mr. tambourine man-leben und musik von bob dylan
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Dylan in Leipzig
Die besten von uns hatte Tränen in den Augen, wie hätte es auch anders sein können. Bob Dylan, der so gut drauf war wie nie zuvor, hat seit seiner messianischen Ankunft in New York 1962 alle möglichen Fährnisse des Lebens und der Kunst angenommen und gemeistert. Und jetzt stand er vor uns, grinste über´s ganze Gesicht, zupfte selig an der Gitarre und war schlechterdings glücklich.
Und wie hatte uns dieser Typ oft reingelegt, als übellauniger Griesgram grottenschlechte Konzerte im Tran von was weiß ich abgeliefert (Berlin, Halle, Glauchau) und andernorts (Cottbus, Rom) ganz plötzlich auch mal Sternstündchen gucken lassen. Bob Dylan, als „Gangster des Herzens“, hat mir zwei Jahre meines Lebens geraubt. Fünfhundert Seiten schlohweißes Papier wollten erstmal vollgeschrieben sein. Keine Sekunde davon tut mir leid, Dylan war´s wert.
Der geborene Hinterwälder Robert Zimmermann, der sich zum Jahrhundertgenie mauserte, hat sich nie geschont, um die besten und wirkungsvollsten Songs „aller Zeiten“ zu schreiben. Er ist zurecht ein Objekt der Verehrung, denn er wirft uns auf uns selber zurück. Ihm kann man nicht nachrennen, wer ihm nahe sein will, muß sich selber finden: Wir brauchen keinen Wetterfrosch, um zu wissen, woher der Wind weht.
4.000 Anhänger haben es sich am Dienstag nicht nehmen lassen, nach Leipzig zu pilgern. Und er hat uns alle glücklich gemacht, wenn das Glück sicherlich viel zu kurz währte. In kaum anderthalb Stunden war alles vorbei, denn was hätte er nach „Blowin´in the Wind“ noch singen sollen? Er hätte die Messehalle 7 im Flammen aufgehen lassen können, das ist sicher. Aber morgen ist ja auch noch ein Tag. Bob Dylan hat nicht nur eine sagenumwobene Vergangenheit hinter sich, er hat auch eine glorreiche Zukunft vor sich.
Aber ein solches Konzert ist andererseits viel mehr als die reine Musikzeit, es ist ein Geschenk, das man nach Hause trägt und das dort noch
lange fortwirkt: „Hard Rain“, Tangled Up in Blue“, „Wheels on Fire“, „Tombstone Blues“, „Sick of Love“, „Cold Irons Bound“, „Highway 61 Revisited“, „It Ain´t Me, Babe“... Die Stimme krächzt, die Gitarren flirren, der Baß spielt Grundtöne wie griechische Säulen und auf dem Schlagzeug ist die Hölle los: Pandämonischer Blues, wie er nicht in den Büchern steht.
Überlebenshilfe aus Minnesota
Wie Bob Dylan, der am 24. Mai seinen 60. Geburtstag gefeiert hat, bei uns im Osten gebraucht wurde
Es war seltsam. Doppelt abgeschottet von der großen weiten Welt, in einem Dorf nah der Oder-Neiße-Friedensgrenze, wo man in den 60er Jahren auf dem 49-Meter-Band Radio Luxemburg hörte und an Herbstabenden, wenn die atmosphärischen Winde günstig wehten mit viel Glück Rias und SFB auf UKW hereinbekam und auf der Mattscheibe sogar ein bisschen was vom ZDF schneeig flimmerte, drangen die wunderbaren Botschaften aus einer unerreichbar fernen Welt irgendwie doch hinein: die Beatles in gitarrenlastiger Urgestalt schepperten aus dem Lautsprecher, die Rolling Stones, Jimi Hendrix, Leonard Cohen, Janis Joplin, Led Zepplin, Frank Zappa, Captain Beefheart, Grace Slick von Jefferson Airplane und ein bizarres Folktrio aus Irland, dessen Name ich mittlerweile vergessen habe.
Der Aufregendste, Interessanteste und neben Cassius Clay der Größte von allen - das war Bob Dylan, geborener Robert Zimmermann aus Hibbing, Minnesota. Dichter, Sänger, Mundharmonikaspieler und Gitarrenzupfer mit offenbar messianischem Weitblick. Sein Blowin´ in the Wind war in den 60ern in aller Munde, wobei dieser Song von den sonderbarsten Figuren nachgesungen wurde. Die Diseuse Marlene Dietrich war genauso im Einsatz wie die Roten Gitarren aus Polen oder der tschechische Schlagersänger Vaclav Neckars, der am Goldstrand zu Varna in einem vorzugsweise von Tschechoslowaken und DDR-Deutschen besuchten Restaurant den Dylan-Hit gar lustig trällerte.
