die Kaufkraft des Geldes, fiel der inflationsbereinigte Wert der Staatsschuld und erodierte ein Teil der nationalen Ersparnisse …

• … entweder direkt, weil ein Teil der Ersparnisse direkt in Staatsanleihen angelegt war oder indirekt durch Einlagen bei Finanzinstitutionen, die gezwungen wurden, in Staatsschuldpapiere zu investieren. “Sparer konnten nur zuschauen”.

• Kontrollen wurden getrieben durch eine Welle von Finanzmarktreformen nach dem Aktenmarkt-Crash von 1929 (Analogie zur Regulierung von heute).

• Diese Kontrollen hatten auch einen bedeutenden fiskalischen Einfluss: Schulden der Industrieländer waren zum Ende des 2. Weltkriegs auf etwa 90 Prozent angestiegen (Analogie zu Schuldenständen heute).

• Selbstverstärkung der Repression: westliche Regierungen suchten händeringend Investoren, die ihnen Staatsanleihen abkauften.

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Historie V: Zinskontrolle

US consumer prices (% y/ y) and 10-year gov't bond yields (%), 1940 - 1952

Source: Federal Reserve Bank of St. Louis, R. Shiller, own calculations.Shaded areas: Consumer price inflation higher than nominal yields.

-5

0

5

10

15

20

1940 1942 1944 1946 1948 1950 1952

2

4

6

8

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14

16

18

20

22

Consumer prices 10-year gov't bonds

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Historie der finanziellen Repression VI: Die Phase 1945-1980

31.05.2013Prof. Dr. Ansgar Belke

• Durchschnittliche reale Zinssätze auf Einlagen und “Treasury bills” von 1945 bis 1980 in Industrieländern durchweg negativ Reinhart und Sbrancia, 2011.

• Zinssenkende Politiken, um die Staatsschulden des 2. Weltkriegsabzubauen. Unterstützend wirkten Kapitalkontrollen (Bretton Woods): Ersparnisse blieben auf heimischem Markt.

• Aber auch Regulierungen: Pensionsfonds, Versicherungen und Bankenkauften Staatsanleihe - unabhängig von deren Rendite.

• Kombination sehr geringer Nominalzinssätze und zwischenzeitlicherBeschleunigung der Inflation in den Industrieländern:

=> Realzinsen waren zwischen 1945 und 1946 deutlich negativ.

• In folgenden 35 Jahren blieben Zinssätze in Industrieländern und Emerging Markets durchweg geringer als in Phasen freierKapitalmobilität vor und nach dieser Ära der Repression.

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Historie der finanziellen Repression VII: Die Phase 1945-1980

31.05.2013Prof. Dr. Ansgar Belke

Keynesianer betonen andere Seite derselben Medaille: • Nach 2. Weltkrieg reduzierten viele Länder Staatsschulden schnell

– ohne dramatische Staateninsolvenzen oder schmerzvolle Austerität.

• Britische Staatsschuld konnte von 216% des BIP 1945 auf 138% zehnJahre später verringert werden.

• Auch den USA gelang es nach dem 2. Weltkrieg durch Mischung aus Wachstum, niedrigen Zinsen und durchschnittlich vier Prozent Inflation, das Verhältnis Schulden/BIP binnen drei Jahrzehnten von 109% auf rund 25% zu drücken.

• Im Gegensatz dazu wird erwartet, dass die britische Staatsschuld in Prozent des BIP mittelfristig nur um 3 Prozentpunkte fallen wird –trotz eines konsequenten Austeritätsprogramms.

“Was Samaras von Keynes lernen kann” (Spiegel Online, 24.08.2012)

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Historie VIII: Die Phase 1945-1980

31.05.2013Prof. Dr. Ansgar Belke

• Die Repression lieferte eindrucksvolle Erträge. Im durchschnittlichen“Liquidationsjahr” mit negativem Realzins reduzierten Großbritannienund die USA ihre Staatsschulden um 3 bis 4% des BIP.

• Andere Länder wie Italien und Australien kamen in den Genuss eines“Tilgungseffekts (liquididation effect)” von über 5%.

• Der Effekt über ein Jahrzehnt war groß. Von 1945 bis 1955 verringertedie Repression die US-amerikanische Staatsschuld um 50 Prozentpunkte, von 116% auf 66% des BIP.

• Negative reale Zinssätze waren Steuereinnahmen in Höhe von 6.3% des BIP pro Jahr wert!

