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55 Neuausrichtung grenzübergreifender Unternehmensstrukturen Umsiedlung im Kontext neuer internationaler Rahmen- bedingungen: Die Geschichte eines Unternehmers Von Aline Dénéréaz und Dr. Andreas Wenger, Inhaber der Transforma AG, Zürich

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Neuausrichtung grenzübergreifenderUnternehmensstrukturen

Umsiedlung im Kontext neuer internationaler Rahmen -bedingungen: Die Geschichte eines Unternehmers

Von Aline Dénéréaz und Dr. Andreas Wenger, Inhaber der Transforma AG, Zürich

56Neuausrichtung grenzübergreifender Unternehmensstrukturen

Der heutige internationale Steuerkontext ist für Unternehmen,die steueroptimierte Strukturen ohne konkrete betriebswirt-schaftliche Aktivität betreiben, ein echtes Problem. Konstruktionenohne ausreichende wirtschaftliche Begründung sind von denSteuerbehörden aus Hochsteuerländern zunehmend nicht mehrtoleriert.

Die folgende Fallstudie aus unserer Beratungspraxis illustriert,wie die Herausforderung, eine überzeugende wirtschaftlicheLogik im Crossborder-Kontext umzusetzen durch eine integriertebetriebswirtschaftliche, juristische und steuerliche Vorgehensweisein eine Chance für das Gesamtunternehmen verwandelt werdenkann.1

Jaap Cramer, ein Unternehmer aus Nordeuropa

1 Die Fallstudie entstammt unserer Beratungspraxis, ist jedoch fiktiv. Aufgrund der Vertraulichkeit beruht sie auf mehreren konkreten Fällen, die wir begleitet haben.

Jaap Cramer ist ein erfolgreicher Unternehmer, der im NordenEuropas qualitativ höherwertige Badezimmer-Armaturen für Duschen, Baden und Händewaschen herstellt. Er ist nach seinemIngenieurstudium in Manchester in sein Heimatland zurückgekehrtund hat den väterlichen Betrieb übernommen. Über die Jahre istes ihm gelungen, das Unternehmen kontinuierlich zu moderni-sieren, die Produktion zu automatisieren, die Firma zu vergrössernund den Absatz zu internationalisieren. Seine Frau Jane hat ihnimmer aktiv unterstützt und die Kinder Jette und Niels grossge-zogen.

Nach einem Studium in London hat sich die Tochter Jette an derETH Zürich im Bereich der Oberflächenbehandlung von Kunststoffspezialisiert. Zurzeit forscht sie an neuen, leichteren und auchgünstigeren Materialen für die wasserfeste, kalkabstossendeOberfläche von Küchen und Bädern. Jette hat in Zürich einensympathischen deutschen Forscher kennengelernt, den sie baldheiraten wird.

Auch Niels macht die Eltern stolz. Er hatte einen der jährlich begehrten zwanzig Plätze am Art Center College of Design inVevey erhalten und dort einen glanzvollen Abschluss gemacht.Seit 3 Jahren ist er nun auf Wanderschaft und hat Praktiken beiAlessi, Volvo und Bulthaup gemacht. Jaap Cramer würde seinen

Sohn sehr gerne als Chefdesigner seiner Armaturen sehen, aberder lebenslustige Niels findet die väterlichen Modelle zu wenigedel und trendy, den ganzen Betrieb zu traditionell und den Norden Europas langweilig.

Jaap Cramer kommt einmal im Jahr nach Zürich. Nicht nur Züri-Geschnetzeltes und die Rösti im Zeughauskeller locken ihn, son-dern auch das jährliche Treffen mit Herrn Zwicky in Zug. Seitüber 20 Jahren verkauft die Unternehmung von Herr Cramereinen Teil der Armaturen an eine Zuger Gesellschaft. Diese wiederumverkauft die Armaturen weiter an Kunden in anderen europäischenLändern. In der Schweiz selber werden hingegen keine Armaturenverkauft. Wie hierzulande üblich hat die Zuger AG Inhaberaktienausgegeben, welche im Vermögen von Jaap Cramer sind, aber vonHerrn Zwicky treuhänderisch gehalten werden. Im Handelsregisterist nur Herr Zwicky als Geschäftsführer und einziger Verwaltungsrateingetragen, welcher sehr verlässlich an jedem Monatsende dieRechnungen auf dem firmeneigenen Papier ausstellt und dafürsorgt, dass diese auch beglichen werden.

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Seit einem Jahr plagen Jaap Cramer nicht nur Rückenschmerzen,sondern auch Sorgen mit den Steuerbehörden seines Landes.Angefangen haben diese mit einer Routineprüfung der Geschäfts-bücher durch einen jungen, ehrgeizigen Steuerkommissär. Dieserhinterfragte, warum der Verkauf von im nördlichen Europa her-gestellten Armaturen über eine Schweizer Gesellschaft geht.Herr Cramer war auf die Fragen nicht gut vorbereitet und hatteerklärt, dass es sich um einen alten Geschäftspartner in der Schweizhandle und die gemeinsamen Geschäfte historisch gewachsenseien. Der forsche Steuerbeamte schien die Antwort akzeptiertzu haben. Der Steuerberater von Jaap Cramer befürchtet aber,dass dies nur der erste Akt einer grösseren Geschichte seinkönnte.

Hinzu kommt die Wirtschaftskrise, die auch Herrn Cramer undsein Unternehmen gebeutelt hat. Bereits vorher hatte er festgestellt,dass sich die Branche schrittweise konsolidiert und fokussiert. DieKonkurrenz wird immer hartnäckiger, dazu mit Design profilierteroder günstiger. Die grosszügigen Margen sind nicht mehr zu halten.In der Krise sackte zusätzlich der eigene Absatz um über 12%ab. Glücklicherweise ist seine Firma solide finanziert und kannden Ausfall auffangen.

Jaap Cramer ist sich bewusst, dass er dringend nicht nur Kostensparen, sondern auch innovieren und expandieren müsste. Dadas Stammwerk baulich an Grenzen stösst und der Export längstmehr als die Hälfte des Umsatzes ausmacht, hat er auch schonnach Übernahmeobjekten in anderen europäischen Ländern Aus-schau gehalten. Doch diese Bestrebungen waren aufgrund derschwierigen Marktlage und der etwas fehlenden Motivation vonCramer versandet. Vorerst war es bei dem einen Produktions -werk und den vier Vertriebsniederlassungen in England, Frankreich,Spanien und Italien sowie der Gesellschaft in der Schweiz geblieben.

Schliesslich ist da auch seine Frau Jane, die ihn zunehmenddrängt, das operative Geschäft einem fähigen Geschäftsführerzu übergeben und mit ihr in absehbarer Zeit in die Schweiz indie Nähe von Tochter Jette zu ziehen. Sie hat ja recht: Der Seniorspürt, dass es Zeit wird, Veränderungen anzugehen. Gut, dassHerr Zwicky angerufen und das jährliche Treffen in der Schweizangemahnt hat. Der Unternehmer freut sich auf den Austauschmit ihm. Er hat so schon mehrmals gute Impulse erhalten.

