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NICCI FRENCH In seiner Hand

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Page 1: NICCI FRENCH In seiner Hand - bücher.deDer Glaspavillon (43551) Ein sicheres Haus (43552) Der Sommermörder (05513) In seiner Hand (45946) Höhenangst (05495) Der falsche Freund (46176)

NICCI FRENCH

In seiner Hand

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Buch

Als Abbie Devereaux die Augen öffnet, bleibt es dunkel. Ein dröh-nender Schmerz erfüllt ihren Schädel. Nur langsam begreift sie ihreLage: gefesselt, mit einer Kapuze über dem Kopf, einer Schlinge umden Hals. Eine tödliche Falle. Und sie spürt den Atem eines Ande-ren. Ein Mann starrt sie an, berührt sie, erniedrigt sie. Sie kann sichnicht erinnern, wie sie in seine Gewalt gekommen ist. Sie weiß nur,dass sie sterben wird. Tag um Tag vergeht, und Abbie fühlt sichStück für Stück ihrer Persönlichkeit beraubt. Mit letzter Willens-kraft beschließt sie, wenigstens den Zeitpunkt ihres Todes selbst zu

bestimmen. Der Versuch misslingt, doch ihr gelingt die Flucht.Zurück in der Welt der Lebenden glaubt niemand Abbies Geschich-te. Polizei, Ärzte und Psychologen sehen darin das Fantasieprodukteiner Frau, die hinter der Fassade von Attraktivität und Erfolg schonimmer ein Opferdasein führte. Verzweifelt erkennt Abbie, dass sieimmer noch in der Falle sitzt. Sie weiß, der Mann aus dem Kellerwird nach ihr suchen. Erst wenn er sie getötet hat, wird man erken-nen, dass sie ihre Geschichte nicht erfunden hat. Ihr bleibt nur dieFlucht nach vorne. Mühsam rekonstruiert sie die Tage vor ihremVerschwinden und sucht nach der Frau, die sie vor der Entführung

war …

Autoren

Gerrard und Sean French. Seit langem sorgen sie mit ihren höchsterfolgreichen Psychothrillern für Furore und haben auch inDeutschland die Bestsellerlisten erobert. Sie leben mit ihren Kindern

in London.

Von Nicci French außerdem bei Goldmann lieferbar:

Der Glaspavillon (43551)Ein sicheres Haus (43552)

Der Sommermörder (05513)In seiner Hand (45946)

Höhenangst (05495)Der falsche Freund (46176)Das rote Zimmer (46614)

Höhenangst/Der Sommermörder (13381)Acht Stunden Angst (geb. Ausgabe, 00938)

Hinter dem Namen Nicci French verbirgt sich das Ehepaar Nicci

Ein sicheres Haus/Der Glaspavillon (13357)

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Nicci FrenchIn

seiner HandRoman

Deutschvon Birgit Moosmüller

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Die Originalausgabe erschien 2002unter dem Titel »Land of the Living«

bei Michael Joseph, London

. AuflageTaschenbuchausgabe Juni 2005

Copyright © 2002 by Joined-Up WritingCopyright © 2003 der deutschsprachigen Ausgabe

by C. Bertelsmann Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbHUmschlaggestaltung: Design Team MünchenUmschlagfoto: Visum/Doublepoint Pictures

.

www.goldmann-verlag.de

3

ISBN 978-3-442-45946-9Printed in Germany

Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100Das für dieses Buch verwendete FSC-zertifizierte Papier

München Super liefert Mochenwangen.

SGS-COC-1940

JK Herstellung: Sebastian StrohmaierDruck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck

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FÜR TIMMY UND EVE

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ERSTER TEIL

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Dunkelheit. Lange Zeit nichts als Dunkelheit. Augen auf undzu, auf und zu. Noch immer Dunkelheit, in mir und um michherum.

Ich hatte geträumt. Wurde umhergeworfen in einem tosen-den, schwarzen Meer. Eingekreist auf einem nächtlichen Berg.Ein Tier, das ich nicht sehen konnte, schnüffelte um mich he-rum. Ich spürte eine feuchte Nase auf meiner Haut. Wenneinem bewusst wird, dass man träumt, wacht man auf. Manch-mal gleitet man sofort weiter in den nächsten Traum, aberwenn man aufwacht und sich nichts ändert, dann muss es sichwohl um die Realität handeln.

Dunkelheit. Eine Dunkelheit, in der etwas lauerte. Schmerz.Erst noch weit von ihr entfernt, kam er näher, wurde ein Teilvon ihr. Ein Teil von mir. Ich war erfüllt von einem stechen-den, quälenden Schmerz. Trotz der Dunkelheit konnte ich denSchmerz sehen. Gelbe, rote und blaue Blitze, die lautlos hintermeinen Augen explodierten.