• Ausreichend, um heute das US-Budget innerhalb eines Jahres ohneein neues Austeritäts-Programm in einen Überschuss zu überführen.

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Historie der finanziellen Repression IX

31.05.2013Prof. Dr. Ansgar Belke

Häufigkeitsverteilung realer Zinssätze: Industrieländer 1945-2011

Quelle: Reinhart and Sbrancia (2011). Treasury bills.Anmerkung: Industrieländer = Australien, Belgien, Kanada, Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Irland, Italien, Japan, Neuseeland, Schweden, USA und Großbritannien. Reinhart und Sbrancia (2011) belegen ein ähnliches Muster für die Emerging Markets.

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Historie X: Die Phase 1945-1980

31.05.2013Prof. Dr. Ansgar Belke

• Die Sparer akzeptierten inflationsbereinigten Verlust, der einerVerbesserung des Staatshaushalts entsprach.

• Mysterium: warum akzeptierten Sparer derart magere Erträge übereinen so langen Zeitraum?

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Historie XI: Die Phase 1945-1980

31.05.2013Prof. Dr. Ansgar Belke

• Bindende Deckelung von Zinssätzen auf Depositen (reale ex postEinlagezinsen “noch negativer” als reale ex post Zinsen auf Treasury Bills) veranlassten heimische Sparer, Staatsanleihen nachzufragen.

• Hohe Reserve-Anforderungen zwangen Banken, einen Großteil der Sparvermögen in sichere Wertpapier-Kategorien “wegzuschließen”.

• Keine Ausweichmöglichkeiten bei Suche nach höheren Renditen: neben Kapitalverkehrskontrollen vor allem weil negative Renditen auf Staatsanleihen und Einlagen damals universelles Phänomen waren.

• Regeln nicht immer zur Schuldenerleichterung eingeführt, obwohlRepressionseffekt nicht unbemerkt blieb. System allgegenwärtig und verringerte Druck auf Regierungen, es abzuschaffen.

Briten dürfen erst seit Maggie Thatcher ihr Geld unbegrenzt ins Ausland schaffen. Bis dahin waren internationale Überweisungen streng reglementiert, große Bargeldsummen galten als Schmuggelgut.

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Historie XII: Die Phase 2008 bis heute

31.05.2013Prof. Dr. Ansgar Belke

• Heute ähnliche finanzielle Repression wie 1945-1980: Künstlich niedrige Zinsen, gegenwärtig v.a. in Großbritannien und den USA, denselben Effekt: senken Finanzierungskosten für Staatsschulden.

• EZB erwägt sogar, Anleihezinsen mit massiven Aufkäufen von Staatsanleihen unter eine Obergrenze zu drücken (OMTs als Nachfolger des SMP). Selbst negative Nominalzinsen eine Option!

• Kapitalverkehrskontrollen heute (prinzipiell) überflüssig - denn Realzinsen weltweit niedrig, Anlegern fehlt es überall an Alternativen. Lebensversicherungen sogar gesetzlich gezwungen, in schlecht verzinste, aber vermeintlich sichere Staatsanleihen zu investieren.

• Enteignung, die früher die Inflation erledigte, heute durch Zentralbanken, indem sie mit (angekündigten) massiven Staatsanleihenkäufen die Zinsen drücken.

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Historie XIV: Die Phase 2008 bis heute

31.05.2013Prof. Dr. Ansgar Belke

• Auch am aktuellen Rand anekdotische Evidenz für finanzielle Repression in Europa: zum einen niedrige Realzinsen, zum anderen finanzrepressive Maßnahmen.

• Maßnahmen binden inländische Investoren an Heimatmarkt und versuchen diese zu veranlassen, Staatsschulden zu finanzieren.

• Regulatorische Maßnahmen, die die Nachfrage nach Staatsschulden künstlich erhöhen.

• Basel-III-Reformpaket zur Bankenregulierung: erhöht Anreize für Banken, Staatsanleihen gegenüber anderen Aktiva vorzuziehen.

• Auch neuen verschärfte Liquiditätsanforderungen für Banken bevorzugen Staatsanleihen ungerechtfertigt : keine Obergrenze dafür, wie viele Staatsanleihen des eigenen Souveräns Banken halten dürfen.

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Historie XV: Die Phase 2008 bis heute

31.05.2013Prof. Dr. Ansgar Belke

• Ebenso wirken erhöhte Anforderungen für Versicherungsgesellschaften im Rahmen von Solvency II.