Veränderungsbedarf im Anzug

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Internationale steuerliche Rahmenbedingungen im Wandel

Herr Zwicky teilt die Sorgen vom Firmeneigner betreffend Absatz -schwierigkeiten, wird aber erst recht hellhörig, als dieser seineErfahrungen mit den Steuerbehörden seines Landes schildert. Inden letzten zwei Jahren sind ihm bereits oft solche Ereignisseweitererzählt worden. Einen Erklärungsansatz hat Zwicky in folgendem Artikel gefunden, den Frau Bouchard, eine Schweizer

Steuerexpertin mit viel Erfahrung im internationalen Bereich, ineiner grossen Handelszeitung geschrieben hatte. Er gibt Jaap Cramerden Artikel zum Lesen:

Nachhaltige Veränderungen in der Steuerwelt

Mit der Finanzkrise sind sehr viele Länder in grosse Finanzie-rungsengpässe gekommen: Eine der verlässlichsten Lösungenzur finanziellen Verbesserung der Situation ist das Eintreibenvon Steuern. Da Steuersatzerhöhungen bei der Bevölkerungnicht wirklich beliebt und daher politisch heikel sind, versuchenRegierungen immer mehr, noch nicht erfasstes Steuersubstratzu finden und zu besteuern.

Aufgrund moderner Kommunikationsmittel und von schärferenAbkommen zwischen den Staaten ist dies für die Steuerbehördenin den letzten Jahren wesentlich einfacher geworden. Beispiels -weise sind immer mehr Grundbuch- und Handelsregister aufdem Internet zu finden. Auch über nicht kotierte Unternehmungensind mittlerweile relativ viele Informationen auf dem Netz.Anderseits wurden in den letzten zwei Jahren sehr viele bila-terale Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Hoch- undTiefsteuerländer vereinbart, welche es bei Verdacht auf Steuer -hinterziehung dem Wohnsitzland ermöglichen, an Informa tionenim – in der Regel – Tiefsteuerland zu kommen.

Dank der Personen- und Kapitalverkehrsfreiheit der EU undähnlichen Grundsätzen der OECD ist es zwar in den meistenLändern möglich, eine ausländische Gesellschaft zu halten.Damit diese aber nicht nur rechtlich sondern auch steuerlichals eigenständig betrachtet wird, müssen die Tätigkeitender Gesellschaft einer wirtschaftlichen Logik folgen. Die

Gründe für das Halten einer Gesellschaft in einem Tiefsteuerlandmüssen erklär- und nachvollziehbar sein. Handelt es sich nurum eine Briefkastengesellschaft ohne Tätigkeit und Substanz,nimmt das Hochsteuerland immer öfter eine tatsächliche Leistungim Hochsteuerland an und versteuert die Gewinne der Domizil -gesellschaft im Ursprungsland. In den meisten Fällen wird mitSteuerumgehung argumentiert.

In der Regel gehen Steuerbehörden von einer Steuerumgehungaus, wenn die Struktur keiner wirtschaftlichen Logik folgt undsomit unüblich ist, hauptsächlich um Steuern zu sparen errichtetwurde und auch damit Steuern wirklich gespart werden. Damitdie tatsächliche Leistung einer Unternehmung nicht im Ursprungs -land angenommen wird, müssen sich die Verantwortlichen derUnternehmung regelmässig am Sitz der Gesellschaft aufhalten,dort auch die strategischen Entscheide der Domizil gesellschafttreffen und auch die zur Ausführung der Entscheide notwendigenMitarbeiter vor Ort angestellt oder beauftragt haben. Auch werdendie Regeln betreffend der Verrechnung von Gütern und Dienst-leistungen im Konzern (Transferpricing) immer detaillierterund auch kontrolliert.

Diese steuerlichen Grundregeln sind nicht neu. Aufgrund desfinanziellen Druckes werden sie von den Steuerbehörden derHochsteuerländer aber zunehmend systematisch und begleitetvon politischem Druck angewandt.

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Jaap Cramer erkennt umgehend, dass die ersten Fragen des nord-europäischen Steuerkommissärs, warum eine Schweizer Gesellschafteinen Teil der Armaturen abkaufe, in diese Richtung gehen. Beieiner nächsten Revision der Gesellschaften ist es gut möglich, dassder Steuerkommissär fragt, ob Herr Cramer nicht der Eigentümerder Zuger Gesellschaft ist und was diese für Funktionen ausübt.Gute Antworten werden nötig sein.

Herr Zwicky erzählt Herrn Cramer, dass mehrere internationaltätige Unternehmer mit Hilfe von Frau Bouchard ihre Domizil-gesellschaft zu einer aktiven und innovativen Tochter gesellschaftder Gruppe umgewandelt haben. Bei der Standortanalyse wurdejeweils auch die Nachfolgeplanung berücksichtigt und eineglobale steuerliche Optimierung aufgrund geschäfts logischer Argumente erreicht.

Auch wenn die Struktur der Vergangenheit immer noch von denSteuerbehörden hinterfragt werden könnte, dürfte eine ent -sprechende Neuorganisation auf Basis solider wirtschaftlicherArgumente Garant für den Eigner und seine Familie sein, gegen-über den Steuerbehörden überzeugend argumentieren zu können.Auch im Hinblick auf einen allfälligen Verkauf oder die interneoder externe Übergabe der Aktienmehrheit an Nachfolger wäreeine wirtschaftlich logische und rechtlich sowie steuerlich saubereStruktur vorteilhaft.

Diese Informationen und Erkenntnisse geben Jaap Cramer zudenken. Er bittet Zwicky, den Kontakt mit Frau Bouchard herzu-stellen.

Nicht betroffen sind Gesellschaften in Tiefsteuerländern, dieauch konkrete Aktivitäten aufweisen. Dies gilt auch, wenn dieAktionäre ihren Wohnsitz in einem Hochsteuerland haben. Jebesser die geschäftslogischen Argumente für den Sitz im Tief -steuerland sind, desto sicherer sind solche Gesellschaften voreinem Zugriff ausländischer Steuerbehörden. Durch ein integriertesDurchleuchten der Geschäftsstrukturen, das spezialisiertes betriebswirtschaftliches, juristisches und steuer liches Know-how kombiniert, können tragfähige Lösungen erarbeitet werden,welche eine wirtschaftliche Begründung sichern und gleichzeitigdie steuerliche und juristische Situation optimieren.

Sehr gute Voraussetzungen für eine entsprechende Neuaus-richtung der Strukturen bieten Länder mit mildem Steuerklimawie die Schweiz. Hervorragende Infrastruktur und hohe Lebens-qualität, sehr gut ausgebildetes Personal, ein innovatives undgeschäftsfreundliches Klima, beste geografische Erreichbarkeit,gepaart mit Werten wie Qualität und Zuverlässigkeit bietenideale Bedingungen, um bestehende Gesellschaften zu aktivierenund betriebswirtschaftlich sinnvoll in einen Gesamtverbundeinzubetten.