Ich begann nach etwas zu suchen, ohne wirklich zu wissen,wonach. Ich wusste nicht, wo es steckte oder was es eigentlichwar. Nightingale. Farthingale. Es kostete mich große Anstren-gung, als müsste ich ein schweres Paket aus einem tiefen dunk-len See hieven. Plötzlich hatte ich es. Abigail. Das klang ver-traut. Mein Name war Abigail. Abbie. Tabbie. Abbie theTabbie. Der andere Name war schwieriger. In meinem Kopffehlten ein paar Dinge, und mein Nachname schien verlorengegangen zu sein. Ich erinnerte mich an eine Klassenliste. Aus-ter, Bishop, Brown, Byrne, Cassini, Cole, Daley, Devereaux,

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Eve, Finch, Fry. Nein, halt. Zurück. Finch. Nein. Devereaux.Ja, der war es. Ein Reim fiel mir ein. Ein Reim aus einer längstvergangenen Zeit. Nicht Deverox wie Box. Nicht Deveruh wieSchuh. Sondern Devereaux wie Show. Abbie Devereaux. Ichklammerte mich an den Namen wie eine Ertrinkende, als hättemir jemand bei stürmischem Seegang einen Rettungsring zu-geworfen. Dabei spielte sich der Seegang hauptsächlich in mei-nem Kopf ab: Eine Schmerzwelle nach der anderen rollte he-rein und klatschte gegen die Innenseite meines Schädels.

Ich schloss die Augen erneut, ließ meinen Namen los.

Alles lief ineinander. Alles existierte gleichzeitig. Wie langedauerte das an? Minuten. Stunden. Dann aber begannen sichdie Dinge wieder zu trennen und wie Gestalten aus einem Ne-bel zu lösen. Ich hatte einen metallischen Geschmack im Mundund einen metallischen Geruch in der Nase, aber der Geruchbekam rasch eine modrige Note, die mich an Gartenschuppen,Tunnel und Keller denken ließ, an feuchte, schmutzige, ver-gessene Orte.

Ich lauschte. Nichts als das Geräusch meines eigenen Atems,unnatürlich laut. Ich hielt die Luft an. Stille. Nur noch meinHerzschlag. War das überhaupt ein Geräusch oder bloß dasBlut, das durch meinen Körper gepumpt wurde und von innengegen meine Ohren drängte?

Ich fühlte mich unwohl. Mein Rücken schmerzte, ebensomein Becken und meine Beine. Ich drehte mich um. Nein, ichdrehte mich nicht um. Ich konnte mich gar nicht bewegen. Ichhob die Arme, als müsste ich etwas abwehren. Nein. Die Armebewegten sich nicht. War ich gelähmt? Ich spürte meine Beinenicht. Meine Zehen. Ich konzentrierte mich ganz auf meineZehen. Die linke große Zehe rieb an ihrer Nachbarzehe. Dierechte große Zehe tat es ihr nach. Kein Problem. Die Zehenließen sich bewegen. Sie steckten in Socken. Ich trug keineSchuhe.

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Meine Finger. Ich drückte sie nach unten. Die Fingerspitzenberührten etwas Raues. Zement oder Stein. War ich in einemKrankenhaus? Verletzt. Ein Unfall. Oder lag ich irgendwo undwartete darauf, gefunden zu werden? Ein Eisenbahnunglück.Das Wrack eines Zugs. Wrackteile auf mir. In einem Tunnel.Hilfe unterwegs. Ich versuchte mir den Zug ins Gedächtnis zurufen, konnte mich aber nicht erinnern. Oder ein Flugzeug.Ein Auto. Spät nachts am Steuer eingeschlafen. Ich kannte dasGefühl, hatte mich oft genug selbst in den Arm gekniffen, umwach zu bleiben, das Fenster geöffnet, um kalte Luft herein-zulassen. Vielleicht hatte es diesmal nicht geklappt. Von derStraße abgekommen, eine Böschung hinuntergerast. Vielleichthatte sich der Wagen überschlagen. Wann würde mich jemandals vermisst melden?