• Regulierungen: Anteil von europäischen Staatsschulden, der von Banken gehalten wird, deutlich höher.

BIS Committee on the Global Financial System: Fixed Income Strategies of Insurance Companies and Pension Funds, CGFS Papers, Nr. 44, Juli 2011.

• Japan: Anleiherenditen müssen trotz fiskalisch nicht nachhaltiger Lage nicht steigen, wenn institutionelle Investoren regulatorisch bedingt Anreize haben, Staatsanleihen trotz niedriger Renditen zu halten.

T. Hoshi, T. Ito: Defying Gravity: How Long Will Japanese Government Bond Prices Remain High?, NBER Working Paper, Nr. 18287, August 2012.

• Weniger subtiles ist machbar. Im Zweifel kann Staat gestalten:Vermögensabgabe. Wegzug oder Verlagerung ins Ausland?

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Historie XVI: Die Phase 2008 bis heute

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Historie XVII: Die Phase 2008 bis heute

31.05.2013Prof. Dr. Ansgar Belke

Für Abb. und Tab. vgl. G. Zimmermann, F. Baier: Financial Repression – Ein neues Umfeld für die Finanzmärkte?, Wirtschaftsdienst, 9/2012.

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Historie XVIII: Die Phase 2008 bis heute

31.05.2013Prof. Dr. Ansgar Belke

“Moderne” finanzielle Repression• Westliche Regierungen haben auch Zugang zu Ersparnissen “in Übersee” und

setzen sie finanzieller Repression aus.

• Zentralbanken halten Staatsanleihen als Teil ihrer Reserven. “Treasury bonds” sind mit Abstand populärste Anlageform (Ausländer halten 43% der Treasury-Schuld; öffentliche Institutionen, v.a. in Asien und ölexportierenden Ländern, halten so etwa $3,5 Bio. Vermögen). Zeck: liquide Anlage oder Wechselkurssteuerung!

• Käufe der globalen Zentralbanken, der heimischen Zentralbanken (QE) und der finanziell repressierten Institutionen: > 50% amerikanischer und britischer Anleihen bei Investoren, die über niedrige Erträge nicht besorgt sind.

• Manager von Investment und Hedge Funds, die an höheren Renditen interessiert sind, können so ihre Rolle als “Marktwächter” nicht mehr ausfüllen. Anleiherenditen folglich kein marktgerechtes Signal mehr!

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Historie XIX: Die Phase 2008 bis heute

31.05.2013Prof. Dr. Ansgar Belke

• “Erfolgreicher Trick”: Kaufe reale Güter/Dienstleistungen von anderen Ländern und verkaufe geringverzinsliche Papiere dafür!

• Und dies scheint dauerhaft zu sein: Investoren sind zwar auf Investitionsalternativen aus, werden aber weiter Staatsanleihen kaufen.

Warum?

• In diesen Zeiten dominiert der Wunsch der Investoren nach Sicherheitdie Sorge um die Nachhaltigkeit öffentlicher Finanzen.

• “Treasury bond” liquidestes Asset der Welt; Investoren wissen, dass sieihre Positionen sofort ohne Preisänderungen verkaufen können.

• Dies lässt die Bonds von “Bad News” profitieren – sogar von schlechtenNachrichten über die Finanzlage der US-Regierung. ParalleleDeutschland? Eurobonds?

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Effekte der finanziellen Repression I

31.05.2013Prof. Dr. Ansgar Belke

• Niedrige bzw. negative Realzinsen sind das Hauptcharakteristikum finanzieller Repression.

• Niedriges Realzinsniveau hilft den Staaten, die durch die Finanzkrise angehäuften Schuldenlasten leichter zu tragen.

• Aber Effekte auf die Makroökonomie und die Mikrostruktur der Finanzmärkte, die zu Vermögenspreispreisblasen führen können.

• Finanzielle Repression könnte zu negativen Effekten in Form neuer Finanzmarktungleichgewichte führen.

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Effekte der finanziellen Repression II

31.05.2013Prof. Dr. Ansgar Belke

• Erster Effekt: massive Belastung der Finanzinstitute.• Niedrigzinsumfeld hilft zunächst bei Rekapitalisierung der durch

Finanzkrise angeschlagenen Banken: Nettozinsspannen der Banken steigen anfänglich im Rahmen der Fristentransformation.

• Je länger Niedrigzinsumfeld am kurzen Ende andauert, desto mehr sinken auch am langen Ende die Zinsen und Zinsspannen/Erträge der Banken. => Verstärkte Risikoaufnahme der Banken auf der Suche nach Rendite.