Tatsächlich erwies sich die Hymne der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung als so weitschweifig, dass sie sogar die Version eines gewissen Hartmut König, späterhin einer der schlimmsten Scharfmacher im Ungeiste Marxens, Lenins und Honecker, aushielt. Sein schrecklich blaues FDJ-Hemd stach in einem Strandcafe am Müggelsee unsereinem brutal ins Auge als er zwischen seinen eigenen Ungereimtheiten, die er gemeinsam mit der Gruppe von Thomas Natschinski zum Besten gab, plötzlich und ohne Vorwarnung „Blowin´ in the Wind“ sang. Man mochte das Lied und hasste den Sänger und erinnerte sich an einen anderen Dylan-Song: „Subterranean Homesick Blues“ mit den legendären Zeilen: „Wenn ein Zivilbulle hinter dir geht, brauchst du wahrhaftig kein Wetterprophet zu sein, um zu wissen, woher der Wind weht.“
Irgendwann Mitte der 60er Jahre bekam ich meine erste Schallplatte von Bob Dylan in die Hand, mit einem romantisch verklärten Coverfoto, das einen glatt umhaute. Da sah man auf rotflammenden Hintergrund einen Jungen mit Wuschelkopf, der vom Weltschmerz schwer gezeichnet schien. Seltsamerweise zupfte er anstatt auf einer Akustikgitarre auf einem E-Bass herum. Seine Mundharmonika hing traurig am selbstverfertigten Gestell um den Hals, sein Blick wirkte wie
weggetreten. Diese zur Schau gestellte Pose entsprach jenem Katastrophenbewusstsein, dass Mitte der 60er Jahre schwer in Mode war. Mit der Kuba-Krise und der Schweinebuchtaffäre war man hart an den Rand eines 3. Weltkrieges gelangt. Die betuchten Amerikaner bauten sich Familienatombunker in die Vorgärten, der 21jährige Bob Dylan schrieb noch schnell die Ballade „A Hard Rains´s A-Gonna Fall“, von der eine gewisser Dave Van Ronk meinte, dass dies Dylans „Krieg und Frieden“ sei.
Was ich da in den Händen hielt, war eine Schallplatte, die es eigentlich gar nicht gab, eine „Amiga“-Sonderpressung für den sogenannten „Phonoclub“. Es gab keinen Hinweis, dass es sich exakt um Dylans zweites Album „The Freewheelin´ Bob Dylan“ handelte. Seither hat Dylan über 40 Schallplatten oder CDs veröffentlicht, einen Roman geschrieben, einen Film gedreht, in Filmen mitgespielt, Filmmusik komponiert. Wenn vielleicht nicht ganz im anvisierten Sinn von „Times They Are A-Changin´“, so haben sich doch die „Zeiten“, mächtig gewaltig verändert, nicht zuletzt hierzulande.
Der unselige Staat DDR ist untergegangen, samt all seiner besserwisserischen Weisheiten. Dylans sogenannten Never-Ending-Tour hat ihn in den letzten Jahren regelmäßig in den Osten Deutschlands geführt, insbesondere zu jener Zeit, da es mit seiner Karriere nicht so rosig bestellt war. Da tauchte der Meister in Städten wie Glauchau, Magdeburg oder Cottbus auf. Regelmäßig war er auch in Leipzig und Dresden zu hören, wo immerhin das heimlich mitgeschnittene „Junge-Garde-Concert 2000“ als Dokument eines der besten Konzerte, das Dylan je gegeben, durch die Szene geistert.
Zu DDR-Zeiten und wie sich mittlerweile auch herausstellte in der Post-DDR-Systemzeit sind die Lieder von Bob Dylan von kaum zu unterschätzender Bedeutung. Für beinahe jeden ist etwas dabei: Für gradlinige Gemüter gab es politische Songs wie „Masters of War“, für die Aufmüpfigen raffiniertere Werke wie „Ballad of a Thin Man“ (unlängst im Film „American Dream“ zu neuen Ehren gekommen), für die dichterische Intelligenzija Wortkapriolen wie „Visions of Johanna“ oder „Desolation Row“ und für die unglückselig Verliebten jede Menge Love-and-Hate-Songs, die einem den Weg wiesen, wie man aus dem Schlamassel mit verwirrten Herzen und durchgeknallten Damen wieder herauskommt. Da kreierte Dylan eine Strategie, die vermittels konzentrierter Zermarterung der eigenen Seele den Schmerz so unerträglich hoch peitschte, bis er schließlich wegen „Überlastung“ von einem abfiel. Der Prototyp solcherart Songs war „Like A Rolling Stone“, der durch Dylans Interpretation, am spektakulärsten ist dabei der kürzlich veröffentlichte Konzertmitschnitt aus der Royal Albert Hall 1966, der die Janovsche Urschreitherapie, die übrigens John Lennon probiert hatte, nicht nur vorwegnahm, sondern an Effizienz sogar übertraf. „Über den Napoleon in Lumpen, der so unflätig schimpft, jetzt ruft er dich, und du darfst dich nicht genieren. Du bist am Ende, hast nichts mehr zu verlieren. Jetzt bist du unsichtbar, doch jeder sieht, was du bist.“
Bei aller Begeisterung war man vor Enttäuschungen jedoch nicht gefeit. Nicht wenige
der unzähligen Dylan-Konzerte waren regelrechte Pleiten. Katastrophenauftritte, die im Suff oder was weiß ich für Begleitumständen kaum noch tolerierbar waren. In dieser Hinsicht war Dylans erstes (und eben auch letztes) Konzert in der DDR ein schlimmes und enervierendes Beispiel. Tatort war eine eilig zusammengezimmerte Bühne im Treptower Park zu Berlin am 17. September 1987. Offiziell war aus taktischen Gründen die Zuschauerzahl von 70.000 vorgegeben worden. In Wahrheit waren weit über 100.000 in Treptow, die kühnsten Schätzungen gingen von 180.000 Zuhörern aus. Die meisten von uns hofften auf ein Wunder, aber was geschah war ein Fiasko. Dylan sang kaum inspiriert, er schien neben sich selbst zu stehen. Als nach sechzig Minute „Like a Rolling Stone“ und schließlich „Blowin' in the Wind“ ertönte, war schon alles vorbei. Für Dylan, der in jeder Hinsicht steif von der Bühne stakste, in eine wartende Limousine stieg und ab ins Grand Hotel davonbrauste, war´s ausgestanden.