Ich durfte nicht warten, bis jemand kam und mich rettete.Womöglich würde ich vorher sterben, während ein paar Metervon mir entfernt die Leute zur Arbeit fuhren. Mir blieb nichtsanderes übrig, als mich aufzurappeln. Wenn ich bloß etwassehen könnte. Kein Mond, keine Sterne. Vielleicht waren esbloß zwanzig Meter. Eine Böschung hinauf. Wenn ich meineZehen spüren konnte, dann konnte ich mich auch bewegen.Als erstes musste ich mich umdrehen. Den Schmerz ignorie-ren. Ich versuchte es, aber diesmal spürte ich, dass mich etwaszurückhielt. Ich war festgebunden. An den Fußgelenken undauf Höhe der Oberschenkel. An den Unterarmen und knappüber den Ellbogen. Über der Brust. Zumindest konnte ich einwenig den Kopf heben, wie beim kläglichen Versuch eines Sit-ups. Da war noch etwas anderes. Nicht nur Dunkelheit. Es wardunkel, aber nicht nur das. Mein Kopf war bedeckt.

Ich versuchte, klar zu denken. Es musste einen Grund dafürgeben. Gefängnisinsassen wurden festgebunden. Manchmalauch Krankenhauspatienten, um sie vor weiterem Schaden zubewahren. Beispielsweise, wenn sie auf einem Rollbett zu einerOperation gefahren wurden. Ich hatte einen Unfall gehabt.

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Einen Autounfall, das war am wahrscheinlichsten. Ernst, abernicht lebensbedrohlich. Trotzdem konnte jede abrupte Be-wegung gefährliche innere Blutungen zur Folge haben. Be-stimmt wartete ich bloß auf die Schwester oder den Anäs-thesisten. Vielleicht hatte man mir das Narkosemittel schonverabreicht. Oder ein Mittel, das mich auf die Narkose vorbe-reitete. Daher die Lücken in meinem Gedächtnis. Seltsam, dasses so still war, aber man hört ja oft von Leuten, die im Kran-kenhaus stundenlang auf einem Rollbett herumliegen, bis einOperationssaal frei wird.

Aber irgendetwas stimmte nicht. Ich schien nämlich nichtauf einem Rollbett zu liegen. Ganz zu schweigen von diesemGeruch nach Feuchtigkeit und Schimmel, nach alten, vor sichhin modernden Dingen. Meine Finger ertasteten nichts als Be-ton oder Stein. Mein Körper lag auf etwas Hartem. Ich ver-suchte nachzudenken. Nach großen Katastrophen wurden dieLeichen oft in improvisierten Leichenhallen gelagert. In Sport-hallen von Schulen. Gemeindesälen. Vielleicht war ich ein Ka-tastrophenopfer. Vielleicht hatte man jeden freien Fleck ge-nutzt, um die Verletzten unterzubringen – festgebunden, umsie vor weiteren Verletzungen zu bewahren. Aber zog man Ka-tastrophenopfern Kapuzen über den Kopf? Chirurgen tru-gen kapuzenartige Kopfbedeckungen, jedoch nichts über denAugen. Vielleicht ging es darum, Infektionen zu vermeiden.

Ich hob erneut den Kopf. Mit dem Kinn erfühlte ich einShirt. Ich war bekleidet. Ja. Ich spürte Kleidung auf meinerHaut. Ein Shirt, eine Hose, Socken. Keine Schuhe.

Irgendwo in meinem Hinterkopf tauchten andere Gedan-ken auf. Grausame Gedanken. Gefesselt. Umgeben von Dun-kelheit. Eine Kapuze über dem Kopf. Lächerlich. Konnte essich um einen Scherz handeln? Würden gleich alle aus ihrenVerstecken springen, mir die Binde von den Augen reißen und»April April!« schreien? Aber war überhaupt April? Ich konn-te mich an kaltes Wetter erinnern. War der Sommer schon vor-

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bei, oder stand er erst noch bevor? Eigentlich eine dumme Fra-ge, denn natürlich gab es immer einen Sommer, der schon ver-gangen war, und einen neuen, der bevorstand.

Lauter Sackgassen. Ich ging sie alle ab, ohne fündig zu werden.Irgendetwas war passiert, so viel wusste ich immerhin. Mögli-cherweise handelte es sich dabei um etwas Lustiges, auch wennes sich nicht lustig anfühlte. Vielleicht hatte sich aber auch et-was Schlimmes ereignet, und von offizieller Seite wurden ge-rade geeignete Maßnahmen ergriffen. Die Kapuze – oder derVerband, ja, wahrscheinlich handelte es sich um einen Ver-band. Das war plausibel. Vielleicht hatte ich eine Kopfverlet-zung davongetragen, meine Augen oder Ohren hatten Schadengenommen, und mein gesamter Kopf war zu meinem eigenenSchutz mit Verbänden umwickelt. Sie würden bald entferntwerden. Es würde ein wenig brennen. Eine freundlich drein-blickende Krankenschwester würde sich über mich beugen.Keine Sorge, es besteht kein Grund zur Sorge, würde sie zu mirsagen.