• Gleiches bei Versicherungen/Pensionsfonds: müssen Garantiezins verdienen!

• Geldmarktfonds: bei anhaltendem Niedrigzins Problem, ihre Kosten wieder hereinzuholen. Geldmarktfonds für Schattenbanken wichtige Quelle der Liquidität, die für diese bei anhaltendem Niedrigzins auszutrocknen droht.

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Effekte der fR III: Inländische Einkommensverteilung

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• Finanzielle Repression benachteiligt Sparer, begünstigt Schuldner. • Denn Banken, Versicherungsgesellschaften und Rentenfonds geben

über niedrige Einlagenzinsen den Effekt der finanziellen Repression an die Sparer weiter => nicht nur Halter von Staatsschuldtiteln, sondern auch Sparer indirekt besteuert. E. Shaw: Financial Deepening in Economic Development, New York 1973, S. 83.

• Begünstigt werden Schuldner: können zu künstlich niedrigeren Zinsen Kredite aufnehmen.

• Dieser Transfer finanzieller Ressourcen von Sparern und/oder nichtprivilegierten Akteuren hin zu Regierungen und/ oder privilegierten Akteuren wird als Finanzrepressions-Steuer bezeichnet. D. Beim, C. Calomiris: Emerging Financial Markets, New York 2001, S. 47 ff.

• “Steuer” = Inflationssteuer auf Geldvermögen plusOpportunitätskosten der entgangenen höherverzinslichen Alternative.

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Effekte der finanziellen Repression IV

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• Abweichung des Zinssatzes auf Staatsschuldenlast und der Einlagenzinssätze von Marktsätzen (= Höhe der fR-Steuer) abhängig vom Ausmaß der Regulierung des Finanzmarktes und der Inflationsrate. C. Reinhart et al.: Financial Repression Redux, in: Finance & Development, 2011, S. 23.

• Finanzrepressive Maßnahmen zwingen Banken, Kundeneinlagen niedrig zu vergüten ‚=> aggregierte Sparquote sinkt unter optimales Niveau. R. McKinnon: Money and Capital in Economic Development, Washington 1973, S. 69.

• Eurozone und (angekündigte) Anleihekäufe der EZB: „echtes“ Entsparen - kann lange dauern. Denn Zinsen müssen lange niedrig bleiben; sonst gibt es Staatspleiten. Peripherieländer können sich keine hohen Zinsen leisten.

• Gesunkene Refinanzierungskosten der Staaten ermöglichen im Ideal leichtere Rückführung der Defizite oder sogar deren Ausweitung.

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Effekte der finanziellen Repression V

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Aber: Spart Deutschland nicht ohnehin zu viel? OECD.

• Deutschlands Sparer erzielen vor allem im Ausland zu geringeRenditen (weniger Riskoaversion, USA: “Exorbitant privilege”)

• Sparer verfolgen ideales Bild eines “Nest-egg” und erhöhen ihreErsparnisse, wenn sie durch Inflation verringert werden. KeineGeldillusion!

• Da sich negative Zinssätze v.a. in unruhigen Zeiten einstellen, werdenSparer vorsichtiger und sparen mehr. Regierungsattacken auf Spareinlagen befeuern diese Furcht; Problem des Zypern-Pakets.

(Auch UK-Bürger spartentrotz Inflation in 70ern mehr

als in 60ern)

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Effekte der finanziellen Repression V

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• Sparer haben Anreize, höherverzinsliche Anlagemöglichkeiten im In- und Ausland zu suchen. P. Agénor, P. Montiel: Development Macroeconomics, 3. Aufl., Princeton 2008, S. 107.

• Wollen Sparer dieser schleichenden Enteignung entgehen, müssen sie höhere Risiken eingehen, d.h. z.B. ihre Aktienquote ggü. Anleihen und Festgeld erhöhen. Aber dafür auch noch höhere Steuern zahlen?

• Suche nach höheren Renditen: erhöhte Volatilität des Aktienmarkts und im Extremfall Kapitalflucht. N. Lardy: Financial Repression in China, Peterson Institute for International Economics, Policy Brief PB08-8, 2008, S. 6.

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Effekte der finanziellen Repression VI

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• Für Banken Anreize, Kreditvergabestandards zu erhöhen, wodurch v.a. etablierte Schuldner profitieren => von politischen Netzwerken abhängige Ressourcenallokation. McKinnon, a.a.O.; E. Shaw, a.a.O.