60Neuausrichtung grenzübergreifender Unternehmensstrukturen

Bevor Herr Cramer wieder in den Norden zurückfliegt, trifft ergemeinsam mit Zwicky Frau Bouchard und deren Geschäftspartner,Dr. Mayer. Frau Bouchard ist für die rechtliche und steuerlicheSeite der Analyse zuständig, Herr Mayer für die betriebswirt-

schaftliche Seite. Nach einem stündigen Gespräch hat Frau Bouchardeine erste Handskizze der aktuellen Struktur der Familie Cramerund ihrer Unternehmung angefertigt, welche die aktuelle rechtlicheund steuerliche Situation darstellt:

Eine erste Skizze der Zusammenhänge

Abb. 1: Übersicht zur Familie Cramer

Es ist jedoch allen klar, dass für eine solide Erarbeitung der wirt-schaftlichen Logik wesentlich mehr Zeit notwendig sein wird. Dieersten Fragen von Herrn Mayer haben Herr Cramer aber aufgezeigt,dass es weit mehr Opportunitäten für seine Unternehmung gebenwürde, als er bis anhin dachte.

Aufgrund der Gespräche formuliert der Unternehmer folgendenAuftrag: Durchführung einer integrierten Analyse der relevantenjuristischen, steuerlichen und betriebswirtschaftlichen Aspekteder heutigen Unternehmenssituation und Entwicklung einer wirt-schaftlich begründbaren, steuereffizienten Crossborder-Strukturfür seine Firma.

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Klarheit über die Ist-Situation

Für eine erste gemeinsame Arbeitsphase haben Frau Bouchardund Dr. Mayer vorgeschlagen, zu Herr Cramer ins Stammwerk zukommen. Er schätzt dies und findet es gut, das Unternehmenauch zeigen zu können. Vorgesehen sind die Fertigstellung derIst-Analyse und Visualisierung des heutigen Geschäftsmodells.

Unter Geschäftsmodell verstehen die Autoren die Grundlogik,mit der eine Unternehmung durch eine bestimmte Art derLeistungserbringung ihren Kunden spezifischen Nutzen schafftund damit Gewinne realisiert. Dazu gehören Aussagen zu denanvisierten Kundensegmenten, dem für diese bereitgestelltenAngebot, der Ausgestaltung der Kundenbeziehungen, dergenutzten Kanälen, um die Kunden zu erreichen, den zurErstellung des Angebots nötigen Aktivitäten mit den ent-sprechenden Ressourcen, allenfalls dazu einbezogene Partner,die Kostenstruktur und das Ertragsmodell der Unternehmungsowie grundlegende Aussagen zur Organisation und Stand-ortstruktur.

Herr Mayer und Frau Bouchard haben den Eigner auch überzeugt,über die für die Unternehmung relevanten Trends, Treiber undPotenziale zu sprechen. Niels hatte ihn darin bestärkt, dass dieseine gute Idee sei, damit wirklich auf Basis eines Gesamtbildesdiskutiert werden könne. Daher ist er auch damit einverstanden,dass Bouchard und Mayer ausgewählte Leistungsträger des Unternehmens in den Prozess einbeziehen wollen.

Nach einer umfassenden Werksbesichtigung gleich zu Beginndes ersten Tages folgt ein langes Gespräch mit den Beratern. GegenMittag hat Jaap Cramer den Eindruck, dass ein recht umfassendesBild des heutigen Geschäftsmodells seiner Unternehmung vorliegt.Am Mittagstisch und in den ersten Nachmittagsstunden fokussiertsich die Diskussion auf Trends und Treiber der Branche. Bouchardund Mayer sprechen am Nachmittag individuell mit CramersStellvertreter, dem Produktionsleiter, sowie mit dem Finanzchefund dem Leiter Marketing und Vertrieb, mit denen am zweitenTag ein gemeinsamer Workshop vorgesehen ist.

Dieser Workshop ist für den Unternehmer dann doch eher über-raschend. Während dem es hinsichtlich des eigenen Geschäfts-modells keine Abweichungen im Verständnis gibt und auch imHinblick auf die Umweltfaktoren eine ähnliche Bandbreite vonMeinungen vorliegt, zeigen sich bei den für die Unternehmungrelevanten Branchentrends Meinungsverschiedenheiten.

Bezüglich den für die Zukunft relevanten Markt- und Kunden-bedürfnisse entbrennt eine äusserst lebhafte Diskussion. Insbe-sondere der Leiter Marketing und Vertrieb thematisiert das starkzunehmende Kundenbewusstsein für Design und den verbessertenProduktemix mit zusätzlichen Funktionen, z. B. zur Temperatur-regelung, dies im Rahmen einer verstärkt wahrgenommenen

Badzimmer-Kultur mit Themen wie Wellness, Fitness und Schön-heit bzw. dem Bad als Rückzugs- und Ruheort. Er findet, dassdas Unternehmen sich viel zu stark auf eine qualitativ hochwertigeProduktepalette konzentriere, ohne genügend auf die Einbindungin den Kundenkontext zu achten und sich auf relevante Design-und Gesellschaftstrends zu fokussieren.

Im Nachgang trifft Jaap Cramer sich mit Herrn Mayer zur Reviewund zum gemeinsamen Festlegen des weiteren Vorgehens. Mayerschlägt dem Firmeninhaber vor, wie ursprünglich andiskutiertnun seine Kinder aktiv in den Prozess einzubeziehen. Es wirdvereinbart, sich als nächstes mit Niels und Jette in Zürich zu treffen,um die erarbeiteten Ergebnisse zu diskutieren, eine Beurteilung

Treibende Trends und Marktfaktoren

vorzunehmen und die Stossrichtungen für das Soll gemeinsamfestzulegen. Aufgrund der hitzigen Diskussion bezüglich Treibernund zukünftigen Kundenpotenziale regt Dr. Mayer an, dass sich

ein diesbezügliches, intensives Gespräch mit einem Grosskundenin Deutschland und Spanien sowie dem Niederlassungsleiter inSpanien lohnen würde.