Es waren noch andere Möglichkeiten denkbar. FurchtbareMöglichkeiten. Ich musste an den Steinboden unter meinenFingern denken, an die feuchte Luft, wie in einer Höhle. Bisjetzt war da nur der Schmerz und das Chaos meiner Gedankengewesen, aber plötzlich spürte ich noch etwas anderes. Angstsickerte wie Schlamm in meine Brust. Ich gab ein Geräuschvon mir, ein leises Stöhnen. Offenbar war ich in der Lage zusprechen. Obwohl ich nicht wusste, wen ich rufen oder was ichsagen sollte, versuchte ich es ein wenig lauter. Ich hoffte, dasEcho oder die Schärfe des Geräusches würde mir etwas übermeinen Aufenthaltsort verraten, aber mein Ruf wurde durchdie Kapuze gedämpft. Ich rief erneut, diesmal so laut, dassmein Hals schmerzte.

Nicht weit von mir entfernt bewegte sich etwas. Neue Ge-rüche stiegen mir in die Nase. Schweiß und Rasierwasser. Ich

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hörte jemanden atmen, polternd auf mich zukommen. Plötz-lich war mein Mund voller Stoff. Ich bekam kaum mehr Luft,nur noch durch die Nase. Irgendetwas wurde fest um meinGesicht gebunden. Heißer Atem streifte meine Wange, danndrang aus der Dunkelheit eine Stimme an mein Ohr. Es warkaum mehr als ein Flüstern, heiser, gepresst und so undeut-lich, dass ich mich anstrengen musste, um die Worte zu verste-hen.

»Nein«, sagte die Stimme. »Noch ein Mucks, und ich bindedir auch noch die Nase zu.«

Ich musste würgen. Der Stoff füllte meinen ganzen Mundaus, rieb gegen meinen Gaumen. Mein Hals schmeckte plötz-lich nach Fett und ranzigem Kohl. Ein Krampf durchzucktemich, und Übelkeit stieg wie Feuchtigkeit in mir auf. Ichdurfte mich nicht übergeben. Verzweifelt schnappte ich nachLuft, versuchte vergeblich, durch den Stoff zu atmen. Es gingnicht, mein Mund war völlig verstopft. Ich zerrte mit beidenArmen an den Fesseln und versuchte gleichzeitig Luft zu ho-len. Ich fühlte mich, als würde sich mein ganzer Körper aufdem rauen Steinboden zuckend aufbäumen, als wäre kein biss-chen Luft mehr in mir, nur noch schmerzhaftes Vakuum undgrelles Rot hinter meinen hervorquellenden Augen, und einHerz, das hektisch durch meinen Hals nach oben dräng-te, während ein seltsam heiseres Geräusch aus meiner Kehledrang, wie ein Husten, der nicht zustande kommen wollte. Ichwar ein sterbender Fisch. Ein Fisch, der sich auf dem hartenBoden hin und her warf. Gefesselt hing ich am Haken, aber inmeinem Inneren schien sich alles zu lösen, als würden meinegesamten Eingeweide zerrissen. Fühlt sich das so an? Wennman stirbt? Wenn man lebendig begraben wird?

Ich musste atmen. Wie atmet man? Durch die Nase. Er hatteetwas von meiner Nase gesagt. Der Mann hatte gesagt, erwerde mir als nächstes die Nase zubinden. Ich musste durchdie Nase atmen. Jetzt. Es ging nicht, ich bekam auf diese Weise

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nicht genug Luft. Wieder versuchte ich, mich keuchend mitLuft voll zu saugen. Meine Zunge war zu groß, um in dem win-zigen Raum Platz zu finden, der in meinem Mund noch übrigwar. Sie stieß immer wieder gegen den Stoff des Knebels. Ichspürte, wie sich mein Körper erneut aufbäumte. Langsam at-men. Ganz ruhig. Ein und aus, ein und aus. Immer weiter, bisich nichts anderes mehr fühlte. Nur so würde ich am Lebenbleiben. Atme, befahl ich mir selbst. Dicke, modrige Luftströmte in meine Nasenlöcher, ölige Fäulnis lief meinen Ra-chen hinunter. Ich versuchte, nicht zu schlucken, aber dannließ es sich nicht länger vermeiden, und wieder schwappte Ekelin mir hoch, füllte meinen Mund. Ich konnte es nicht ertragen.Doch, ich konnte. Ich konnte, ich konnte, ich konnte.