• Suche der Sparer nach alternativen Anlagemöglichkeiten und Suche der Schuldner nach alternativen Kreditquellen lassen informelle Märkte an Bedeutung gewinnen. Schattenbankenmärkte wegen ihrer fehlenden bzw. mangelhaften Regulierung Gefahr für Finanzstabilität.

• Steigende Bedeutung von Nichtmarktakteuren bei der Preisbildung im Markt für Staatsanleihen. J. R. Andritzky: Government Bonds and Their Investors: What Are the Facts and Do They Matter?, IMF Working Paper, WP/12/158.

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Effekte der finanziellen Repression VII

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• Vom Staat künstlich erhöhte Nachfrage nach Staatsanleihen: verzerrte, zu hohe Bewertung dieser Anleihen.

• Angebot sicherer Wertpapiere sinkt wegen Vertrauensverlust von Investoren in Staatsanleihen hochverschuldeter Länder

• Verstärkt Störung des Preismechanismus im Anleihen-Segment.

• Niedrige Anleihe-Renditen: Investieren in risikoreichere Wertpapiere („Search for yield“). IMF: Global Financial Stability Report, Chapter 3, April 2012.

• Risk-on-/Risk-off-Verhalten von Investoren kann rückgekoppelt mit höheren Korrelationen zwischen Vermögensklassen zu stärkerer Volatilität der Vermögenspreise und zu Finanzpreisblasen führen.

• Def. Risk-on-/Risk-off-Verhalten. Seit 2008 vorherrschendes Investitionsparadigma: Finanzmarktteilnehmer nehmen Risiken auf, wenn Marktrisiken gering eingeschätzt und umgekehrt. R. McCauley: Risk-on/Risk-off, Capital Flows, Leverage and Safe Assets, BIS Working Papers, Nr. 382, Juli 2012.

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Effekte der Finanziellen Repression VIII

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• Da Staatsanleihen Schlüsselfunktion im Finanzsystem und der geldpolitischen Übertragung, berührt finanzielle Repression auch andere Anlagekategorien.

• Fähigkeit hoch verschuldeter Regierungen, heimische Banken zum Kauf ihrer Staatspapiere zu zwingen = entscheidendes Hemmnis für umfassende Bankenunion. Denn diese nimmt nationalen Regierungen genau die Instrumente, finanzielle Repression auszuüben. Benito, A., European Views: Spain’s gradualist approach towards banks is due to its fiscal outlook and financial repression” Goldman Sachs Global Economics, 11 May 2012. Siehe auch verschiedene Statements von N. Véron, Senior Fellow, Bruegel.

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Fazit I

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• FR ermöglichte zügige Schuldenreduktion nach 2. Weltkrieg.

• Öffentliche Schulden in vielen Industrieländern so hoch wie seitdem nicht mehr; für einige selbst Schulden-Umstrukturierung nicht abwegig.

• Öffentliche und private externe Schuldenstände (im Ausland, volatile Finanzierungsquelle) historisch hoch.

• Regierungen werden mittelfristig mit Schuldenreduktion, Schulden-Management und mit Maßnahmen, die Kosten der Bedienung der Schulden erträglich zu halten, beschäftigt sein …

• … zumal man Maßnahmen der fR politisch mit ganz anderen Motiven legitimieren kann: Rettung des Euro, Stabilisierung des Finanzsystems und Einführung einer eBankenunion.

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Fazit II: Zunehmende Relevanz von fR

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• Hohe persistente Arbeitslosigkeit als Folge der Finanzkrise in vielen Industrieländern motivieren Zentralbanken, Zinssätze niedrig zu lassen.

• In diesem Umfeld dürfte finanzielle Repression (Doppelziel: niedrige Zinssätze und “Einfangen heimischer Investoren”) vermehrt Beliebtheit finden: o.a. Mechanismen nur Spitze des Eisbergs!

• Schwellenländer – als Folge der durch fR angeregten Suche der Investoren nach höheren Renditen – erfahren verstärkte Kapitalzuflüsse und negative Effekte starker Aufwertungen ihrer Währungen und steigende Vermögenspreise (Nigeria).

• Damit dürften neben den Industrie- auch die Schwellenländer zunehmend bereit sein, verschärfte Regulierung globaler Finanz-und Kapitalmärkte und Kapitalverkehrskontrollen zu akzeptieren.