62Neuausrichtung grenzübergreifender Unternehmensstrukturen

Selbstverständnis, Normen und Prinzipien

Analyse und Visualisierung

der Ist- Situation

Schärfung von Trends,

Treibern und Potenzialen

Beurteilung Ist- und Ein- grenzung der Soll-Situation

Bei Bedarf Adaptierung Geschäfts-

modell/Strategie

Ausrichtung der Organi- sation und

FührungPräzisierung Prozesslandschaft

Rechtliche und steuer-

liche Strukturie-

rung

Herr Cramer ist zufrieden. Obwohl er noch nicht genau weiss,wohin die Reise für ihn und die Unternehmung gehen wird undsich dies zuweilen auch unbehaglich anfühlt, ist er froh, dassBewegung aufgekommen ist. Er freut sich insbesondere darüber,dass sowohl Jette als auch Niels Interesse zeigen und in Zürich

dabei sein wollen. Zum ersten Mal hat er das Gefühl, dass seineKinder ein wirkliches Interesse am Familienunternehmen haben.Vielleicht war die Überprüfung und mögliche Verschiebung einzelnerFunktionen an andere Standorte die Chance, die Nachfolgeplanunginnerhalb der Familie anzugehen.

Abb. 2: Vorgehensweise zu einer wirtschaftlich begründbaren Crossborder-Struktur

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Nach Zürich ist auch seine Frau Jane mitgekommen und Jaaphatte es genossen, den Vorabend wieder einmal mit der ganzenFamilie bei Jette zu Hause verbringen zu können. Allerdings merkter, dass die Diskussion über die Zukunft der Firma nicht einfachwerden würde.

Niels macht ein paar entsprechende Bemerkungen. Er hat dieUnterlagen genau studiert, insbesondere auch die Reports vonMayer, die dieser im Nachgang der Besuche beim deutschen undspanischen Grosskunden und der spanischen Niederlassung gemachthatte. Integrierte Erkenntnisse aus Marktstudien zeigen die vermuteten Potenziale. Es kommt eindeutig heraus, dass derLeiter Marketing und Vertrieb mit seiner Interpretation der Markt-und Kundenbedürfnisse nicht alleine ist.

Allerdings hat Mayer in seiner Analyse auch klar herausgeschält,dass gerade im Vertrieb eine sehr uneinheitliche Situation vorlag,sowohl zwischen den einzelnen Niederlassungen als auch inderen Verhältnis zum Hauptsitz. In sehr aktiven Niederlassungenwie in Spanien werden viele kundenorientierte Aktivitäten erbracht,während dem in anderen eher nur das Minimum gemacht wird.Die Hinweise auf mögliche Produktivitätssteigerungen und erhöhteDurchschlagskraft am Markt durch stärkere Koordination undFührung scheinen begründet.

Der Unternehmer hat richtig vermutet. In der Review-Diskussionder bisherigen Ergebnisse schiesst sich Niels sofort auf das Themaein, sekundiert von Jane. Jaap Cramer fühlt sich im ersten Momentangegriffen. Für ihn hat immer das wertige, innovative Produktim Zentrum der Firma gestanden, das für verschiedene Kunden-gruppen und Anwendungsbereiche zum Tragen kam.

Dr. Mayer lockert die Diskussion auf, indem er konzentriert dieStossrichtungen wesentlicher Konkurrenten und die damit ein-hergehenden Veränderungen derer Geschäftsmodelle aufzeigt.Klar erkennbar ist eine zunehmende Fokussierung, sei es beispiels-

weise auf Kundengruppen (z. B. gewerbliche, industrielle und institutionelle Verwendungen) oder auf Einsatzbereiche wie Wellness.Einzelne grössere Anbieter haben zudem ein integriertes Angebotaufgebaut, das auch technologische Systemlösungen im Wasser-bereich umfasst.

Zum Glück ist auch Tochter Jette dabei. Mit ihrer sehr pragmatischenArt gelingt es ihr, ihrem Vater klar zu machen, dass es hier nichtum entweder/oder geht, sondern wohl eher um sowohl/als auch.Um die Integration einer neuen Sichtweise, welche das bisherigeVerständnis ergänzt. Mayer schlägt vor, im Prozess eine Reflek-tionsphase einzuschalten, was alle Beteiligten sehr begrüssen.Im Hinblick darauf, dass schliesslich über Verschiebungen vonFunktionen zu befinden ist, vereinbart er zudem mit Jaap Cramer,dass die Zeit unternehmensintern zur Aufbereitung der Dokumen-tation der heutigen Prozesslandschaft genutzt werden soll.

Die Präzisierung der Prozesslandschaft ist zentral, um inKenntnis der Leistungsflüsse, der Ressourcen und nötigenFähigkeiten, der Koordinationsnotwendigkeiten und Schnitt-stellen über eine allfällige Veränderung der Organisations-und Standortstruktur zu entscheiden. Gerade wenn es umStandortfragen und allfällige Verlagerungsentscheide geht,muss die Prozessperspektive berück sichtigt werden. Ansonstenbesteht die Gefahr, die Effektivität und Effizienz der Organi-sation – und damit letztlich die Rentabilität – durch Prozess -brüche aller Art aufs Spiel zu setzen.

Unterschiedliche Sichtweisen in der Familie

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Einige Wochen später treffen sie sich schliesslich im selben Kreisewieder, diesmal im Stammwerk. Jaap Cramer hat diverse bilateraleGespräche in der Familie geführt, auch mit seinen engsten Mit-arbeitern und zwei Freunden. Er hat sich zusätzlich mit Vertrautenin der Branche ausgetauscht. Dank den Gesprächen fühlt er sichlockerer, um an die offenen Themenstellungen heran zu gehen.Er hat gemerkt, dass Tochter Jette mit ihrem Verständnis derSache richtig lag: Die Stärken der Firma mit ihren wertigen undinnovativen Produkten bilden die solide Basis, mit der die erkanntenChancen ergriffen und den Gefahren begegnet werden können.

Die erneute Diskussion entwickelt sich viel entspannter. Es gelingt,ein stimmiges Bild zu zeichnen, wie man das Umfeld und seineWirkung auf das Familienunternehmen sieht. Konzentriert wirdanschliessend das heutige Geschäftsmodell an den Erkenntnissengespiegelt und beurteilt. Dank der in der Ist-Analyse erfolgtenVisualisierung kann sehr praktisch und gut nachvollziehbar diskutiert und Ideen entwickelt werden, was allenfalls zu eliminieren,was zu reduzieren, was zu stärken und was neu zu schaffenwäre.

Gemeinsame Beurteilung der Ist-Situation

Um sicher zu gehen, will Herr Cramer die Erkenntnisse in seinerGeschäftsleitung diskutieren. Er lädt zu einem Strategiemeetingein, an dem auch seine Kinder teilnehmen. Mayer unterstütztihn in der Vorbereitung. Es zeigt sich, dass keine fundamentalanderen Einschätzungen vorhanden sind. Die Beurteilung derIst-Situation kann angereichert und präzisiert, die zentralenStossrichtungen für die Zukunft grob festgelegt werden:

• Hin zum Anwendungskontext und den Anwendungs -bedürfnissen der Kunden,

• verstärkte Anstrengungen im Design und• kritische Überprüfung der Bedienung der gewerblichen, industriellen und institutionellen Kundengruppen.