Atme ein und aus, Abbie. Abbie. Ich bin Abbie. Abigail De-vereaux. Ein und aus. Denk nicht nach. Atme. Du bist noch amLeben.

Der Schmerz in meinem Schädel wich ein Stück zurück. Ichhob den Kopf ein wenig an, der Schmerz strömte hinter meineAugen. Ich blinzelte ein paarmal. Dieselbe tiefe Dunkelheit,egal, ob ich die Augen offen oder geschlossen hatte. MeineWimpern drückten gegen die Kapuze. Mir war kalt, so vielspürte ich inzwischen. Meine Füße fühlten sich in den Sockenwie Eiszapfen an. Waren das meine eigenen Socken? Sie kamenmir so groß und rau vor, gar nicht vertraut. Meine linke Wadeschmerzte. Ich versuchte die Beinmuskeln zu bewegen, umdieses Gefühl eines Krampfes loszuwerden. Plötzlich beganneine Stelle an meiner Wange unter der Kapuze zu jucken. Einpaar Sekunden lang lag ich reglos da, konzentrierte mich nurauf das Jucken, dann wandte ich den Kopf zur Seite und ver-suchte, die Stelle mit meiner hochgezogenen Schulter zu be-rühren. Ohne Erfolg. Ich verdrehte den Kopf, bis ich mein Ge-sicht über den Boden reiben konnte.

Außerdem war ich nass. Zwischen den Beinen und an den

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Oberschenkeln. Ich spürte die klamme Kälte unter meinerHose. War das überhaupt meine Hose? Ich lag in meiner eige-nen Pisse, umgeben von Dunkelheit, eine Kapuze über demKopf, gefesselt und geknebelt. Atme ein und aus, befahl ich mirselbst. Atme immer weiter, ein und aus. Versuch, die Gedan-ken langsam herauszulassen, einen nach dem anderen, damitdu nicht darin ertrinkst. Ich spürte den Druck der in mir auf-gestauten Angst, mein Körper fühlte sich wie eine zerbrechli-che Muschelschale an, zum Bersten gefüllt mit tosenden Was-sermassen. Ich zwang mich, nur an die Atemluft zu denken, diedurch meine Nasenlöcher ein und aus strömte. Ein und aus.

Jemand – ein Mann, der Mann, der den Knebel in mei-nen Mund gerammt hatte, hatte mich an diesen Ort gebracht.Er hatte mich hier festgebunden, ich war seine Gefangene.Warum? Darüber konnte ich noch nicht nachdenken. Ichlauschte, ob irgendetwas zu hören war, abgesehen vom Pfeifenmeines Atems, dem Schlagen meines Herzens und dem krat-zenden Geräusch, das meine Hände und Füße auf dem rauenBoden verursachten, wenn ich mich bewegte. Vielleicht war ernoch hier, kauerte irgendwo im Raum. Aber es war kein ande-res Geräusch zu hören. Im Moment war ich allein. Ich lag daund lauschte meinem Herzen. Die Stille erdrückte mich.

Ein Bild flatterte durch meinen Kopf. Ein gelber Schmetter-ling, der sich mit zitternden Flügeln auf einem Blatt niederließ.Es kam mir vor, als wäre plötzlich ein Sonnenstrahl auf michgefallen. War das etwas, woran ich mich erinnern konnte, einAugenblick, den ich aus der Vergangenheit herübergerettetund bis jetzt irgendwo aufbewahrt hatte? Oder war dieses Bildbloß ein zufälliges Produkt meines Gehirns, eine Art Reflexoder Kurzschluss?

Ein Mann hatte mich an einem dunklen Ort festgebunden.Offenbar hatte er mich entführt und dann hierher gebracht.

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Doch ich konnte mich nicht daran erinnern. Ich zermartertemir den Kopf, aber er war leer – ein leerer Raum, ein verlasse-nes Haus, kein Widerhall. Nichts. In meinem Hals kroch einSchluchzen hoch. Ich darf nicht weinen, ermahnte ich mich.Ich muss nachdenken, aber vorsichtig, ohne die Angst nachoben zu lassen. Ich darf nicht in die Tiefe gehen. Ich muss ander Oberfläche bleiben. Nur über das nachdenken, was ichweiß. Fakten. Langsam werde ich mir ein Bild zusammenset-zen, und dann werde ich auch in der Lage sein, es mir anzuse-hen.