• Aber: …

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Fazit III: Relativierung und Identifikationsproblem

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• … Unterschied zur Nachkriegszeit, dass Kapitalmärkte heute global viel besser integriert sind.

• Erschwert es Regierungen, Investoren an bestimmte Anlageklassen bzw. Länder zu binden, sodass fR durch regulatorische Arbitrage(„Race to the bottom“) eingeschränkt werden dürfte. S. Mather, A New Era of Financial Repression, Pimco Viewpoints, June 2011.

• Bessere Wachstumsperspektiven und höhere Inflationstoleranz nach 2. Weltkrieg. S. Mather, a.a.O.

• Unterscheidung zwischen Maßnahmen, die explizit auf Reduktion der Staatschulden abzielen, und solchen, die Schuldenabbau nicht beabsichtigt nach sich ziehen …

• … konjunkturell bedingte Niedrigzinspolitik der Zentralbanken oder verschärfte makroprudenzielle Regulierung zur Verhinderung zukünftiger Finanzkrisen. Oder hohe Unsicherheit (die Zinsen drückt, aber gleichzeitig die Realwirtschaft belastet)?

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Fazit IV: Kann man der fR entkommen?

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• Niedrigzinsphase wird länger dauern (Exit-Probleme der Geldpolitik) und Altersvorsorge, Lebensversicherung, berufsständische Vorsorge … tiefgreifend verändern.

• Wenn alle risikoarmen Anlagen zu (realen) Verlusten führen, können Anleger natürlich riskantere wählen (falls Politik diesen Weg durch fR nicht verschließt).

• Aktien etwa bieten Schutz gegen negative Realzinsen - sind aber ggü. Kurseinbrüchen nicht immun, wie sich schon oft gezeigt hat.

• Immobilien bieten auch einen gewissen Schutz, sind aber bereits teuer und können Wert verlieren. „Klotz am Bein“: lassen sich gut besteuern.

• Noch gibt es auch Unternehmensanleihen, die mehr Zinsen bieten als die Inflation - aber immer auch Risiko eines Totalausfalls bergen.

• Gold liefert keine laufenden Erträge wie Zinsen von Anleihen. Kauf von Barren oder Münzen bei kleinen Mengen mit hohen Gebühren belastet. Im Extrem Gefahr der Ablieferungspflicht.

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Fazit V: Kann man der finanziellen Repression entkommen?

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• Drei Sparformen bieten idR wenigstens Schutz vor Geldentwertung: Immobilien, Gold und Aktien. Vorzug, dass ihr Wert idR mit Inflation wächst.

• Unnötig “uninformierte und hilflose Opfer” verhelfen der fR seit Jahrzehnten erst zu ihrer Effektivität.

• “If you understand what is truly going on, then you do have the ability to turn this to your substantial personal financial advantage. Align your financial interests with your government and the governments of the world”.

• Kapitalverkehrsfreiheit: Investiere in Volkswirtschaften mit positiven Realzinsen und guten Wachstumsaussichten. Abwägen der dortigen Risiken gegen die Sicherheit, dass die Zentralbanken weltweit die Sparer verlieren lassen.

• Private Rente bleibt nur sicher bei erfolgreicher Spekulation auf die Gewinne von Wertpapieren. Politik drängte zur privaten Vorsorge: Bürger wurden gezwungenermaßen zu Spekulanten. Warum diffamiert dann die Politik die Spekulation?

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Literatur

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• BELKE, ANSGAR (2012): Goldgedeckte Anleihen statt der EZB-Ankäufe, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. November.

• BELKE, ANSGAR (2013): Impact of a Low Interest Rate Environment – Global Liquidity Spillovers and the Search-for-yield, Briefing paper prepared for presentation at the Committee on Economic and Monetary Affairs of the European Parliament for the quarterly dialogue with the President of the European Central Bank, February, Brussels. Web: http://www.europarl.europa.eu/document/activities/cont/201302/20130214ATT61109/20130214ATT61109EN.pdf

• BELKE, ANSGAR, VERHEYEN, FLORIAN (2013): Ökonomisches Neuland: negative Notenbankzinsen, Ökonomenstimme, Web: http://www.oekonomenstimme.org/artikel/2013/03/oekonomisches-neuland-negative-notenbankzinsen/, 24.03.2013.

• BELKE, ANSGAR, BORDON, INGO, VOLZ, ULRICH (2012): Effects of Global Liquidity on Commodity and Food Prices, in: World Development, Vol. 44, S. 31-43.

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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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