Im Hinblick auf die baulichen Grenzen des Stammwerkes, derbedienten Absatzmärkte und der geografischen Verteilung desUmsatzes wird zudem die Frage aufgeworfen, ob nicht längerfristigeine zweite Produktionsstätte in einem anderen europäischenLand ins Auge zu fassen wäre.

Im folgenden telefonischen Abstimmungsgespräch regen die Berater an, nun rasch die relevanten Inputs für die Unternehmens-organisation aus dem Geschäftsmodell herauszuschälen, umwirtschaftlich begründete Lösungen zu entwickeln. Dies bedeutetpraktisch, die Auswirkungen der identifizierten Themen Kunden-orientierung und Design sowie die Frage der gewerblichen,industriel len und institutionellen Kundengruppen auf das Geschäfts-modell zu klären und anschliessend die Organisationsstruktur zuüberprüfen.

Mit dem überprüften Geschäftsmodell würde es auch möglich,allfällige Fragen seitens der Steuerbehörden des Ursprungslandes,aber auch der Vertriebsländern effizient und v.a. ökonomisch logisch zu beantworten: Die Standorte sind wirtschaftlich ein-gebunden und die Gesamtstruktur ist effizient gestaltet, nichtnur aus steuerlichen Überlegungen.

Einbindung des Managements

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Am Workshop zur Auslotung der Adaptierungsnotwendigkeitendes Geschäftsmodells sind die gesamte Geschäftsleitung, JaapCramer sowie Jette und Niels beteiligt. In einem durch Mayermoderierten Prozess wird intensiv über die Auswirkungen der

bisherigen Erkenntnisse auf die grundlegende Funktionsweiseder Unternehmung nachgedacht. Es entstehen Prototypen, Alternativen und Szenarien, die diskutiert, verändert, verworfen,weiterentwickelt werden.

Auslotung des Geschäftsmodells

Abb. 3: Veränderungen im Geschäftsmodell

Value PropositionQualitativ hochwertige

Badezimmer- Armaturen

Kunden Gewerbliche,

industrielle und institutionelle Kunden

Private

Hotellerie

Kundenbeziehungen Persönliche

Kundenbeziehungen

AktivitätenProduktion, F&E,Logistik, Vertrieb

Kanäle Grosshandel

Ausgew. Retailer

RessourcenFabrikation

Herr Cramer gesteht sich innerlich ein, dass sich der bisherige Weggelohnt hat, obwohl er zuweilen an der Notwendigkeit gewisserSchritte gezweifelt hatte: Die vielen Puzzlesteine fallen an ihrenPlatz, die Unsicherheit weicht zunehmend der Klarheit und Fokus.Am Ende eines intensiven Tages macht es den Teilnehmern keineMühe mehr, für die Unternehmensorganisation Gestaltungs -prinzipien zu formulieren.

Gestaltungsprinzipien lenken die organisatorische Neuorien-tierung in die gewünschte Richtung, in dem sie alle Ansprüchean die Organisation des Unternehmens in einige wenige,

klar fassbare Grundsätzen bündeln. Sie helfen zu erkennen,was die neue Organisation können muss, welchen Ansprüchensie gerecht zu werden hat und welche Probleme durch siezu lösen sind.

Die Meinung ist einhellig, dass das Thema Anwendungskontextund -bedürfnisse der Kunden in der hergebrachten funktionalenOrganisation nach mehr Bedeutung verlangt: Als zentrales Gestal -tungsprinzip wird daher die „Anwendungsorientierung“ festgelegt.

66Neuausrichtung grenzübergreifender Unternehmensstrukturen

Niels macht seinem Vater in der Folge den Vorschlag, dass er aufBasis der bisherigen Erkenntnisse zusammen mit dem Leiter

Finanzen, dem Leiter Marketing und Vertrieb und den Beraternan Anpassungsvorschlägen für die Organisation arbeiten würde.

Von der historischen Struktur in die organisatorische Zukunft

Abb. 4: Mit den Ergebnissen der Vorarbeiten hin zur neuen Crossborder-Struktur

Input

Synthese

Selbstverständnis, Normen und Prinzipien

Ananlyse und Visualisierungder IST-Situation

Beurteilung IST und Eingrenzung SOLL-Situation

Mögliche Organisationsmodelle

Ausrichtung der Organisation und Führung

Schärfung von Trends, Treibernund Potenzialen

Auslotung des Geschäftsmodells

Präzisierte und dokumentierteProzesslandschaft

Der Firmeneigner ist über diesen Vorschlag glücklich und stimmtsofort zu.

Zwei Monate später präsentieren Niels und Mayer Herrn Cramerdie Ergebnisse. Auf Basis aller Erkenntnisse schlagen sie die Weiter -entwicklung der bestehenden Organisation in eine Grundstruktur

vor, die Markt- und Kundenorientierung mit produktspezifischerProzess- und Produktionsorientierung verbindet. Gleichzeitig ermöglicht sie aber die Spezialisierung durch die Schaffung homogener Organisationseinheiten. Hauptsächlich sollen dazuin einem neuen Marktbereich alle kundenorientierten Funktionengebündelt und zwischen den Ländern mit eigenen Aktivitäten

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neu konfiguriert werden. Gleichzeitig soll die Führung der Nieder -lassungen verstärkt und besser koordiniert werden, um am Marktmehr Durchschlagskraft zu entwickeln.

Durch die vorgeschlagene Bündelung wird die in das Geschäfts-modell integrierte verstärkte Hinwendung zum Anwendungskontextund den Anwendungsbedürfnissen der Kunden organisatorischumgesetzt und verankert. Zur Stärkung dieser Stossrichtungsollen im Marktbereich insbesondere für alle Ländermärkte:

• eine Abteilung für „Geschäftsfeld- und Key Account-Management“ geschaffen werden, um die individuellenAnsprechpartner für die unterschiedlichen Kunden-segmente zu konzentrieren, wo nötig neu aufzubauen undgezielt auf die spezifischen Bedürfnisse auszurichten.

• der Angebotsservice (Angebotserarbeitung, Standard-kalkulation, Abstimmung mit Prozessteams) für die Kunden zusammengefasst werden, um die Qualität zustärken und die Angebotsbedingungen zu standardisieren.

• das Marketing und PR konzentriert und konsolidiert werden,um den einheitlichen Auftritt und eine professionelle Kommunikation zu gewährleisten.

Konkret ist es auch der neue Marktbereich, der geografisch eineNeuzuordnung der Aktivitäten erfahren soll. Es ist vorgesehen,alle Markteinheiten in der Schweiz zu konzentrieren, mit Ausnahmeder bestehenden vier Niederlassungen sowie den technisch orientierten Kundenfunktionen wie das Projektengineering (komplexe Projekte) und der technische Kundendienst/ Hotline,die im Stammwerk in unmittelbarer Nähe zur Produktion verbleibensollten. Die Schweiz bietet als Standort nicht nur geografischVorteile, sondern verspricht auch durch ihre Mehrsprachigkeitund die ausgezeichnete Basisinfrastruktur die wesentlichen Voraussetzungen für die Konzentration des Marktbereiches.