Mein Name ist Abigail. Abbie. Ich bin fünfundzwanzigJahre alt, und ich lebe mit meinem Freund Terry, Terence Wil-mott, in einer winzigen Wohnung in der Westcott Road. Dasist es: Terry. Terry wird sich Sorgen machen. Er wird die Poli-zei anrufen, mich als vermisst melden. Sie werden mit Blaulichtund heulenden Sirenen herfahren und die Tür einschlagen.Licht und Luft werden hereinfluten. Nein, nur Fakten. Ich ar-beite für Jay & Joiner, entwerfe Büroeinrichtungen. Ich habeeinen Schreibtisch mit einem weißblauen Laptop, einem klei-nen grauen Telefon, einem Stapel Papier, einem ovalen Aschen-becher voller Büroklammern und Gummibänder.

Wann war ich das letzte Mal dort? Das alles erschien mir un-glaublich weit weg, wie ein Traum, der einem entgleitet, sobaldman versucht, ihn zu fassen zu bekommen. Wie das Lebeneines anderen Menschen. Ich konnte mich nicht erinnern. Wielange lag ich schon hier? Eine Stunde, einen Tag, eine Woche?Es war Januar, das wusste ich inzwischen – zumindest glaubteich es zu wissen. Draußen war es kalt, und die Tage warenkurz. Vielleicht hatte es geschneit. Nein, ich durfte nicht anDinge wie Schnee denken, Sonnenlicht auf weißen Flächen.Ich musste mich auf das konzentrieren, was ich wusste: Januar,aber ob Tag oder Nacht konnte ich nicht sagen. Vielleicht warinzwischen schon Februar. Ich versuchte an den letzten Tag zudenken, an den ich mich klar erinnern konnte, doch das war,

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als würde ich in einen dichten Nebel blicken, in dem sich le-diglich undeutliche Schatten abzeichneten.

Ich beschloss, mit dem Silvesterabend zu beginnen. Ich hattemit Freunden getanzt, und um Mitternacht waren sich alle umden Hals gefallen. Ich hatte alle möglichen Leute auf den Mundgeküsst, Leute, die ich gut kannte, und Leute, die ich erst einpaarmal getroffen hatte, sogar Fremde, die mit ausgebreitetenArmen und einem erwartungsvollen Lächeln auf mich zuka-men, weil man sich an Silvester nun mal küsst. Aber an all daswollte ich jetzt nicht denken. Nach Neujahr, ja, da regte sichnoch etwas in meinem Gedächtnis. Tage im Büro, klingelndeTelefone, Spesenrechnungen in meinem Eingangsfach. Tassenmit kalt gewordenem, bitterem Kaffee. Aber vielleicht war dasvorher gewesen, nicht danach. Oder vorher und nachher, tag-ein, tagaus. Alles erschien mir verschwommen und bedeu-tungslos.

Ich versuchte mich zu bewegen. Meine Zehen waren vorKälte ganz steif, mein Nacken schmerzte, und in meinem Kopfpochte es. Ich hatte einen widerlichen Geschmack im Mund.Warum war ich hier, und was würde mit mir geschehen? Wieein Opferlamm lag ich auf dem Rücken, Arme und Beine fest-gebunden. Eine Welle der Angst durchlief meinen Körper. Erkonnte mich verhungern lassen. Mich vergewaltigen. Foltern.Er konnte mich töten. Vielleicht hatte er mich schon verge-waltigt. Ich presste mich gegen den Boden und wimmerte ganzleise, tief unten in meinem Hals. Zwei Tränen stahlen sich ausmeinen Augen. Ich spürte das Kitzeln und Brennen auf meinerHaut, als sie zu meinen Ohren hinunterliefen.

Nicht weinen, Abbie. Du darfst nicht weinen.

Denk an den Schmetterling, der nichts als Schönheit bedeutet.Ich stellte mir den gelben Schmetterling auf seinem grünenBlatt vor. Ich ließ meinen ganzen Kopf voll werden von diesemkleinen Wesen, das so zart und leicht auf dem Blatt saß, dass es

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jeden Moment weggepustet werden konnte wie eine Feder. Ichhörte Schritte. Sie klangen weich, als wäre der Mann barfuß.Sie kamen näher, brachen ab. Dann hörte ich jemanden heftigatmen, fast keuchen, als hätte er ein Stück klettern müssen, umzu mir zu gelangen. Starr vor Angst lag ich in der Stille. Erstand jetzt über mir. Ich hörte ein Klicken, und trotz meinerKapuze war mir klar, dass er eine Taschenlampe eingeschaltethatte. Ich konnte noch immer nichts erkennen, aber ich sahdurch den Stoff, dass es nicht mehr völlig dunkel war. Offen-bar stand er über mir und leuchtete mit einer Taschenlampe aufmeinen Körper hinunter.