Das Publikum wirkte wie am Boden zerstört, war völlig konsterniert: „Das soll alles gewesen sein?“ „Nicht mal „Hello“ hat er gesagt.“ „Hat er uns überhaupt wahrgenommen, wusste er überhaupt, wo er ist?“ „War er tatsächlich stinkbesoffen, wie später einige Bühnenarbeiter behaupteten? Haben wir, seine besten und edelsten Fans, das verdient?“
Wie war dies nun alles zu verstehen? In Konzertberichten versuchten die Schreiber dem Phänomen Dylan und seinem bitteren Anschlag auf die grundsätzlich positiven Gefühle, die viele Zuhörer ihm entgegengebracht haben, gerecht zu werden. Keine leichte Übung, in der Wochenschrift „Die Weltbühne“ schrieb Andreas Krusche: „Für wen hat Dylan eigentlich gesungen? Fürs Publikum nicht, für sich selbst auch nicht, da war viel zuwenig Freude auf der Bühne. Möglicherweise machte er gegen sich selber Front: Bob Dylan schien seine eigene Legende vom allseligmachenden Popmessias zu bekämpfen, und es ist zu befürchten, dass er Kampf gewonnen hat und nunmehr seine alten Tage als hartherziger Zyniker beschließen will. Nach dem Konzert wirkten viele Zuhörer verstört, denn als Voyeure einer erfolgreichen Selbstentweiungsaktion beizuwohnen, war irgendwie beschämend. Nichtsdestotrotz hatte die Sache Größe. Dies war ein Abgang von historischer Dimension. Solch einen pittoresken Schlusspunkt hinter eine der in diesem Jahrhundert erfolgreichsten Künstlerkarrieren zu setzen, war wohl Dylans letzter Geniestreich - und wir waren dabei gewesen.“
Sicher, im Nachhinein wirkt solcherart Text wie der hochtrabende Versuch, aus einem Fiasko gutgläubig und doch auch ein bisschen hinterhältig Gold zu schmieden. Aber schließlich kam alles anders. Bob Dylan hatte nicht vorgehabt, irgendeinen Schlusspunkt in seiner auf und abwogenden Karriere zu setzten. Seine Reputation zog in der zweiten Hälfte der 90er Jahre rasant an. Die Ehrungen, Grammys und Oscars und so, häuften sich. Nicht zuletzt steht Bob Dylan inzwischen sogar auf der Kandidatenliste für den Literatur-Nobelpreis. Mit 60 kommt er dafür so langsam auch ins richtige Alter und renommierte Fürsprecher innerhalb der Kommission und natürlich außerhalb hat er allemal.
Was bleibt uns? Ist Bob Dylan der Wunderheiler für schwer gebeutelte Seelen immerdar?“ Seine Songs,
die alten vielleicht ein bisschen mehr als die neuen, helfen nach wie vor gegen fast alles. Die sind nicht nur gut gegen Langeweile, intellektuellen Müßiggang, schweren Liebeskummer oder den multimedialen Frontalangriff auf unser aller geistige Gesundheit. Nach wie vor vermag Bob Dylan in seinen tückisch geheimnisumwitterten Liedern eine Art „Befreiungs-Hass“ freizusetzen, dass auch die Frustrationen an unserem verschwundenen beschissenen Land, an einem mehr oder weniger verfehlten Leben oder den Bach heruntergegangen großen Lieben, irgendwie erträglich werden. Wie lautet die Botschaft des visionären „Song- and Danceman“, die hier hilft? Nichts ist so schlimm, dass es nicht noch hätte schlimmer kommen können.
„Die Linie ist gezogen, der Fluch ist gesprochen. Wer heute noch gekrochen, der kommt morgen geflogen. Was heute noch gilt, das hat morgen verspielt. Die Reihenfolge ändert sich und kommt rasch ins Gleiten. Der Erste von heute wird einmal der Letzte sein. Denn es kommen andere Zeiten.“
Also machen wir das Beste draus.
Mai 2001