Die Niederlassungen für England, Frankreich, Italien, Spanienund der neuen entsprechenden Einheit für das Heimatland wiederum sollen sich neu als erste Ansprechpersonen auf dendirekten Kontakt mit den Kunden konzentrieren, sich um dieKundenwünsche kümmern und in der Abwicklung von Aufträgenbei Bedarf gewisse Lager- und Verteilerfunktionen übernehmen.

Die verstärkten Anstrengungen im Design sollen durch den Aufbaueines kleinen Design-Centers unter der Leitung von Niels inZürich erfolgen. Dieses soll als Plattform und Koordinationsstellemit dem Stammwerk, insbesondere mit der F&E und den Prozess -teams dienen und gleichzeitig von der Nähe zum Art CenterCollege of Design in Vevey profitieren, um Praktika anzubieten.Geplant ist, auch mit renommierten, externen Designern zusammenzu arbeiten.

Für die bereits bestehenden Prozess- und Produktionseinheitensowie die zentralen Dienstleistungen werden kaum Neuerungenvorgeschlagen, worüber der Unternehmer froh ist. Sie würdenweiterhin im Stammwerk konzentriert bleiben, um bestehendeSynergien in der physischen Abwicklung nicht zu gefährden. Neusind für sie im Wesentlichen die zum Teil wechselnden Schnitt-stellen zum Marktbereich.

Mit der vorgeschlagenen Lösung bekäme die Unternehmung einwesentlich internationaleres Profil als bis anhin.

Abb. 5: Das neue, wirtschaftlich begründbare Crossborder-Modell

68Neuausrichtung grenzübergreifender Unternehmensstrukturen

Kunden & Aufträge

Niederlassung England

Kunden & Aufträge

Niederlassung Frankreich

Kunden & Aufträge

Niederlassung Italien

Kunden & Aufträge

Niederlassung Spanien

Angebotsservicealle Ländermärkte

Marketing & PR alle Ländermärkte

Kundendiensttechnische Hotline alle Ländermärkte

Designcenter

Kunden & Aufträge

Andere Länder

Kunden & Aufträge

Heimatland

Marktbereich

Kund

en

Geschäftsfeld und Key Account-

Management

Projektengineering

Prod

ukti

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gen

Aktivitätenim Heimatland

Aktivitätenin der Schweiz

NiederlassungenE, F, I und Sp

Kernbereiche des Unternehmens

Standortfragen der Steuerbehörden sind mit dieser Lösung nichtmehr zu befürchten. Die Konzentration bzw. der Aufbau des Geschäfts- und Key Account-Managements, des Angebotsservices,des Marketing und der PR in der Schweiz sind nachvollziehbar undmachen betriebswirtschaftlich Sinn. Die Schweizer Gesellschaftwürde ihre eigenen Aktivitäten mit Personal in eigenen Bürosabwickeln. Sie hätte damit auch wesentliche Koordinationsfunktionenin der europaweit tätigen Unternehmung.

Jaap Cramer studiert die Unterlagen genau. Es wurden diverse Alternativen systematisch geprüft, wobei die vorgeschlageneschliesslich in der Bewertung oben ausschwang. Die aufgeführtenVorteile überzeugen ihn.

Eine Etappierung in der Realisierung scheint dem Eigner vertretbar,da die übrige Struktur des Marktbereiches sich später problemloserweitern liesse. Dr. Mayer hat ja sowieso angefügt, dass dieFrage eines zweiten Produktionsstandorts noch offen sei und,wenn, ebenfalls in einem zweiten Schritt anzugehen wäre. HerrCramer beschliesst daher nach reiflicher Überlegung und nachRücksprache mit seiner Frau Jane, den Vorschlag umzusetzen,allerdings vorerst ohne das Designcenter.

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Die steuerliche und juristische Umsetzung

Die Schweizer AG in Zug hatte bis anhin lediglich Produkte vomStammwerk gekauft und diese mit einer guten Marge weiter-verkauft. Es wurden weder Vertriebs- noch Marketingdienstleis-tungen erbracht.

Aus steuerlicher Sicht war dies sehr interessant, da die ZugerGesellschaft nur auf Bundesebene Gewinnsteuer von effektiv 7.8%zahlte. Als rein aus dem Ausland einkaufende und ins Auslandverkaufende Gesellschaft erhob der Kanton Zug keine Kantons-und Gemeindesteuern. Hingegen wurde ein massgeblicher Teilder Marge in den vier Ländervertriebsgesellschaften besteuert,da diese für die Gewinnerwirtschaftung wesentliche Leistungenerbrachten und auch mehr Personal und Geschäftsräumlichkeitenbenötigten.

Die Schweiz hat im internationalen Verhältnis eine relativ tiefeGewinnbesteuerung. Je nach Domizil ist der Steuersatz für die Staats-, Gemeinde- und Bundessteuern zwischen 12.6% (Obwalden) und 24% (Genf). In Europa ist eine Gewinn -besteuerung zwischen 25–40% eher üblich, zum Teil noch

höher. Grenzüberschreitend tätige Unternehmungen haben damit starke Anreize, zumindest einen Teil des Gewinnes in dieSchweiz zu verlegen und damit ihre Konzernsteuerbelastungzu senken.

Dies ist aber mittlerweile nur noch möglich, wenn der Gewinnnachvollziehbar auch in der Schweiz erwirtschaftet wird. Dieinternationale Steuerausscheidung muss ökonomisch erklärbarsein. Die meisten Doppelbesteuerungsabkommen, welche dieSchweiz abgeschlossen hat, sehen vor, dass beispiels weise einRepräsentationsbüro nur einen geringfügigen Teil des Gewinnesbesteuern darf. Hingegen wird beispielsweise der Vertriebs-hauptsitz einen grossen Teil des Gewinnes besteuern können,sofern belegbar ist, dass ein wesentlicher Teil der Arbeit auchan diesem Sitz vorgenommen wurde.

Der grosse Nachteil der Schweiz ist die erhobene Verrechnungs-steuer auf Dividenden von 35%. Vergisst ein ausländischerAktionär seine Schweizer Beteiligung an seinem Wohnsitz zudeklarieren, sind die 35% Verrechnungssteuer eine definitive

70Neuausrichtung grenzübergreifender Unternehmensstrukturen

Steuer. Er wird in den meisten Ländern damit eine Steuerhinter -ziehung verüben. Mittels Doppelbesteuerungsabkommenkann die Verrechnungssteuer von 35% mindestens teilweisezurückerstattet werden. Dies bedingt aber, dass die Dividendeim Wohnsitzland versteuert wird.

Viele ausländische Unternehmer sind jedoch gar nicht an einerDividendenausschüttung interessiert. Vielmehr werden ausden in der Schweiz erwirtschafteten Erträgen die zukünftigenInnovationen finanziert und Investitionen getätigt. Oft werdenmit der Zeit zudem Patentgesellschaften oder andere Gesell -schaften durch die Schweizer Gesellschaft gehalten oder finanziert.