»Du hast dich nass gemacht«, murmelte er. Zumindest kames mir durch meine Kapuze wie ein Murmeln vor. »DummesMädchen.«

Ich spürte, wie er sich zu mir herunterbeugte. Ich hörte ihnatmen. Mein eigenes Atemgeräusch wurde lauter und schnel-ler. Er schob die Kapuze ein wenig hoch und befreite mich er-staunlich sanft von dem Knebel. Ich spürte eine Fingerspitzeauf meiner Unterlippe. Ein paar Sekunden lang konnte ichbloß erleichtert keuchen, die Luft in meine Lungen saugen.Dann hörte ich mich selbst »Danke« sagen. Meine Stimmeklang leise und schwach. »Wasser.«

Er löste die Fesseln an meinen Armen und über meinerBrust, nun waren nur noch meine Beine gefesselt. Dann schober einen Arm unter meinen Nacken und zog mich in eine sit-zende Position. Eine neue Art von Schmerz pulste durch mei-nen Kopf. Ich wagte mich nicht zu bewegen, sondern ließ teil-nahmslos über mich ergehen, dass er mir die Arme hinter denRücken legte und an den Handgelenken zusammenband – sofest, dass mir die Schnur ins Fleisch schnitt. Handelte es sichüberhaupt um eine Schnur? Es fühlte sich härter an, wie eineWäscheleine oder Draht.

»Mach den Mund auf«, sagte er in seinem gedämpften Flüs-terton. Ich tat, wie mir geheißen. Er schob einen Strohhalm

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unter die Kapuze und steckte ihn mir zwischen die Lippen.»Trink.«

Das Wasser war lauwarm und hinterließ einen schalen Ge-schmack in meinem Mund.

Er legte eine Hand auf meinen Nacken und begann ihn zumassieren. Ich saß da wie gelähmt. Ich durfte weder aufschreiennoch irgendein anderes Geräusch machen. Ich durfte mich auchnicht übergeben. Seine Finger drückten sich in meine Haut.

»Wo tut es weh?« fragte er.»Nirgends.« Meine Stimme war nur ein Flüstern.»Nirgends? Du wirst mich doch nicht anlügen?«Wut fegte durch meinen Kopf wie ein herrlicher, tosender

Wind, stärker als die Angst. »Du widerliches Stück Scheiße!«,schrie ich mit der schrillen Stimme einer Wahnsinnigen. »Lassmich los, lass mich sofort los, ich bringe dich um, du wirstschon sehen…«

Der Knebel wurde mir wieder in den Mund gerammt.»Du bringst mich um. Das ist gut. Das gefällt mir.«

Lange Zeit konzentrierte ich mich nur aufs Atmen. Ich hattevon Menschen gehört, die sich in ihrem eigenen Körper einge-sperrt fühlten wie in einem Gefängnis. Sie wurden von derVorstellung gequält, niemals entkommen zu können. MeinLeben war nun reduziert auf das bisschen Luft, das durchmeine Nasenlöcher strömte. Sollte mir diese Luftzufuhr auchnoch abgeschnitten werden, würde ich sterben. Es gab solcheFälle. Leute wurden gefesselt und geknebelt, ohne dass ihreEntführer die Absicht hatten, sie umzubringen. Nur ein klei-ner Fehler beim Binden – der Knebel zu nahe an der Nase –,und sie bekamen keine Luft mehr und starben.

Ich zwang mich, gleichmäßig zu atmen, ein eins-zwei-drei,aus eins-zwei-drei. Ein, aus. In einem Film, einer Art Kriegs-film, den ich einmal gesehen hatte, hatte sich ein supertafferSoldat vor dem Feind in einem Fluß versteckt und nur durch

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einen einzigen Strohhalm geatmet. Der Gedanke, dass ich nunin der gleichen Situation war, ließ meine Brust schmerzen, undmein Atem ging wieder stoßweise. Ich musste mich beruhigen.Statt an den Soldaten zu denken und daran, was passiert wäre,wenn irgendetwas den Strohhalm verstopft hätte, versuchteich an das Wasser des Flusses zu denken, das in der glitzerndenMorgensonne so kühl und ruhig ausgesehen hatte, so träge undschön.