Mit der Neuorganisation des Unternehmens wird diese Situationmassgeblich verändert: Wesentliche Funktionen der Marktbear-beitung und des Vertriebs mit koordinierendem und fachlichmassgeblichem Inhalt werden in der Schweiz konzentriert oderneu aufgebaut. Die bestehenden Ländergesellschaften erfahrenals erste Ansprechpersonen für den direkten Kontakt mit denKunden eine Fokussierung und Standardisierung in ihrer Auf-stellung, was teilweise eine Reduktion von Funktionen bedeutet.Um die Besteuerung der Gesellschaft zu optimieren, wird je nachLand und dessen Gesetze die dort vorhandene Aktiengesellschaftin eine Betriebsstätte umgewandelt oder in ein Repräsentations -büro mit Lager.

Die aufgebaute Substanz in der Schweiz und deren Funktion imGesamtverbund geben dem Leiter Finanzen der Gruppe gegenüberden Steuerbehörden dieser Vertriebsländer genügend Argumente,um die Reduktion des in den einzelnen Ländern erwirtschaftetensteuerbaren Gewinnes zu rechtfertigen. Dies umso mehr, als dasdurch den zentralen Kompetenzaufbau in der Schweiz die einzelnenNiederlassungen verstärkt umsetzungsorientierten Charakter erhalten.

In der Schweiz hilft Zwicky bei der Suche von Geschäftsräumlich -keiten in Zug. Da Zug in der Schweiz einer der tiefsten maximalen

Gewinnsteuersätze hat (effektiv 15.64%) wurde entschieden,den Standort beizubehalten.

Bestehenden Mitarbeitern der einzelnen Vertriebsgesellschaftenund des Hauptsitzes, welche Funktionen ausüben die neu in derSchweiz sind, wird einen Arbeitsvertrag in der Schweiz angeboten.Herr Cramer hat am Anfang eingeschätzt, dass höchstens 10%der Mitarbeiter an einer Umsiedlung interessiert sein würden.Mit Erstaunen stellt er fest, dass gerade jüngere und gut qualifizierteMitarbeiter aus Europa sehr gerne ihren Lebensmittelpunkt indie Schweiz verlegen. Die hohe Lebensqualität, die ebenso hohenLöhne und im europäischen Verhältnis tiefen Steuern, aber auchdie immer grösser werdende Gemeinschaft von gut ausgebildetenFachkräften aus aller Welt machen die Schweiz für motivierteArbeitnehmer sehr interessant. Da die nun operativ tätige ZugerGesellschaft nicht nur hochqualifizierte Mitarbeiter benötigt,werden mehrere Mitarbeiter in der Schweiz rekrutiert.

Mit den zuständigen Schweizer Steuerbehörden und der Wirt-schaftsförderung bespricht Frau Bouchard die Änderungen derTätigkeiten der Zuger Gesellschaft im Voraus. Abhängig von denAnzahl Arbeitsplätze, welche geschaffen werden, den getätigtenInvestitionen in der Schweiz und dem Entwicklungspotenzial derUnternehmung werden die steuerlichen Eckpunkte für die nächstenJahre mittels eines Rulings definiert. Welchen Anteil des Gewinnesder ausländischen Vertriebsgesellschaften in der Schweiz steuerlichberücksichtigt wird, kann Frau Bouchard anhand der Analyse vonMayer gut darstellen und problemlos wirtschaftlich argumentieren.

Jaap Cramer hat praktisch sein ganzes aktives Leben lang mitden – in seinen Augen – zu hohen Steuern in seinem Wohnsitzlandund in den Vertriebsländern gehadert: Der Konzernsteuersatz(durchschnittlicher Steuersatz für alle besteuerten Gewinnbe-standteile) betrug letztes Jahr 36.5%. Mit der Neuorganisationund dank dem tiefen Steuersatz für ordentlich besteuerte Gesellschaften in Zug wird sich bei gleich bleibender Ertragslageder Konzernsteuersatz auf 22–25% senken. In den Vertriebs -ländern wird kaum noch Gewinnanteil zu versteuern sein und

im Haupthaus wird nur der Produktionsgewinn besteuert. Wiehoch diese interne Verrechnung sein muss, wird der Leiter Finanzenmit Hilfe der Analyse von Dr. Mayer problemlos belegen könnenund somit das Transferpricing-Risiko minimieren. Je mehr für denErfolg massgebliche Tätigkeiten in die Schweiz verlegt werden,je tiefer wird dieses sein. Für die Entwicklung der Mitarbeiter-verträge, die Prüfung, ob ein Mitarbeiterbeteiligungsplan bereitsvon Anfang an angeboten werden soll sowie den Abschluss eines

Spesenreglementes mit den Steuerbehörden kann der Unternehmerauf Frau Bouchard und ihr Team zurückgreifen. Sie beraten den Personalbereich seines Unternehmens zudem betreffend dem Abschluss einer Pensionskasse. Auch unterstützen sie die um sie -deln den Mitarbeiter bei den klassischen Umsiedlungsfragen wie Wohnungssuche, Schule, Steuern, Bankverbindung, Sozialver -sicherung, Pensionskassen, Umzugsgut etc.

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Im Rahmen der Eröffnung des neuen Sitzes in Zug sitzt die ganzeFamilie nochmals mit Dr. Mayer, Frau Bouchard sowie Herrn Zwickyzusammen. Es gilt, noch einige offene Punkte zu regeln. So wirdZwicky weiterhin organisatorische und buchhalterische Themenin der Schweizer AG betreuen und hat daher noch einige Fragen.Obwohl die Familie grundsätzlich für die Zukunft gut aufgestelltist, zeigt Frau Bouchard für die einzelnen Familienmitglieder zudemnoch einige mögliche und interessante Zukunftsvarianten aussteuerlicher und rechtlicher Sicht auf:

• Jette wohnt seit Jahren in Zürich und möchte auch dableiben. Als in der Schweiz ansässige Ausländerin mit Arbeitsbewilligung bezahlt sie auf dem weltweiten Einkommen und Vermögen Steuern. Durch den Wohnsitz in der Schweiz sind Schenkungen aus dem Ausland nichtversteuert (Schenkungen werden in der Schweiz nur beimErblasser versteuert) und auch ein allfälliger Kapital gewinnbeim Verkauf von Aktien der Familienunternehmung wäresteuerfrei.

• Würde mit Jette eine aktive Forschungsabteilung gegründet,wäre sicher eine Schweizer Lizenzgesellschaft für das Haltenneuer Patente für die entwickelten Materialen sinnvoll.Der Steuersatz für Lizenzgesellschaften in der Schweizliegt zwischen 10–14% und ein sehr gutes Netz von Doppel -

besteuerungsabkommen ermöglicht eine vollständige oderteilweise Rückerstattung von ausländischen Quellen -steuern auf den Lizenzzahlungen. Würden die Patentebeispielsweise beim Hauptsitz gehalten werden, wäre dieBesteuerung der Lizenzerträge weit höher als 30%.

• Offen, wenn auch delikat bleibt die Frage nach dem Rückzugvon Herr Cramer aus der aktiven Unternehmensführung.Sollte er eines Tages dem Wunsch von Jane entsprechen,wäre die Schweiz allenfalls ein interessanter Wohnsitz.Nach einem erfolgreichen steuerlichen Wegzug aus seinemLand (manche Länder haben strenge Wegzugsbesteuerungs -regeln) wäre der Übertrag der Aktien an seine Kinder in derDeutschschweiz steuerfrei (einige Westschweizer Kantonekennen noch Schenkungssteuern bei der Schenkung anKindern). Als ausländischer Aufenthalter ohne Erwerbs -tätigkeit könnte Jaap Cramer in gewissen Kantonen mitden Steuerbehörden vereinbaren, aufgrund der Pauschal-besteuerung veranlagt zu werden und nicht nach seinemweltweiten Einkommen und Vermögen. Dabei wird dieHöhe der Steuer gestützt auf den Wert des in der Schweizbewohnten Hauses bestimmt. Je grösser die Kapitalanlagenvon Herrn Cramer bzw. die ausländischen Dividenden ohneQuellensteuer sind, desto interessanter dürfte diese Mög-lichkeit für ihn sein.

Weitere Optimierungsmöglichkeiten für den Unternehmer und seine Familie

72Neuausrichtung grenzübergreifender Unternehmensstrukturen

Ein paar Wochen später verbringt Jaap Cramer einige Tage inseinem Sommersitz an der Nordsee. In ruhigen Stunden an derKüste kehren seine Gedanken einige Male auf das Erlebte in denvergangenen Monaten zurück. Erstaunlich, wie es gemeinsamgelungen ist, aus einer unbequemen Problemlage eine nachhaltigeVerbesserung der Gesamtsituation zu schaffen! Er ist positiv gestimmt und für die Zukunft optimistisch. Ihm ist zwar bewusst,dass die Steuerbehörden seines Landes allenfalls die bis anhin inder Schweiz erwirtschafteten Gewinne in einem Nachtsteuer-verfahren nachversteuern könnten, da in der Schweiz weder einewirtschaftliche Erklärung noch Substanz bestand. Hingegen ist

das neu ausgerichtete und implementierte Gesamtmodell wirt-schaftlich logisch und daher sind die zukünftigen Gewinne auf-grund der ökonomischen Erklärungen sicher.

Was ihn besonders zuversichtlich stimmt ist, dass seine Unter-nehmung jetzt neben einer sauberen steuerlichen Struktur v.a.auch eine wirtschaftlich tragfähige, effiziente und zukunftsfähigeOrganisation besitzt, in welcher er auch innovativ sein kann.Schliesslich freut er sich darüber, dass sich seine beiden Kinder dankdem Prozess erstmals mit Herzblut aktiv in die Weiterentwicklungdes Familienunternehmens eingebracht haben.

Jaap Cramers (Zwischen-)Fazit

Literaturhinweise:

Osterwalder A., Pigneur, Y.: Business Model GenerationJohn Wiley & Sons, Inc. Hoboken 2010

Thom, N., Wenger, A. P.: Die optimale Organisationsform. Grundlagen und HandlungsanleitungGabler Verlag Wiesbaden 2010

Steuersätze 2010 gemäss Aufstellung von KPMG International

Doppelbesteuerungsabkommen gemäss dem OECD Musterabkommen

Kontakt:www.transforma.ch

Transforma ist eine auf die Beratung international tätiger Unter -nehmer und Unternehmen fokussierte Consulting-Gesellschaft.Um zusammen mit unseren Kunden tragfähige, wirtschaftlicheund steuerlich optimierte Unternehmensstrukturen zu schaffen,integrieren wir in unserer Vorgehensweise konsequent betriebs-wirtschaftliche, juristische und steuerliche Kompetenz. In unserenAnalysen und Lösungsvorschlägen wie auch bei deren Umsetzungberücksichtigen wir alle im internationalen Kontext relevantenAspekte, sowohl der Unternehmung als auch der Unternehmer-familie.

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Die Autorin: Aline Dénéréaz,lic.iur unddipl. SteuerexpertinAline Dénéréaz ist Mitinhaberin von Transforma AG. Studiumder Rechtswissenschaft und Politikwissenschaft an den Universitäten Bern und Bologna. Nach Praktiken in der Unternehmensberatung und im Notariat berufsbegleitendeSteuerexpertenausbildung (Diplom 2004) bei einer der viergrossen Beratungsunternehmungen in der internationalenSteuerabteilung. Nach einigen Jahren in einer mittelständigenauf KMU spezialisierten Zürcher Treuhandgesellschaft seitmehr als sieben Jahren als Senior Wealth Planner bei einerSchweizer Grossbank tätig.

Durch die Betreuung von Unternehmer und Unternehmungenaus aller Welt im Bezug auf Umstrukturierung und Umsiedlunghat sich Aline Dénéréaz ein sehr breites steuerliches undrechtliches Wissen in Bezug auf Crossborder Steuerfachwissenaus Schweizer Sicht angeeignet. Ein weiteres Wirkungsgebietist die Nachfolgeplanung aus steuerlicher und rechtlicherSicht für Unternehmer mit internationalen Ausgangslagen.

Der Autor: Dr. Andreas Wenger

Dr. Andreas Wenger ist Gründerund Mitinhaber der Transforma AG. Studium der Wirtschaftswissenschaften ander Universität Bern und Abschluss mit Promotion zum Dr. rer. pol. im 1998. Anschliessend Assistent des DivisionsleitersEnergie bei der Electrowatt Engineering AG. Es folgten Stationen als Berater und Projektleiter bei Mercer ManagementConsulting AG (heute Oliver Wyman) und als Unternehmens-berater und Inhaber der Transforma Management Consulting,Zürich. Von 2007 bis Anfang 2011 Marktleiter Internationalund Geschäftsleitungsmitglied eines Konzernbereichs derSchweizerischen Post.

Seine Spezialität ist die Entwicklung und Neuausrichtungvon Geschäftsmodellen sowie das strategieorientierte Organisations(re)design, insbesondere im internationalenKontext. Durch seine langjährige internationale Beratungs-und Managementerfahrung kennt Andreas Wenger die Herausforderungen der grenzübergreifenden Unternehmens-führung sehr genau. Er ist Verwaltungsrat der Veriset Küchen AGund aktiv in ausgewählten Weiterbildungsveranstaltungenfür Fach- und Führungskräfte. Er hat mehrere Bücher zu unterschiedlichen Themenstellungen der Unternehmens -organisation publiziert.