In meinem Kopf floß das Wasser immer langsamer, bis esschließlich zum Stillstand kam. Ich stellte mir vor, wie dieOberfläche langsam zu Eis erstarrte, hart und klar wie Glas, sodass man die Fische darunter lautlos umherschwimmen sehenkonnte. Ich konnte nicht anders. Ich sah mich durch das Eiseinbrechen, sah mich darunter gefangen. Ich hatte irgendwogelesen oder gehört, dass zwischen Eisfläche und Wasser einedünne Luftschicht liegt, und dass man, wenn man einbrichtund das Loch nicht mehr findet, diese Luft atmen kann. Aberdann? Vielleicht wäre es besser, einfach zu ertrinken. Vor demErtrinken hatte ich immer besondere Angst gehabt, bis ichirgendwann gelesen oder gehört hatte, dass es sich in Wirklich-keit um eine angenehme Todesart handelte. In diesem Momenterschien mir das sehr plausibel. Unangenehm und schrecklichwar bloß der Versuch, nicht zu ertrinken. Angst ist der Ver-such, dem Tod zu entrinnen. Sich dem Tod zu ergeben ist wieEinschlafen.

Eins – zwei – drei, eins – zwei – drei. Langsam wurde ichruhiger. Manche Menschen, wahrscheinlich mindestens zweiProzent der Bevölkerung, wären schon vor Panik oder Luft-mangel gestorben, wenn ihnen widerfahren wäre, was mir ge-rade passierte. Demnach schlug ich mich immerhin tapferer alsso manch anderer. Ich lebte noch. Ich atmete.

Jetzt lag ich wieder ausgestreckt, an Händen und Füßen gefes-selt, einen Knebel im Mund und eine Kapuze über dem Kopf.

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Doch ich war nirgendwo mehr festgebunden. Ich kämpfte michin eine hockende Position, stand dann ganz langsam auf. Ver-suchte aufzustehen. Mein Kopf stieß gegen ein Dach. Demnachwar der Raum höchstens einen Meter fünfzig hoch. Keuchendvor Anstrengung, ließ ich mich wieder auf den Boden sinken.

Wenigstens konnte ich mich bewegen. Mich krümmen undwinden wie eine Schlange im Staub. Was ich mich kaumtraute. Ich hatte das Gefühl, irgendwo weit oben zu sein. Wenner den Raum betrat, befand er sich unter mir. Die Schritte undseine Stimme kamen von unten. Er musste irgendwo hinauf-steigen, um zu mir zu gelangen.

Vorsichtig streckte ich die Füße nach vorne aus, spürte abernur den Boden. Mühsam drehte ich mich herum. Mein T-Shirthatte sich hochgeschoben, und die nackte Haut meines Rü-ckens schabte schmerzhaft über den rauen Untergrund. Ichstreckte erneut die Beine aus. Immer noch Boden unter mei-nen Füßen. Ganz langsam schlängelte ich mich vorwärts, stän-dig mit den Füßen tastend. Plötzlich spürte ich nichts mehr –nichts Hartes mehr unter mir. Ausgestreckt über einem freienRaum, einer Leere. Liegend schob ich mich weiter, Zentimeterum Zentimeter. Meine Beine baumelten bereits bis zu denKnien in der Luft. Ich winkelte sie an. Wenn ich jetzt denOberkörper aufrichtete, würde ich über einem Abgrund sit-zen, am Rand einer Klippe. Mein Atem begann panisch inmeiner Brust zu flattern. Ich robbte rückwärts. Mein Rückenschmerzte, in meinem Kopf dröhnte und pochte es. Ich schlän-gelte und schleppte mich weiter rückwärts, bis ich gegen eineWand stieß.

Ich setzte mich auf, presste meine gefesselten Hände gegendie Wand. Die Fingerspitzen spürten grobe, feuchte Ziegel.

Aufrecht schob ich mich an der Wand entlang, bis ich auf dieEcke stieß, und bewegte mich dann in der Gegenrichtung zu-rück. Meine Muskeln brannten vor Anstrengung. Der Raummusste etwa drei Meter breit sein. Und etwa eins zwanzig tief.

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Nicci French

In seiner HandRoman

Taschenbuch, Broschur, 416 Seiten, 11,8 x 18,7 cmISBN: 978-3-442-45946-9

Goldmann

Erscheinungstermin: Mai 2005

Abbie Devereaux wird entführt, gedemütigt und langsam um den Verstand gebracht. Die junge,hübsche Frau weiß nicht, warum sie so erbarmungslos gepeinigt wird, aber ihr ist klar, dass amEnde des qualvollen Weges der Tod auf sie wartet. Nur durch einen Zufall kann sie dieser Hölle entkommen, doch nach ihrer Rückkehr in die Weltder Lebenden muss sie feststellen, dass niemand ihre Geschichte glaubt – und der wahreAlptraum für Abbie beginnt erst jetzt …